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Vierzig Bewaffnete, von denen die einen nackte Schwerter, die andern brennende Fackeln trugen, dienten dem König Ludwig zur Bedeckung oder vielmehr zur Wache auf seinem Wege von der Halle des Stadthauses von Peronne bis zu dem Schlosse; und als er in diese dunkle, finstere Wohnung trat, war es ihm, als riefe ihm eine Stimme die Dantesche Warnung ins Ohr: »Ihr, die Ihr eintretet, laßt alle Hoffnung draußen!«
In diesem Augenblicke hätten vielleicht Gewissensbisse den König ergreifen können, wenn er an die Hunderte, ja Tausende gedacht hätte, die er ohne Grund oder auf den leisesten Verdacht hin in den Kerker geworfen hatte, wo sie, aller Hoffnung auf Freiheit beraubt, selbst das Leben verwünschten, woran doch jedes Geschöpf instinktartig hängt. Der breite Glanz der Fackeln, heller als der im Abnehmen begriffene Mond, und der rote, halb vom Rauch verdunkelte Schein, den sie rings um das alte Gebäude warfen, gaben dem gewaltigen Hubertusturme ein düsteres Ansehen. Auf dem Schloßhof lagen ein paar Leichen, über die man in der Eile Soldatenmäntel geworfen hatte. Es waren schottische Bogenschützen, die sich dem Befehle, den Posten vor des Königs Gemächern zu verlassen, widersetzt hatten; hierüber war es zwischen ihnen und der wallonischen Leibwache des Herzogs zum Handgemenge gekommen.
»Meine treuen Schotten!« rief der König, in den traurigen Anblick versunken; »wäre Mann gegen Mann gestanden, ganz Flandern und Burgund hätte ihnen keine gleichen Kämpfer entgegenstellen können.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis,« sprach Balafré, der dicht hinter dem König herschritt, »viele Hunde sind des Hasen Tod; wenig Männer können es mit mehr als zweien zugleich aufnehmen.« – »Bist Du auch da, alter Freund?« fragte der König, sich umblickend. »Nun, so hab' ich doch noch einen treuen Untertanen bei mir.« – »Und auch einen treuen Diener, sowohl bei Euern Beratungen, als bei dem Dienste um Eure königliche Person,« flüsterte Oliver le Dain ihm zu. – »Wir sind alle treu,« sprach Tristan l'Hermite mürrisch, »denn sollten sie Ew. Majestät das Leben nehmen, so würden sie auch uns nicht lange mehr am Leben lassen, wenn wir auch Lust dazu hätten.« – »Nun, das nenne ich eine echt leibliche Bürgschaft für die Treue,« sagte der burgundische Hofnarr, der sich in ihre Gesellschaft eingedrängt hatte.
Mittlerweile bemühte sich der eiligst herbeigerufene Seneschall, den gewichtigen Schlüssel umzudrehen, der das widerstrebende Tor des gewaltigen gotischen Gebäudes schloß, sah sich aber genötigt, einen von Crevecoeurs Leuten zu Hilfe zu nehmen. Hierauf schritten sechs Männer mit Fackeln durch das Tor und einen engen krummen Gang entlang, der auf verschiedenen Punkten von Schießscharten, die man in den Wölbungen und Fenstern der massiven Mauern angebracht hatte, bestrichen wurde. Am Ende dieses Ganges erhob sich eine Treppe von ebenso plumper Bauart, die aus gewaltigen Steinblöcken bestand, und von ungleicher Höhe mit dem Hammer aus dem Groben gearbeitet war. Auf ihr gelangte man durch eine starke, mit Eisen beschlagene Tür in das Gemach, das man die große Turmhalle nannte. Sie war auch am Tage nur spärlich erleuchtet; denn die Oeffnungen in der dicken Mauer glichen mehr Spalten als Fenstern, so daß ohne den Schein der Fackeln dichte Finsternis in der Halle geherrscht haben würde. Ein paar Fledermäuse flogen gegen die Lichter. Der Seneschall entschuldigte sich mit großer Förmlichkeit bei dem Könige, daß die Staatshalle nicht in Ordnung gebracht worden sei, allein der Befehl sei ihm zu eilig gekommen und das Gemach sei seit zwanzig Jahren nicht mehr gebraucht worden, überhaupt nur selten, wie er gehört habe, seit den Zeiten König Karls des Einfältigen.
