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Zwei Tage später erhielt Polaniecki ein Billet von Maszko mit einigen Abschiedsworten.
»Ich reise heute (schrieb Maszko). Für alle Fälle sage ich Dir lebewohl und danke Dir für die Freundschaft, die Du mir erwiesen hast. Gott schenke Dir mehr Glück als mir. Ich möchte Dich noch sehr gern wenigstens auf eine Minute sehen, und wenn ich nur äußerst kann, überfalle ich Dich gegen vier Uhr in Deinem Bureau. Inzwischen wiederhole ich nochmals meine Bitte, daß Ihr an meine Frau denkt und Euch ihrer annehmt. Dich bitte ich noch, daß Du mich bei ihr gegen die bösen Zungen verteidigst. Ich fahre um neun Uhr nach Berlin, jedoch ohne ein Geheimnis daraus zu machen. Für alle Fälle lebewohl und noch einmal besten Dank für alles.
Maszko.«
Polaniecki ging gegen vier Uhr in das Geschäft, wartete jedoch über eine Stunde umsonst. »Er kommt also nicht,« dachte er schließlich, »umso besser,« und er begab sich ganz zufrieden darüber nach Hause, daß ihm das peinliche Zusammentreffen erspart geblieben war. Gegen Abend jedoch steigerte sich sein Mitleid mit Maszko immer mehr; er sagte sich, daß dies ein Mensch sei, der zwar einen abschüssigen und abenteuerlichen Weg eingeschlagen, der sich aber gequält und geplagt habe; er sagte sich ferner, daß jeder ein solches Ende hatte voraussehen können, und daß deshalb die, welche dies voraussahen, trotzdem aber mit ihm weiter verkehrten und ihn bei sich empfingen, ihn jetzt bei seinem Ruin nicht verachten dürften. Zuletzt kam ihm der Gedanke, wie sehr sich wohl Maszko freuen würde, wenn er an die Bahn ginge, und nach kurzem Schwanken führte er sein Vorhaben aus. Unterwegs fiel ihm ein, er werde höchst wahrscheinlich Frau Maszko am Bahnhofe treffen, doch er sagte sich, eine Begegnung müsse früher oder später stattfinden, ein Wegbleiben aus diesem Grunde sei daher eine niedrige Feigheit.
Von diesem Gedanken erfüllt, kam er auf dem Bahnhof an. In dem nicht sehr großen Wartesaal erster Klasse saßen schon einige Personen, auf den Tischen lag unzähliges Handgepäck. Doch nirgends konnte er Maszko entdecken und erst nach genauer Umschau erkannte er in einer jungen, in einer Ecke sitzenden verschleierten Dame Frau Maszko.
»Guten Abend,« sagte Polaniecki, sich ihr nähernd, »ich komme, um mich von Ihrem Herrn Gemahl zu verabschieden. Wo ist er denn?«
Sie nickte zum Gruße kaum merklich mit dem Kopfe und erwiderte mit ihrer gewöhnlichen kalten Stimme: »Mein Mann nimmt seine Fahrkarte. Er kommt gleich.«
Maszko kam gerade, von einem Bahnbediensteten begleitet, dem er seine Fahrkarte und das nötige Geld mit dem Auftrage einhändigte, das Gepäck aufzugeben. In einem langen Havelock und einem weichen Filzhute sah er mit seinem großen Backenbart und dem goldenen Zwicker wie ein reisender Diplomat aus.
