Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Vierzigstes Kapitel

Frau Polaniecki wurde rascher hergestellt, als sie selbst gedacht hatte. Schon nach acht Tagen konnte sie mit ihrem Manne zu Bigiels fahren, die in ihre Sommerwohnung übergesiedelt waren.

Zawilowski hatte sich auch eingestellt und einen riesigen Drachen mitgebracht, den er mit Polaniecki und mit den Kindern fliegen lassen wollte. Der junge Dichter fühlte sich schon viel heimischer unter den neuen Freunden; seine fast kindliche, heitere Natur gewann allgemach die Oberhand über seine Befangenheit.

Bei Tische erzählte ihm Marynia von den Osnowskis, von Fräulein Castelli und von dem Interesse, das er bei den Damen erweckt hatte. Er hörte alles ruhig an, dann sagte er:

»Gut, daß ich das weiß. Um nichts in der Welt mache ich dort Besuch.«

»Und wenn ich Sie recht darum bitte?«

Zawilowski errötete. Aber Marynia mit einem Blicke ansehend, der ihr zu verstehen gab, daß er sie viel zu sehr bewundere, um ihr etwas abschlagen zu können, erwiderte er:

»So gehe ich.«

»Jetzt muß ich Sie zu dem Besuche noch zwingen,« sagte Marynia lächelnd, »sobald Sie aber Lineta Castelli gesehen haben werden, verlieben Sie sich sterblich in sie!«

»Ich, gnädige Frau!« rief Zawilowski, die Hand auf die Brust legend, »ich, in Fräulein Castelli?«

In diesem Ausrufe lag so viel, daß nicht nur er, sondern auch Frau Polaniecki verlegen wurde.

Am Abend fuhr er mit den Polanieckis in die Stadt zurück. Marynia gedachte lebhaft jener mondhellen Nacht, in der sie mit ihrem Vater, mit Frau Emilie, Litka und Polaniecki den gleichen Weg zurückgelegt hatte und wie unglücklich damals ihr Stach über die Kälte gewesen war, mit der sie ihn behandelte. Und doch, welch ein Unterschied zwischen früher und jetzt! Ruhig saß ihr Stach jetzt neben ihr und rauchte eine Cigarre. Sie war die Seine geworden, und somit befand sich alles in schönster Ordnung.

»Worüber denkst Du nach, Stach?« fragte schließlich Marynia, das lange Schweigen brechend.

»Ueber verschiedene Geschäfte, die ich mit Bigiel besprach,« entgegnete Polaniecki, die Asche seiner Cigarre abstreifend.

Der junge Dichter schaute unverwandt Marynia an und dachte, wenn sie seine Frau wäre, würde er jetzt weder rauchen, noch über die Geschäfte nachdenken, über die er mit Bigiel gesprochen hatte, sondern auf die Knie vor ihr sinken und sie anbeten. Und wohl durch die Fahrt in der stillen Mondnacht, durch das holde Frauenantlitz, in das er blicken durfte, geriet er in immer größere Extase. Unwillkürlich fing er an, sein Gedicht: »Die Schneeberge« zu deklamieren, anfänglich nur leise, wie für sich selbst, allmählich aber lauter und lauter. Wie sie in die Stadt gekommen waren, Zawilowski wußte es nicht zu sagen. Als er sich von den Polanieckis verabschiedete, sagte Marynia: »Also übermorgen zum five o'clock tea

»Gewiß,« erwiderte er, ihr die Hand küssend.

Aber auch Marynia befand sich wie unter einem Banne. Seit ihrem Aufenthalt in Rom war sie gewohnt, gemeinschaftlich mit ihrem Manne das Abendgebet zu sprechen, und nach diesem Gebete bemächtigte sich ihrer plötzlich eine solche Rührung, daß sie auf ihren Stach zueilte, beide Arme um seinen Hals schlang und ihm ins Ohr flüsterte:

»Mein Geliebter, wir fühlen uns doch so glücklich miteinander, nicht wahr?«

Er zog sie an sich, erwiderte jedoch in nachlässigem Tone: »Klage ich denn?«

Niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, daß sich hinter dieser Frage eine leise Wehmut, ein Zweifel verbarg, den sie nicht aufkommen lassen wollte, gleichzeitig aber auch die Hoffnung, seine Antwort werde ihr Beruhigung gewähren.

Am andern Morgen gab Zawilowski im Bureau seinem Chef einen Ausschnitt aus irgend einer Zeitung mit dem Gedichte »Die Schneeberge«. Polaniecki las es beim Mittagessen seiner Frau vor, doch bei dem Lärm der Gabeln und Messer erschien es ihm weniger schön als in der Stille der Mondnacht.

