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Bestürzt und entsetzt erfuhren am Morgen die Bürger von Heiligenstadt, was sich in der Nacht ereignet hatte. Barthold von Wintzingerode war gefangen! Der Mann, der zur heimlichen Freude aller dem Kurfürsten kühn und trotzig die Stirn geboten, auf dessen zähen und tapferen Widerstand das ganze evangelische Volk des Eichsfeldes so viele Hoffnungen gesetzt hatte, lag in Ketten im Kerker seines erbitterten Feindes. Kein Mensch zweifelte daran, daß ihn der Kurfürst auf dem Schafott zum Tode bringen werde.
Viel näher aber ging den Heiligenstädtern das Schicksal seiner Mitverschworenen, und das war ihnen auch wahrlich nicht zu verdenken. Denn ein altes Sprichwort sagt mit Recht: Das Hemd ist näher als der Rock. Es war schlimm, daß der letzte Hort des Evangeliums gefallen war, aber schrecklicher noch, daß über so vielen Kindern ihrer Stadt ein drohendes Blutgericht schwebte. Zwar gerade die beiden am meisten Belasteten, der Ratsmüller Fiedeler und Listemann der Jüngere, waren geflohen und hatten sich somit der Rache des Landesherrn entzogen. Aber zwanzig Bürger waren in der Nacht verhaftet worden und saßen unter starker Bewachung im Ratsgefängnis. Wenn der Kurfürst wollte, so konnte er sie alle hängen oder köpfen lassen, das Recht dazu besaß er ohne Zweifel, denn Majestätsverbrecher hatten das Leben verwirkt. Darum herrschte Schrecken und bange Furcht in fast allen Häusern. Die alteingesessenen Familien waren sämtlich untereinander vervettert und verschwägert, es war kaum einer in der Stadt, der nicht für das Leben eines Verwandten zu fürchten hatte.
Diesen schweren Druck ließ Kurfürst Daniel volle drei Tage auf den Gemütern lasten. Die Gefangenen blieben streng von der Außenwelt abgeschnitten. Die heulenden Weiber und Kinder, die sich an das Rathaus herandrängten und nach ihren Gatten und Vätern schrien, wurden unbarmherzig von den Landsknechten zurückgetrieben.
Endlich am Abend des dritten Tages öffnete sich der Kerker des Rathauses, und unter starker Bedeckung wurden die Verschworenen in Ketten in den Hof des Stiftes geführt. Mit Zittern und Todesschrecken sahen sie in dessen Mitte einen schwarzverhangenen Holzblock stehen, auf dem ein blankes Richtschwert lag. Nachdem sie eine halbe Stunde lang diesen Anblick gehabt hatten, kam endlich Bunthe aus dem Hause geschritten, trat vor sie hin und redete sie so an: »Seine kurfürstliche Gnaden könnte euch zwar allen mit Fug und Recht die Köpfe vor die Füße legen lassen, denn ihr habt samt und sonders durch euern Verrat und höchste Böswilligkeit das Leben verwirkt. Aus angeborener Güte und Milde will aber unser gnädigster Herr von so harter Leibesstrafe absehen und Gnade walten lassen. Ausgeschlossen davon sind die beiden Haupthelfershelfer des Junkers von Wintzingerode, Listemann und Fiedeler. Wer die fängt und dem peinlichen Richter überliefert, soll für jeden eine Belohnung von hundert Gulden erhalten. Ihr andern sollt um Geld gebüßt werden, jeder nach seinem Gut und Vermögen. Sogleich aber habt ihr hier auf den Knien zu schwören, daß ihr Seiner kurfürstlichen Gnaden eure Haft und Verstrickung nicht nachtragen, sondern von nun an jederzeit treue, in allen Stücken gehorsame Untertanen sein wollt.«
Mit Freuden leisteten die Bürger, die für ihren Hals gezittert hatten, diesen Eid und wurden dann unverzüglich zu den Ihrigen heimgeschickt. Ganz Heiligenstadt atmete auf, und überall wurde die Milde des Kurfürsten gepriesen. Vorher hatte man ihn als einen Tyrannen und blutigen Herodes ausgeschrien, jetzt hieß es überall, er sei ein freundlicher, von Herzen gütiger Herr. Mit diesem einen Akt der Gnade hatte er viele seiner Untertanen für sich gewonnen, besonders unter den Weibern und dem niederen Volke.
