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Nach seiner Ankunft in Warschau verfügte sich Polaniecki sofort zu Bigiel, welcher ihm die bei dem Verkauf von Krzemien getroffenen Bestimmungen auseinandersetzte. Für Maszko waren sie ungemein vorteilhaft. Er hatte nach Ablauf des Jahres fünfunddreißigtausend Rubel herauszubezahlen, die aus der Parzellierung Magierows erzielt werden konnten, und außerdem bis zum Tode Herrn Plawickis eine Lebensrente von dreitausend Rubel. Anfangs erschien Polaniecki dies Uebereinkommen nicht gerade ungünstig für den Verkäufer, aber Bigiel war anderer Ansicht.
»Ich bin sonst nicht voreilig in meinem Urteil über andre,« sagte er, »aber Plawicki ist ein alter Egoist, der die Zukunft seines Kindes seinem eigenen Behagen opfert, und außerdem ein leichtsinniger Mensch. Unter den obwaltenden Umständen muß die Rente aus den Erträgnissen in Krzemien erzielt werden, aber Krzemien hat als ein am Rande des Ruins stehendes Gut, in das man viel hineinstecken muß, nur einen illusorischen Wert und wirft nicht viel ab. Wenn Maszko Ordnung schafft, so ist's gut, wenn nicht, so wird er im besten Falle im Rückstand bleiben und Plawicki wird vielleicht das ganze Jahr hindurch keinen Groschen zu sehen bekommen. Was soll er dann machen? Krzemien zurücknehmen? Maszko kontrahiert indessen neue Schulden, wenn auch nur, um die alten zu bezahlen, und falls er Bankerott macht, strecken Gott weiß wie viel Gläubiger die Hand nach dem Gute aus. Schließlich hängt alles von der Ehrenhaftigkeit Maszkos ab, welcher ein rechtschaffener Mensch sein mag, der aber bei Geschäften sehr kühn zu Werk geht und deshalb durch einen einzigen falschen Schritt vollständig zu Grunde gerichtet werden kann. Wer weiß, ob der Kauf des Gutes kein solcher Schritt gewesen ist, denn wenn er Ordnung schaffen will, muß er seinen Kredit bis zum Aeußersten erschöpfen.«
»Das bare Geld für Magierow bleibt Plawicki immerhin,« sagte Polaniecki, wie wenn er sich selbst über Marynias Zukunft beruhigen wollte.
»Wenn der Alte es nicht aufzehrt oder verspielt.«
»Dies darf nicht sein. Da ich den Verkauf veranlaßt habe, muß ich Rat schaffen.«
»Du?« rief Bigiel verwundert aus. »Ich glaubte, Eure Beziehungen seien abgebrochen?«
»Ich will sie wieder anzuknüpfen suchen. Morgen gehe ich zu Herrn Plawicki.«
»Wünschest Du, daß ich mit Dir gehe? Dich allein empfangen sie schwerlich.«
Polaniecki lehnte indessen dies Anerbieten ab und nach einer sorgfältigen Toilette machte er sich am folgenden Morgen allein auf den Weg. Als er vor dem »Römischen Hofe« stand, klopfte sein Herz heftig.
»Es wäre kein Unglück,« dachte er, »wenn ich sie nicht anträfe. Ich würde dann meine Karte zurücklassen und abwarten, ob Plawicki mir den Besuch erwidert.« Aber sogleich sagte er sich auch wieder: »Nur den Mut nicht verlieren,« übergab dem Portier seine Karte und ward nach wenigen Minuten vorgelassen.
Herr Plawicki saß an einem Tische und las einen Brief, wobei er von Zeit zu Zeit einen Zug aus einer Tabakspfeife that. Bei Polanieckis Eintritt erhob er das Haupt und ihn durch sein goldenes Binocle betrachtend, sagte er: »Bitte, setze Dich.«
»Durch Bigiel erfuhr ich, daß Sie sich in Warschau befinden,« erklärte Polaniecki, »und ich wollte nicht unterlassen, Ihnen meine Aufwartung zu machen.«
»Das ist ja sehr schön von Dir,« entgegnete Plawicki, »und die Wahrheit zu sagen, erwartete ich es nicht. Aber da Du die Verpflichtung gefühlt hast, mich zu besuchen, will ich, als der Aeltere, Dir aufs neue die Arme öffnen.«
Er beschränkte sich indessen darauf, Polaniecki über den Tisch die Hand zu reichen.
