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Während dies vor Troja geschah, kamen die Gesandten der Griechen, Diomedes und Odysseus, glücklich auf der Insel Skyros an. Hier trafen sie den jungen Sohn des Achill, Pyrrhos, der später von den Griechen Neoptolemos, das heißt Jungkrieger, genannt wurde, vor dem Hause des Großvaters, wie er sich abwechselnd im Pfeilschießen und Speerschleudern übte, dann auch wieder zu Wagen schnelle Rosse tummelte. Sie sahen ihm eine Weile mit Wohlgefallen zu und lasen mit inniger Teilnahme auf seinem Antlitz zugleich die Spuren der Trauer: denn der Tod des Vaters war dem Jüngling schon bekannt. Als sie näher traten, mußten sie staunen, denn der Jüngling war an schöner und hoher Gestalt ganz und gar seinem Vater ähnlich. Pyrrhos kam ihnen mit seinem Gruße zuvor: »Seid mir von Herzen willkommen, Fremdlinge«, sprach er. »Wer seid ihr und woher kommt ihr? Was wollt ihr von mir?« Darauf erwiderte ihm Odysseus: »Wir sind Freunde deines Vaters Achill und zweifeln nicht, daß wir zu seinem Sohne sprechen; so ganz ähnlich bist du ihm von Gestalt und Antlitz. Ich selbst bin Odysseus aus Ithaka, der Sohn des Laërtes, mein Genosse aber ist Diomedes, der Sohn des unsterblichen Tydeus. Wir kommen, der Weissagung unsers Sehers Kalchas gehorsam, dich auf den Kampfplatz von Troja zu holen, damit wir den Krieg glücklich beendigen können. Die Söhne der Griechen werden dir herrliche Gaben verleihen, ich selbst will dir die unsterblichen Waffen deines Vaters, die mir zugesprochen worden sind, abtreten.«
Freudig antwortete ihm Pyrrhos: »Wenn die Achajer mich rufen, der Stimme eines Gottes gehorsam, so laßt uns nur gleich morgen in die See stechen. Jetzt aber kommt mit mir in den Palast meines Großvaters und zu seinem gastlichen Tische!« In dem Königshause angelangt, fanden sie die Witwe des Achill, Deïdameia, noch in tiefer Herzensbetrübnis, dahinschmelzend in Tränen. Der Sohn trat zu ihr und meldete die Fremden, verbarg ihr aber bis zum andern Morgen den Grund der Ankunft, um sie nicht noch mehr zu bekümmern. Die Helden wurden satt und ergaben sich getrost dem Schlummer. Aber Deïdameia schloß ihre Augen nicht zum Schlafe. Ihr kam nicht aus dem Sinne, wie dieselben Helden, die sie jetzt unter ihrem Dache beherbergen mußte, es verschuldet hatten, daß sie jetzt ihren Gemahl als Witwe beweinte, indem sie ihm sein kampflustiges Herz beredeten, hinauszuziehen in den Krieg. Und nun ahnete ihr, daß auch ihr Sohn in denselben Sturm würde hinausgerissen werden. Deswegen erhob sie sich mit dem frühesten Morgenlichte, warf sich dem Sohn an die mächtig gewölbte Brust und erfüllte die Luft mit Wehklage. »O mein Kind«, rief sie, »ich weiß es, auch ohne daß du es mir gestehest: du willst mit den Fremden nach Troja, dem Sitze der Tränen, ziehen, wo so viele Helden und auch dein Vater untergegangen sind! Nun bist du aber so jung und aller Kriegswerke noch so unkundig! Darum höre auf mich, deine Mutter, und bleibe zu Hause bei mir, damit nicht auch noch die Unheilskunde an mein Ohr schlage, daß mein Sohn in der Feldschlacht gefallen sei wie sein Vater!« Aber Pyrrhos erwiderte: »Mutter, laß doch die Unglücksworte sein! Kein Mann im Kriege fällt wider des Schicksals Willen. Soll mein Los der Tod sein – nun, was könnte ich Besseres tun, als wert meiner Abstammung, für die Griechen sterben?«
Da stand auch Lykomedes, sein Großvater, aus dem Ruhesessel auf, in welchem er zu schlummern schien, trat vor den Enkel und sprach: »Starkmütiges Kind, wohl sehe ich, daß du deinem Vater ganz gleich bist. Aber wenn du auch glücklich von Troja heimkehrst, wer weiß, ob nicht auf dem Heimwege das Verderben noch auf dich lauert; denn die Seefahrt ist doch ein gefährlich Ding!« So sagte er und küßte den Enkel, doch ohne ihn von dem Wege abzuhalten. Jener aber, dem ein holdes Lächeln sein junges Heldenangesicht verklärte, riß sich aus den Umarmungen der weinenden Mutter los und ließ Vaterpalast und Heimat hinter sich. Wie ihn die rüstigen Glieder so hintrugen, glänzte er hell wie ein Gestirn des Himmels. Ihm folgten die beiden Griechenhelden und zwanzig entschlossene Männer, lauter vertraute Diener Deïdameias, und alle schifften sich am Strande der Insel ein.