Eben das hatte Pater Bacharell gewollt und richtig vorausgesagt. Er war der Mann, der den Kurfürsten zu so unerhörter Großmut bestimmt hatte. Daniel selbst war geneigt gewesen, wenigstens die Hälfte an Leib und Leben strafen und die ganze Stadt durch außerordentliche Steuern und Auflagen die Schwere seines Zornes fühlen zu lassen. Aber der kluge Pater hatte ihn davon abgebracht.
»Bedenkt es wohl, gnädiger Herr«, hatte er gesagt, »welch einen übeln Eindruck solch ein Bluturteil im ganzen Reiche machen wird. Alle Ketzerfürsten werden stutzig, ganz Deutschland schaut hierher. Wir können dann nicht mehr in aller Ruhe und Stille reformieren und die Lutherei ausrotten, jeder Schritt, den wir tun, wird beobachtet und ausposaunt. Kein Mensch wird uns glauben, daß wir die Heiligenstädter wegen ihrer Rebellion gestraft haben, jeder wird meinen, es sei um des Glaubens willen geschehen. Die Ihr zum Tode führen laßt, werden dann überall als treue Blutzeugen der lutherischen Lehre gepriesen. Hütet Euch, Märtyrer zu machen! Alles Blut, das für eine Lehre vergossen wird, hat eine werbende Kraft. Möglichst wenig Blutvergießen, gnädiger Herr! Überwindet Ihr jetzt Euern gerechten Zorn und erweist den Frevlern Gnade, so kommt Ihr auf dem ganzen Eichsfelde, ja im ganzen Reich in den Ruf eines milden, frommen Herrn. Zieht Ihr dann später die Zügel straff und immer straffer, so glaubt es den Leuten niemand, wenn sie über Tyrannei und Bedrückung klagen!«
Genau in demselben Sinne sprach sich auch Pater Thyreus aus, und nach langem Widerstreben hatte sich Erzbischof Daniel der überlegenen Weisheit der beiden Jesuiten gefügt. Als er am andern Morgen durch die Stadt fuhr, sah er überall freundliche Gesichter, die Bürger traten nicht mehr eiligst in die Häuser, als sie ihn kommen sahen, sondern rissen schon von weitem ihre Kappen höflich und ehrerbietig von den Köpfen, ja ein Haufe halbwüchsigen Volkes, der auf dem Rathausplatz stand, schwenkte die Mützen und schrie Vivat, als er vorüberzog.
Den Kurfürsten freute diese veränderte Haltung des Volkes sichtlich, sein Antlitz war heiterer als seit langer Zeit. Als er die Zurufe vernahm, wandte er sich an den neben ihm sitzenden Bacharell und sah ihn bedeutungsvoll an. »Der erste freiwillige Heilruf des Volkes!« sagte er.
»Seht Ihr nun, gnädiger Herr, daß unser Rat gut war? Die alle würden Euch scheu ausweichen, wenn Ihr das Leben ihrer Vettern und Gevattern nicht geschont hättet.«
»Jawohl!« bestätigte der Kurfürst. »Ihr seid in Wahrheit der klügste Mensch, den ich je gesehen habe. Und seid Ihr's nicht, so ist's Thyreus. Euresgleichen kann man suchen diesseits der Alpen.«
Der Jesuit lächelte geschmeichelt, aber gleich darauf schlug er demütig die Augen nieder und bekreuzte sich. »Gott wolle mich vor dem Teufel des Hochmutes bewahren!« erwiderte er leise. »Wir sind unnütze Knechte und ungetreue Haushalter über die Gaben, die uns die Gnade des Herrn anvertraut hat.«
»Wenn ich Euch nicht so notwendig am Rhein brauchte, ließe ich Euch am liebsten hier«, sagte der Kurfürst. »Hierher gehört ein Mann, der mit übermenschlicher Klugheit alle Geschehnisse beurteilt, der sich nie vom Zorne hinreißen, noch von der Leidenschaft blenden läßt, der nur die Sache im Auge hat. Ich fürchte, unser lieber Propst ist doch solch ein Mann nicht.«
