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Für Marynia waren diese Worte ein großer Trost, denn sie sagte sich, ihr Gatte könne unmöglich so sprechen, wenn er fähig wäre, sie zu täuschen. Es ängstigte sie jetzt nicht mehr, daß die Villa Frau Kraslawskis sich in der Nähe der Bigielschen Sommerwohnung befand, wo sie mit Stach den Sommer verbringen wollte, wiewohl Frau Maszko schon bei ihrer Mutter wohnte und anzunehmen war, daß sie ein häufiger Gast bei ihnen sein werde. Nach Krzemien ließ sie Maszko nicht, weil er sich nicht von ihr trennen mochte, und von Warschau aus sie hier täglich besuchen konnte. Ihre Nähe war ihm nötig, zumal jetzt eine schwere Zeit für ihn kam. Zwar war der Erbschaftsprozeß noch nicht verloren, doch er hatte keine günstige Wendung genommen – und schon das war für Maszko fast wie eine Niederlage. Er bekam immer weniger Kredit, seine Gläubiger verloren das Vertrauen, obgleich sie bisher pünktlich bezahlt worden waren. Abermals machte er fieberhafte Anstrengungen, Geld aufzubringen, um eine Schuld durch die andere zu tilgen und die Meinung aufrecht zu erhalten, daß er zahlungsfähig sei.
Ein glücklicher Ausgang des Prozesses konnte alles ändern, doch darauf mußte er warten, und vierzehn Tage nach dem Umzug des Polanieckischen Ehepaares, als Maszko sie mit seiner Frau besuchte, war er genötigt, den Freund um die Unterschrift eines Wechsels von einigen tausend Rubel zu bitten. »Wenn es sich nicht um ein vorteilhaftes Geschäft für beide Teile handelt, gebe ich meine Unterschrift prinzipiell nicht,« erklärte dieser. »Dagegen stehe ich immer mit barem Geld zu Diensten, falls ein Freund oder Bekannter sich in Verlegenheit befindet, doch ziehe ich vor, zuzuwarten, um ihm später unter die Arme greifen zu können.«
»Das heißt,« meinte Maszko trocken, »daß Du mir eine Unterstützung geben willst, sobald ich bankerott bin.«
»Durchaus nicht, das heißt vielmehr: Wenn die Katastrophe eintritt, kannst Du bei mir ein Anleihen machen, um etwas Neues damit anzufangen. Jetzt aber wäre das Geld ein Tropfen im Meer, es brächte Dir keinen Nutzen, mir nur Schaden.«
Maszko war nicht wenig beleidigt.
»Du stellst Dir meine Lage schlimmer vor, als sie wirklich ist,« sagte er. »Ich befinde mich in einer momentanen Geldverlegenheit, das ist alles. Am besten ist's daher, wir sprechen nicht mehr über diese Angelegenheit.« Sie kehrten zu den Damen zurück. Maszko war ärgerlich darüber, daß er sich zu einer Bitte herabgelassen, Polaniecki, daß er diese Bitte abgeschlagen hatte.
Da Marynia bemerkt hatte, daß die beiden Freunde sich kälter lebewohl sagten als sonst, fragte sie ihn nach der Ursache.
Unzufrieden mit sich, fühlte Polaniecki selbst das Verlangen, sich auszusprechen, und sagte: »Maszko bat mich um ein Darlehn, ich schlug es ihm ab, gestehe Dir indessen offen, daß es mir jetzt unangenehm ist, denn ein kleines Mißgeschick kann ihn zu Falle bringen.«
»Wäre das Geld wirklich verloren?« fragte Marynia mitleidsvoll.
»Vielleicht! Vielleicht auch nicht!« erwiderte Polaniecki. Dann fuhr er beinahe mit einer gewissen Selbstgefälligkeit fort: »Ich handle stets nach bestimmten Grundsätzen, Bigiel hat ein weit besseres Herz als ich.«
»Sprich nicht so! Du bist ja so gut. Daß es Dir jetzt leid thut, ist ja der beste Beweis dafür.«
»Nun, der Gedanke, daß ein Mensch, den ich schon seit Jahren kenne, sich einiger tausend Rubel halber in solcher Not befindet, ist mir natürlich nicht gleichgültig. Maszko hat morgen eine bestimmte Summe zu bezahlen und wird nun nicht zahlungsfähig sein, dies mag verhängnisvoll für ihn werden.« Marynia schaute ihren Gatten forschend an.
