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Die überraschte und bestürzte Besatzung des Schlosses Schönwald hatte geraume Zeit den Platz gegen die Angriffe der Stürmenden verteidigt; allein die unermeßlichen Haufen, die aus der Stadt Lüttich, gleich Bienen, zum Sturme heranströmten, teilten ihre Aufmerksamkeit und schwächten ihren Mut. Auch herrschte unter den Verteidigern selbst, wenn nicht Verräterei, doch wenigstens Mißvergnügen; denn einige riefen, man solle sich ergeben, andere suchten, ihre Posten verlassend, aus dem Schlosse zu entkommen. Viele stürzten sich von den Mauern in den Graben, und diejenigen, welche nicht ertranken, warfen ihre Feldzeichen weg und retteten sich dadurch, daß sie sich unter die Angreifenden mengten. Einige wenige, die der Person des Bischofs persönlich ergeben waren, versammelten sich um ihren Gebieter und fuhren fort, in dem großen befestigten Turme, wohin er sich geflüchtet hatte, sich zu verteidigen; andere, ungewiß, ob man ihnen Pardon geben würde, oder angetrieben von dem Mute der Verzweiflung, hielten sich in einzelnen Bollwerken und Türmen des weitläufigen Gebäudes. Allein die Angreifenden hatten sich in den Besitz der Höfe und der untern Teile des Gebäudes gesetzt, verfolgten die Besiegten und suchten nach Beute, während ein einzelner, als ob er den Tod suche, vor dem alle flohen, sich einen Weg mitten durch das Getümmel und die Zerstörung zu bahnen versuchte, gequält von Besorgnissen, die vor seiner Einbildungskraft noch schrecklicher erschienen, als die Szene um ihn her seinen Sinnen sein mußte.
Da er sich Schönwald auf der nämlichen Seite näherte, auf der er es verlassen hatte, traf der Jüngling auf mehrere Flüchtlinge, die dem Walde zueilten und ihm als einem Feinde auswichen, da er aus einer, der ihrigen entgegengesetzten Richtung daherkam. Als er sich nun noch mehr näherte, sah er Leute von der Gartenmauer in den Schloßgraben springen, und erblickte andere, die von den Zinnen durch die Angreifenden hinabgestürzt wurden. Sein Mut wurde auch nicht einen Augenblick erschüttert. Es war jetzt keine Zeit, sich nach dem Boote umzusehen, und wenn es auch möglich gewesen wäre, sich seiner zu bedienen, so wäre es vergeblich gewesen, der Hintertür zu dem Garten sich zu nähern, da sie immer von Flüchtlingen angefüllt war, die, sowie sie von innen herausgedrängt wurden, in den Schloßgraben stürzten, über den sie nicht entkommen konnten ... Da warf sich Quentin selbst in den Graben, in der Nähe des sogenannten kleinen Schloßtors, wo sich eine noch aufgezogene Zugbrücke befand. Nur mit Mühe vermochte er den nach ihm gerichteten Griffen der Sinkenden zu entgehen, und indem er nach der Zugbrücke schwamm, faßte er eine der herabhängenden Ketten, schwang sich mit der größten Anstrengung aus dem Wasser und erreichte so glücklich die Plattform, wo die Brücke befestigt war. Als er nun mit Händen und Knien sich bestrebte, festen Fuß zu gewinnen, kam ein Landsknecht mit blutigem Schwert in der Hand auf ihn zu und erhob seine Waffe zu einem Hiebe, der ihm wohl das Leben gekostet hätte. »Was soll das?« rief Quentin in einem gebieterischen Ton, »ist das die Art, einem Kameraden beizuspringen? – Reich mir die Hand.«
Schweigend und nicht ohne Zögern reichte ihm der Soldat die Hand und half ihm auf die Plattform. Der Schotte aber fuhr, ohne ihm Zeit zum Nachdenken zu lassen, in dem nämlichen Tone fort: »Nach dem westlichen Turme, wenn Ihr reich werden wollt! – Des Priesters Schätze liegen dort.«
»Nach dem westlichen Turme, nach dem westlichen Turme!« hallte es rund umher von Mund zu Mund, und alle, welche dies Geschrei vernahmen, schlugen gleich einer Herde wütender Wölfe die Richtung ein, die dem Orte entgegengesetzt war, den Quentin auf Tod und Leben zu verfolgen beschlossen hatte. Als wäre er nicht einer der Besiegten, sondern der Sieger, bahnte er sich einen Weg in den Garten, eilte mit schnellen Schritten und klopfendem Herzen hin und empfahl sich den himmlischen Mächten, die ihn in den zahllosen Gefahren seines Lebens beschützt hatten, mit dem kühnen Entschlusse, sein Ziel zu erreichen, oder sein Leben in dieser verzweifelten Unternehmung zu lassen. Ehe er indes das Ende des Gartens erreichte, drangen drei Männer mit eingelegten Lanzen auf ihn ein und riefen: »Lüttich, Lüttich!« – »Frankreich, Frankreich, Lüttichs Freund!« antwortete er, sich zur Wehr setzend. »Es lebe Frankreich!« riefen die Bürger von Lüttich und zogen weiter. Eben dieses Losungswort bewährte sich als ein Talisman, der die Waffen von vier bis fünf Kriegern Wilhelms von der Mark von ihm abwandte, die in dem Garten umherstreiften und ihn mit dem Rufe: »Der Eber!« anfielen.
