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Die Griechen vor Troja

So lebte denn Helena ungefährdet am Königshofe von Troja und bezog darauf mit Paris einen eigenen Palast. Auch das Volk gewöhnte sich bald an ihre Lieblichkeit und griechische Holdseligkeit, und als nun endlich die fremde Flotte wirklich an der trojanischen Küste erschien, waren die Einwohner der Stadt minder verzagt denn zuvor.

Sie zählten ihre Bürger und ihre Bundesgenossen, die sie schon vorher beschickt und deren wirksamer Hilfe sie sich versichert hatten, und sie fanden sich an Zahl und Kraft ihrer Helden und Streiter den Griechen gewachsen. So hofften sie mit dem Schutze der Himmlischen – denn außer Aphrodite waren noch mehrere Götter, darunter der Kriegsgott, Apollo, und Zeus, der Vater der Olympischen selbst, auf ihrer Seite – die Belagerung ihrer Stadt abtreiben und die Feinde zum schnellen Rückzuge nötigen zu können.

Zwar war ihr Anführer, König Priamos selbst, ein nicht mehr kampffähiger Greis, aber fünfzig Söhne, worunter neunzehn von seiner Gattin, der Königin Hekabe, umringten ihn teils im blühenden, teils im kräftigsten Alter, vor allen Hektor, nächst ihm Deïphobos und nach diesen als die ausgezeichnetsten Helenos, der Wahrsager, Pammon, Polites, Antiphos, Hipponoos und der zarte Troilos. Vier liebliche Töchter, Krëusa, Laodike, Kassandra und die in der Kindheit schon von Schönheit strahlende Polyxena umgaben seinen Thron. Dem Heere, das sich jetzt streitfertig machte, stand als Oberfeldherr Hektor, der helmumflatterte Held, vor; neben ihm befehligte die Dardaner Äneas, der Schwiegersohn des Königes Priamos und Gemahl Krëusas, ein Sohn der Göttin Aphrodite und des greisen Helden Anchises, der noch immer ein Stolz des trojanischen Volkes war; an die Spitze einer andern Schar stellte sich Pandaros, der Sohn des Lykaon, dem Apollo selbst seinen Bogen verliehen hatte; andere Scharen, zum Teil trojanischer Hilfsvölker, führten Adrastos, Amphios, Asios, Hippothoos, Pylaios, Akamas, Euphemos, Pyraichmes, Pylaimenes, Hodios, Epistrophos; Chromis und Ennomos eine Hilfsschar von Mysiern; Phorkys und Askanios eine gleiche der Phryger, Mesthles und Antiphos die Mäonier, Nastes und Amphimachos die Karier, die Lykier Sarpedon und Glaukos.

