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Die Gräfin ging dem Juden entgegen.
Allein? wo ist der Arzt? sagte sie unwillig, als Isaak eintrat.
Verzeihen Sie, gnädigste Gräfin –
Also es war doch leere Prahlerei, als du dich hoch und theuer verschworst, du würdest einen Arzt herschaffen, der zu Allem bereit, was man von ihm verlangte?
Verzeihen Sie, bei Gott, es ist nicht meine Schuld, so wahr ich lebe! Hatt' ich ihn doch schon hier, schon auf der Brücke! Da ist der Peggy, der Reitknecht von dem Fräulein gekommen und hat ihn mit sich geführt, weiß Gott, ich sag' Ihnen, der Mensch war wie toll! Herr Peggy, Herr Peggy, hab' ich gerufen, aber wer nicht gehört hat, ist der Peggy gewesen!
Der Reitknecht meiner Cousine? seltsam!
Sie klingelte; ihr Mädchen trat wieder ein.
Ist Jemand krank bei meiner Cousine? fragte die Gräfin.
Nein, Ew. Gnaden, versetzte die Zofe, aber der Hausknecht hat erzählt, es sei ein junger Herr ins Schloß gekommen, der habe einen Sturz auf der Treppe gethan und sei ohnmächtig in die Zimmer der Fräulein Theo gebracht worden.
Ein junger Herr? In die Zimmer Theo's? Und das erfahre ich jetzt erst? Und zu dem ist der Arzt gebracht worden? Aergerlicher Querstrich! Aber ich bin gespannt, welche Bekanntschaft mir morgen in Theo's Zimmern bevorsteht!
Sie winkte mit der Hand und das Mädchen entfernte sich wieder.
Nun, Isaak, und sonst?
Der junge Herr, dem ich habe den Paß nehmen müssen, ist angekommen –
Ha, hat man ihn eingesteckt?
Nein, aber das Gendarmenvolk, das ich habe verwarnen müssen, hat ihm arg nachgesetzt, eine Viertelstunde weit!
Ha! er ist ihnen entkommen?
Das gnädige Fräulein hat ihm ihr Pferd geliehen und damit ist er davon gewesen wie der Wind; aber sein Reisepferd haben sie mit Beschlag belegt.
Auch das mislungen! rief zornig die Gräfin von Quernheim aus.
Aber auf Schlettendorf steht Alles desto besser, Ew. Gnaden: der Advokat hat geschürt und gehetzt; da wird's Streitigkeiten, Processe und Verdruß regnen; der Bürgermeister hat sich einen zweiten Schreiber angeschafft und einen Wagen voll Conceptpapier! sagte der Jude lachend.
Die Gräfin Allgunde erkundigte sich nun nach den nähern Umständen von Valerian's und Theo's Begegnung und als sie vernahm, daß ihre Cousine dem Flüchtling Blankenaar als Zufluchtsort bezeichnet habe, schien die Unruhe, womit die ganze Nachricht sie erfüllte, dadurch sehr erhöht. Sie befahl dem Juden, draußen am Wege nach Birkenheim Wacht zu halten, ob nicht der Arzt heimkehrend an ihm vorüberkomme, und ihn dann unfehlbar zu ihr zu führen.
Isaak Koppel verbeugte sich tief und greinte mit dem boshaftesten Gesichte von der Welt:
Alles zu Ew. Gnaden Befehl! Bei Tage auf den Beinen von Morgens früh bis zum Abend und Wachestehen allein auf dem Felde, wenn es ist dunkle Nacht. Ein armer Mensch, kein Recht auf Müdigkeit auf dem Weg, kein Recht auf Kälte im Regen und Frost, er hat nicht 'mal ein Recht, sich zu fürchten in der Nacht – wenn er nur kriegt ein paar Groschen Geld! Schlafen Sie wohl, Frau Gräfin! Auch der Herr da im Lehnstuhl: Schlafen Sie wohl, Ew. Gnaden!
Der Jude ging mit tiefen Bücklingen. Statt das Schloß zu verlassen und nach dem Befehl der Gräfin Wache zu halten, schlich er, unten im Hofe angekommen, im Schatten der Mauern zum Pferdestall, kroch hier in einen Haufen Strohbündel und fiel nach wenig Augenblicken in festen Schlaf.
