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Zweites Kapitel.


Wir folgen dem Juden auf seiner Wanderung. Langsam wandelnd hatte er den Ort im Thale nach einer Viertelstunde erreicht. Er schritt, ohne sich aufzuhalten, durch das ganze Städtchen, von dem Geschrei der Gassenbuben begrüßt, denen er Knallerbsen zu verhandeln pflegte und die sich das Vergnügen machten, nach ihm und seinem Pudel zu werfen, ohne daß Isaak Koppel sich viel darum gekümmert hätte. Als er das entgegengesetzte Thor erreicht hatte, war es Abend geworden und die Sterne traten am klaren Himmel hervor. Isaak wandte sich links durch Gärten, bis er an einen freien Rasenplatz kam, auf dessen Mitte ein großes steinernes Crucifix und vor demselben einige Bänke zum Knieen für Betende standen. Hier ließ er den Sack von seinem Rücken gleiten, setzte sich und begann den Inhalt seiner Bürde zu durchwühlen. Nach einer Weile schien er gefunden zu haben, was er suchte; es waren zwei gläserne Phiolen, beide mit farbigen Flüssigkeiten gefüllt. Der Jude schüttelte sie und hob sie empor, um nach dem Inhalte zu sehen; dann barg er sie in der Brusttasche und stützte nachdenklich die Stirn auf seine flache Hand.

Der Mond hatte sich erhoben und übergoß mit einem weißbläulichen Licht das Crucifix, welches gespenstische Arme zum Abendhimmel ausstreckte, während der Körper des gemordeten Dulders in dem kalten Lichte Leben bekommen zu haben schien. Der Jude, der unten kauerte, die dürftige, langgestreckte Gestalt im erhandelten Frack, welcher Handgelenk und Hände in unmäßiger Lange hervortreten ließ, saß dagegen so regungslos da, als sei er eine aus Stein gebildete Gestalt.

Isaak Koppel, der lange, dürre Jude von Wehm, wie man ihn auch nach seinem Geburtsort nannte, hätte übrigens nicht erst im Mondschein sich unter einem Crucifix hinzukauern gebraucht, um auf Manche einen unheimlichen Eindruck zu machen. Er war gefürchtet und gehaßt. Die Landleute schrieben ihm gewisse räthselhafte Kenntnisse zu: er war ein gesuchter Vieharzt, er verstand aus den Linien der Hand wahrzusagen und wenn die Genauigkeit und Unfehlbarkeit seiner Prophezeihungen auch Gegenstand großen Streites in der Gegend blieb, so hatte er desto unläugbarer zwei andere ungewöhnliche Eigenschaften. Isaak besaß nämlich ein fabelhaftes Gedächtniß, sodaß er jeden Vers des alten Testamentes herzusagen wußte, sobald man ihm das erste Wort nannte; und dann einen noch unbegreiflicheren Zahlensinn. Man konnte eine Handvoll Bohnen vor ihm auf den Tisch legen und im nächsten Augenblicke hatte Isaak Koppel ihre richtige Zahl gesagt. Uebrigens liebte Isaak es, einen unheimlichen Eindruck zu machen. Er umgab sich gern mit Geheimnissen, schon aus angeborner Neigung, oder aus Eitelkeit, wenn es ihm auch nicht bei seinem Erwerbszweige von wesentlichem Förderniß gewesen wäre; und jedes Ding mit viel größerer Wichtigkeit und Feierlichkeit zu beginnen, als sich am Ende nöthig zeigte, besonders wenn es dienen konnte, Andere zu ängstigen, lag in seinem Charakter.

Die Glocken schlugen im Städtchen und der Jude fuhr empor; er wanderte nun längs des halbverschütteten Stadtgrabens her, bis er die hintere Umzäunung eines Gartens erreichte, an dessen jenseitigem Ende ein einstöckiges Haus sein rothes Ziegeldach aus den Wipfeln der Obstbäume emporhob, die es gegen Südwest hin dicht umstanden. Der Jude übersprang den Zaun, schritt durch die Gartenpfade und näherte sich vorsichtig einem der Fenster, aus dem Licht schimmerte. Leise bog er die üppigen Weinreben zur Seite, welche die untern Scheiben übersponnen hatten, und versuchte trotz der Gardinen, die im Innern niedergelassen waren, einen Blick in das Zimmer zu gewinnen.

