Moritz v. Schwind
Künstlers Erdewallen
Moritz v. Schwind

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München, 26. Dezember 1867 (an Mörike)

Sehr verehrter Freund! Vor allem steht fest, daß mein Tochterl nicht um die ihr zugedachte Vase verkürzt werden darf. Es wird also hiemit feierlichst darauf Beschlag gelegt, ergriffen und bezeichnet – und es wird meine Sorge sein, mich ihrer zu bemächtigen; was man Besitzergreifen nennt.

Nach Stuttgart zu gehen, wenn Sie in Lorch sind, könnte mir gar nicht einfallen. Ob über meine Sachen geschrieben wird oder nicht, ist mir am Ende ganz Wurst, und Verleger oder nicht Verleger geht auch auf eins hinaus. Daß Ihre Gesundheit nicht in der Ordnung ist, ist eine traurige Geschichte. Es ist noch ein Glück, daß Sie so gut damit zurecht kommen. Daß bei Ihrer guten Frau auch noch eine Nervenwirtschaft sich etabliert hat, ist noch vollends das Ärgste. Davon weiß ich auch ein Lied zu singen. Wir arbeiten alle zu viel und haben zu wenig Freude. Da kommt das Ding her. Bei mir wird's mit den Jahren besser. Nur verschluckten Ärger kann ich nicht vertragen.

Wenn Ihnen das Leben in einer so kleinen Stadt taugt, bleiben Sie dort. Ich habe auch schon daran gedacht, aber eigentlich ist mir München zu langweilig und ich wäre lieber in Wien. Mir fällt bei Lorch eine Erzählung eines Freundes ein. Er dürstet nach Ruhe, sucht im Land herum ein Städtchen, wo die Menschen friedlich beisammen leben. Ruhe, Friede, Eintracht. Endlich läßt er sich nieder in einem romantischen Paradiese. Es sind außer Bauern und friedlichen Bürgern nur drei ineinander verheiratete Familien im Ort. In drei Tagen, erzählt er, sei er im klaren gewesen, daß diese drei Familien in fünf wütende Parteien gespalten sind, und da sei er wieder abgereist.

Bei mir ist jetzt sehr viel zu tun, um so mehr als ich mich auf eine etwas lange Arbeit eingelassen habe. Dennoch hoffe ich auf einen schönen Samstagmorgen, an dem es abreiserlich aussieht. Es wird wohl der Zug von Nördlingen nach Lorch mit dem von München nach Nördlingen zusammenhängen.

Da Sie das Zimmer nicht verlassen, finde ich Sie jedenfalls zu Haus, und ich kann auch auf all den Spektakel hinauf einen ruhigen Tag brauchen.

So schrieb ich gleich nach Empfang Ihres Briefes, der besten Meinung, in ein paar Tagen mich auf den Weg zu machen. Nun aber war mein Sohn in Karlsruh. Ich wollte mit ihm irgendwo zusammentreffen. Derweil kam er plötzlich hieher – item die Zeit war verpaßt und ich mußte nach Wien, wo ich vom 15. November bis 2. Dezember mich aufhielt. Eine zwanzigjährige Tochter in die Fremde verheiraten, das ist ein Stück Arbeit und ein Wiedersehen über alles kostbar. Gott sei Dank, sieht sie vortrefflich aus und ist höchlichst zufrieden, und in meinem Geschäft kam ich gerade recht, um einen großen Unsinn aufzuhalten. Seit ich zurück bin, plagte ich mich mit kleinen Ausbesserungen herum und bekam am rechten Ellbogen einen großen, roten, heißen Fleck, begleitet von allgemeiner Verkältung, so daß ich nicht ausgehen und nichts tun konnte. Nun haben wir Weihnachten hinter uns und steuern dem neuen Jahr zu. Wenigstens bringt man da seine Briefschulden in Ordnung. Reden wir also von dem Gescheitesten, von jenem schönen »Topf aus Erden« und dessen Beförderung nach München. Ich weiß es: Packen ist das Ärgste; aber hoffentlich gibt es in Stuttgart auch Menschen, die so was besorgen, um Geld und gute Worte. Allenfalls ist der photographische Buchhändler mit einem solchen individuus bekannt und schafft es herbei. Mein Tochterl freut sich so und es ist eine solche Ehre für sie, daß ich nicht ablassen kann, Sie zu quälen. Desgleichen werden Sie geplagt mit einer Sendung von Zeichnungen, wenn ich weiß, wo Sie jetzt eigentlich sind. In dem einsamen Lorch oder in dem gleichfalls einsamen Stuttgart? Wollen Sie mir das mit zwei Worten zu wissen machen? Sie wundern sich gewiß, daß ein Mensch so närrisch ist und zeichnet vierzig Blätter voll Uhren, Tintenzeuge, Lampen, Schlösser und dergl. Teufelszeug. Ich habe aber von Natur aus eine Goldschmiedsader im Leib, die mir keine Ruhe läßt.

