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Siebentes Kapitel.

Als sie näher an das Schloß heran kamen, öffnete sich das kleine Pförtchen im Tore, und die Zugbrücke fiel. Einer nach dem andern ritt hinein; die Schildwachen aber kreuzten ihre Piken vor Quentin und befahlen ihm, Halt zu machen, während von den Wällen Bogen gegen ihn gespannt und Arkebusen auf ihn gerichtet wurden – trotzdem der Jüngling in Begleitung des nämlichen Korps einritt, das die Schildwachen, die auf dem Posten standen, gestellt hatte.

Balafré war seinem Neffen zur Seite geblieben und gab die nötigen Erklärungen; endlich wurde der Jüngling unter starker Bedeckung in Begleitung Balafrés und Cunninghams nach der Wohnung Crawfords gebracht.

Dieser schottische Edelmann war einer der letzten Ueberreste jenes tapfern Stammes schottischer Lords und Ritter, der Karl dem Sechsten so lang und treu in den blutigen Kriegen gedient hatte, durch welche die Unabhängigkeit der französischen Krone und die Vertreibung der Engländer entschieden worden war. Schon als Knabe hatte er unter Douglas und Buchanan gefochten, hatte unter der Fahne der Johanna d'Arc gestanden und war vielleicht einer der letzten der schottischen Ritterschaft gewesen, die so willig ihre Schwerter für die Lilie der Bourbonen gegen ihren alten englischen Erbfeind gezogen hatte.

Lord Crawford war schlank, schon bejahrt und ziemlich hager und dürr. Indes hatten seine Glieder, wenn auch nicht die Geschmeidigkeit, so doch die Kraft der Jugend behalten, und er konnte das Gewicht seiner Rüstung noch immer so gut tragen, wie der jüngste Mann in seinem Gefolge. Seine Züge waren etwas grob, sein Gesicht mit Narben bedeckt und von der Sonne stark gebräunt. Sein Blick, der dem Tod in dreißig großen Schlachten ins Angesicht geblickt hatte, drückte mehr gutmütige Verachtung der Gefahr als den wilden Söldnermut aus. Seine hochaufgerichtete Gestalt war eben in einen weiten Schlafrock gehüllt, den ein büffellederner Gürtel umschloß, an dem ein mit kostbarem Griffe versehener Dolch hing. Um den Hals trug er die Kette und das Zeichen des St. Michaels-Ordens. Er saß auf einer Art von Kanapee, das mit einer Wildhaut bedeckt war, und las, eine Brille auf der Nase – damals eine neue Erfindung – mit Anstrengung ein großes Manuskript, »le Rosier de la guerre« genannt – ein Gesetzbuch für militärische und bürgerliche Polizei, das Ludwig zum besten seines Sohnes, des Dauphins, hatte zusammentragen lassen und worüber er die Meinung des erfahrenen schottischen Kriegers zu hören wünschte.

Lord Crawford legte sein Buch etwas verdrießlich beiseite, als der unerwartete Besuch eintrat, und fragte in seinem breiten Dialekt: »Was ins Teufels Namen wollt Ihr denn?«

Balafré schilderte nun umständlich die Lage, in der sich sein Neffe befand, und bat demütig um Schutz für ihn. Crawford hörte aufmerksam zu und konnte nicht umhin, über die Einfalt zu lächeln, womit der Jüngling sich des Verbrechers angenommen hatte; allein er schüttelte den Kopf bei dem Berichte über den Streit zwischen den schottischen Bogenschützen und der Wache des Generalprofoßen.

»Wie oft,« sagte er, »werdet Ihr mir noch solche Knäuel zu entwirren bringen? Wie oft soll ich's Euch wiederholen, Ludwig Lesley und Archie Cunningham, daß sich die fremden Truppen bescheiden und anständig benehmen sollen gegen das Volk des Landes, sofern sie nicht alle Hunde der Stadt an ihren Fersen haben wollen? Immerhin ist mir's lieber, daß Ihr mit dem Profoß, als jemand anders in Streit geraten seid. Zudem war es natürlich von Euch, Eurem Verwandten beizuspringen, denn der einfältige Bursche konnte in arge Verlegenheit geraten. Langt mir die Musterrolle der Kompagnie von dem Gesims; wir wollen seinen Namen gleich auf die Liste setzen.«