Auch die Griechen hatten inzwischen gelandet und sich längs dem Gestade des Meeres zwischen den beiden Vorgebirgen Sigeion und Rhöteion in einem geräumigen Lagerplatz angesiedelt, der einer ordentlichen Stadt nicht unähnlich war. Die Fahrzeuge waren ans Land gezogen worden und in mehreren Reihen hintereinander aufgestellt, so daß sie sich, weil der Boden des Ufers aufwärts ging, stufenförmig übereinander erhoben. Die Schiffszüge der einzelnen Völkerschaften reihten sich in der Ordnung aneinander, wie sie gelandet. Die Schiffe selbst waren auf Unterlagen von Steinen aufgestellt, damit sie vom feuchten Boden nichts zu leiden hätten und luftiger ständen. In der ersten Reihe vom Land aus hatten an den beiden äußersten Enden der Telamonier Ajax und Achill, beide das Gesicht gegen Troja gekehrt, jener zur Linken, dieser zur Rechten, ihre Fahrzeuge aufgestellt und ihre Lagerhütten aufgepflanzt, die wir nur uneigentlich und der Kürze halber Zelte nennen. Das Quartier des Achill wenigstens glich beinahe einem ordentlichen Wohnhause, hatte Scheunen und Ställe für Mundvorräte, Wagenpferde und zahmes Vieh; und neben seinen Schiffen war Raum zu Wettrennen, Leichenspielen und andern Feierlichkeiten. An Ajax schlossen sich die Schiffe des Protesilaos an, dann kamen andere Thessalier, dann die Kreter, Athener, Phokier, Böotier, zuletzt Achill mit seinen Myrmidonen; in der zweiten Reihe standen unter andern die Lokrer, Dulichier, Epeer; in der dritten waren minder namhafte Völker mit ihren Schiffen gelagert; aber auch Nestor mit den Pyliern, Eurypylos mit den Ormeniern, zuletzt Menelaos. In der vierten und letzten längs dem Meeresgestade selbst standen Diomedes, Odysseus und Agamemnon, so daß Odysseus in der Mitte, zur Rechten Agamemnon, links Diomedes lagerte. Vor Odysseus befand sich die Agora, der freie Platz, der zu allen Versammlungen und Verhandlungen bestimmt war und auf welchem die Altäre der Götter standen. Dieser Platz teilte auch noch die dritte Reihe, so daß derselbe den Nestor zur Linken, den Eurypylos zur Rechten hatte. Der Raum nach dem Meere hin verengerte sich, und auch die Agora nahm viel Platz weg, so daß die dritte und vierte Reihe die wenigsten Schiffe enthielt. Das ganze Schiffslager war wie eine ordentliche Stadt von vielen Gassen und Wegen durchschnitten, die Hauptstraßen aber liefen zwischen den vier Reihen durch; vom Lande nach dem Meere gingen Quergassen, welche die Schiffe jeder Völkerschaft voneinander trennten; die Schiffe selbst waren von den Lagerhütten ihrer Völkerschaften wieder durch kleine Zwischenräume abgesondert, und jede Völkerschaft zerfiel wieder in kleinere Unterabteilungen nach den verschiedenen Städten oder Anführern. Die Lagerhütten waren aus Erde und Holz aufgebaut und mit Schilf bedeckt. Jeder Anführer hatte sein Quartier in der vordersten Reihe seiner Schar, und ein jedes war nach dem Range des Bewohners mehr oder weniger ausgeschmückt. Die Schiffe dienten zugleich dem ganzen Lager zur Verteidigung. Noch vor ihnen hatten die Griechen einen Erdwall aufgeworfen, der erst in der letzten Zeit der Belagerung einer Mauer Platz machte. Hinter ihm war ein Graben, vorn mit einer dichten Reihe von Schanzpfählen versehen.

Zu allen diesen schönen Einrichtungen hatten die Griechen während der langen Zeit, da König und Rat von Troja über die beste Weise der Verteidigung sich berieten, Muße gefunden. Ihre Krieger verrichteten zugleich den Schiffsdienst und erhielten ihr Brot auf öffentliche Veranstaltung. Für die übrigen Lebensbedürfnisse hatte ein jeder selbst zu sorgen. Die gemeinen Streiter waren leicht bewaffnet und fochten zu Fuße. Die vornehmeren stritten auf Kriegswagen, so daß jeder streitende Held einen andern als Wagenlenker bei sich hatte. Von Reiterei wußten die Völker jener alten Zeit noch nichts. Die Streitwagen mit den größten Helden waren auch bestimmt, in der ersten Reihe zu kämpfen, und sollten immer das Vordertreffen bilden.

