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Viertes Kapitel.

Kaum ließ sich eine ungewöhnlichere und schrecklichere Veränderung denken, als diejenige war, welche in der Schloßhalle von Schönwald stattgefunden, seitdem Ouentin dort am Mittagsmahle teilgenommen hatte. Das Ganze stellte in der Tat in den grellsten Zügen das Elend des Krieges dar, besonders wie er von diesen unbarmherzigsten aller Werkzeuge, den Söldlingen eines barbarischen Zeitalters, geführt wurde – Menschen, die durch Gewohnheit und Gewerbe mit allem dem, was dies Gewerbe Grausames und Blutiges hat, vertraut geworden waren, während ihnen ebensowohl Vaterlandsliebe als der romantische Geist des Rittertums abgingen.

Statt des ordentlichen, anständigen, etwas förmlichen Mahles, zu welchem sich bürgerliche und geistliche Beamte noch wenige Stunden vorher in dem nämlichen Gemache eingefunden hatten, wo bei allem Ueberfluß an Speise und Wein doch Anstand herrschte, wenn auch ein erkünstelter, bot sich jetzt eine Szene wilder, tobender Völlerei dar, die selbst der böse Feind, hätte er Ordner des Festes sein wollen, nicht satanischer hätte schaffen können.

Am obern Ende der Tafel saß im bischöflichen Thronsessel, der eiligst von dem großen Ratszimmer hierher gebracht worden war, der gefürchtete Eber der Ardennen, der diesen schrecklichen Namen nur allzusehr verdiente. Er hatte den Helm abgenommen, trug aber seine schwere, glänzende Rüstung, die er nur selten ablegte. Ueber seinen Schultern hing ein dicker Ueberwurf, aus der Haut eines ungeheuern wilden Ebers verfertigt, dessen Hauer und Klauen von gediegenem Silber waren. Die Haut des Kopfes war so zugerichtet, daß sie, wenn der Mann in voller Rüstung war, über seinen Helm, oder auch als Kapuze über sein bloßes Haupt gezogen werden könnte. Der obere Teil seines Gesichts strafte beinahe den Charakter dieses Haudegens Lügen; denn obgleich sein Haar, wenn es unbedeckt war, den rauhen, wilden Borsten der Kapuze glich, die er darüber gezogen hatte, so lag doch in seiner offenen, hohen, männlichen Stirn, den breiten, fleischigen Wangen, großen, glänzenden Augen, samt der Adlernase, etwas Tapferes und Großartiges; allein der Ausdruck dieser einnehmenden Züge ward gänzlich verwischt durch die Gewöhnung an Gewalttat und Grausamkeit, die, verbunden mit Schwelgerei und Unmäßigkeit, seinen Zügen einen Charakter gaben, der mit der rauhen Tapferkeit des Mannes in gänzlichem Widerspruche stand. Aus angeborenem Hange zur Völlerei waren die Muskeln seiner Wangen, insbesondere die Umgebungen der Augen geschwellt. Seine Augen selbst waren getrübt, und das Weiße derselben gerötet, so daß das Ganze dem Gesichte alle die scheußliche Aehnlichkeit mit dem Ungeheuer gab, dem der furchtbare Baron zu gleichen so sehr sich bemühte. Allein aus seltsamem Widerspruchsgeiste suchte Wilhelm von der Mark, indem er in anderer Rücksicht sich das Ansehen eines Ebers zu geben suchte, doch durch einen langen, dicken Bart das zu verbergen, was ihm ursprünglich jene Benennung zugezogen hatte. Dies war nämlich die ungewöhnliche Dicke des hervorstehenden Mundes und der oberen Kinnbacken; verbunden mit den gewaltigen hervorstehenden Seitenzähnen hatten sie ihm jene Aehnlichkeit mit der Tiergattung gegeben, die, nebst dem Vergnügen, das Wilhelm von der Mark darin fand, im Ardennenwalde zu jagen, ihm den Namen des Ebers der Ardennen zugezogen hatte. Der breite, krause und ungekämmte Bart vermochte jedoch weder den schrecklichen Ausdruck des Gesichts zu verbergen, noch seiner tierischen Roheit einige Würde zu verleihen.

