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Achtes Kapitel.

Karl von Burgund, der ungestümste, ungeduldigste, ja der unbesonnenste Fürst seiner Zeit, fühlte sich gleichwohl innerhalb des magischen Kreises gebannt, den die tiefste Ehrerbietung gegen Ludwig, als seinen Souverän und Oberlehnsherrn, um ihn zog, da dieser ihm, seinem Kronvasallen, die ausgezeichnete Ehre eines persönlichen Besuchs erwiesen hatte. Eingehüllt in seinen herzoglichen Mantel und begleitet von den vornehmsten Rittern und Beamten seines Hofes, war er in glänzendem Zuge Ludwig XI. entgegengeritten. Sein Gefolge strotzte von Gold und Silber; denn während der Reichtum des englischen Hofes durch die Kriege zwischen York und Lancaster erschöpft war und die Sparsamkeit des Beherrschers von Frankreich alle Ausgaben gar sehr beschränkte, war der Hof von Burgund damals der prachtvollste in ganz Europa. Ludwigs Gefolge war dagegen sehr klein und von verhältnismäßig ärmlichem Aussehen. Die Erscheinung des Königs selbst in seinem abgetragenen Kleide, mit dem simplen, von Heiligenbildern eingefaßten Hute, bildete einen umso auffallenderen Kontrast. Als nun der Herzog mit Krone und Staatsmantel sich von seinem prächtigen Streitrosse schwang und, auf ein Knie sich niederlassend, den Steigbügel halten wollte, indes Ludwig von seinem kleinen Zelter sprang, grenzte die Wirkung, die das Ganze hervorbrachte, fast ans Groteske.

Die gegenseitige Bewillkommnung der beiden Herrscher war, wie es sich von selbst versteht, ebenso voll von angenommenem Wohlwollen, als ihr alle Aufrichtigkeit abging. Die Gemütsart des Herzogs machte es diesem schwer, in Stimme, Rede und Benehmen den nötigen äußern Anstand zu beobachten, während bei dem Könige jede Art von Verstellung und Heuchelei so sehr in seiner Natur zu liegen schien, daß auch die, welche ihn am genauesten kannten, Schein und Wahrheit nicht unterscheiden konnten.

An der unsicheren Stimme, dem gezwungenen Benehmen und den abgebrochenen Gebärden des Herzogs mochte der König wohl gewahren, daß er ein bedenkliches Spiel spiele, und bereute es wahrscheinlich mehr als einmal, auf diesen Gedanken gekommen zu sein; allein die Reue kam zu spät, und alles, was ihm übrig blieb, war jene unnachahmliche Gewandtheit im Benehmen, die vielleicht nie jemand im höheren Grade besaß, als er. Sein Benehmen gegen den Herzog war von der Art, daß es der Ueberwallung eines wohlwollenden Herzens im Augenblicke aufrichtiger Versöhnung mit einem wertgehaltenen, aber von Prüfungen heimgesuchten Freunde glich, von dem er durch Umstände, die ebenso bald vergessen als hinweggeräumt worden, entfremdet worden war. Er machte sich selbst Vorwürfe, daß er nicht früher schon diesen entscheidenden Schritt getan und seinen guten, lieben Vetter durch einen solchen Beweis des Vertrauens, wie er ihm jetzt gebe, überzeugt habe, daß die Mißhelligkeiten, die zwischen ihnen stattgefunden, in seiner Erinnerung nichts wären im Vergleich mit der Liebe, die er, während seiner Verbannung aus Frankreich und mit der Ungnade seines königlichen Vaters belastet, von ihm und seinem Vater, dem »guten« Herzog Philipp, empfangen habe. Die Gesichtszüge des Herzogs von Burgund waren von Natur rauh und streng; und als er versuchte, zu lächeln, zum Beweise, daß er glaube, was der König erzähle, so war die Gebärde, die er machte, wahrhaft teuflisch zu nennen. »O, Du Erzheuchler,« sprach er bei sich selbst, »ich wollte, ich könnte Dir schicklicherweise zu Gemüte führen, wie Du alle die Wohltaten unseres Hauses vergolten hast!« – »Wenn aber auch,« fuhr der König fort, »die Bande der Blutsfreundschaft und der Dankbarkeit nicht hinreichend wären, uns aneinander zu knüpfen, lieber Vetter, so haben wir noch die der geistlichen Verwandtschaft; denn ich bin der Pate Eurer schönen Tochter Maria, die mir so teuer ist, als eins meiner eigenen Mädchen; und als die Heiligen – (gebenedeiet sei ihr Name!) – mir einen kleinen Sprößling schenkten, der innerhalb dreier Monate wieder verwelkte, da war es Euer fürstlicher Vater, der ihn zur Taufe hielt, und die Feierlichkeit mit größerer, stolzerer Pracht beging, als es in Paris selbst hätte geschehen können. Nie werde ich den tiefen, unauslöschlichen Eindruck vergessen, den die Großmut Herzog Philipps, sowie die Eurige, mein teuerster Vetter, auf das halbgebrochene Herz eines armen Verbannten machte.« – »Ew. Majestät,« entgegnete der Herzog, indem er sich zwang, etwas zu erwidern, »erkennt diese geringe Verbindlichkeit in Ausdrücken an, welche alles, was Burgund tun konnte, um sich für die Ehre erkenntlich zu zeigen, die Ihr seinem Beherrscher bewieset, weit übertreffen.« – »Ich entsinne mich wohl der Worte, die Ihr meint, guter Vetter,« sagte der König lächelnd, »ich denke, sie lauteten also: Daß ich zur Vergeltung der mir an diesem Tage erwiesenen Wohltaten, als ein armer Wandersmann, nichts anzubieten hätte, als mich selbst, mein Weib und mein Kind. Nun, ich denke, ich habe mein Pfand ziemlich gut eingelöst.« – »Ich will, was Ew. Majestät zu behaupten geruht, nicht in Abrede ziehen,« versetzte der Herzog, »aber –« – »Aber Ihr fragt,« unterbrach ihn der König, »wie denn meine Handlungen mit meinen Worten übereingestimmt, haben? – Offenbar so: Die Gebeine meines Kindes Joachim ruhen in burgundischer Erde – meine eigene Person habe ich heute morgen unbedingt in Eure Gewalt gegeben, – und was meine Gemahlin betrifft, so denke ich, lieber Vetter, Ihr werdet in Betracht der vielen indessen verflossenen Jahre nicht so streng darauf bestehen, daß ich auch in diesem Punkte mein Wort halten soll. Sie ist an Maria Verkündigung« (hier bekreuzte er sich und murmelte ein Gebet, »fünfzig Jahre alt, allein befindet sich nicht weiter von hier als Rheims, und wenn Ihr auf der buchstäblichen Erfüllung meines Wortes besteht, so soll auch sie Euch hier unverweilt ihre Aufwartung machen.« So ergrimmt auch der Herzog von Burgund darüber war, daß der König auf solch schamlose Weise einen Ton der Freundschaft und Vertraulichkeit gegen ihn annahm, so konnte er sich doch über diese sonderbare Aeußerung des Königs des Lachens nicht wehren, und sein Lachen war ebenso schneidend, als die abgebrochenen, leidenschaftlichen Laute, in denen er oft zu sprechen pflegte. Nachdem er länger und lauter gelacht, als es damals oder jetzt für Zeit und Ort schicklich erachtet werden mochte, antwortete er in demselben Tone, indem er geradezu die Ehre des Besuchs der Königin ablehnte und dagegen erklärte, daß er sich den der ältesten Tochter des Königs (sie war wegen ihrer Schönheit weit und breit berühmt) gern würde gefallen lassen.