»König Karls des Einfältigen!« wiederholte Ludwig, »nun fällt mir die Geschichte des Turmes bei; – hier wurde er von seinem verräterischen Vasallen, dem Grafen Herbert von Vermandois, ermordet, wie unsere Jahrbücher berichten.« – »Nicht eigentlich auf dieser Stelle, mit Ew. Majestät Erlaubnis,« sagte der alte Seneschall, indem er mit der geschäftigen Eile eines Cicerone, der die Merkwürdigkeiten eines Platzes zu zeigen hat, weiter ging; »nicht hier, sondern in dem Seitenzimmer etwas weiterhin, das an Ew. Majestät Schlafgemach stößt.« Er öffnete schnell eine kleine Tür am obern Ende der Halle. Sie führte in ein Schlafzimmer, das, wie man es in solchen alten Gebäuden häufig trifft, sehr klein, aber eben darum auch heimlicher war als die weite Halle, durch die sie soeben gegangen waren.
Man hatte hier in der Eile einige Anstalten zu des Königs Bequemlichkeit getroffen: Tapeten aufgehangen, in dem rostigen Kamine ein Feuer angezündet und ein Feldbett für diejenigen Leute aufgeschlagen, die nach damaliger Sitte die Nacht in dem königlichen Schlafzimmer zubringen sollten.
»Wir werden für Euer übriges Gefolge in der Halle Betten herrichten lassen – wär' es Ew. Majestät gefällig, einen Blick auf das kleine Pförtchen hinter der Tapete zu werfen? es führt zu dem kleinen Kabinett, wo Karl ums Leben gebracht wurde. Hier ist ein geheimer Zugang von unten, durch den die Leute heraufkamen; Ew. Majestät Augen sind hoffentlich noch besser als die meinigen, so daß sie die Blutflecken auf dem eichenen Boden noch sehen können, obgleich schon fünfhundert Jahre seit diesem Ereignisse verflossen sind.« Dabei tappte er umher, das Pförtchen zu öffnen, bis der König sagte: »Laß es gut sein, alter Mann; warte noch ein Weilchen, dann kannst Du vielleicht eine neuere Geschichte erzählen und frischere Blutflecken aufzuweisen bekommen. Was meint Ihr, Herr Graf Crevecoeur?« – »Ich kann Euch bloß versichern, Sire, daß diese zwei inneren Gemächer ebenso zu Ew. Majestät Verfügung sind, wie die in Eurem eigenen Schlosse zu Plessis, und daß Crevecoeur, ein Name, der nie durch Verräterei oder Meuchelmord befleckt ward, mit der äußeren Wache beauftragt ist.« – »Aber der geheime Gang in das Kabinett, von dem der alte Mann spricht?« fragte König Ludwig in leisem, ängstlichem Tone, indem er mit der einen Hand Crevecoeurs Arm ergriff und mit der andern auf das Pförtchen deutete. – »Das hat Mornay geträumt,« sagte Crevecoeur, »oder es ist eine alte abgeschmackte Sage von dem Orte; – aber wir wollen die Sache untersuchen.«
Er wollte eben die kleine Tür öffnen, als Ludwig ihn mit den Worten zurückhielt: »Nein, Crevecoeur, nein! – Eure Ehre ist mir hinlänglich Bürge. – Allein was will Euer Herzog mit mir vornehmen, Crevecoeur? Er wird mich doch nicht lange gefangen halten wollen? Mit einem Wort – saget mir Eure Meinung hierüber, Crevecoeur.« – »Sire!« versetzte der Graf, »wie der Herzog von Burgund diese schreckliche, an seinem nahen Verwandten und Verbündeten verübte Greueltat aufnehmen muß, kann Ew. Majestät selbst beurteilen; mit welchem Rechte er sie durch Euch oder vielmehr Eure Sendlinge angestiftet wähnt, könnt nur Ihr wissen. Mein Gebieter besitzt indessen ein edles Gemüt und ist selbst im heftigsten Zorne jeder hinterlistigen Handlung unfähig; – was er auch immer tun mag, er wird es am hellen Tageslicht und angesichts der beiden Nationen tun, und ich kann nur hinzufügen, daß es der Wunsch aller seiner ihn umgebenden Räte – einer vielleicht ausgenommen – ist, daß er in dieser Angelegenheit mit Milde und Großmut sowie mit Gerechtigkeit verfahren möge.