Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIV.

Helene Potkanska war nicht zu Hause. Schwarz erwartete sie einige Stunden lang, indem er unruhig im Zimmer auf und ab ging. Er hatte beschlossen, um jeden Preis aus dieser falschen Lage herauszukommen, in die er geraten war und in die er sich verwickelt hatte durch seine gleichzeitige Fürsorge für Helene und die Gräfin Lulu, obgleich er wohl erkannte, daß dieser Entschluß ein schweres Opfer war. Dieser Schmerz im Herzen war fast physischer Schmerz. Er war gekommen, um sie um ihre Hand zu bitten, obgleich er fast Haß gegen sie empfand, während sein Herz schmerzte, als ob es seinen eigenen Willen um Schonung bitten wollte. Er liebte Lulu, wie nur energische, anscheinend kalte Naturen lieben können.

Er war vorbereitet auf die Zusammenkunft mit Helene und fühlte, wie schwer ihm diese Zukunft sein müßte. Es giebt nichts Schlimmeres als einer nichtgeliebten Frau zu sagen, man liebe sie. Das ist eine der schwersten Verstellungen für einen aufrichtigen Mann. Schwarz hatte sie einst geliebt, jetzt aber liebte er sie nicht mehr. Er bemerkte nicht einmal, wie sehr er der Gräfin anhing, und als er es bemerkte, empfand er von Zeit zu Zeit diese neue Liebe, fürchtete sich, an sie zu denken und sie sich einzugestehen. Wenn sein Herz ihn zu laut daran erinnerte, legte er ihm Schweigen auf und dachte mit Angst an seine eigenen Handlungen und an die künftige Lösung. Aber das paßte nicht zu seinem Charakter und konnte nicht lange dauern. Augustinowitsch hatte zufällig mit dem ihm eigenen Cynismus ihm die Augen geöffnet und ihn dadurch veranlaßt, zur Witwe zu gehen. Eine weitere Flucht war unmöglich. Schwarz bereitete sich zum Kampf vor, und in dieser Stimmung ging er zur Potkanska.

Aber er war nicht spurlos aus diesem Kampf hervorgegangen. Er war zornig erregt und konnte nicht ruhig an sie denken. Verschiedene kleine und teure Erinnerungen tauchten in seinem Gedächtnis auf, dabei aber war er jetzt eben mehr als je überzeugt von der Gegenliebe der Gräfin.

»Habe ich das Recht, ihr Glück zu zerstören?« fragte er sich, und dieser einfältige Gedanke klang in seinen Ohren wieder wie die letzten Schüsse eines besiegten Heeres. Aber er entledigte sich desselben, indem er daran dachte, daß zwischen ihm und Potkanska gewisse Verbindlichkeiten bestehen, während solche zwischen ihm und der Gräfin gänzlich fehlten.

Außerdem waren in seinem Herzen andere ehrlichere Erwägungen erwacht, aber um sie in die Wirklichkeit überzuführen, mußte er lügen und dann das ganze Leben lang lügen und sich anstellen, als ob er liebte.

»Das Böse als Folge des Guten, das ist um den Verstand zu verlieren,« dachte Schwarz.

Der Abend kam, und die junge Frau war noch nicht zurückgekehrt. Schwarz dachte, sie werde auf den Kirchhof gegangen sein und wußte selbst nicht, warum ihn heute dieser Gedanke erzürnte. Und ohne zu wissen warum, fühlte er sich durch diesen Gedanken gereizt. Er zündete eine Kerze an und ging wieder im Zimmer auf und ab. Zufällig fiel sein Blick auf das Bild Potkanskys. Er hatte ihn nicht persönlich gekannt, aber er liebte ihn nicht, obgleich er keinen Grund dafür angeben konnte, außer den, daß er ein vornehmer Herr gewesen war. Er blickte auf sein breites heiteres Gesicht, und in seinem Herzen schlich sich Haß ein.

»Ich bin für sie nur das Gegenstück dieses Menschen,« dachte er.

Aber das war falsch. Seinem Charakter nach war Schwarz Potkansky unähnlich, aber Helene liebte ihn jetzt seiner selbst wegen. Auch dieser Gedanke bedrückte ihn, und er hätte viel darum gegeben, wenn Helene nicht die Frau Potkanskys gewesen und nicht von ihm ein Kind gehabt hätte.

»Auch ich werde Kinder haben,« sagte Schwarz, »einen Sohn, den ich zu einem willensstarken Menschen erziehen werde. Ach, wenn doch dieser Lulus Sohn wäre!«

Er fuhr zusammen und biß sich auf die Lippen. Auf seine Stirn traten große Schweißtropfen.