Es gelang ihm; eine Ecke des weißen Musselinvorhangs hatte sich in eine große Falte umgeschlagen und gab den spähenden Blicken Isaaks Raum. In dem Zimmer waren zwei Männer, ein älterer und ein junger, der in der Mitte der Zwanziger stehen mochte; dieser stürmte mit verzweiflungsvollen Geberden in dem Gemache auf und ab, rang die Hände, stierte eine Weile einen Fleck auf dem Boden an und warf sich dann plötzlich mit dem Ausdruck völliger Vernichtung an die Brust des andern, des ältern Mannes; dieser aber schien für ihn keinen Trost zu haben; er saß wie theilnahmlos in einem Lehnstuhl, aber seine Rechte fuhr von Zeit zu Zeit mit einem Tuche nach seinen Wimpern.

Der Jude schien sich eine Zeit lang am Anblicke der beiden von Gram und Schmerz niedergedrückten Männer zu weiden. Dann schritt er um das Haus, bis er an die der Straße zugekehrte Seite desselben kam und zog die Klingel.

Ich muß den Herrn Physikus sprechen, sagte er der öffnenden Magd und drängte sich ihr nach in das Zimmer, in welches sie eintrat, um ihn zu melden. Ohne abzuwarten, ob er willkommen geheißen werde oder nicht, sagte er:

Hier bin ich schon, Herr Physikus; guten Abend! Der Isaak Koppel ist's, der kommt; guten Abend, Herr Doctor, wie geht es, Herr Doctor?

Was wollt Ihr? sagte der Physikus, ihm entgegengehend, während der jüngere Mann, den Isaak als Doctor begrüßt hatte, sich in die Nische des Fensters zurückzog, durch welches er vorhin von schielen und spähenden Blicken beobachtet worden war.

Was ich will? nun, ich will fragen wie's geht mit der jungen Frau! Ich habe gehört, wie sie ist so krank geworden mit einem Mal, und da hab' ich gedacht, der Herr Physikus ist ein freundlicher Mann und ein gelehrter Mann, daß die Kranken zu ihm kommen von nah und fern; jetzt ist seine leibliche Tochter krank und liegt auf den Tod, wie die Leute sagen, und da sollst du hingehen, Isaak, habe ich gedacht, und helfen dem hochgelehrten Herrn Physikus mit einem kleinen Mittelchen!

Es lag ein gewisser Hohn in diesen Worten, der den Physikus reizte und ihn kurz und trocken antworten ließ: Ich brauche Eure Mittelchen nicht, Isaak. Geht und laßt uns in Ruhe.

Der Jude war unterdeß in einen Alkoven getreten, welcher sich neben dem Zimmer befand, durch einen grünen Vorhang davon getrennt. Die Tochter des Arztes, des jüngeren Mannes neuvermählte Frau, lag hier, im letzten Stadium einer allem Anschein nach tödtlichen Krankheit.

Sie lag mit halbgeschlossenen Augen, wie besinnungslos: das feingeschnittene Gesicht war tief eingefallen und die langen, schwarzen Wimpern der Augenlider hoben sich auf der leichenhaften Blässe der Haut doppelt stark hervor; die Stirn netzten dicke Tropfen Schweißes und die auf der Decke ruhenden Hände waren brennend heiß.

Isaak wollte eine dieser Hände ergreifen und nach dem Puls fühlen, als der jüngere Mann, der Gatte der Kranken und des Gerichtsarztes Assistent, rasch zwischen ihn und das Bett trat mit dem Ausruf: Rührt sie nicht an! geht fort von hier!

Ihr stört uns, Isaak Koppel; geht Eures Weges, sagte der Vater.

Mein, mein, komm' ich doch, um zu helfen und zu retten!

Es ist nichts mehr zu retten, sagte mit düsterer Resignation der Gerichtsarzt. Laßt uns allein!

Herr Physikus, so wahr ich Isaak heiße, ich will Ihre Tochter heilen von der Krankheit, wenn es ist die Krankheit, welche ich im vergangenen Winter geheilt habe mit meinem Tranke. Sie wissen, wie krank die Margareth Holling war!

Der Arzt zuckte die Achseln.

Der Jude zog seine Phiolen heraus und hielt sie gegen das Licht.

In einem dieser Gläschen ist Leben für Ihr Kind, Herr Physikus. Mein Vater hat das Mittel mit sich gebracht, als er gekommen ist aus Smyrna, mit 'nem englischen Schiff nach Triest und so ins Land hinein; und er hat mir das Mittel vermacht und hat zu mir gesprochen auf seinem Todesbett: ich hinterlasse dir kein Gold, Isaak, hat er gesagt, und keine Schätze, aber ich hinterlasse dir die Mittel, so sich ererbt haben in unserm Stamm seit undenklichen Jahren; eines gegen das heiße Fieber und das andere gegen die Zehrung, Jetzt, Herr Physikus, soll ich Ihre Tochter heilen mit dem Mittelchen gegen das Fieber?