»Käme es Dir wirklich schwer an?«
»Ganz und gar nicht! Ich habe genug Geld bei mir, weil ich beabsichtige, gleich das Handgeld zu zahlen, falls ich ein passendes Grundstück finde . . . Ach,« sagte er dann plötzlich lachend, »Du protegierst also Deinen frühern Anbeter. Das giebt mir zu denken. Uebrigens, Du magst entscheiden: Eins, zwei, drei: Soll ich ihm das Geld geben?«
»Gewiß!« entgegnete Marynia gleichfalls lachend, indem sie ihren Gatten mit einem Blicke ansah, in dem sich unaussprechliche Liebe ausdrückte. »Du wirst indessen gleich zu ihm gehen müssen!«
»Natürlich, denn Maszko fährt morgen um acht Uhr in die Stadt.«
»Lasse den Wagen Bigiels anspannen.«
»Das ist unnötig – der Mond scheint ja so hell, und es ist nicht weit. Ich gehe zu Fuß.«
Unterwegs dachte er: »Marynia ist doch seelengut. Ich hätte kein Herz, wenn ich ihr die Treue nicht bewahrte. Gott gab mir eine Frau, wie es wenige in der Welt giebt.«
In kurzer Zeit hatte er den Vorgarten der Villa erreicht, und als er durch diesen schritt, gewahrte er durch das Fenster eines zur ebenen Erde gelegenen, hell erleuchteten Zimmers den Rechtsanwalt mit seiner Frau, auf einem niedrigen Sofa sitzend, vor dem ein Tisch mit einer Lampe stand. Maszko hielt seine Gattin umschlungen und führte gerade ihre Hand an seine Lippen, wie wenn er für etwas zu danken habe.
Polaniecki eilte zur Thüre und zog hastig die Glocke. Durch den Diener, der ihm öffnete, ließ er sich melden.
Maszko eilte ihm nicht wenig verwundert entgegen.
»Entschuldige, daß ich so spät komme,« sagte Polaniecki, »aber meine Frau schalt mich, weil ich Deinen Wunsch nicht erfüllte, und da ich weiß, daß Du morgen früh in die Stadt fährst, komme ich jetzt, um die Sache zu erledigen.«
Auf Maszkos Gesicht malte sich plötzlich große Freude.
»Bitte, trete ein,« sagte er. »Meine Frau hat sich noch nicht zur Ruhe begeben.«
Mit diesen Worten führte er Polaniecki in das Zimmer, in das dieser schon durch die Scheiben geblickt hatte, und worin Frau Maszko noch auf dem Sofa, mit einem Buche in der Hand saß, das sie offenbar schnell vom Tische genommen. Polaniecki wurde es schwer, ihr gegenüber seine Selbstbeherrschung zu bewahren und in seiner Verwirrung drückte er die Hand Frau Maszkos dermaßen, daß diese eine schmerzliche Grimasse schnitt.
Indessen sagte Maszko: »Wir haben nun beide unsern Verweis. Du bekamst einen, weil Du mein Anliegen nicht erfülltest, ich bekam einen, weil ich Dich darum bat. Du hast eine gute Frau, aber die meinige ist auch gut. Deine nahm mich in Schutz, und meine Dich. Ich bekannte ihr offen, daß ich mich augenblicklich in Verlegenheit befinde, und sie schalt mich, daß ich es nicht früher gesagt, und behauptete, Du habest recht, ein Gläubiger könne eine gewisse Garantie verlangen, und sie sei bereit, ihre Lebensrente und überhaupt alles, was ihr gehöre, als Unterpfand herzugeben. Gerade als Du kamst, dankte ich ihr für ihre Güte.«
Polaniecki blickte Frau Maszko überrascht an, dann sagte er: »Ich bin zwar in Geschäften sehr exakt, gnädige Frau, allein wie können Sie annehmen, daß ich ein Unterpfand verlange? Es war eine gewisse Trägheit, die mich veranlaßte, die Bitte Ihres Gatten zurückzuweisen – und ich schäme mich jetzt sehr. – Uebrigens handelt es sich ja nur um eine Kleinigkeit, und daß Geschäftsleute sich in momentaner Verlegenheit befinden, kommt häufig vor. Oft muß man Geld leihen, weil man das eigene nicht flüssig machen kann.«
»So ging es mir,« erklärte Maszko, augenscheinlich sehr befriedigt über die Art, wie Polaniecki die Sache darstellte.