»Nein«, versetzte Bacharell. »Das ist er nicht. Es fehlt ihm die rechte Klugheit, auch ist er zu zornig und hitzig. Trotzdem ist er für die nächsten Jahre sehr brauchbar, denn er tut alles, was wir selbst nicht gern tun, und was doch getan werden muß. Er wird die Bäume in diesem Wald der Ketzerei rücksichtslos zu Boden schlagen. Das ist nicht jedermanns Sache, aber nötig ist es doch. Schießt er dabei über das Ziel hinaus, so seid Ihr in der angenehmen Lage, seine Maßregeln rückgängig machen zu können. Erregt er das Volk, so wälzt Ihr die Schuld auf ihn, das ist sehr vorteilhaft für Euch, gnädiger Herr. Und wenn wir dann erst ein Kollegium unseres Ordens hier haben, was Eure Huld uns versprochen hat, so werden bald andere kommen, die nicht nur jäten und ausreuten, sondern auch pflanzen und begießen.«
»Ihr zeichnet die Art des Mannes gut«, sagte lächelnd der Kurfürst. »Benutzen wir also seine Kraft, solange sie uns taugt und nützt!« –
Hätte der Propst dieses Gespräch erlauscht, so wäre er sicherlich höchst betroffen und wenig erbaut davon gewesen. Überhaupt war er recht unzufrieden in seinem Gemüt, denn die letzten Tage hatten seine Erwartungen in keiner Weise erfüllt. Der Wintzingerode war unschädlich gemacht und lag im Turm. Was in aller Welt hinderte nun den Kurfürsten, mit aller Strenge die Rebellen zu bestrafen und dann einfach mit Gewalt die lutherische Lehre zunächst in Heiligenstadt, dann im ganzen Land zu unterdrücken? Wer war noch zu fürchten? Auf wen nahm man Rücksicht? Wie er die Menschen zu kennen glaubte, waren sie durch Furcht und Schrecken alle zu bändigen. Wenn erst so ein Dutzend Köpfe gefallen wären – wie würden dann diese Bürger zu Kreuze kriechen, wie würden sie sich zu den Jesuitenpredigten und zur Beichte drängen!
Statt dessen – es war kaum zu glauben – beschwatzte der Pater Bacharell den Kurfürsten, Gnade walten zu lassen, und er, Heinrich Bunthe, der diese weichliche Milde verabscheute, er mußte mit seinem eigenen Munde die kurfürstliche Gnade verkünden! Er fing an, den Mann geradezu zu hassen, dem er doch seine Stellung verdankte. Denn er war ihm überall im Weg, vereitelte seine schönsten Hoffnungen. Zudem paßte es dem ehrgeizigen Priester nicht, daß er in Gegenwart des Paters sich zu der Rolle herabgedrückt sah, die der Schakal neben dem Löwen spielt. Er war zu alt, sich schmiegsam zu ducken, es ward ihm blutsauer, ein lächelndes Gesicht zu zeigen und sich demütig in einen fremden Willen zu fügen, und das blieb ihm nicht erspart. Torheit wäre es gewesen, wenn er gegen den Einfluß Bacharells beim Kurfürsten hätte ankämpfen wollen, denn dieser Einfluß erschien wahrhaft unermeßlich. Daniel hatte sich kurz vor seiner Abreise aus Mainz noch einmal den geistlichen Exerzitien der Gesellschaft Jesu unterworfen. Gott mochte wissen, was da im Beichtstuhl zwischen ihm und dem Pater vorgegangen war! Fast schien es, als habe der Kurfürst ein Gelübde des Gehorsams in die Hände seines geistlichen Führers abgelegt. Tatsächlich sah er nur noch mit Bacharells Augen und hörte nur noch mit Bacharells Ohren. Wenn jemand die Gunst des Paters verlor, so verlor er auch die des Kurfürsten, das sah Bunthe sehr wohl ein, und das erbitterte ihn. Denn er hatte geglaubt, der große Dienst bei der Überwältigung Bartholds werde ihn selbst in der Gnade des Kurfürsten ganz sicherstellen und hoch empor steigen lassen.
Nicht minder erboste es ihn, daß gegen den gefangenen Ritter zunächst gar nichts geschah. Freilich lag das mehr an den Verhältnissen, als an den Menschen. Denn als man am Morgen des zwölften Juni nach Herrn Barthold sah, lag er im schwersten Wundfieber. Der sogleich herbeigerufene Leibarzt des Kurfürsten machte ein bedenkliches Gesicht und ordnete an, daß er aus dem dumpfen unterirdischen Loch in ein Helles, luftiges Gemach gebracht werde. Dort wusch und verband er sorgfältig die schwere Wunde an der Stirn und befahl, daß man ihm einige der Pflege kundige Weiber an sein Lager setzte. »Ich kann Euer kurfürstlichen Gnaden nicht verhehlen, daß der Mann an seiner Wunde sterben kann«, sagte er, als er seinem Herrn Bericht erstattete.
