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Zehntes Kapitel.


Als sie fort waren, kam Herbertine hereingesprungen: Vater, es ist ein Mann da, der einen großen Brief nur dir allein geben will.

Ein junger Bauer kam hinter ihr ins Zimmer und legte ein Schreiben in die Hand des Freiherrn von Mainhövel; dann wandte er sich und ging.

Wart! soll bleiben!

Der Bauer gehorchte nicht, sondern entfernte sich.

Vater, er ist taub, sagte Herbertine; er antwortet auf keine Frage, woher er ist, oder wer ihn geschickt hat.

Taub? so mag er laufen; da lies den Brief, Herbertine.

Herbertine öffnete das Schreiben und las mit ihrem Glockenstimmchen die folgenden Zeilen:

»Ew. Hochwohlgeboren sehe ich mich in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt, als Arzt der Freiin Theo von Blankenaar die folgende Mittheilung zu machen.

Vorgestern Morgen, wo ich von Jemanden aus ihrer jetzigen Umgebung zu ihr gerufen wurde, fand ich an derselben die unverkennbarsten Symptome einer ausbrechenden Geistesstörung, die immer entschiedener hervortrat. In ihren Paroxismen wähnt sich Ihre Mündel verfolgt von mehreren Personen, welche sie namhaft macht, hauptsächlich vom Baron Tondern, von der Gräfin Quernheim und von Ihnen, Herr von Mainhövel, ihrem Vormunde; sie phantasirt, diese Personen lechzten nach ihrem Blute und den erstgenannten ehrenwerthen Herrn bezeichnet sie mit dem Namen: »der Schakal, welcher der Hyäne nachläuft, um von ihr zum Raube geführt zu werden«, während Sie, Herr Baron, von ihr mit dem Namen: der steinerne Comthur oder: der meineidige Holofernes bezeichnet werden, den Gott in die Hand eines Weibes gegeben, welches ihn um seinen Kopf bringe.«

Herbertine ließ, zitternd vor dem Wuthausbruch, den sie nach solchen Ausdrücken für unvermeidlich zu halten berechtigt war, das Blatt aus den Händchen fallen.

Weiter, weiter! rief Herr von Mainhövel mit dem Fuße stampfend. Das Kind fuhr fort:

»Ich will die andern Eigenschaften, welche sie Ihnen beilegt, Herr Baron, nicht erwähnen, wie Sie z. B. ein herz- und gemüthloses, gottverlassenes Menschenbild, das nach innen hin noch weit blinder sei, als nach außen hin u. s. w., von Ihrer Mündel genannt werden, sondern führe nur dies an, um Ihnen zu beweisen, von welchem Grade von Wahnsinn Ihrer Mündel Seelenkräfte befangen sein müssen, um solche Urtheile fällen zu können!

Unter diesen Umständen habe ich für gut befunden, sie da zu lassen, wohin sie sich im ersten Anfalle ihrer Krankheit begeben hat und wo sie sich vor den Verfolgungen ihrer Verwandten geborgen hält. Es kommt zunächst Alles darauf an, sie in diesem Glauben zu belassen. Ruhe thut ihr vor Allem noth und ihr jetziger Aufenthalt in einer Landwohnung ist für ihren Zustand ganz geeignet. Für ihre Heilung wende ich natürlich Alles an, was in meinen Kräften steht, und ich habe die beste Hoffnung auf Erfolg, wenn keinerlei Störung in den regelmäßigen Gang der Kur eingreifen wird. Aus diesem Grunde muß ich als Arzt der Kranken jegliche Nachforschung nach derselben verbieten; träte ihr in ihrer jetzigen Aufregung irgend einer ihrer Verwandten oder eine der Personen gar, von denen sie sich verfolgt glaubt, gegenüber, so könnte ihr Zustand unheilbar werden!

Indem ich mir gehorsamst erlaube, auf alles Dies Ew. Hochwohlgeboren aufmerksam zu machen, und meinen ärztlichen Befehl, die Freiin Theo ganz meiner ungestörten Behandlung zu überlassen, nachdrücklichst wiederhole – über den Stand der Krankheit werde ich von Zeit zu Zeit zu berichten die Ehre haben – verharre ich u. s. w.