Mit einem Worte, Quentin begann zu hoffen, daß er in der Eigenschaft eines Abgesandten Ludwigs, des geheimen Anstifters der Lütticher Empörungen und des verborgenen Beschützers Wilhelms von der Mark, vielleicht glücklich die Gefahren dieser Schreckensnacht überstehen würde. Als er an dem Türmchen ankam, schauderte er, da er fand, daß die kleine Seitentür, aus der Gräfin Hameline und Marthon kurz vorher zu ihm geeilt waren, jetzt durch mehr als einen toten Körper versperrt war. Zwei derselben zog er eiligst auf die Seite und war im Begriff, über den dritten hinwegzuschreiten, um in die Tür zu treten, als ihn der vermeintliche Tote an seinem Mantel faßte und bat, ihm aufzuhelfen. Quentin war schon im Begriff, wie er so zur Unzeit in seinen Fortschritten gehemmt wurde, unsanfte Mittel anzuwenden, um sich loszumachen, als der zu Boden Gefallene ihm zurief: »Ich ersticke hier in meiner eigenen Rüstung! Ich bin der Syndikus Pavillon von Lüttich! Seid Ihr auf unserer Seite, so will ich Euch reich machen – seid Ihr auf der andern, so will ich Euch beschützen; aber laßt mich nur nicht ersticken wie ein Schwein.« Mitten in dieser Szene des Blutvergießens und der Verwirrung hatte Quentin noch Geistesgegenwart genug, um zu bedenken, daß dieser Beamte wohl Mittel besitzen könnte, seinen Rückzug zu erleichtern. Er half ihm auf die Füße und fragte ihn, ob er verwundet wäre. – »Nein, ich bin nicht verwundet, wenigstens glaub ich's nicht, aber ich kann nicht zu Atem kommen,« antwortete der Bürger. – »So setzt Euch auf diesen Stein und erholt Euch,« sagte Quentin, »ich werde gleich wieder bei Euch sein.« – »Für wen seid Ihr?« fragte der Bürger, ihn immer noch zurückhaltend. – »Für Frankreich, für Frankreich!« antwortete Quentin, indem er sich loszumachen suchte. – »Wie, mein muntrer junger Bogenschütze?« sagte der würdige Syndikus. »Nun wenn ich in dieser furchtbaren Nacht das Glück hatte, einen Freund zu finden, so will ich ihn auch nicht verlassen, das versprech' ich Euch. Geht, wohin Ihr wollt, und ich folge Euch; kann ich nur einige von den wackern Burschen unserer Gilde zusammenbringen, so werde ich vielleicht imstande sein, Euch Gegendienste zu leisten; aber sie sind alle umher zerstreut wie die Erbsen. – O! es ist eine furchtbare Nacht.« Unterdessen schleppte er sich hinter Quentin her, der, die Wichtigkeit des Beistandes eines Mannes von solchem Einflusse erkennend, langsamer ging, um ihn zu stützen, obgleich er im Herzen das Hindernis verwünschte, das seine Schritte verzögerte.