Die Soldaten und Offiziere saßen rund um die Tafel her, untermischt mit Lüttichern, von denen einige aus der Hefe des Volks waren; unter ihnen Nickel Block, der Schlächter, der dicht an der Seite Wilhelms von der Mark saß und sich durch seine aufgestreiften Aermel und seine mit Blut gefärbten Arme, sowie auch durch ein vor ihm liegendes blutiges, großes Messer kennzeichnete. Die Soldaten hatten meistens gleich ihrem Anführer sehr lange, krause Bärte. Ihre Haare waren aufwärts gekämmt, so daß dadurch die natürliche Wildheit ihres Aeußeren noch mehr erhöht wurde; die Reden, die sie führten, die Lieder, die sie sangen, waren so unzüchtig und lästerlich, daß Quentin Gott dankte, daß sie bei dem gewaltigen Lärmen von seiner Begleiterin nicht gehört und verstanden werden konnten.

Als der Syndikus Pavillon bei dieser wilden Gesellschaft angemeldet wurde, versuchte er kraft seines Ansehens und seines Einflusses einen Ausdruck von Wichtigkeit und Gleichmut anzunehmen. Aber es wollte ihm nicht recht gelingen, ihn zu finden. Ungeachtet der Ermahnungen Peters, der ihm nicht ohne merkliche Bestürzung ins Ohr flüsterte: »Mut gefaßt, Meister, oder wir sind alle verloren!« behauptete der Syndikus jedoch seine Würde, so gut er konnte und gratulierte der Gesellschaft zu dem großen Siege, den sie vereint gewonnen hätten. – »Ja,« antwortete Wilhelm von der Mark spöttisch, »wir haben endlich das Wild zum Schuß gebracht; aber, Herr Bürgermeister, Ihr erscheint ja hier wie der Kriegsgott mit der Schönheit zur Seite. Wer ist diese Holde? Hinweg mit dem Schleier! – Kein Weib soll diese Nacht ihre Schönheit ihr Eigentum nennen!« – »Es ist meine Tochter, edler Feldherr!« antwortete Pavillon, »und ich bitte, ihr zu erlauben, daß sie verschleiert bleibt. Sie hat deshalb ein Gelübde getan zu den heiligen drei Königen.« – »Ich will sie dessen sogleich entbinden,« versetzte Wilhelm von der Mark; »denn ich will mich mit dem Streiche eines Schlächterbeils zum Bischof von Lüttich machen; und ich sollte doch glauben, ein lebender Bischof wiegt drei tote Könige auf.«