Dr. J. W. Pauli,
Amtsphysikus zu Birkenheim.«

 

Der Freiherr von Mainhövel nahm den Brief und zerknitterte ihn in großer Aufregung.

Die Schnur! rief er.

Herbertine griff danach mit krampfhafter Hast und legte die Schnur in ihres Vaters Hand. Dann drückte sie sich zag und scheu in ihr Eckchen hinter dem Ofenritter.

Herr von Mainhövel rannte unterdeß im Kreise herum mit vor Zorn verzerrten Zügen; er ächzte unter der Last seiner Wuth, die seine Lippen blau färbte und über seine Stirn tiefe, düstre Falten gefurcht hatte. Da diese Furchen von der Nasenwurzel ausgehend sich fächer- oder radienartig nach allen Seiten hin über die gewaltige Stirn ausbreiteten, so hatte er einen ganz seltsamen und dämonischen Ausdruck in solchen Augenblicken; aber auch ein stärkeres, entschlosseneres Gemüth, als die arme Kleine hatte, die sich duckte wie ein Huhn unter dem Auge des Falken, würde beim Anblick einer Leidenschaft erschrocken sein, wie sie in den wildverzerrten Zügen des blinden Freiherrn sich malte.

Gräfin Allgunde! rief er nach einer Weile; laß sie bitten um die Gnade, mir einen Augenblick Gehör zu schenken!

Herbertine schoß zum Zimmer hinaus.

Unten in einem so ordentlich wie möglich hergerichteten Gesellschaftszimmer, wohin Herbertine die Treppe hinabflog, saß die Gräfin Allgunde von Quernheim neben Valerian von Schlettendorf beim Gabelfrühstück. Sie sprach sehr lebhaft mit ihrem Nachbar und ihr Gesicht trug den Stempel großer innerer Befriedigung. Auch Valerian's helle Züge waren geröthet, er war aufgeregt worden im Gespräche mit seiner neuen Bekanntschaft.

Gräfin Allgunde erhob sich auf der Stelle, als Herbertine ihr die Botschaft, mit der sie athemlos daher gestürmt kam, ins Ohr geflüstert hatte. Das Kind folgte ihr; aber im Corridor, an der Treppe nach oben, blieb es stehen und horchte, wie die Gräfin hinaufstieg, leichten und elastischen Schrittes oben dahineilte, als ob ein besonders freudiges Gefühl sie hebe und verjugendliche, und dann ins Zimmer des Freiherrn eintrat.

Herbertine ließ nun das geröthete, emporgerichtete Köpfchen sinken und ein Strom von Thränen schoß aus ihren lichten, freundlichen Augen.

Was ist Ihnen, kleines Fräulein? sagte eine Stimme mit sanftem Tone hinter ihr, während eine Hand sich auf ihre Schulter legte.

Herbertine wandte sich um. Ein Jäger stand hinter ihr, der aus einem Seitengange getreten war.

Ich weiß nicht, ob ich dich kenne oder nicht? fragte die Kleine ihn überrascht ansehend.

Freilich kennen Sie mich, ich habe Sie oft auf dem Arm getragen, als Sie noch kleiner waren, versetzte Finkenberg – der war es.

Ja, ich erinnere mich, antwortete Herbertine ihre Thränen abwischend und mit fragenden unsichern Blicken zu seinen Zügen aussehend. Du bist Sackenrode's Jäger, nicht wahr?

Ja, ja, ganz recht, Sackenrode's Jäger, Florian! sagte Finkenberg lächelnd. Aber jetzt sagen Sie mir, was Ihnen ist, weshalb Sie so weinten, Fräulein!

O mein Vater war so zornig; ich fürchtete mich!

Ihr Vater zornig? Und weshalb?

Weil die Cousine Theo wahnsinnig geworden ist! Denke dir, der Doctor Pauli hat's geschrieben.

Wahnsinnig? Gott im Himmel! und wo ist sie?