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich Deinetwegen gekommen bin,« dachte Polaniecki; dann fragte er: »Die Herrschaften sind also ganz nach Warschau übergesiedelt?«
»Ja. Ich bin zwar ein alter Landmann, daran gewöhnt, mit der Sonne aufzustehen und auf meine Felder zu gehen. Daher werde ich mich in Eurem Warschau nicht so leicht heimisch fühlen. Aber es ziemt sich nicht mehr für mich, mein Kind gefangen zu halten, also mußte ich dieses Opfer bringen.«
Von seinem Besuche in Krzemien her erinnerte sich zwar Polaniecki, daß Plawicki gegen elf Uhr aufgestanden war und daß er sich nicht allzusehr mit Arbeit geplagt hatte; doch ging er mit Stillschweigen darüber hinweg, zumal ihn in diesem Augenblick etwas ganz andres beschäftigte. Aus Herrn Plawickis Zimmer führte eine offene Thüre in ein andres, das von Fräulein Marynia bewohnt sein mußte.
»Werde ich nicht das Vergnügen haben, Fräulein Marynia zu sprechen?« fragte Polaniecki.
»Marynia ist ausgegangen, um eine Wohnung zu besichtigen, die ich heute früh gemietet habe. Doch wird sie sogleich zurückkommen, denn es sind nur ein paar Schritte. Ich bekomme ein Wohn- und Schlafzimmer, Marynias Stübchen ist auch sehr hübsch, das Eßzimmer ist freilich ein wenig dunkel, aber der Salon eine wahre Bonbonniere.«
In diesem Augenblick trat jemand in das anstoßende Zimmer. »Dies ist gewiß Marynia,« bemerkte Plawicki.
»Marynia,« rief er, »bist Du es?«
»Ja,« ließ sich eine weiche Stimme vernehmen.
»Komm herein, wir haben Besuch.«
Fräulein Marynia zeigte sich an der Thüre. Als sie Polaniecki erblickte, malte sich die größte Verwunderung auf ihrem Gesichte. Polaniecki stand auf, verneigte sich und streckte ihr zur Begrüßung die Hand hin. Etwas kühl, aber doch höflich, reichte sie ihm die ihre. Dann wandte sie sich zu ihrem Vater. »Ich habe die Wohnung angesehen,« sagte sie. »Hübsch ist sie und bequem, ich fürchte nur, daß die Straße zu geräuschvoll ist.«
»Alle Straßen sind geräuschvoll,« entgegnete Herr Plawicki. »Auf dem Lande sind wir natürlich nicht.«
»Ich bitte um Entschuldigung, ich will nur meinen Hut ablegen,« sagte Marynia und kehrte in ihr Zimmer zurück.
»Sie wird sich wohl nicht mehr zeigen,« dachte Polaniecki.
Aber augenscheinlich hatte sie, nachdem sie den Hut abgelegt, nur ihre Haare vor dem Spiegel geordnet, denn sie trat wieder ein und fragte: »Störe ich nicht?«
»Nein,« erwiderte ihr Vater, »wir haben nichts Geschäftliches miteinander zu besprechen, worüber ich, nebenbei gesagt, recht froh bin.«
Polaniecki errötete ein wenig und um dem Gespräch eine andre Wendung zu geben, sagte er:
»Ich komme von Reichenhall und bringe Ihnen, mein Fräulein, Grüße von Frau Chwastowski. Das ist einer von den Gründen, die mich ermutigten, hieherzukommen.«
Für einen Augenblick schwand die kühle Ruhe aus Marynias Antlitz.
»Emilka schrieb mir von dem Herzkrampf Litkas,« sagte sie. »Wie geht es dem Kinde jetzt?«
»Der Anfall hat sich nicht wiederholt.«
»Ich erwarte jetzt einen Brief. Vielleicht ist er schon eingetroffen, aber ich habe ihn nicht bekommen, weil Emilka ihn wahrscheinlich nach Krzemien geschickt hat.«
»Dann wird er Dir nachgesandt,« bemerkte Plawicki. »Ich habe Auftrag gegeben, alles, was mit der Post kommt, hierher zu schicken.«
»So kehren die Herrschaften gar nicht mehr aufs Land zurück?« fragte Polaniecki.