»Zawilowski läßt Dir sagen,« fügte er hinzu, »daß demnächst ein Band seiner Gedichte erscheinen werde, trotzdem wolle er aber alles sammeln, was bisher in den verschiedenen Blättern abgedruckt worden ist, um es Dir zu bringen.«

»Weshalb denn?« warf Marynia ein, »er soll dies für Lineta aufbewahren.«

»Ah, richtig! Morgen sollen ja die beiden zum erstenmal zusammenkommen. Wollt Ihr denn unbedingt in Zawilowskis Leben die Vorsehung spielen?«

»Warum denn nicht? Anetas Plan überraschte mich freilich anfänglich, jetzt aber finde ich ihn sehr vernünftig.«

Die Zusammenkunft fand auch wirklich am andern Tage statt. Herr und Frau Osnowski, Frau Bronicz und Fräulein Castelli fuhren pünktlich um fünf Uhr vor. Zawilowski jedoch hatte sich noch früher eingestellt, um ja nicht den Salon angesichts der ganzen Gesellschaft betreten zu müssen. Aber auch jetzt benahm er sich noch schüchtern und ungeschickt genug und wußte nie recht, was er mit seinen langen Beinen anfangen sollte. Allein trotz seiner Ungeschicktheit machte er einen distinguierten Eindruck. Die ersten Scenen in der Komödie des gesellschaftlichen Lebens spielten sich nun ab. Die Damen beobachteten fortwährend den jungen Dichter gaben sich indessen den Anschein, als ob ihnen nichts ferner liege, und er merkte dies sehr wohl, that aber, als ob er es nicht sehe. Im Grunde genommen lag ihm sehr viel daran, günstig beurteilt zu werden, er suchte daher auch sein linkisches Wesen durch eine gekünstelte Unbefangenheit zu verdecken. Wie sehr die Damen von vornherein für ihn eingenommen waren, wußte er freilich nicht; er hätte sich daher auch noch so dumm und fade zeigen dürfen, sie würden es als Klugheit und Originalität ausgelegt haben. Am gleichgültigsten verhielt sich eigentlich Lineta, die sich nicht recht darein zu finden wußte, daß nicht sie, sondern Zawilowski die Sonne war, um die sich alles drehte. Ihrem Dafürhalten nach sah er ja recht interessant aus, aber was wollte das heißen im Vergleiche mit Kopowski, dessen wunderbare Gesichtszüge sie mit einem Male so lebendig vor sich sah, daß ihr Gesichtsausdruck mehr als je an eine Sphinx erinnerte. Sie fragte sich übrigens auch, weshalb wohl Zawilowski weder ihrer junonischen Gestalt, noch dem geheimnisvollen und poetischen Etwas in ihrem Aussehen und in ihrem Wesen, das nach der Behauptung von Frau Bronicz jeden vom ersten Augenblicke fesseln mußte, besondere Aufmerksamkeit schenkte. Allgemach unterwarf sie ihn daher einer immer eingehenderen Prüfung, und da sie trotz ihres poetischen Wesens einen sehr entwickelten, weltlichen Beobachtungssinn besaß, so fiel ihr nicht nur sofort die schlechte Machart seines Rockes auf, den er wohl beim ersten besten Schneider hatte anfertigen lassen, sondern auch seine Krawattennadel, die einfach »mauvais genre« war. Er hingegen, von Zeit zu Zeit einen Blick auf Marynia werfend, als auf die einzige ihm näherstehende und befreundete Seele, unterhielt sich mit Frau Osnowski. Da diese es nicht für taktvoll hielt, gleich beim ersten Male mit ihm von seinen Dichtungen zu sprechen, und von ihm hörte, daß er seine Kinderjahre auf dem Lande verbracht hatte, schwatzte sie ihm den Kopf voll von ihrer Neigung, auf dem Lande zu leben, der sie aber nicht Rechnung tragen könne, weil ihr Mann unbedingt die Stadt mit ihren Bequemlichkeiten und den Freunden vorziehe. »Ich gestehe ja offen,« sagte sie, »daß ich die Geschäfte, die eine Oekonomie, die Wirtschaft und die Rechnungsaufstellung mit sich bringen, nicht ausstehen kann, denn ich bin eine rechte Faulenzerin; ich bin eigentlich nur für eine Arbeit eingenommen, bei der man faulenzen kann. Ja, was würde ich gern thun?«

Mit einem unendlich komischen Gesichtsausdruck streckte sie ihre schlanken Fingerchen auseinander, um daran die Beschäftigungen aufzuzählen, die ihr gefallen würden, und erklärte dann mit großem Ernste: »Erstens möchte ich die Gänse hüten.«

Zawilowski brach in lautes Lachen aus, und da Frau Osnowski merkte, daß sie ihm gefiel, geriet sie immer mehr in den Ton eines mutwilligen jungen Mädchens, das über alles spricht, was ihm gerade in den Sinn kommt.

Da in diesem Augenblick die Bigiels eintraten, mußte das Gespräch abgebrochen werden, und Zawilowski wurde dann von Frau Bronicz vollständig mit Beschlag belegt, ja, sie rückte mit ihrem Stuhle so dicht zu ihm heran, daß er sich nicht rühren konnte. Natürlich sprach sie von nichts anderem als von Fräulein Castelli und wurde nicht müde, deren Vorzüge zu preisen.