Ein Schauder ergriff die Gäste, denn die Lütticher Bürgerschaft und sogar einige der rohen Soldaten verehrten wenigstens die Könige von Köln, wie sie gewöhnlich genannt wurden, wenn sie auch sonst vor gar nichts Furcht hatten. – »Nun, ich habe auch nicht die Absicht, einen Hochverrat an den verstorbenen Majestäten zu begehen,« sprach Wilhelm, »ich will bloß Bischof werden. Ein Fürst, der zugleich weltlich und geistlich ist, der Macht hat, zu binden und zu lösen, paßt doch am besten für eine Bande von Bösewichten, wie Ihr seid; denn kein anderer würde Euch die Absolution erteilen. – Aber kommt hierher, edler Herr Bürgermeister, setzt Euch an meine Seite, Ihr sollt sehen, wie ich für meine eigene Beförderung Platz machen werde. Man führe unsern Vorgänger auf dem heiligen Stuhle hierher.« Ein Aufruhr entstand in der Halle, als Pavillon, den angebotenen Ehrenplatz ablehnend, sich fast an das untere Ende der Tafel setzte. Seine Begleiter schlossen sich dicht hinter ihn an, nicht unähnlich einer Herde von Schafen, die sich zuweilen hinter einen alten Leithammel drängt, dem sie seines Amts und seines Ansehens halber mehr Mut als sich selbst zutraut. Nahe dabei saß ein hübscher Jüngling, ein natürlicher Sohn, wie man sagte, des wilden von der Mark, gegen den er zuweilen eine große Zuneigung und selbst Zärtlichkeit blicken ließ. Die Mutter des Jungen, eine schöne Beischläferin, war von dem wilden Häuptlinge in einem Anfall von Trunkenheit oder Eifersucht durch einen Schlag, den er ihr versetzte, umgebracht worden; und eine Zuneigung zu der überlebenden Waise mochte zum Teil in den Gewissensbissen ihren Grund haben, die der Wüterich von Zeit zu Zeit über diese Untat fühlte. Quentin, der diesen Charakterzug des Häuptlings von dem alten Priester erfahren hatte, stellte sich, so nahe er konnte, hinter diesen Jüngling, entschlossen, ihn auf die eine oder die andere Weise zu seiner Geißel oder zu seinem Beschützer zu machen, wenn alle anderen Rettungsmittel fehlschlagen sollten.

Während alle in gespannter Erwartung dastanden, flüsterte einer von Pavillons Begleitern Peter zu: »Nannte nicht unser Herr das Mädchen seine Tochter? Das kann doch unmöglich unser Trudchen sein. Dies schmucke Mädchen ist gewiß zwei Zoll größer, und dort guckt auch eine schwarze Locke unter ihrem Schleier hervor. Bei St. Michael auf dem Marktplatze! Ebensogut könnte man eine schwarze Ochsenhaut für eine weiße Kuhhaut nehmen.« – »Still! still!« sprach Peter mit einiger Geistesgegenwart – »wenn nun unserm Meister die Lust ankäme, ein Stück Hochwildbret aus des Bischofs Park hier zu stehlen, ohne daß die gute Frau zu Hause etwas davon erführe, ziemte es dann Dir oder mir, den Spion bei ihm zu machen?« – »Bei Leibe nicht, Bruder,« antwortete der andere, »obgleich ich nicht gedacht hätte, daß er in seinen Jahren noch ein solcher Wilddieb werden würde. Sapperment! Wie furchtsam das schöne Ding da ist! Sieh mal, wie sie sich hinter den Sessel dort verkriecht, im Rücken der Leute, um den Blicken der Märker zu entgehen. – Aber halt, halt! was wollen sie denn mit dem alten Bischof machen?«

Als er so sprach, ward der Bischof von Lüttich, Ludwig von Bourbon, von den rohen Soldaten in den Saal seines eigenen Palastes geschleppt, in einem Zustande, der deutlich die schlimme Behandlung verriet, die der Unglückliche bereits erfahren hatte. Zu gutem Glücke, wie Quentin glauben mußte, stand die Gräfin Isabelle an einem Platze, wo sie weder hören noch sehen konnte, was vorging, denn sonst hätte sie sich in ihrer Entrüstung über solchen Frevel sicher verraten, und um dies zu verhindern, stellte Durward sich absichtlich so vor sie hin, daß sie weder selbst die Vorgänge beobachten, noch von den Anwesenden leicht bemerkt werden konnte.