Der Arzt schüttelte den Kopf, der jüngere Mann, der die unerklärliche Heilung eines Mädchens beobachtet hatte, welche von ihm und seinem Schwiegervater vollständig aufgegeben war, und auf die sich der Jude vorhin berufen hatte, griff dagegen jetzt begierig den letzten Schimmer von Hoffnung auf, der sich ihm zeigte.

Es ist nichts zu verlieren! sagte er; wäre es Gift, das Mittel des Juden, es könnte nichts schlimmer machen. Darüber sind wir Beide einig.

Der Arzt zuckte nochmals die Achseln, ließ sich die Phiolen Isaak's reichen und prüfte sie mit ungläubigen Mienen.

Herr Doctor, sagte Isaak, gehen Sie einen Augenblick hinaus, ich habe ein Wort im Geheim zu reden mit dem Herrn Physikus.

Ich erlaube Euch, Euer Mittel zu versuchen, Isaak, sagte der Doctor und ging.

Herr Physikus, hob nun der Jude an, Sie glauben nicht an mein Mittel, daß es wirkt: ich selber will auch nicht mein Leben und meine Seele darauf verwetten. Habe ich doch noch nicht einmal den Puls der Kranken fühlen dürfen! Nun will ich Ihnen machen einen Vorschlag: ich will versuchen meinen Trank; hilft er nicht, so will ich haben keine Bezahlung, keinen Heller sollen Sie mir geben dürfen, Herr! Will's aber Gott, daß er hilft, mein Trank, so soll der Herr Physikus gehen mit mir diese Nacht und soll mir folgen, wohin ich ihn führe, und soll da thun, was man verlangt von ihm und schwören auf sein Bibelbuch, daß er kein Wort will sagen von Allem, was er sieht, in keines Menschen Ohr, so da lebt oder noch leben wird!

Jude! was verlangst du von mir? für wen hältst du mich? fuhr der Arzt auf.

Mein, mein, ich will dem Herrn Physikus die kranke Tochter heilen, dafür soll er mir auch heilen einen Kranken: was kann billiger sein? Aug' um Aug'! Soll ich mich verschwören, daß ihm nichts Uebles wird geschehen? daß man nichts wird verlangen, was er nicht leicht und ohne Müh' thun könnte? Soll ich mich verschwören?

Der Arzt schlug seine beiden Hände vor die Stirn und schien sich zu sammeln nach der ersten äußersten Ueberraschung, in welche ihn ein solcher Vorschlag versetzt hatte.

Können Sie doch leicht sagen ja, wenn Sie glauben, mein Mittel ist unnütz, fuhr Isaak fort. Und wenn Sie durch einen bloßen Gang, nur ein Stündchen weit, ihre Tochter vom Tode retten können und thun es nicht, Herr Amtsphysikus, sind Sie dann ein guter Vater, ein rechtlicher Mann, ein frommer Christ, Herr Amtsphysikus Pauli! Ich sage Ihnen, wenn mein Mittel nicht schleunig zu Hülfe kommt und Sie mir nicht sind zu Willen, so stirbt Ihre Tochter und Ihr Schwiegersohn grämt sich dahin, wie ein welkes Blatt, bis der Herbstwind es fortweht, und ihr Haus wird verödet stehen, die Trübsal wird Sie heimsuchen, wie sie heimsuchte Job, und Sie sind ein geschlagener Mann, Herr Amtsphysikus Johann Wilhelm Pauli!

Der Arzt sprang auf, sah den Juden mit durchbohrendem Blick an und trat dann an das Bett seines sterbenden Kindes; er fühlte nach dem Puls, legte die Hand auf das fiebernd klopfende Herz der Kranken, dann drückte er einen Kuß auf ihre blauen Lippen, wandte sich und sagte: Zahlt dir das Mittel, das du hast, kein Geld?

Der Jude hatte unterdeß aufmerksam die Kranke beobachtet. Jetzt, als der Arzt die Vorhänge des Alkovens wieder hatte zufallen lassen, schien er bei sich zu überlegen. Es war ein Augenblick fürchterlicher Spannung für den Gerichtsarzt.

