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Die Griechen waren noch mit dem Geleite des Königes Telephos beschäftigst, als die Tore Trojas sich auftaten und die völlig gerüstete Heeresmacht der Trojaner unter Hektors Anführung sich über die Skamandrische Ebene ergoß und ohne Widerstand gegen die Schiffe der sorglosen Achiver anrückte. Die Äußersten im Schiffslager, die zuerst zerstreut zu den Waffen griffen und den heranziehenden Feinden entgegeneilten, wurden von der Übermacht erdrückt. Doch hielt das Gefecht mit ihnen die Heerschar der Trojaner so lange auf, daß die Griechen im Lager sich sammeln und auch ihrerseits in einem geordneten Heerhaufen den Feinden entgegentreten konnten. Da gestaltete sich nun die Schlacht ganz ungleich. Denn wo Hektor selbst zugegen war, gewannen die Trojaner die Oberhand, in die Schlachtreihen aber, die ferne von ihm fochten, drangen die Griechen siegreich ein. Der erste namhafte Held unter den Griechen, der von der Hand des trojanischen Fürsten Äneas in dieser Schlacht fiel, war Protesilaos, des Iphiklos Sohn. Als verlobter Jüngling war er gen Troja gezogen und der erste Grieche, der bei der Landung ans Ufer sprang: so sollte er auch als das erste Heldenopfer fallen, und seine Braut Laodameia, die holdselige Tochter des Argonauten Akastos, sollte den Bräutigam, den sie mit banger Sorge in den Krieg hatte ziehen lassen, nicht wieder erblicken.
Noch war Achill vom Kampfplatz entfernt. Er hatte dem Mysier, den er einst mit dem Speere verwundet und jetzt mit dem Speere geheilt hatte, das Geleite ans Meer gegeben und sah nachdenklich dem Schiffe nach, das sich in die ferne Flut vertiefte. Da kam sein Freund und Kampfgeselle Patroklos auf ihn zugeeilt, faßte ihn bei der Schulter und rief. »Wo weilst du, Freund? Die Griechen bedürfen deiner. Der erste Kampf ist entbrannt: des Königes Priamos ältester Sohn Hektor rast an der Spitze der feindlichen Scharen wie ein Löwe, dessen Höhle Jäger umstellt haben. Äneas, der Eidam des Königes, hat aus der Mitte unserer Fürsten den edlen Protesilaos, der an Jugend und Mut dir glich, doch an Kraft dir nicht gleich war, erschlagen. Wenn du nicht kommst, so wird der Mord unter unsern Helden einreißen!« Aus seinen Träumen erwacht, blickte Achill hinter sich, sah den mahnenden Freund, und in diesem Augenblicke drang auch der Hall des Kampfgetümmels in sein Ohr. Da sprang er, ohne ein Wort zu erwidern, durch die Gassen des Schiffslagers seinem Zelte zu. Hier erst fand er die Sprache wieder, rief mit lauter Stimme seine Myrmidonen unter die Waffen und erschien mit ihnen wie ein donnerndes Wetter in der Schlacht. Seinem stürmischen Angriffe hielt selbst Hektor nicht stand. Zwei Söhne des Priamos erschlug er, und der Vater sah wehklagend von den Mauern herab den Tod seiner Kinder von des fürchterlichen Heldenjünglings Hand. Dicht an der Seite des Peliden kämpfte der Telamonier Ajax, dessen Riesenleib alle andern Danaer überragte; vor den Streichen der beiden Helden flohen die Trojaner wie eine Herde von Hirschen vor einer Hundekoppel daher; zuletzt wurde die Flucht der Feinde allgemein, und die Trojaner schlossen die Tore wieder hinter sich zu. Die Griechen aber begaben sich in Ruhe wieder zu ihren Schiffen und fuhren in Vollendung ihres Lagerbaues gemächlich fort. Achill und Ajax wurden von Agamemnon zu Wächtern der Schiffe bestimmt, und diese setzten wieder andere Helden zu Wächtern über einzelne Abteilungen der Flotte.
Alsdann wandten sie sich zum Begräbnisse des Protesilaos, legten den Leichnam auf einen schön geschmückten und aufgetürmten Scheiterhaufen und begruben seine Gebeine auf einer Halbinsel des Strandes unter schönen hohen Ulmbäumen. Noch waren sie mit der Bestattung nicht ganz fertig, als ein zweiter Überfall die sorglos Feiernden erschreckte.
In Kolonai bei Troja herrschte der König Kyknos, der, von einer Nymphe dem Meeresgotte Poseidon geboren, auf der Insel Tenedos wunderbarerweise von einem Schwan großgezogen worden war, daher er auch seinen Namen Kyknos, das heißt Schwan, bekommen hatte. Dieser war den Trojanern verbündet, und ohne besonders dazu von Priamos aufgefordert zu sein, hielt er sich verpflichtet, als er die Landung der fremden Kriegsvölker vor Troja gewahr wurde, seinen alten Freunden zu Hilfe zu kommen. Daher sammelte er in seinem Königreiche einen ansehnlichen Heerhaufen, legte sich in der Nähe des griechischen Schiffslagers in einen Hinterhalt und war mit seiner Schar eben erst in diesem Versteck angekommen, als die Griechen, aus dem ersten Treffen mit den Trojanern als Sieger zurückgekehrt, ihrem gefallenen Helden die letzte Ehre erwiesen. Während sie sorglos und nicht in der vollen Waffenrüstung um den Scheiterhaufen geschart standen, sahen sie sich plötzlich von Streitwagen und Bewaffneten umringt, und ehe sie sich nur besinnen konnten, ob der Boden die Streiter ausgespien habe oder woher sie sonst erschienen seien, hatte Kyknos mit seiner Heeresmacht ein furchtbares Blutbad unter den Griechen angerichtet.