Zwischen dem Schiffslager der Griechen und der Stadt Troja breitete sich, von den Flüssen Skamander und Simois eingeschlossen, die sich erst beim griechischen Lager zu einer Mündung vereinigten, die blumige Skamandrische Wiese und die Troische Ebene vier Wegestunden lang aus, die zum Schlachtfelde bestimmt und wie geschaffen war und hinter welcher sich mit hohen Mauern, Zinnen und Türmen die von Götterhand befestigte herrliche Stadt und Burg Troja erhob. Sie lag auf einem Hügel weithin sichtbar; ihr Inneres war uneben und bergicht und von vielen Straßen durchschnitten. Nur von zweien Seiten war sie leichter zugänglich, und hier befand sich auf der einen Seite das Skäische, auf der andern das Dardanische Tor mit einem Turme. Die übrigen Seiten waren höckricht und mit Gebüschen verwachsen, und ihre Tore und Törchen kamen wenig in Betracht. In der oberen Stadt oder Burg Ilion, auch Pergamos genannt, standen die Paläste des Priamos, des Paris, die Tempel der Hekate, der Athene und des Apollo, auf der höchsten Spitze der Burg ein Tempel des Zeus. Vor der Stadt am Simois, den Griechen zur Linken, war der Hügel Kallikolone; zur Rechten führte die Straße an den Quellen des Skamander und dann an dem hohen Hügel Batieia vorbei, der umgangen werden konnte und außen vor der Stadt lag. Hinter Troja kam das Ilische Feld, das sich schon bergan zog und die unterste Stufe des waldigen Idagebirges bildete, dessen höchster Gipfel Gargaron hieß und dessen beide letzte Äste rechts und links von den Griechen das Sigeische und Rhöteische Vorgebirge bildeten.

Noch ehe der Kampf zwischen beiden Völkern seinen Anfang nahm, wurden die Griechen durch die Ankunft eines werten Gastes überrascht. Der König Telephos von Mysien, der sie so großmütig unterstützt hatte, war seitdem an der Wunde, die ihm der Speer des Achill geschlagen, unheilbar krank gelegen, und die Mittel, die ihm Podaleirios und Machaon aufgelegt hatten, taten schon lange keine Wirkung mehr. Gequält von den unerträglichsten Schmerzen, hatte er ein Orakel des Phöbos Apollo, das in seinem Lande war, befragen lassen, und dieses hatte ihm die Antwort erteilt, nur der Speer, der ihn geschlagen, vermöge ihn zu heilen. So dunkel das Wort des Gottes lautete, so trieb ihn doch die Verzweiflung, sich einschiffen zu lassen und der griechischen Flotte zu folgen. So kam denn auch er bei der Mündung des Skamander an und ward in die Lagerhütte des Achill getragen. Der Anblick des leidenden Königes erneuerte den Schmerz des jungen Helden. Betrübt brachte er seinen Speer herbei und legte ihn dem Könige zu den Füßen seines Lagers, ohne Rat zu wissen, wie man sich desselben zur Heilung der eiternden Wunde bedienen sollte. Viele Helden umstanden ratlos das Bett des gepeinigten Wohltäters, bis es Odysseus einfiel, aufs neue die großen Ärzte des Heeres zu Rate zu ziehen. Podaleirios und Machaon eilten auf seinen Ruf herbei. Sobald sie das Orakel Apollos vernommen, verstanden sie als weise, vielerfahrene Söhne des Asklepios seinen Sinn, feilten ein wenig Rost vom Speere des Peliden ab und legten ihn sorgfältig verbreitet über die Wunde. Da war ein Wunder zu schauen: sowie die Feilspäne auf eine eiternde Stelle des Geschwüres gestreut wurden, fing diese vor den Augen des Helden zu heilen an, und in wenigen Stunden war der edle König Telephos dem Orakel zufolge durch den Speer des Achill von der Wunde desselben Speeres genesen. Jetzt erst war die Freude der Helden über den großmütigen Empfang, der ihnen in Mysien zuteil geworden war, vollkommen. Gesundet und froh ging Telephos wieder zu Schiffe, und wie jüngst die Griechen ihn, so verließ jetzt er sie unter Danksagungen und Segenswünschen, in sein Reich Mysien zurückkehrend. Er eilte aber, nicht Zeuge des Kampfes zu sein, den seine lieben Gastfreunde gegen den ebenso geliebten Schwäher beginnen würden.


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