« – »Ach, Crevecoeur,« sagte Ludwig, indem er seine Hand faßte, als werde er von peinlichen Erinnerungen bestürmt, »wie glücklich ist doch der Fürst, der Ratgeber um sich hat, die ihn gegen die Ausbrüche der eigenen Leidenschaften bewahren! O, wäre es mir vom Schicksal vergönnt gewesen, Männer, wie Du bist, um mich zu haben!« – »Es wäre ja immer Ew. Majestät Bestreben, solche Männer schnell wieder los zu werden,« bemerkte der Hofnarr. – »Aha! ist die Weisheit auch da?« sagte Ludwig, indem er sich umwandte und den pathetischen Ton, in welchem er mit Crevecoeur gesprochen hatte, plötzlich mit einem humoristischen vertauschte; – »Bist Du uns hier gefolgt?« – »Ja, Sire,« antwortete le Glorieux, »die Weisheit muß in bunter Narrentracht folgen, wo die Torheit in Purpur vorangeht.« – »Wie soll ich das verstehen, Herr Salomo?« antwortete Ludwig, – »willst Du mit mir tauschen?« – »Nein, bei allem was heilig ist,« sprach le Glorieux, »und wolltet Ihr mir auch noch fünfzig Kronen in Kauf geben.« – »Wie, warum denn nicht? – mich dünkt, wie die Fürsten heutzutage sind, könnte ich wohl zufrieden sein, Dich zu meinem Könige zu haben.« – »Ja, Sire,« erwiderte le Glorieux, »aber die Frage ist die, ob ich, nach Ew. Majestät jetziger Wohnung zu urteilen, mich nicht schämen müßte, einen so dummen Narren zu haben.« – »Schweig, Bursche,« sagte Graf Crevecoeur, »Deine Zunge geht mit Dir davon.« – »Laßt ihn gewähren,« sagte der König; »ich kenne keinen besseren Gegenstand des Spottes, als die Torheiten derer, die bessere Einsicht haben sollten. – Hier, mein kluger Freund, nimm diese Geldbörse und mit ihr meinen Rat, niemals ein so großer Narr zu sein, daß Du Dich weiser dünkst als andere Menschenkinder. Jetzt aber sei so gut und erkundige Dich nach meinem Sterndeuter Martius Galeotti. Sobald Du ihn gefunden, schicke ihn zu mir.« – »Auf der Stelle, gnädigster Herr,« antwortete der Spaßmacher; »ich wette zehn gegen eins, der sitzt beim Jan Doppelthur; denn Philosophen wissen so gut wie Narren, wo man den besten Wein feil hat.« – »Vergönnt gefälligst diesem hochgelehrten Manne den freien Zutritt zu mir, Graf Crevecoeur,« sagte Ludwig. – »Sein Zutritt zu Euch hat keine Schwierigkeiten,« antwortete der Graf, »aber es tut mir leid, hinzufügen zu müssen, daß ich, meinen Instruktionen gemäß, niemand gestatten kann, Euer Majestät Gemächer wieder zu verlassen. – Ich wünsche Ew. Majestät eine gute Nacht und werde sogleich in der äußeren Halle Anstalten treffen lassen, um den Herren, die sie bewohnen sollen, größere Bequemlichkeit zu verschaffen.« – »Gebt Euch deshalb keine Mühe, Herr Graf,« erwiderte der König, »sie sind gewohnt, mit Beschwerlichkeit sich abzufinden, zudem möchte ich außer Galeotti heute nacht niemand um mich sehen.«
