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Zehntes Kapitel.

Quentin war kaum auf seinem Kämmerchen angelangt, um die nötigen Veränderungen in seinem Anzuge zu treffen, als sein würdiger Oheim alle Umstände zu erfahren begehrte, die sich mit ihm auf der Jagd zugetragen hätten.

Der Jüngling, welcher nicht umhin konnte, nach allem seines Oheims Arm für stärker als seinen Verstand zu halten, trug Sorge, bei seiner Erzählung den König im vollen Besitz des Sieges zu lassen, den er sich so eifrig anzueignen geschienen hatte. Balafré setzte hierauf mit vieler Ausführlichkeit auseinander, um wieviel besser er sich bei solchen Umständen benommen haben würde, und ließ einen sanften Tadel über die Saumseligkeit seines Neffen mit einfließen, daß er dem Könige nicht zu Hilfe geeilt sei, da sich dieser in so drohender Gefahr befunden habe. Der Jüngling war klug genug, sich aller weitern Rechtfertigung seines Benehmens zu enthalten, außer daß er sagte, er halte es den Regeln der edeln Weidmannskunst zuwider, sich mit einem Stücke Wild zu befassen, das von einem andern Jäger angegriffen sei, sofern er nicht ausdrücklich von diesem zur Unterstützung aufgefordert werde. Diese Erörterung war kaum vorüber, als Quentin Gelegenheit bekam, sich Glück zu wünschen, daß er gegen seinen Verwandten etwas zurückhaltend war. Ein leises Klopfen an bei Tür kündigte einen Besuch an. – Sie öffnete sich, und herein trat Oliver Dain, auch le Mauvais oder le Diable (der Böse oder Teufel) genannt, denn unter allen diesen Namen war er bekannt.

Dieser gewandte, aber gewissenlose Mann ist nach seinem Aeußern bereits beschrieben worden. In seinen Bewegungen und seinem Benehmen hatte er vielleicht die meiste Ähnlichkeit mit einer Hauskatze, die, während sie in einem anscheinenden Schlummer liegt, oder mit leisen, verstohlenen und furchtsamen Schritten durch das Zimmer schleicht, entweder den Schlupfwinkel einer unglücklichen Maus belauscht, oder mit scheinbarer Vertraulichkeit und verstellter Gutmütigkeit sich an denen streicht, von denen sie geliebkost sein will, gleich darauf aber sich auf ihre Beute wirft, oder vielleicht gar den Gegenstand ihrer Liebkosungen kratzt.

Er trat mit gekrümmtem Rücken und mit demütigem und bescheidenem Blick ein, und wußte einen solchen Grad von Höflichkeit in seine Anrede an Herrn Balafré zu legen, daß jeder, der bei dieser Zusammenkunft zugegen gewesen wäre, geglaubt hätte, er komme, den schottischen Bogenschützen um irgend eine Gefälligkeit zu bitten. Er wünschte Lesley Glück zu dem trefflichen Benehmen seines jungen Verwandten bei der heutigen Jagd, das, wie er bemerkte, des Königs besondere Aufmerksamkeit erregt habe. Hier hielt er inne mit auf den Boden gesenktem Blick, um eine Antwort zu erwarten, und warf nur ein paarmal verstohlene Seitenblicke auf Quentin. Balafré antwortete hierauf: daß es für Se. Majestät ein unglückliches Geschick gewesen sei, statt seines Neffen nicht ihn selbst zur Seite gehabt zu haben – er würde sogleich herbeigeeilt sein und das Tier niedergestoßen haben, was Quentin, wie er hörte, Sr. Majestät eigenen Händen überlassen habe. Aber es wird Zeitlebens eine Lehre für Seine Majestät sein,« sagte er, »einem Manne von meinem Kaliber ein besseres Pferd geben zu lassen; denn wie konnte mein Klotz von flämischem Karrengaul mit Sr. Majestät normannischem Renner gleichen Schritt halten? Ich bin gewiß, ich habe ihm die Rippen aufgefurcht, – aber umsonst. – »Man hat das gar nicht beachtet, Meister Oliver, aber Ihr müßt es Sr. Majestät vorstellen.«

