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Die Flucht.


Erstes Kapitel.


Der Landmann hatte seine reifen Saaten niedergemäht, wie einen gelben Teppich breitend für die nahenden Schritte des Herbstes; der Himmel aber spannte noch sein sommerlichstes Blau über eine stille Landschaft aus, welche in anmuthiger Abwechselung von Eichenwäldern, umzäunten Aeckern und kleinen Haidestrecken gebildet wurde. Der Boden war hügelicht und übersäet mit einzelnen Gehöften, die sich an den schützenden Rückhalt eines Waldes oder einer Hügelwand lehnten. Zur Linken in einem Thalgrunde sah man die spitzen Thürme einer kleinen Stadt aus Obsthainen und reicher grüner Vegetation emporragen und rechts in größerer Ferne, ebenso warm umwaldet und von dichten Wipfeln beschützt, die Essen und Dächer eines ansehnlichen herrschaftlichen Gutes. Die Stelle, von der man diese Punkte der freundlichen Landschaft übersah, war am Saume eines Gehölzes, das eine ziemlich bedeutende Höhe bedeckte und durch welches die Landstraße nach dem Städtchen sich hinzog.

In diesem Gehölze saß auf einem gefällten Baumstamme, nahe an jener Straße, ein hausirender Jude, eine lange, dürre und gebeugte Gestalt. Sein weißer Pudel lag zwischen seinen Füßen und zerrte spielend an den Lederriemen eines Bündels, während der Jude mit der Spitze seines Wanderstockes das gelbe Laub aufspießte, das zu seinen Füßen lag.

Der Hund schlug an, dann wurden Hufschläge vernehmbar und das Schnauben von Pferden, die zur Rechten des Juden, am Saume des Gehölzes her, sich nahten; bald ließen die immer breiter werdenden lichten Zwischenräume der Stämme erkennen, daß es zwei leicht und anmuthig sich bewegende Thiere waren und daß eine stattliche junge Dame auf dem ersten Pferde herankam.

Nachdem sie leicht und sicher über den Graben weggesetzt hatte, der sie von dem Heerwege trennte, hielt sie an und gab ihrem Diener einen Befehl, worauf dieser sehr langsam ihr voraus den Hügel hinunterritt, in der Richtung nach dem vorhin erwähnten Gute. Sie selbst schien sich noch eine Weile allein an dem Anblicke der ausgedehnten Landschaft weiden zu wollen, welche im hellen Abendsonnenscheine vor ihr lag.

Der jüdische Krämer betrachtete sie mit Wohlgefallen. Und in der That bildete sie, von seinem Standpunkte aus gesehen, eine liebliche und malerische Erscheinung. Sie hielt am Eingange des Waldes, wo über die einlaufende Chaussee eine Art Thorwölbung von den laubreichen Aesten geschlagen worden, und während sich so ein dunkler Rahmen aus Zweigen und Blätterfülle um sie zog, legte die Sonne volle, farbige Gluten auf den Horizont, die den Hintergrund des Bildes füllten. Auf diesem Grunde zeichnete sich scharf und klar die Gestalt ab, die voll Anmuth über dem Sattel schwebte, das Haupt mit stolzer Nackenbewegung hebend, die rechte Hand mit der Gerte auf die Mähnen des Thieres legend, ruhig und sicher, wie die Ariadne Danecker's auf ihrem Leoparden ruht. Von ihrem Gesichte war, wegen des blendenden Sonnenscheins, nichts sichtbar als das Profil, welches, regelmäßig und fein geschnitten, eine längliche Form des Antlitzes andeutete. In ihrer Haltung und in ihrem Wesen lag etwas Muthiges, ja fast Hochmütiges; sie sandte ihre Blicke über das Land vor ihr aus, als ob diese Blicke ebenso viele Zauber seien, welche das ganze Gefilde ihrer Schönheit unterwerfen oder ihrer Intelligenz dienstbar machen müßten. Wäre der schöne Goldfuchs arabischen Bluts, der ungeduldig ins Gebiß schäumte, nur der unerläßliche weiße Zelter gewesen – man hätte sie für die holde Fee Romantik halten können, welche aus der Verborgenheit ihrer dunkeln Waldgründe hervorgekommen, um in stiller, abendlicher Stunde die ihrem Zauber untreu gewordenen Sterblichen aufs neue durch ihre Erscheinung zu verführen.