»Sie war das merkwürdigste Kind, das ich noch jemals gesehen habe,« erzählte sie, »immer ungewöhnlich, niemals alltäglich. In ihrem zehnten Jahre ist sie schwer krank gewesen, und da ihr der Arzt eine kräftige Seeluft verordnete, lebten wir längere Zeit auf Stromboli. Der Aufenthalt auf der Insel gehört zu dem Primitivsten, das man sich denken kann, allein das Kind wollte nicht fort, mit Händen und Füßen wehrte es sich gegen die Abreise, als ob es ahnte, daß es hier gesunden werde. Und wirklich nach vier Wochen, nein, nach zwei Monaten hatte es seine Gesundheit wieder erlangt. Sehen Sie aber jetzt einmal meine Nichte an. Glaubt man, daß sie jemals krank gewesen sei? Wie eine Tanne ist sie gewachsen.«

Als bei dem Auseinandergehen der Gäste Zawilowski endlich aus seiner Gefangenschaft befreit wurde, suchte er mit Fräulein Castelli eine Unterhaltung anzuknüpfen, indem er sagte: »Ich habe noch niemals einen Vulkan gesehen und habe daher keinen Begriff, welchen Eindruck ein solcher macht.«

»Und ich kenne nur den Vesuv,« erwiderte sie; »ein Ausbruch hat aber während unseres Aufenthaltes in Neapel nicht stattgefunden.«

»Was ist aber mit Stromboli?«

»Stromboli kenne ich nicht.«

»Dann habe ich wahrscheinlich falsch gehört, denn Ihre Tante . . .«

»Ach ja,« verbesserte sich Fräulein Castelli verlegen, »ich erinnere mich nur nicht; ich bin damals noch zu klein gewesen.«

Frau Osnowski, die bis zuletzt ihre Rolle als Naive glänzend durchführte, lud vor dem Wegfahren Zawilowski zu sich ein »auf irgend einen Abend ohne Umstände und ohne Frack«. Dabei erklärte sie, wie gut sie es verstehe, daß solche Menschen wie er nicht gern neue Bekanntschaften machten, sie bitte ihn daher, sie als alte Freunde zu betrachten.

»Wir sind so viel allein,« schloß sie; »Linetchen liest gewöhnlich etwas vor oder spricht über hundert Dinge, die ihr in den Sinn kommen. Und was kommt ihr nicht alles in den Sinn! Glauben Sie mir, es ist der Mühe wert, sie zu hören, besonders aber für jemand, der so ganz imstande ist, alles zu empfinden und zu verstehen.«

Wie zur Bestätigung, daß sie sich verstehen wollten, drückte ihm Fräulein Castelli beim Abschied mit ungewöhnlicher Wärme die Hand, er jedoch, wenig an den Verkehr mit Menschen gewohnt, fühlte sich berauscht von der Unterhaltung, von dem Knistern der seidenen Gewänder und von dem Irisdufte, den die Damen um sich verbreiteten. Da die Bigiels sich zu Tische geladen hatten, forderte Polaniecki auch den jungen Dichter zum Bleiben auf, und kaum hatte man sich gesetzt, so fragte Marynia ihn: »Nun, wie gefiel Ihnen Fräulein Castelli?«

»Ich finde, daß jene Damen viel Phantasie besitzen,« entgegnete dieser nach kurzem Nachdenken, »und daß sie eine unendliche Leichtigkeit im Verkehr haben.«

»Das ist ganz richtig, allein besonders interessant ist doch Fräulein Lineta.«

»Nein, was Ihr aber in alle Menschen hineinseht,« ergriff Polaniecki das Wort: »Fräulein Castelli ist nur so lange interessant, bis sie langweilig wird.«

»Da irrst Du. Lineta wird nie langweilig werden,« warf Marynia ein. »Nur solche alltägliche, einfache Wesen, die nicht anders als lieben können, werden mit der Zeit langweilig.«

Zawilowski blickte sie erstaunt an; ihm war, als ob ein versteckter Kummer aus ihren Worten spräche. »Sind Sie müde?« fragte er.

»Ein wenig,« antwortete sie, schon wieder lächelnd.

Sein junges, empfindsames Herz war von Mitleid für sie erfüllt. Irgend ein geheimer Schmerz nagte an ihr, darüber zweifelte er keinen Augenblick. Was war ihm Frau Osnowski, was war ihm Fräulein Castelli im Vergleich mit dieser süßen, reizenden Frau? Mit einer Lilie hatte er sie von Anfang an verglichen, und von einer Lilie träumte er in der Nacht.

»Nun, haben Sie heute nacht schlafen können?« neckte ihn Polaniecki des andern Tages, als er ihn im Bureau traf. »Sie haben doch sicherlich von jener wundersamen Maid geträumt.«

»Nein,« entgegnete Zawilowski, tief errötend.

»Na, trösten Sie sich,« meinte Polaniecki lachend, »jeder muß das einmal durchmachen. Ich habe es auch durchgemacht.«


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