Meister Oliver beantwortete diese Bemerkung bloß dadurch, daß er auf den kühnen, prahlerischen Sprecher einen jener langsamen, zweifelhaften Blicke warf, die, begleitet von einer leichten Bewegung der Hand und einem leichten Herabsenken des Kopfes nach der einen Seite, entweder als eine stillschweigende Zustimmung zu dem Gesagten, oder als eine vorsichtige Ablehnung, den Gegenstand des Gespräches weiter zu verfolgen, gedeutet werden können. Einen kühneren, mehr forschenden Blick warf er auf den Jüngling, indem er mit einem zweideutigen Lächeln sagte: »So, junger Mann, ist es also Sitte in Schottland, Eure Fürsten in Umständen, wie die heutigen waren, aus Mangel an Beistand in Gefahr geraten zu lassen?« – »Es ist Sitte bei uns,« antwortete Quentin, entschlossen, kein weiteres Licht über den Gegenstand zu verbreiten, »sie bei ehrenvollem Zeitvertreib nicht mit unserer Hilfe zu belästigen, wenn sie sich selbst helfen können. Wir halten dafür, daß ein Fürst auf der Jagd so gut wie ein anderer sein Glück versuchen muß, und daß er sich dahin auch bloß in dieser Absicht begibt. Was wäre auch das edle Weidwerk ohne Beschwerde und Gefahr?« – »Da hört einmal den Teufelsjungen,« sagte sein Oheim, »so macht er es immer; auf alles hat er eine Antwort, einen Grund in Bereitschaft, woher er nur das alles haben mag, – ich habe meine Lebtage keinen Grund für etwas angeben können, außer fürs Essen, wenn mich hungerte, oder für die Musterung meiner Leute, und andere Dinge, die meines Dienstes sind.« – »Aber sagt mir einmal, werter Herr,« sprach der königliche Bartkünstler, indem er unter seinen Augenwimpern ihn anblinzelte, »was war denn wohl der Grund, Eure Soldaten zu mustern?« – »Weil's der Hauptmann befahl,« antwortete Balafré. »Beim heiligen Aegidius, ich kenne keinen andern Grund! Hätt er's dem Tyrie oder Cunningham befohlen, sie hätten das nämliche tun müssen.« – »Ein echt soldatischer Entscheidungsgrund!« sprach Oliver. – »Aber, Herr Balafré, Ihr werdet ohne Zweifel erfreut sein, zu vernehmen, daß Se. Majestät, weit entfernt, mit Eures Neffen Benehmen unzufrieden zu sein, ihn vielmehr auserlesen hat, diesen Nachmittag einen besonderen Dienst zu übernehmen.« – »Ihn auserlesen?« fragte Balafré mit großem Erstaunen; – »mich auserlesen, wolltet Ihr ohne Zweifel sagen.« – »Ich meine genau das, was ich sage,« versetzte der königliche Barbier mit mildem, aber entschiedenem Tone; – »der König will Euerm Neffen einen Auftrag zur Vollziehung anvertrauen.«

»Wie, warum, aus welchem Grunde?« fragte Balafré. »Warum wählt er den Jungen und nicht mich?« – »Ich muß auf Euren eigenen letzten Grund zurückkommen, Herr Balafré; so lautet Sr. Majestät Befehl. Aber,« fuhr er fort, »wenn ich eine Vermutung wagen darf, so wird Se. Majestät etwas zu tun haben, das besser für einen jungen Mann paßt, wie Euer Neffe ist, als für einen erfahrenen Krieger, wie Ihr, Herr Balafré! – Also, junger Mann, legt Eure Waffen an und folget mir. Nehmt Euer Feuergewehr mit, denn Ihr müßt Schildwache stehn.« – »Schildwache!« versetzte der Oheim. – »Seid Ihr auch sicher, daß Ihr recht gehört habt, Meister Oliver? Die innern Wachen sind immer bloß von solchen bezogen worden, die, gleich mir, ihre zwölf Jahre in unserm ehrenwerten Korps gedient haben.« – »Ich bin des Willens Sr. Majestät ganz gewiß,« sagte Oliver, »und darf nicht länger säumen, ihn zu vollstrecken. Habt die Güte und geht Euerm Neffen an die Hand, damit er bald zum Dienste bereit ist.«

Balafré, der von Natur weder böse noch mißgünstig war, schickte sich sogleich an, den Anzug seines Neffen in Ordnung zu bringen, und gab ihm Lehren, wie er sich unter den Waffen zu benehmen habe, konnte sich aber nicht enthalten, Ausrufungen des Erstaunens mit einfließen zu lassen, wie doch dem jungen Manne ein solches Glück so früh zuteil geworden sei ... »Das fand noch nie statt bei der schottischen Garde,« sagte er, »auch nicht bei mir selbst! Aber ganz gewiß soll er Wache stehen bei den Papageien und indianischen Pfauen, die der venetianische Gesandte kürzlich dem Könige zum Geschenk gemacht hat. Anders kann es nicht sein, und solch ein Dienst schickt sich denn freilich einzig nur für einen bartlosen Jungen« (hier strich er sich seinen ungeheuern Knebelbart), »und ich bin im ganzen froh, daß das Los auf meinen guten Neffen gefallen ist.«

Lebendig, scharfsichtig und mit glühender Einbildungskraft begabt, sah Quentin in dieser so schnellen Entbietung zum Könige Dinge von höherer Wichtigkeit im Geiste voraus und sein Herz schlug hoch im Vorgenuß der Empfindung baldiger Auszeichnung. Er nahm sich vor, das Benehmen und die Sprache seines Führers genau zu studieren, denn er argwöhnte bereits, daß man sie wenigstens in gewissen Fällen im entgegengesetzten Sinne zu verstehen habe, gleichwie die Wahrsager die Deutung der Träume finden sollen. Er wünschte sich Glück, daß er über die Vorfälle der Jagd das strengste Stillschweigen beobachtet hatte, und faßte den für einen jungen Menschen sehr klugen Entschluß, so lange er die Luft dieses abgeschiedenen und geheimnisvollen Hofes atmete, seine Gedanken tief in sich verschlossen, und seine Zunge unter der strengsten Zucht zu halten ... Sein Anzug war bald vollendet, und die Hakenbüchse auf der Schulter (denn obgleich die schottische Garde immer noch Bogenschützen genannt wurden, so hatten sie doch sehr früh ihren langen Bogen, in dessen Gebrauch sich ihre Nation nie besonders auszeichnete, mit dem Feuergewehr vertauscht,) folgte er Meister Oliver aus der Kaserne.

