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Auch Valerian war unter den Ankommenden. Es war ein regnichter und kühler Tag, und Valerian hatte beim Antritt seiner Besitzungen Arbeit und verdrießliche Verwicklungen genug vorgefunden; doch riß er sich aus dem Gewirre los, überließ es der Obhut seiner administrativen Dioskuren und folgte der erhaltenen Einladung nach Surenburg.
Sein neuer Forstwart, der sich während der zwei Tage, die er in Schlettendorf Ruhe und Pflege genossen, sehr erholt hatte, war mit der Bitte zu ihm gekommen, an der Fahrt nach Surenburg Theil nehmen zu dürfen. Valerian mochte es nicht abschlagen; aber er nahm um seines Dieners willen, der durch sein bescheidenes und auffallend gebildetes Wesen sich bei ihm sehr in Gunst gesetzt hatte, einen Wagen, statt sich des von der Birkenheimer Obrigkeit unterdeß sehr energisch reclamirten Braunen zu bedienen.
Als er in Surenburg ankam, wurde er zuerst zu der Frau vom Hause geführt, welche ihn und mehrere andere mit ihm zugleich eintretende Cavaliere in ihrer Parterrewohnung erwartete. Sie war zu neugierig, den neu angekommenen Vetter zu sehen, als daß sie ihn an ihrer Wohnung vorüber hätte in das Stockwerk ihres Gemahls hinauflassen sollen, ohne den Wegzoll einiger gangbaren Redensarten von ihm einzufordern.
Valerian entledigte sich dieser Steuer mit der besten Weise von der Welt. Er fand, daß Frau von Mainhövel bewundernswürdig geräumig eingerichtet sei; er nannte es eine höchst sinnreiche Erfindung von besonders im Winter unschätzbarer Wohlthätigkeit, ein Kleid von grünem Biber zu tragen.
Vor Allem liebenswürdig aber zeigte er sich, als unerwartet eine Seitenthüre aufgerissen wurde und man von einer kurzen Zwischentreppe einen zappelnden Knäuel ins Zimmer kollern sah, der aus einer Horde kugelrunder Buben und einer erschrecklich magern Dogge bestand, die jaulte und um sich schnappte, während die Jungen schrien, lachten und sich überschlugen. Dieser Anblick wirkte so erheiternd auf Valerian, daß Frau von Mainhövel überzeugt war, ihr Vetter hatte noch nie in seinem Leben so viel Vergnügen an Kindern gehabt, wie an der sehr lustigen Ungebundenheit ihrer ungewaschenen Blondköpfe.
Der Jäger Gentz, oder Herr von Finkenberg, um seinen rechten Namen beizubehalten, war unten im Corridor zurückgeblieben. Als sein Herr hinter den Flügelthüren der untern Wohnzimmer verschwunden war und Niemand mehr ein Auge auf ihn hatte, stieg er die Treppe zu dem zweiten Stockwerk empor; hier ging er leise und vorsichtig einen Gang entlang, an dessen Ende er eine schmale und niedrige Thüre öffnete. Hinter ihr lief eine zierliche Wendelstiege aus Gußeisen in das dritte, noch unvollendete Stockwerk empor.
Finkenberg stand mit einigen raschen Sprüngen oben in einem wüsten Raume, in den Regen und Wind durch die mangelhaft vernagelten Fensteröffnungen hineinschlug, Schutthaufen den ungedielten Boden deckten und das Schilfrohr von dem noch ungegypsten Plafond niederhing. Ein schmaler dunkler Gang führte aus diesem Raume bis an eine die ganze Breite des Ganges einnehmende Thüre aus schwerem altergebräuntem Eichenholz, die mit Reihen von breitköpfigen Nägeln beschlagen und augenscheinlich aus einem andern älteren Gebäude als zweckdienlich hierhin versetzt war.
Finkenberg fand die Thüre verschlossen. Er zählte nun die Nagelköpfe, welche die mittlere Reihe von oben nach unten bildeten, und als er den dreizehnten gefunden, drückte er mit dem Absatz seines Stiefels heftig dagegen. Die Thüre sprang auf und hinter derselben zeigte sich ein runder Versteck, eine Art gemauerten Cylinders, der durch ein Glasdach von oben her erleuchtet wurde. Die eine Hälfte war von einer steinernen Bank eingenommen, auf welcher eine ägyptische Göttin thronte, die ein Schloß vor dem Munde trug und deshalb das Schweigen zu bedeuten schien. Sie war in großen Dimensionen mit ziemlicher Unbekümmertheit um eine künstlerische Vollkommenheit plump aus Holz gehauen. Ihr gegenüber war ein im Stein nachgebildetes Menschenohr in der Mauer angebracht. Finkenberg legte an dieses Ohr das seinige.
