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X.

Am anderen Tage erwachte Schwarz vollkommen ruhig und lachte über die Aufregungen des gestrigen Tages.

»Man kann viele Phrasen reden,« dachte er, »aber die Wirklichkeit? Nur ein Dummkopf stößt sein Glück zurück. Das beste Beispiel dafür, was eine einseitige, wenn auch noch so starke Liebe wert ist, das war Gustav. Er hatte ein kümmerliches Leben. Ich bin aber nicht zu einem solchen tragischen Helden geschaffen. Wenn ich Helene liebe, und sie liebt mich, – was geht das andere an? – Augustinowitsch! Stehe auf und erzähle einmal, welcher Teufel hat Dich mit dem weißen Kleide und dem rosaroten Schirm zusammengeführt, mit denen Du gestern so flott spazieren gingst?«

»Hast Du ihr Gesicht gesehen?« fragte Augustinowitsch mit einem Seufzer.

»Ja, ich habe es gesehen. Beim Zeus, sie sieht aus wie ein frisch ausgerissener Rettich, und die Mutter gleicht einem Faß. Hast Du Dich vielleicht verliebt, Alterchen?«

»Warum nicht gar … das sind sehr reiche Damen.«

»Beide? Wieviel hat denn die Tochter?«

»Ich habe es nicht gezählt, aber bald wird sie noch reicher sein.«

»Noch reicher? Hat sie einen Mann und Kinder?«

»Nein. Aber die Mutter ist nach Kiew gekommen wegen eines Prozesses. Und weißt Du, gegen wen sie den Prozeß führt? Gegen unseren Nachbar, den Grafen, der ihr einige tausend Gulden schuldet.«

»Woher hast Du das erfahren? Bist Du schon lange mit ihnen bekannt?«

»Seit gestern, und das kam ganz zufällig. Sie fragte mich nach dem Weg, aber wohin – das habe ich vergessen, mein Ehrenwort! Ich antwortete, es sei ein prächtiges Wetter, und ob sie nicht einen Spaziergang mit mir machen wollen. Die Alte war sehr gesprächig, und ich erfuhr sogleich, warum sie gekommen sind. Sie fragte mich, ob ich den Grafen kenne. Ich antwortete, ich sei jeden Abend mit ihm zusammen, und ich werde auf ihn einwirken, damit er ihr bezahle, was er schuldig sei. Ich sagte auch, ich sei Doktor der Philosophie, Medizin, Theologie und vieler anderer Wissenschaften, und ich habe eine ungeheuere Praxis. Darauf beschrieb mir die Mutter ihre Krankheit und auch die der Tochter. Ich sagte, ich werde sie besuchen und ihre Krankheit erforschen.«

»Nicht übel, und wie ist die Tochter?«

»Sie errötete wie ein Krebs, die Mama zankte sie dafür aus, rief alle Heiligen zu Hilfe und versicherte mir, sie werden am Tage des jüngsten Gerichts für mich sprechen. Siehst Du, was ich zu stande gebracht habe.«

»Wie naiv Du bist!«

»Heute werde ich sie besuchen.«

»Wen, die Heiligen?«

»Nein, meine neuen Bekannten. Ich werde ihnen raten zu heiraten.«

»Auf die Jüngere hast Du es abgesehen?«

»Ja, wenn sie mich nur nehmen wollte. Was ist zu machen? Ich werde alt, und ich glaube, man kann auch Dir bald gratulieren.«

»Ich habe Dir schon gesagt, Du sollst Dich zwischen mich und Helene nicht einmischen.«

»Gut, ich werde weiter nichts sagen, als daß sie schön ist.«

»Bah,« erwiderte Schwarz mit schlecht verborgenem Vergnügen.

In diesem Augenblick trat Wassilkjewitsch ein.

