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Tod des Patroklos

Indes um das Schiff, auf welchem Ajax stand, auf Tod und Leben gekämpft wurde, war Patroklos, als er das Zelt des wunden Eurypylos verlassen, zu seinem Freunde Achill geeilt, und als er in dessen Lagerhütte eintrat, stürzten ihm die Tränen aus den Augen, wie eine finstere Quelle, die ihr dunkles Wasser aus steilen Klippen gießt. Mitleidig sah ihn der Pelide an und sprach zu ihm: »Du weinst ja wie ein junges Mädchen, Freund Patroklos, das der Mutter nachläuft und: ›Nimm mich!‹ schreit und sich lang an ihr Kleid anklammert, bis die Mutter es aufhebt! Bringst du meinen Myrmidonen, mir oder dir selbst schlimme Botschaft aus Phthia? Ich weiß doch, dein Vater Menötios lebt, mein Vater Peleus lebt! Oder beklagst du vielleicht das Volk von Argos, daß es so jämmerlich zugrunde geht, zum Lohn seines eigenen Frevels? Rede nur immer ehrlich heraus und laß mich alles wissen!« Schwer seufzte bei dieser Frage Patroklos auf und sprach endlich: »Zürne mir nicht, erhabenster Held! Allerdings lastet der Gram der Griechen schwer auf meiner Seele! Alle Tapfersten liegen von Wurf oder Stoß getroffen bei den Schiffen umher; wund ist Diomedes; lanzenwund Odysseus und Agamemnon; den Euryplos traf ein Pfeil in den Schenkel: sie alle sind den Ärzten zur Heilung übergeben, statt daß sie in unsern Reihen kämpfen sollten. Du aber bleibst unerbittlich; nicht Peleus und Thetis, der Mensch und die Göttin, können deine Eltern sein; dich muß das finstre Meer oder ein starrer Fels geboren haben, so unfreundlich ist dein Herz! Nun denn, wenn die Worte deiner Mutter und ein Bescheid der Götter dich zurückhalten, so sende wenigstens mich und deine Krieger ab, ob wir den Griechen nicht vielleicht Trost bringen. Laß mich deine eigene Rüstung anlegen: leicht mag es sein, wenn die Trojaner mich sehen und dich zu erblicken glauben, daß sie vom Kampf abstehen und den Danaern Zeit lassen, sich zu erholen!«

Aber Achill erwiderte unmutig: »Wehe mir, Freund! Nicht das Wort meiner Mutter, auch kein Götterausspruch hindert mich; nur der bittere Schmerz frißt mir an der Seele, daß ein Grieche es gewagt hat, mich, den Ebenbürtigen, des Ehrengeschenks zu berauben. Dennoch habe ich mir nicht vorgesetzt, ewig zu grollen, und war von jeher entschlossen, wenn das Schlachtgetümmel bis zu den Schiffen gelangen sollte, meinem Groll Abschied zu sagen. Selber Anteil am Kampfe zu nehmen, kann ich mich zwar noch nicht entschließen; du aber hülle immerhin deine Schultern in meine Rüstung und führe auch unser streitbares Volk zum Kampfe. Stürze mit aller Macht auf die Trojaner und treibe sie aus den Schiffen fort! Nur an einen lege die Hände nicht, und dies ist Hektor; auch hüte dich, daß du nicht einem Gott in die Hände fallest; denn Apollo liebt unsre Feinde! Wenn du die Schiffe gerettet hast, kehre wieder um. Die andere mögen sich dann auf dem offenen Felde gegenseitig ermorden; denn eigentlich wäre es doch am besten, wenn gar kein Danaer davonkäme und wir zwei allein der Vertilgung entgingen und Trojas Mauern niederreißen könnten!«

Bei den Schiffen atmete inzwischen Ajax immer schwerer. Sein Helm rasselte von feindlichen Geschossen; die Schulter, vom aufliegenden Schilde beschwert, fing an ihm zu erstarren: der Angstschweiß floß ihm von den Gliedern herab, und keine Erholung durfte er sich gönnen. Als nun vollends Hektors Schwert ihm die Lanze dicht am Öhre durchschmetterte, daß der verstümmelte Teil in seiner Hand blieb und die eherne Spitze klirrend auf den Boden fiel, da erkannte Ajax, daß die Gewalt eines Gottes den Griechen entgegen sei, und entwich dem Geschoß. Und nun warf Hektor mit den Seinigen einen mächtigen Feuerbrand in das Schiff, und bald schlug die Flamme lodernd um das Steuerruder zusammen.