Es war eine Art Ohr des Dionys. Die Decke des Zimmers, welches der Freiherr von Mainhövel bewohnte, war nach einer Kegelschnittlinie gewölbt und nach akustischen Grundsätzen angelegt, so daß sie den Schall jedes leisesten im Zimmer gesprochenen Wortes in zwei Röhren leitete, die von den zwei Brennpunkten der Deckenwölbung ausgingen und den Schall nach oben führten, wo sie in dem »Ohre des Dionys« zusammenliefen.
Sie ist im eifrigsten Gespräch mit ihm! flüsterte Finkenberg lauschend.
Ha, Schlettendorf soll die Stütze aller ihrer Hoffnungen werden! Schlettendorf ist der Mann, der nicht allein den innern Kern, sondern auch die Form hat; er hat Witz und Beredtsamkeit; er imponirt durch den äußern Adel, das Aristokratische seiner Erscheinung; er ist reich genug, um alle Mittel anwenden zu können!
Der alte Mainhövel zweifelt an seinem guten Willen – fuhr Finkenberg in seinem Selbstgespräch fort – bei Gott, ich zweifle auch daran!
Wie sie lebhaft wird – Briefe aus Paris – Neapel – Schlettendorf wird nicht geahnt haben, daß sie ihn mit Spionerien und Aufpassereien umgarnt und verfolgt hat bis nach Paris und Neapel! Welche Macht und welche hochfliegenden Pläne hat dieses Weib!
Ah – man soll seinen Ehrgeiz ködern! Man soll ihm eine Fürstenkrone in Aussicht stellen – am Ende macht sie noch einen König aus Schlettendorf und sich zur Königin! Der ist Alles möglich!
Finkenberg hob sich aus seiner etwas gebückten Stellung.
Ob sie gar nicht von Theo anfangen wird? sagte er; ich möchte zu gern erfahren, was sie eigentlich neulich des Nachts beabsichtigte und auf welchem Wege Fuchs Heydenreich Theo entführen sollte. Denn daß es sich darum handelte, war augenscheinlich.
Er lehnte wieder sein Ohr an die Oeffnung.
Sie geht, sagte er, nachdem er eine Weile schweigend gehorcht – die Junker kommen von unten herauf; Mainhövel wird nun seine Orakelsprüche von sich ausgehen lassen, als sei er die incarnirte Klugheit selber und doch hat sie ihm jedes Wort vorgeschrieben! Ob ich bleibe? Soll ich den Stimmen der Weisheit lauschen, die jetzt zu Tage kommen wird?
Finkenberg stand noch eine Zeitlang zögernd, dann fuhr er plötzlich heftig zusammen.
Er hörte die eiserne Wendelstiege knirschen; er hörte Schritte; er hörte es hinter sich in dem wüsten Vorderraume über die Schutthaufen schlürfen – er war gefangen!
Nein – da stand die ägyptische Göttin – sie ließ sich wenden, ein Druck an ihrer linken Ferse machte sie zur Seite fahren und wenn man dann hinter ihr in eine Mauernische geschlüpft war, fuhr sie zurück, so daß sie den Versteckten barg, der über ihre Schulter spähend nun den Lauscher belauschen konnte. Es hatte eine Zeit gegeben, in welcher Finkenberg in diese Geheimnisse alle eingeweiht worden, mit dem rückhaltlosesten Vertrauen; wo er von der, welche er eben selbst behorcht hatte, an diese Stelle gesandt worden, um für sie Andere zu belauschen.
Er drückte an der bezeichneten Stelle der Figur; das Räderwerk darin schien gerostet und rasselte – aber ein Stoß mit der Hand half nach – der Ertappte stand schon auf der Steinbank neben der aufgähnenden Mauerspalte – da ballte er zornig die Hände, indem er ausrief:
Nein, ich will nicht fliehen vor diesem Weibe! Ich bin in meinem Rechte ihr gegenüber, ich will ihr Trotz bieten, ich will ihr meinen Fluch ins Gesicht werfen und kostete es mich mein Leben!
Trotz dieser Aufwallung von Heroismus, wandelte Finkenberg ein heftiges Zittern an, als er im Begriffe, seinen Versteck zu verlassen, am Ende des schmalen Ganges die Gestalt der Gräfin Allgunde von Quernheim vor sich treten sah.
Was will Er hier? fragte sie, indem sie überrascht zurücktrat.
Mit einer tiefen Verbeugung und erzwungenem Lächeln versetzte Finkenberg:
Ihnen Platz machen!
