Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Siebenundsechzigstes Kapitel

Der Frühling kam in diesem Jahre sehr frühzeitig. Ende März und anfangs April machte Polaniecki wieder einige kleine Reisen und blieb mehrere Tage weg. Er und Bigiel waren so beschäftigt, daß sie zuweilen erst spät am Abend das Comptoir verließen. Frau Bigiel glaubte, es seien wichtige Geschäfte, die sie derart in Anspruch nahmen. Doch wunderte sie sich, daß ihr Gatte, der solche Angelegenheiten immer mit ihr besprach, ja fast laut bei ihr dachte und sie sogar häufig um Rat fragte, diesmal kein Wort verlauten ließ. Marynia gewahrte ebenfalls, daß ihr Stach gänzlich von etwas erfüllt war. Er war noch zärtlicher gegen sie, als gewöhnlich, doch hatte sie die Empfindung, daß ihn bei allem, was er that, eine Idee vollständig absorbierte und daß er durch nichts abgezogen werden konnte. Diese Zerstreutheit wuchs mit jedem Tage, und als der Mai herannahte, befand sich Polaniecki in einem wahrhaft fieberhaften Zustande. Lange schwankte Marynia, ob sie ihren Gatten fragen solle, was ihm fehle, denn er durfte nicht denken, daß seine Geschäfte sie zu wenig interessierten. Endlich beschloß sie, auf eine günstige Gelegenheit zu warten. Und eines Tages dachte sie, der richtige Moment sei nun gekommen. Polaniecki war etwas früher als sonst mit strahlendem Gesichte nach Hause zurückgekehrt und, ihm ihn die Augen schauend, fragte sie beinahe unwillkürlich: »Heute ist Dir gewiß etwas Angenehmes begegnet, Stach?«

Er setzte sich neben sie und statt ihr zu antworten, begann er in eigentümlichem Tone: »Welch wunderschönes, warmes Wetter wir heute haben! Weißt Du, woran ich in der letzten Zeit häufig dachte? – Daß wir Deiner und des Kindes Gesundheit wegen frühzeitig die Stadt verlassen sollten.«

»Du meinst, wenn Buczynek noch nicht vermietet ist?« versetzte Marynia.

»Buczynek ist verkauft,« antwortete Polaniecki. – Ihre Hände in die seinen nehmend und ihr mit unendlicher Liebe in die Augen sehend, setzte er dann hinzu: »Ich habe Dir etwas zu sagen, Geliebte, etwas, das Dich freuen wird – versprich aber, daß Du Dich nicht zu sehr aufregen willst.«

»Nein – was ist es, Stach?«

»Siehst Du, liebes Kind, als Maszko über die Grenze entwich, weil er seine Schulden nicht bezahlen konnte, nahmen die Gläubiger sein ganzes Besitztum in Beschlag, um sich wenigstens einigermaßen schadlos zu halten. Es kam zur Versteigerung. – Magierow wurde parzelliert, aber Krzemien, Skoki und Suchacin waren noch zu retten und deshalb – rege Dich nicht auf, Geliebte – deshalb kaufte ich sie für Dich.«

Marynia schaute ihn während eines kurzen Momentes wie erstarrt an und glaubte ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. – Aber ihr Gatte war selbst so gerührt, daß er unmöglich scherzen konnte – ihre Augen füllten sich mit Thränen, und sie schlang ihre Arme um seinen Hals: »Stach!« Mehr vermochte sie nicht zu sagen, aber in diesem einzigen Worte lag so viel Dankbarkeit, Liebe und Bewunderung, daß Polaniecki genügend für seine That belohnt ward.

»Ich habe ein früheres Unrecht wieder gutzumachen,« fuhr er fort, sie innig an sich heranziehend. »Gott weiß, daß ich keine andere Freude kenne als die Deine . . . Aber wenn ich Dir zehn solcher Krzemien gekauft hätte, wäre Dir damit noch nicht das Glück vergolten worden, das mir durch Dich zuteil wird.«

Er sprach ernst und aufrichtig. Marynia hob den Kopf von seiner Schulter und rief mit feuchtglänzenden Augen: »Oh Stach, Stach! Nie, nie hätte ich mir träumen lassen, daß ich so unendlich glücklich sein könnte!«

Etwas gerührt und doch triumphierend ging er jetzt mit großen Schritten im Zimmer hin und her.