»Mama besorgte immer unsere Geschäftsangelegenheiten, daher bin ich sehr unerfahren darin,« bemerkte Frau Maszko. »Jedenfalls danke ich Ihnen herzlich.«
Polaniecki fing an zu lachen. »Was würde mir übrigens Ihre Bürgschaft nützen?« sagte er. »Nehmen wir an, Sie wären bankerott – es ist so undenkbar, daß man ruhig davon sprechen kann – setzen Sie wirklich voraus, gnädige Frau, daß ich Beschlag auf Ihr Einkommen legen würde?«
»Nein!« antwortete Frau Maszko.
Polaniecki führte ihre Hand an seine Lippen, und obgleich es aussah, als ob er einem Gebot der Höflichkeit gehorche, brannte sein Mund doch so heiß, drückte sich eine solche Leidenschaft in seinem Blicke aus, daß keine Erklärung ihr mehr zu sagen vermocht hätte.
Zwar that sie, als ob sie ihn nicht verstehe, allein sie wußte ganz gut, daß Polaniecki sich von ihrer Schönheit angezogen fühlte, daß sie in diesem Augenblicke über Marynia triumphierte, auf deren Liebreiz sie schon als Mädchen eifersüchtig gewesen war, und sie empfand keine kleine Befriedigung darüber.
»Mama sprach schon oft von Ihnen,« begann sie plötzlich, »und behauptete stets, Sie seien ein Mensch, dem man Vertrauen schenken müsse.«
»Ich hoffe, auch Sie denken nicht anders von mir,« versetzte Polaniecki, ihr unverwandt in die Augen schauend.
»Euer Vertrauen muß gegenseitig sein,« bemerkte Maszko in scherzhaftem Tone. »Ich gehe jetzt, um alles Nötige zu ordnen, dann können wir die Sache gleich erledigen.«
Polaniecki und Frau Maszko blieben allein. Auf ihren Gesichtern malte sich eine gewisse Verlegenheit, und um sie zu verbergen, machte sie sich an der Lampe zu schaffen, während er sich ihr wieder näherte und sagte: »Ich würde mich glücklich schätzen, wenn auch Sie gut von mir dächten. Ich bin Ihnen sehr ergeben – sehr! – Ihrer Freundschaft wenigstens möchte ich sicher sein – darf ich darauf rechnen?«
»Ja!«
»Danke!«
Er streckte die Hand aus, und Frau Maszko wagte nicht, ihm die ihre zu entziehen. Zum zweitenmal drückte er sie leidenschaftlich an die Lippen. Es ward ihm dunkel vor den Augen, und er fühlte seine Widerstandskraft erlahmen. Da vernahm er Schritte im anstoßenden Zimmer, und Frau Maszko sagte hastig: »Mein Gatte kehrt zurück.«
Im nämlichen Augenblicke öffnete Maszko die Thüre und ersuchte Polaniecki, mit ihm zu kommen.
Sich an seine Frau wendend, setzte er hinzu:
»Lasse indessen den Thee bringen, die Sache wird bald erledigt sein.«
Nachdem Polaniecki den Check ausgefüllt hatte, bot Maszko ihm eine Cigarre an und ersuchte ihn, noch ein wenig zu bleiben.
»Ja, ich habe schwere Sorgen,« sagte er, »doch ich werde mich herausarbeiten. Es handelt sich jetzt nur darum, daß ich mir wieder Kredit schaffe.«
Polaniecki, der innerlich tief erregt war, hörte ihm nur zerstreut zu und kaute ungeduldig an seiner Cigarre.