»Ich komme nur auf einen Augenblick,« sagte er, »weil Karl mich unten erwartet. Wir reisen sogleich auf sein elterliches Gut. Aber vorher habe ich mit Dir zu sprechen, Schwarz. Ich werde kurz sein. Ich gestehe, es widerstrebt mir, mich in Deine Liebesaffairen einzumischen, obgleich mich auch Augustinowitsch schon lange darum gebeten hat. Jetzt aber dauert das schon zu lange. Bitte sage mir, was sind Deine Absichten in Bezug auf Potkanska?«

Ärgerlich warf Schwarz die Cigarre, die er in den Händen hielt, in eine Ecke des Zimmers, dann setzte er sich und blickte Wassilkjewitsch an.

»Auf Deine Frage antworte ich auch mit einer Frage,« sagte er, »was geht Dich das an?«

Wassilkjewitschs Miene verfinsterte sich, aber er antwortete ruhig: »Ich frage Dich als Freund. Helene gehört nicht zu den Frauen, welche man heute lieben und morgen verlassen kann. Außerdem hat jeder, der ein Freund von Potkansky war, das Recht, eine Antwort zu fordern.«

Schwarz stand auf, und seine Augen funkelten zornig.

»Und wenn ich keine Antwort gebe, was dann?« rief er. »Wer hat ein Recht auf Helene, und wer wagt es, sich zwischen uns einzumischen?«

Jetzt geriet auch Wassilkjewitsch in Aufregung.

»Ruhig Blut, mein lieber Freund. Glaubst Du etwa, wir werden Dir erlauben, mit dieser armen Frau zu spielen, ohne zu fragen, wozu das führen soll? Darin irrst Du Dich. Du bist verantwortlich für die Ehre von Potkanskps Witwe. Und ich bin nicht der einzige, der das verlangt.«

Sie standen sich gegenüber und maßen sich mit herausfordernden Blicken.

Endlich machte Schwarz zuerst eine Anstrengung, sich zu beherrschen und erwiderte: »Höre, Wassilkjewitsch, wenn mir das ein anderer gesagt hätte, so würde ich ihn zur Thür hinauswerfen, denn ich gehöre nicht zu denen, die mit sich spielen lassen. Warum kümmert Ihr Euch nicht um Eure Angelegenheiten? Ihr beleidigt mich. Dir und den anderen, die die Ehre von Potkanska verteidigen wollen, antworte ich, daß ich nur mir allein für ihre Ehre verantwortlich bin und niemand erlaube, sich in meine Angelegenheiten einzumischen. Damit begehst Du und Deine Genossen eine große Dummheit. Ich bin fertig und gehe jetzt und überlasse es Dir, darüber nachzudenken, was Du gesagt hast«

Und Schwarz ging wirklich und ließ Wassilkjewitsch in Gesellschaft von Augustinowitsch zurück.

»Nun, hat er Dir den Kopf gewaschen?« fragte der letztere.

»Ja wirklich.«

»Du hast die Sache falsch angegriffen, man muß ihn vorsichtiger behandeln.«

Schwarz ging direkt zu der Witwe. Er war im höchsten Grade aufgeregt. Er vermochte sich das Vorgehen Wassilkjewitschs nicht zu erklären und fühlte, daß ein dritter, der sich zwischen sie einmischte, anstatt sie einander näher zu bringen, sie nur voneinander entfernte.

Bald erreichte er die Wohnung Helenes. Das Dienstmädchen wußte nicht zu sagen wo ihre Herrin sei. Er öffnete die Thür – Helene schlief, auf ihre Hand gestützt, in einem großen Lehnstuhl. Schwarz blieb an der Thür stehen und blickte sie bewundernd an. Sie erwachte nicht. Ihr voller Busen hob und senkte sich. Bei ihrem Anblick wurde er ruhiger. Er bückte sich herab und drückte die Lippen auf ihre Hand. Helene fuhr zusammen, öffnete die Augen und lächelte wie ein Kind, das aus einem Traum erwacht und einen mütterlichen Kuß erwartet. Zum ersten Mal befand sich Schwarz in einer so weichen, zärtlichen Stimmung, denn gewöhnlich war er, wenn nicht mürrisch, so doch ernst. Heute aber war er gekommen, um zu ihren Füßen den unangenehmen Eindruck des Streites mit Wassilkjewitsch zu vergessen. Die wunderbare weibliche Zauberkraft, welche alles vergessen macht, umfing ihn. Er war jedoch noch so sehr erregt, daß auch ihre Worte seinen Zorn noch nicht zu beschwichtigen vermochten.

