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XVII.

Helene konnte kaum an ihr Glück glauben, während sie Vorbereitungen zur Hochzeit traf. Die düstere Vergangenheit war verschwunden, die Nacht des Lebens war vorüber, und das Licht brach hervor. Die vom Schicksal Verfolgte, welche kaum an die Zukunft zu denken wagte, sollte jetzt in eine neue Sphäre treten, sie sollte die Frau eines geliebten Mannes werden und von seiner Achtung, Liebe und Fürsorge umgeben sein.

»So viel Glück verdiene ich nicht,« sagte sie, während ihr Schwarz den Verlobungsring an den Finger steckte. »Aus einem solchen Leben wie das meinige konnte ein ganz anderes, schreckliches Schicksal hervorgehen.«

Sie hatte recht, aber ihr früheres Leben hatte eine entscheidende Wendung genommen. Es giebt Wandelsterne, welche einsam ihre Bahn in dem unendlichen Himmelsraum verfolgen, bis sie in die Bahn eines stärkeren Sternes geraten und von ihm angezogen werden. Dann gehen sie weiter neben ihm oder vereint mit ihm. Die neue Wendung in ihrem Schicksal war damit zu vergleichen. Die Willenskraft zog sie, die Schwächere, an. Sie hatte auf ihrem Wege Schwarz getroffen und folgte ihm in derselben Bahn. Das begriff sie auch und war dadurch beruhigt.

»Wenn er will, so werde ich glücklich sein,« dachte sie oft.

Sie vertraute nicht nur seinem Charakter, sondern auch seiner Kraft.

So verschwand der letzte Schatten von ihrer Seele, und die Unruhe, die unbestimmte Furcht vor der Zukunft, von der sie sich im Augenblick, als Schwarz ihr seinen Antrag machte, nicht befreien konnte, und die sie quälte wie Gewissensbisse.

Sie war glücklich mit ihren Hochzeitskleidern, wie ein Kind mit seinem Spielzeug. Obgleich sie Witwe war, wünschte sie doch ein weißes Kleid zu haben, und das gefiel auch Schwarz.

Unter dem Einfluß dieser Liebe und dieser Zuversicht, mit der sie in die Zukunft blickte, verschönerte sie sich und blühte von neuem auf. Sie fühlte sich gesund und heiter, wurde arbeitsam und beschäftigte sich mit allen kleinen Einzelheiten ihrer künftigen Haushaltung. Sie war nicht mehr menschenscheu, sie wurde eine selbstbewußte junge Frau, die ihren Wert kannte, wenn auch nur dadurch, daß sie geliebt wurde.

Der Tag der Hochzeit nahte schnell heran.

Zugleich nahte auch der Augenblick heran, wo Schwarz den Doktorgrad erlangen sollte. Deshalb arbeitete er mit höchstem Eifer zum Nachteil seiner Gesundheit. Durch die schlaflosen Nächte und die beständige Spannung des Geistes schwand die Röte aus seinem Gesicht Um seine Augen zeichneten sich blaue Kreise. Diese fieberhafte Arbeit zehrte seine Kräfte auf, aber dennoch hielt er sich aufrecht, um eine unabhängige Stellung zu erlangen und seine Zukunft zu sichern.

Außer seinem Stolz und dem nahen Hochzeitstage veranlaßte ihn noch ein anderer Umstand zu verdoppelten Anstrengungen. Das Kapital, das er von Hause mitgebracht hatte, war nach und nach aufgezehrt worden. Jetzt war ihm Augustinowitsch keine Last mehr, weil dieser alle Ausgaben zur Hälfte trug. Durch Musikunterricht verdiente Augustinowitsch mehr als Schwarz. Natürlich wollte er sich nicht durch andere Arbeiten belasten, da sein angeborenes Talent ihm durch Musikunterricht für jetzt mehr als genügend Einnahmen verschaffte. Wie früher ging er jeden Tag zu Frau Wisberg. Jeden Tag öffnete ihm Malinka die Thür, und jeden Tag entzog sie ihm ihr Händchen, das er zu küssen gewohnt war. Dieses gutmütige Mädchen faßte Zuneigung zu ihm, aber liebte er auch sie? Das war kaum anzunehmen, weil seine Vergangenheit in ihm alle Sympathien vernichtet hatte. Wenn sein Talent seine Leidenschaften entflammt hätte, so wäre er weit gekommen, aber sie leuchteten nur, sie wärmten nicht, ebenso wie die Mondstrahlen.

Aber das hinderte ihn nicht, ein guter und ehrenwerter Kamerad zu sein, der für niemand mehr Zuneigung empfand als für Schwarz. Er hatte aber doch auch eigene Sympathien und Antipathien, er liebte Malinka und haßte die Gräfin Lulu.

Warum aber liebte er sie nicht? Dafür hatte er verschiedene Gründe. Die Gräfin hatte ihn zuerst von oben herab behandelt, ferner war sie Gräfin, endlich war er bei Damen beliebt. Er gefiel ihnen wegen seiner Heiterkeit und eines gewissen Cynismus, durch den er sich überall wie zu Hause fühlte. Außerdem hatte er die Fähigkeit, sich dem Ton der Gesellschaft anzupassen, in der er sich bewegte. Wenn er wollte, konnte er bei seinen Bekannten eine hohe Meinung von seinem Wissen hervorrufen. Ungeachtet aller dieser Vorzüge hatte ihn die Gräfin fast immer ignoriert. Der weniger elastische und weniger leichtsinnige Charakter von Schwarz hatte sie mehr angezogen, so daß Augustinowitsch zur Seite blieb. Das hatte ihn natürlich verdrossen.