Graf Crevecoeur beurlaubte sich, und kurz darauf konnte man das Geräusch der Schildwachen vernehmen, die auf ihre Posten zogen. Endlich war alles still, so daß nur das leise Gemurmel der unter den Mauern des Schlosses träge schleichenden Somme zu hören war. »Geht in die Halle, Freunde,« sagte Ludwig zu seinem Gefolge, »aber legt euch nicht zum Schlafe nieder. Haltet euch bereit, denn es gibt heute nacht noch Arbeit für euch, und zwar augenblicklich!« Oliver und Tristan zogen sich demzufolge in die Halle zurück, wo Balafré mit den beiden Unterbeamten des Generalprofoßen geblieben war, hüllten sich in ihre Mäntel und warfen sich auf die Dielen. Mittlerweile empfand ihr Gebieter in der Abgeschiedenheit seines einsamen Schlafgemachs Qualen, die man als Strafe für all das Ungemach ansehen konnte, das er anderen so oft schon zugefügt hatte. Mit kurzen, ungleichen Schlitten wandelte er in dem Zimmer auf und nieder, stand oft still, schlug die Hände zusammen und gab sich einer Gemütsstimmung hin, die er vor den Augen der Welt meisterhaft zu verbergen gewußt hatte. Endlich blieb er, die Hände ringend, vor dem Pförtchen stehen, das ihm der alte Mornay als Eingang zu dem Schauplatz der Ermordung eines seiner Vorfahren bezeichnet hatte, und machte allmählich seinen Empfindungen in einem abgebrochenen Selbstgespräche Luft ... »Karl der Einfältige! – Karl der Einfältige! – Wie wird die Nachwelt Ludwig XI. nennen, dessen Blut wahrscheinlich die Flecken des seinigen auffrischen wird? Ludwig der Tor – der Alberne – Ludwig der Betörte – alles Ausdrücke, noch viel zu schwach, meine grenzenlose Dummheit zu bezeichnen! – Dieser Blödsinn, die hitzköpfigen Lütticher, denen Empörung so notwendig ist als das tägliche Brot, würden ruhig bleiben; – dieser Irrwahn, das wilde Tier der Ardennen lasse sich auch nur einen Augenblick in seiner viehischen Mordlust hemmen – diese Narretei, bei Karl von Burgund würden irgend einmal Gründe der Vernunft und Klugheit anschlagen, dreifacher Tor, der ich war! – Aber der niederträchtige Martius soll mir nicht entschlüpfen! – Er ist an allem schuld – er und der schändliche Priester, der verabscheuungswürdige Balue! Sollt ich je wieder dieser Gefahr entkommen, so will ich ihm den Kardinalshut vom Kopfe reißen, und sollt' auch das Gehirn dran hängen bleiben! Allein den andern Verräter hab ich in den Händen. – Noch bin ich König genug, um an einem Quacksalber, einem lügenhaften Sterngucker, einem schändlichen Betrüger Strafe zu nehmen, der mich mit einemmal zum Narren und zum Gefangenen gemacht hat! Die Konjunktur der Konstellationen – ja, die Konjunktur! Unsinn schwatzt er, der kaum einen dreifach gesottenen Schafskopf hinters Licht geführt hätte, und ich muß Narr genug sein, mir einzubilden, ich verstände ihn! Allein wir wollen bald sehen, was die Konjunktur der Konstellationen wirklich bedeutet! – Doch zuvor muß ich meine Andacht verrichten.« Ueber der kleinen Tür befand sich, vielleicht zur Buße der Untat, die hinter ihr verübt worden, eine kleine Nische, in der ein in Stein gehauenes Kruzifix angebracht war. Auf dieses Bild heftete der König sein Auge, wie wenn er niederknien wollte; aber plötzlich hielt er inne, als hielte er es für unbesonnen, sich dem Bilde zu nähern, ehe er sich der Fürsprache irgend eines ihm günstigen Heiligen versichert hätte, wandte sich von dem Kruzifix ab und wählte von den Bildern um seinen Hut das der heiligen Jungfrau von Clery aus, kniete vor ihm nieder und betete: »Süße Frau Clery! gebenedeite Mutter der Gnaden, die Du allmächtig bist mit dem Allmächtigen, habe Mitleid mit mir armen Sünder! Zwar hab ich Dich oft verabsäumt über Deiner gebenedeiten