Auf der obersten Treppe befand sich ein Vorgemach voll von erbrochenen Kisten und Truhen. Eine verglimmende Lampe, die auf dem Kamin stand, warf einen dürftigen Schein auf einen toten oder besinnungslosen Menschen, der quer über dem Herde lag. Wie ein Windhund von der Leine des Jägers, riß sich Quentin von Pavillon los, und zwar mit solch heftigem Ruck, daß er ihn beinahe über den Haufen geworfen hätte, rannte durch ein zweites und drittes Zimmer, von denen das letzte das Schlafzimmer der Gräfinnen von Croye gewesen zu sein schien, und rief, da keine lebende Seele darin zu sehen war, den Namen der Gräfin Isabelle, erst leise, dann lauter, und endlich mit dem Tone der Verzweiflung; aber keine Antwort erfolgte. Er rang die Hände, zerraufte sein Haar und stampfte verzweiflungsvoll auf den Boden. Endlich gewahrte er einen schwachen Lichtschimmer, der durch eine Spalte in der getäfelten Holzbekleidung des Schlafgemachs drang und hinter dem Tapetenumhang irgend einen Schlupfwinkel vermuten ließ. Quentin untersuchte genauer, und fand wirklich eine verborgene Tür, die jedoch jeder Anstrengung, sie zu öffnen, widerstand. Nicht achtend die vielleicht ihm drohende Gefahr, rannte er endlich mit der ganzen Kraft und dem ganzen Gewichte seines Körpers gegen die Tür und bahnte sich beinahe über Kopf und Hals den Weg in ein kleines Betzimmer, wo eine weibliche Gestalt in verzweiflungsvoller, bittender Stellung vor dem Heiligenbilde gelegen hatte und nun durch das nahende Getöse vor Schrecken zu Boden sank. Schnell hob er sie vom Boden auf, und Wonne über Wonne! sie war es, die er zu retten kam; es war Gräfin Isabelle. Er drückte sie an seine Brust, beschwor sie, zu erwachen, und hieß sie guten Mutes sein, da sie sich jetzt unter dem Schutze eines Mannes befinde, der Herz und einen Arm besitze, um sie gegen die ganze Herde zu verteidigen.
»Durward!« sprach sie, als sie endlich zur Besinnung kam, »seid Ihr es wirklich? – dann ist noch einige Hoffnung übrig. Ich glaubte schon, alle lebenden und verstorbenen Freunde hätten mich meinem Schicksal überlassen. – Verlaßt mich nicht wieder! – »Niemals, niemals!« sprach Durward; »was auch immer kommen möge – welche Gefahr sich auch nahe! Ich will aller Wohltaten verlustig werden, die mir jenes Bild des Gekreuzigten verkündigt, wenn ich Euer Schicksal nicht solange teile, bis es sich wieder zum Glücke gewendet hat.« – »Sehr pathetisch und rührend in der Tat!« rief eine rauhe, gebrochen keuchende Stimme hinter ihnen – »ein Liebeshandel, wie ich sehe; und meiner Seel', das arme Geschöpf tut mir so leid, als wenn es mein eignes Trudchen wäre.« – »Ihr müßt mehr tun, als uns bemitleiden,« versetzte Quentin, sich an ihn wendend; »Ihr müßt uns beistehen, uns beschützen, Herr Pavillon. Seid versichert, diese Dame wurde von Eurem Verbündeten, dem König von Frankreich, unter meinen besonderen Schutz gestellt; und wenn Ihr mir nicht helft, sie vor jeder Mißhandlung und Gewalttat sicher zu stellen, so wird Eure Stadt der Gunst Ludwigs von Balois verlustig werden. Vor allen Dingen muß sie aber vor den Händen Wilhelms von der Mark gesichert werden.« – »Das wird schwer sein,« versetzte Pavillon, »denn diese Schelme von Landsknechten sind wahre Teufel, um den Mädchen aufzuspüren; – aber ich will mein Bestes tun. Wir wollen in ein anderes Gemach gehen, dort will ich überlegen – die dahinführende Treppe ist schmal, und Ihr könnt die Tür mit einer Pike verteidigen, indes ich zum Fenster hinaussehe und einige von meinen wackern Jungen von der Lütticher Lohgerbergilde zusammenbringe, die ebenso treu sind, als die Messer, die sie in den Gürteln tragen. Aber vor allen Dingen macht mir diese Schnalle los; denn ich habe diesen Koller seit der Schlacht von Saint-Tron nicht mehr getragen, und ich bin seitdem gewiß an die sechzig Pfund schwerer geworden, wenn anders das holländische Maß und Gewicht nicht trügen.«