Poseidon gab ihnen günstige Fahrt, und nicht lange, so lagen vor ihnen im Morgenlicht die Höhen des Idagebirges, Chrysa die Stadt, das Vorgebirge Sigeion, dann das Grab des Achill. Odysseus sagte jedoch seinem Sohne nicht, wessen der Grabhügel sei, sondern schweigend fuhren sie an dem Eilande Tenedos vorüber und weiter, bis in die Nähe von Troja. Sie kamen an den Strand, als gerade der Kampf gegen Eurypylos bei der Mauer, welche das Bollwerk der Schiffe bildete, am heftigsten war, und jetzt hätte sie der Mysier niedergerissen, wäre nicht der eben landende Diomedes über das Fahrzeug an den Strand gesprungen und hätte die Schar aus dem Schiffe mit mutigem Rufe nach sich gezogen.
Ohne Verzug eilten sie nach dem Zelte des Odysseus, das dem Strande zunächst stand und wo sich teils dessen eigene Waffen, teils viele erbeutete Rüstungen befanden. Von diesen wählte sich der eine die, der andere jene aus. Neoptolemos aber – so dürfen wir ihn von jetzt an heißen – hüllte sich in die Waffen seines Vaters Achill, welche den andern allen zu groß waren; ihn selbst aber drückte weder der Panzer noch der Helm; Speer, Schwert und Schild schwang er mit Leichtigkeit, und in allem ähnlich seinem Vater, stürzte er in den hitzigsten Kampf hinaus und alle mit ihm gelandeten Helden ihm nach. Jetzt erst begannen die Trojaner wieder von der Mauer zu weichen und drängten sich, von allen Seiten bestürmt und beschossen, um den Sohn des Telephos zusammen, wie furchtsam Kinder bei dem Rollen des Donners zu ihrem Vater fliehen. Aber jedes Geschoß, das aus der Hand des Neoptolemos flog, sandte den Tod auf die Häupter der Feinde, und die verzweifelnden Trojaner glaubten den riesigen Achill selbst in seiner Rüstung vor sich zu sehen. Sein Geist ruhte auf ihm; auch focht er unter dem Schirm der Göttin Athene, der Freundin seines Vaters; und wie Schneeflocken den Felsen umfliegen, so flatterten die Geschosse um ihn her, ohne ihm die Haut zu ritzen. Ein Schlachtopfer um das andere brachte er dem gefallenen Vater dar. Zwei Söhne des reichen Meges, Zwillingsbrüder, raffte, wie eine Stunde sie geboren, so jetzt eine Stunde dahin, denn den einen traf Neoptolemos mit dem Speere in das Herz, den andern an das Haupt mit einem mächtigen Steine, so daß der schwere Helm zertrümmert wurde und im Schädel das Gehirn sich mischte. Noch unzählige andere Feinde fielen rings um sie her, bis endlich gegen Abend Eurypylos und das feindliche Heer den Rückzug vor dem Sohne des Achill antraten.
Als Neoptolemos nun vom Kampfe ruhete, kam auch der greise Held Phönix, der Freund seines Großvaters Peleus und der Erzieher seines Vaters Achill, auf den jungen Helden zu und betrachtete voll Verwunderung die Ähnlichkeit mit dem Peliden. Schmerz und Freude bestürmten ihn zugleich: jener bei der Erinnerung an den Tod seines Pflegesohnes, diese, weil er dessen kräftigen Sprößling vor sich sah. Ein Tränenstrom quoll aus den Augen des Greises, er umarmte den herrlichen Jüngling, küßte ihm Haupt und Brust und rief: »O Sohn, mir ist, als wandle dein Vater, um den ich mich täglich abhärme, wieder lebendig unter uns! Doch stille! es darf der Gram um den Vater dir jetzo den Mut nicht schwächen; vielmehr sollst du, das Herz voll Zornes, den Griechen zu Hilfe kommen und den grimmigen Sohn des Telephos töten, der uns soviel Schaden getan. Übertriffst du ihn doch an Kraft so weit, als dein Vater seinen Vater übertraf!« Bescheiden erwiderte darauf der Jüngling: »Wer der Tapferste sei, werden erst Feldschlacht und Schicksal entscheiden, o Greis!« Mit diesen Worten wandte er sich nach den Schiffen und dem Lager zurück, denn die Nacht war eingebrochen, und die Helden kehrten um vom Streite nach ihren Zelten.