Der Auftritt, der sich nun abspielte, war kurz und schrecklich. Als der unglückliche Prälat vor den Stuhl des wilden Häuptlings gebracht wurde, legte er, obgleich er sich in seinem früheren Leben nur durch Sanftmut und Freundlichkeit ausgezeichnet hatte, in diesem entscheidenden Augenblicke ein Bewußtsein seiner Würde und edeln Abstammung an den Tag, das des vornehmen Geschlechts, aus dem er entsprossen, vollkommen würdig war. Sein Blick verriet Fassung und Unerschrockenheit; seine Bewegungen waren, als die rohen Hände, die ihn hergeschleppt hatten, von ihm abließen, edel und zugleich voll Ergebung; und sein Benehmen hielt die Mitte zwischen der Haltung eines Lehnsfürsten und eines Märtyrers. Selbst auf Wilhelm von der Mark machte die feste Haltung seines Gefangenen, sowie die Erinnerung an frühere Wohltaten, die er von ihm empfangen hatte, einen solchen Eindruck, daß er unentschlossen die Augen niederschlug; erst nachdem er einen großen Becher Weins geleert hatte, nahm er seine hochfahrende Frechheit in Blick und Benehmen wieder an. – »Ludwig von Bourbon,« sagte der Wüterich, indem er tief Atem holte, die Fäuste ballte, die Zähne zusammenbiß und auf jede Weise seine natürliche Wildheit aufzuregen und zu behaupten suchte, – »ich suchte Eure Freundschaft, – Ihr habt die meinige verworfen. Was würdet Ihr wohl jetzt darum geben, daß es anders gewesen wäre? – Nickel, halte Dich bereit!«

Der Schlächter stand auf, ergriff seine Waffe, schlich sich hinter Wilhelms Sessel und stand nun, das Beil mit seinen nackten, nervigen Armen erhebend, da. – »Schau diesen Mann an, Ludwig von Bourbon!« sprach von der Mark wieder. »Was bietest Du mir, um dieser gefahrvollen Stunde zu entgehen?« – Der Bischof warf einen schwermütigen, aber festen Blick auf den gräßlichen Helfershelfer, der bereit schien, den Willen des Tyrannen zu vollstrecken, und sprach dann mit unerschrockenem Mute: »Höre mich, Wilhelm von der Mark, und alle ihr guten Leute, wenn deren da sind, die diesen Namen verdienen, hört die einzigen Bedingungen, die ich diesem Bösewicht anbieten kann! – Wilhelm von der Mark, Du hast eine kaiserliche Stadt zum Aufruhr verleitet, hast den Palast eines Fürsten des heiligen römischen Reiches erstürmt, hast sein Volk erschlagen, seine Besitztümer geplündert, seine Person mißhandelt; – dafür bist Du dem Bann des Reiches verfallen und hast verdient, geächtet und für land- und rechtlos erklärt zu werden. Aber Du hast noch mehr getan als alles dies. Höhere als menschliche Gesetze hast Du gebrochen, mehr als menschliche Rache hast Du verdient. Eingebrochen bist Du in das Heiligtum des Herrn, hast frevelhaft die Hand an einen Vater der Kirche gelegt, hast das Haus Gottes mit Blut und Raub befleckt, wie ein kirchenräuberischer Frevler gehandelt.« – »Bist Du zu Ende?« fragte von der Mark, voll Wut ihn unterbrechend und mit den Füßen stampfend. – »Nein,« antwortete der Prälat, »denn ich habe die Bedingungen noch nicht gesagt, die Du von mir zu hören verlangtest.« – »Nun, so fahre fort,« sagte Wilhelm von der Mark, »und mach, daß Deine Bedingungen mir besser gefallen als Deine Einleitung, sonst wehe Deinem grauen Haupte!« und damit warf er sich in den Sessel zurück, biß die Zähne übereinander, bis der Schaum von seinen Lippen, wie von den Hauern des wilden Tieres floß, dessen Namen und Haut er trug. – »Dies sind Deine Verbrechen,« fing der Bischof mit ruhiger Entschlossenheit wieder an: »nun höre die Bedingungen, die ich als gnädiger Fürst und christlicher Prälat, der alle persönliche Beleidigung und Mißhandlung beiseite setzt und vergibt, Dir anzubieten mich herablasse: Wirf seinen Kommandostab von Dir, entsage seinem Oberbefehl, gib Deine Gefangenen frei, erstatte Deinen Raub, verteile, was Du von Gütern besitzest, zum Besten derer, die Du zu Waisen und Witwen gemacht hast, tue Buße in Sack und Asche, nimm den Pilgerstab in die Hand und wallfahre nach Rom, und wir selbst wollen für Dich bei dem kaiserlichen Kammergericht zu Regensburg für Dein Leben, und bei dem heiligen Vater, dem Papst, für Deine arme Seele Fürsprache einlegen.«