»Hast Du auch schon überlegt, was Du thun wirst, falls Du den Prozeß verlierst?« fragte er.
»Ich verliere ihn nicht,« entgegnete Maszko.
»Alles kann vorkommen – Du selbst weißt dies am besten.«
Maszko stützte den Kopf in die Hand und finster zu Boden blickend sagte er:
»In dem Falle würde ich Warschau verlassen, oder mir eine Kugel durch den Kopf jagen. Sage einmal, kennst Du den alten Zawilowski gut?«
»Ja, seit kurzem. Ich lernte ihn durch den jungen kennen.«
»Du gefällst ihm sehr, denn Leute, die einen adeligen Namen tragen und sich ein Vermögen erworben haben, bewundert er ungemein. Bisher hat er all seine Angelegenheiten selbst besorgt, aber er wird alt, und das Podagra quält ihn. Ich habe ihm nun manche neue Idee gegeben, und wenn er sich nach mir erkundigt, könntest Du mich empfehlen. Als sein Bevollmächtigter hätte ich ein gewisses Einkommen, und würde es laut, daß der vielfache Millionär mich dazu ernannte, so könnte mir dies nur zum Vorteil gereichen. Ist es wahr, daß er zu gunsten seines Neffen ein Majorat aus den in Posen gelegenen Gütern machen will?«
»Frau Bronicz behauptet es.«
»Gerade dies wäre ein Beweis, daß es nicht wahr ist – allein alles in der Welt ist möglich. Sicherlich bekommt der junge Mann mit seiner Frau eine Mitgift, hat jedoch keinen Begriff davon, was unter solchen Umständen zu thun ist. Auch ihm könnte ich also mit Rat und That beistehen.«
»Das muß ich in seinem Namen definitiv ablehnen, denn seine Geschäfte besorgen wir, das heißt ich und Bigiel . . . Du weißt, ich mische mich nicht gern in fremde Angelegenheiten, doch muß ich Dir offen bekennen, daß es mir schrecklich wäre, nur von Schulden zu leben!«
»Frage die größten Millionäre der Welt, ob sie nicht auf ähnliche Grundlagen aufgebaut haben und so zu Vermögen gekommen sind.«
»Frage alle Bankrotteure, ob sie nicht aus der nämlichen Ursache zu Grunde gegangen sind.«
»Was mich betrifft, so wird die Zukunft entscheiden.«
»Gewiß,« entgegnete Polaniecki, sich erhebend.
Nachdem Maszko ihm nochmals gedankt hatte, verfügten sich beide wieder zu dessen Gattin.
»Nun, ist die Sache erledigt?« fragte sie Polaniecki, den ihr Anblick wieder sehr erregte und der erwiderte:
»Zwischen Ihrem Mann und mir, ja, zwischen uns beiden aber noch nicht.«
Erschreckt über seine Kühnheit, geriet Frau Maszko einigermaßen in Verlegenheit, während Maszko fragte:
»Wieso denn?«
»Die gnädige Frau setzte voraus, daß ich ein Unterpfand, eine Bürgschaft von ihr verlange – und das kann ich ihr jetzt noch nicht verzeihen.«
Voll Bewunderung schaute ihn Frau Maszko an. Ihr imponierte die Art, wie er sich bei aller Wahrung der gesellschaftlichen Form zu äußern wagte. Ueberdies erschien ihr in diesem Augenblick auch sein Aeußeres sehr anziehend.
»Ich bitte um Vergebung,« sagte sie.
»Die wird nicht so leicht gewährt. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie rachsüchtig ich sein kann.«
Er nahm neben ihr Platz und führte die Theetasse an den Mund. Seine Aufregung wuchs mehr und mehr. Er gedachte ihrer Worte: »Mein Gatte kehrt zurück,« und ihn dünkte, so könne nur eine Frau sprechen, die auf alles vorbereitet sei. Mittlerweile aber mußte er über Dinge reden, die gar nicht seiner Stimmung entsprachen, denn Maszko fragte nach Zawilowski und dessen Absichten hinsichtlich seiner häuslichen Einrichtung.