»Ich bin erfreut, lieber Vetter,« sagte der König mit jenem zweideutigen Lächeln, das man sehr oft an ihm bemerkte, »daß Euer Wohlgefallen nicht meine jüngere Tochter Johanna sich ausersehen hat; denn in diesem Falle hättet Ihr mit meinem Vetter Orleans eine Lanze zu brechen gehabt, und wäre ein Unglück daraus entstanden, so müßt ich auf der einen oder andern Seite einen wohlwollenden Freund und geliebten Verwandten verlieren.« – »Nein! nein! mein königlicher Herr,« sprach Herzog Karl, »der Herzog von Orleans soll von meiner Seite keine Hindernisse auf dem Wege finden, den er par amour eingeschlagen hat. Wenn ich je eine Lanze mit Orleans brechen soll, so muß es in einer schöneren und geraderen Sache geschehen.«

Ludwig war weit entfernt, diese rohe Anspielung auf die Mißgestalt und Häßlichkeit der Prinzessin Johanna übel zu nehmen; es machte ihm im Gegenteil Vergnügen, daß der Herzog an solch derben Späßen Gefallen fand, in denen er selbst Meister war. Er bemühte sich, die Unterhaltung in einem solchen Tone zu führen, daß Karl, obgleich er sich unfähig fühlte, die Rolle eines versöhnten Freundes gegen einen Monarchen zu spielen, der ihm schon soviel Uebles zugefügt hatte, es nicht schwer fand, den herzlichen Wirt gegen einen witzigen Gast zu spielen. So wurde denn der Mangel wechselseitiger, aufrichtiger Zuneigung und Liebe durch den beiden sympatischen Ton eines vertraulichen Gesprächs zwischen zwei lustigen Zechbrüdern ersetzt. Glücklicherweise waren beide Fürsten imstande, während eines Banketts auf dem Stadthause zu Peronne den nämlichen Ton der Unterhaltung beizubehalten, wobei sie sich wie auf neutralem Boden begegneten. Indessen bemerkte Ludwig doch mit großer Unruhe, daß der Herzog mehrere jener vornehmen, französischen Edelleute, die seine eigene Strenge oder Ungerechtigkeit aus Frankreich vertrieben hatte, in ansehnlichen und wichtigen Aemtern um sich hatte; und es geschah bloß, um sich vor den möglichen Folgen ihres Unwillens und ihrer Rache zu sichern, daß er, wie schon bemerkt worden, sich ausbat, in dem Schlosse oder der Zitadelle von Peronne und nicht in der Stadt wohnen zu dürfen, worein der Herzog ohne Bedenken willigte.

Als aber der König behutsam die Frage stellte, ob die schottischen Bogenschützen seiner Leibwache während seines Aufenthalts in dem Schlosse zu Peronne, statt des Stadttores, wie der Herzog selbst, angeboten hatte, das Schloß bewachen könnten, versetzte Karl in seinem gewohnten ernsten Tone und auf die absprechende Weise, die noch beunruhigender wurde durch seine Gewohnheit, während des Sprechens entweder seinen Knebelbart zu streichen oder mit seinem Schwerte und Dolche zu spielen: »Heiliger Martin! nein, mein Lehnsherr, das geht nicht an, Ihr seid im Lager und in der Stadt Euers Vasallen – so nennen mich die Leute in Beziehung auf Ew. Majestät – mein Schloß, meine Stadt und meine Leute sind Euer; es ist also gleichgültig, ob sie oder Eure schottischen Bogenschützen das Stadttor oder die Verteidigungswerke des Schlosses bewachen.