Lange sah ihm sein Oheim nach, mit einer Miene, in der sich halb Erstaunen, halb Neugier aussprachen; beschlichen auch weder Neid noch die bösartigen Gesinnungen, die er geweckt hatte, sein ehrliches Gemüt, so blieb doch ein gewisses Gefühl verwundeten und gedrückten Selbstgefühls zurück, das sich in Freude über den glücklichen Dienstanfang seines Neffen verwandelte. Er schüttelte bedenklich den Kopf, öffnete einen geheimen Schrank, nahm eine große Flasche starken alten Weins heraus, rüttelte sie, um zu untersuchen, wie weit der Inhalt schon geschmolzen wäre, füllte einen Becher und tat einen derben Trunk; hierauf nahm er halb sitzend, halb liegend in dem großen eichenen Armsessel Platz, und nachdem er wieder langsam den Kopf geschüttelt, empfand er von dieser Bewegung eine so wohltätige Wirkung, daß er sie, gleich dem Mandarin, womit die Kinder spielen, so lange fortsetzte, bis er in einen Schlummer sank, aus welchem ihn erst das Zeichen zum Mittagessen weckte.

Indes Ouentin Durward seinen Oheim diesen erhabenen Betrachtungen überließ, folgte er seinem Führer, Meister Oliver, der ihn, ohne einen der Haupthöfe zu berühren, teils durch geheime, der Luft ausgesetzte Gänge, hauptsächlich aber über ein Labyrinth von Treppen, Gängen und Galerien führte, die miteinander durch verborgene Türen in Verbindung standen, bis sie eine große, geräumige, vergitterte Galerie erreichten, die man vermöge ihrer Breite füglich hätte einen Saal nennen dürfen. Sie war mit mehr altväterischen denn schönen Tapeten und mit einigen wenigen jener steifen, kalten, geisterhaft aussehenden Gemälde behangen, die der ersten Morgenröte der Kunst angehörten, ehe die Sonne in ihrem Glanze über ihr aufging. Sie stellten die Paladine Karls des Großen vor, die in der romantischen Geschichte Frankreichs eine so ausgezeichnete Rolle spielen, und weil die riesenhafte Gestalt des berühmten Roland die hervorstechendste Figur bildete, so hatte das Gemach davon den Namen der Rolandshalle oder der Rolandsgalerie erhalten.

»Hier sollt Ihr Wache stehen,« flüsterte Oliver in einem so leise lispelnden Tone, als hätten die rohen Abbildungen der Monarchen und Krieger umher durch eine stärkere Erhebung der Stimme beleidigt werden können, oder als fürchtete er, das in den Kreuzgewölben und gotischen Steinmassen dieses großen und öden Gemaches lauernde Echo zu wecken. – »Was habe ich auf meinem Posten zu tun, und was ist das Losungswort?« fragte Quentin in demselben leisen Tone. – »Ist Euer Gewehr geladen?« versetzte Oliver, ohne auf seine Frage zu antworten. – »Das ist bald getan,« antwortete Ouentin, schickte sich an, sein Gewehr zu laden, und zündete eine Lunte (mit der es losgebrannt werden mußte) an der glühenden Asche eines Herdfeuers an, das in dem ungeheuren Kamin der Halle dem Verglimmen nahe war, einem Kamine, der an und für sich schon so geräumig war, daß man ihn für ein gotisches Kabinett oder eine zur Halle gehörige Kapelle hätte nehmen können.

Als dies geschehen war, sagte ihm Oliver, daß er noch eines der hohen Privilegien seines Korps nicht wisse, welches nur vom Könige in Person, oder vom Großkonnetable von Frankreich, statt von seinen Offizieren, Befehle annehme. »Ihr stehet,« setzte Oliver hinzu, »auf Sr. Majestät ausdrücklichen Befehl auf diesem Posten, junger Mann, und werdet nicht lange hier verweilen, bis Ihr erfahret, warum Ihr da seid. Mittlerweile möget Ihr in dem Zimmer auf und ab gehen. Ihr dürft auch stehen bleiben, wie es Euch gefallt, aber nicht niedersitzen, noch die Waffe beiseite legen. Laut singen oder pfeifen dürft Ihr gleichfalls nicht; aber Ihr möget, wenn's Euch gefällt, kirchliche Gebete hersagen, oder sonst etwas Anständiges vor Euch hinmurmeln. Lebt wohl denn, und haltet gute Wache.«