Nach Isaak's Entfernung hatte die Gräfin Allgunde kaum, wie es schien, mit verdrießlichen Gedanken beschäftigt, einige Male den Raum ihres Zimmers durchmessen, als sich eine kleine, einem Wandschrank ähnlich sehende Thür in der links vom Kamin liegenden Ecke des Gemachs von innen öffnete und ein Mann heraustrat, der im ersten Augenblick verwundert auf den im Lehnstuhl schlummernden Finkenberg blickte und dann sich der Gräfin näherte.
Mein Gott, Sie hier, Heydenreich? Sie haben ja mein Billet! weshalb kommen Sie? redete diese erschrocken ihn an.
Ich ein Billet, gnädige Gräfin? Nichts hab' ich!
Der Baron Heydenreich Tondern war ein Mann, kaum in mittlern Jahren und von einer kleinen, gedrungenen Figur; er hatte blonde Haare, einen röthlichen Bart und eine gebogene, ziemlich dicke Nase. Seine Augen waren schmal geschlitzt, der Teint gelb mit wenig Röthe, und sein Gesicht glich einem jener vielen runden Blondköpfe, denen man im Leben begegnet und deren Ausdruck flache Unbedeutenheit ist. In Tondern's Gesicht aber trat ein listiger, lauernder Blick hinzu, der ebenso viele Intelligenz verrieth, wie die flache Stirn Eigensinn. Unter dem bis zum Halse zugeknöpften schwarzen Ueberrock verriethen sich die Umrisse eines Hirschfängers; auch schien er in großer Bewegung zu sein.
Gütiger Himmel, wie kommt Finkenberg hierhin? fragte er.
Nun er kam, antwortete die Gräfin, gestern um Mittag; wie aus den Wolken gefallen stand er vor mir! Jetzt gilt's vor allem Andern ihn loswerden, ehe wir an etwas Anderes denken können. Ich schrieb Ihnen das, bekamen Sie nicht am Abend mein Billet; das Mädchen will es Ihnen in der Dämmerung auf dem Balkon übergeben haben.
Nichts hab' ich bekommen! ich –
Sprechen Sie leise!
Finkenberg schläft?
Ja, aber ich traue ihm nicht; er verstellt sich vielleicht!
Ich bin seit einer Stunde auf meinem Posten, mein Wagen hält seitwärts neben den Gärten und für ein Relais ist gesorgt, fuhr der Baron Heydenreich leiser flüsternd fort; aber es machte mich stutzig, daß ich Jemanden auf der Schloßbrücke Wache haltend fand und daß noch nach Mitternacht zwei Leute kamen, welche nacheinander eingelassen wurden. Als Alles stille geworden, legte ich mich mit meinem Kahn und meinen Leuten vor die kleine Thür mit der Waschplatte unten am Graben, wie verabredet war; die Thür war offen, aber ich fand nicht die Zofe, die mich dort mit Ihren Weisungen erwarten sollte, Gräfin; auch fiel mir auf, daß hinter Theo's Fenstern immer noch Licht glänzte.
Schlettendorf ist bei ihr!
Der? Bei Theo? So spät noch? Wann ist er gekommen?
O, es ist eine höchst ärgerliche Geschichte, die ich ihnen sogleich erzählen will; es thut mir äußerst leid, daß Sie sich in dieser Nacht umsonst haben getäuschter Erwartung und einer solchen Geduldprobe aussetzen müssen. Das Kammermädchen, das Sie erwarten und Ihnen mein Billet geben sollte, wollte Sie schon in der Dämmerung auf dem großen Balkone getroffen haben. Wenn meine Zeilen nur nicht in Schlettendorf's Hände gefallen sind!
Wär' ich nur eher, statt unten auf Ihre Befehle zu harren, zu Ihnen heraufgekommen!
Die Gräfin klingelte und verhörte ihre Dienerin in Bezug auf das ihr anvertraute Billet; es schien allerdings in die Hände Valerian's abgeliefert worden zu sein. Allgunde von Quernheim schickte ihre Dienerin sodann rasch fort, mit ihrem Zorne gegen das Mädchen ringend, den sie in Gegenwart Heydenreich's nicht mochte verrathen wollen.