– Nein, beim heiligen Georg! Peronne ist eine jungfräuliche Festung und soll ihren Ruf nicht durch eine Nachlässigkeit von meiner Seite verlieren. Man muß auf Jungfrauen ein wachsames Auge haben, mein königlicher Vetter, wenn sie anders ihren guten Ruf behalten sollen.« – »Ganz richtig, guter Vetter, darin bin ich völlig Eurer Meinung,« sagte der König, »da mich der gute Ruf der kleinen Stadt noch näher angeht als Euch – denn Peronne ist, wie Ihr wißt, lieber Vetter, eine der Städte an der Somme, die Eurem Vater, seligen Andenkens, für ein Darlehen verpfändet wurde, und kann mithin wieder eingelöst werden; und um offen mit Euch zu reden, lieber Vetter, ich komme wie ein ehrlicher Schuldner, geneigt, meine Verbindlichkeit jeder Art zu erfüllen, und habe zu dem Ende einige Maultiere mit Silber zur Einlösung mitgebracht – es wird wahrscheinlich hinreichend sein, Euren fürstlichen und königlichen Haushalt, mein guter Vetter, auf mehr denn drei Jahre zu unterhalten.« – »Nicht einen Pfennig nehm' ich davon an,« entgegnete der Herzog, seinen Knebelbart streichend, »der Tag der Einlösung ist verstrichen, mein königlicher Vetter; auch war es wohl nie ernstlich die Absicht, das dieses Recht ausgeübt werden sollte; denn diese Städte waren die einzige Entschädigung, die mein Vater dafür empfing, daß er sich in einer für Frankreich glücklichen Stunde gefallen ließ, die Ermordung meines Großvaters zu vergessen, statt mit England sich mit Eurem Vater zu verbinden. Heiliger Georg! Hatte er das nicht getan, so würde Ew. Majestät selbst, weit entfernt, Städte an der Somme zu besitzen, kaum noch die jenseits der Loire haben behaupten können. Nein, nein! – keinen Stein davon werde ich zurückgeben, und sollte mir auch jeder davon mit Gold aufgewogen werden.«

»Gut, lieber Vetter,« antwortete der König in demselben ruhigen und sanften Tone wie zuvor, und ohne durch die lauten, heftigen Aeußerungen des Herzogs beunruhigt zu werden; »ich sehe, Ihr seid ein so guter Freund von Frankreich, daß Ihr Euch nur ungern von etwas ihm angehörigen trennen mögt; allein wir werden eines Vermittlers in dieser Angelegenheit bedürfen, wenn wir sie im Staatsrate verhandeln wollen. Was sagt Ihr zu St. Paul?« – »Weder St. Paul noch St. Peter, noch irgend ein Heiliger in dem Kalender,« versetzte der Herzog von Burgund, »soll mich aus dem Besitz von Peronne herauspredigen.« – »Nein, Ihr versteht mich falsch,« sprach König Ludwig lächelnd; »ich meine Ludwig von Luxemburg, unsern treuen Connetable, den Grafen von St. Paul. Ach, heilige Maria von Embrun! wir bedürfen bloß seines Kopfes bei unserer Konferenz! Der ist der beste Kopf in Frankreich und würde zur Herstellung vollkommener Einigkeit zwischen uns sehr viel beitragen können.« – »Beim heiligen Georg von Burgund!« sagte der Herzog. »Ich wundere mich, Ew. Majestät so von einem Manne reden zu hören, der sich sowohl an Frankreich als Burgund falsch und treulos bewiesen, einem Manne, der stets bemüht war, unsere häufigen Mißhelligkeiten zur Flamme anzufachen und zwar in der Absicht, sich das Ansehen eines Vermittlers zu geben. Aber ich schwöre es bei dem Orden, den ich trage, daß seine Sümpfe ihn nicht länger schützen sollen.« – »Nicht so hitzig, Vetter,« sagte der König lächelnd und mit halblauter Stimme, »wenn ich den Kopf des Connetable wünschte, als ein Mittel, unsere unbedeutenden Zwistigkeiten auszugleichen, so erstreckte sich dieser Wunsch nicht auf seinen Leib; der könnte füglich in St. Quentin bleiben.« – »Ho! ho! jetzt verstehe ich Euch, mein königlicher Vetter,« sagte Karl mit demselben mißtönenden Lachen, das ihm einige von des Königs derben Späßen abgenötigt hatten. »Ich gestehe,« fügte er hinzu, indem er mit der Ferse auf den Boden stampfte, »in diesem Sinne möchte der Kopf des Connetable zu Peronne recht nützlich sein!«

Diese und andere Gespräche, in denen der König Winke über ernsthafte Angelegenheiten unter scherzhafte und unterhaltende Reden zu mischen wußte, folgten nicht ununterbrochen aufeinander, sondern sie wurden während des Banketts auf dem Stadthause und während einer Zusammenkunft in des Herzogs Zimmer geführt, sowie die Gelegenheit sie gerade zur Sprache brachte. So unbesonnen sich aber auch Ludwig in eine Lage versetzt hatte, die des Herzogs ungestüme Gemütsart und die zwischen beiden herrschende eingewurzelte Feindschaft bedenklich und gefahrvoll machte, so benahm sich vielleicht noch nie ein Steuermann an einer unbekannten Küste mit größerer Klugheit und Festigkeit. Mit der größten Gewandtheit und Bestimmtheit schien er die Tiefen und Untiefen in dem Charakter und der Gemütsart seines Nebenbuhlers zu sondieren, und er legte weder Zweifel noch Furcht an den Tag, wenn ihn seine Beobachtungen nur unter der Wasserfläche versunkene Felsen und gefährliche Klippen statt Ankergrund entdecken ließen.