Allgunde erkannte ihn an dem Ton der Stimme; die Jägerkleidung und die Dämmerung, welche in dem kleinen Gange herrschte, hatte ihn bis jetzt ihr unkenntlich gemacht. Ueber ihr Gesicht flog eine helle Rothe des Zornes.
Sie hier? wollte sie ausrufen; da faßte sie sich und sagte mit schneidender Kälte:
Geh Er! Man wird Ihn mit Schande aus dem Dienst jagen, wenn Er sich wieder untersteht, wie ein Dieb in den Winkeln fremder Häuser umherzuschleichen.
Mit einem vernichtenden Blicke wollte sie an ihm vorübergehen. Da sagte er:
Darüber hat Niemand zu bestimmen als der Graf Schlettendorf, in dessen Forstbeamten Sie mich verwandelt sehen.
Schlettendorf! entfuhr ihr, und leichenblaß blieb sie stehen.
Würde man bei ihm irgend eine Intrigue gegen mich anzetteln, nur ein Wort sagen, nur durch einen Hauch feindselige Absichten gegen mich verrathen, so würde ich den Grafen in die Chronique scandaleuse von Quernheim einweihen, wo ich – setzte Finkenberg bitter lachend hinzu – mehrere Jahre Jäger war. Verstehen Sie mich wohl! ich war Jäger in Quernheim, meine gnädigste Gräfin; ich habe es schriftlich und ich kenne eine Dame von daher, die es mir sehr gern bestätigen wird, wenn die Rede darauf kommen sollte. Nicht wahr?
Mensch, Er will drohen? Trotzdem daß Er vernichtet ist, daß Er jetzt zu den Stallknechten und Lakaien gehört – daß Er –
O, er ist nicht ganz vernichtet, unterbrach Finkenberg das stolze Weib, das sich ihm gebieterisch entgegengestellt hatte – er hängt noch mit einer Schnur am Leben, freilich nur mit einer – die aber ist stark genug, um eine hübsche Schlinge daraus zu machen, wenn man Verlangen trüge, eine wilde Katze zu fangen. Aber ich will Sie der Gegenwart eines zu Stallknechten und Lakaien gehörenden Lästigen entheben. Leben Sie wohl, schöne Gräfin!
Er verbeugte sich tief und ging.
Blaß, zitternd vor Bewegung, vor Zorn und Ingrimm schritt die Gräfin Quernheim weiter und setzte sich zu den Füßen der ägyptischen Göttin nieder, um Athem zu schöpfen.
Herr von Mainhövel hatte unterdeß seine Vettern, Freunde und Standesgenossen bei sich empfangen. Wenn irgend gemeinsame Angelegenheiten zu berathen waren, so pflegte man bei ihm zusammen zu kommen, weil man durch seine Rathschläge sich lenken zu lassen pflegte, er selbst aber nicht mehr aus seinem Schloß und seinen Zimmern fortzubringen war. Da Herr von Mainhövel jedoch auf das engste sich mit der Gräfin von Quernheim befreundet hatte und nichts ohne ihre Zustimmung entschied, so waren die leitenden Ideen, welche in diesen Zusammenkünften den Ausschlag gaben, meist ursprünglich das Eigenthum der genannten Dame.
Nach den ersten Begrüßungen setzte und gruppirte man sich zusammen. Obwol die Versammelten dem höchsten Stande angehörten und ohne Ausnahme mit Glücksgütern reich gesegnet waren, so hatte doch keiner von ihnen einen Titel, einen Orden oder einen Kammerherrnschlüssel, oder was auf irgend eine Verbindung mit dem Hof und der Staatsregierung hingedeutet hatte. Alte ererbte Titel, wie Erbkämmerer und Erbküchenmeister u. s. w. waren genug vorhanden. Die meisten der Herren griffen zu den Tabakpfeifen, die ein Bedienter umherreichte.
Herr von Mainhövel nahm Valerian bei der Hand und zog ihn neben sich auf ein Sopha. Um sie herum bildete sich eine Gruppe, welche aus einem großen und starken, etwas vernachlässigt und ungebürstet aussehenden Herrn in den Dreißigen – er wurde Sackenrode genannt – ferner einer untersetzten Figur, die Valerian's Aufmerksamkeit besonders auf sich ziehen mußte, da sie ihm als Baron Heydenreich von Tondern vorgestellt wurde, und einigen andern waldbärtigen und in grüne Jagdröcke gekleideten Herren bestand.