Geld? versetzte darauf Isaak. Hättet Ihr mich aufgenommen wie Einen, der da kommt, das Heil zu bringen, und geglaubt an mein Mittel, so wäre ich vielleicht zufrieden gewesen mit Geld; so aber habt ihr mich hinausgewiesen, »geh!« hat der Eine gesagt, »scher dich hinaus!« der Andere: das will ich mir nicht bezahlen lassen mit Geld, sondern ich will für meine Hülfe nichts Anderes mehr, als die Gewogenheit und Freundschaft des Herrn Amtsphysikus Johann Wilhelm Pauli in Birkenheim und daß er mir soll nie mehr in seinem Leben sagen dürfen: Geh hinaus, Jude, scher dich fort, Isaak! wie man sagt zu einem Pudel.

Jude, sag, was soll ich thun!?

Mir folgen in jeder Nacht, wann ich es verlange, und wenn's auch nur wäre, um meinen Hund zu curiren. Was nehmen Sie Anstand? Glauben Sie doch nicht an meine Mittel? – Es ist acht Uhr jetzt, ich will das Elixir der Kranken eingeben: wenn sie nach drei Stunden besser ist und hat die Krisis überstanden, sind Sie mir pflichtig zu folgen; doch will ich warten eine Stunde länger bis um zwölf, daß Sie sehen können, wie mein Trank wirkt und daß Sie sicher sind, Ihre Tochter ist in der Besserung. Nun? sagen Sie ja oder nein – die Zeit drängt – soll ich oder nicht?

Du bist wie die Schlange, aus der der Satan spricht! flüsterte der Arzt unschlüssig.

Es geht um Leben und Tod! sagte der Jude.

Ja, ja, um Leben und Tod, schrie der junge Mann, der in diesem Augenblick wieder ins Zimmer stürzte und sich vor dem Bett seiner sterbenden Frau auf die Knie warf – o Vater, Vater, um Ihrer Seligkeit willen, lassen Sie den Juden sein Mittel versuchen!

Nun, so mag es um meine Seligkeit gehen, versetzte düster der Gerichtsarzt.

In Isaak's Auge blitzte ein Strahl boshafter Freude, dann sagte er trocken: Doctor, ein Glas Wasser!

Der junge Mann eilte hinaus. Isaak ergriff schnell die Bibel, die auf dem Nachttisch vor dem Bett der Kranken lag, schlug sie auf und, indem er sie dem Arzt hinhielt, sagte er leise: Schwören Sie mir, wenn ich Ihr Kind heile, mir zu folgen, wann ich will, wohin ich will, und zu thun, was man von Ihnen verlangt und was Sie thun können, ohne Gefahr und ohne eignen Schaden? Schwören Sie, zu schweigen gegen Freund und Kind, gegen Weib oder Mann, über Alles, was Sie werden sehen oder hören?

Der Arzt legte die Rechte auf das Buch und sagte erbebend: Ich schwöre dir das, Isaak, wenn du mein Kind rettest!

Der junge Mann kam mit dem Wasser; Isaak warf schnell das Buch zur Seite und trat ans Bett der Kranken, deren Puls er fühlte. Dann begann er ihre Schläfe und ihre Fußsohlen zu reiben, wobei er mystische Worte murmelte, und als die junge Frau darauf tiefer zu athmen und mit den Augenlidern zu zwinkern begann, flößte er ihr zwei Eßlöffel voll von seinem Elixir ein.

Zehn Minuten vergingen, wahrend deren der Jude gespannt fortwährend den Puls der Kranken gefaßt hielt. Dann wandte er sich zum Arzte und sagte: Herr Amtsphysikus, fühlen Sie ihr den Puls. Wie geht der Puls?

Die Kranke ward unruhig; sie warf sich auf die andere Seite, öffnete und schloß die Augen und mit zurückkehrendem Bewußtsein verlangte sie zu trinken.

Isaak wusch ihre Stirn mit Wasser, aber er verbot, ihr zu trinken zu geben.

Wie geht der Puls, Herr Amtsphysikus?

Dieser antwortete nicht, sein Schwiegersohn aber trat hinzu und sagte nach kurzer Untersuchung: schneller und unruhiger, aber stärker.

Nach einer halben Stunde ließ die Unruhe der Kranken nach; sie dehnte sich lang aus, athmete tief aus der Brust, als ob sie eine Art Wohlbehagens fühle, und mit dem Worte: Bist du da, Eugen? machte sie eine Armbewegung, um ihrem Manne die Hand zu reichen, ließ diese darauf müde niedersinken, wandte den Kopf und schlummerte ein.

Der Schlummer wurde tiefer und ruhiger mit jeder Minute.


Nach Verlauf von zwei Stunden, die den drei Männern in ihrer ängstlichen Spannung unbeachtet verflogen, sagte der junge Arzt, der von Zeit zu Zeit ging, um die Athemzüge seiner Frau zu beobachten und ihren Herzschlag zu prüfen, mit einer lauten Aufwallung von Freude, die er nicht mehr unterdrücken konnte: Die Krisis geht vorüber, sie übersteht's!