»Gute Wache!« dachte der junge Soldat, als sein Führer mit dem ihm eigenen geräuschlosen, schleichenden Schritte sich hinwegstahl und durch eine Seitentür hinter den Tapeten verschwand. – »Gute Wache! aber über wen und gegen wen? – denn mit was anderem, außer Fledermäusen und Ratten, gibt es hier zu kämpfen, wenn nicht diese grimmigen, alten Menschenbilder ins Leben treten, um meine Wache zu beunruhigen? – Dem sei nun, wie ihm wolle, es ist einmal meine Pflicht, und ich muß sie erfüllen.«

Mit dem kräftigen Vorsatze, seiner Pflicht nach aller Strenge zu genügen, suchte er sich durch das Singen einiger Lieder, die er in dem Kloster, worin er nach dem Tode seines Vaters Zuflucht gefunden, gelernt hatte, die Zeit zu vertreiben, indem er bei sich selbst dachte, daß, die Vertauschung des Novizenkleides gegen einen reichen militärischen Anzug abgerechnet, sein jetziger kriegerischer Spaziergang in der Galerie des Königs von Frankreich mit denen, welche ihn in der klösterlichen Abgeschiedenheit von Aberbrothock so gelangweilt hatten, sehr viel Aehnliches habe. Als wollte er sich selbst davon überzeugen, daß er jetzt nicht mehr der Zelle, sondern der Welt angehöre, sang er nicht lauter, als ihm verstattet war, einige von den alten, rauhen Balladen für sich hin, welche ihn der alte Familienharfner gelehrt hatte, über die Niederlage der Dänen vor Aberlemno und Forres, so wie über die Ermordung des Königs Duffus zu Forfor. Darüber verging ihm eine geraume Zeit; und es waren denn zwei Stunden des Nachmittags vorüber, als Quentin durch seine Eßlust erinnert wurde, daß die guten Väter von Aberbrothock, obgleich sie ihn strenge zur Beobachtung der Andachtsstunden anhielten, ihn doch gleichfalls auf die Stunde hin in das Speisezimmer abriefen, während man hier im Innern eines königlichen Palastes, nachdem er den lieben langen Morgen sich hatte herumtummeln müssen und sich einen guten Teil des Mittags im Dienste erschöpft hatte, es nicht natürlich finden wollte, daß er sich ungeduldig nach dem Mittagessen sehnte.

In sanften Tönen wohnt indessen ein Zauber, der auch die natürlichen Gefühle, von denen jetzt Quentin heimgesucht ward, in Schlaf zu lullen vermag. An den entgegengesetzten Enden der langen Halle oder Galerie befanden sich zwei große, mit schweren Architraven verzierte Türen, die wahrscheinlich in verschiedene Zimmerreihen führten, denen die Galerie zur wechselseitigen Verbindung diente. Als nun unsere Schildwache zwischen diesen zwei Eingängen, welche die Grenze seines Wachpostens bildeten, einsam hin und her ging, wurde er plötzlich von einer Tonweise überrascht, die sich dicht an einer dieser Türen hören ließ, und wenigstens in seiner Einbildungskraft eine Vereinigung derselben Laute und Stimme war, welche ihn tags zuvor in so hohem Grade bezaubert hatte. Alle Träume des gestrigen Tages, so sehr sie auch durch die Vorgänge, die indessen sein Gemüt in Anspruch genommen hatten, in den Hintergrund getreten sein mochten, erwachten mit neuer Lebendigkeit in seiner Seele, und eingewurzelt auf der Stelle, von der aus sein Ohr am bequemsten diese Töne einsaugen konnte, blieb Quentin, das Gewehr auf der Schulter, den Mund halb offen, Augen und Seele nach dem Orte gewandt, mehr als ein Gemälde einer Schildwache denn als ein belebtes Wesen stehen – ohne einen andern Gedanken, als den, so es möglich war, ja keinen Laut dieser himmlischen Melodie zu verlieren.

Diese entzückenden Töne konnten jedoch nur teilweise vernommen werden; sie wurden schwächer, zitternder, und erstarben endlich ganz; nur von Zeit zu Zeit erneuerten sie sich wieder in unbestimmten Zwischenräumen. Aber auch die Musik wird, gleich der Schönheit, oft nur um so entzückender, oder wenigstens um so anziehender, wenn sie ihre Reize nur teilweise enthüllt, und es der Einbildungskraft überlassen bleibt, das zu ergänzen, was wir aus der Ferne nur unvollkommen hören; so hatte denn Quentin Muße genug, seine Träumereien während der Zwischenräume der Bezauberung sich auszumalen. Nach dem, was er aus dem Munde der Kameraden seines Oheims vernommen, und dem Auftritt, der diesen Morgen in dem Audienzzimmer stattgefunden hatte, blieb ihm kein Zweifel mehr, daß die Sirene, welche sein Ohr also bezauberte, nicht, wie er freventlich geglaubt, die Tochter oder Verwandte eines elenden Schenkwirts, sondern die verkappte unglückliche Gräfin sei, um derentwillen Könige und Fürsten auf dem Punkte standen, sich in den Harnisch zu werfen und die Lanzen einzulegen. Hundert wilde Träume, wie sie die romantische, abenteuernde Jugend in einem romantischen, abenteuerlustigen Zeitalter nur zu gern näherte, entrückten seinem Auge die wirkliche vor ihm liegende Szene, und schoben dafür ihre eigenen irren Täuschungen unter, als sie auf einmal und zwar ziemlich unsanft verscheucht wurden durch einen gewaltsamen Griff an seine Waffe und eine rauhe Stimme, die ihm ins Ohr zurief: »Ha! Pasques-dieu! Herr Knappe, mich dünkt, Ihr haltet hier schlafende Wache!«