»Helene,« sagte er, »ich liebe Dich von ganzem Herzen, aber menschliche Dummheit reizt und stört mich. Deshalb wollte ich in Dir selbst Kraft finden. Glaube mir, Helene, und liebe mich.«

»Ich verstehe Dich nicht, Jusja.«

Schwarz ergriff ihre Hand und fuhr in noch herzlicherem Tone fort: »Du mußt mich aber verstehen. Ich schmeichle mir, daß ich Potkansky nicht nachstehe, weder in meiner Liebe zu Dir, noch in der Sorge um Dein Schicksal, aber ein Unterschied besteht doch zwischen uns. Er war ein reicher Mann und konnte Dich mit Überfluß umgeben. Ich bin aber der Sohn eines Handwerkers und muß viel arbeiten, um mein und Dein Schicksal sicherzustellen. Ich werde Dich nie verlassen, aber ich will nicht, daß Du als meine Frau mit dem Mangel kämpfen solltest. Dazu brauche ich Deine Liebe und Dein Vertrauen … Sprich, Helene …«

Sie gab keine Antwort, legte ihren Kopf an seine Brust und sah ihn mit einem Blick voll Vertrauen an.

»Teuerste Helene, hier meine Antwort auf diesen Blick,« sagte er, indem er einen langen Kuß auf ihre Lippen drückte, »vielleicht ist das meinerseits Egoismus, aber verzeihe mir. Ich habe Dich durch nichts verdient, weder durch Ausdauer, noch durch geleistete Dienste. Ich habe nichts für Dich gethan. Die Erinnerung an den Reichtum, mit dem Dich Potkansky umgeben hatte, und die Aufopferung Gustavs würde immer zwischen uns stehen. Darum mußt Du mir erlauben, Dich zu verdienen, Helene. Ich habe Kraft und Energie und werde Dich nie täuschen, glaube mir.«

Schwarz glaubte sehr aufrichtig zu sein, indem er so sprach, aber er war sich nicht klar darüber, daß hauptsächlich die beleidigte Liebe aus ihm sprach. Nichts hätte ihn gehindert, Helene gleich zu heiraten, denn dadurch hätten sich seine Umstände nicht verschlechtert. Er hätte sich Augustinowitschs entledigt und die Ausgaben für die Gastfreundschaft, die er ihm gewährte, erspart. Aber Schwarz war sich dessen vielleicht selbst nicht bewußt, daß er nur deshalb eine Änderung in seinen Beziehungen zu der jungen Frau nicht wünschte, weil er die jetzigen sehr angenehm fand. Die gesetzliche Heirat hätte alles Entzücken an der verbotenen Frucht zerstört und nichts Neues versprochen.

Er liebte also Helene nicht?

Im Gegenteil, er liebte sie aufrichtig. Sonst würde er sie nicht jeden Tag besucht, ihre Lippen und Hände geküßt haben.

Um größere Rechte zu erlangen, gab es für Schwarz zwei Wege, der eine führte zur Kirche, der andere aber zur Unterdrückung des Ehrgefühls durch die Leidenschaft. Der letztere ist weniger ehrlich, oder vielmehr einfach ehrlos, aber dafür verführerisch. Der erste war ehrenhaft, der zweite aber nicht. So stand also Schwarz am Scheidewege. Natürlich darf ein ehrlicher Mensch nicht schwanken.

Das eine ist sicher, daß man kein Urteil über das Edelmetall geben kann, aus dem eine menschliche Seele gegossen ist, bevor sie im Feuer erprobt wurde. Wer kann sagen, ob nicht auch bei einem noch so ehrenwerten Mann nicht doch die Versuchung stärker ist als die Stimme der Pflicht? Daher konnte auch weder Schwarz selbst noch sonst jemand voraussehen, wie Schwarz in Zukunft handeln werde und ob er sich im Feuer der Versuchung bewähren werde.


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