Bevor sich Polaniecki verabschiedete, sagte er zu Maszko:
»Auf dem Weg hierher war es doch recht einsam, und ich habe keinen Stock bei mir, bitte, leihe mir den Deinen.«
Seine List glückte, Maszko entfernte sich, und als er sich mit dessen Frau allein sah, trat er hastig zu ihr heran und sagte leise:
»Sie wissen, was in mir vorgeht?« Seine Aufregung, seine leidenschaftlichen Blicke waren ihr nicht entgangen. Angst und Unruhe überkamen sie, doch er dachte: »Mag geschehen, was da will,« und flüsterte ihr zu: »Ich liebe Sie.«
Mit niedergeschlagenen Augen stand sie vor ihm, während diese Worte, welche auch bei ihr Falschheit und Treulosigkeit voraussetzten, an ihr Ohr klangen. Nur den Kopf wandte sie ein wenig zur Seite, als ob sie seinen Blicken entweichen wollte.
Polaniecki atmete schwer, und plötzlich vernahmen sie wieder Maszkos Schritte im anstoßenden Zimmer.
»Auf morgen also,« flüsterte Polaniecki ihr zu.
In diesen Worten lag beinahe etwas wie ein Befehl. Frau Maszko stand noch immer unbeweglich mit niedergeschlagenen Augen da, während ihr Gatte sagte:
»Hier ist der Stock. – Ich fahre morgen früh in die Stadt und komme erst abends zurück. Wenn schönes Wetter ist, habt Ihr vielleicht die Güte, meine Frau zu besuchen.«
»Gute Nacht!« war alles, was Polaniecki noch hervorbringen konnte. Und bald befand er sich auf der vom Mond erhellten Landstraße. Ihn dünkte, er komme aus einem Flammenmeere, die Stille der Nacht berührte ihn eigentümlich. Die erste Empfindung, deren er sich klar bewußt ward, war die, daß der innere Kampf nun zu Ende, daß er die Brücken hinter sich verbrannt hatte. Zwar flüsterte ihm eine innere Stimme zu, er benehme sich wie ein Schuft, er, der zu denen gehörte, die stets die größte Sittenstrenge im gesellschaftlichen Verkehr gefordert und die Ansicht gehegt hatten, daß nur auf solcher Grundlage sich ein gesundes Leben entwickeln könne. Wie war er früher über die Verderbtheit, die Zügellosigkeit der Finanzwelt, der Aristokratie empört gewesen! Schonungslos war er über sie hergefallen. Und war er denn besser als andre? Bisher hatte er sich auf seinen festen Charakter etwas zu gute gethan und heute mußte er einsehen, wie wenig Grund er dazu hatte. Als er vor der Villa anlangte, waren die Fenster Marynias noch erleuchtet. Polaniecki würde viel darum gegeben haben, wenn er sie schlafend angetroffen hätte, einen Moment dachte er sogar daran, weiter zu gehen und zurückzukehren, sobald das Licht erloschen sei. Doch plötzlich erblickte er ihre Gestalt hinter den Scheiben. Sie schien auf ihn gewartet zu haben, und da es hell vor dem Hause war, hatte sie ihn offenbar auch gesehen. So trat er denn ein.
»Weshalb hast Du Dich nicht zur Ruhe begeben?« fragte er.
»Ich wartete auf Dich,« erwiderte sie, sich ihm lächelnd nähernd. »Jetzt bist Du doch froh, daß Du Maszko geholfen hast?«
»Ja,« erwiderte Polaniecki.