Als Herr Pavillon von der eisernen Hülle befreit war, in die er mehr aus Rücksicht auf Lüttichs Wohl, als weil er sie zu tragen wußte, sich hatte stecken lassen, fühlte er große Erleichterung. Später ergab es sich, daß er von seiner Kompagnie, als sie zum Angriff eilte, unwillkürlich mit fortgerissen, über die Mauern gehoben, dann aber, ohne nur ein Wort hervorbringen zu können, bald dahin, bald dorthin verschlagen worden war, wie es die Ebbe und die Flut des Sturmes mit sich brachte. So war er am Ende wie ein Stück Treibholz, das die See im Sturme an die Küste spült, vor dem Eingang zu den Gemächern der Gräfinnen von Croye zu Boden gestürzt, wo die Last seiner eigenen Rüstung, sowie das Gewicht zweier am Eingange erschlagenen Männer, die auf ihn fielen, ihn wahrscheinlich ziemlich lange festgehalten hätten, wenn er nicht von Durward erlöst worden wäre. Dieselbe Leidenschaftlichkeit, die Herrn Pavillon zu einem hitzköpfigen, alles Maß verkennenden Eiferer in der Politik machte, hatte aber auch die sehr gute Folge, daß er im Privatleben ein gutmütiger, wohlwollender Mann war, der, wenn auch zuweilen ein wenig mißleitet durch Eitelkeit, doch immer es redlich und gut mit jedermann meinte. Er forderte Quentin auf, für die artige arme Jungfrau doch ja recht Sorge zu tragen, und nach dieser unnötigen Ermahnung begann er aus dem Fenster zu rufen: »Lüttich, Lüttich! die wackern Kürschner- und Gerbergesellen herbei!« Ein paar von seinen unmittelbaren Begleitern erschienen sogleich auf diesen Ruf, und auf den Innungspfiff – gleich den andern Innungen hatte auch die der Gerber ihr eigenes Signal, bildete sich alsbald unter dem Fenster vor dem Ausgangspförtchen eine Wache. Jetzt schien eine gewisse Ruhe auf dem Schlosse eingetreten zu sein. Aller Widerstand hatte aufgehört, und die Anführer der verschiedenen Abteilungen ergriffen Maßregeln, einer allgemeinen Plünderung vorzubeugen. Die große Glocke wurde geläutet, um einen Kriegsrat zusammen zu berufen, und da ihre eiserne Zunge der Stadt Lüttich die siegreiche Einnahme Schönwalds verkündete, wurde darauf mit allen Glocken der Stadt geantwortet, deren starke Stimmen aus der Ferne »Heil den Siegern!« zu rufen schienen.
Es wäre natürlich gewesen, wenn Mynheer Pavillon seine feste Stellung verlassen hätte; allein entweder aus achtsamer Sorge für die, die er unter seinen Schutz genommen hatte, oder vielleicht um seiner eigenen Sicherheit willen, begnügte er sich damit, Boten über Boten an seinen Leutnant Peterkin Geislaer abzusenden, er solle sich sogleich bei ihm einfinden.
Peterkin kam endlich zu seinem großen Troste, eine stämmige, plumpe Gestalt, mit breitem Gesichte und dicken, schwarzen Brauen, die auf einen hartnäckigen Sinn schließen ließen. Der ganze Mann war, sozusagen, ein Ratgeber aus dem ff. Er trug ein büffelledernes Wams, einen breiten Gürtel und ein kurzes Schwert an seiner Seite, auch eine Hellebarde in der Hand.
