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Trotz der Hochsommerzeit lag im Kanal Nebel. Überallher tuteten die Sirenen, warnten und gaben den Schiffsort an. Als der Nebel sich etwas hob, sahen sie vom »Pinguin« aus einen schlanken grauen Kreuzer hinter sich aufkommen. Deutsche Bauart. Deutsches Kriegsschiff, kleiner Kreuzer, Städteklasse. Kapitän Winkler wußte Bescheid. Mächtige Rauchwolken stieß der Kreuzer aus seinen vier Schloten, jagte vorbei, stiebenden Gischt vorm Bug. Wie gehetzt verschwand er wieder im wallenden Nebel.
Wenn sie auch nicht wissen konnten, daß S. M. S. »Straßburg« heimjagte wie ein scheues Wild und schon das Holz aus den Messen und die Boote verfeuerte aus Mangel an Kohlen, Unheil ahnten sie doch.
Gegen Mittag passierten sie ein englisches Geschwader breiter, wuchtiger Panzerschiffe. Der Kapitän runzelte die Stirn; sein fachmännischer Blick hatte erkannt, was den andern entging: die Engländer waren gefechtsklar! Das bedeutete – aber er schwieg. Nur ein Befehl zur Maschine hinunter: »Äußerste! – Für lange Dauer halten!«
Und »Pinguin« gab sein Letztes her an Schnelligkeit. Niemand wußte genau, warum, aber wie ein Alp lag es auf allen. Das Zittern der Planken unter den rasenden Umdrehungen der Turbinen wirkte wie eine ständig bohrende Frage.
Auch als Borkum endlich querab wie ein feiner Strich über der Kimme stand, verminderte der Kapitän die Fahrt nicht. Durch Winkspruch erfuhr er von einem vor der deutschen Bucht patrouillierenden Torpedobootszerstörer, was er wissen durfte, und bat seinerseits, unter Hinweis auf die zerstörte Funkanlage, dem Reichsmarineamt Funkspruch zu geben von der Rückkehr des »Pinguin«.
Vor der Elbe fanden sie äußerlich noch alles wie sonst und gingen mit der Flut elbaufwärts.
Als der »Pinguin« festmachte vor St. Pauli, stand der Kai voller Menschen. Blechinstrumente blinkten in der Sonne. Ins Knarren der Fender des anlegenden Dampfers, ins Winken der Menschen flatterten die ersten Takte hinein …
Da faßten sich Horst und Friedel an den Händen und sahen einander an. Vom Kai scholl es herüber, jubelnd, dankbar:
»Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen –«
Ein feinsinniger Gruß der Heimat an die Forscher der Tiefsee-Wunderwelten. und die Heimat sprach. Begrüßungsworte tönten feierlich. Aber ernst – ernst. Horsts Augen brannten … Stille.
Da brauste es vom Kai herüber wie Fanfaren. Musik und hundertfacher Sang: »O Deutschland, hoch in Ehren, du heil'ges Land der Treu'!«
Wie ein Schauer überkam es die beiden. Dann ständen Vater Körner und Dr. Hell vor ihnen, und sie hörten, was sie seit diesem Liede eben innerlich schon gewußt: Noch sei Friede, aber morgen … könnte Krieg sein. Morgen, oder noch am Abend!
Bei Horsts Vater fanden sie einen Brief, über Halle ihnen entgegengesandt … Deutsche Kolonialmarken: Samoa. Stempel: Mulifanua. Absender: Hartmut Stein. Haus Neuland redet in seinem Sohn. Freude über das Telegramm nach dem Seebeben, aber Trauer und Bedauern noch mehr, einander verfehlt zu haben trotz aller Hoffnung auf gemeinsame Zeit am Strand von Mua'ava. Und die letzten Sätze sodann: »Es war halt Pech. Und doch, wie hätte ich mich gefreut, wenigstens noch ein paar Tage mit euch zusammen meine Heimat zu durchstreifen und Deinen Vetter Horst kennen zu lernen, von dem Du mir so viel erzählt. Durch Vater zwar kenne ich ihn nun doch. Der läßt euch grüßen. Und Mutter auch. Von Herzen. Ach, Kinder, nun seid ihr daheim und ich bin daheim. Und jeder hat seine Pflicht. Und sucht seine Freude und mehrt ferne Kraft, und schwört dem Freund und Bruder in der Ferne: › Hie gut jungdeutsch allewege!‹ – Weißt Du's noch, Friedel? Einmal nur haben wir's zusammen gesungen, einmal, aber ehrlich. Und dann genügt's:
›Der Teufel soll versinken,
Die Männlichkeit soll blinken,
Das Deutsche Reich bestehn,
Bis Erd' und All vergehn!‹«
Als sie das lasen, beide Kopf an Kopf über den Brief gebeugt, fühlten sie sich erschauern ob dieser Worte in dieser Stunde der Entscheidungen über Reichsgeschick.
Von draußen aber brach's wieder auf, wie eine starke Woge, und zerriß die dumpfe Schwüle des ersten Augustnachmittags, donnernd, trotzend:
»O Deutschland, hoch in Ehren!«
Da wußten sie nichts mehr von Südseeschicksalen und Schicksalen der Südsee, sondern fühlten in den Adern einzig das Pochen der Pulse, das brausende Blut. Nun rollten die Würfel. Nun ging es um deutsche Geschicke und um Deutschlands Schicksal. Und jeder der Jungen straffte sich auf, im Wissen: Ich stehe mitten inne!
Still standen sie, wortlos, einer den Arm um den andern gelegt, und lauschten dem deutschen Lied, bis es verklang.
Aber dann blieb doch im Herzen noch eine leise Stimme, ein Laut wie ein Lieb, einmal schon gehört, und forderte:
» Liebt das Land, das euch gebar, liebt das Volk, mit dem ihr schicksalshaft verkettet seid. Liebt wirklich, ganz! Daß euch der Tag nicht schwach finde, der vielleicht von euch fordert: Treue bis in den Tod! Durch euch erfüllt sich Deutschlands Sendung!«
Eine ferne Stimme war's, und doch nah.
Nah einer dem andern rings über das Erdenrund, Bruder der Deutsche dem Deutschen, der Reife den Jungen, die Jungen ihm.
Bruder der Deutsche dem Deutschen.
*
Jahre sind inzwischen hinab ins Abyssal der Zeit. Aus den drei Jungen sind Männer geworden, nachdem jeder von ihnen schon noch als junger seinen ganzen Mann gestanden.
Aber ihre Schicksale stehen nicht still. Von ihnen ein andermal.
Und ein andermal auch von Reinhard Steins »Vermächtnis«.