»Weiß seine Frau, wie es um ihn steht?«
»Ja und nein. Ganz klar wird sie wohl nicht darüber sein, doch es ist schon spät, gehen wir schlafen!«
»Gute Nacht. Weißt Du, worüber ich hier in meiner Einsamkeit unablässig nachdachte? Ueber Deine große Herzensgüte!«
Sie näherte ihr Gesicht dem seinigen und schlang ihre Arme um seinen Hals. Während er ihren Kuß erwiderte, empfand er so recht dessen Reinheit und ward sich der eigenen Niedrigkeit von neuem bewußt. Er konnte keinen Schlaf finden. Er war allen seinen Prinzipien, seinem Glauben, daß die Familie die Grundlage des socialen Lebens sei, untreu geworden. Solche Grundsätze durfte er nicht mehr laut werden lassen, wenn er auch nur im Entferntesten solche Gedanken hegte, wie sie ihn seit einiger Zeit beschäftigten. Dies ließ sich nicht vereinigen. Was Marynia anbelangte, so hatte er sie ja schon verraten. Nur ein Ausweg blieb ihm übrig, Frau Maszko nicht mehr zu sehen, dies war aber unmöglich, nicht nur weil sie so viele gemeinschaftliche Freunde hatten, sondern auch weil Marynia dann Argwohn geschöpft hätte. Daß ihr Verdacht schon rege war, und sie es nur nicht merken ließ, ahnte Polaniecki freilich nicht. Das Blut strömte ihm in die Wangen bei dem Gedanken, daß er Frau Maszko seine Liebe erklärt hatte, daß er das beste, redlichste Geschöpf getäuscht und verraten hatte. Es begann zu tagen. Durch die Ritzen der Fensterläden drang ein Schimmer der Morgensonne und füllte das Zimmer mit fahlem Schein, sodaß Polaniecki seiner Gattin dunkles, in die Kissen gedrücktes Köpfchen sehen konnte. Und sein Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, daß hier sein einziges, höchstes Gut sei, daß hier seine geliebte Gefährtin, seine beste Freundin, seine Gattin, die zukünftige Mutter seines Kindes schlummere. »Ihre Güte wird mir helfen,« sagte er sich, und dieser Gedanke gewährte ihm eine gewisse Beruhigung. Er erwachte erst spät und fühlte sich müde und matt. Hauptsächlich beschäftigte ihn nun die Frage, ob Frau Maszko ihrem Manne Geständnisse gemacht habe oder nicht. »Welch unangenehme Lage,« sagte er sich. »Zwar kann man Maszko viel vorwerfen, aber eine derartige Beleidigung wird er schwerlich einstecken. Er wird Rechenschaft fordern, es kann zu einem Skandal, einem Duell kommen. Was für eine fatale Geschichte, wenn Marynia davon erführe!« Zorn und Aerger über die ganze Welt erfüllten ihn. Bisher hatte er sich um niemand kümmern, niemand Rechenschaft über sein Thun und Lassen ablegen müssen, jetzt stellte er sich unaufhörlich die Frage: »Hat Frau Maszko es gesagt oder hat sie es nicht gesagt?« Und vom Morgen bis zum Abend konnte er an nichts anderes denken. Schließlich dachte er: »Was zum Teufel! Fürchte ich mich denn vor Maszko?« Freilich fürchtete er sich nicht vor Maszko, sondern vor Marynia, und dies war etwas ganz Neues für ihn. Und je mehr der Tag vorrückte, desto mehr wuchs seine Unruhe, so daß er schließlich unter dem Vorgeben, den Stock zurückschicken zu müssen, zu Frau Maszko sandte und sich nach ihrem Befinden erkundigen ließ. Als Polaniecki den Diener nach einer halben Stunde zurückkommen sah, ging er ihm entgegen und erfuhr, daß Frau Maszko ihm einen Brief an Marynia mitgegeben habe. Während sie las und er ihr Gesicht beobachtete, klopfte sein Herz beinahe hörbar. Aber Marynia schaute ihn ruhig an und sagte: »Frau Maszko lädt uns sowie Bigiels zum Vesperbrot ein!«
»Ah!« rief Polaniecki aufatmend. Bei sich dachte er: »Sie hat es nicht gesagt.«
»Wir nehmen an, nicht wahr?« fragte Marynia.
»Wie Du willst . . . das heißt – Du kannst mit Bigiels gehen, ich muß in die Stadt; denn ich möchte Swirski sprechen. Vielleicht bringe ich ihn dann mit zu uns.«
»Soll ich absagen?«
»Nein, nein, gehe mit Bigiels. Vielleicht werde ich bei Frau Maszko vorsprechen und mich entschuldigen . . . Vielleicht auch nicht. Du kannst mein Wegbleiben erklären.« Bei diesen Worten verließ er das Zimmer, um mit seinen Gedanken allein zu sein.