Der Doctor Pauli will nicht, daß man sich danach erkundige; sie ist auf dem Lande. Sie hat Parox – Parox – ich weiß nicht, wie es heißt, aber es lautet ganz schauerlich!

Schrecklich! Aber wo auf dem Lande ist sie? sagte Finkenberg.

Hör', Florian, unterbrach ihn Herbertine, ich weiß nicht, ob mir der Vater nicht drohen wird, er werde mich schlagen, wenn ich ein Wort von dem Briefe erzähle. Das thut er manchmal, wenn ich ihm Briefe gelesen habe. Deshalb sag' nichts davon; willst du?

Ja, Fräulein, wenn Sie nichts von mir sagen wollen, daß Sie mich hier gesehen haben und mir dies erzählten.

Das Kind nickte mit dem Kopfe und ging, indem es, den Finger an die Lippen drückend, fortwährend über die Schulter auf den andern Theilnehmer der kleinen Verschwörung blickte.

 

Unterdeß stand die Gräfin von Quernheim im Zimmer des Freiherrn von Mainhövel, der ihr Eintreten geflissentlich ignorirt hatte und fortfuhr, im Kreise herumzulaufen. Allgunde beobachtete schweigend die Gestalt des zornigen Barons, der, von Zeit zu Zeit einen dumpfen Laut ausstoßend, rastlos wie ein wunder Bär sich umtrieb. Dann flog ein moquantes triumphirendes Lächeln über ihr Gesicht; endlich sagte sie mit sanft lispelnder Stimme:

Mein lieber Mainhövel, Sie haben mir etwas zu sagen?

In der holdseligen, süßen Freundlichkeit, womit sie diese Worte aussprach, in der sorglosen Heiterkeit, womit sie dem Grimm des Barons gegenübertrat, lag für diesen etwas so Erbitterndes, daß er trotz aller seiner guten Erziehung und Ritterlichkeit es nicht vermochte, anders als durch ein unverständliches Brummen zu antworten.

Bär! sagte die Gräfin für sich; wart', du sollst mir tanzen! – Soll ich Sie zu Ihrem Sopha führen, lieber Freund? fragte sie.

Herr von Mainhövel bekam regelmäßig einen Anfall von Raserei, wenn ihn Jemand durch ein solches Anerbieten von Hülfleistung an sein Gebrechen erinnerte.

Nein, ich danke ganz unterthänig, Gräfin Allgunde, ganz unterthänig, rief er aus, mit einer Stentorstimme, daß die Fensterscheiben klirrten. Da, setzte er hinzu, da lesen Sie, diesen Brief lesen Sie!

Gräfin von Quernheim las.

Eh bien, sagte sie, nachdem sie das Papier rasch überblickt, was soll ich damit? Ich hoffe nicht, daß Sie sich dadurch haben erschrecken lassen. Es wird Niemand so de but en blanc wahnsinnig. Einer von Theo's tollen Einfällen, eine Komödie, voilà tout!

Eine Komödie? Pauli ist ein Ehrenmann. Ich kenne Pauli. Pauli gibt sich zu keiner Komödie her! Was da steht, ist wahr; es ist furchtbar wahr! Das Kind wahnsinnig! Das ist Ihr Werk, Quernheim! Hätten's wissen können! Es liegt ihr im Blut. Der alte Blankenaar war auch ein Narr! Mit seiner weißen Frau! Glaubte, er hätte die weiße Frau geheirathet! Hätten's wissen können, Quernheim! Sie tragen die Schuld! Sie haben sie geängstigt und gepeinigt – ja, ja, gequält haben Sie das arme Geschöpf! O ich kenne Sie, Gräfin Quernheim. Sollte den Schleicher, den Heydenreich heirathen! Mag ihn nicht – hat recht, daß sie den Kerl nicht mag! Er ist bei den Jesuiten in der Schule gewesen. Nun ist sie wahnsinnig drüber geworden – mein Mündel ist wahnsinnig! Es ist ein Scandal im ganzen Lande. Ich habe dem alten Pinsel mein Ehrenwort verpfändet, für sein Kind sorgen zu wollen, und nun hab' ich es in Ihre Hände gegeben, Quernheim! Sie haben sie wahnsinnig gemacht – Fluch Ihnen! Keinen Schritt sollen Sie mehr nach Blankenaar setzen, ich dulde es nicht; ich bin der Vormund, nicht Sie! Verstanden? Keinen Schritt mehr! Ich bin Ihnen sehr für Ihre bisherige Freundschaft dankbar, Frau Gräfin; aus etwas weiterer Ferne gewährt, wird sie mir aber wohlthätiger scheinen. Ich glaube, Sie waren lange nicht in Ihrem Stifte, Frau Gräfin, nicht wahr?