Während Ludwig von Bourbon diese Bedingungen in einem so festen, entschiedenen Tone vortrug, als ob er noch auf seinem bischöflichen Throne säße, der Wüterich aber gebunden ihm zu Füßen läge, erhob sich dieser langsam auf seinem Stuhle; das Erstaunen, das ihn anfangs ergriffen hatte, ging allmählich in Wut über, und als der Bischof zu reden aufgehört hatte, warf er dem Schlächter Nickel Block einen Blick zu und erhob seinen Finger, ohne ein Wort zu sprechen. Der Bösewicht schlug zu, als ob er sein gewöhnliches Geschäft im Schlachthause verrichtete, und der ermordete Bischof sank, ohne einen Laut von sich zu geben, an dem Fuße seines eigenen bischöflichen Stuhls nieder. Die Lütticher, auf einen so schrecklichen Ausgang nicht vorbereitet, sprangen insgesamt mit einem Schrei der Verwünschung und des Abscheus auf, in dem sich Drohungen von Rache mischten.

Wilhelm von der Mark aber erhob seine furchtbare, den Tumult übertönende Stimme, schüttelte seine geballte Faust und seinen ausgestreckten Arm und rief: »Wie, ihr Schweine von Lüttich, die ihr euch wälzt im Schlamme der Maas, ihr wagt es, euch mit dem wilden Eber der Ardennen zu messen? Auf denn, Eberbrut!« (ein Ausdruck, womit er selbst und andere seine Soldaten zu nennen pflegte) »laßt diese flamändischen Schweine eure Hauer sehen!«

Auf diesen Befehl sprangen alle seine Begleiter auf, und da sie mit ihren bisherigen Bundesgenossen vermischt gesessen hatten und auf solche Ueberraschung wohlvorbereitet waren, faßte jeder im Augenblick seinen nächsten Nachbar beim Kragen, während seine Rechte einen breiten Dolch schwang, der im Lampenschein und Mondlicht schimmerte. Jeder Arm war gehoben, aber keiner stieß zu; denn die Schlachtopfer waren zu sehr überrascht, um Widerstand zu leisten, und vermutlich war von der Marks Absicht bloß, seinen städtischen Verbündeten Schrecken einzujagen.

Allein Quentin Durward, über seine Jahre schnell entschlossen, und überdies in diesem Augenblicke durch den Anblick dessen, was hier vorgekommen war, aufs höchste aufgeregt, gab der Szene eine neue Wendung. Nachahmend, was die Leute von der Marks taten, sprang er auf den jugendlichen Sohn ihres Anführers los, überwältigte ihn mit leichter Mühe, hielt ihm den Dolch an die Kehle und rief: »Ist das Euer Spiel? nun so spiele ich ebenfalls mit.« – »Halt! halt!« rief von der Mark aus, »es ist ja nur Scherz! – Glaubt Ihr denn, ich wollte meinen guten Freunden und Verbündeten, den Bürgern von Lüttich, etwas zuleide tun? – Soldaten, laßt los; setzt euch! Schafft dieses Aas hinweg,« (dabei gab er dem Leichnam des Bischofs einen Tritt mit dem Fuße), »das solchen Streit unter Freunden veranlaßt hat, und laßt uns alle Unfreundlichkeit in einem neuen Gelage ersäufen.« Alle ließen los, und die Bürger und Soldaten sahen einander an, als ob sie nicht recht wüßten, ob sie Freunde oder Feinde wären. Quentin Durward benützte diesen Augenblick.