»Nun,« meinte er schließlich sich in dem Wartesaal umschauend, »alles wäre besorgt. Wo ist denn aber mein Handgepäck? Aha, hier. Gut.« Dann wandte er sich an Polaniecki: »Ich danke Dir, daß Du gekommen bist; thue mir jetzt noch einen Gefallen und fahre mit meiner Frau nach Hause oder begleite sie wenigstens zu einem Wagen. Terenia, Herr Polaniecki begleitet Dich nach Hause. – Mein Lieber, komm auf einen Augenblick mit mir, ich habe Dir noch etwas zu sagen.«
Er nahm Polaniecki auf die Seite und redete fieberhaft auf ihn ein: »Fahre unbedingt mit ihr. Ich habe ihr einen Grund für meine Reise angegeben, Du aber sage ihr doch so obenhin, Du wundertest Dich, daß ich so kurz vor dem Termin in dem Prozesse wegfahre, denn falls mich irgend ein Zufall aufhalten sollte, müßte der Prozeß verloren gehen. Ich wollte noch zu Dir kommen, um Dich darum zu bitten, aber Du weißt doch, am Tage der Abreise . . . der Termin ist in einer Woche. Ich werde erkranken, mein Gehilfe, ein angehender Rechtsanwalt, wird mich vertreten und naturgemäß die Sache verlieren. Aber die Angelegenheit bekommt dadurch den Anstrich der Zufälligkeit. Meine Frau habe ich sichergestellt, alles ist auf ihren Namen eingetragen, und man wird ihr nichts anhaben können. Mir selbst ist eine Idee gekommen, mit der ich mich an die Schiffbaugesellschaft in Antwerpen wenden werde. Ich kann mich darüber nicht weiter auslassen. Wenn ich Zeit hätte, Dir alles auseinanderzusetzen, würdest Du selbst bekennen müssen, nicht einem jeden könne etwas derartiges einfallen. Vielleicht werde ich noch in nicht allzu langer Zeit mit Euch Geschäfte abschließen. Du siehst, ich verliere den Mut nicht. Und meine Frau habe ich völlig sichergestellt . . . Ach, es ist nun einmal geschehen. Ein anderer an meiner Stelle würde schlechter geendet haben. Ist's nicht wahr? Aber kehren wir zu meiner Frau zurück!«
Polaniecki fühlte sich durch Maszkos Worte sehr unangenehm berührt. Er bewunderte zwar dessen Zähigkeit, gleichzeitig fühlte er aber auch, daß ihm das gewisse Maßhalten fehlte, wodurch sich ein unternehmender Mensch von einem unternehmenden Abenteurer unterscheidet. Immer mehr kam er zu der Ueberzeugung, in Maszko stecke ein geriebener Praktikus, der sich zwar noch einige Zeit halten könne, schließlich aber als einer jener Unglücklichen endige, die sich mit krummgetretenen Stiefeln in zweifelhaften Kaffeehäusern umhertreiben und in Gesellschaft ähnlich Herabgekommener mit ihrer früheren Größe prahlen. Und was war der Grund von dem allen? Ein Leben, das von Anfang an auf einer Lüge aufgebaut war. Maszko konnte sich trotz seiner großen Intelligenz nicht mehr aus den Fesseln der Unwahrheit befreien.
Selbst jetzt verstellte er sich vor seiner Frau. Freilich war er ja gewissermaßen dazu genötigt. Doch als der Wartsaal sich mit immer mehr Menschen füllte und einige Bekannte zu ihnen traten, um sie zu begrüßen und ein paar inhaltlose Worte zu wechseln, wie dies gewöhnlich auf der Bahn geschieht, redete Maszko mit einer solchen Herablassung mit ihnen, daß Polaniecki wütend wurde.
»Sollte man denken,« sagte er sich, »daß er vor seinen Gläubigern durchbrennt! Was geschähe erst dann, wenn dieser Mensch zu Vermögen käme?«
Indessen ertönte das Signal, und durch die Fenster hörte man das Schnauben der Lokomotive. Alles geriet in Bewegung. »Ich bin begierig, was er jetzt thun wird,« dachte Polaniecki. Doch selbst in diesem Augenblick blieb Maszko unwahr. Möglich, daß sein Herz die schlimme Vorahnung bedrückte, daß er die geliebte Frau nicht mehr sehen werde, daß er dem Elend, einem Vagabundenleben und dem Untergang entgegen ging, man merkte davon nichts. Die Verstellung war ihm schon so zur zweiten Natur geworden, daß auch nicht eine Wimper an ihm zuckte, als er mit seiner Frau von seiner baldigen Rückkehr sprach.
Das zweite Signal ertönte. Alles begab sich auf den Perron. Maszko blieb nach einen Augenblick vor dem »sleeping« stehen. Das Licht der Laterne fiel auf sein Gesicht. Jetzt traten zwei tiefe Falten hervor, die sich um den Mund gebildet hatten. Er redete jedoch ganz ruhig, gleich einem Menschen, den Geschäfte zu einer kurzen Reise nötigen und der sicher ist, daß er bald zurückkehren wird.