Ich gehe, ich gehe, Herr von Mainhövel, wenn ich Ihnen plötzlich lästig geworden bin. Nur erlauben Sie mir ein paar Worte noch über diese Sache. Was denken Sie jetzt zu thun?

Jetzt? Was Pauli will!

Allerdings das Zweckmäßigste, da ich nicht sehe, wie es Ihnen möglich wäre, etwas Anderes zu thun. Wo sollen Sie sie suchen? Doch ist es für Sie unangenehm, eine Tolle in einer ganz fremden Umgebung Dinge ausplaudern lassen zu müssen, die nichts zur Erhöhung Ihres Ansehens beitragen werden, Herr von Mainhövel!

Ich hoffe, Sie wird so viel von der Frau Gräfin von Quernheim zu erzählen haben, daß sie keine Zeit behält, viel von mir zu sprechen. Und wenn auch, ich fürchte nicht, was eine Unkluge phantasirt! Ich biete der übeln Nachrede keine schwache Seite, Gott sei Dank!

Aber es wird ein höchst scandalöses Aufsehen machen, wenn es heißt, Theo sei krank und liege bei fremden Menschen, statt von ihren Verwandten, bei ihrem Vormunde gepflegt zu werden.

Hm! sie ist in der Pflege ihres Arztes! versetzte Mainhövel. Es ist doch schon des Scandals genug – Flucht – Wahnsinn – in meiner Familie – o wenn ich wüßte, setzte er zähneknirschend hinzu, wie viel davon auf Ihre Rechnung kommt, Quernheim!

Nun, sagte diese sorglos, setzen Sie getrost Alles auf meine Rechnung. Ich wollte Theo zur Heirath mit Heydenreich zwingen; da sie Widerstand leistete, wollte ich sie nach Arnstein entführen lassen. Sie hat, scheint es, durch einen Zufall Kenntniß von diesem Plan bekommen; sie war immer ein schwärmerisches, heftiges, zu äußersten Maßregeln geneigtes Geschöpf; mag leicht sein, daß sie aus Angst vor meinen Plänen entfloh und, wenn Sie wollen, auch den Verstand verlor!

Ja, Sie hämmerten mir diese Nägel zu meinem Sarge – o Quernheim – Quernheim – weichen Sie mir aus – fort, fort – fliehen Sie – denn bei Gott – ich könnte mich an Ihnen vergreifen! O wären Sie ein Mann, ein Mann, den ich erdrosseln könnte!

Der Blinde war schrecklich in seinem Zorne; er richtete sich hoch auf und stand da wie ein Athlet, aber wie ein Athlet, dem die Sehnen durchschnitten. Er öffnete und ballte fortwährend beide Hände, und seine Worte waren zuletzt nur noch ein schauerliches Aechzen aus tiefer Brust.

Gräfin Quernheim hatte sich auf ein Sopha gesetzt; sie beobachtete mit äußerster Seelenruhe, aber mit großer Aufmerksamkeit das lebhafte Mienenspiel im Gesichte ihres theuern, alten Freundes Mainhövel.

Sie haben genug gewüthet, sagte sie dann; in der That, es ist genug; lassen Sie uns jetzt vernünftig über die Sache sprechen. Ich wäre längst schon auf ihre freundliche Andeutung von vorhin gegangen, wenn es mir nicht so darum zu thun wäre, Ihre Ehre durch diese Geschichte nicht bloßgestellt zu sehen.

Meine Ehre?