»Nein, wir bleiben hier,« versetzte Marynia.
Ein kurzes Schweigen folgte – Polaniecki hätte jetzt viel darum gegeben, in ihrem Antlitz den holden, süßen Ausdruck wiederzufinden, den er in Krzemien darin gefunden.
»Wie sehr Sie Krzemien lieben, weiß ich wohl,« begann er plötzlich. »Dessenungeachtet habe ich vielleicht dazu beigetragen, daß das Gut verkauft werden mußte. Dies gestehe ich offen, doch bedaure ich es nun außerordentlich und werde niemals aufhören, es zu bedauern. Zu meiner Entschuldigung kann ich sogar nicht einmal anführen, daß ich mich vom Zorn hinreißen ließ. Im Gegenteil, ich überlegte recht gut, und was ich that, war unrecht und unvernünftig. Um so größer ist meine Schuld, und um so mehr muß ich um Verzeihung bitten.«
Bei diesen Worten erhob er sich. Seine Wangen glühten, Wahrheit und Offenheit sprachen aus seinem Blicke, aber seine Worte blieben ohne Eindruck, denn er hatte einen falschen Weg eingeschlagen. Er kannte die Frauen im allgemeinen zu wenig, als daß er sich hätte Rechenschaft darüber geben können, wie sehr deren Urteil über die Männer vornehmlich von ihren Gefühlen abhängig ist. Ein Mann, der einmal die Abneigung einer Frau erweckt hat, wird in ihren Augen nie mehr recht haben. So nahm auch Marynia Polanieckis Offenheit geradezu übel auf. Ihr erster Gedanke war: »Was ist das für ein Mensch, welcher jetzt das für unvernünftig und schlimm hält, was er einige Tage zuvor mit voller Ueberlegung that?« Für sie war der Verkauf Krzemiens eine Wunde, welche bei jeder Berührung schmerzte. Und ihr dünkte jetzt, Polaniecki habe diese Wunde mit der ganzen Rücksichtslosigkeit eines Menschen wieder aufgerissen, der von Natur roh ist und keine Nerven hat.
Den Blick unverwandt auf sie gerichtet, stand er da und wartete, ob sie ihm versöhnt die Hand reichen würde, allein ihre Augen schauten finster darein, und ihr Antlitz zeigte einen noch frostigern Ausdruck als zuvor.
»Machen Sie sich keine Sorge,« entgegnete sie mit eisiger Höflichkeit, »Papa ist sehr froh über den jetzigen Stand der Dinge.«
Während sie sprach, erhob sie sich ebenfalls, als ob sie annehme, daß Polaniecki sich entfernen wolle. Doch er zögerte noch einen Augenblick, obwohl er sich sehr entmutigt fühlte, obwohl er tief im Herzen die Demütigung empfand und wie jeder junge Mann, der auf diese Weise zurückgestoßen wird, von Zorn und Bitterkeit erfüllt war.
»Wenn es sich so verhält,« sagte er, »dann ist's ja gut, das ist ja alles, was not thut.«
»Ja! Ja! Und ich habe ein gutes Geschäft gemacht,« erklärte Herr Plawicki.
Polaniecki verließ das Zimmer und seinen Hut auf den Kopf drückend, mehrere Stufen auf einmal nehmend, murmelte er vor sich hin: »Unter Eurem Dache werde ich mich nicht mehr blicken lassen.«
Nach Hause zurückkehren konnte er noch nicht, denn er fühlte, daß ihn der Zorn beinahe ersticke. Daher eilte er weiter, ohne darauf zu achten, wohin ihn seine Füße trugen. Ihn dünkte jetzt, er liebe Marynia gar nicht mehr, ja, er hasse sie sogar, aber dessenungeachtet dachte er fortwährend an sie, und als er etwas ruhiger geworden, gestand er sich auch selbst, daß das Wiedersehen ihn tief erschüttert hatte. Und trotz seines Zornes machte sich seine Bewunderung für sie doch wieder geltend. In seiner Einbildungskraft existierten jetzt gleichsam zwei Marynias, von denen die eine ein sanftes, freundliches, aufmerksames und liebebedürftiges Mädchen war, die Marynia aus Krzemien, die andre eine junge Weltdame aus Warschau, die ihn kalt zurückgestoßen hatte. In dieser doppelten Gestalt lebt eine Frau häufig im Herzen eines Mannes, der dann geneigt ist, der Verhaßten um der Geliebten willen zu verzeihen.