So standen die Sachen bei dem Erscheinen des Grafen Pelski zu der Zeit, als Schwarz seine Besuche einstellte. Lulu hatte sich sehr verändert. Augustinowitsch mißfiel ihr sehr, weil er die Sachen immer durch das Prisma seiner eigenen Voreingenommenheit gegen sie sah. Er fühlte sich von ihr vernachlässigt oder gar verachtet. Aber es kam anders. Die Gräfin fiel aus ihrer Rolle kühler Gleichgültigkeit und begann ihn sogar zu fürchten.

»Den Göttern sei Dank!« dachte Augustinowitsch, »daß ich eine milde Zunge habe. Sie fürchtet, ich könnte Pelski einen Dummkopf nennen.«

Das geschah auch einige Male und verletzte Lulu. Anfangs fragte sie ihn oft nach Schwarz, und da sie immer die Antwort erhielt, er arbeite, so hörte sie endlich auf zu fragen. Sie schien sich mit Augustinowitsch aussöhnen zu wollen, da sie in ihrem Benehmen gegen ihn eine gewisse Milde, mit stillem Kummer gemischt, zeigte. Wenn er kam, blickte sie ihn oft mit unruhigen, fragenden Blicken an. Diese Unruhe war natürlich. Ob sie Schwarz liebte oder nicht, jedenfalls mußte sie darüber verwundert sein, daß er sie ganz vergessen zu haben schien. Die Antworten von Augustinowitsch befriedigten sie nicht. Wenn Schwarz auch noch so beschäftigt war, so konnte er doch gewiß einen freien Augenblick benutzen, um sie zu besuchen, um wenigstens nach ihrem Befinden zu fragen. Sie konnte nicht umhin, die Ankunft Pelskis mit der Abwesenheit von Schwarz in Verbindung zu bringen. Augustinowitsch hätte sie natürlich aufklären können, aber er schwieg.

So sehr sie auch Gefallen fand an den Erzählungen Pelskis von einer entzückenden Zukunft im Lande der Phantasie, des Reichtums und Komforts, und von zahlreicher Dienerschaft umgeben, kehrten ihre Gedanken doch immer zu der bescheidenen Wohnung von Schwarz zurück, und immer wiederholte sie sich die Frage, warum er nicht komme.

Pelski wurde mit jedem Tage mehr ein gefährlicher Rivale. Die Gleichgültigkeit von Schwarz verletzte die Gräfin, und sie gewöhnte sich an den Gedanken, Pelski ihre Hand zu reichen. Auch die Tradition sprach zu Gunsten des letzteren. Graf Pelski bemühte sich eifrig, die Wolken von ihrer Stirn zu verscheuchen, und oft gelang ihm das. In solchen Augenblicken befiel sie eine nervöse Fröhlichkeit, sie lachte und trieb übermütige Scherze. Doch wenn auch in dieser Heiterkeit eine fieberhafte Aufregung bemerkbar war, hatte doch auch die Koketterie ihren Teil daran. Ihre Augen funkelten, ihre Schläfen glühten und auf den Lippen lag ein heiteres Lächeln. Gewöhnlich wurde Pelski das Opfer ihres Übermutes und ergab sich mit guter Miene darein. Aber je unterwürfiger er war, desto übermütiger wurde sie, und je mehr er sich grämte, desto heiterer wurde sie.

Oft sagte Augustinowitsch zu Malinka: »Werden Sie nicht so wie diese, sie ist eine Kokette.«

»Nein, ich werde nicht so,« erwiderte sie leise, »aber ich werde Sie später einmal an diese Worte erinnern.«

Doch es ist schwer zu sagen, was Augustinowitsch gesagt hätte, wenn er nach einem solchen Abend sie allein im Zimmer gesehen hätte, wo sie in bittere Thränen ausbrach und stundenlang weinte. Das arme Mädchen hatte nicht den Trost, ihren Kummer und ihre inneren Kämpfe mitzuteilen. Aber es ist schwer zu sagen, welchen Anteil an ihren Thränen der Liebesschmerz und der beleidigte Stolz hatten. Früher hätte sie Malinka umarmt und ihr alles gesagt, was ihr Herz bedrückte. Heute aber war auch Malinka ihr fremd geworden oder wenigstens nicht mehr so nah wie früher. Ihre mißlungenen Versuche, Augustinowitsch durch Koketterie für sich zu gewinnen beleidigten die in ihn verliebte Malinka, und die Beziehungen der Gräfin zu Pelski erschienen ihr ganz einfach einfältig.

Doch die Zeit verging und die Gräfin begann daran zu zweifeln, daß Schwarz sie liebte. Pelski nahm sie unmerklich ein durch den Gedanken an künftiges Wohlleben.

»O Du Zeit!« sagt ein Poet, »Du bist ein schlechter Gärtner für blühende Rosen.«


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