Sie wissen, sagte sie dann zu diesem gewendet, wie viel daran gelegen war, Schlettendorf bei seinem ersten Eintritt in seine Heimat günstig für unsere Absichten zu stimmen. Ich hatte es darauf angelegt, ihn in Collisionen mit den Behörden zu bringen; er sollte gleich im Anfang das moderne Schreiberunwesen, die Brutalität der Bureaukraten, die erbitternde Gerechtigkeitsverzögerung, die schmachvolle Garantielosigkeit der persönlichen Freiheit, die Pedanterie und alle die Misere kennen lernen, die uns plagen!
Ich weiß, Sie vertrauten mir Einiges davon an; auf seinen Gütern soll ihn Plackerei aller Art erwarten, wie sie bei uns seit der Aufhebung der Leibeigenschaft und bei dem Mangel an Ordnung in den bäuerlichen und unsern eignen Verhältnissen nicht schwer zu finden ist.
Ja, sagte die Gräfin, es war desto nöthiger, ihn durch solche Verdrießlichkeiten zu reizen, als er höchst wahrscheinlich nicht auf der Höhe gerechter Erbitterung steht, wohin uns hier jüngst die Verletzung unserer religiösen Gefühle gebracht hat. Nun hören Sie, vorausgesetzt, daß Sie nicht vorziehen, sich auf den Heimweg zu machen, um nicht um Ihre ganze Nachtruhe zu kommen!
Die Gräfin ließ sich auf einem alten hochlehnigen Sessel nieder und deutete auf einen daneben stehenden Stuhl, den Baron Heydenreich einnahm, indem er leise versicherte – er sprach bei Damen immer leise und zutraulich gemüthvoll – nicht eine Spur von Müdigkeit zu empfinden.
Desto besser, sagte die Gräfin und schickte sich an zu erzählen, durch welche Verkettung von Umständen sie, die Anstifterin seiner Verfolgung, eigentlich selbst Schuld trage, daß Valerian von Schlettendorf eine Zuflucht auf Blankenaar gesucht und Theophaniens Bekanntschaft gemacht habe.
Da wurde sie unterbrochen durch den stürmischen Eintritt eines Jägers, der auf demselben Wege in das Zimmer kam, welchen Baron Heydenreich benutzt hatte und der dem Letztern einige Worte ins Ohr flüsterte.
Wär's möglich! sagte dieser aufspringend; mein Diener behauptet, soeben habe eine Gestalt in weißer Vermummung das Schloß verlassen und sei dem Walde zugeschritten. Er will Theo darin erkannt haben!
Theo? unmöglich!
Ich könnte einen Eid darauf leisten! sagte der Jäger; Niemand hat diesen elastischen, straffen Gang, wie das gnädige Fräulein!
Wenn das wäre, rief die Gräfin von Quernheim, so soll sogleich das ganze Gesinde meiner Cousine nach in den Park. Nehmen Sie das Licht, Heydenreich, und folgen Sie mir!
Sie nahm eins der Lichter und schritt voran, um sich in die Wohngemächer Theo's zu begeben.
Ja, ja, sagte sie auf dem Wege zu Heydenreich, mein Billet an Sie ist in die unrechten Hände gekommen! Doch, mag sie immerhin eine kleine romantische Ausflucht in die »mondbeglänzte Zaubernacht« machen, sie wird hoffentlich eingeholt sein, ehe sie sich den Schnupfen in dem nassen Thau holen kann! Hier ist die Thür zu ihrem Wohnzimmer. Warten Sie, bis ich zurückkomme.
Finkenberg war unterdeß allein in der Dunkelheit zurückgeblieben. Er richtete sich auf und lauschte. Nach einer langen Pause hörte er Rufe und Lärm; Thüren wurden auf und zugeschlagen, Schritte hallten, das eiserne Gitterthor des Hofes kreischte heftig in seinen Angeln und das ganze Schloß schien sich auf die Wanderschaft hinausbegeben zu wollen.
Gräfin Allgunde trat wieder ein, sehr aufgeregt, sehr gereizt schien es, nach dem lebhaften Ungestüm ihrer Bewegungen zu schließen. Finkenberg schloß die Augen und schnarchte.