»Peterkin! lieber Leutnant!« rief sein Befehlshaber, »dies war ein ruhmvoller Tag – eine ruhmvolle Nacht, sollt' ich sagen – ich hoffe, Ihr seid doch diesmal zufrieden?« – »Es hat mir recht wohlgefallen,« erwiderte der mannhafte Leutnant, »obgleich ich nicht gedacht hätte, daß Ihr Euern Sieg, wenn Ihr ihn so nennen wollt, in dieser Dachstube da oben feiern würdet, während man Eurer im Kriegsrate bedarf!« – »Bedarf man meiner wirklich dort?« fragte der Syndikus. – »Ei freilich bedarf man Eurer; Ihr sollt die Rechte Lüttichs dort vertreten, die mehr als je in Gefahr sind,« antwortete der Leutnant. – »Ei was, Peterkin!« antwortete sein Vorgesetzter, »Du bist immer so ein Brummbär.« – »Brummbär! nein, das bin ich nicht,« entgegnete Peterkin; »was andern Leuten gefällt, gefällt auch mir. Ich möchte nur nicht gern, daß wir den Storch, statt des Klotzes, zum Könige bekämen, wie in der Fabel steht, die uns der Pfarrer von St. Lambert aus Meister Aesops Buche vorgelesen hat.« – »Ich kann nicht erraten, was Du da meinst, Peterkin,« sagte der Syndikus. – »Nun denn, so will ich's Euch sagen, Meister Pavillon. Dieser Eber oder Bär scheint Schönwald zu seiner Höhle machen zu wollen, und wird wahrscheinlich ein ebenso schlimmer, wo nicht noch schlimmerer Nachbar für uns werden, als der alte Bischof war. Da hat er nun die ganze Herrschaft an sich gerissen und ist nur noch im Zweifel, ob er sich Fürst oder Bischof taufen lassen will, – und es ist eine Schande anzusehen, wie sie den alten Mann mißhandelt haben.« – »Das leide ich nicht, Peterkin,« erwiderte Pavillon aufbrausend, »die Bischofsmütze war mir zuwider, aber nicht das Haupt, das sie trug. Wir sind zehn gegen einen im Felde, Peterkin, und wollen solche Dinge nicht geschehen lassen.« – »Ja, zehn gegen einen im Felde, aber Mann gegen Mann auf dem Schlosse; zudem haben sich Nickel Block, der Schlächter, und der ganze Pöbel der Vorstädte zu Wilhelm von der Mark geschlagen, teils um in Saus und Braus zu leben (denn er hat alle Biertonnen und Weinfässer anzapfen lassen), teils aus altem Neide gegen uns, die wir Handwerker sind und unsere Vorrechte haben.« – »Peterkin,« sagte Pavillon, »wir wollen auf der Stelle nach der Stadt aufbrechen; ich bleibe nicht länger in Schönwald.« – »Aber die Brücken sind aufgezogen, Meister,« entgegnete Geislaer, »die Tore sind verschlossen und von den Landsknechten bewacht; und wenn wir versuchen wollten, uns mit Gewalt den Weg zu bahnen, so möchten diese Kerle, deren tägliches Geschäft der Krieg ist, uns ordentlich zu Schanden hauen.« – »Aber warum hat er denn die Tore schließen lassen?« fragte der bestürzte Bürger; »wie kann er ehrliche Leute gefangen halten?« – »Das kann ich Euch nicht sagen,« versetzte Peterkin, »man sagt sich, die Gräfinnen von Croye seien während der Erstürmung des Schlosses entschlüpft; das brachte zuerst den Mann mit dem Barte außer sich vor Aerger, und jetzt ist er durch das Trinken vollends ganz vom Verstande gekommen.«
Der Bürgermeister warf einen trostlosen Blick auf Quentin und schien nicht recht zu wissen, wozu er sich entschließen sollte. Durward, dem nicht ein Wort von der Unterredung entgangen war, die ihn in nicht geringe Bestürzung setzte, sah nichtsdestoweniger wohl ein, daß ihre einzige Hoffnung darauf beruhte, daß er selbst seine Geistesgegenwart nicht verlöre, und daß Pavillon bei gutem Mut erhalten werde. Er mischte sich daher kühn in die Unterhaltung, als hätte er ein Recht, bei der Beratung mitzustimmen – »Ich bemerke mit Bedauern, Herr Pavillon,« sagte er, »daß Ihr noch unschlüssig seid, was in dem vorliegenden Falle zu tun sei. Tretet hin vor Wilhelm von der Mark und verlangt von ihm, daß er Euch, nebst Eurem Leutnant, Eurem Knappen und Eurer Tochter gestatte, das Schloß zu verlassen. Er kann Euch hier unter keinem Vorwand gefangen halten.