So endete ein Tag, der für Ludwig wegen der unausgesetzten Anstrengung, Wachsamkeit und Aufmerksamkeit, die seine Lage erforderte, ebenso ermüdend gewesen sein mußte, wie für den Herzog, der sich genötigt sah, die heftigen Empfindungen zu unterdrücken, denen er gewöhnlich freien Lauf ließ. Der letztere hatte kaum nach einem förmlichen Abschied sich für diese Nacht von dem Könige beurlaubt und in sein eigenes Gemach zurückgezogen, als er seinen lange unterdrückten Leidenschaften gründlich Luft machte und, wie sein Hofnarr, le Glorieux, sagte, manche Flüche und manches schimpfliche Beiwort diese Nacht Leuten an den Kopf warf, für die sie nicht gemünzt waren. Diese Späße hatten indes die Wirkung, den Zorn des Herzogs zu besänftigen. Er lachte laut, warf dem Narren ein Goldstück hin, ließ sich ruhig entkleiden, leerte einen großen Becher gewürzten Weins, ging zu Bette und fiel in einen festen Schlaf.

Ludwig wurde durch die Kämmerlinge des Herzogs nach der von ihm selbst gewählten Wohnung im Schlosse Peronne geführt und am Eingänge derselben von einer starken Wache von Bogenschützen und andrer Bewaffneten empfangen. Als er vom Pferde stieg, um auf einer Zugbrücke über einen Graben von ungewöhnlicher Breite und Tiefe zu gehen, sah er die Schildwachen an und äußerte zu Argenton, der ihn mit andern burgundischen Edeln begleitete: »Sie tragen Andreaskreuze, aber nicht die meiner schottischen Bogenschützen.« – »Ihr werdet sie ebenso bereit finden, in Eurer Verteidigung das Leben zu lassen, Sire,« sagte Argenton, dessen feines Ohr in dem Tone der Rede des Königs den Ausdruck eines Gefühls entdeckte, den Ludwig gewiß nur ungern hatte merken lassen. »Sie tragen Andreaskreuze als Zubehör zu der Kette vom goldenen Vließe, dem Orden meines Herrn, des Herzogs von Burgund.« – »Nun, das weiß ich!« sagte Ludwig, auf die Ordenskette zeigend, die er selbst aus Artigkeit gegen seinen Wirt trug; »es ist eines von den teuren Banden der Brüderlichkeit, die zwischen mir und meinem geliebten Bruder bestehen. Wir sind nämlich Brüder im Rittertume, wie in geistlicher Verwandtschaft, Vettern durch Geburt, und Freunde durch jedes Band wohlwollender Gefühle und guter Nachbarschaft. Nicht weiter, als bis in den Vorhof, meine edeln Herren! Ich kann Eure Begleitung nicht weiter annehmen, Ihr habt mir Ehre genug erwiesen.« – »Wir sind vom Herzog beauftragt,« sagte Hymbercourt, »Ew. Majestät nach Eurer Wohnung zu begleiten. Wir hoffen, Ew. Majestät werde uns erlauben, unseres Gebieters Befehle zu vollziehen.« – »In dieser unwichtigen Angelegenheit,« entgegnete der König, »werdet Ihr, unbeschadet Eurer Untertanenpflicht, zugeben, daß mein Befehl den seinigen überwiegt. Ich fühle mich etwas unwohl, meine Herren. Große Freude hat ihre Beschwerden, wie großes Leiden. Morgen, hoff ich, eure Gesellschaft besser genießen zu können, insbesondere die Eurige, Herr Philipp von Argenton. Ihr seid, wie man mir sagte, der Annalist unserer Zeiten. Wir, die wir einen Namen in der Geschichte zu haben wünschen, müssen Euch also gute Worte geben; denn man sagt, Eure Feder habe mitunter eine scharfe Spitze. Gute Nacht denn, meine Herren und Ritter, euch allen samt und sonders!«