Sie wandte ihr Pferd und ritt, vergessend, daß sie ihren Diener, seines unruhigen Thieres wegen, hatte vorausreiten lassen und daß sie allein sei, in das Gehölz, um an der andern Seite desselben, da wo die Heerstraße es verließ, ebenfalls das warme Glühen der Landschaft, die voll und tief gefärbten Gründe, die duftigen Tinten der fernen Höhen zu bewundern. Denn sie fühlte sich gefesselt von ihnen und in poetischer Schwelgerei, in der Sucht ihres jungen Herzens, im Idealen zu schwärmen, liebte sie es zu vergessen, daß sie Wirklichkeit sehe, und dachte sich Bildern unendlich schöner Träumerei gegenüber.

Der Jude rief ihr halblaut und unterwürfig einen Gruß zu, als sie neben ihm war. Sie stutzte und hielt.

Seid Ihr es, Isaak Koppel?

Ja, ich bin es, gnädiges Fräulein, antwortete er, und sich erhebend, um der Dame so nahe zu treten, als seine Scheu vor ihrem Thiere es erlaubte, setzte er hinzu: Wenn Sie mir wollen erlauben, nebenher zu traben – ich hätte etwas Wichtiges dem gnädigen Fräulein zu erzählen!

Was habt Ihr mir zu sagen, Isaak? Ich danke Euch für Euere Gesellschaft, da ich allein bleiben will. So sprecht!

Man kann es nicht brechen übers Knie wie einen dürren Zweig.

Brecht es immerhin! Was wollt Ihr?

Der Jude zog mit einem eigenthümlichen, greinenden Verziehen seiner gelben, tiefgefurchten Gesichtszüge vier Goldstücke aus seiner Westentasche hervor und, indem er sie auf die flache Hand legte, die er der Reiterin entgegenstreckte, sagte er:

Nun so will ich's übers Knie brechen und sagen kurz: Geben Sie mir das Doppelte von dem und ich erzähle Ihnen, weshalb die Frau Gräfin von Quernheim in Ihrem Schlosse ist und was sie vorhat und was das gnädige Fräulein davon angeht. Es ist nicht Habsucht von mir, daß ich so spreche; ich möchte nicht sein ein Spion! Und Sie wissen selbst, ob der Isaak ist ein Ohrenbläser! Aber als ich Sie habe gesehen so fröhlich und so stolz auf dem schönen Goldfuchs halten, da ist mir's warm geworden ums Herz und ich habe gesagt: Isaak, sprich erst mit dem Fräulein und sieh, was sich machen läßt mit ihr! Der Mensch muß leben, Fräulein, und das Geld ist das Ende von jedem Dinge und von jedem Geschäft. Wollen Sie mir zahlen die acht Louisd'or? Bei Gott, es ist mehr für Sie werth, was ich Ihnen sagen kann, als lumpige acht Louisd'or.

Die Dame sah den Juden erstaunt an und hörte ihm mit großer Spannung zu; als er aber geendigt, wandte sie sich mit kalter Verachtung ab und mit den Worten: »Ihr seid ein Schuft, Isaak!« ritt sie langsam weiter in den Wald hinein.

Der Jude warf sein Bündel auf den Rücken und sah ihr mit einem schielen, grimmigen Blicke nach, während er murmelte: Nun, so reit', stolze Isabel, reit' in dein Verderben: ich hab's gut mir dir gemeint, aber es ist nicht meine Schuld, wenn dir's an Hals und Kragen geht. »Ihr seid ein Schuft, Isaak,« hat sie gesagt; o, das hat mir schon Mancher gesagt, aber Niemand ist so dafür bestraft worden, wie du es sein wirst!