»Na, auf Wiedersehen, Terenia. Küsse Mamas Hände in meinem Namen und bleibe mir gesund. Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!«
Bei diesen Worten führte er ihre Hand an seine Lippen und hielt sie lange an seinem Munde.
Polaniecki trat absichtlich ein wenig zur Seite und dachte: »Diese zwei sehen sich zum letztenmale, und in ungefähr einem halben Jahre werden sie gerichtlich geschieden.« Mit einem Male fiel es ihm plötzlich auf, daß diese beiden Frauen, Mutter wie Tochter, das gleiche Schicksal hatten. Beide verheirateten sich anscheinend glänzend, und beider Männer mußten vom häuslichen Herd flüchten, ihre Frauen in Schmach und Schande zurücklassend.
Jetzt läutete es zum dritten Male. Maszko stieg ein. Noch einen Augenblick konnte man durch die großen Scheiben des »sleeping« seinen Backenbart und seinen goldenen Zwicker sehen, dann verschwand der Zug in dem Dunkel der Nacht.
»Ich stehe zu Ihren Diensten, gnädige Frau,« sagte jetzt Polaniecki.
Er setzte zwar voraus, Frau Maszko werde seine Begleitung rundweg ablehnen, und er ärgerte sich sehr bei diesem Gedanken, denn er hatte beschlossen, ihr nicht nur von ihrem Manne, sondern auch von sich zu sprechen. Sie nickte jedoch als Zeichen der Zustimmung mit dem Kopf, denn auch sie verfolgte ihren Plan. In ihrem Herzen hatte sich seit langer Zeit so viel Groll gegen Polaniecki angesammelt, daß sie fest entschlossen war, ihm einen gehörigen Denkzettel zu geben, falls er, wie sie fest überzeugt war, ihr Zusammensein unter vier Augen wieder benützen sollte. Sie irrte sich jedoch vollständig. Er war ein andrer geworden, er sehnte sich unaussprechlich nach einem Leben frei von Betrug, und die Reue verzehrte in ihm jedes Verlangen. Als er ihr jetzt beim Einsteigen half, blieb er völlig ruhig, und nachdem er neben ihr Platz genommen hatte, sprach er sofort von Maszko, denn er war der Meinung, daß man sie aus Menschlichkeit auf die auf sie hereinbrechende Katastrophe vorbereiten müsse.
»Ich bewundere den Mut Ihres Herrn Gemahls,« sagte er. »Wenn nun während seines Aufenthaltes in Berlin eine Eisenbahnbrücke einstürzen sollte, so kann er nicht zu der Verhandlung hier sein, von der sein Schicksal abhängt. Er hat zwar aus wichtigen Gründen abreisen müssen, doch ist es jedenfalls ein Wagnis.«
»Die Brücken sind fest und stark,« erwiderte Frau Maszko.
Diese wenig aufmunternde Antwort schreckte ihn jedoch nicht ab, und er fuhr fort, stufenweise vor ihr den Schleier der Zukunft zu lüften, wobei er so lange redete, daß sie inzwischen an der Wohnung anlangten. Entweder die Bedeutung seiner Worte nicht verstehend, oder ärgerlich darüber, daß sie keine Gelegenheit gefunden hatte, ihm den geplanten Denkzettel zu erteilen, sagte sie jetzt, aus dem Wagen steigend:
»Verfolgen Sie denn einen persönlichen Zweck dabei, mich zu beunruhigen?«
»Nein, gnädige Frau,« erwiderte Polaniecki, der es jetzt an der Zeit hielt, ihr das zu sagen, was er ihr von sich sagen wollte. »Ihnen gegenüber verfolge ich nur einen Zweck, nämlich Ihnen zu erklären, daß ich mich gegen Sie unwürdig benommen habe, und daß ich Sie dafür um Verzeihung bitte.«
Die junge Frau eilte jedoch in den Hausflur, ohne ihm zu antworten.
Er kehrte trotzdem mit einer gewissen Erleichterung nach Hause zurück, denn er glaubte, durch diesen kleinen Akt der Buße seiner Pflicht genügt zu haben, und es war ihm zudem ganz gleich, ob Frau Maszko ihn verstanden hatte oder nicht. »Jedenfalls,« sagte er sich, »werde ich ihr jetzt unbefangener in die Augen schauen können!«