Die burgundischen Edelleute entfernten sich, erfreut über das leutselige Benehmen Ludwigs. Der König blieb nun allein mit einigen persönlichen Begleitern unter dem Bogengänge des Vorhofes zum Schlosse von Peronne und blickte empor zu dem ungeheuren Turme, der eine der Ecken des Gebäudes einnahm und zum Hauptverließe des Platzes diente. Dieses hohe, düstere und schwerfällige Gebäude hatte Mauern von furchtbarer Dicke, die Fenster waren klein und mit Eisengittern versehen, und die ungeheure plumpe Masse warf einen düstern starken Schatten über den ganzen Hofraum hin. »Da soll ich doch nicht wohnen?« sagte der König mit einem Schauder, der etwas Ahnungsvolles hatte. – »Nein!« erwiderte der grauköpfige Seneschall, der ihn mit entblößtem Haupte begleitete, »Gott behüte, Ew. Majestät Gemächer sind in den niedlichen Gebäuden dicht daneben hergerichtet. Es sind dieselben, wo König Johann zwei Nächte vor der Schlacht von Poitiers schlief.« – »Hm, das ist eben keine glückliche Vorbedeutung!« murmelte der König vor sich hin, »aber was hat es denn mit dem Turme für eine Bewandtnis, alter Freund? Warum bittet Ihr den Himmel, daß ich hier nicht wohnen möge?« – »Je nun, gnädiger Herr,« erwiderte der Seneschall, »ich weiß eigentlich nichts Böses von dem Turme zu sagen; nur versichern die Schildwachen, man sehe darin nachts Licht und höre ein sonderbares Geräusch. Der Grund davon ließe sich wohl erklären, denn er diente vor Zeiten zu einem Staatsgefängnisse, und es laufen allerlei Sagen umher, die darin vorgefallen sind.«

Ludwig mochte nicht weiter fragen, denn niemand hatte stärkere Ursache als er, die Geheimnisse eines Gefängnisses zu achten. An der Tür der zu seinem Gebrauche bestimmten Gemächer, die, wenngleich neuer als der Turm, immer noch alt und düster genug waren, stand ein kleiner Posten seiner eignen Leibwache, ihren alten treuen Befehlshaber an der Spitze.

»Crawford!« sprach der König, »wo hast Du denn heute verweilt? Sind die edlen Herren von Burgund so ungastlich, daß sie einen der wackersten und edelsten Ritter, die jemals einen Hof betraten, so sehr vernachlässigen konnten? Ich sah Euch ja nicht bei dem Bankett.«

»Ich vermied es absichtlich, mein Gebieter,« sagte Crawford. »Es gab eine Zeit, wo ich es wagen durfte, mit dem besten Manne von Burgund um die Wette zu zechen, aber jetzt steigen mir schon vier Pinten zu Kopfe, und ich glaube, Ew. Majestät Dienste erfordern es, daß ich meinen Leuten ein Beispiel gebe.« – »Du bist immer sehr vorsichtig,« sagte der König. »Hier hast Du jedoch nicht viel zu tun, da Du nur so wenige Leute zu befehligen hast, und dann sind wir doch hier, um zu feiern, nicht aber zu kämpfen.« – »Je weniger Leute ich zu befehligen habe,« entgegnete Crawford, »desto mehr hab' ich es nötig, die Burschen in gehöriger Ordnung zu erhalten, und ob dies alles am Ende auf Festlichkeiten oder auf ernsthaften Kampf hinauslaufen wird, das weiß Gott und Ew. Majestät besser als der alte Johann Crawford.« – »Ihr fürchtet doch nicht etwa Gefahr?« fragte der König hastig, aber leise. – »Das eben nicht,« antwortete Crawford, »aber ich wollte, ich tät's; denn gegen Gefahren, die man ahnt, kann man sich schützen. Die Parole für die Nacht, wenn Ew. Majestät geruhen wollen.« – »Burgund! zur Ehre unseres Wirtes und eines Trunks, dem Ihr nicht abhold seid, Crawford!« – »Ich habe weder gegen den Herzog noch gegen seinen Wein was einzuwenden,« sagte Crawford, »vorausgesetzt, daß beide echt und rein sind. Ich wünsche Ew. Majestät eine gute Nacht.« – »Gute Nacht, mein ehrlicher Schotte,« sagte der König und begab sich in seine Gemächer. An der Tür seines Schlafzimmers stand Balafré Schildwache. »Folgt mir,« sagte der König im Vorübergehen, und der Bogenschütze schritt gleich einer Maschine, die der Künstler in Bewegung setzt, hinter ihm in das Zimmer und harrte dort schweigend und bewegungslos der Befehle des Königs.

»Habt Ihr von dem irrenden Paladin, Eurem Neffen, etwas gehört?« fragte der König, »er ist uns verloren gegangen, seitdem er uns wie ein junger Ritter, der auf sein erstes Abenteuer auszieht, zwei Gefangene als die ersten Früchte seiner Ritterlichkeit heimgesandt hat.« – »Ich hörte etwas von der Sache, gnädigster Herr,« sprach Balafré, »und Ew. Majestät wird hoffentlich überzeugt sein, daß, wenn er unrecht gehandelt hat, meine Gebote und Beispiel auf keine Weise daran schuld sind; denn ich bin nie ein so kühner Esel gewesen, irgend ein Mitglied Eures erlauchten Hauses vom Pferde zu stechen; da kannte ich meine Verhältnisse besser – und –«

»Schweigt über diesen Punkt,« versetzte der König; »Euer Neffe hat in der Sache seine Schuldigkeit getan.« – »Das hat er von mir,« fuhr Balafré fort. »Quentin, sagte ich zu ihm, wie es auch kommen mag, bedenke, daß Du zu der schottischen Schützenwache gehörst, und tue Deine Schuldigkeit, es komme, wie es wolle.« – »Ich zweifle nicht, daß er an Euch einen trefflichen Lehrmeister gehabt haben wird,« sprach Ludwig; »aber jetzt beantwortet mir vor allen Dingen meine Frage. Habt Ihr kürzlich von Eurem Neffen etwas gehört? Tretet zurück, meine Herren,« fügte er, an seine Hofleute sich wendend, hinzu, »denn dies gehört nur für meine Ohren.« – »Allerdings, wenn Ew. Majestät zu Gnaden halten wollen,« erwiderte Balafré, »erst diesen Abend noch sprach ich den Reitknecht Charlot, den mein Neffe von Lüttich oder einem nahe dabei gelegenen Schlosse des Bischofs absandte, wohin er die Gräfinnen von Croye in Sicherheit gebracht hatte.«