Die Reiterin schien im nächsten Augenblicke den Juden und seinen unwürdigen Antrag vergessen und nur noch Sinne zu haben für das stille Leben des Waldes, das sie jetzt umgab. In träumerischer Versunkenheit gab sie diesem Reize sich hin. Die Sonnenstrahlen, denen es gelang, durch das Laubdach zu dringen, legten helle Flecken auf das Moos, dessen saftiges Grün den Boden überzog, oder spielten mit den noch dunkleren Epheublättern, welche Stämme und Aeste umrankten; hie und da sank ein gelbes Blatt mit leisem Gesurre nieder, eine Drossel pfiff mit hastigem Flügelschlage davon, den Zweig der Stechpalme zurückschnellend, der sie getragen hatte. Dies und das tiefe Gurren der Ringeltaube, das sachte Knarren der Aeste im Abendwinde, oder das Schwirren einer verspäteten Phaläne mit silberglänzenden Flügeln waren die einzigen Laute, welche die Stille zuweilen unterbrachen und wie Töne eines versteckten und unsichtbaren Webens der Natur hinter den grünen Hüllen des Sichtbaren hervordrangen.

Es ist ein Mysterium, ein verhülltes Allerheiligstes in jedem Walde, ein innerer Punkt, wo die webende und schaffende Macht sich birgt, der solch ein grüner Tempel über den grauen und moosigen Säulen auferbaut ist.

Unsere einsame Dame war bald an die Stelle gelangt, wo die Landstraße rechts ab aus dem Walde hinausbog, um in sanftem Abhange durch Wiesen- und Gartengründe in das tief unten liegende Städtchen zu führen. Hier wollte sie um- und heimkehren, als plötzlich etwas ihre Blicke fesselte und sie an die Stelle bannte. Sie sah aus dem Thore des Ortes einen Reiter in gestreckter Carrière des Weges nach dem Walde zu daher sprengen. Eine Weile darauf kamen zwei andere Reiter, welche den ersten zu verfolgen schienen; es waren berittene Gendarmen, die ihre Thiere zur äußersten Anstrengung spornten. War nun das Pferd des Verfolgten ermüdet, oder war es ein schlechter Läufer – es verlor immer mehr Raum, die Häscher gewannen mit jedem Augenblick. Sie kamen näher und näher. Die Zuschauerin erkannte in dem Verfolgten einen großgebauten und elegant gekleideten jungen Mann. Ihr Herz schlug hörbar aus Theilnahme an dem spannenden Schauspiel – da, fast im selben Augenblick, waren Verfolger und Verfolgter hinter einem Gebüsch verschwunden, das am Wege stand und den freien Ueberblick über denselben unterbrach.

Sie haben ihn eingeholt, er ist verloren! rief die Dame athemlos. Nein – da ist der Kopf seines Pferdes wieder – er gewinnt Terrain – brav, brav!

Dieser letztere Ausruf bezog sich auf einen Satz, den der Verfolgte sein Pferd über den Weggraben machen ließ, in der Absicht, in gerader Richtung über eine Wiese zu sprengen, um welche der Weg in einer bedeutenden Krümmung herumlief. Die Gendarmen schienen diesen Satz nicht zu wagen oder dazu weniger taugliche Pferde zu haben. Sie mußten den Umweg machen und dadurch gelang es dem Verfolgten mit einem Vorsprung von etwa drei bis vier Minuten oben am Walde anzukommen; hier strauchelte aber sein Pferd, sank ermattet ins Knie und erhob sich nur mit Mühe und heftigem Keuchen wieder.