Schwester von Embrun; allein ich bin der König, – meine Macht ist groß, mein Reichtum unermeßlich. Wäre es auch anders, eher würde ich meinen Untertanen doppelte Kopfsteuer auflegen, als daß ich Euch beiden meine Schuld nicht abtragen sollte. Zerbrich diese eisernen Türen – fülle sie aus, diese furchtbaren Gräben und leite mich, wie eine Mutter ihr Kind leitet, aus dieser drohenden Gefahr! Hab ich Deiner Schwester den Oberbefehl über meine Garden gegeben, so soll die große, reiche Provinz Champagne Dein sein, und ihre Weinberge sollen ihren Ueberfluß in Deine Klöster ergießen. Zwar hatte ich die Champagne meinem Bruder Karl versprochen; aber der ist, wie Du weißt, jetzt tot – vergiftet von dem schändlichen Abte von Angely, den ich, wenn ich das Leben behalte, zur Strafe ziehen will! Ich versprach Dir dies schon einmal, aber diesmal will ich gewiß Wort halten. Wenn ich Kenntnis von diesem Verbrechen hatte, so glaube, teuerste Schutzfrau, daß es bloß deshalb verübt wurde, weil ich keine bessere Art und Weise kannte, die Unruhen in meinem Reiche zu dämpfen. Rechne mir also die alte Schuld nicht heute zu, sondern sei, wie Du immer warst, mild, wohlwollend und zur Versöhnung geneigt. Süßeste Frau, bitte für mich bei Deinem Sohne, daß er mir alle vergangenen Sünden vergebe, und eine – eine kleine Tat, die ich diese Nacht noch begehen muß – eine Sünde ist es nicht, teuerste Frau von Clery, – keine Sünde, sondern eine im stillen vollzogene Handlung der Gerechtigkeit; denn der Bösewicht ist der größte Betrüger, der je einem Fürsten Falschheit ins Ohr geflüstert hat. Er ist Deines Schutzes nicht würdig; denn er ist ein Heide! überlaß ihn mir und betrachte das, was ich vor habe, als ein gutes Werk. Sieh! Hier knüpf ich mein königliches Siegel an Dein Bild, zum Zeichen, daß ich betreffs der Grafschaft Champagne Wort halten werde, und daß ich Dich wegen einer Blutschuld nie wieder angehen will, da ich weiß, daß Du ein so mildes, sanftes und weiches Herz hast.«
Als der König solchermaßen sein Gewissen erleichtert oder vielmehr gleich einem Grabe übertüncht hatte, steckte er seinen Kopf zur Tür hinaus und rief Balafré ins Zimmer. »Mein wackrer Krieger,« sagte er, »Du hast mir lange gedient und Du bist nur wenig befördert worden. Heute handelt es sich hier für mich um Leben und Tod; aber ich möchte doch nicht gern als Undankbarer sterben und einen Freund unbelohnt, wie einen Feind ungestraft zurücklassen. Nun habe ich einen Freund zu belohnen – und das bist Du – und einen Feind gebührendermaßen zu züchtigen, und das ist der schändliche, verräterische Martius Galeotti, der mich durch seine Betrügereien und Vorspiegelungen hierher in die Gewalt meines Todfeindes gebracht hat, mit dem festen Vorsatze, mich zu verderben, wie ein Fleischer ein Stück Vieh zur Schlachtbank treibt.« – »Dafür will ich ihn zum Zweikampf herausfordern,« versetzte Balafré, »und Ihr sollt sehen, wie ich für Euer Recht fechten und an diesem Philosophen Rache nehmen will.« – »Ich lobe Deine Tapferkeit und Dienstergebenheit,« sagte der König, »aber dieser verräterische Bube weiß auch die Waffen gut zu führen, und ich möchte nicht gern Dein Leben aufs Spiel setzen, tapferer Krieger.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis, ich wäre wohl kaum ein tapferer Krieger,« sagte Balafré, »wenn ich nicht wagte, es mit einem Manne, wie diesem, aufzunehmen.