Das Gespräch bewegte sich in einem Kreise von ziemlich gleichgültigen Dingen für andere Sterbliche, die aber ein großes Interesse in Anspruch zu nehmen schienen. Da sie Valerian theilnahmlos ließen, so konnte er seiner Neigung folgen und sich stiller Beobachtung hingeben, um das Terrain kennen zu lernen, auf dem er sich von nun an und in alle Zukunft bewegen sollte.
Die zunächst um ihn Sitzenden waren mit kleinen Neuigkeiten aus dem Kreise der Verwandtschaft beschäftigt. Er hörte nur die Namen Georg, Karl, Herbert, Max, Joseph, Clemens u. s. w. aussprechen und zu jedem ein kleines Prädicat hinzufügen: Georg hat den Schnupfen, Max kommt übermorgen und Clemens ist in der Stadt. Die so sprechenden Herren schienen offenbar großes Behagen daran zu finden, sich in den einfachsten grammatikalischen Satzbildungen zu üben.
Eine andere Gruppe hatte den Namen Max, Karl und Joseph, die Namen Ocean, l'Eclair, Augusta, Marius und Sulla substituirt, und unterhielt sich von den Eigenschaften der Inhaber dieser stolz klingenden Benennungen, welche nichts weniger als Vollblutpferde bezeichneten; und der Koller des Sulla oder die Erkältung des Eclair schien diese Herren mit derselben tiefen Theilnahme zu erfüllen, womit die andere Gruppe die Nachricht von Georgs Schnupfen und Maxens Ankunft aufnahm.
Drei andere Männer, die in einer Fensternische standen, hörte Valerian dagegen ernstere Gegenstände bereden.
Sie sprachen über Güterzersplitterung und die unseligen Folgen derselben. Einer sprach sich entschieden für die Einführung der strengsten Untheilbarkeit aus und wollte auch die Leibeigenschaft wieder eingeführt haben, um die Bauern vom Schuldenmachen abhalten und so der Verarmung entgegenwirken zu können, die täglich mehr überhandnehme und den festen Boden aller Verhältnisse untergrabe. Er hatte von der Organisation der Arbeit gelesen und von dem Nutzen gemeinsamer Oekonomie für die Armen. Vom Standpunkt dieser Theorien aus vertheidigte er das Zusammenhalten großer bäuerlicher Landbesitze mit Nachdruck und schlagenden Gründen.
Nachdem er mit großer Sachkenntniß und vielem gesunden Verstande seine Ansichten vertheidigt hatte, lenkten Andere das Gespräch auf eine verarmte, aber den Meisten näher oder ferner verwandte Adelsfamilie; es wurde beschlossen, derselben alle Schulden baar zu zahlen, dafür aber ihre Güter in Verwaltung zu nehmen, bis die unverzinslich vorgestreckten Gelder aus den Einkünften amortisirt seien. Der Familie wurde unterdeß eine kleine Jahresrente ausgesetzt, bis sie wieder in ungetrübten Besitz ihres vormaligen Wohlstandes treten könne. Dreißigtausend Thaler waren von den Anwesenden nach fünf Minuten zu diesem Behufe in eine Liste eingezeichnet.
Valerian's Achtung vor seinen Standesgenossen war im Anfange, als er einen Theil derselben auf die geistloseste Weise mit so nichtigen Dingen hatte beschäftigt gesehen, sehr herabgedrückt worden. Jetzt stieg sie wieder, besonders als er Zeuge wurde, mit welcher großartigen Leichtigkeit die wichtigsten Geschäfte von ihnen behandelt wurden, und zu welch' großen Aufopferungen das Gefühl der Standesehre und der esprit de corps sie befähigte.
Höchlichst interessirte ihn Herr von Mainhövel, der jetzt das Wort nahm und in kurz abgebrochenen Andeutungen von einem schon vor längerer Zeit entworfenen Plane sprach, eine neue Ritterakademie zu gründen. Er verbreitete sich dabei über allgemeinere Fragen hinsichtlich der Stellung des Adels überhaupt und seiner zunächst liegenden Bestrebungen. Dann setzte er auseinander, welche Resultate von einer Adelsschule zu erwarten seien, wo man besonders die von den andern Schulen vernachlässigte äußere Bildung der jungen Leute erziele, um ihnen vollständige Sicherheit und Gewandtheit und jene feine, weltmännische Sitte zu geben, die einst der Stolz des Adels und sein Privelegium war und die so viel zur Erhaltung des äußern Nimbus beiträgt. Am Ende seiner Rede fragte Herr von Mainhövel Valerian um seine Meinung über dies Alles.