Als Achill in seinem Zelt Feuer von dem Schiffe auflodern sah, da durchzuckte auch den unbeugsamen Helden der Schmerz. »Auf, edler Patroklos«, rief er, »erhebe dich, daß sie die Schiffe nicht nehmen und den Unsrigen jeden Ausweg versperren! Ich selbst will hingehen, mein Volk zu versammeln.« Patroklos war des Wortes froh, das er aus dem Munde seines Freundes vernommen hatte: eilig legte er die Beinschienen an, schnallte den kunstvoll gearbeiteten Harnisch um die Brust, hing sich das Schwert um die Schulter, setzte den von Roßhaaren umwallten Helm aufs Haupt, griff mit der Linken zum Schilde, mit der Rechten faßte er zwei mächtige Lanzen. Gern hätte er den mörderischen Speer seines Freundes Achill selbst genommen, der aus einer Esche des thessalischen Berges Pelion gezimmert war und den der Zentaur Chiron dem Vater Peleus geschenkt hatte; dieser aber war so groß und schwer, daß ihn außer dem Peliden kein anderer Held schwingen konnte. Nun ließ Patroklos seinen Freund und Wagenlenker Automedon die Rosse Xanthos und Balios anschirren, die unsterblichen Kinder der Harpyie Podarge und des Zephyros, dazu das Roß Pedasos, das der Pelide einst aus der Stadt Theben als Beute fortgeführt hatte; Achill aber rief sein Myrmidonenvolk, hungrigen Wölfen gleich, herbei, je fünfzig Männer aus den fünfzig Schiffen; ihre Schlachtreihen führten fünf Kriegsobersten: Menesthios, der Sohn des Flußgottes Spercheios und der schönen Peleustochter Polydora; Eudoros, der Sohn des Hermes und der Jungfrau Polymele; Peisander, der Sohn des Maimalos, nach Patroklos der beste Kämpfer in der Schar; endlich der ergraute Phönix und Alkimedon, der Sohn des Laërkes.

Den Abziehenden rief der Pelide zu: »Vergesse mir keiner, ihr Myrmidonen, wie oft ihr während meines Zornes den Trojanern gedroht und unmutig meine Galle gescholten habt, welche die Streitgenossen mit Zwang vom Kampfe zurückhalte. Endlich ist die Stunde, nach der ihr geschmachtet, erschienen: Kämpfe nun, wem es das mutige Herz befiehlt!« Als er so gesprochen, zog er sich in sein Zelt zurück und holte aus dem Kasten, den voll von Leibröcken, Decken und Mänteln, auch andern kostbaren Dingen seine Mutter Thetis ihm mit aufs Schiff gegeben hatte, einen kunstreichen Becher hervor, aus dem kein anderer Mann je den funkelnden Wein getrunken hatte und kein anderer Gott Dankopfer empfangen hatte als der Donnerer. Aus diesem spendete er auch jetzt, in die Mitte seines Hofes tretend, unter Gebete dem Vater Zeus und bat ihn, den Griechen Sieg zu verleihen, seinen Waffengenossen Patroklos aber unverletzt zu den Schiffen zurückzugeleiten. Zu der ersten Bitte winkte Zeus Gewährung, zur zweiten schüttelte er sein Haupt, beides von dem Helden ungesehen. Achill ging in sein Zelt zurück, den Becher wieder aufzubewahren; dann stellte er sich vor sein Zelt, um dem blutigen Kampfe zwischen Griechen und Trojanern zuzusehen.

Die Myrmidonen zogen indessen, den Führer Patroklos an der Spitze, wie ein Wespenschwarm am Heerweg. Als die Trojaner ihn kommen sahen, schlug ihnen das Herz vor Schrecken, und ihre Geschwader gerieten in Verwirrung; denn sie glaubten, Achill selbst habe sich, den Groll aus der Seele verbannend, von den Zelten aufgemacht, und schon fingen sie an umherzublicken, wie sie dem Verderben entrinnen könnten. Patroklos benützte ihre Furcht und schwang seine blinkende Lanze gerade in ihre Mitte hinein, wo am Schiffe des Protesilaos das Getümmel am stärksten war. Sie traf den Päonier Pyraichmes, daß er, an der rechten Schulter durchbohrt, wehklagend rücklings auf den Boden taumelte und die Päonier um ihn her, alle betäubt, vor dem gewaltigen Patroklos flüchteten. Das Schiff blieb halbverbrannt stehen; angstvoll flohen alle Trojaner; die Danaerhaufen stürzten sich in die Schiffsgassen zur Verfolgung: allenthalben tobte der Aufruhr. Doch faßten sich die Trojaner bald wieder, und die Griechen sahen sich genötigt, Mann für Mann zu Fuß zu kämpfen: Patroklos durchschoß dem Areïlykos den Schenkel; Menelaos bohrte dem Thoas die Lanze in die Brust; Meges, der Sohn des Phyleus, durchstach dem Amphiklos die Wade; Antilochos, Nestors Sohn, durchstieß dem Atymnios die Weiche; da flog Maris, voll Zorn über den Fall des Bruders, auf Antilochos zu, stellte sich vor den Erschlagenen und drohte mit der Lanze; doch ihm durchbohrte Thrasimedes, Nestors andrer Sohn, Schulter und Oberarm mit dem Speer, daß er sterbend zusammensank. Als so Brüder die Brüder zu Boden gestreckt hatten, sprang auch der schnelle kleine Ajax hervor und hieb dem vom Gedränge gehinderten Kleobulos auf der Flucht das Schwert in den Nacken. Penelaos und Lykon rannten, beide sich verfehlend, mit den Lanzen gegeneinander; aber im Schwertkampf siegte der Danaer; Meriones traf den Akamas, als er eben den Wagen bestieg, und durchbohrte ihm die rechte Schulter; er stürzte vom Wagen, und Dunkel goß sich ihm über die Augen.