« – »Und dennoch,« sagte der König, »ist es nicht unser Wille, Dich einer Gefahr auszusetzen. Der Verräter kommt auf unsern Befehl hierher. Wir wünschen, daß Du, sobald Du Gelegenheit finden kannst, Dich an ihn machst und ihm eins unter die fünfte Rippe versetzest. – Verstehst Du mich?« – »Wohl versteh ich Euch,« antwortete Balafré; »aber mit Ew. Majestät Erlaubnis, auf solche Sache verstehe ich mich gar nicht. Ich könnte keinen Hund töten, der mich nicht selbst angefallen hätte.« – »Du wirst doch nicht auf Zartgefühl Anspruch machen?« sagte der König; »nachdem Du bei Sturm und Belagerung immer der erste gewesen?«
»Gnädigster Herr,« antwortete Balafre, »nie habe ich, das Schwert in der Hand, Eure Feinde gescheut noch geschont. Ein Sturm ist ein verzweifelt Ding und bringt Gefahren mit sich, die einem das Blut erhitzen, daß es, beim heiligen Andreas, immer ein paar Stunden zur Abkühlung braucht. Doch Gott wird armen Soldaten gnädig sein, denen die Gefahr den Kopf verrückt, und die dann der Sieg vollends gar von Sinnen bringt. Allein was Ew. Majestät verlangt, liegt außer meinem Wege; drum laßt den Sterndeuter, wenn er ein Verräter ist, den Tod eines Verräters sterben – aber damit mag ich nichts zu tun haben. Ew. Majestät hat hierfür den Generalprofoß, der taugt besser dazu, diese Sache abzumachen, als ein schottischer Edelmann von meiner Herkunft.« – »Du hast recht,« sagte der König, »laß das also ruhen. Sobald aber hinter Galeotti sich die Tür geschlossen hat, so trittst Du unter Waffen und bewachst den Eingang des Zimmers. Laß keinen Menschen herein, – das ist alles, was ich von Dir verlange. So gehe, schicke mir den Generalprofoß.«
Balafré verließ das Zimmer, und Tristan l'Hermite trat sogleich ein.
»Willkommen, Gevatter,« sagte der König, »was hältst Du von unserer Lage?« – »Was ich von Leuten halte, die dem Tode geweiht sind,« versetzte der Generalprofoß, »wenn nicht noch einiger Aufschub von dem Herzog kommt,« – »Aufschub oder nicht! Der uns in die Falle gelockt hat, soll uns als Fourier vorangehen in die andere Welt, um dort Quartier für uns zu machen,« versetzte der König mit hämischem, grinsendem Lächeln. »Tristan, Du hast schon manchen Akt der Gerechtigkeit für mich vollzogen – Du mußt mir bis ans Ende treu bleiben.« – »Das will ich auch, gnädigster Herr,« sagte Tristan; »ich bin zwar nur ein schlichter, einfacher Mensch, aber ich bin dankbar. Ich werde meine Schuldigkeit innerhalb dieser Wände so gut tun, als anderswo; und solange ich lebe, soll Ew. Majestät leisestes Wort ebenso kräftig ein Todesurteil sprechen, und dasselbe ebenso buchstäblich erfüllt werden, als säßet Ihr noch auf Eurem eignen Throne. Mögen sie in der nächsten Stunde mit mir machen, was sie wollen, das gilt mir gleich.« – »So habe ich's von Dir erwartet, lieber Gevatter,« sagte Ludwig, »aber hast Du denn auch Leute, die Dir an die Hand gehen? – Der Verräter ist stark und gewandt und wird ohne Zweifel um Hilfe rufen. – Der Schotte will nichts weiter tun, als die Tür bewachen, und ich war froh, daß ich ihn hierzu durch Schmeichelei und gute Worte vermochte. Oliver taugt zu nichts, als zum Lügen, Schmeicheln und gefährliche Pläne schmieden; und ich glaube, er kommt wohl einst leichter selbst dazu, den Strick zu verdienen, als daß er ihn einem andern anlegen sollte. Glaubst Du Leute und Mittel genug zu haben, um ein sicheres Werk zu vollenden?«