»Das wäre vielleicht das Beste für ihn und für uns. Meint Ihr nicht, Propst?« wandte sich der Kurfürst an den gerade anwesenden Bunthe.
Der ward vor Ärger puterrot und erwiderte in ziemlich gereiztem Ton: »Verzeiht, kurfürstliche Gnaden, wenn ich das bedauern würde. Ein Rebell und Feind unserer heiligen Kirche verdient nicht einen ehrlichen Reitertod, sondern den Tod von der Hand des Henkers. Aber auch um Eurer Gnaden willen wünsche ich nicht, daß er jetzt im Fieber stirbt.«
»Um meinetwillen? Wie meint Ihr das?«
»Ich meine. Ihr müßt dann den Bodenstein erobern, gnädiger Herr, und das ist kein leichtes Stück. Wie seine Gesellen aussagen, führt sein Sohn Klaus dort den Befehl und hat geschworen, die Burg auf jeden Fall zu halten, wenn ihm nicht sein Vater selbst befiehlt, sie zu übergeben. Könnten wir den Wintzingerode zu diesem Befehl zwingen, so würde viel Arbeit, viel Blut und Geld erspart.«
»Ihr meint doch nicht, daß der junge Mensch die Tollkühnheit haben wird, mit mir den Kampf zu wagen?« fragte der Kurfürst mit einem ungläubigen Lächeln.
Bunthe zuckte die Achseln. »Ich fürchte, er wird die Keckheit haben. Der Junker – so wird mir glaubwürdig berichtet – soll ein Mensch sein, der starr an seinem Wort hält. Überdies hat er gegen seinen Vater die Treue und Anhänglichkeit eines Hundes. Er wird sich weigern, seinen Eid zu brechen, wenn ihn der Alte nicht ausdrücklich davon entbindet. Der aber ist jetzt ohne Besinnung. Man kann ihn nicht schrecken mit Folter und Hochgericht, daß er seinen Trotz fahren läßt. Ich fürchte, es wird deshalb doch noch zu Kampf und Blutvergießen kommen.«
»Ah bah! Ihr seid ein Unglücksrabe, Propst«, erwiderte der Kurfürst. »Ich habe schon einen Herold mit sechs Trompetern hingeschickt. Die Burg wird angeblasen und zur Übergabe aufgefordert bis morgen mittag zwölf Uhr. Werden bis dahin die Tore aufgetan, so erhalten alle freien Abzug. Bleiben die Tore verschlossen, so steht für die Rebellen der Galgen in Aussicht. Da wird der arme Junker schon klein beigeben. Und will er nicht, so werden ihn seine Soldknechte dazu zwingen. Das Volk wird sicherlich nicht seinen Hals für eine verlorene Sache wagen.«
Aber der Propst behielt diesmal recht. Zur sprachlosen Überraschung und Entrüstung des Kurfürsten kam sein Herold mit der Botschaft zurück, daß der freche Junker an eine Übergabe der Burg nicht denke. Der Bodenstein gehöre dem Ritter Barthold von Wintzingerode, habe er erklärt, und er sei nur dessen Vogt und Statthalter. Er habe einen Eid geschworen, die Burg ohne Befehl seines Vaters nicht zu übergeben, und er werde diesen Eid halten als ein redlicher Mann. »Und die Knechte, gnädigster Herr, die neben ihm im Tor standen, lachten und höhnten, da ich mit dem Galgen drohte«, fügte der Herold hinzu. »Es scheint eine Rotte verzweifelter Erzbösewichter zu sein, die der Wintzingerode auf seinem Schloße zusammengebracht hat.«
Kurfürst Daniel zitterte vor Zorn, als er diese Botschaft vernahm. »So werde ich das Ketzernest zerschießen und die Brut, die dort nistet, an den Galgen hängen!« rief er und befahl, am folgenden Morgen die Einschließung des Bodensteins zu beginnen.
Aber er mußte die Erfahrung machen, daß das Glück seine Launen hat. Es hatte ihm überreichlich seine Gunst erwiesen, indem es den verhaßten und gefürchteten Feind in seine Hände fallen ließ. Von nun an jedoch wandte es ihm den Rücken. Ein schweres Mißgeschick folgte dem andern.