Der große Ajax sann auf nichts anderes, als wie er mit dem Speere Hektorn treffen könnte; dieser aber, voll Kriegserfahrung, deckte sich mit seinem stierledernen Schilde, daß Pfeile und Wurfspieße daran abprallten. Zwar hatte der Feldherr bereits erkannt, daß der Sieg sich von ihm und den Seinen abgewendet habe, dennoch verweilte er unerschüttert in der Schlacht und dachte wenigstens darauf, seine teuren Genossen zu beschützen und zu retten. Erst als der Andrang unwiderstehlich wurde, kehrte er mit seinem Wagen um und flog mit seinen vortrefflichen Rossen über den Graben. Die andern Trojaner waren nicht so glücklich; viele Rosse ließen hier und dort im Graben die Wagen ihrer Herren zerschmettert an der Deichsel zurück; doch was glücklich hinüberkam, stäubte in der eiligsten Flucht nach der Stadt zurück, und Patroklos sprengte mit tönendem Rufe den noch diesseits des Grabens Dahinfliegenden nach: viele stürzten kopfüber unter die Räder ihrer Wagen, und geborstene Sitze krachten. Endlich sprang das unsterbliche Rossegespann des Peliden auch über den Graben, und Patroklos trieb sie an, den auf seinem Wagen dahineilenden Hektor zu erreichen. Dabei mordete er zwischen Schiffen, Mauer und Strom, was er antraf. Pronoos, Thestor, Eryalos und neun andere Troer waren auf seinem stürmenden Weg teils dem Speerschwunge, teils dem Lanzenstiche, teils dem Steinwurfe des Siegers erlegen. Mit Schmerz und Ingrimm sah dies der Lykier Sarpedon, ermahnte scheltend seine Heerschar und sprang gerüstet von seinem Wagen zur Erde. Patroklos tat ein gleiches: und nun stürzten sie schreiend gegeneinander wie zwei scharfklauige, krummschnäblige Habichte. Mit Erbarmen sah Zeus auf seinen Sohn Sarpedon hernieder vom Olymp; aber Hera schalt ihn und sprach: »Was denkst du, Gemahl! Einen Sterblichen willst du schonen, der dem Tode doch schon längst verfallen ist? Bedenke, wenn alle Götter ihre Söhne aus der Schlacht entführen wollten, was aus den Geschicken, die du selber zu vollführen beschlossen hast, alsdann würde. Glaube mir, es ist besser, du lässest ihn in der Feldschlacht umkommen, übergibst ihn dem Schlaf und dem Tode und gestattest seinem Volk, ihn aus dem Getümmel zu tragen und dereinst in Lykien unter Grabhügel und Säule zu bestatten!« Zeus ließ die Göttin gewähren, und nur eine Träne fiel aus seinem Götterauge herab auf die Erde, dem fallenden Sohne geweiht.

Die beiden Kämpfer hatten sich jetzt einander auf Schußweite genähert. Patroklos aber traf zuerst den tapfern Genossen Sarpedons, Thrasydemos; Sarpedons Speer verfehlte zwar den Helden, stieß aber dafür dem Beirosse Pedasos, das sterblich war, den Speer in die rechte Schulter; bei dem Stürzen des Röchelnden waren auch die zwei unsterblichen Rosse scheu geworden; das Joch krachte schon, die Zügel verwirrten sich, und sie wären zerrissen, wenn nicht der Wagenlenker Automedon schnell sein Schwert von der Hüfte gezogen und den Strang des getöteten Rosses zerhauen hätte.

Ein zweiter Lanzenwurf Sarpedons verfehlte den Gegner wieder; der Speer des Patroklos aber traf diesmal den Lykier ins Zwerchfell, und er fiel zu Boden wie eine Bergtanne unter der Axt, knirschte mit den Zähnen und griff mit der Hand in den blutigen Staub. Sterbend rief er seinen Freund Glaukos auf, mit den Lykierscharen sich um seinen Leichnam zu werfen, und verschied. Da betete Glaukos zu Phöbos Apollo, ihm die Armwunde zu heilen, die Teucer ihm bei Erstürmung der Mauer mit dem Pfeile beigebracht hatte und die ihn noch immer quälte und zum Kampf untüchtig machte. Der Gott erbarmte sich seiner und stillte auf der Stelle den Schmerz. Nun durcheilte er die Reihen der Trojaner und rief die Helden Polydamas, Agenor und Äneas, Sarpedons Leichnam zu schützen, auf. Die Fürsten trauerten, als sie den Tod des Mannes vernahmen, der, obwohl aus fremdem Geschlechte, doch ihre Stadt wie eine Säule gestützt hatte; aber ihre Trauer war nicht feige. Wild drangen sie auf die Danaer ein, und ihnen allen flog Hektor voran. Die Griechen dagegen entflammte Patroklos, und so rannten sie gegeneinander mit grauenvollem Geschrei, um die Leiche des gefallenen Sarpedon kämpfend. Als einer ihrer tapfersten Krieger, Epeigeus, der Sohn des Agakles, von einem Steinwurfe Hektors gefallen war, fingen zuerst die Myrmidonen an zurückzugehen. Patroklos aber, den der Tod des Freundes bitter schmerzte, stürzte sich ins vorderste Gewühl, zerschmetterte dem Troer Sthenelaos den Rücken und brachte die Trojaner wieder zum Weichen. Endlich kehrte sich unter diesen Glaukos zuerst wieder um und durchstach den Myrmidonen Bathykles mit der Lanze; dagegen traf Meriones den Laogonos, dessen Vater Onetor Priester des idäischen Zeus war; den Meriones aber verfehlte der Speer des gewaltigen Äneas. Während diese Hohnworte miteinander wechselten, rief Patroklos ihnen zu: »Was schwatzet ihr, Helden? Im Arme sucht der Krieg die Entscheidung!« Und damit drang er an der Spitze der Seinigen auf den Leichnam ein, und die Troer erwehrten sich seiner, daß die Leiche bald vom Haupte bis an die Sohlen von Geschossen, Staub und Blut zugedeckt war.