Die Stimme war die klanglose, aber ausdrucksvolle und ironische Meister Peters, und Quentin, der plötzlich zu sich selbst kam, sah mit Beschämung und Furcht, daß er, in seine Träume versunken, Ludwig selbst, der wahrscheinlich durch eine geheime Tür eingetreten und an der Wand oder hinter den Tapeten hingeschlichen war, sich so nahe hatte kommen lassen, daß er sich beinahe seiner Waffe bemeistert hätte.

Das erste, was er in seiner Ueberraschung tat, war, daß er sein Gewehr durch einen heftigen Ruck frei zu machen suchte, wodurch der König in den Saal zurücktaumelte. Seine nächste Besorgnis aber war, er möchte, indem er dem animalischen Instinkt, wie man es nennen kann, folgte, der den tapfern Mann antreibt, jedem Versuche zu einer Entwaffnung zu widerstehen, durch einen persönlichen Kampf mit dem Könige dessen Mißfallen über seine Nachlässigkeit im Dienste noch gesteigert haben; und von diesem Eindruck ergriffen, riß er sein Gewehr, ohne zu wissen, was er tat, wieder an sich, schulterte, und stand bewegungslos vor dem Monarchen, den er, wie er allen Grund zu haben glaubte, tödlich beleidigt hatte.

Ludwig, dessen tyrannisches Wesen weniger aus angeborener Wildheit oder Grausamkeit entsprang als aus kaltblütiger Politik und mißtrauischem Argwohn, hatte dennoch eine starke Zugabe kaustischer Strenge, die ihn auch zum Despoten im gewöhnlichen Umfang gemacht haben würde, und schien sich immer an der Verlegenheit anderer bei Gelegenheiten, wie die gegenwärtige war, zu weiden. Doch trieb er seinen Triumph nicht weiter, sondern begnügte sich, zu sagen: »Der Dienst, den Du uns diesen Morgen geleistet hast, hat bereits einige Nachlässigkeit bei einem jungen Soldaten vergütet. Hast Du zu Mittag gegessen?« Quentin, der eher geglaubt hätte, zum Generalprofoß gesandt, als auf solche Art angeredet zu werden, antwortete mit einem demütigen »Nein!« – »Armer Junge,« sprach Ludwig in einem sanfteren Tone, als er gewöhnlich pflegte, »der Hunger hat ihn lässig gemacht. – Ich weiß, Dein Appetit ist ein Wolf,« fuhr er fort; »und ich will Dich von einem wilden Tiere befreien, wie Du mir heute bei einem andern getan. Du hast Dich klug bei der Sache benommen, und ich weiß Dir Dank dafür. Kannst Du's noch eine Stunde ohne Nahrung aushalten?« – »Noch vierundzwanzig, Sire,« erwiderte Durward, »oder ich wäre kein echter Schotte.« – »Aber da wollte ich auch nicht um ein zweites Königreich die Pastete sein, die Dir nach solch einer Wache in die Hände fiele,« sagte der König; »allein es handelt sich jetzt nicht um Dein Mittagessen, sondern um das meinige. Ich habe heute insgeheim den Kardinal Balue und diesen Burgunder, diesen Grafen Crevecoeur, zu Tische; und wer kann wissen, was sich da zuträgt – der Teufel ist niemals geschäftiger, als wenn Feinde auf freundlichem Fuße zusammentreffen.« Er hielt inne, und schwieg mit einem tiefen, düstern Blicke. Als der König sich nicht beeilte fortzufahren, wagte es endlich Quentin, ihn zu fragen: Was nun in diesem Falle seine Obliegenheit wäre? – »Beim Schenktische mit geladenem Gewehr zu stehen,« sagte Ludwig, »und wenn es Verrat gibt, den Verräter sogleich niederzuschießen.« – »Verrat! Sire, und in diesem wohlbewachten Schlosse!« rief Durward aus. – »Du hältst das für unmöglich,« sagte der König, nicht beleidigt, wie es schien, durch diese Freimütigkeit. »Aber unsere Geschichte hat gelehrt, daß Verrat sich durch ein Bohrloch einschleicht. – Verrat durch Wachen ausgeschlossen! – o einfältiger Junge! – quis custodiat ipsos custodes? wer bürgt mir dafür, daß nicht eben diese Wächter an mir zu Verrätern werden?« – »Ihre schottische Ehre,« sagte Durward kecklich. –