Mir scheint, sagte Valerian, wenn ich anders mir erlauben darf hier das Wort zu nehmen, da ich mit den besondern Verhältnissen dieses Landes noch so unbekannt bin – mir scheint alles Dies auf ein falsches Ziel sich zu richten. Das Streben des Adels heutiger Zeit kommt mir vor wie künstlich verschlossen für eine höchst banale, höchst abgedroschene Behauptung, die doch so wichtig, so wahr für unsere Richtungen, so vernichtend wahr ist!
Nun und die ist? hieß es in dem Kreise, der sich um Valerian bildete.
Keine sonst, als daß die Zeit eine andere geworden. Ich will mich ganz unumwunden aussprechen und werde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mich falscher Auffassungen überweisen. Ich urtheile so: Sonst hatte die Autorität das Volk und den Staat in ihrer Gewalt. Sie herrschte, gehalten von gewissen Ideen; dem Glauben an das Vorzugsrecht der bloßen Geburt unter Anderm. Dieser Glaube gab dem Adel neben und in der Autorität eine so große Wichtigkeit. Der Adel war ein integrirender Theil der herrschenden Staatsgewalt. Er füllte die höchsten Stellen aus; er befehligte die Armeen, – früher hat er allein die bewaffnete Macht, die ultima ratio regum, gebildet. Der Adel genoß, das Volk diente.
Dies wurde anders, indem die Bildung sich des Volks bemächtigte. Die Opposition der Leute von der Feder, der Verbreiter neuer Ideen und der Gebildeten überhaupt, welche sich von ihnen führen ließen, hat den Adel aus seiner glänzenden Stellung verdrängt.
Jetzt herrscht nicht mehr die erschütterte Autorität, nein, jetzt herrscht die Regierung; eine auf viel werthloseren Basen ruhende Gewalt. Wie die Autorität von Ideen gehalten wurde, so stützt sich die Regierung auf Grundsätze des Gehorsams, der Ordnung, der gegenseitig zu garantirenden Sicherheit und der Ruhe. Ihre Stützen sind nun natürlich die Männer des Gehorsams, der Ordnung, der Ruhe, d. h. die Beamten und das Militair.
In dieser jetzigen, stark befestigten Ordnung der Dinge, die durch Centralisation und weise organisirten Zusammengriff aller Räder der Staatsmaschine, ferner durch den conservativen Willen der großen Mehrheit des Volks, wie unauflöslich geworden, sucht sich der Adel einzuschieben und, wenn er einmal darin Platz gefaßt, sich auszubreiten, bis er seinen frühern Einfluß, seine historische Macht im Staate der Autorität wieder erlangt hat.
Das ist, was mir unmöglich und thöricht scheint. Der Adlige kann Offizier und Beamter werden; aber er muß sich alsdann fügen in die Ordnung und den Gehorsam, er geräth in die Abhängigkeit, obwol er geboren ist, die Unabhängigkeit darzustellen. So wird er ein Abtrünniger vom Princip seines Standes und ist für die Idee des Adels verloren.
Was soll denn der Adel thun und wonach streben? Soll er sich von dem Lauf der Dinge auf die Seite schieben und zum Krautjunkerthum verdammen lassen? fragte Herr von Tondern.
Bewahre Gott, versetzte Valerian, dessen purpurrote Verlegenheit, seine Stimme so allein in dieser Gesellschaft peroriren zu hören, nach und nach der begeisterten Wärme wich, womit sein Gegenstand ihn erfüllte. Nein, sagte er, er ist berufen eine ganz andere Macht im Staate einzunehmen. Er ist berufen zu einer förmlichen Staatsgewalt, der centralisirenden, jetzt allein herrschenden gegenüber, zu einer compacten, gewaltigen Masse zu werden, die neben und mit der Regierung Stützsäule des Staatslebens ist.
Nun, mehr verlangen wir ja nicht! sagte lächelnd Herr von Mainhövel.
In der That, fiel ein anderer Vetter tief aufathmend ein; mir war schon bange, wo das Alles hinaus solle!
Nur zu, nur zu, sagte Herr von Mainhövel gespannt.