Bei Tagesanbruch begann der Kampf aufs neue. Lanze mit Lanze, Schwert mit Schwert kreuzte sich, und ein Mann drang auf den andern ein. Lange war das Gefecht unentschieden, und auf beiden Seiten mordeten und fielen die Helden. Dem Eurypylos ward ein Freund erschlagen; darüber verdoppelte sich seine Wut, und er warf die Achajer nieder, wie man Bäume in dichten Waldungen zu Haufen fällt, so daß die Stämme zerrissene Schluchten anfüllen. Endlich aber trat ihm Neoptolemos entgegen, und beide schüttelten ihre mächtigen Lanzen in der Rechten. »Wer bist du, Jüngling, woher bist du gekommen, mich zu bekämpfen?« rief zuerst Eurypylos seinem Gegner zu, »fürwahr, dich reißt dein Geschick zur Unterwelt hinab!« Neoptolemos erwiderte: »Warum willst du meine Abstammung wissen wie ein Freund, da du doch ein Feind bist? So wisse denn, ich bin der Sohn des Achill, der einst deinen Vater verwundete; die Rosse meines Wagens sind die windschnellen Kinder der Harpyien und des Zephyros, die selbst über das Meer dahinrennen; die Lanze, vom Scheitel des hohen Berges Pelion stammend, ist die Lanze meines Vaters; die sollst du jetzt erproben!« So sprach der Held, sprang vom Wagen und schüttelte den Speer. Von der andern Seite hob Eurypylos einen gewaltigen Stein vom Boden auf und warf ihn nach dem goldenen Schilde seines Feindes; doch der Schild erzitterte nicht einmal. Wie zwei Raubtiere drangen beide jetzt aufeinander ein, und rechts und links von ihnen wogte die Feldschlacht in langen Reihen. Jene aber zerstießen einander die Schilde und trafen bald die Schienen, bald die Helme; ihre Kraft wuchs mit dem Kampfe, denn beide stammten von Unsterblichen ab. Endlich gelang es der Lanze des Neoptolemos, den Weg in die Kehle des Gegners zu finden: ein purpurner Blutstrom drang aus der Wunde, und einem entwurzelten Baume gleich stürzte Eurypylos entseelt zu Boden.
Nach seinem Falle hätten sich die Trojaner vor Neoptolemos wie Kälber vor dem Löwen hinter ihre Mauer geflüchtet, wenn nicht Ares, der schreckliche Kriegsgott selber, der den Trojanern Beistand verleihen wollte, unbemerkt von den andern Göttern, den Olymp verlassen und mit seinen feuerschnaubenden Rossen den Kriegswagen mitten ins Schlachtgetümmel hineingetrieben hätte. Hier schwang er seinen mächtigen Speer und ermahnte die Troer mit lautem Zurufe, den Feind zu bestehen. Diese staunten, als sie die göttliche Stimme hörten; denn den Gott selbst, den ein Nebel unsichtbar machte, sahen sie nicht. Der Sohn des Priamos, der gepriesene Seher Helenos, war der erste, dessen Scharfsinn den Gott erkannte und der seinen Leuten zurief. »Bebet nicht! Euer Freund, der mächtige Kriegsgott, ist selbst mitten unter euch: habt ihr den Ruf des Ares nicht vernommen?« Jetzt hielten die Trojaner wieder stand, und das Gemetzel begann auf beiden Seiten von neuem. Ares hauchte den Trojanern gewaltigen Mut ein, und zuletzt wankten die Reihen der Griechen. Nur den Neoptolemos vermochte er nicht zu schrecken; dieser kämpfte mutig fort und erschlug jetzt diesen, jetzt jenen im Streite. Der Gott zürnte über seine Kühnheit, und schon war er im Begriffe, die Wolke, die ihn umgab, zerreißend, dem jungen Helden sichtbar im Kampfe entgegenzutreten, als Athene, die Freundin der Griechen, vom Olymp herunter auf das Schlachtfeld eilte. Die Erde und die Wellen des Xanthos erbebten vor ihrer Ankunft, leuchtende Blitze flogen um ihre Waffen, die Schlangen auf ihrem Gorgonenschilde hauchten Feuer. Und während die Sohlen der Göttin auf dem Boden standen, berührte ihr Helm die Wolken; sterblichen Blicken jedoch blieb sie verborgen. Und jetzt hätte sich ein Zweikampf zwischen den Göttern erhoben, wenn nicht Zeus mit einem warnenden Donnerschlage sie geschreckt hätte. Beide erkannten den Willen des Vaters; Ares zog sich nach Thrakien zurück, Athene wandte sich nach Athen; das Schlachtfeld war den Sterblichen wieder überlassen, und jetzt wich die Stärke von den Trojanern: sie flohen in ihre Stadt zurück, und die Griechen drängten ihnen nach. Von den Mauern herab verteidigten jene tapfer ihre Stadt; dennoch hätten die Danaer die Tore erbrochen, wenn nicht Zeus, der den Willen des Schicksals kannte, die Stadt in Gewölk eingehüllt hätte. Da riet der weise Nestor den Griechen, sich zurückzuziehen, um ihre Toten zu bestatten und vom Kampf auszuruhen.