Hoffentlich haben Sie Weihnachten gesund und fröhlich unter den Ihrigen zugebracht und gehen dem neuen Jahre wohlgemut entgegen. Ich für mein Teil denke, trotz meinen Jahren noch was zu leisten.

Ich habe mich dummer Weise wieder in eine große Arbeit eingelassen – wie Grillparzer sagt: so lange Sachen, worunter er Trauerspiele versteht. Ich habe den alten Herrn – 76 Jahre – in Wien besucht und mit ihm von dieser Arbeit, der Geschichte der Melusine, gesprochen mit der Bemerkung, daß das Wunderbare dermalen außer Kredit sei. Sagt er darauf: Ich habe ein Gespräch in vier Versen gemacht, das heißt:

»Laßt mir doch das Wunderbare!
Gar mancher hat's vor mir geehrt.
Allein das Menschliche – das ist das Wahre«;
»Das Wahre – aber kaum der Mühe wert.«

Nicht übel. Das ist schade, daß Sie den Mann nicht kennen.

In Paris waren Bilder von mir, die glänzend durchgefallen sind, was mich eigentlich freut, denn ich möchte diesen Hanswursten nicht gefallen. Sind aber wieder eigene Kauze unter den Franzosen. An Kaulbach schreibt einer, sie wüßten keine Gegenstände, bei uns – er nennt auch mich – schiene daran kein Mangel zu sein, und bliebe gewiß eine Menge unausgenützt liegen; wir möchten ihnen von unserm Überfluß schicken. Das ist doch vortrefflich. Wäre ich des Französischen mächtig, so bekäm er einen Brief von mir. Mit Staunen bin ich erfüllt über X. Im Ganzen so gescheit und im Detail so dumm! Spricht ganz trocken aus, ein Bild soll gar nichts vorstellen – bloß Malerei. Der soll sich wundern, was die in ein paar Jahren für Geschmier vorbringen. Die Kunst ist ein sehr aristokratisches Ding, da laßt's die Herrn Demokraten sitzen. – Aber was kümmert Sie das dumme Zeug? Sie leben in einer andern Welt. Die neue Aufgabe ist reizend. Erstens ist das Porträt ganz gut – der Druck größer und die neuen Gedichte einzig, eins schöner als das andere. Werden immer wieder hervorgeholt und gelesen und werden immer schöner.

Jetzt empfehlen Sie mich Ihren großen und kleinen Damen, bedauern Sie mich, daß ich um den Besuch gekommen bin, und freuen Sie sich mit mir, daß es wieder auf den Frühling los geht, wo man wieder ans Reisen denken kann. Tun Sie ein übriges wegen des Topfes und lassen Sie mich wissen, wo Sie stecken. Gesundes und glückseliges neues Jahr wünsche ich Ihnen und Ihr ungetrübtes Wohlwollen und fröhliches Wiedersehen

Ihrem Freund Schwind.


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