»Nun, unsere liebe Frau sei dafür gepriesen!« rief der König aus; »bist Du aber auch Deiner Sache gewiß? Sind diese guten Nachrichten auch zuverlässig?« – »So sicher wie nur irgend etwas in der Welt!« sprach Balafré »der Bursche hat, denk' ich, von den Gräfinnen Briefe an Ew. Majestät.« – »Hol' mir sie eilig herbei,« sagte der König. »Gib Dein Gewehr einem von diesen Leuten da, Oliver, oder einem andern. Nun, unsere liebe Frau von Embrun sei gepriesen und der Schrein um ihren Hochaltar soll ganz von Silber werden!«

In dieser Anwandlung von Dankbarkeit und Frömmigkeit nahm Ludwig wie gewöhnlich den Hut ab, wählte aus den Bilderchen, womit dieser besetzt war, sein Lieblingsbild, die heilige Jungfrau, stellte es auf einen Tisch, kniete nieder und wiederholte ehrfurchtsvoll das soeben getane Gelübde.

Der Reitknecht, der erste Bote, den Durward von Schönwald abgesandt hatte, wurde nun mit den Briefen hereingeführt, die von den Damen von Croye an den König gerichtet waren. Sie dankten ihm darin in ziemlich kalten Ausdrücken für die Artigkeit, die er ihnen bewiesen hatte, und etwas wärmer für die Erlaubnis, in Sicherheit sein Gebiet wieder verlassen zu dürfen; – Ausdrücke, über die Ludwig herzlich lachte, statt darüber in Zorn zu geraten. Er fragte darauf Charlot mit sichtbarer Teilnahme, ob sie auf ihrer Reise nicht beunruhigt oder angegriffen worden seien. Charlot, ein einfältiger Mensch, und eben deswegen vom Könige hierzu ausersehen, gab einen sehr verwirrten Bericht über den Kampf, worin sein Gefährte, der Gaskogner, getötet worden war; weiter wußte er nichts. Ludwig fragte ihn nun genau und umständlich über den Weg, den die Reisegesellschaft nach Lüttich genommen, und schien sehr vielen Anteil zu nehmen, als er erfuhr, daß sie in der Nähe von Namur die gerade Straße nach Lüttich am rechten Ufer der Maas, statt auf dem linken, wie ihnen vorgeschrieben war, eingeschlagen hätten. Der König ließ sodann dem Boten ein kleines Geschenk geben und entließ ihn, indem er sich stellte, als habe seine ängstliche Besorgnis bloß die Sicherheit der Gräfinnen von Croye zum Gegenstände gehabt.

Ludwig atmete tief auf, wie jemand, dessen Brust von einer schweren Last befreit ist, murmelte mit frommer Miene inbrünstig Dankgebete, schlug die Augen gen Himmel und entwarf in Eile neue ehrsüchtige Pläne. Dann ließ er seinen Sterndeuter Martius Galeotti rufen, der mit seiner gewöhnlichen, würdevollen Miene, jedoch nicht ohne eine gewisse Aengstlichkeit auf seinem Gesichte, als habe er sich keines ganz guten Empfanges von seiten des Königs zu versehen, in das Gemach trat. Ludwig war indes sehr gnädig, ja benahm sich wärmer als je, nannte ihn seinen Freund und väterlichen Lehrer und schob ihm zu guter Letzt einen Ring von beträchtlichem Werte an den Finger. Galeotti, unkundig der Tatsachen, die ihn so schnell in Ludwigs Achtung gehoben hatten, verstand sein Gewerbe jedoch zu gut, als daß er diese Ungewißheit hätte merken lassen. Er nahm mit würdevoller Bescheidenheit die Lobsprüche Ludwigs an, die, wie er sagte, einzig nur dem Adel der Wissenschaft, die er ausübe, gebührten, einer Wissenschaft, die umso mehr Bewunderung verdiene, da sie durch ein so schwaches Werkzeug, wie er, solche Wunder wirke. Hierauf trennte sich der König von ihm, und beide waren diesmal sehr miteinander zufrieden.

