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Achtzehntes Kapitel.

Wenige Tage waren vergangen, seit Ludwig die Nachricht erhalten hatte, sein Günstling und Ratgeber, Kardinal Balue, sitze in einem jener eisernen Käfige, die so eingerichtet waren, daß der arme Gefangene nur im Sitzen ruhen oder schlafen, sich also nicht ausstrecken konnte. Die vom Herzog verlangten Hilfstruppen waren angelangt; und ob er gleich das Unwürdige seiner Lage fühlte, daß er mit seinen edelsten Pairs unter den Fahnen seines eigenen Vasallen gegen ein Volk, dessen Sache er unterstützt hatte, ziehen sollte, ließ er sich doch durch diese Umstände vor der Hand nicht niederdrücken, in dem festen Vertrauen, daß die Zukunft ihn dafür reichlich entschädigen werde.

Mit solchen Empfindungen bestieg der König an einem schönen Tage in der letzten Hälfte des Erntemonats sein Pferd, und ohne sich darum zu kümmern, daß er eher jemand glich, der zum Triumphzuge eines Siegers gehört, als einem unabhängigen Fürsten, umgeben von seinen Garden und seiner Ritterschaft, ritt er aus dem gotischen Tore von Peronne, um zu dem burgundischen Heere zu stoßen, das zu gleicher Zeit seinen Zug gegen Lüttich begann.

Die meisten Damen, die sich in der Festung befanden, zeigten sich in ihrem besten Putze auf den Zinnen und Brustwehren des Tores, um den Zug der tapferen Krieger, die sich zu dieser Unternehmung in Bewegung setzten, mit anzusehen. Hierher hatte nun Gräfin Crevecoeur auch Isabelle geführt, die ihr nur ungern gefolgt war; allein es war Karls ausdrücklicher Befehl, daß die Dame, die dem Sieger im Turniere die Palme reichen sollte, auch den Rittern sichtbar sei, die um ihre Hand in die Schranken treten wollten.

Als sie sich aus dem Bogen des Tores hervordrängten, erblickte man manches Fähnlein und manchen Schild mit neuen Wahlsprüchen; und darunter befand sich einer, der es wagte, der Gräfin Isabelle ein Zeichen der Bekanntschaft zu geben, was selbst keiner der edelsten unter dem französischen Adel versucht hatte: und das war Quentin Durward, der, als er der Reihe nach bei den Damen vorüberritt, der Gräfin Isabelle an der Spitze seiner Lanze den Brief ihrer Muhme überreichte.

»Nun, bei meiner Ehre,« sagte Graf Crevecoeur,« das ist doch zu frech von solch einem unwürdigen Abenteurer!« – »Nennt ihn nicht so, Crevecoeur,« sagte Dunois, »ich habe guten Grund, seine Ritterlichkeit zu verbürgen – besonders in Beziehung auf diese Dame.« – »Ihr macht Worte um nichts,« sagte Isabelle, indem sie vor Scham und Unwillen errötete, »es ist ein Brief von meiner unglücklichen Muhme. Sie schreibt heiter, obgleich ihre Lage schrecklich sein muß.« – »Laßt hören, was die Ebersbraut schreibt!« sprach Crevecoeur.

Gräfin Isabelle las den Brief, worin ihre Muhme willens zu sein schien, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich über die Eilfertigkeit ihrer Vermählung durch das Glück zu trösten, mit einem der tapfersten Männer seiner Zeit vermählt zu sein, der soeben durch seinen Mut ein Fürstentum erkämpft habe. Sie beschwor ihre Nichte, ihren Wilhelm (so nannte sie ihn) nicht nach den Berichten anderer zu beurteilen, sondern zu warten, bis sie ihn persönlich kennen lerne. Er besitze vielleicht Fehler, allein es seien doch nur solche, wie sie Charakteren, die sie immer verehrt habe, eigen zu sein pflegen. Wilhelm sei dem Weine ergeben, allein das sei ja auch der tapfere Gottfried, ihr Großvater, gewesen. Er sei etwas heftig und blutdürstig; sei dies aber nicht auch ihr Bruder Reinhold gesegneten Andenkens gewesen? Er sei derb in seinen Reden; diesen Fehler teile er aber mit den meisten Deutschen. Er sei eigensinnig und durchgreifend, allein sie glaube, daran lasse es kein Mann fehlen ... Sie schloß mit der Hoffnung und Bitte, Isabelle möchte mit Hilfe des Ueberbringers dem Tyrannen von Burgund zu entrinnen suchen und an den Hof ihrer lieben Muhme nach Lüttich kommen, wo sich alle Streitigkeiten über ihre Erbfolgerechte heben ließen, wenn sie Karl Eberson heirate, – einen Bräutigam, der zwar jünger sei als die Braut, wogegen sie aber (Gräfin Hameline), vielleicht aus Erfahrung sagen könne, daß solche Ungleichheit sich weit leichter ertragen lasse, als Isabelle sich es vorstellen möchte.