Zeus, der dem Kampfe aufmerksam zuschaute, bedachte sich eine Weile über den Tod des Patroklos, aber es däuchte ihm besser, diesem vorerst noch Sieg zu verleihen; und so drängte denn der Freund des Peliden die Trojaner samt den Lykiern zurück und der Stadt zu. Die Griechen beraubten den gefallenen König Sarpedon der Rüstung; und eben wollte ihn Patroklos seinen Myrmidonen übergeben, als Apollo auf des Zeus Geheiß vom Gebirge in die Feldschlacht herunterfuhr, den Leichnam auf seine göttlichen Schultern nahm und ihn fern an den Strom des Skamander trug. Hier spülte er ihn im Gewässer rein, salbte ihn mit Ambrosia und gab ihn den Zwillingen Schlaf und Tod hinwegzutragen. Diese flogen mit ihm davon und brachten ihn in sein lykisches Heimatland.

Aber Patroklos, vom bösen Geschicke getrieben, munterte seinen Wagenlenker und seine Rosse auf und rannte den Trojanern und Lykiern nach, ins eigne Unheil. Neun Troern zog er ihre Rüstungen vom erlegten Leichnam ab und tobte so unaufhaltsam im Lanzenkampfe voran, daß er die getürmte Stadt Troja selbst erobert hätte, hätte nicht auf dem festesten Turme der Gott Apollo gestanden und auf das Verderben des Helden und auf die Beschirmung der Trojaner gesonnen. Dreimal stieg der Sohn des Menötios zur hervorragenden Mauerecke heran, und dreimal verdrängte ihn Apollo mit unsterblicher Hand, den leuchtenden Schild ihm entgegenhaltend und sein »Weiche!« rufend. Da entwich Patroklos mit eilendem Schritte vor dem Befehl des Gottes.

Am Skäischen Tore hielt der fliehende Hektor mit seinen Rossen inne und besann sich einen Augenblick, ob er sie ins Schlachtgetümmel zurücktreiben oder seinem Volke gebieten sollte, sich in die Mauern der Stadt einzuschließen. Während er so unentschlossen die Zügel anzog, nahte sich ihm Phöbos in der Gestalt von Hekabes Bruder Asios, der ein Oheim des Fürsten war, und sprach zu ihm: »Hektor, was entziehst du dich dem Kampfe? Wär ich so viel stärker denn du, als ich schwächer bin, ich wollte dich für deine Untätigkeit zum Hades senden. Aber wohlan, wenn du nicht gern solche Worte hörst, lenke deine Rosse dem Patroklos zu; wer weiß, ob dir Apollo nicht den Sieg schenkt.« So raunte ihm der vermummte Gott ins Ohr und verlor sich im Gewühl der Schlacht. Da ermunterte Hektor seinen Wagenlenker Kebriones, einen Bastard seines Vaters, die Rosse wieder in die Schlacht zu treiben, und Apollo drang vor ihm her in die Reihen der Griechen ein und richtete Verwirrung unter ihnen an. Hektor aber rührte keinen andern Achiver an, sondern ging geraden Laufes auf Patroklos allein los.

Als dieser ihn herannahen sah, sprang er aus dem Wagen, in der Linken den Speer, mit der Rechten einen zackigen Marmorstein vom Boden auflesend, mit dem er sofort den Kebriones zum Tod an die Stirne traf, daß der Wagenlenker auf den Boden hinabstürzte. Patroklos sandte dem Fallenden beißenden Spott nach und rief »Bei den Göttern, ein behender Mann! Wie leicht er sich in den Staub taucht! Hat er das Taucherhandwerk etwa auf dem Meere gelernt und einen Austerhandel getrieben?« Mit diesen Worten sprang er wie ein Löwe auf die Leiche des zu Boden Gesunkenen ein, und Hektor wehrte sich um seinen Halbbruder; er faßte das Haupt des Erschlagenen, Patroklos den Fuß; und von beiden Seiten schlugen Troer und Danaer drein, wie wenn Ost- und Südwind miteinander kämpfen. Gegen Abend entschied sich das Gefecht zugunsten der Achiver, sie entrissen die Leiche des Kebriones den Geschossen und beraubten ihn seiner Rüstung. Und nun warf sich Patroklos mit verdoppelter Wut auf die Trojaner und erschlug ihrer dreimal neun. Aber als er das viertemal angestürmt kam, lauerte der Tod auf ihn: denn Phöbos Apollo selbst begegnete ihm in der Schlacht. Patroklos bemerkte den Herannahenden nicht; denn er war in dichtes Nebelgewölk eingehüllt. Apollo aber stellte sich hinter ihn und versetzte dem Helden mit der flachen Hand einen Schlag auf Rücken und Schulter: da schwindelte es ihm vor den Augen; alsdann schlug der Gott ihm den Helm vom Haupte, daß er weithin in den Sand klingend unter die Pferdehufe dahinrollte und der Helmbusch mit Staub und Blut besudelt ward. Nun zerbrach er ihm die Lanze in der Hand, löste ihm den Schildriemen von der Schulter und den Harnisch vom Leibe und betäubte ihm sein Herz, daß er vor sich hinstarrend dastand. Da durchbohrte ihn Euphorbos, der Sohn des Panthoos, ein tapferer Krieger, der schon zwanzig Griechen gefällt hatte, von hinten mit der Lanze und eilte in die Heerschar zurück. Hektor aber rannte jetzt wieder aus der Schlachtreihe hervor und stieß dem schon Verwundeten von vorne den Speer in die Weiche des Bauchs, daß die Erzspitze hinten wieder hervordrang. So bezwang er ihn, wie ein Löwe den Eber am Gebirgsquell bezwingt, wohin sie beide zu trinken gekommen sind. Er entriß ihm mit dem Speere zugleich das Leben und rief frohlockend: »Ha, Patroklos! Du hattest im Sinn, unsre Stadt in einen Schutthaufen zu verwandeln und unsre Weiber als Mägde auf den Schiffen in eure Heimat zu führen! Nun habe ich ihnen den Tag der Knechtschaft wenigstens aufgeschoben, und dich werden die Geier fressen! Was hat dir nun dein Achill geholfen?«