Ja, erlauben Sie mir, daß ich Ihnen dies erkläre. Erinnern Sie sich noch der Erbschaft, welche Theo von ihrer Tante Lucie hinterlassen wurde? Es war darunter ein baares Capital von 21 000 Thaler. Nicht wahr?

Ja, in östreichischen Metalliques angelegt. Was weiter?

Das Geld wurde Ihnen in Blankenaar ausgezahlt.

Ich ließ es dort unter Theo's Hut, wohlverwahrt, in ihrem feuerfesten Archive – hier wurde gebaut – viel Volk den ganzen Tag – war nicht so sicher hier!

Man sah an der Hast, womit der Freiherr auf diesen Gegenstand einging, daß er beunruhigt wurde.

Ganz recht, sagte die Gräfin; auch waren Sie mit ihrem Baue so beschäftigt, daß Sie mich baten, statt Ihrer, da ich doch grade in die Stadt zu reisen hatte, Metalliques für die 21 000 Thlr. bei meinem Banquier zu bestellen.

Ja, ja, fiel Herr von Mainhövel ein, und drei Wochen nachher kamen Sie von Blankenaar zu mir und brachten mir einen Gruß von Theo mit der Botschaft, die Metalliques seien eingetroffen, Theo wünsche sie aber zu behalten und die Zinsen als Nadelgeld zu ziehen.

Und seitdem haben Sie der Obervormundschaft in Ihren jährlichen Rechnungsablagen aufgeschrieben:

»item 20 991 Thaler und 13 Silbergroschen Pr. Ct. oder 31 150 fl. C. M., angelegt in 31 Stück östreichischer, mit 5 vom 100 verzinslicher und zu 100½ Procent angekaufter Metalliques-Obligationen«; macht an Zinsen jährlich 1550 Gulden, verwendet als Spiel- und Nadelgelder der Minorennen.«

So ist's, so ist's! rief Mainhövel aus.

Nein, so ist's nicht, lieber Mainhövel, es ist ganz anders! sagte mit lispelnder Freundlichkeit Allgunde, indem sie langsam ihre Worte accentuirte, wie um die Bitterkeit dieser Nachricht von ihrem lieben Freunde tropfenweise kosten zu lassen. Sie fuhr fort:

Als Theo das Geld baar da liegen hatte, waren Heydenreich und ich bei ihr. Sie hatten mich einige Tage vorher zur Vertrauten Ihrer Geldverlegenheit gemacht, die eine Folge Ihres unsinnigen Bauens war. Alle Ihre Güter waren verhypothecirt; Ihrer Frau vererbtes Silber sollte als Unterpfand verschrieben werden. Ich konnte Ihnen nicht helfen, lieber Freund; die Andern, die es gekonnt hätten, wollten es nicht, denn alle waren in hohem Grade unwillig darüber, daß Sie sich so unverantwortlich ruinirten. Ich sprach Theo davon. Sie wurde sehr beunruhigt durch Ihre Noth. Sie sagte:

»Da ist nun endlich Einer unter uns, der eine geistige, eine künstlerische Richtung verfolgt, der etwas Höheres kennt, als Pferde, Hunde und Stallfütterung, und nun muß der grade an dem erbärmlichen Gelde scheitern! Wie weh' mag das seiner Seele thun, so gelähmt zu werden, da er just all' seinem Studiren und Arbeiten und der Emsigkeit langer Jahre ein künstlerisch schönes Denkmal aufrichten möchte, die einzige Freude, die er im Leben hat!«

Gott segne das gute Mädchen! sagte Herr von Mainhövel.

Er war Anerkennung unter seinen Standesgenossen nicht gewohnt; man lachte ihn aus mit seinen Liebhabereien, seinen Wunderlichkeiten, seiner grünbibernen Gattin und seinen verwahrlosten Buben. Ueber Theo's Worte wäre er vielleicht – zum ersten Male seit vielen Jahren – weich geworden, wenn nicht der Gedanke an Pauli's Brief dazwischen gefahren und wenn ihn die Spannung auf Allgundens weitere Eröffnungen dazu hätte kommen lassen.