Hier hielt die Gräfin inne; denn Graf Crevecoeur brach in die Worte aus: »Ei, über die verführerische Hexe! Dieser Rat riecht so ranzig wie gerösteter Käse in einer Rattenfalle! Pfui über die alte Kupplerin!«

Indem nun Isabelle den Brief ihren Freunden vorlas, hielt sie es nicht für nötig, eine Nachschrift mitzulesen, worin sie mitteilte, daß sie ihrem Manne einen Waffenrock sticke, mit den verschlungenen Wappen der Häuser Croye und von der Mark, weil sich ihr Mann aus Klugheitsgründen entschlossen habe, in dem ersten Gefechte andere in seinen Waffenrock zu kleiden und das Wappen von Orleans mit dem schiefen Balken, mit anderen Worten das von Dunois, mitzunehmen. Auf einem besonderen Stück Papier, dessen Inhalt die Gräfin ebenfalls nicht mitzuteilen für nötig fand, standen von anderer Hand folgende Worte: »Wenn Ihr nicht bald von mir hört, und zwar durch die Trompete der Fama, so schließt, daß ich gestorben, aber nicht unwürdig gestorben bin!«

Ein Gedanke, den sie bisher als unglaublich zurückgedrängt hatte, trat nun mit doppelter Lebendigkeit vor Isabellens Seele. Da es dem weiblichen Scharfsinne selten an Mitteln fehlt, so wußte sie es auch einzurichten, daß, ehe die Truppen in vollem Marsche begriffen waren, Quentin Durward von unbekannter Hand das Billett der Gräfin Hameline erhielt, mit drei Kreuzen der Nachschrift gegenüber, wo bloß folgende Worte standen: »Er, der das Wappen der Orleans nicht fürchtete, als es auf der Brust seines tapferen Eigentümers sich befand, wird sich auch nicht fürchten, wenn er es auf der eines Tyrannen und Mörders findet.«

Tausend und abertausend Mal drückte der junge Schotte diese Zeilen an seine Brust und küßte sie; denn sie zeigten ihm den Weg, wo Ehre und Liebe ihm den Lohn entgegenhielten und setzten ihn in den Besitz eines Geheimnisses, das keiner kannte, wodurch er aber denjenigen herausfinden konnte, dessen Tod allein seine Hoffnungen zu beleben vermochte.

Durward sah indessen die Notwendigkeit ein, sich betreffs der Nachricht, die ihm Hayraddin mitgeteilt hatte, ganz anders zu benehmen, da der von Wilhelm von der Mark beabsichtigte Ausfall, wenn man dagegen nicht sorgfältig auf der Hut war, die Vernichtung des gesamten Belagerungsheeres zur Folge haben konnte; so schwer war es, bei der unordentlichen Art, zu damaliger Zeit Krieg zu führen, sich gegen einen nächtlichen Ueberfall zu sichern. Nachdem er sich die Sache reiflich überlegt hatte, entschloß er sich, nur persönlich, und zwar nur beiden Fürsten zusammen die Nachricht mitzuteilen; denn er besorgte, daß ein so wohlangelegter und vielversprechender Plan den König Ludwig leicht verleiten möchte, den beabsichtigten Ueberfall eher zu unterstützen, als zu hintertreiben. Er entschloß sich daher, eine schickliche Gelegenheit abzuwarten, wo er Ludwig und Karl beisammen träfe, die aber, da sie sich nicht gern Zwang antaten, vielleicht lange auf sich warten lassen mochte. Unterdessen bewegte sich der Zug fort, und die Verbündeten betraten bald das Gebiet von Lüttich, marschierten, ohne ernstlichen Widerstand zu finden, durch das üppige Maastal und rückten vor die große, dicht bevölkerte Stadt Lüttich an. Das Schloß Schönwald war geschleift, da Wilhelm von der Mark sich mit seiner ganzen Heeresmacht in die Stadt geworfen hatte, entschlossen, ein Zusammentreffen mit der Reiterei von Burgund und Frankreich in offenem Felde zu vermeiden.