Mit schwacher Stimme antwortete ihm der sterbende Patroklos: »Frohlocke du immerhin nach Herzenslust, Hektor! Zeus und Apollo haben dir Siegesruhm gewährt ohne Mühe, denn sie sind es, die mich entwaffnet haben; sonst hätte meine Lanze dich und zwanzig deinesgleichen gebändigt! Vor den Göttern hat mich Phöbos, vor den Menschen Euphorbos bezwungen. Du nimmst mir nur die Rüstung ab! Aber eines verkünde ich dir: du wirst nicht lange mehr so einhergehen, das Verhängnis steht dir schon zur Seite, und ich weiß, durch wen du sinkest!« Er brachte mit Mühe diese Worte hervor, und die Seele verließ die Glieder des Leibes und entflog hinunter zum Hades. Hektor aber rief dem Gestorbenen noch zu: »Was willst du mir da für Verderben weissagen, Patroklos? Wer weiß, ob nicht Achill selbst, von meiner Lanze durchbohrt, sein Leben aushauchen wird!« Unter solchen Worten zog er, die Ferse anstemmend, ihm den ehernen Speer aus der Wunde und schwang den Toten rücklings auf den Boden. Dann kehrte er die noch vom Blute des Patroklos triefende Lanze gegen seinen Wagenlenker Automedon. Doch diesen retteten die unsterblichen Rosse vor dem nachsprengenden Verfolger.

Um die Leiche des Patroklos zankten sich derweil mit den Waffen Euphorbos, der Trojaner, und Menelaos, der Atride. »Du sollst es mir büßen«, rief jener, »daß du mir den Bruder Hyperenor erschlagen und sein Weib zur Witwe gemacht!« Und damit rannte er mit der Lanze gegen den Schild des Atriden an; aber die Eisenspitze bog sich. Nun erhob auch Menelaos die Lanze und bohrte sie dem Feinde mitten in den Schlund, daß die Spitze zum Genicke herausdrang und sein zierlich gelocktes, mit Gold und Silber durchringeltes Haar vom Blute troff. So sank er in den Staub, unter dem Klirren seiner Waffen, deren ihn sofort Menelaos beraubte; und er hätte die Rüstung fortgetragen, wenn ihn nicht Apollo darum beneidet hätte. Dieser aber spornte den Hektor an, in Gestalt des Mentes, des Fürsten der Kikonen, von den unsterblichen Rossen des Peliden, die Automedon entführte, als einer unerreichbaren Beute abzulassen und sich wieder der Leiche des Euphorbos zuzuwenden. Er kehrte um, und plötzlich ward er den Fürsten Menelaos gewahr, wie er sich die herrliche Wehre des Euphorbos, über den blutenden Leichnam hingebückt, zueignete. Dieser vernahm den schmetternden Weheruf des trojanischen Helden und mußte sich gestehen, daß er dem mit seinen Troerscharen heranstürmenden Hektor nicht standhalten könne. So wich denn Menelaos, Leichnam und Rüstung lassend, doch nur unwillig, schaute sich, zurückeilend, von Zeit zu Zeit um, stand still und suchte den großen Ajax in der Schlacht. Als er ihn endlich zur Linken im Gemenge des Treffens erkannte, eilte er auf ihn zu und forderte ihn auf, mit ihm selbst dem Kampf um die Leiche des Patroklos zuzueilen.

Es war bereits die höchste Zeit, als beide sich wieder dem Platze näherten, wo der Sohn des Menötios gefallen war. Denn Hektor beschäftigte sich eben damit, nachdem er dem Leichnam des Patroklos die Rüstung abgezogen hatte, diesen an sich zu ziehen, um ihm mit dem Schwerte den Kopf von den Schultern zu hauen und den geschleiften Leib den Hunden zum Fraß vorzuwerfen. Wie er aber den Ajax unter seinem siebenhäutigen Stierschilde herannahen sah, ließ er von dem blutigen Vorhaben ab und flüchtete sich schnell in die Schar seiner Streitgenossen zurück. Dort sprang er empor in seinen Wagen und übergab die Rüstung des Patroklos den Freunden, damit sie ihm dieselbe zur Stadt trügen, wo sie als Denkmal seines Ruhmes aufbewahrt werden sollte. Vor die Leiche selbst warf sich Ajax wie ein Löwe vor seinen Jungen hin, und neben ihm stellte sich Menelaos auf.