« – »Ich und mein Leutnant – das wäre ich und Peterkin, gut, aber wer ist mein Knappe?« – »Das bin ich für jetzt,« versetzte der unerschrockene Schotte. – »Ihr?« fragte der verlegene Bürger, – »aber Ihr seid ja der Abgesandte König Ludwigs von Frankreich.« – »Wohl wahr; aber meine Sendung geht an den Magistrat von Lüttich, und in Lüttich allein will ich mich ihrer entledigen. Wollte ich diese meine Eigenschaft vor Wilhelm von der Mark geltend machen, müßte ich da nicht mit ihm in Unterhandlung treten? Und höchstwahrscheinlich würde er mich dann zurückhalten. Ihr müßt mich also insgeheim als Euren Knappen aus dem Schlosse schaffen.« – »Gut, mein Knappe! – aber Ihr spracht da von meiner Tochter – meine Tochter ist hoffentlich gesund und wohl zu Hause in Lüttich, wo ich von ganzem Herzen und ganzer Seele wünsche, daß ihr Vater auch wäre.« – »Diese Dame hier,« sprach Durward, »wird Euch Vater nennen, solange wir an diesem Ort weilen.« – »Und mein ganzes Leben lang nachher!« sagte die Gräfin, indem sie sich dem Bürger zu Füßen warf und seine Knie umfaßte; »nie soll ein Tag vergehen, an dem ich Euch nicht Beweise der Liebe und Achtung geben und für Euch beten werde, wie eine Tochter für ihren Vater; nur verlaßt mich nicht in dieser schrecklichen Lage. – O! seid nicht hartherzig! Denkt, Eure Tochter knie so vor einem Fremden und flehe zu ihm um Schutz für Ehre und Leben! Daran denkt; und laßt mir den Schutz zuteil werden, den Ihr wünschet, daß sie erhalten möchte.«
»Wahrhaftig,« sagte der gutmütige Bürger, sehr gerührt durch diese pathetische Anrede – »mich dünkt, Peter, dies hübsche Mädchen hat etwas von unseres Trudchens sanftem Blicke; es kam mir gleich anfangs so vor; und der junge Bursche hier, der mit seinem Rate so flink bei der Hand ist, hat sehr viel von Trudchens Bräutigam. Ich wette einen Stüber, hier ist eine Liebschaft im Spiel, und es wäre Sünd' und Schande, wenn man solcher nicht allen Vorschub täte.« – »Freilich, das wäre Sünd' und Schande,« fiel Peter ein, ein Flamänder, der bei all seinem Eigendünkel äußerst gutherzig war und, während er dies sagte, sich mit dem Aermel seines Wamses die Augen wischte. – »So soll sie denn meine Tochter sein,« sagte Pavillon, »doch muß sie sich dicht in ihren schwarzseidenen Schleier hüllen, und wenn es nicht genug wackre Lohgerber gibt, sie als die Tochter ihres Syndikus zu schützen, so sind sie nicht wert, jemals wieder eine Haut zu verarbeiten. Aber hört einmal, man muß sich auch gefaßt machen, auf etwaige Fragen zu antworten, – was hat meine Tochter hier bei einem solchen Sturme zu tun?« – »Was hatte die Hälfte der Weiber von Lüttich hier zu tun, als sie uns bis zum Schlosse folgten?« fragte Peter. »Ist dies der einzige Ort, an den sie kommen, ohne gerufen zu werden? Euer Jungfer Trudchen ist nun etwas weiter gegangen als die übrigen – das ist alles.«
»Unvergleichlich gesprochen,« sagte Quentin, »seid nur dreist, Herr Pavillon, und folgt dem Rate dieses wackern Herrn, dann werdet Ihr, ohne daß es Euch viel Mühe macht, die schönste Tat tun, die seit Karls des Großen Zeit geschehen ist. – Hier, teure Dame, hüllt Euch dicht in diesen Schleier« – (es lag allerhand weiblicher Putz zerstreut im Zimmer umher) »habt nur Vertrauen, und in wenigen Minuten seid Ihr geborgen und in Sicherheit. Also vorwärts, edler Mann,« setzte er, an Pavillon sich wendend, hinzu. »Halt! – Halt einen Augenblick,« sagte Pavillon, »es ahnt mir nichts Gutes. Dieser Wilhelm von der Mark ist ein Wüterich, ein wahrer Eber, seiner Natur, sowie seinem Namen nach; wenn nun diese junge Dame eine von den Gräfinnen von Croye wäre? – und er sie entdeckte, und in Wut geriete?