Der Adel und seine Rechte wurden beseitigt durch die zu Bildung gekommene Klasse der Roturiers. Mögen Sie diese Bildung und die Aufklärung unserer Zeit eine gute oder schlechte nennen, mir gilt das hier gleich. Ich verstehe darunter den Umschwung der Meinungen und Ansichten über göttliche und menschliche Dinge, welcher sich im vorigen Jahrhundert bewerkstelligte. Dieser Umschwung hat das Staatsleben umgestaltet, uns verdrängt und statt der hinter der Bildung einer neuen Zeit zurückgebliebenen Adelsherrschaft die Bureaukratie herrschend gemacht. Nun wohl, wurden wir gedrängt, drängen wir ebenso wieder; schlug man uns mit der neuen Bildung, schlagen wir mit eben dieser Waffe wieder. Denn wie früher wir es waren, so ist jetzt im Lauf der Jahre die Regierung und die Bureaukratie hinter der Bildung der Gegenwart zurückgeblieben. Ja sie ist im offenen Kampfe mit ihr. Die Bildung der Gegenwart will freiestes, constitutionelles Staatsbürgerleben. Die Bureaukratie, verknöchert in ihren Traditionen von Souverainetät und Allmacht, verweigert es zu gewähren. Die Bildung der Gegenwart will freie Presse, Associationen, Achtung der persönlichen Sicherheit, vollste Glaubensfreiheit u. s. w. Die nach Willkür strebende Regierung und Bureaukratie ist die Feindin dieser Forderungen. Nun wohl, bemächtigen wir uns dieser Forderungen, jener Bildung; stellen wir uns an ihre Spitze! Sie hat uns einst ausgetrieben, im Bunde mit ihr kehren wir zurück und werden wir auf's neue eine gewaltige Macht. Der erste Schritt dazu muß aber nothwendiger Weise eine Concession an die Bildung sein, Aufgeben der Idee, wir wären durch die Geburt allein besser als andere Leute! Um den vordersten Rang unter den Factoren des Staatslebens einzunehmen, um die wahren Fürsten des Reichs zu werden, dünken wir uns nichts Anderes auf unsern Herrschaften zu sein, als der erste Bauer, wie schon der edle Reichsfreiherr von Stein uns mahnte!
Ausrufe, Gelächter, verwunderte Fragen unterbrachen den Redner.
Dieser fuhr, unbeirrt dadurch, fort:
Nun ja, ist es nicht eine, schon wider allen Anstand, alle Höflichkeit verstoßende Manier von uns, daß wir gegen andere Menschen thun, als haben wir ein Recht, etwas Höheres, Edleres zu sein, als sie? Geben wir um Gottes willen diese fixe Idee auf; ein Mensch ist so gut wie der andere und, wie man sagt, Jeder ist seines Glückes Schmied, muß man auch sagen: Jeder ist seines Adels Schmied. Diese Wahrheit ist für den Unbefangenen so nothwendig und klar, wie das Sonnenlicht, und wie das Sonnenlicht dringt sie in jede Ecke und wird sich Bahn brechen, wo irgend noch das Dunkel eines confusen Kopfes Anderes birgt.
Wo ein Mensch Geist, edle Unabhängigkeit, gute Erziehung und Verdienste irgend einer Art hat, da ist Adel, nicht Seelenadel allein, nein, auch der gesellschaftliche Adel. Ist das nicht wahr? Ist Thorwaldsen oder Peter Cornelius oder Goethe ein weniger vornehmer adliger Mann als der Fürst von Salm oder Solms oder Andere? Sie, meine Herren, haben zu viel gesunden Sinn, als daß Sie es läugnen werden!
Diese gütige Voraussetzung wurde nicht ganz gerechtfertigt; mehrere nachdrückliche Protestationen machten sich laut.
Nein? Und doch möchte ich mein Leben an das Bestreben setzen, Sie zur Anerkennung dieser Behauptung zu vermögen. Ich will Ihnen nicht zumuthen, mit geldstolzer Flachheit, mit der sich empordrängenden und spreizenden Halbgebildetheit sich einzulassen, oder auch mit ehrenwerther Tüchtigkeit, wo ihr die Form fehlt und der Kern sich in roher, abstoßender Schale birgt, sich auf du und du zu setzen. Dem Menschen, der gleichen Ranges und ebenbürtig mit der Aristokratie sein, der einen Theil derselben bilden will, soll zu innerm Verdienst auch die Form nicht fehlen. Wie in der Kunst, ist auch beim Menschen die Form die Hälfte.
Aber ich denke mir nicht allein von der Zeit geboten, sondern unabweisliche Forderung der Politik, daß Sie die Vorurtheile des Geburtsranges, die Exclusivität, die Aufrechthaltung des Stammbaum- und Stiftsfähigkeitswesens, mit einem Wort die Idee der Kaste den andern Ständen gegenüber fallen lassen.
Es ist ganz natürlich, daß die andern Stände durch unsere den Anstand und die Humanität verletzenden Ansprüche auf Besser- und Mehrseinwollen gereizt sind. Verhehlen wir uns dies nicht. Man sieht schadenfroh unsere Niederlagen, man hemmt uns, wo man kann, man strebt, uns jeden Fuß breit Landes streitig zu machen. Ich erinnere nur an die Provinzialstände; wie sucht man unserem Uebergewicht in denselben vorzubeugen!