»Ich habe Trois-Echelles und Petit-André bei mir,« sagte er – »Leute, die ihr Geschäft gut verstehen. Aber wen haben wir, mit Ew. Majestät Erlaubnis, diesmal zu bedienen? Ich bin immer gern meines Mannes sicher; denn Ew. Majestät geruht mitunter, mich daran zu erinnern, daß ich dann und wann den Verbrecher verfehlt und an seiner Statt einen ehrlichen Landmann habe aufknüpfen lassen, der Ew. Majestät nichts zuleide getan hatte.« – »Sehr wahr,« sprach der König. »So wisse denn, Tristan, daß der Verurteilte niemand anders ist, als Martius Galeotti. Du staunst, und doch ist es so, wie ich sage. Der Bube hat uns alle durch falsche, verräterische Vorspiegelungen hierher gelockt, um uns wehrlos in die Hände des Herzogs von Burgund zu liefern.« – »Aber nicht ungerächt!« sprach Tristan, »und wäre es die letzte Handlung meines Lebens; mein Stich soll ihn treffen, und sollt ich auch im nächsten Augenblicke in Stücke zertreten werden.« – »Ich kenne Deine treue Seele,« versetzte der König, »und weiß, daß Du, wie andere Leute, in der Erfüllung Deiner Pflicht Dein Vergnügen findest. So gehe und halte die Priester bereit, denn das Opfer naht.« – »Wollt Ihr es in Eurer eignen Gegenwart abgetan sehen, gnädigster Herr?« fragte Tristan.
Ludwig lehnte das Anerbieten ab, trug aber dem Generalprofoß auf, alles zur pünktlichen Vollziehung seiner Befehle für den Augenblick in Bereitschaft zu halten, wenn der Sterndeuter sein Gemach verlassen würde; »denn,« fügte er hinzu, »ich will den Bösewicht noch einmal sehen, bloß um zu erfahren, wie er sich gegen seinen Herrn, den er in solches Unglück gebracht hat, benehmen wird.«
Der Generalprofoß verließ das Gemach und berief seine Gehilfen in eine Fenstervertiefung der großen Halle, wo Trois-Echelles eine Fackel an die Wand gestellt hatte, um ihnen zu leuchten. Sie flüsterten zusammen, unbeobachtet von Oliver Dain, der in Niedergeschlagenheit versunken dasaß, sowie von Balafré, der fest eingeschlafen war.
»Kameraden,« sprach der Profoß zu seinen Helfershelfern, »Ihr dachtet vielleicht, unser Beruf habe seine Endschaft erreicht, oder daß wir jetzt wahrscheinlicher andern Arbeit machen, als unsererseits noch etwas zu schaffen finden würden. Aber Mut gefaßt, Kameraden, unser gnädigster Herr hat uns noch ein Stück Arbeit aufgespart, und dabei müssen wir rüstig Hand anlegen, als Männer, die in der Geschichte einen Namen haben wollen.« – »Ha! ich errate schon, wo es hinaus will!« sagte Trois-Echelles, »unser Herr will es mit den alten römischen Kaisern halten, die im Drange der Umstände, oder wenn es mit ihnen, wie wir sagen würden, an den Fuß der Leiter kam, sich aus ihren eigenen Dienern der Gerechtigkeit irgend einen erfahrenen Mann zu wählen pflegten, der ihren geheiligten Personen die linkischen Versuche eines Neulings oder Stümpers in unseren Geheimnissen ersparte. Dies war für die Heiden eine recht hübsche Sitte, aber als guter Katholik würde ich doch meine Bedenken haben, an den allerchristlichsten König Hand anzulegen.« – »Ei, Bruder, Du bist immer gar zu bedenklich,« versetzte Petit-André. »Wenn er Befehl oder Vollmacht zu seiner Hinrichtung gibt, so seh ich nicht ein, wie uns da irgend ein Aber kommen darf. Wer zu Rom lebt, der muß dem Papst gehorchen' die Leute des Profoßen müssen den Willen ihres Meisters tun, und dieser den seines Herrn.