Glaukos der Lykier aber heftete einen finstern Blick auf Hektor und sprach zu ihm die strafenden Worte: »Umsonst erhebt dich der Ruf, Hektor, wenn du dich so zagend vor dem Helden flüchtest! Denke nur darauf, wie du allein die Stadt verteidigst! Wenigstens ficht hinfort kein Lykier mehr an deiner Seite. Denn welchen geringeren Mann im Heere wirst du verteidigen, nachdem du unsern Fürsten Sarpedon, deinen Gastfreund und Kampfgenossen, den Danaern und den Hunden preisgegeben, hast liegen lassen? Wären die Trojaner an Kühnheit uns gleich, so würden wir bald die Leiche des Patroklos in die Mauern Trojas hereinziehen; dann würden die Achiver auch bald den Leichnam Sarpedons abliefern, um nur wieder seine Rüstung zu erhalten!« Es wußte nämlich Glaukos nicht, daß Apollo die Leiche Sarpedons den Griechen entführt hatte.

»Du bist nicht klug, Freund Glaukos«, erwiderte Hektor, »wenn du meinst, ich fürchte mich vor der Übermacht des Ajax. Noch kein Kampf je hat mir Grauen gemacht. Aber des Zeus Ratschluß ist mächtiger als unsere Tapferkeit. Jetzt jedoch tritt näher, mein Freund, schau mein Tun an und urteile, ob ich so verzagt sei, wie du soeben gesprochen!« Mit diesen Worten flog er seinen Freunden nach, welche die Waffen des Peliden, die Patroklos angetan hatte, als Beute der Stadt zutrugen. Er vertauschte, bei ihnen angekommen, seine eigene Rüstung mit der Rüstung Achills und zog die unsterbliche Wehre an, welche die Götter des Himmels selbst dem Helden Peleus bei seiner Hochzeit mit der Meeresgöttin Thetis geschenkt hatten und die der Vater dem Sohne übergeben, als er zu altern anfing. Aber der Sohn sollte nicht alt werden in den Waffen des Vaters.

Als der Herr der Götter und Menschen aus der Höhe zuschaute, wie Hektor die Waffen des göttergleichen Helden Achill anlegte, schüttelte er mit trübem Ernste sein Haupt und sprach in seines Herzens Tiefe: »Du Armer, du ahnest doch auch gar nichts von dem Todesgeschicke, das schon an deiner Seite geht. Du hast dem erhabenen Helden, vor dem auch andere zittern, seinen geliebten Freund erschlagen, hast ihm von Haupt und Schultern die Rüstung abgezogen und schmückest dich jetzt mit der unsterblichen Wehr des Sohnes der Göttin. Dennoch, weil dich keine Wiederkehr aus der Schlacht erwartet und dir deine Gattin Andromache diese schönen Waffen nicht ablösen und dich nie mehr begrüßen wird, so will ich dir zur Entschädigung noch einmal Siegesruhm verleihen.« Als Zeus so sprach, schloß sich die Rüstung enger an Hektors Leib, der kriegerische Geist des Ares durchdrang ihn, seine Glieder strotzten ihm innerlich von Kraft und Stärke. Mit lautem Zuruf sprengte er zu den Bundesgenossen und führte sie ermunternd, die Lanzen zum Stoß gefällt, gegen den Feind. Da entbrannte der Kampf aufs neue um des Patroklos Leiche, und Hektor wütete so mit Morden, daß Ajax selbst zu Menelaos sprach: »Trauter Held, ich bin nicht mehr so sehr um unsern toten Patroklos besorgt, der nun einmal die Speise trojanischer Vögel und Hunde werden muß, als um mein eigenes Haupt und um das deine. Denn Hektor umringt uns mit seinen Kriegsscharen wie eine Wolke. Versuch es daher, ob die Helden der Danaer unsern Hilferuf nicht hören!« Menelaos erhub seine Stimme, so laut er vermochte, und der erste, der den Ruf hörte, war Ajax der Lokrer, des Oïleus schneller Sohn; dieser flog zuerst herbei, dann kam Idomeneus mit seinem Streitgenossen Meriones und bald unzählige andere, so daß die Griechen nun wieder den Leichnam mit ihren Erzschilden umzäunt hielten. Doch wurden sie von den Trojanern so bedrängt, daß diese schon die Leiche hinwegzuziehen anfingen; endlich aber gelang es dem herrlichen Ajax, der Not zu steuern, und während Hippothoos, der Pelasger, ein troischer Bundesgenosse, die Sehnen des Leichnams unten am Knöchel mit Riemen umband, um ihn so fortzuschleppen, schlug ihm der Speer des Telamoniers durch die Kuppel des Helms, daß dieser zerbarst und das Gehirn aus der Wunde blutig am Speer emporspritzte. Hektor zielte jetzt auf Ajax, aber er traf nur den Phokäer Schedios; Ajax durchstieß dafür Phorkys, dem Sohne des Phainops, der um den Leichnam des Hippothoos kämpfte, den Panzer, daß die Spitze ihm schmetternd ins Eingeweide fuhr. Nun wichen die Trojaner und Hektor selbst, und gegen des Zeus Beschluß hätten die Griechen gesiegt, wenn nicht Apollo, in der Gestalt des Helden Periphas, des greisen Herolds, den gewaltigen Äneas zum Kampf angetrieben hätte. Dieser erkannte den Gott, feuerte die Seinigen mit mächtigem Zuruf an und focht, selbst weit voranspringend, bald der Vorderste im Streite. Jetzt wandten die Trojaner die Stirne wieder dem Feinde zu. Äneas durchstach den Leiokritos, den Genossen des Lykomedes; dieser rächte den Tod des Freundes an Apisaon dem Päonier; und jetzt streckten die Griechen ihre Lanzen alle dem Leichnam wieder vor.