»Hört mich, Wilhelm von der Mark,« sprach er, »und ihr, Bürger und Einwohner von Lüttich! – und Ihr, junger Herr, verhaltet Euch ruhig,« (der junge Eberssohn hatte einen Versuch gemacht, seinen Händen zu entschlüpfen)! »Euch soll kein Leid geschehen, wofern nicht wieder einer von diesen gefährlichen Scherzen aufgetischt wird.« – »Wer bist Du, ins Teufels Namen?« fragte von der Mark erstaunt, »der Du hierher kommst, uns Bedingungen vorzuschreiben, und von uns in unserem eigenen Wildlager Geißeln nimmst?« – »Ich bin ein Diener König Ludwigs von Frankreich,« sprach Quentin mit Kühnheit, »ein Bogenschütze aus seiner schottischen Leibwache, wie Ihr aus meiner Sprache und meiner Kleidung ersehen könnt. Ich bin hier, um Euer Verfahren zu beobachten und darüber zu berichten, und sehe mit Verwunderung, daß es eher Heiden als Christen, eher Tollhäuslern als Menschen, die ihrer Vernunft mächtig sind, gleicht. Die Heere Karls von Burgund werden sogleich gegen Euch in Bewegung sein, und wenn Ihr Frankreichs Beistand wünscht, so müßt Ihr Euch anders benehmen. – Euch aber, ihr Männer von Lüttich, rate ich, sogleich in eure Stadt zurückzukehren, und wollte jemand eurem Abzug ein Hindernis in den Weg legen, so erkläre ich diejenigen, die dieses tun, für Feinde meines Herrn, des allerchristlichsten Königs von Frankreich.« – »Frankreich und Lüttich! Frankreich und Lüttich!« riefen Pavillons Begleiter und mehrere andere Bürger, deren Mut bei Quentins kühner Sprache zu wachsen begann. »Frankreich und Lüttich! lange lebe der tapfere Bogenschütze! wir wollen leben und sterben mit ihm!«

Die Augen Wilhelms von der Mark funkelten. Er griff nach seinem Dolch, um ihn dem kühnen Sprecher ins Herz zu stoßen; als er aber seine Blicke umherwarf, las er in denen seiner Soldaten etwas, was er selbst zu achten genötigt war. Manche von ihnen waren Franzosen, und alle wußten, daß Wilhelm aus diesem Reiche insgeheim an Geld und Leuten Unterstützung erhielt; ja einige von ihnen waren über den soeben verübten Mord aufs äußerste entsetzt. Der Name Karl von Burgund, von dem man erwarten konnte, daß er die Taten dieser Nacht aufs blutigste rächen würde, und die große Unklugheit von der Marks, zu gleicher Zeit mit den Lüttichern Händel anzufangen und den Monarchen von Frankreich herauszufordern, machten einen höchst niederschlagenden Eindruck auf ihre Gemüter, so wenig sie auch im Augenblicke des Gebrauchs ihrer Verstandskräfte mächtig waren. Kurz, von der Mark sah, daß er auch von seiner eigenen Bande bei weiterer Gewalttätigkeit nicht unterstützt werden würde; er mäßigte sich daher und erklärte, daß er nicht im geringsten Schlimmes gegen seine guten Freunde, die Lütticher, im Schilde führe, und daß es allen frei stehe, Schönwald nach Belieben zu verlassen, obgleich er gehofft hätte, sie würden zu Ehren ihres Sieges wenigstens eine Nacht mit ihm verschmausen. Mit mehr als gewöhnlicher Ruhe setzte er hinzu: er sei bereit, entweder am nächsten Tage, oder sobald sie es wünschten, wegen der Teilung der Beute und der zu ergreifenden Verteidigungsmaßregeln sich mit ihnen zu verständigen; indessen hoffe er, der schottische Herr werde sein Fest dadurch ehren, daß er die Nacht über noch in Schönwald bleibe.