»Wenn Ew. Herrlichkeit erlauben« – hub Durward an – »Ist der Bursche toll?« rief sein Oheim. »Will er etwa mit Seiner Lordschaft sprechen, ohne daß er gefragt worden ist!« – »Geduld, Ludwig!« sagte Lord Crawford; »wir wollen doch hören, was der Bursche zu sagen hat.«

»Mit Ew. Herrlichkeit Erlaubnis,« versetzte Quentin, »ich habe meinem Oheim früher gesagt, ich hätte einige Bedenken, in diesen Dienst zu treten. Jetzt aber kann ich wohl sagen, daß sie gehoben sind, seit ich den edlen und erfahrenen Befehlshaber gesehen habe, unter dem ich dienen soll; in Euren Blicken, Ew. Herrlichkeit, liegt Ehrfurchtgebietendes.«

»Wohlgesprochen, Bursche!« sagte der alte Lord, nicht unempfänglich für solche Artigkeit; »Gott hat uns einige Erfahrung verliehen, und wir lassen es uns angelegen sein, sie zum besten unseres Königs auszunützen und zu mehren ... Ihr steht also nun unter unserm würdigen Korps der schottischen Leibgarde, als Knappe Eures Oheim und unter seiner Lanze dienend. Ich denke, Ihr sollt's gut haben; denn Ihr müßt ein tüchtiger Kämpfer werden, da Ihr aus einem edlen Stamme entsprossen seid. Ludwig, sorge dafür, daß Dein Verwandter fleißig den Waffenübungen beiwohnt; denn wir werden wohl, denk' ich, in diesen Tagen ein Lanzenstechen haben.« – »Das freut mich, bei meinem Degenknopf! denn der faule Friede macht uns alle zu feigen Memmen.« – »Ich hab ein Vöglein pfeifen hören,« sagte Lord Crawford, »daß das alte Banner wieder im Felde flattern werde.« – »Nun, bei dem Ton,« sagte Balafré, »tu ich schon heut abend einen herzhaften Schluck!« – »Das tust Du ja bei jedem Ton,« entgegnete Lord Crawford; »ich fürchte, Ludwig, Du wirst einmal einen bittern Schluck von Deinem eignen Gebräu trinken.«

Lesley, ein wenig beschämt, erwiderte, daß er schon mehrere Tage sehr mäßig gelebt habe, allein Se. Herrlichkeit kenne ja selbst die Sitte der Kompagnie: dem neuen Kameraden zu Ehren ein Gelage zu halten und auf sein Wohlsein anzustoßen.

»Du hast recht,« sagte der alte Befehlshaber, »ich hatte das vergessen. Ich will Euch zu Eurem Schmause ein paar Maß Wein schicken, aber mit Sonnenuntergang soll das Fest zu Ende sein. Im Vertrauen gesagt, seht zu, daß die Soldaten, die den Dienst haben, sorgfältig ausgemustert werden, und daß keiner von ihnen an dem Gelage teilnehme.« – »Ew. Herrlichkeit Befehl soll pünktlich befolgt werden,« sagte Ludwig; »wir werden schuldigermaßen auf Eure Gesundheit trinken.«

»Es kann sein, daß ich selbst auf ein paar Minuten zu Eurem Feste komme,« versetzte Lord Crawford, »und wär's auch nur, um mich zu überzeugen, daß alles maßvoll zugeht.«

Jetzt kam es darauf an, den Jüngling so schnell wie möglich in die Uniform der Leibwache zu stecken und zu bewaffnen. Bei dem Bankett selbst ging es sehr lustig zu, und die Gäste ließen ihrer Nationalneigung freien Lauf. Es wurden alte schottische Lieder gesungen, alte Geschichten aus der Heldenzeit Schottlands erzählt; die stolzen Taten der Ahnen und die Ereignisse, bei denen sie eine Rolle gespielt hatten, kehrten in ihre Erinnerung wieder, und auf eine Zeitlang gewann die Ebene der Touraine geistige Verwandtschaft mit dem öden Hochlande Schottland. Als die Begeisterung auf den höchsten Gipfel gestiegen war, erschien Lord Crawford, der schon lange bei dem Mahle des Königs, dessen Gast er, wie immer, war, wie auf Kohlen gesessen hatte, um sich zu dem kleinen Feste seiner Leibgarde begeben zu können. Am obersten Ende der Tafel war eine Art Ehrenplatz für ihn hergerichtet worden, denn nach der Sitte des Zeitalters und gemäß der innern Verfassung des Bogenschützen-Korps war es dem Kapitän desselben nicht verwehrt, an einem und demselben Tische mit den Untergebenen zu sitzen und sich an festlichen Gelagen in ihrer Mitte zu zeigen. Mithin vergab sich auch Lord Crawford in seiner Kapitänswürde nichts durch seine Gegenwart. Indessen lehnte er es heute ab, sich auf den für ihn bestimmten Ehrenplatz zu setzen. Er richtete ein paar freundliche Begrüßungsworte an die versammelten Bogenschützen, bat sie, sich in ihrem Vergnügen nicht stören zu lassen, und wohnte stehend dem weitern Verlaufe desselben bei; auf seinem Gesicht malte sich aber unverkennbar die Freude, die er an seinem Bogenschützenkorps hatte. Er unterließ auch nicht, auf das Wohl des neu eingestellten Kameraden zu trinken, was begreiflicherweise ein helles Jubelgebraus hervorrief. Sodann machte er dem Korps Mitteilung, daß der König, infolge Fürsprache des Meisters Oliver, dem Generalprofoßen Befehl erteilt habe, jegliches Verfahren gegen Quentin Durward einzustellen und die Privilegien der schottischen Leibgarde, wie in jedem andern, so besonders auch in diesem Falle unversehrt zu halten.