In diesem letzten Gedanken lag ein ganzer Ocean von Wünschen.

So saß er noch eine halbe Stunde. Endlich kam Helene. Sie trug ein schwarzes Kleid, und diese Farbe paßte vortrefflich zu ihrer dunklen Gesichtsfarbe und den lockigen Haaren.

Als sie Schwarz erblickte, lächelte sie schüchtern, aber in diesem Lächeln lag große Freude, da Schwarz in letzter Zeit ein seltener Gast bei ihr gewesen war.

Zum Glück hatte sie weiblichen Takt genug, um ihm keine Vorwürfe zu machen und keine zu lebhafte Freude über sein Kommen zu zeigen, da sie nicht wußte, was er jetzt sagen wollte. Sie reichte ihm die Hand, welche die seinige stark drückte. Sie stand vor ihm mit einem Lächeln, das ihn mit dem unbeschreiblichen Reiz der liebenden Frau bezauberte. Hätte sie einen Stern in den Haaren gehabt, so hätte man sie für einen Engel halten können. Aber für Schwarz war sie kein Engel mehr. Er berührte mit den Lippen ihre Hand.

»Setze Dich neben mich, Helene,« sagte er, »und höre, was ich Dir zu sagen habe. Ich war lange nicht bei Dir, und ich will, daß die frühere Ungezwungenheit und das frühere Vertrauen zwischen uns zurückkehre.«

Sie warf den Umhang ab, nahm den Hut ab, glättete die Haare und setzte sich neben ihn. In ihrem Gesicht äußerte sich große Unruhe.

»Ich höre Dich, Jusja,« sagte sie.

»Es ist schon vier Jahre her, daß unser beiderseitiger Freund Gustav gestorben ist, der Dich mir anvertraute. Ich habe mein ihm gegebenes Wort gehalten, so gut ich konnte. Aber unsere Beziehungen sind nicht so, wie sie sein sollten, und alles das muß anders werden.«

Er mußte Atem holen, ehe er das Urteil über sich selbst sprach.

In der Stille, welche in diesem Augenblick herrschte, war das Klopfen des Herzens Helenes hörbar. Ihr Gesicht erbleichte, und ihre Augen verschleierten sich, wie das bei erschreckten Frauen gewöhnlich ist.

»Es muß anders werden?« wiederholte sie kaum hörbar.

»Sei meine Frau.«

»Joseph!« rief sie, legte die Hände zusammen und blickte ihn mit ihren großen glänzenden Augen strahlend an.

»Ja, sei meine Frau,« wiederholte er, »die Zeit, von der ich Dir sagte, ist jetzt gekommen.«

Sie umfaßte mit ihren weißen Armen seinen Hals und legte ihren Kopf an seine Brust.

»Treibst Du nicht Scherz mit mir, Joseph?« fragte sie. »Soll ich wirklich noch einmal glücklich werden? Ach, wie ich Dich liebe!«

Ihre Brust hob sich heftig, und ihr strahlendes Gesicht und ihr Mund näherten sich unwillkürlich seinen Lippen.

»Ach, wie war ich traurig in meiner Einsamkeit,« fuhr sie fort, »aber ich glaubte an Dich. Das Herz kann nur leben, wenn es liebt, und ich lebe nur für Dich. Das Leben aber, wie Du weißt, besteht nur darin, zu lachen und zu scherzen, zu klagen und zu weinen, nachzudenken und zu lieben. Jetzt bin ich fröhlich und weine nur Deinetwegen. Nur an Dich denke ich, und Dich liebe ich. Ich bin eine solche Flamme, die nur Du auslöschen kannst, ich bin Dein, und darum erlaube mir, vor Freude zu weinen. Du liebst mich?«

»Ja, ich liebe Dich.«

»So manches Jahr habe ich geweint, aber nicht mit solchen Thränen wie heute. Jetzt ist mir alles so hell. Wie kann ich an so viel Glück glauben?«

Jedes dieser Worte drückte schwer auf sein Gewissen. Er sah diese Lüge und Falschheit, in der jetzt sein Leben hinfließen sollte an der Seite dieser schönen und liebenden, aber wenig geliebten Frau.

Er stand auf und verabschiedete sich.

Als sie allein geblieben war, stand sie lange schweigend am Fenster und drückte ihre Stirn gegen die Scheiben. Endlich öffnete sie das Fenster, hielt den Kopf mit beiden Händen und richtete ihren Blick in den Sternenglanz der Sommernacht. Über ihr Gesicht flossen stille Thränen. Ihr goldenes Haar floß über ihre Brust, der hellscheinende Mond spielte auf ihrem Kleide und übergoß ihr Gesicht mit silberhellem Glanz.


 << zurück weiter >>