Doch war nur ein Teil der Argiver bei der Leichenfeier des Protesilaos beschäftigt und zugegen. Die andern bei den Schiffen und in den Lagerhütten waren ihren Waffen näher und eilten, den Peliden Achill an der Spitze, den Ihrigen bald in voller Rüstung und in geschlossenen Kriegsreihen zu Hilfe. Ihr Anführer selbst stand auf dem Streitwagen, schrecklich anzuschauen, und seine todbringende Lanze traf mit ihrem Stoße bald diesen, bald jenen Kolonaier, bis er, in den Reihen der Schlacht nur den Feldherrn der Fremdlinge suchend, diesen im fernen Kampfgewühle an den gewaltigen Stößen erkannte, die er, auch auf einem hohen Streitwagen stehend, rechts und links an die Griechen austeilte. Dorthin lenkte der Held Achill seine schneeweißen Rosse, und als er nun dem Kyknos gegenüber auf dem Wagen stand, rief er, die bebende Lanze mit nervigem Arme schwingend: »Wer du auch seiest Jüngling! nimm diesen Trost mit in den Tod, daß du von dem Sohne der Göttin Thetis getroffen worden!« Diesem Ausruf folgte sein Geschoß. Aber so sicher er die Lanze abgezielt hatte, so rüttelte sie dem Sohne des Poseidon doch nur mit dumpfem Stoße an der Brust; und mit staunendem Blicke maß der Pelide seinen unverwundlichen Gegner. »Wundre dich nicht, Sohn der Göttin«, rief dieser ihm lächelnd zu; »nicht mein Helm, den du anzustaunen scheinst, oder mein hohler Schild in der Linken halten die Stöße von meinem Leibe ab; vielmehr trage ich diese Schutzwaffe als bloßen Zierat, wie auch wohl der Kriegsgott Ares zuweilen zum Scherze Waffen anzulegen pflegt, deren er doch gewiß nicht bedarf, seinen Götterleib zu schirmen. Wenn ich alle Bedeckung von mir werfe, so wirst du mir doch die Haut mit deinem Speere nicht ritzen können. Wisse, daß ich am ganzen Leibe fest wie Eisen bin und daß es etwas heißt, nicht etwa der Sohn einer Meernymphe zu sein, nein der geliebte Sohn dessen, der den Nereus und seinen Töchtern und allen Meeren gebeut. Erfahre, daß du dem Sohne Poseidons selbst gegenüberstehst!« Mit diesen Worten schleuderte er seinen Speer auf den Peliden und durchbohrte damit die Wölbung seines Schildes, so daß derselbe durch das Erz und die neun ersten Stierhäute der göttlichen Waffe hindurchdrang: erst in der zehnten Lage blieb das Wurfgeschoß stecken. Achill aber schüttelte den Speer aus dem Schilde und sandte dafür den seinigen gegen den Göttersohn ab. Aber der Leib des Feindes blieb unverwundet. Selbst das dritte Geschoß, das der Pelide absandte, blieb ohne Wirkung. Jetzt geriet Achill in Wut wie ein Stier im Tiergefechte, dem ein rotes Tuch vorgehalten wird und der mit den Hörnern in die Luft gestoßen hat. Noch einmal warf er die Lanze aus Eschenholz nach Kyknos, traf diesen auch wirklich an der linken Schulter und jubelte laut auf; denn die Schulter war blutig. Doch seine Freude war vergeblich, das Blut war nicht das Blut des Göttersohnes, es war der Blutstrahl des Menötes, eines neben Kyknos fechtenden und von anderer Hand getroffenen feindlichen Helden. Knirschend vor Wut, sprang jetzt Achill vom Wagen, eilte auf den Gegner zu und hieb mit gezücktem Schwerte auf ihn ein; aber selbst der Stahl prallte stumpf an dem zu Eisen gehärteten Körper ab. Da erhub Achill in der Verzweiflung den zehnhäutigen Schild und zerschlug dem unverwüstlichen Feinde, ganz auf ihn eingedrungen, drei-, viermal die Schläfe mit der Schildbuckel. Jetzt erst fing Kyknos an zu weichen, und Nebel schwamm ihm vor den Augen; er wandte seine Schritte rückwärts, strauchelte über einen Stein, darüber ergriff ihn Achill mit der Hand im Nacken und warf ihn vollends zu Boden. Dann stemmte er sich mit Schild und Knien auf die Brust des Liegenden und schnürte dem Feinde mit seinem eigenen Helmbande die Kehle zu.
Der Fall ihres göttlichen Führers nahm den Kolonaiern plötzlich den Mut; sie verließen den Kampfplatz in wilder Flucht, und bald war von dem ganzen Überfalle nichts mehr zu sehen als die vielen Leichen von Griechen und Barbaren, die auf dem Felde um den halbvollendeten Grabhügel des Protesilaos zerstreut umherlagen und den um viele der Ihrigen trauernden Argivern neue Arbeit machten.
Die Folge dieses Überfalls war, daß die Griechen in die Landschaft des erschlagenen Königes Kyknos einfielen und aus der Hauptstadt Mentora die Kinder desselben als Beute hinwegführten. Dann griffen sie das benachbarte Killa an, eroberten auch diese feste Stadt mit unermeßlicher Kriegsbeute und kehrten so beladen zu ihrem wohlbewachten Schiffslager zurück.