Kaum war der Astrolog fort, als sich Ludwig in einen Sessel warf. Er schien sehr erschöpft und entlieh seine übrige Dienerschaft, Oliver ausgenommen, der mit dienstfertiger Geschäftigkeit und geräuschlosem Tritte umherschlich und ihm bei den Vorbereitungen zur Nachtruhe behilflich war. Der König war gegen seine Gewohnheit so still und untätig, daß seinem Diener diese ungewöhnliche Veränderung in seinem Benehmen höchst auffallend war. Die schlechtesten Menschen haben oft eine gute Seite; Banditen sind ihrem Hauptmann treu ergeben, und auch ein Beschützer und beförderter Günstling hat mitunter einen Funken wahrhafter Teilnahme für den Fürsten empfunden, dem er seine Größe verdankt. Oliver le Diable war indessen kein so vollkommener Satan, daß er nicht die Anwandlung von Dankbarkeit gegen seinen Herrn in dieser besonderen Lage gefühlt hätte, wo, wie es schien, sein Schicksal eine sehr bedeutende Wendung nahm, und seine Kraft derselben zu unterliegen schien. Nachdem er eine kurze Zeit bei dem Könige seine gewöhnlichen Dienste als Kammerdiener verrichtet hatte, fühlte er sich endlich versucht, mit der Freimütigkeit, die ihm die Nachsicht seines Gebieters unter ähnlichen Umständen gestattete, zu sagen: »Sapperment, Sire, Ihr tut ja, als ob Ihr eine Schlacht verloren hättet, und dennoch sah ich Euch nie ein Schlachtfeld so tapfer behaupten wie heute früh.« – »Ein Schlachtfeld?« rief Ludwig, aufblickend, mit seiner gewohnten beißenden Schärfe im Tone. »Freund Oliver, sage lieber, ich habe in einem Stiergefechte den Kampfplatz behauptet; denn ein blinderes, verstockteres, unlenksameres Tier als unsern Vetter von Burgund hat es wohl noch nie gegeben. Nun, sei es! ich bin ihm tüchtig zu Leibe gegangen Aber, Oliver, freue Dich mit mir, daß meine Pläne in Flandern nicht in Erfüllung gegangen sind, weder in Beziehung auf die zwei umherirrenden Prinzessinnen von Croye, noch auch in Lüttich – Du verstehst mich schon.« – »In Wahrheit, ich verstehe Euch nicht, Sire,« versetzte Oliver; »ich kann Ew. Majestät unmöglich zum Mißlingen Eurer Lieblingspläne Glück wünschen, wenn Ihr mir nicht einen Grund für die Veränderung Eurer Wünsche und Ansichten angebt.« – »Nun,« erwiderte der König, »im allgemeinen betrachtet, ist weder in diesen noch in jenen eine Veränderung vorgegangen; aber, mein Freund! heute habe ich den Herzog Karl näher kennen gelernt, als ich ihn bisher kannte. Als er noch Graf von Charleroi war, zur Zeit des alten Philipps, seines Vaters und meiner Verbannung, da tranken, jagten, schwärmten wir zusammen und hatten manches lustige Abenteuer; damals hatte ich ein entschiedenes Uebergewicht über ihn, wie es immer der stärkere Geist über den schwächeren behauptet, aber er hat sich seit der Zeit bedeutend geändert – ist ein sauertöpfischer, anmaßender, streitsüchtiger Mensch geworden, der den sichtlichen Hang hat, alles aufs äußerste zu treiben, wenn er das Spiel in den Händen zu haben glaubt. Ich mußte so behutsam jeden mißfälligen Gegenstand zu vermeiden suchen, als ob ich ein glühendes Eisen zu berühren hätte; ich ließ nur einen Wink über die Möglichkeit fallen, daß diese irrenden Gräfinnen von Croye, ehe sie Lüttich erreichten (denn dorthin gestand ich offen, wären sie nach meinem besten Wissen gegangen), in die Hände irgend eines wilden Schnapphahns auf der Grenze gefallen sein könnten, und man hätte glauben sollen, ich hätte eine Gotteslästerung ausgestoßen, so wild wurde er, und keinen Heller hätte ich für meinen Kopf hergeben mögen, wenn in diesem Augenblick die Kunde gekommen wäre, daß Deinem Freund Wilhelm mit dem Barte Dein sauberes Projektchen, seine Umstände durch eine Heirat zu verbessern, gelungen sei.«

»Nicht, mein Freund, wenn Ew. Majestät zu Gnaden halten will,« sagte Oliver, »weder der Freund noch der Plan sind mein.« – »Ganz richtig, Oliver,« antwortete der König, »Dein Plan ging freilich dahin, einen solchen Bräutigam hübsch ordentlich zu barbieren; auch fiel Deine Wahl auf keinen bessern, als auf Dich selbst. Indessen, Oliver, glücklich ist der zu preisen, der sie nicht bekommt! denn hängen, rädern, vierteilen – war noch das gelindeste, was unser guter Vater demjenigen zudachte, der die junge Gräfin, seine Vasallin, ohne seine herzogliche Einwilligung heiraten würde.« – »Und ohne Zweifel ist er ebenso eifersüchtig auf Unruhen, die in der guten Stadt Lüttich entstehen könnten?« fragte der Günstling. – »Allerdings, und noch mehr, als Du Dir vielleicht einbildest, Oliver; allem, seit ich mich entschlossen habe, hierher zu kommen, sind meine Boten in Lüttich gewesen, um für den Augenblick wenigstens jede Regung zur Empörung zu unterdrücken, und meine rastlosen unruhigen Freunde, Ruslaer und Pavillon, haben Befehl erhalten, bis die Zusammenkunft zwischen meinem Vetter und mir glücklich vorüber ist, sich mäuschenstill zu verhalten.« – »Nach Ew. Majestät Reden zu schließen,« sagte Oliver trocken, »wäre also das höchste, das sich von dieser Zusammenkunft hoffen ließe, daß Euer Zustand dadurch nicht verschlimmert würde? Das ist ja ungefähr wie beim Kranich, der seinen Kopf in des Fuchses Hals steckte und von Glück sagen durfte, daß er ihm vom Fuchse nicht abgebissen wurde; und doch schien Ew. Majestät soeben von dem weisen Philosophen ungemein verpflichtet, daß er Euch aufmunterte, ein hoffnungsvolles Spiel zu übernehmen.« – »Man muß an keinem Spiel verzweifeln,« versetzte der König mit scharfem Tone, »als bis es ganz verloren ist, und ich habe keinen Grund, anzunehmen, daß dies bei mir der Fall sein werde. Im Gegenteil, wenn nichts eintritt, wodurch die Wut dieses rachsüchtigen Tollhäuslers angefacht wird, so bin ich meines Sieges gewiß, und in der Tat bin ich dem Einfall nicht wenig Dank schuldig, zum Führer der Gräfinnen von Croye einen jungen Mann zu wählen, dessen Horoskop mit dem meinigen insofern übereinstimmte, als er selbst durch Ungehorsam gegen meine Befehle, indem er einen Weg einschlug, auf dem er Wilhelms Hinterhalt entgehen mußte, mich von der Gefahr befreite.« – »Ew. Majestät,« sagte Oliver, »wird Agenten genug finden, die Euch unter diesen Bedingungen dienen mögen.« – »Ja, ja, Oliver,« sagte Ludwig ungeduldig, »zwar sah ich nicht das Mißlingen von Wilhelms Unternehmen voraus, wohl aber, daß die Sendung jenes schottischen Bogenschützen glücklich für mich enden würde. Doch warum spreche ich über die Geheimnisse mit Dir, Oliver? denn Du bist insofern noch ärger als der Teufel, Dein Namensbruder, als der doch glaubt und zittert; Du aber bist ein Ungläubiger sowohl in Hinsicht der Religion als der Wissenschaft, und wirst es auch bleiben, bis sich Dein Geschick, wie Dein Horoskop und Deine Gesichtszüge mich lehren, am Galgen erfülle.« – »Und wenn es wirklich so sein soll,« erwiderte Oliver im Tone der Ergebung, »so würde es deswegen geschehen, weil ich ein zu dankbarer Diener war, um die Befehle meines königlichen Gebieters unvollstreckt zu lassen.«