»Wahr, sehr wahr – Du gefällst mir,« sagte der König freundlich; »die schottische Ehre hat sich zu jeder Zeit bewährt, und ich baue auf sie. Aber Verrat!« Hier verfiel er wieder in seine vorige düstere Stimmung und ging im Zimmer mit ungleichen Schritten auf und ab; – »er sitzt bei unsern Festen, perlt in unserem Becher, trägt den Bart unserer Räte, lacht in der Miene des Höflings, schallt in dem wilden Gelächter des Hofnarren – vor allem aber liegt er hinter der freundlichen Miene eines versöhnten Feindes verborgen. Ludwig von Orleans traute Johann von Burgund – er ward in der Straße Barbette ermordet. Johann von Burgund traute der Orleansschen Partei – und wurde auf der Brücke von Montereau ermordet. Ich traue niemandem – niemandem. Höre! ich werde ein scharfes Auge auf diesen übermütigen Grafen haben; ja – auch auf den geistlichen Herrn, dem ich ebenfalls nicht allzusehr traue. Wenn ich sage, Ecosse, enavant , so schießt Du den Grafen Crevecoeur nieder.« – »Es ist meine Pflicht,« sagte Ouentin, »wenn Ew. Majestät Leben in Gefahr ist.«

»Gewiß – nicht anders mein' ich's auch,« sagte der König. »Was hätt ich wohl davon, wenn ich diesen ungeschlachten Soldaten aus der Welt schaffte? – Ja, wäre es der Großkonnetable aus Saint-Paul!« Hier machte er wieder eine Pause, gleich als ob er glaubte, ein Wort zu viel gesagt zu haben, fuhr aber dann lächelnd fort – »unser Schwager von Schottland, Euer Jakob, Quentin – der erdolchte den Douglas bei einem gastfreundlichen Besuche auf seinem eigenen Schlosse Skirling.«

»Stirling,« entgegnete Quentin, »wenn Ew. Majestät zu Gnaden halten; es war eine Tat, von der wenig Gutes kam.«

»Stirling nennt Ihr das Schloß?« fügte der König, indem er die letzten Worte Quentins überhört zu haben schien. – »Gut, also Stirling – der Name tut nichts zur Sache. Ich aber will diesen Männern nichts zuleide tun. – Es würde mir zu nichts dienen. Sie sind freilich nicht gut gegen mich gesinnt. – Ich verlasse mich auf Deine Waffe.«

»Ich werde bereit sein auf das Losungszeichen,« sagte Quentin, »aber –«

»Du hast noch etwas auf dem Herzen,« fragte der König. »Sprich es aus – ich gebe Dir volle Erlaubnis. Leute, wie Du, geben oft Winke, die sich wohl der Rede verlohnen.«

»Ich wollte mir nur die Freiheit nehmen, zu bemerken,« versetzte Quentin, »daß, da Ew. Majestät Gründe hat, diesem Burgunder nicht zu trauen, ich mich wundere, wie Ihr ihn Euch so nahe kommen laßt, und noch dazu in so kleiner Gesellschaft.«

»Laßt das gut sein, Herr Knappe,« sagte der König. »Es gibt Gefahren, die, wenn man ihnen trotzt, verschwinden, wenn man aber Furcht vor ihnen zeigt, gewiß und unvermeidlich werden. Gehe ich dreist auf einen knurrenden Bullenbeißer zu und liebkose ihn, so wett ich zehn gegen eins, daß ich ihn in gute Laune bringe; zeige ich Furcht vor ihm, gleich ist er mir auf dem Leibe und reißt mich in Stücke. Ich will frei mit Dir sprechen. – Es liegt mir alles daran, daß dieser Mann nicht in gereizter Stimmung zu seinem hitzköpfigen Herrn zurückkehrt; und deswegen setze ich mich einiger Gefahr aus. Nie hab ich mich bedacht, für meines Reiches Wohl mein Leben aufs Spiel zu setzen. – Folge mir!«

Ludwig führte seinen jungen Trabanten, für den er eine besondere Vorliebe gefaßt zu haben schien, durch die Seitentür, durch die er selbst eingetreten war, und sagte, auf sie hindeutend: »Wer am Hofe fortkommen will, muß alle geheimen Pförtchen und verborgenen Treppen, ja alle Fußschlingen und Fallgruben des Palastes sowohl, als die Haupteingänge, Flügeltüren und Portale kennen.«