Theo fragte uns, fuhr die Gräfin fort, ob sie nicht etwas thun könne, der Geldnoth ihres Vormundes abzuhelfen? Wir machten ihr begreiflich, daß Sie nie von Ihrer Mündel Geld nehmen würden und dürften, ohne vollständige Sicherheit zu geben, wie das Gesetz sie für Pupillen fordert. Aber ich rieth ihr, das Capital von der Tante Lucie Heydenreich einzuhändigen, daß er es Ihnen anbiete, als von ihm kommend. Dies geschah. Sie nahmen das Geld ohne Arg von Heydenreich an und gaben dagegen eine Handschrift mit dem Versprechen regelmäßiger Zinszahlungen, die bis jetzt, im Vorbeigehen bemerkt, nicht sehr regelmäßig gezahlt wurden. Das Geld aber wurde nun in Ihren Bau gesteckt, zu Jedermanns Vergnügen und Genugthuung; Ihre Werkleute freuten sich, daß ihre Löhnungen bezahlt wurden, Sie freuten sich, daß Ihr Schloß emporstieg, Theo, daß sie die ungeahnte Schöpferin dieser Freude, und wir, das heißt ich und Heydenreich, daß – nun daß wir durch unsern Rath so viel zu dieser allgemeinen Freude beigetragen – fügte Allgunde lachend hinzu.

Und die Papiere, die Metalliques? rief Mainhövel aus.

Die Papiere existiren nicht! Theo weiß nichts von ihnen. Sobald sie großjährig und Ihre Vormundschaft zu Ende, wollten wir Drei Ihnen erklären, daß die Summe, welche Heydenreich Ihnen vorschoß, Theo's Eigenthum sei und von Ihnen dieser letzteren gutgeschrieben werden müsse, wogegen Heydenreich Ihnen den Handschein zurückgegeben hätte. Theo's Aengstlichkeit, was sie nun aber sagen solle, wenn von Ihnen eine andere Bestimmung über das Capital getroffen und danach gefragt werde, beschwichtigte ich mit dem Versprechen, dafür sorgen zu wollen, daß weiter nicht davon die Rede sei. Sie hatten mir ja just Ihre Absicht mitgetheilt, Staatspapiere dafür ankaufen zu wollen und mich um deren Besorgung gebeten. Darauf hatte ich diesen Plan, Sie zu verpflichten, lieber Freund, bauen können. Uebersehen Sie jetzt das Ganze, lieber Mainhövel? Sehen Sie ein, daß wir, daß Sie besonders Heydenreich nicht vor den Kopf stoßen dürfen? Wenn er nun erklärte, nichts von der Sache zu wissen? die einzige schriftliche Spur des Geschäftes ist in seiner Hand. Wo sind dann Theo's 21 000 Thlr. geblieben? Der Herr Vormund hat sie unterschlagen und in seinen unsinnigen Bau gesteckt! wird es heißen.

Aber Sie – Zeugniß ablegen – schwören –

Lieber Mainhövel, wer wird mir als einer Dame verdenken, wenn ich von einer so verdrießlichen Sache nichts wissen will? Ich habe eine Idiosynkrasie gegen den Eid. Ueberhaupt kommt es ja auch auf das Wie der Sache nicht an. Das Gericht wird fragen: hier sind seit sieben Jahren alljährlich 31 000 Gulden in die Rechnungsablage gesetzt. Wo sind sie?

Die Antwort ist: nicht da!

Das Gericht wird fragen: was ist statt dessen da, welche Hypothek, Bürgschaft oder Faustpfand?

Die Antwort ist: keine!

Das Gericht wird fragen: Freiin Theo von Blankenaar, haben Sie seit sieben Jahren die Zinsen von 31 000 Gulden zu 5 Procent als Nadelgeld bezogen, wie hier von Ihrem Vormunde in die jährliche Rechnungsablage gesetzt worden? Antworten Sie genau, Sie müssen beschwören, was Sie sagen!

Die Antwort ist: nein!