Dies lähmt unsere Macht; denn eine Macht ist in der modernen Welt nur noch, was einen Theil der öffentlichen Meinung als Stütze hinter sich hat.
Werfen wir deshalb jene Vorurtheile von uns. Wollen wir nichts sein, als was wir sind, unabhängige Grundherren, durch die Größe unseres Besitzes und durch unsere Bildung, durch die Großartigkeit, womit wir die Dinge überschauen können, und unsern Eifer für die wahren Interessen der Humanität und des Volks ausgezeichnet.
Haben wir so aufgehört, die öffentliche Meinung zu verletzen, so wird sie uns zuströmen und uns mit einer ungeheuern Macht bekleiden. Es ist ein großer Trieb im Menschen, sich in die Clientel Mächtiger zu begeben. Benutzen wir ihn. Die Regierung hält das Volk in Ordnung, aber sie hat kein Ohr für das Gemüth, für die Poesie und das innere Leben der Nation; bemächtigen wir uns dieses Gebiets. Vertreten, schützen wir es, machen es geltend, wo die Bureaukratie es unterdrückt. O, Sie sollten sehen, zu welcher Macht im Staate uns das erheben würde! Man würde sich um uns scharen, man würde uns zujauchzen, ganze Gaue würden unter uns sich ihre Schutzherren wählen; wie constitutionelle Häuptlinge würde Jeder von uns ein ganzes Volk hinter sich haben, das ihm vertraute. Es käme nur darauf an, dem Volke zu zeigen, daß wir für seine Zwecke, seine Sympathien thätig seien, daß wir unserer Gutseingesessenen Wohl vor allen Dingen im Auge hätten, daß wir begriffen, auf ihrer Wohlhabenheit, ihrem Reichthum beruhe der unsere; ferner, daß wir den Gebildeten zeigten, wir verträten eine Idee im Staate, wir wären uns einer edeln Aufgabe bewußt geworden; daß wir endlich Allen zeigten, wir hätten unsern irrenhauswürdigen Hochmuth abgelegt, und daß wir Jeden unter uns aufnähmen, der sich bis zu uns zu erheben weiß.
Ich glaube, sagte ein schmächtiger und blasser Jüngling mit sehr hellblondem, dünnem Haar, der augenscheinlich durch Valerians Wärme zu so viel Muth gebracht wurde, seine Herzensmeinung an den Tag zu legen; ich glaube, daß daran viel Wahres ist. Wie hat nicht unser Einfluß sich gehoben, seitdem wir in dem kölnischen Zerwürfnisse männlich und nachdrucksvoll die populaire Meinung dieses Landes vertraten?
Gewiß, rief Valerian aus, gewiß! O, eine mächtige Phalanx könnten wir bilden! Der Bureaukratie oder einer radicalen Opposition könnten wir mit einer Macht entgegentreten, die beide Feinde niederhielt. Mein Gott, welche Kräfte stehen uns nicht zu Gebot? Welcher materielle Reichthum, den wir nur halb ausbeuten, welche Intelligenz, die wir nicht zum Viertheil in unsern Köpfen ausbilden, welche unabhängige, edle, kernhafte, zum Wirken im größten Kreise geschaffene Naturen sind nicht unter uns?
Wenn man das Alles, was Sie gesagt haben, zusammenfaßt, nahm der Freiherr von Mainhövel kopfschüttelnd das Wort, so heißt es: thut eure theuersten Güter, eure historischen Erinnerungen, eure geheiligten Prärogative von euch, werdet wie Philipp Egalité, schmeichelt der Tagesmeinung, lauft der Volksgunst nach und laßt euch am Ende von dieser – guillotiniren!
Nein, nein, Sie misverstehen mich vollständig, rief Valerian eifrig aus. Wir können alle uns theuer gewordenen Erinnerungen behalten. Wir sollen nur den Wahn fahren lassen, daß sich aus Erinnerungen eine Zukunft bilden lasse. Wir sollen nur nicht die Zeit in ihrem Laufe festhalten wollen, um ihr, gestützt auf historische Ansprüche, das abzutrotzen, was sie uns nahm.
Der Tagesmeinung brauchen wir nicht zu schmeicheln. Ich will weder Radicale, Socialisten, Communisten aus dem Adel machen, noch ihm einmal, wie der flache Liberalismus zurufen: zieh' dich in deine Kohlgarten zurück, bau' deinen Acker und halte dich nicht durch deine Geburt und deinen Besitz für berechtigt, im Staate eine Rolle zu spielen!