Nach vielen Wendungen und Gängen trat der König in ein kleines, gewölbtes Gemach ein, wo eine Tafel mit drei Gedecken zum Mittagessen in Bereitschaft stand. Der ganze Hausrat, sowie die ganze Einrichtung des Gemaches war äußerst einfach, ja beinahe dürftig. Auf einem beweglichen Schenktische mit einem Aufsatze zum Zusammenlegen standen einige wenige Gefäße aus Gold und Silber – die einzigen Stücke, in dem Zimmer, die einigermaßen wenigstens das Ansehen von etwas Königlichem hatten. Hinter diesem Schenktische nun, und ganz von ihm verdeckt, war der Posten, den Ludwig Quentin anwies; und nachdem er sich von verschiedenen Seiten her überzeugt hatte, daß er dort durchaus nicht gesehen werden konnte, gab er ihm noch schließlich seine Verhaltungsbefehle. – »Gedenke der Worte: Ecosse, en avant! Sobald ich diese Worte ausspreche, wirfst Du den Schirm um, kehrst Dich nicht an Becher oder Schalen, und zielst gut auf Crevecoeur. – Versagt Dir Dein Gewehr, so wirfst Du Dich auf ihn und bedienst Dich Deines Messers – Oliver und ich wollen dann schon mit dem Kardinal fertig werden.«

Als er so gesprochen, pfiff er laut, und Oliver, der sowohl erster Kammerdiener als Barbier war und alle persönlichen Dienstleistungen bei dem Könige versah, trat in Begleitung zweier alter Männer, der einzigen Diener oder Aufwärter bei der königlichen Tafel, in das Zimmer ein. Sobald der König seinen Platz eingenommen hatte, wurden die Gäste eingelassen; und Quentin, obgleich selbst ungesehen, konnte alle Einzelheiten dessen, was unter ihnen vorging, genau beobachten.

Der König hieß seine Gäste mit einer Herzlichkeit willkommen, die Quentin sehr schwer vereinigen konnte mit den Befehlen, die er soeben noch bekommen hatte, sowie mit der Absicht, um deren willen er hinter dem Schenktische mit seiner tödlichen Waffe in Bereitschaft stand. Der König schien nicht allein ganz frei von aller Besorgnis zu sein, sondern man hätte auch glauben sollen, daß die Gäste, denen er die hohe Ehre erwies, sie an seine Tafel zu ziehen, gerade diejenigen wären, denen er aufs rücksichtsloseste vertrauen könnte, und die er am liebsten ehrte. Nichts konnte würdiger und zugleich verbindlicher sein, als sein Betragen gegen sie. Während alles um ihn her, selbst seine eigene Kleidung, weit unter dem stand, was der unbedeutendste Fürst seines Reichs bei Festlichkeiten zur Schau trug, waren seine Sprache und sein Benehmen die eines mächtigen Herrschers in seiner herablassendsten Stimmung. Quentin war versucht, zu glauben, daß entweder die ganze vorhergegangene Unterhaltung mit Ludwig ein Traum gewesen sei, oder daß das ehrerbietige Benehmen des Kardinals, sowie die freie, offene, ritterliche Haltung des burgundischen Edelmannes des Königs Verdacht gänzlich entfernt habe.

Während indessen die Gäste auf das Ersuchen des Königs an der Tafel Platz nahmen, warf Se. Majestät einen durchdringenden Blick auf beide und richtete ihn dann sogleich auf Quentins Posten. Alles dies war ein Werk eines Augenblicks; allein in diesem Blicke lag soviel Zweifel und Haß gegen seine Gäste, und ein so bestimmter Befehl an Quentin, auf alles wachsam und stets zur Vollstreckung seines Willens bereit zu sein, daß ihm kein Zweifel mehr übrig blieb, die Gesinnungen des Königs seien noch die nämlichen, und seine Besorgnisse ungemindert. Er war deshalb mehr denn je darüber erstaunt, wie dieser Fürst die Anregungen seines Argwohns und Mißvertrauens in einen so dichten Schleier verhüllen konnte.

Gleich als hätte er völlig vergessen, welche Sprache Crevecoeur gegen ihn angesichts Ludwigs und des ganzen Hofes geführt hatte, unterhielt sich der König mit ihm über die alten Zeiten und die Vorfälle, die sich während seiner Verbannung auf dem burgundischen Gebiete begeben hatten, und erkundigte sich nach allen Edelleuten, mit denen er damals Umgang gepflogen hatte, als ob jene Zeit die glücklichste seines Lebens gewesen wäre, und als ob er gegen alle, die dazu beigetragen, ihm das Harte seiner Verbannung zu mildern, die wohlwollendsten und dankbarsten Gefühle hegte.

»Den Gesandten einer andern Nation würde ich mit mehr Prunk empfangen haben; aber einem alten Freunde, der auf dem Schlosse Gemappes mein Tischgenosse war, wünschte ich mich zu zeigen, wie ich es am liebsten habe, als den alten Ludwig von Valois, schlicht und einfach. Indessen habe ich doch befohlen, ein besseres Mahl für Euch, Herr Graf, zu bereiten. Was den Wein betrifft, so wißt Ihr wohl, daß er der Gegenstand alter Eifersucht zwischen Frankreich und Burgund ist, aber wir wollen's heute ausgleichen! – ich trinke Euch in Burgunder zu, und Ihr, Herr Graf, tut mir in Champagner Bescheid. – Hier, Oliver, reicht mir einen Becher Auxerre! Herr Graf, ich trinke auf das Wohl des edlen Herzogs von Burgund, unsers freundlichen und geliebten Vetters. – Oliver, fülle jenen goldenen Becher mit Goldperle und reiche ihn kniend dem Grafen – er vertritt unsern lieben Bruder. – Herr Kardinal, Euch füllen wir den Becher selbst.«

»Ihr habt es ja schon getan, bis zum Ueberfließen,« sprach der Kardinal mit der demütigen Miene eines Günstlings gegen seinen nachsichtigen Gebieter.