»Was aber nun, Marys?« fragte er. »Die Hauptsache ist noch zu besprechen, denn ich habe ja nicht den mindesten Begriff von der Landwirtschaft, und Du wirst viel zu thun haben. Aber ich werde kein schlechter Verwalter sein. Wir müssen zusammen arbeiten, da die Bewirtschaftung eines solchen Gutes keine Kleinigkeit ist.«

»Du lieber, lieber Stach, ich weiß ja, daß Du all dies nur für mich gethan hast!« antwortete sie. »Hoffentlich hat es aber Deinen Geschäften keinen Abbruch gethan.«

»Durchaus nicht. – Ueberdies habe ich sehr billig gekauft. Auch Bigiel, der doch sonst so ängstlich ist, sagt, es sei ein gutes Geschäft. Zudem trete ich ja auch nicht aus dem Handlungshause aus. Du brauchst also keine Angst zu haben, daß in Krzemien wieder die alten Sorgen und Plagen für Dich beginnen, sondern wirst ruhig wirtschaften können. Und selbst wenn alles dort zu Grunde ginge, bliebe uns doch noch genug, um mit unserem Kinde leben zu können.«

»Oh!« sagte Marynia, ihn auf eine Weise ansehend, als ob er ein Napoleon oder ein anderer großer Eroberer wäre, »ich bin überzeugt, daß Du alles zustande bringst, was Du Dir vornimmst, aber das weiß ich, daß Du das Gut nur meinetwegen gekauft hast.«

»Selbstverständlich!« entgegnete Polaniecki, »weil ich Dich liebe und weil Dein Herz an Krzemien hängt. Durch Dich habe ich gelernt, was es heißt, einen Fleck Erde sein eigen nennen. Dieser Kauf ist eine längst beschlossene Sache. Vielleicht hast Du bemerkt, daß ich in den letzten Monaten sehr beschäftigt und in Anspruch genommen war. Sagen wollte ich Dir nichts, ehe ich alles ins Reine gebracht hatte, ich wünschte Dich zu überraschen. Und es ist mir gelungen. Nun hast Du meinen Dank dafür, daß Du wieder gesund und so hold und lieb bist!«

Ruhiger geworden, überlegten sie miteinander und einigten sich dahin, am Ende der Woche mit dem ganzen Haushalt nach Krzemien überzusiedeln, denn Polaniecki hatte die dortige Wohnung so herrichten lassen, daß alles zum Empfang der Gutsherrin bereit war. Indessen versicherte er ihr, er habe fast nichts verändert, sondern sich nur bemüht, die Zimmer wohnlich zu machen.

Plötzlich fing er an zu lachen.

»Ich bin nur begierig, was Papa dazu sagt,« bemerkte er.

Die voraussichtliche Bewunderung ihres Vaters war für Marynia ein neuer Anlaß zur Freude. Als er nach Verlauf einer halben Stunde zum Mittagessen erschien, eilte sie ihm entgegen und verkündigte ihm sofort die frohe Nachricht. Er war nicht wenig erstaunt darüber. Ob nun das Glück seiner Tochter auch ihn glücklich machte, oder ob er eine gewisse Anhänglichkeit an jenen Erdenwinkel fühlte, wo er so viele Jahre seines Lebens verbracht hatte, kurz, die Augen wurden ihm feucht, er sprach von seinem Schweiß, der dort am Boden klebe, von »dem Asyl des Greises auf einem Vorwerke,« und schließlich sagte er, Polaniecki umarmend: »Gebe Gott, daß Du mehr Glück hast als ich, und Dir dabei immer so gut zu helfen weißt, wie ich mir zu helfen wußte – sei auch überzeugt, daß ich stets bereit bin, Dir mit Rat und That an die Hand zu gehen.«

Von ihrem Glücke berauscht sagte Marynia am nämlichen Abend zu Frau Bigiel: »Nun sprich! Muß man einen solchen Mann nicht lieben?«


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