Ein Teil des burgundischen Vortrabes, in der Meinung, es brauche bloß durch die Breschen in die Stadt einzuziehen, drang mit dem Rufe: »Burgund! Burgund! Schlagt tot! Denkt an Ludwig von Bourbon!« in eine der Vorstädte. Aber im Nu brach ein starker Haufe aus der Stadt und richtete ein großes Blutbad unter ihnen an. Als Herzog Karl diese Nachricht erhielt, geriet er außer sich vor Wut und hätte sich auf der Stelle an die Spitze seiner Mannen gestellt, wenn nicht Hymbercourt und Crevecoeur ihn dringend ersucht hätten, diesen Posten eilig zu verlassen. Die beiden berühmten Anführer trieben die Lütticher alsbald zurück und machten nicht weniger als achthundert Mann Gefangene. Hymbercourt ließ, um weitere Ausfälle zu verhüten, zwei Feldschlangen vor dem Tore auffahren und kehrte dann zu dem zahlreichen burgundischen Heere zurück, das er aber in großer Unordnung traf. Das Hauptkorps und der Nachtrab desselben war nämlich fortwährend vorgerückt, indes der Vortrab infolge dieses Renkontres auf dem Rückzuge begriffen war, und so waren beide in großer Verwirrung aufeinandergestoßen. Hymbercourts Abwesenheit, dem alle Geschäfte eines Generalquartiermeisters oblagen, vermehrte noch die Unordnung: zudem brach eine rabenschwarze Nacht herein, es fiel ein starker Regen, und der Boden, auf welchem sich das Belagerungsheer notgedrungen bewegen mußte, war sumpfig und von vielen Kanälen durchschnitten. So hatte Hymbercourt bei seiner Rückkehr unglaubliche Schwierigkeiten vor sich, die ihm durch die Vorwürfe des Herzogs verbittert wurden, der die weit dringlichere Pflicht, die Hymbercourt eben zu erfüllen gehabt hatte, nicht berücksichtigen wollte; endlich machte der tapfere Krieger seinem Grolle über diese unbilligen Vorwürfe Luft, durch den verdrießlichen Ausruf: »Ich habe eben unter dem Vortrab leidliche Ordnung geschaffen, und finde nun das Hauptkorps unter Eurer Hoheit eigener Führung in einem Zustande, daß sich weder Fronte noch Flanke noch Nachtrab unterscheiden läßt.«

»Um so ähnlicher sind wir einem Fäßchen Heringe,« versetzte Narr Glorieux, »und das ist das natürlichste Bild für ein flamändisches Heer.«

Des Narren Rede brachte den Herzog zum Lachen und verhinderte eine weitere Diskussion zwischen ihm und seinem General. Mit großer Anstrengung wurde ein kleines Lusthaus eines reichen Lütticher Bürgers in Besitz genommen und für den Herzog und seine unmittelbare Begleitung hergerichtet; und Hymbercourts und Crevecoeurs Ansehen gelang es endlich, in der Nähe eine Wache von vierzig Waffenleuten aufzustellen.