Eh bien, lieber Freund? Und wenn nun Heydenreich noch die Perfidie begänge, von der Sache überall geflissentlich zu sprechen, daß das Gericht besonders aufmerksam gemacht würde? Wie dann? Sehen Sie nun, daß ich nur als Ihre wahre Freundin den Sturm Ihres Zornes habe über mich daher brausen lassen, ohne mit der Indignation, die Sie verdient hätten, zu gehen und Sie ungewarnt in Ihr Verderben rennen zu lassen? Denn, lieber Freund, Theo ist in einem halben Jahr mündig und dann kommt der Tag der letzten großen Rechnung für Sie! Dann kommt es darauf an, zu beweisen, daß Sie dem Eide treu geblieben sind, den Sie bei Uebernahme der Vormundschaft leisteten!

Der Freiherr von Mainhövel glich in diesem Augenblicke wirklich dem »steinernen Comthur.« Sein Gesicht war wie Marmor von rothblauen Adern durchschlängelt, seine trockenen, grauen Augen drängten sich aus ihren blutig unterlaufenen Rändern hervor und über seine Stirne lagen wie schwarze Furchen die fächerartigen Runzeln, welche die Entrüstung hineinpflügte.

Teufel, Teufel im Weiberrock! knirschte er. Die Schnur, die Schnur! rief er dann und da Niemand da war, sie ihm zu geben, haschte er krampfhaft auf dem Boden danach. Endlich fand er sie und stürmte nun wie rasend daran auf und ab.

Allgunde von Quernheim legte sich in die Sophaecke zurück und sandte die stechenden Pfeile ihres »bösen Blickes« wie eben so viele giftige kleine Dämonen ihm nach, die seine zerstachelte Seele noch wunder peitschen sollten.

Wissen Sie, lieber Freund, sagte sie lächelnd, welche Strafe einen ungetreuen Vormund trifft, der das Erbe seines Mündels veruntreut, für sich nimmt oder leichtsinnig vergeudet?

Das unglückliche Opfer ihrer Ränke stieß einen dumpfen Ton der Wuth aus.

Wissen Sie es nicht? so will ich es Ihnen sagen:

Die Infamie!

Sie saß eine Weile sich weidend an dem Schauspiel, das sie vor sich hatte. Dann stand sie auf und sagte, ihren Shawl um sich ziehend:

Aber nun genug; ich muß eilen, sonst seh' ich Schlettendorf nicht mehr, denn ich höre unten den Lärm des Aufbruchs. Haben Sie keine Angst, lieber Mainhövel; es soll Alles beim Alten bleiben. Heydenreich heirathet Theo, bei der es wirklich Zeit wird, daß sie einen vernünftigen Mann bekommt, der ihren vielen tollen Launen und Kindereien ein Ende macht. Am Hochzeittage händigt er Ihnen die 31 Stück östreichischer Papiere auf so lange, bis die Rechnungsablage vorüber ist, aus, wogegen Sie ihm nur seinen Handschein in eine notarielle Verschreibung verwandeln lassen. Nicht wahr? Für das Uebrige lassen Sie mich sorgen. Theo bleibt nach wie vor, Ihrer vormundschaftlichen Bestimmung gemäß, an meine Aufsicht und Leitung gebunden, wie sie es von Jugend auf gewesen ist. Wo sie jetzt ist – das überlassen Sie mir zu entdecken, und ebenso überlassen Sie mir die Heilung von ihrer Krankheit, an die ich für's Erste nicht glauben werde. Adieu, mein lieber Mainhövel, leben Sie wohl und vergessen Sie Ihre Freunde nicht. Lassen Sie sich diesen Abend aus dem Simplicissimus vorlesen, es wird Sie erheitern und zerstreuen. Adieu!

Sie ging langsam, mit der Haltung ruhiger Ueberlegenheit, zum Zimmer hinaus.

 

Als die Nacht dieses Tages gekommen war, konnte Herbertine in ihrem Korbbettchen kein Auge zuthun. Die Schläge der großen Schloßglocke riefen zwölf – ein – zwei Uhr durch die Nacht, daß es ehern in den öden Corridoren widerhallte; aber immer noch mußte sie den schweren Fußtritten lauschen, die aus dem Zimmer ihres blinden Vaters herübertönten.



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