So wetteiferten sie hier, während die Schlacht auch an anderen Punkten nicht feierte, den ganzen Tag in immer wütender Mordlust, und über Schenkel und Knie bis zu den Füßen hinab troff den Streitern der Schweiß. »Schlinge uns«, riefen die Danaer, »lieber der Boden hinab, als daß wir diesen Leichnam den Trojanern überlassen und ohne Ruhm zu den Schiffen kehren!« »Und müßten wir«, schrien dagegen die Trojaner, »alle miteinander bei diesem Manne sterben, so säume doch keiner im Kampf!«

Während sie so stritten, standen die unsterblichen Rosse des Achill abwärts vom Schlachtfeld. Als sie vernommen, daß ihr Wagenlenker Patroklos von der Hand Hektors ermordet im Staube gestreckt liege, fingen sie an zu weinen, wie Menschen tun. Vergebens bemühte sich Automedon, sie jetzt mit der Geißel zu beflügeln, jetzt mit Schmeichelworten, jetzt mit Drohungen anzutreiben. Nicht heim zu den Schiffen wollten sie gehen, nicht zu den Griechen in die Feldschlacht, sondern wie eine Säule, die unbeweglich über dem Grabhügel eines Verstorbenen steht, standen sie beide vor dem Wagensitze fest, ihre Häupter auf den Boden gesenkt; ihre Mähne quoll wallend und mit Staube besudelt aus dem Ringe des Jochs hervor, und aus den Wimpern tropften ihnen heiße Tränen. Nicht ohne Mitleid konnte sie Zeus von seiner Höhe herab erblicken. ›Ihr armen Tiere‹, sprach er bei sich selbst, ›warum haben wir euch ewig Junge, Unsterbliche dem sterblichen Peleus geschenkt! Etwa daß ihr mit den unseligen Menschen Gram ertragen solltet? Denn es gibt doch nichts Jammervolleres auf Erden von allem, was atmet und sich regt, als der Mensch. Aber umsonst hofft Hektor, euch zu bändigen und an seinen Wagen zu spannen. Nimmermehr gestatte ich dieses; ist es nicht genug, daß er in seiner Eitelkeit sich rühmt, des Peliden Waffen zu besitzen?‹ Da beseelte Zeus die Rosse mit Mut und edler Stärke. Plötzlich schüttelten beide den Staub von den Mähnen und sprengten mit dem Wagen rasch unter Trojaner und Griechen hinein. Automedon mußte sie gewähren lassen und wehrte sich, so gut er konnte. Aber allein auf dem hohen Wagensitze, war es ihm unmöglich, zugleich die Rosse zu lenken und die Lanze gegen den Feind zu schwingen. Endlich erspähte ihn sein Genosse Alkimedon, der Sohn des Laërkes, und verwunderte sich, daß der Einsame mit dem leeren Wagen sich dem Schlachtgetümmel aussetze. »Du bist nächst meinem erschlagenen Freunde Patroklos der beste Rossebändiger, Alkimedon«, rief ihm jener zur Antwort zu; »wolltest du Peitsche und Zügel nehmen, so überlasse ich dir die Rosse und warte des Kampfes.«

Wie sich Automedon aus dem Sitze schwang, bemerkte es Hektor und sprach zu seinem Nebenkämpfer Äneas: »Schau, dort sprengen die Rosse des Achill mit sehr unkriegerischen Lenkern in der Schlacht vor; ist es dir recht, so bestürmen wir sie; die Beute kann uns nicht fehlen!« Äneas winkte, und beide sprengten unter ihren Schilden heran, Chromios und Aretos ihnen nach. Aber Automedon betete zu Zeus, und dieser erfüllte ihm sein Herz mit ungewohnter Kraft: »Halt mir die schnaubenden Rosse dicht am Rücken, Alkimedon!« rief er, und: »Ajax herbei, Menelaos herbei! Überlaßt den Gestorbenen andern Tapfern und wehret von uns Lebendigen das Verderben! Uns bedrängen Hektor und Äneas, die tapfersten Helden Trojas!« Mit diesen Worten schwang er die Lanze gegen Aretos, und diese durchstürmte den Schild und drang dem Helden ins Gedärm, daß der Vorspringende in den Staub zurücksank. Dann warf Hektor seinen Speer auf Automedon, aber dieser fuhr über das Haupt des Gegners zitternd in die Erde. Und jetzt wären sie sich im Schwertkampfe begegnet, hätte nicht die Ankunft der beiden Ajax die Streitenden getrennt und die Trojaner zur Rückkehr nach der Leiche des Patroklos vermocht.