Polaniecki wäre es bisher nie und nimmer in den Sinn gekommen, daß Marynia so zu sein vermöge, wie sie sich heute ihm gegenüber gezeigt hatte, und deshalb mischte sich eine gewisse Verwunderung in seinen Zorn. Von seinem eigenen Werte überzeugt und mit großem Selbstbewußtsein ausgestattet, hatte er doch geglaubt, es genüge, nur die Hand auszustrecken, um wieder in Gnaden angenommen zu werden. Aber nun war es ganz anders gekommen. Die sanfte Marynia hatte plötzlich nicht nur die Rolle der Richterin, welche zu verdammen oder freizusprechen vermag, sondern auch die Rolle einer Fürstin übernommen, die ihre Vasallen je nach Laune gnädig oder ungnädig behandeln kann. An diesen Gedanken vermochte sich Polaniecki nicht zu gewöhnen, gewaltsam suchte er ihn abzuschütteln, aber – so ist die menschliche Natur – da er nun erkannte, daß er dem jungen Mädchen weniger begehrenswert erschien, daß sie ihn weniger schätzte, als er gedacht, stieg sie, trotz ihres unverkennbaren Widerwillens gegen ihn, in seinen Augen.
Von innerm Zwiespalt beherrscht, war er, ohne es zu bemerken, bis in einen entlegenen Stadtteil gelangt.
»Weshalb zum Teufel bin ich hierher gekommen?« fragte er sich nun und blieb stehen. Ein schöner Tag neigte sich seinem Ende. Zu Polanieckis Füßen floß schimmernd die Weichsel, und drüben, hinter grünen Büschen und Bäumen streckte sich das weite Land hin, das am fernen Horizonte von rosigen Nebelwolken verhüllt war. Diese Nebelwolken lagen über Krzemien, über dem von Marynia so geliebten, ihr nun verlorenen Krzemien.
»Was würde sie wohl thun, wenn sie es durch mich zurückbekäme?« dachte Polaniecki. Sein Groll schwand allmählich, denn das Gewissen flüsterte ihm zu, daß ihm zu teil geworden, was er verdient hatte.
Es war beinahe neun Uhr, als er bei Bigiel anlangte. Dieser saß an der offenen Thüre der in den Garten gehenden Veranda und spielte Cello. Als er Polaniecki erblickte, brach er mit einem Tremolo ab und fragte: »Bist Du heute bei Plawicki gewesen?«
»Ja.«
»Hast Du Fräulein Marynia gesprochen?«
»Ja, sie sah aus wie eine Karaffe frappierten Wassers. Nach solch einem heißen Tag ist dies aber eine Annehmlichkeit. Hervorragend höflich bin ich nicht empfangen worden.«
»All dies habe ich vorausgesehen.«
»Spiele weiter.«
Bigiel spielte die »Träumerei«. Dabei drückte er bald die Augen zu, bald richtete er sie auf den Mond, der hoch am Himmel stand. In der tiefen, nächtlichen Stille erfüllten die Töne das Haus, den Garten, ja alles ringsumher mit süßem Wohllaut.
Nachdem er geendigt, schwieg er noch einen Moment und sagte dann: »Weißt Du, was das Beste sein wird? Sobald Frau Emilie zurückgekehrt ist, kann meine Frau sie und Fräulein Plawicki zu sich aufs Land einladen. Möglich, daß dann das Eis zwischen Euch schmilzt.«
»Spiele noch einmal die Träumerei.«
Zum zweitenmal erscholl die friedliche, träumerische Weise. Und Polaniecki war noch jung genug, um sich mit Wonne einer süßen Träumerei hinzugeben. Er stellte sich vor, Marynia lausche mit ihm diesen Tönen, ihre Hände lägen in den seinigen, ihr Haupt ruhe an seiner Brust, und sie blicke voll Zärtlichkeit zu ihm empor.