« – »Still, ihr Schelme!« sprach der Generalprofoß, »hier handelt es sich nicht um des Königs Person, sondern bloß um die des christlichen Ketzers, des heidnischen, muhammedanischen Hexenmeisters, Martius Galeotti.« – »Galeotti! ei, das kommt mir sehr natürlich vor. Ich habe von diesen Gauklern, die, sozusagen, ihr ganzes Leben lang auf dem Seile tanzen, noch keinen gekannt, der nicht am Ende noch gebaumelt hätte.« – »Mein einziger Kummer ist,« sagte Trois-Echelles, den Blick gen Himmel gewandt, »daß der arme Schelm ohne Beichte sterben muß.« – »Ei was!« versetzte der Generalprofoß, »er ist ein Erzketzer und Schwarzkünstler! Eine ganze Priestersynode könnte ihn nicht von der verdienten Verdammnis lossprechen. Uebrigens hast Du ja die Gabe, ihm, wenn er Lust dazu bekäme, mit geistlichem Beistande zu dienen, Trois-Echelles. Doch, was mehr zur Sache gehört, Kameraden, ich fürchte, ihr werdet eure Dolche brauchen müssen, denn ihr habt hier nicht alles bei der Hand, was zur Ausübung eures Geschäftes nötig ist.« – Nun, das wolle unsere liebe Frau von Paris verhüten,« sagte Trois-Echelles, »daß des Königs Befehle mich nicht im Besitze meiner Werkzeuge finden sollten! Ich trage immer den Strick des heiligen Franziskus vierfach um den Leib geschlungen, mit einer ordentlichen Schlinge am Ende; denn ich gehöre zur Brüderschaft des heiligen Franziskus und kann noch seine Kapuze tragen, wenn ich in extremis bin, – Gott und den heiligen Vätern von Saumur sei Dank dafür.« – »Und was mich betrifft,« sagte Petit-André, »so führe ich immer einen tüchtigen Kolben mit einer starken Schraube in der Tasche, um ihn zu befestigen, wo ich Lust habe, falls wir wo reisen sollten, wo es wenig Bäume gibt, oder wo die Aeste zu hoch vom Boden sind. Ich habe das immer sehr bequem gefunden.« – »Nun, das wird uns jetzt zustatten kommen,« sagte der Generalprofoß, »Ihr dürft nur Euren Kolben an jenem Balken über der Tür befestigen und den Strick darüber ziehen. Ich werde den guten Mann dicht an der Stelle im Gespräch halten, bis Ihr ihm die Schlinge unter das Kinn bringt, und dann ...« – »Dann aufwärts mit ihm,« sprach Petit-André, »und unser Sterndeuter ist insofern im Himmel, als er keinen Fuß mehr auf der Erde hat.« – »Aber diese Herren dort,« sprach Trois-Echelles, indem er nach dem Kamin hinblickte, »leisten uns vielleicht Beihilfe, um sich ein Handgeld in unserm Berufe zu verdienen?« – »Hm! nein,« antwortete der Profoß, »der Bartscher sinnt nur Unheil und läßt es andere anrichten, und der Schotte bewacht die Tür, wenn die Tat geschieht, ... jeder bleib bei seinem Leisten!«
Mit ungemeiner Gewandtheit und mit einem gewissen Vergnügen, das ihnen das Gefühl ihrer eignen mißlichen Lage milderte, befestigten die würdigen Vollzieher der Befehle des Profoßen Strick und Kolben, um das Urteil in Kraft zu setzen, das der gefangene Monarch gegen Galeotti ausgesprochen hatte, – sehr zufrieden, daß ihre letzte Handlung mit ihrem vergangenen Leben also im Einklang stehe.
Tristan l'Hermite sah ihren Vorbereitungen mit Wohlgefallen zu, während Oliver sie unbeachtet ließ, Ludwig Leslie dagegen die Sache auffaßte, als ob sie mit seiner Dienstpflicht in gar keinem Zusammenhange stehe, ihn also auch keine Verantwortung dafür treffe.