Ludwig brach in sein gewöhnliches, sardonisches Lachen aus: »Du hast Deine Lanze ritterlich mit mir gebrochen, Oliver; und bei unserer lieben Frau, Du warst befugt dazu, denn ich forderte Dich heraus. Aber ich bitte Dich, sage mir ernstlich, entdeckst Du in den Maßregeln dieser Leute gegen uns etwas, woraus man auf böse Absichten schließen könnte?« – »Mein Gebieter,« erwiderte Oliver, »Ew. Majestät sowie jener gelehrte Philosoph, lesen die Zukunft in den Sternen und in den Zeichen des Himmels. Ich meinerseits bin nur ein elender Erdenwurm und betrachte bloß die Dinge, die mit meinem Berufe in Verbindung stehen, aber mir deucht, ich bemerke, daß man es hier an jener emsigen und sorgfältigen Aufmerksamkeit für Ew. Majestät fehlen läßt, die man sonst einem willkommenen Gaste bezeugt, der von einem so erhabenen Range ist wie Ew. Majestät. Der Herzog schützte diesen Abend Müdigkeit vor, begleitete Ew. Majestät nicht weiter als bis auf die Straße und überließ es seinen Hofbeamten, Euch nach Eurer Wohnung zu bringen. Diese Zimmer sind in Eile und höchst oberflächlich hergerichtet; die Tapeten hängen schief und auf einer derselben stehen, wie Ihr bemerken könnt, die Figuren auf den Köpfen, indes die Wurzeln der Bäume nach oben wachsen.« – »Pah! bloßer Zufall,« sagte der König; »wann hast Du gesehen, daß ich mir aus solchen Kleinigkeiten je etwas gemacht hätte?« – »An und für sich,« sagte Oliver, »sind sie freilich nicht beachtenswert, aber sie deuten doch wenigstens den Grad von Achtung an, in welchem nach der Meinung der Hofbeamten Ew. Majestät bei dem Herzog steht. Glaubt mir, wär's sein aufrichtiger Wunsch gewesen, daß es Eurer Aufnahme in keiner Hinsicht an etwas fehlen solle, so würde dies Volk in Minuten getan haben, was sonst das Werk von Tagen ist, – und wann,« setzte er, auf das Waschbecken und die Gießkanne deutend, hinzu, »waren die Gerätschaften auf Ew. Majestät Nachttische von anderm Metall als von Silber?« –

»Nun, diese letzte Bemerkung, Oliver,« sagte der König mit erzwungenem Lächeln, »steht in zu genauer Verbindung mit Deiner eigenen besonderen Beschäftigung, als daß sie jemand bestreiten sollte. – Wahr ist es, als ich nur ein Flüchtling und Verbannter war, sah ich auf Befehl des nämlichen Herzogs kein anderes als goldenes Geschirr, weil er Silber für den Dauphin von Frankreich zu schlecht achtete, und jetzt scheint es, daß er Silber zu kostbar für den König von Frankreich hält. – Wir gehen zu Bett, Oliver! Unser Entschluß ist einmal gefaßt und ausgeführt, und es bleibt uns nichts mehr übrig, als das Spiel mannhaft durchzuspielen, in das wir uns eingelassen haben. Ich weiß, mein Vetter von Burgund schließt, wie andere wilde Stiere, die Augen, wenn er Anlauf nimmt; ich brauche nur gleich den Stierkämpfern, die wir zu Burgos sahen, diesen Augenblick zu erspähen, und sein Ungestüm muß ihn mir in die Hände liefern.«


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