»Wir wissen aber auch, daß Ew. Eminenz ihn mit fester Hand führen kann,« sagte Ludwig. »Auf welche Seite schlagt Ihr Euch denn in diesem edlen Streit – Sillery oder Auxerre, Frankreich oder Burgund?«

»Ich will da neutral bleiben, Sire,« sprach der Kardinal, »und meinen Becher mit Auvergner füllen.«

»Der Neutrale hat immer einen schweren Stand,« versetzte der König; allein als er bemerkte, daß der Kardinal sich etwas entfärbte, ging er von dem Gegenstande ab und fügte hinzu: »Ihr zieht vielleicht den Auvergner vor, weil er so edel ist, daß er kein Wasser verträgt. – Aber Ihr, Herr Graf, zögert, Euern Becher zu füllen. Ich hoffe, Ihr habt keine Nationalbitterkeit auf dem Boden gefunden?«

»Ich wünschte, Sire,« entgegnete Graf Crevecoeur, »es könnten alle Nationalstreitigkeiten so freundlich abgemacht werden, wie der Wettstreit zwischen unsern Weinbergen.«

»Mit der Zeit, Herr Graf – mit der Zeit – soviel Zeit, als Ihr Euch genommen habt, diesen Champagnertrunk zu tun. Jetzt aber, da dies geschehen ist, tut mir den Gefallen, den Becher zu Euch zu stecken und ihn als Zeichen unserer Wertschätzung anzunehmen. Nicht jedem würden wir ihn überlassen haben. Er gehörte vor Zeiten dem Schrecken Frankreichs, Heinrich V. von England, und ward erbeutet, als Rouen wieder genommen ward und die Insulaner durch die vereinten Waffen von Frankreich und Burgund aus der Normandie vertrieben wurden. Er kann in keine besseren Hände kommen, als in die eines edlen, tapferen Burgunders, der wohl weiß, daß von der Vereinigung dieser beiden Nationen die Fortdauer der Unabhängigkeit des Festlandes vom englischen Joche abhängt.«

Der Graf gab eine passende Antwort, und Ludwig überließ sich nun ganz seiner satirischen Lustigkeit, die manchmal die dunkleren Seiten seines Charakters erhellte. Er gab natürlicherweise in der Unterhaltung den Ton an; seine Bemerkungen waren immer fein und beißend, oft wirklich witzig, aber selten gutmütig, und die Schwänke, mit denen er sie erläuterte, zeugten oft mehr von guter Laune, als von Zartgefühl, aber mit keinem Worte, keiner Silbe, keinem Zuge verriet er den Gemütszustand eines Mannes, der, Meuchelmord befürchtend, einen bewaffneten Soldaten mit geladenem Gewehr im Zimmer versteckt hält, um die Tat entweder zu verhindern oder ihr zuvorzukommen. Graf Crevecoeur ging ganz unbefangen in des Königs muntre Laune ein, während der geschmeidige, glattzüngige Priester jeden Scherz belachte und jede schlüpfrige Anspielung aufgriff, um sie noch weiter auszumalen, ohne irgend eine Scham über Ausdrücke an den Tag zu legen, welche dem jungen, unerfahrenen Schotten sogar in seinem Schlupfwinkel die Schamröte ins Gesicht trieben. Nach ungefähr anderthalb Stunden ward die Tafel aufgehoben, und nachdem der König seine Gäste höflich verabschiedet hatte, gab er das Zeichen, daß er allein zu sein wünsche.

Sobald sich alle, auch Oliver, zurückgezogen hatten, rief er Quentin aus seinem Verstecke hervor, allein mit so schwacher Stimme, daß der Jüngling kaum glauben konnte, daß es die nämliche sei, die soeben noch den Scherzen solche Frische, den Erzählungen soviel Würze verliehen hatte. Als er näher trat, bemerkte er auch in seinem Gesichte die gleiche Veränderung. Das Feuer erkünstelter Lebhaftigkeit war in seinen Augen erloschen, das Lächeln von seinen Lippen verschwunden, und er verriet ganz die Ermattung eines berühmten Schauspielers, wenn er die erschöpfende Darstellung einer Lieblingsrolle vollendet hat.

»Deine Wache ist noch nicht vorüber,« sagte er zu Quentin, »nimm indessen einige Erfrischungen zu Dir – jener Wandtisch dort beut Dir die Mittel dazu. – Ich werde Dich dann weiter unterrichten, was Du zu tun hast. – Einem hungrigen Magen ist nicht gut predigen.«

Damit warf er sich in seinen Sessel zurück, bedeckte seine Augen mit der Hand und schwieg.


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