Am Abend desselben Tages zog ein gewaltiges Gewitter über Heiligenstadt und das ganze Eichsfeld herauf. Gegen acht Uhr war es so finster, daß man die eigene Hand vor den Augen nicht erkennen konnte. Dann entlud sich ein Gewitter, wie es seit Menschengedenken nicht erhört war. Unaufhörlich grollte der Donner, und die Blitze folgten einander mit solcher Schnelligkeit, daß die Nacht fast zum Tage wurde. Zugleich ging ein furchtbarer Wolkenbruch nieder, wahre Regenströme fluteten vom Himmel herab. Alle Gassen standen unter Wasser, die Leine und die sonst so harmlose Geislede traten über ihre Ufer, das Weichbild der Stadt, soweit es im Tale lag, glich einem weiten See.
Nun hatte man das Pulver, das vom Volke »Kraut« genannt und mit abergläubischer Scheu betrachtet wurde, in dem Keller eines Hauses vor der unteren Stadt untergebracht. Es wurde Tag und Nacht scharf bewacht, damit niemand eines der kostbaren Fäßchen entwende. Aber alle Wachen waren nicht imstande, das Eindringen der plötzlich heranflutenden Wassermassen zu verhindern» Als man beim Morgengrauen den Schaden besah, waren drei Viertel des ganzen Vorrates unbrauchbar geworden, und mit dem, was übrigblieb, konnte man die riesigen Kartaunen nicht länger als drei Tage bedienen. Ob in so kurzer Zeit die starken Mauern des Bodensteins zerschossen werden konnten, war sehr fraglich, zumal die Burg selbst mit Donnerbüchsen und weittragenden Feldschlangen vorzüglich armiert war.
Das war ein schwerer Schlag für den Kurfürsten, denn es konnte wohl eine Woche und länger dauern, bis man Ersatz für das Verlorene schaffte. Nun wollte er wenigstens die Burg einstweilen einschließen lassen, aber auch das erwies sich als undurchführbar. Denn es war kein Gedanke daran, daß man die schweren Geschütze bei diesem Wetter fortbringen konnte. Sie wären einfach im Schlamm stecken geblieben. Der Boden des Eichsfeldes besteht zum größten Teil aus Kalk, Ton und Mergel. Wird diese Erde einmal gründlich aufgeweicht, so erweist sie sich zähe wie flüssiger Leim. Feste Kunststraßen aber gab es gar nicht; selbst die große Straße, die von Mühlhausen nach Heiligenstadt führte, war nichts weiter, als ein breiter, viel befahrener Landweg. Hätte nun wenigstens der Regen mit dieser einen Nacht aufgehört! Aber er wollte und wollte nicht enden. Tag für Tag spannte der Wolkenhimmel sich grau und trübselig über der Erde aus, und immer neue Fluten rauschten hernieder. So mußten die Soldknechte müßig in ihren Quartieren bleiben und sich die Zeit mit Trunk und Spiel verkürzen, anstatt in der Berennung des festen Schlosses ihren kriegerischen Mut zu erproben.
Es war daher kein Wunder, daß sich des Kurfürsten und seiner ganzen Umgebung gar bald ein tiefer Mißmut bemächtigte. Selbst Pater Bacharells eherne Züge zeigten häufig einen Ausdruck von Spannung und Unruhe, den sonst niemand an ihm wahrgenommen hatte. Er wußte ja am besten, welche Opfer dieser Kriegszug dem Erzstift auferlegte, und wie ein jeder verlorene Tag Tausende von Gulden kostete. Am zwanzigsten Juni sollte Löhnungstag für die Soldknechte sein. Traf bis dahin das Geld von Mainz nicht ein, so konnte man eine Meuterei gewärtigen. Schon jetzt hatte Stralendorf seine liebe Not, das wüste, zuchtlose und dabei ganz unbeschäftigte Kriegsvolk im Zaume zu halten. Kein Tag verging, an dem sich nicht Gewalttaten ereignet hätten. Die Klagen der Bürger und Bauern über Mißhandlungen, Räubereien und Erpressungen wollten kein Ende nehmen, und keine Frau und kein Mädchen getraute sich in Heiligenstadt allein auf die Straße.