« – »Und wenn ich auch wirklich eine von diesen unglücklichen Frauen wäre,« unterbrach ihn Isabelle, indem sie sich abermals ihm zu Füßen werfen wollte, »könntet Ihr mich deswegen in diesem Augenblicke der Verzweiflung von Euch stoßen? O! daß ich wirklich Eure Tochter wäre oder die des ärmsten Bürgers!« – »Wir sind nicht so arm, junge Dame; wir zahlen, wie wir gehen,« versetzte der Bürger. – »Verzeiht mir, edler Herr,« fiel das unglückliche Mädchen von neuem ein. – »Weder edel, noch Herr,« versetzte der Syndikus; »ich bin ein schlichter Bürger von Lüttich, der seine Wechsel in klingenden Gulden zahlt. Aber das tut nichts zur Sache; wenn Ihr auch wirklich eine Gräfin wäret, so will ich Euch dennoch beschützen.« – »Ihr seid zu ihrem Schutze verpflichtet, und wäre sie eine Herzogin!« sagte Peter, »denn Ihr habt einmal Euer Wort gegeben.« – »Recht, Peter, ganz recht! es ist ja unser altes niederländisches Sprichwort: ein Mann, ein Wort, und nun laßt uns ans Werk gehen. Wir müssen von diesem Wilhelm von der Mark Abschied nehmen, und doch ahnt mir nichts Gutes, wenn ich an ihn denke.«
»Wäre es nicht besser, da Ihr doch einmal Leute beisammen habt, gerade auf das Tor loszugehen und die Wache zu überfallen?« fragte Quentin; allein Pavillon und sein Ratgeber erklärten sich sogleich beide gegen solchen tollkühnen Angriff auf die Soldaten, ihre Bundesgenossen. Man beschloß also, sich kühn in den großen Saal des Schlosses zu begeben, wo, wie sie vernahmen, der wilde Eber der Ardennen sein Festmahl hielt, und um freien Ausgang für den Syndikus von Lüttich und dessen Begleiter zu bitten: ein Verlangen, das, wie es schien, zu billig war, um verweigert zu werden. Der gute Bürgermeister seufzte indessen noch immer tief auf, wenn er seine Gefährten ansah, und sprach zu seinem treuen Peter: »Sieh nur, was es heißt, ein zu kühnes und gefühlloses Herz zu haben! Ach, Peterkin, was haben Mut und Menschlichkeit mich nicht schon gekostet! Wie teuer werden mich meine Tugenden noch zu stehen kommen, ehe der Himmel uns aus diesem verdammten Schlosse Schönwald erlöst!«
Als sie über den mit Sterbenden und Toten bedeckten Hof gingen, flüsterte Quentin der Gräfin, während er sie durch diese Schreckensszene geleitete, Mut und Fassung zu und bat sie, zu bedenken, daß ihre Rettung einzig nur von ihrer Festigkeit und Geistesgegenwart abhänge. – »Nicht von der meinigen,« entgegnete sie, »von der Eurigen allein. – O! entgehe ich nur dieser furchtbaren Nacht, nie werd' ich den vergessen, der mich rettete. Doch um eine Gunst flehe ich noch zu Euch, sie mir zu gewähren!« – »Was könntet Ihr verlangen, das ich verweigern möchte?« flüsterte Quentin ihr zu. – »Stoßt mir den Dolch ins Herz,« sprach sie, »ehe Ihr mich in den Händen dieses Ungeheuers als Gefangene laßt.«
Quentins einzige Antwort war ein Druck der Hand der jungen Gräfin, von dessen Erwiderung sie nur der Schrecken zurückzuhalten schien. An ihren jungen Beschützer sich lehnend, trat sie in die furchtbare Halle. Voran gingen Pavillon und sein Leutnant, und ihnen folgten ein Dutzend Leute aus der Kürschnergilde, die den Syndikus als Ehrenwache begleiteten.
Als sie sich der Halle näherten, schien das lautgellende Geschrei und das wilde Gelächter, das ihnen entgegenschallte, mehr ein Festmahl schwelgender Höllengeister, die irgend einen Triumph über das Menschengeschlecht feiern, als eine Versammlung menschlicher Wesen zu verkündigen, denen ein kühnes Unternehmen gelungen ist. Eine krampfhafte Stimmung des Gemüts, die nur die Verzweiflung geben konnte, hielt den erkünstelten Mut der Gräfin Isabelle aufrecht. Unerschütterliche Herzhaftigkeit, die mit der Größe der Gefahr wächst, beseelte Durward, indes Pavillon und sein Leutnant aus der Not eine Tugend machten und wie Bären standen, die, an einen Pfahl gebunden, notwendig die Gefahren der Jagd bestehen müssen.