Hierüber erklang abermaliges Jubelgeschrei aus aller Kehlen, die Becher kreisten von neuem; dann wurde von Balafré auf Lord Crawfords und von diesem auf die Gesundheit König Ludwigs angestoßen, dann zog Lord Crawford den jungen Schotten ins Gespräch und ließ sich von ihm über die alte Heimat und die unter den dortigen Geschlechtern bestehenden Verhältnisse berichten und betonte, daß die Liebe zu Geselligkeit und für Tafelfreuden nicht die schlechteste unter den Bräuchen der Schottländer sei, daß aber junge Leute nichtsdestoweniger gut täten, beides mit einem gewissen Grade von Vorsicht zu üben, weil sie gar zu leicht in ein bedenkliches Uebermaß dabei verfielen, usw.; indessen hinderten den edlen Lord diese weisen Worte nicht, jeden Satz durch einen kräftigen Schluck zu befeuchten und bei jedem Becher, den er leerte, den jungen Schotten zum »Nachkommen« zu animieren. Allmählich wurde ihm dann die Zunge zu schwer, und als dies Cunningham und Balafré bemerkten, hielten sie den rechten Augenblick für gekommen, die Versammlung zum Jubeltoast auf die Oriflamme, das königliche Banner von Frankreich, und auf ihre baldige Entfaltung aufzufordern ... »In burgundischer Luft, wohlverstanden!« ergänzte Lindesay den Toast der beiden Kameraden, und Lord Crawford nahm das Wort zu folgender Ansprache: »Mit ganzer Seele und aller Geisteskraft, über die dieser morsch gewordene Leib noch gebietet, stimme ich in den Spruch der Kameraden ein, und hoffe, so alt ich nun auch bin, die Oriflamme Frankreichs noch einmal flattern zu sehen. Kameraden und treue Diener der Krone Frankreichs! warum sollte ich Euch vorenthalten, daß gestern vom Herzog Karl eine Gesandtschaft hier eingetroffen ist, die eine höchst schlimme Botschaft überbracht hat?«

Einer von den Bogenschützen, Gutherie, sprang auf ... »Unten im Gasthofe bei der Maulbeerhecke halten die Rosse des Grafen von Crevecoeur, der Graf selbst mit Gefolge soll sich beim Könige bereits gemeldet, der König aber soll ihm die Audienz verweigert haben.« – »Na, soll ihm der Himmel nur eine recht ungnädige Antwort mit auf den Heimweg geben!« rief Balafré ... »aber mit welcher Beschwerde ist er denn hergekommen?« – »Ueber allerhand Dinge,« erwiderte Crawford, »die an der Grenze vorgefallen sein sollen; zuletzt aber darüber, daß unser König einer Dame, die aus Dijon geflüchtet sei, einer jungen burgundischen Gräfin, seinen Schutz habe angedeihen lassen, während der Herzog sie als seine Pflegetochter an den Grafen de Campobasso habe verkuppeln wollen.« – »Ist denn die Dame ganz allein nach Frankreich hinübergekommen?« fragte Lindesay. – »Ganz allein nicht,« erwiderte Lord Crawford, »sondern mit einer älteren Verwandten, auch einer Gräfin, die sich in dieser Angelegenheit dem Willen der jüngeren gefügt und die Reise mit ihr zusammen unternommen hat.«