Der junge Schotte dankte und sagte: er habe sich nach Pavillon zu richten, an den er, seiner Weisung gemäß, sich hauptsächlich anschließen müsse; unfehlbar aber werde er diesen bei der Rückkehr in das Hauptquartier des tapferen Wilhelm von der Mark begleiten. – »Wenn Ihr Euch nach mir zu richten habt,« versetzte Pavillon hastig, »so werdet Ihr Schönwald wahrscheinlich ohne Verzug verlassen, und wenn Ihr nur in meiner Gesellschaft wieder nach Schönwald kommen wollt, so werdet Ihr es sobald nicht mehr sehen.« Den letzten Teil seiner Rede sprach der ehrliche Bürger still vor sich hin, aus Furcht vor den Folgen, wenn er seine Gesinnungen laut werden ließe, die er jedoch nicht ganz zu unterdrücken imstande war.

»Schließt euch dicht an mich an, meine wackern Kürschnergesellen,« sagte er zu seiner Leibgarde, »damit wir so schnell wie möglich aus dieser Diebeshöhle entkommen.«

Die meisten Lütticher der besseren Klasse schienen gleicher Meinung mit ihrem Syndikus zu sein und hatten sich nicht so sehr über die Einnahme von Schönwald gefreut, als sie über die Aussicht frohlockten, dasselbe wieder mit heiler Haut zu verlassen. Sie zogen aus dem Schloß, ohne daß man ihnen irgend ein Hindernis in den Weg legte, und Quentin war herzlich froh, als er diese furchtbaren Mauern hinter sich hatte. Jetzt fragte er die junge Gräfin zum erstenmal, seitdem sie diese schreckliche Halle betreten hatten, wie sie sich befinde. – »Recht wohl,« antwortete sie in fieberischer Hast. »Verliert keine Zeit mit Fragen! Laßt uns fliehen, laßt uns fliehen!« Während sie sprach, versuchte sie ihre Schritte zu beschleunigen; aber es gelang ihr so wenig, daß sie vor Erschöpfung zu Boden gesunken wäre, hätte nicht Durward sie gehalten. Mit der Zärtlichkeit einer Mutter, die ihr Kind einer Gefahr entreißt, nahm der junge Schotte die kostbare Bürde auf seine Arme, und indes sie seinen Nacken mit einem der ihrigen umschlang, keinem andern Gedanken Raum gebend, als dem Verlangen nach Rettung – da sagte er sich, daß er um keinen Preis die im Laufe dieser Nacht bestandenen Gefahren missen möchte, da sie ein solches Ende nahmen.

Der ehrliche Bürgermeister wurde seinerseits von seinem treuen Ratgeber Peterkin und einem seiner Gesellen unterstützt und vorwärts gezogen; und so gelangten sie in atemloser Hast an das Ufer des Flusses, indem sie manchem Haufen von Bürgern begegneten, die begierig waren, den Ausgang der Belagerung zu erfahren, und ob das Gerücht begründet sei, daß die Sieger unter sich selbst uneinig geworden seien. Sie suchten ihnen, so gut sie konnten, auszuweichen, und den Bemühungen Peters und anderer Begleiter gelang es endlich, ein Boot für die Gesellschaft aufzutreiben, das sie zum Garten des Bürgermeisters trug. Als sie dort landeten, verwandelte sich der mißvergnügte, verdüsterte Demagoge von Bürgermeister im Nu in einen wackern, gütigen, freundlichen und gastfreien Wirt um. Er rief laut nach seinem Trudchen, die auch sogleich erschien; denn Furcht und Angst ließen nur wenige während dieser verhängnisvollen Nacht in Lüttichs Mauern eines ruhigen Schlafes genießen. Trudchen erhielt den Auftrag, für die schöne, halb ohnmächtige Fremde aufs beste Sorge zu tragen, und entledigte sich der jungen Dame gegenüber aller Pflichten edler Gastfreundschaft mit dem Eifer und der Liebe einer Schwester.


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