Die Züge des älteren Mannes belebten sich einen Augenblick und seine Blicke glänzten freudig; dann blieben sie, mit eigenthümlichem Ausdruck, in dem Verwunderung und Angst die Freude dämpfte, auf dem Juden haften.

Herr Amtsphysikus, sagte dieser, mit Verlaub, was hat Ihnen wol das Studiren gekostet? Ich habe einen Buben, den will ich nicht studiren lassen, darum möcht' ich wissen, was es mag kosten, daß ich auch weiß, wie viel ich erspare an dem Jungen. Gewiß wol zweitausend Thaler, Herr Amtsphysikus. Hab ich Recht? Zweitausend Thaler! und ebenso viel hat's dort dem Doctor gekostet, also zusammen viertausend Thaler; mein, mein, wie viel Geld! aber es ist auch schön, wenn man ein berühmter Mann ist und kann curiren alle Krankheiten auf Erden, wie der Herr Amtsphysikus Johann Wilhelm Pauli in Birkenheim!

Der Arzt antwortete auf den Hohn des Juden nicht und dieser fuhr fort: Jetzt ist's beinahe eilf Uhr und ich habe mein Wort gelöst; mit Verlaub will ich gehen in die Küche und lassen mir zu essen geben, denn mich hungert. Wenn die Frau Doctorin erwacht, muß sie noch einen Eßlöffel voll von der Medicin nehmen. Um zwölf Uhr frag' ich wieder zu, Herr Amtsphysikus.

Isaak ging. Nach einer halben Stunde erwachte die Kranke, sie war bei völligem Bewußtsein.

Eugen, Eugen, wie ist mir wohl! sagte sie. Ich habe wilde, wüste Träume gehabt; ich bin matt davon, aber meine Brust ist frei

Man gab ihr von dem Tranke; dann nahm sie die Hand ihres Vaters, küßte sie und flüsterte: Wärst du nicht bei mir gewesen mit deiner Kunst, lieb Väterchen, ich wäre gewiß gestorben, so weh und schlimm war mir! – Eugen wird eifersüchtig, setzte sie lächelnd hinzu: Eugen, bist du eifersüchtig auf des Vaters Heiltränke, die mich gerettet haben?

Eugen beugte sich mit freudeglänzenden Augen über sie und verwies ihr das Sprechen, während der Physikus sich schmerzlich getroffen abwandte. Sie fiel, nachdem sie einige Augenblicke lang mit den Fingern ihres jungen Mannes getändelt hatte, wieder in einen Schlaf, der nach und nach so ruhig wurde, daß den beiden Aerzten kein Zweifel mehr blieb: die junge Frau war gerettet durch das Geheimmittel des Hebräers.

Die Glocken der Stadtthürme summten zwölf Uhr. Der Jude steckte den Kopf durch die Thüre; der Doctor flüsterte ihm in froher Hast entgegen: Isaak, sie ist viel, viel besser! Aber dieser achtete nicht darauf, sondern sagte:

Herr Amtsphysikus Johann Wilhelm Pauli, auf ein Wort!

Der Gerichtsarzt schauderte zusammen, als das lange, markirte Gesicht mit den schielenden Blicken wieder vor ihm auftauchte; doch sagte er gefaßt und entschlossen zu seinem Schwiegersohne: Mir thut Ruhe noth; wachen Sie, Eugen, bis ich komme und Sie ablöse. Dann verließ er sacht das Krankenzimmer.

Wohin nun? was willst du von mir? fragte er draußen den Juden.

Nehmen Sie Hut und Stock und nehmen Sie auch Ihr Amtssiegel und Stempelpapier, Herr Physikus. Vergessen Sie auch nicht den Mantel, daß sie sich nicht verkälten, denn es ist eine kühle Nacht!

Der Gerichtsarzt that, wie der Jude verlangte. Dann verließen Beide durch eine Hinterthür das Haus. Isaak Koppel schlug eilig einen Fußsteig ein, der von der Stadt wegführte. In seinen Mantel gehüllt folgte ihm der Arzt, eine kräftige Gestalt, von seinen Jahren noch ungebeugt. Beide gingen schweigend, wie ihre vom Mondlicht in riesigen Verhältnissen auf die Wiesengründe hingezeichneten Schatten. Aufquellende weiße Nebelbänke, durch welche sie der Fußweg führte, bildeten flatternd und ziehend ihre Begleiter.



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