»Aber wird sich denn der König als Lehnsherr des Herzogs in solchen Streit zwischen ihm und seinem Mündel einlassen?« fragte Cunningham, »der Herzog hat doch über sie das gleiche Recht, das dem Könige nach dem Ableben des Herzogs zustände?« – »Der König wird sich wohl in diesem Falle, wie immer, von den Regeln der Politik bestimmen lassen,« bemerkte Crawford, »und bekannt ist Euch wohl, daß er die beiden Gräfinnen nicht offiziell empfangen, sondern unter den Schutz seiner Tochter, der Madame von Beaujeu, oder der Prinzessin Johanna zu stellen geruht hat.« – »Der Burgunder will von Politik aber nie was wissen,« meinte Gutherie, »und so kann's wohl sein, daß sie mal aneinander geraten.« – »Mag der heilige Andreas dazu helfen!« riefe Balafré; »ich hab's mir schon seit zwanzig Jahren prophezeit, daß ich das Glück meines Hauses noch einmal durch eine Heirat mache. Wer weiß, was passiert, wenn wir noch einmal für Ehre und Frauenliebe in den Kampf ziehen, nach dem Motto der alten Romanzen und Rittergesänge?« – »Du willst noch von Frauenliebe faseln mit Deiner Narbe über der Nase?« spottete Gutherie. – »Halt, Kameraden!« rief Crawford, »hier ist der Ort nicht, um mit scharfen Waffen zu fechten oder auch nur einander mit bitterm Spott zu regalieren. Hier sind wir alle zusammen gute Freunde, und was die junge Dame anbetrifft, so ist sie für einen armen schottischen Lord viel zu reich, sonst möchte ich mich schließlich trotz meiner sechzig Jahre selbst um ihre Hand bewerben. Indessen eins können wir tun, nämlich einen Humpen leeren auf ihre Gesundheit! denn sie soll, wie es heißt, ein wahres Lumen von Schönheit sein.« – »Ich dürfte sie,« sagte ein andrer der Bogenschützen, »heut morgen gesehen haben, als ich auf Barrierenwache war. Aber sie sah da mehr aus wie eine dunkle Laterne statt wie ein Licht; denn man trug sie in geschlossener Sänfte nach dem Schlosse.« – Lord Crawford erhob verweisend die Hand und rief, zu dem Sprecher gewandt: »Was sind das für Reden, Arnot? Schämt Euch! welcher Soldat spricht wohl darüber, was er auf seinem Posten sieht? Zudem könnt Ihr doch gar nicht wissen,« setzte er hinzu, »ob sich da grade die Gräfin Isabella in der Sänfte befunden hat?« – »Nun, Mylord,« erwiderte Arnot, »ich kann bloß sagen, daß mein Trabant grade die Pferde im Dorfe herumführte, und dabei dem Eseltreiber Donquin in den Weg lief, der die Sänften wieder nach dem Gasthofe brachte, weil sie dem Lilienwirte gehörte, und da sah ich, wie der Donquin sich einen Humpen Wein vom Wirt geben ließ und den Saunders Steed bat, ihm als alter Bekannter Bescheid zu tun, und der Saunders Steed machte gar keine Umstände, sondern tat ihm auf der Stelle Bescheid ...« – »Auf der Stelle,« wiederholte Lord Crawford, »aber das sage ich Euch, meine Herren! so etwas kommt mir nicht wieder vor, sondern ich verlange, daß es anders in dieser Hinsicht mit Euch werden muß! Eure Trabanten und Burschen sind viel zu schnell bei der Hand, mit jemand ein Glas zu leeren. In Kriegszeiten ist das aber eine gar nicht so ungefährliche Sache! Indessen meine ich, lieber Arnot, wir machen Eurem Berichte, der sich ein wenig in die Länge zu ziehen droht, durch einen kräftigen Schluck ein schnelles Ende. Der Gräfin Isabelle von Croye soll's gelten! und den Wunsch wollen wir damit verbinden, daß es ihr vom Schicksal beschieden sein möge, einen bessern Gatten zu bekommen als den elenden, italienischen Schurken Campobasso. Und nun, Kamerad Arnot, was hat denn der Eseltreiber zu Deinem Trabanten gesprochen?« – »Mit Eurer Herrlichkeit Verlaub,« erwiderte Arnot; »die beiden Damen, die er in den Sänften ins Schloß getragen habe, sagt er, seien gar große Damen gewesen und hätten sich ein paar Tage inkognito im Hause seines Herrn aufgehalten, und der König habe sie auch mehr denn einmal mit seinem Besuche beehrt und ihnen immer große Aufmerksamkeiten erwiesen. Seiner Meinung nach hätten sie sich in das Schloß geflüchtet aus Furcht vor dem Grafen Crevecoeur, dem Gesandten des Burgunders, dessen Ankunft soeben durch einen vorausgeeilten Kurier gemeldet worden wäre.«