Die Dame warf einen prüfenden Blick auf den Flüchtling: sein großes Auge sah mit einer gewissen stolzen Heiterkeit nach seinen Verfolgern um; das heftig geröthete Gesicht hatte edle Züge und einen Ausdruck von ungetrübter Jugendlichkeit. Er trug einen Reitanzug von feinem grünen Tuch und modernstem Schnitt. Nach dem ersten Blick auf ihn war der Entschluß der Dame gefaßt; sie sprang mit großer Leichtigkeit von ihrem Goldfuchs und rief:

Nehmen Sie dies Pferd, es wird sie aus dem Bereich ihrer Verfolger bringen. Folgen Sie diesem Wege, bis Sie an ein Gut kommen. Es ist das meinige, dort sind sie sicher.

Der Fremde blickte erstaunt die schöne Unbekannte an, die ihm mit so hochherzigem Entschluß in den Weg trat, um ihm Rettung und Schutz zu bieten. Er schien einige Augenblicke zu zögern; dann, als in der Ferne die Stimmen der Verfolger laut wurden, glitt er rasch von seinem ermüdeten Thiere, war im nächsten Augenblicke in dem Damensattel auf dem Goldfuchs und nach einem anmuthigen Gruße ließ er diesen den Sporn fühlen.

Mein Leben für Sie, edle Dame! rief er aus, indem er einen innigen Blick des Dankes zurücksandte. Im nächsten Augenblick war das kräftige Pferd, wie ein vom Bogen abgeschossener Pfeil dahinfliegend, hinter den Bäumen des Waldes verschwunden.

Als die Dame sich wandte, um die lange Schleppe ihres Reitkleides, die sie am Gehen hinderte, aufzunehmen, stand der Jude hinter ihr und schlich mit seinem schielen Blicke an ihr vorüber.

Fünfzig Schritte weiter traf er mit den Gendarmen zusammen; sie sah ihn mit denselben sprechen, worauf diese sich damit begnügten, das hinterlassene Pferd des Flüchtlings aufzufangen, und mit demselben dann wieder der Stadt zu ritten. Sie selbst ging durch den Wald zurück mit einem höchst gemischten Gefühl von Beklommenheit und von Zufriedenheit mit einer Handlung, welche aus der ersten ungeprüften Eingebung eines vielleicht zu rasch vertrauenden Herzens entsprungen war.

Du bist eine Thörin, sagte sie sich, deinen treuen Ali einem wildfremden, von Gendarmen verfolgten Menschen anvertraut zu haben, dessen nächstes Interesse es sein muß, so weit zu fliehen, wie ihn nur irgend die vier unermüdlichen Füße deines Pferdes tragen.

Aber trotz des hohen Grades von Wahrscheinlichkeit, den diese Befürchtung hatte, konnte unsre Dame eine Art inneren Bewußtseins nicht unterdrücken, das ihr sagte, der Fremde sei nicht im Stande, ihr Vertrauen zu täuschen.

Als sie die Stelle erreicht hatte, wo der Jude sie angeredet, kam der Reitknecht, der Peggy hieß und ein Irländer war, in tödtlicher Bestürzung ihr entgegengaloppirt. Da er den Goldfuchs unter einem fremden Reiter in Carrière an sich hatte vorübersausen sehen, hatte er natürlich seine Herrin beraubt, vielleicht mishandelt glauben müssen.

O Mylady, rief er aus, athemlos und vor Bewegung zitternd, da sind Sie ja! Gottes Gnade ist groß! Der Spitzbube – der Strauchdieb – der –

Still! sagte das Fräulein unwillig, glaubst du, es nähme mir Jemand mein Pferd, dem ich es nicht übergäbe? Ali ist ein gutes Thier und seine Reiterin, denk' ich, setzte sie lachend hinzu, macht ihm keine Schande.

Gott sei's geklagt, wenn das Thier nicht noch zuweilen die Vernunft hätte und einen Graben zu breit und eine Hecke zu hoch fände, Sie thäten's gewiß nicht!

Komm, sagte das Fräulein und schritt auf ihrem Heimweg weiter. Peggy folgte in ehrerbietiger Entfernung, mit der Frage beschäftigt, wer der fremde Mensch sein könne, dem seine Gebieterin den kostbaren Goldfuchs anvertraut habe.



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