Dort flammte der Entscheidungskampf wieder heftiger auf. Dem Zeus hatte sich das Herz gewandt; in dunkler Wolke senkte sich seine Botin Athene hernieder und stellte sich, in des alten Phönix Gestalt sichtbar geworden, neben Menelaos. Dieser sprach, den Helden erblickend: »Vater Phönix, möchte mir Athene heute Kraft verleihen, so wollte ich dem toten Freunde wohl helfen; denn ich verstehe den Vorwurf deines Blickes.« Da freute sich die Göttin, daß er unwissend zu ihr selber vor allen Göttern gefleht, stärkte ihm Schultern und Knie mit Kraft und gab ihm ausdauernden Trotz ins Herz. Schnell eilte er, die Lanze schwingend, auf die Leiche zu, und als Hektors geehrtester Tischfreund, Podes, der Sohn des Eëtion, sich vor ihm zur Flucht wandte, traf ihn der Speer des Atriden durchbohrend am Gurt, daß er in dumpfem Falle zu Boden krachte. Jetzt trat Apollo in des Phainops Gestalt zu Hektor und ermahnte diesen: »Ei, Hektor, wer im ganzen Danaervolke wird dich künftig noch fürchten, wenn ein Menelaos dich zurückzuschrecken vermag? Er hat dir den besten Freund erschlagen, und jetzt wird er, der Weichlichste unter allen Griechen, dir auch die Leiche des Patroklos entführen!« Diese Worte versenkten das Herz Hektors in Schwermut, und er eilte im Glanze seiner Erzrüstung voran. Zeus aber schüttelte die Ägis, hüllte den Ida in Wolken und gab durch Blitz und Donner den Trojanern das Zeichen des Siegs.

Der Böotier Peneleos, dem der Speer des Polydamas die Schultern gestreift, war der erste, der zur Flucht umwendete. Den Leïtos machte Hektor kampfunfähig, indem er ihm die Hand am Knöchel durchstach; ihn selbst verfehlte der Speer des Idomeneus; und statt diesen, der eben erst zu Fuße von den Schiffen angekommen war, mit dem Gegenwurfe zu treffen, durchschmetterte Hektors Speer Ohr und Wange des Köranos, der mit Meriones und seinem Wagen dem Idomeneus zum Heile vorangefahren war. Der Speer stieß ihm die Zähne aus und durchschnitt die Zunge, und der Held entsank dem Wagen; Meriones hob die Zügel aus dem Staub auf und gab sie seinem Freund Idomeneus, der sich schnell in den Wagensitz schwang und das Gespann fliehend den Schiffen zutrieb. Als der herrliche Ajax dies sah, brachte er gegen seinen Nebenstreiter Menelaos in so lauten Jammer aus, daß Zeus selbst Mitleid mit ihm fühlte, das Nebelgewölk zerstreute und die Schlacht wieder von der Sonne beleuchten ließ. »Sieh doch zu, Menelaos«, sprach jetzt Ajax, »ob du nicht den Antilochos, den Sohn des Nestor, irgendwo noch lebend erblickst. Der wär uns ein tauglicher Bote zu Achill, ihm zu melden, daß sein Freund Patroklos tot im Staube liege.« Menelaos ging mit spähendem Blicke, wie ein Adler nach dem flüchtigen Hasen späht, der im Laubgesträuch hingeduckt sitzt, und bald erkannte er Nestors Sohn links im Gewühl des Treffens. »Weißt du noch nicht, Antilochos«, rief er ihm zu, »daß ein Gott den Danaern Unheil und den Trojanern Sieg zugeschleudert? Patroklos ist gesunken, und alle Griechen vermissen ihren tapfersten Helden; nur ein Kühnerer lebt noch, Achill. Eile du zu diesem ins Zelt und bring ihm die Trauerbotschaft; ob er nicht kommen wird, den nackten Leichnam zu retten, dem Hektor die Rüstung ausgezogen hat.«

Ein Schauer durchfuhr den Jüngling, sein Auge füllte sich mit Tränen bei der Nachricht; und lange blieb er stumm und ohne Sprache. Endlich gab er seinem Wagengenossen Laodokos die Rüstung und eilte fliegenden Laufes den Schiffen zu. Als Menelaos wieder bei der Leiche angekommen war, beredete er sich mit Ajax, wie sie beide den erschlagenen Freund hinwegziehen wollten; denn sie hofften selbst von Achills Ankunft wenig, da dieser seiner unsterblichen Wehre beraubt war. Sie huben den Leichnam mit Gewalt hoch von der Erde empor, und obgleich die Trojaner von hinten ein grauenvolles Geschrei hören ließen und mit Schwertern und Lanzen folgten, so brauchte sich Ajax doch nur umzuwenden, daß sie erblaßten und ihnen die Bürde nicht streitig zu machen wagten. So trugen sie mit großer Anstrengung den Leichnam aus der Schlacht zu den Schiffen, und mit ihnen flüchteten auch die andern Griechen aus dem Treffen. Hektor und Äneas waren ihnen auf den Fersen; und hier und dort entsank den Fliehenden ein Waffenstück, indem sie in wilder Unordnung über den Graben zurückgingen.


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