»Was Du sagst, Kamerad!« rief da Gutherie, »da sollte man doch meinen, daß es niemand anders als die Gräfin Isabelle gewesen sei, die zur Laute sang, als ich über den Hof ging! Die Musik kam aus den Nebenfenstern des Dauphinturms, und etwas so Liebliches ist wohl im Schlosse Plessis noch nie vernommen worden. Meiner Treu! ich habe gedacht, die Musik käme von niemand als von der Fee Melusine ... Ich hab, trotzdem ich wußte, daß der Tisch für uns schon gedeckt sei, mich wahrhaftig nicht vom Flecke weg rühren können, sondern stand da, wie ... wie ...« – »Wie ein Esel, mein lieber Guthrie,« fiel ihm Lord Crawford ins Wort, »Du hast die Mahlzeit mit Deiner langen Nase gerochen, und die Musik gehört mit Deinen langen Ohren, aber Dein kurzer Verstand hat nicht ausgereicht, Dir zu sagen, wofür Du Dich entscheiden sollst ... Doch schallt da nicht die Glocke von der Kathedrale zur Vesper herüber? es kann doch, weiß der Herr! noch nicht Vesperzeit sein? Da muß der Küster ja um eine ganze Stunde zu zeitig geläutet haben!« – »Nicht doch,« rief Cunningham, »die Glocke erklingt schon zur rechten Zeit! an der westlichen Seite der herrlichen Ebene geht ja schon die Sonne unter.« – »Du hast recht, Cunningham,« erwiderte Lord Crawford; »na, Bursche! wir müssen uns mehr an regelmäßiges Leben halten, denn im Guten kommt man am weitesten ... und ein gutes, altes Sprichwort sagt: langsames Feuer dörrt das Malz recht. Also zum Schluß noch einen vollen Humpen auf Altschottlands Wohl! Dann jeder wieder auf seinen Posten!«

Der Abschiedstrunk! wurde geleert, dann entfernten sich die Soldaten; unter dem Vorwande, ihm ein paar Weisungen noch für seinen Neffen zu geben, in Wahrheit aber, um seinen wankenden Gang geschickt zu verheimlichen, nahm der greise Lord Balafrés Arm und schritt in höchst zeremoniöser Haltung über die beiden Höfe, die seine Behausung von dem Bankettsaale trennten. Aber mit wuchtigen Worten empfahl er vorm Auseinandergehen dem Oheim die gewissenhafteste Fürsorge für den Neffen, besonders da, wo Wein und Weiber in Betracht kämen ... Dem Neffen dagegen war von den Worten, die über die schöne Gräfin Isabelle gesprochen worden waren, nicht das geringste entgangen, und kaum war er in die kleine Zelle getreten, die er hinfort als Page seines Oheims beziehen sollte, so versank er in tiefes Sinnen; und wenn der Leser sich vorstellt, daß er allerhand Luftschlösser gebaut habe in der Annahme, die Dame im Turme, deren Gesänge er mit so großer Teilnahme gelauscht habe, sei einunddieselbe mit der schönen Mundschenkin des Meisters Peter, die vor den Nachstellungen eines verhaßten, von einem tyrannischen Vormunde gehätschelten Liebhabers geflohen sei und sich nun als Gräfin entpuppte, so tut er wahrlich dem jungen Schotten nicht das geringste Unrecht. Daß auch Meister Peter in diesem Luftschloß in einem Zwischensspalte auftrat und eine Rolle darin spielte, die nicht eben nett war, wird nicht weiter befremden, auch wenn sie im Zusammenhange stand mit dem Henkerstricke, dem Ouentin kaum erst mit heiler Haut entgangen war ... Endlich aber wurde der Jüngling aus seinen Träumen gerissen durch den kleinen Will Harper, seinen Stubenkameraden, der ihm die Weisung seines Oheims brachte, sich nun endlich aufs Ohr zu legen und Kräfte für den andern Tag zu sammeln, an welchem er seinen Dienst anzutreten habe.


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