Der Adel ist berufen, eine Rolle zu spielen, aber eine ganz andere als die, welche er jetzt im Ganzen spielt.
Das ist meine Meinung vom Adel; wie Sie sehen, beruht sie ganz auf meiner Achtung vor den tüchtigen, oft bei großer Rohheit doch so reich begabten, treuen, gesinnungstarken Naturen, welche unsern Adel bilden, und auf meinem Respect vor so vielen wahrhaft vornehmen und edeln Individualitäten, die darunter hervorragen; während Viele freilich mit läppischen Nichtsnutzigkeiten ihre Tage vergeuden.
Valerian wischte sich die Stirn und stellte sich, etwas verlegen, daß er seinen Gedanken in lebhafter Aufregung so entschiedene Worte gegeben, an eine Fensterbrüstung. Die Anwesenden zertheilten sich in mehrere Gruppen; nach der anfänglichen Stille, welche auf Valerians Worte gefolgt war, erhob sich nach und nach immer lauter werdendes Hin- und Herreden.
Das ist nichts für uns Alten, erscholl dazwischen laut die Stimme des Herrn von Mainhövel. Mögt' ihr Jungen sehen, wie ihr mit dem Volke auskommt; wir verstehen uns nicht auf Reden zu Gunsten der freien Presse, des öffentlichen und mündlichen Rechts und solche Dinge. Larifari! Ich werde, so lange ich lebe, dafür sorgen, daß die Wappen von Mainhövel und Surenburg rein und unbefleckt bleiben und so über meiner Gruft aufgehängt werden. Dann mögt Ihr sehen, was weiter kommt. Après nous le dèluge.
Valerian verdrossen diese Worte nicht; von einem Charakter, wie Mainhövel, konnte er sie nicht anders erwarten und er begnügte sich mit der Hoffnung, in manchem Kopf den Keim weiteren Nachdenkens zurückgelassen zu haben.
Er hörte eine helle Stimme draußen im Hofe und eine Gruppe zog seine Aufmerksamkeit auf sich, als er hinabsah. Zwei elegante Reitpferde wurden auf- und abgeführt von einem jungen Reitknecht in knappanliegender, blauer Livree, der eine auffallende Erscheinung bildete. Er hatte eine frauenhaft zierliche Figur und, obwol sein Teint sonnverbrannt war, so zeigten doch seine feinen Züge etwas Vornehmes und eine für einen Pferdebuben auffallend sanftmüthige, schüchterne Physiognomie. Sein hübscher Mund hatte kirschrothe Lippen und die schönsten blonden Locken hingen naß und schwer um seinen Kopf.
Der arme Schelm schien sich in der klatschnassen und knappen Livree sehr unbehaglich zu fühlen; er zitterte vor Frost, aber obwol der Regen fortwährend leise niederschauerte, so hielt er doch draußen im Hofe aus, ohne seine Thiere, wie die Reitknechte der andern Herren, in die Ställe zu bringen.
In dem Augenblicke, wo Valerian aus dem Fenster sah, kam Herbertine aus dem Schlosse gesprungen, eilte auf den jungen Burschen zu und warf sich in seine Arme. Der Reitknecht küßte das kleine Fräulein, ohne sich irgend Gène anzuthun, nach Herzenslust ab, und nachdem Beide einige Worte gewechselt hatten, lief Herbertine ins Haus zurück, um rasch mit einem Mantel für ihren Freund wiederzukommen.
Das Räthsel, welches in diesem Betragen Beider für Valerian lag, wurde ihm bald gelöst; in der nächsten Fensternische hörte er einen der anwesenden Herren zu einem andern sagen:
Gott im Himmel, da steht ja Sasseneck's Frau unten im Hofe!
Als Reitknecht! Was das nun wieder für ein Einfall ist! Mitten im Regen!
Das arme Geschöpf wird noch drauf gehen bei seiner Behandlung und seinen Erziehungsexperimenten!
Man erzählt sogar, er habe ihr im vorigen Winter eines Abends angekündigt, sie müsse die Nacht auf den Kartoffeln schlafen, damit sie nicht erfrören!
O es ist fabelhaft; aber es empört mich!
Gehen wir, sie herein zu führen; wird er unwirsch darüber, so bin ich ganz in der Laune, mit ihm Streit anzufangen!
Die beiden Herren gingen. Die Andern, schien es, sahen darin ein Zeichen zum allgemeinen Aufbruch, und so verabschiedeten sie sich, um unten bei der Frau von Mainhövel ein Gabelfrühstück einzunehmen, das ihrer harrte.