Ein wenig links von diesem Häuschen, zwischen ihm und der Vorstadt, die, wie schon bemerkt, dem Stadttore gegenüber lag und von dem burgundischen Vortrabe besetzt war, stand ein zweites Lusthaus, von einem Garten und Hofraum umgeben. Hier schlug der König von Frankreich sein Hauptquartier auf. Ein Teil seiner schottischen Leibwache wurde im Hofe untergebracht, der Rest im Garten. Dunois und Crawford, unterstützt von Offizieren und Soldaten, unter denen sich Balafré hervortat, suchten die Verbindung der Truppen unter sich den obwaltenden Umständen gemäß zu erleichtern; indessen hielt es der König für ratsam, sich in das Quartier des Herzogs zu begeben, um sich nach dem Operationsplane zu erkundigen, bei dem seine Mitwirkung erwartet wurde. Ein Kriegsrat war die Folge seines Erscheinens, und Karl hatte sich von der Art desselben wohl nichts träumen lassen. Jetzt bat nämlich Quentin Durward um Gehör, weil er den beiden Fürsten eine Sache von großer Wichtigkeit zu eröffnen hätte, und König Ludwig erstaunte nicht wenig über den Plan Wilhelms von der Mark, unter französischer Verkleidung und französischen Fahnen einen Ausfall aus der Stadt zu machen; wahrscheinlich wäre es ihm ja lieber gewesen, von dieser wichtigen Nachricht unter vier Augen Kenntnis zu erhalten; da nun aber die ganze Sache schon öffentlich vorgebracht worden, bemerkte er bloß, daß solchem Berichte, ob er nun wahr oder falsch sei, die ernstlichste Beachtung gewidmet werden müsse.

»Nach meiner Meinung ganz und gar nicht,« erwiderte der Herzog sorglos. »Wäre so etwas im Schilde, so wäre es mir sicher durch jemand anders als durch einen schottischen Bogenschützen gemeldet worden.« – »Wie dem auch sei,« erwiderte Ludwig, »so bitte ich Euch, lieber Vetter, beachten zu wollen, daß ich, um alle widrigen Folgen eines solchen Angriffes zu meiden, meine Soldaten veranlassen werde, über ihren Rüstungen weise Schärpen zu tragen, das Einvernehmen unseres Vetters vorausgesetzt.« – »Ich habe nichts dawider,« versetzte der Herzog, »wenn Eure Reiterei künftig als Schärpenritter gelten will.« – »Das wäre gar kein schlechter Titel, Freund Karl,« fiel der Narr ein, »denn Schärpen werden von Frauen getragen, und eine Dame soll ja der Preis des Tapfersten sein!« – »Schön geredet, Salomo,« sagte Ludwig. »Aber nun gute Nacht, Vetter, ich muß meine Rüstung ablegen. Was würdet Ihr denn sagen, wenn ich die Gräfin mit eigener Hand gewönne?« – »Dann müßte eben Eure Majestät,« erwiderte der Herzog in verändertem Tone, »ein treuer Flamänder werden.« – »Ich bin es doch bereits im vollsten Maße,« erwiderte Ludwig, »nur schade, daß Ihr's nicht glauben wollt!«

Der Herzog wünschte ihm hierauf gute Nacht, aber in einem Tone, der sich anhörte, als ob ein scheues Pferd schnaubte, das sich die Liebkosungen des Reiters, der eben aufsitzen will, nicht gefallen lassen mag.

»Ich würde ihm schließlich seine Zweideutigkeiten nachsehen,« sagte der Herzog zum Grafen Crevecoeur, »aber eines kann ich ihm nicht verzeihen, daß er mich für einen törichten Narren hält, der sich durch seine Versicherungen blenden lassen könnte.«

Ludwig rief, sobald er zurückgekehrt war, seinen Barbier zu sich. »Du, Oliver,« sagte er, »dieser schottische Jüngling ist ein Gemisch von Pfiffigkeit und Einfalt, so daß ich wirklich nicht weiß, was ich aus ihm machen soll. Denke Dir bloß die unverzeihliche Dummheit, den Plan des grimmigen Wilhelm von der Mark vor den Ohren des Herzogs und seiner Höflinge zu enthüllen, statt ihn mir ins Ohr zu raunen und mir wenigstens die Wahl zu lassen zwischen Ja und Nein!« – »Es ist besser so, Majestät,« sagte Oliver, »denn es befinden sich in Eurem Gefolge nicht wenige, die sich nicht bedenken würden, den Burgunder ohne vorherige Forderung zu überfallen oder sich mit dem Eber der Ardennen zu verbinden.« – »Du magst recht haben, Oliver! Die Narren in der Welt sterben eben nicht aus, und uns fehlt es jetzt an der Zeit, gegen Narrheiten Eigensucht auszuspielen. Für jetzt müssen wir schon den geraden Weg gehen, Oliver, und uns bestreben, als ehrliche Genossen des Burgunders zu gelten, wenigstens doch für heute nacht. Mit der Zeit spielen wir schon wieder ein besseres Spiel!«


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