»Sie hat es nicht gesagt!« Polaniecki fühlte sich außerordentlich erleichtert. Also hatte sie es ihrem Manne nicht gesagt; sie war nicht beleidigt und lud sie sogar ein. Ihre Einladung sollte ihn offenbar nur beruhigen, ihm die Antwort auf sein »Auf morgen« bringen. Von ihm allein hing also jetzt alles ab. Es gab keine Hindernisse mehr, wenn sie nicht in ihm selbst lagen. Ein Triumphgefühl überkam ihn, und während er an Frau Maszko dachte, that er ihr innerlich beinahe Abbitte, daß er nur einen Augenblick gezweifelt und sie auch nur während fünf Minuten für eine anständige Frau angesehen hatte. Jetzt wußte er wenigstens, was er von ihr denken sollte, und dafür war er ihr dankbar. Er lachte nun über seine früheren Befürchtungen. Die Willfährigkeit, mit der sie ihm entgegenkam, schmälerte in seinen Augen den Wert des Besitzes. Nun, da der Weg ihm geebnet war, bemerkte er mit Staunen, daß sein Widerstreben, denselben zu betreten, immer größer ward. Wieder gedachte er Marynias Liebe und Güte, wiederholte er sich, daß er nur bei ihr Glück und Friede finden könne.
Nachmittags ließ er anspannen, um in die Stadt zu fahren. Seine Mattigkeit war vorüber, er hatte seine gute Laune wiedergewonnen, weil er, zufrieden mit sich selbst, seiner eigenen Kraft und seinem Pflichtgefühl vertraute. Seit dem Moment, da der Brief mit der Einladung an Marynia gekommen war, hatte seine Verachtung gegen Frau Maszko immer mehr zugenommen, und er sagte sich jetzt, daß er unbefangen bei ihr vorsprechen könne.
»Wie wenn ich wirklich zu ihr fahren würde? Könnte ich meinen gestrigen Worten nicht eine andere Bedeutung unterlegen?« fragte er sich. Daß sie sich über seine Ankunft nicht wundern würde, davon war er überzeugt; denn nach dem, was er ihr gestern gesagt hatte, durfte sie ja annehmen, daß er irgend einen Vorwand suchen werde, um sie unter vier Augen zu sprechen.
Von weitem tauchte schon die Villa der Frau Kraslawski auf. Nun kam ihm auch der Gedanke, Frau Maszko könne, wenn er sie reize oder beleidige, aus Rache seiner Gattin etwas sagen, was dieser die Augen öffnen müsse.
»Wenn ich nur den Mut hätte, einzutreten,« dachte Polaniecki, während der Wagen am Thore der Villa vorüberfuhr.
»Halt!« rief er im nächsten Augenblick dem Kutscher zu.
Er hatte Frau Maszko auf dem Balkon erblickt, doch hatte sie sich rasch ins Zimmer zurückgezogen. An der Eingangsthüre traf Polaniecki den Diener. »Die gnädige Frau befindet sich oben,« sagte dieser.
Polaniecki fühlte, daß seine Füße unter ihm wankten, während er die Treppe hinaufschritt. An der Thüre des Zimmers, das ihm der Diener gezeigt, blieb er stehen und fragte: »Darf ich eintreten?«
»Bitte,« entgegnete ihm eine verschleierte Stimme.
Im nächsten Augenblick befand er sich in Frau Maszkos Boudoir.
»Ich komme,« sagte er ihr die Hand reichend, »um für Ihre Einladung zu danken und mich zu entschuldigen. Ich muß in die Stadt fahren.«
Mit gesenktem Haupte, niedergeschlagenen Augen, offenbar tief erregt und in sichtlicher Angst, stand Fran Maszko vor ihm.
Polaniecki, der seine volle Ruhe wiedergefunden hatte, empfand dies und fragte sich verabschiedend mit aller Unbefangenheit: »Sie haben Furcht . . . Weshalb denn?«