Am folgenden Tage sahen die Danaer mit Staunen die Burg von Troja wieder unumwölkt in den blauen Morgenhimmel steigen und erkannten in dem Nebel des gestrigen Abends das Wunder des Göttervaters. An diesem Tag herrschte Waffenruhe. Die Trojaner benutzten dieselbe, um den Mysier Eurypylos feierlich zu bestatten. Neoptolemos aber besuchte das hohe Grab seines Vaters, küßte die zierliche Säule, die sich darüber erhob, und sprach unter Seufzern und Tränen der Wehmut: »Auch unter den Toten sei mir gegrüßt, mein Vater; denn nie werde ich dein vergessen! O daß ich dich lebend bei den Griechen gefunden hätte! So aber hast du dein Kind nie gesehen und ich den Vater nicht, sosehr ich mich im Herzen nach dir gesehnt habe! Doch noch lebest du in mir und lebst in deinem Speere; beide jagen in der Feldschlacht den Feinden Schrecken ein, und die Danaer sehen mich mit freudigen Blicken an und sagen, ich gleiche dir, Vater, an Gestalt und Taten!«
So sprach er weinend und kehrte zu den Schiffen zurück. Den ganzen nächstfolgenden Tag wütete der Kampf wieder um die Mauern von Troja; doch gelang es den Griechen nicht, in die Stadt einzudringen, und an den Ufern des Skamander, wo Neoptolemos nicht war, fielen die Danaer sogar in Scharen darnieder. Dort hatte der mutige Sohn des Priamos, Deïphobos, einen glücklichen Ausfall gewagt und bedrängte die Belagerer. Auf die Nachricht davon hieß Neoptolemos seinen Wagenlenker Automedon die unsterblichen Rosse dorthin treiben. Staunend sah ihn der trojanische Königssohn nahen. Das Herz schwankte ihm zwischen dem Entschlusse zu fliehen oder dem entsetzlichen Helden entgegenzutreten. Neoptolemos aber rief ihm schon von weitem zu: »Sohn des Priamos, wie wütest du gegen die zitternden Danaer! Kein Wunder, wenn du dich für den tapfersten Helden der Erde hältst. Wohlan denn, so versuch es auch mit mir!« So rief er und stürmte auf ihn zu wie ein Löwe, und gewiß hätte er ihn mitsamt dem Wagenlenker darniedergestreckt, wenn nicht Apollo, in dunkles Gewölke gehüllt, aus dem Olymp herniedergeeilt wäre und den Gefährdeten zur Stadt entrückt hätte, wohin auch die übrigen Trojaner ihm nachflohen. Als Neoptolemos in die leere Luft mit dem Speere stieß, schrie er voll Unmuts: »Hund, du bist mir entgangen; doch nicht deine Tapferkeit half dir, sondern ein Gott hat dich mir gestohlen!« Dann warfen sich wieder in den Kampf. Aber Apollo, der in den Mauern Trojas war, schirmte die Stadt. Da ermahnte der Seher Kalchas die Danaer, zu den Schiffen zurückzuweichen und sich für eine Weile dem mühseligen Kampfe zu entziehen. Dort sprach er: »Es ist vergeblich, ihr Freunde, daß wir uns im Streite gegen diese Stadt abmühen, wenn nicht auch der andere Teil der Weissagung, welche ich euch mitgeteilt habe, in Erfüllung geht und Philoktet mit seinen unwiderstehlichen Pfeilen von Lemnos herbeigeschafft wird.« Sofort wurde beschlossen, den klugen Odysseus und den tapfren Jüngling Neoptolemos nach Lemnos abzusenden, und diese gingen ohne Säumen zu Schiffe.