So sehnte jeder in der Umgebung des Kurfürsten den Tag herbei, an dem man endlich den gefangenen Ritter verhören und ihn im Guten oder Bösen zum Nachgeben bringen konnte. Der Ungeduldigste und Grimmigste von allen war Bunthe. Als man ihm die Kunde von der teilweisen Vernichtung des Pulvers übermittelt hatte, war er ganz außer sich geraten, hatte die lästerlichsten Flüche ausgestoßen und das alles für Hexerei der Wintzingerodes erklärt, die mit dem Teufel im Bunde ständen. Stralendorf hatte ihn kaum zu beruhigen gewußt. Nachdem rannte er jeden Tag wohl zehnmal zu dem Leibarzt des Kurfürsten, um sich zu erfragen, wie es dem Ritter von Wintzingerode ergehe. Wer sein Verhältnis zu Herrn Barthold nicht kannte, mußte meinen, daß er die zärtlichste Sorge für den Verwundeten im Herzen trage, denn kein Mensch in ganz Heiligenstadt wünschte so brennend seine baldige Genesung. Aber der Ritter tat ihm den Gefallen nicht, sondern lag entweder bewußtlos da oder tobte und raste in wirren Fieberträumen. –
Gegen Abend eines dieser grauen Tage hielt vor dem Hansteinschen Hause am Altstädter Kirchhof eine tiefverschleierte Frau im Trauergewand. Das Roß, das sie trug, und das ihres einzigen Begleiters sahen müde und abgetrieben aus und waren über und über mit Kot bespritzt. Sie selbst schien sehr erschöpft zu sein; denn als sie der Knecht aus dem Sattel gehoben hatte, wankte sie mühsam die Steinstufen der Freitreppe empor, und mit matter Stimme gab sie dem herbeieilenden Diener den Befehl, sie zu seinem Herrn zu führen.
Ritter Martin von Hanstein war in Heiligenstadt geblieben, während der größte Teil seiner Standesgenossen schon wieder ihre Schlösser aufgesucht hatten. Sie hatten ihn zu ihrem Vertreter gewählt, der in der Nähe des Kurfürsten bleiben sollte, nicht nur, weil die von Hanstein ein Haus in Heiligenstadt besaßen, sondern auch, weil er der Klügste und Tatkräftigste unter ihnen war und schon um seines großen Reichtums willen eine sehr angesehene Stellung einnahm.
Eben wollte er sich zum Vesperbrote niedersetzen, und es war ihm sehr unbequem, daß er dabei gestört werden sollte. Verdrießlich gab er dem Diener den Befehl, die Fremde hereinzuführen. Aber erschrocken sprang er von seinem Sitz empor, als die Eintretende den Schleier zurückschlug. Vor ihm stand Frau Käthe von Wintzingerode.
»Herr, du mein Gott!« stotterte er. »Ihr hier, werte Frau Base? Beim Strahl, das ist kühn! Was sucht Ihr hier?«
»Das fragt Ihr noch?« rief Frau Käthe und sank laut weinend auf einen Stuhl. »Hanstein! Vetter! helft mir! Ich bin die Unglücklichste unter allen Weibern!«
Ergriffen und bekümmert blickte der Ritter auf sie nieder. »Was soll ich tun, und wie könnte ich Euch helfen?«
»Helft mir zu meinem Manne!« rief Frau Käthe und rang die Hände. »Ich muß zu ihm, er liegt im Turm und soll auf den Tod verwundet sein. Ich will ihn pfiegen, daß er gesund wird. Der Kurfürst kann mir das nicht verweigern, er müßte ja schlimmer sein als ein Heide oder ein Türke. Ich will ihn bitten, wie ich kann, ich will einen Fußfall vor ihm tun! Nur helft mir, daß ich zu ihm dringe!«
Hanstein schüttelte den Kopf. »Das werde ich kaum vermögen. Ich bin selbst nicht gut angeschrieben bei dem Herrn, habe ihm neulich unsanft auf die Zehen getreten. Das vergißt so ein Pfaffe schwerlich.«
Frau Käthe antwortete nicht. Sie hatte die Arme vor sich auf den Tisch gelegt und das Antlitz darüber geneigt und weinte bitterlich.
Hansteins Gesicht nahm einen immer kummervolleren Ausdruck an. Die Tränen der Frau, die er als so fröhlich und sicher und lebendig kannte, erschütterten ihn tief. Er saß da und blickte düster vor sich nieder.
Plötzlich blitzte es in seinen Augen auf. »Liebe Base, hört auf zu weinen! Ich habe einen Gedanken, der Euch helfen könnte!« rief er.
Frau Käthe hob das Haupt und sah ihn fragend an. »Hört einmal ruhig zu!« begann er. »Ob Euch der Kurfürst vor sich läßt, ist fraglich. Daß er Euch aber auch dann keinen gnädigen Bescheid gäbe, ist mir nicht zweifelhaft. Was Wintzingerode heißt, ist ihm verhaßt. Mit seinem Willen kommt Ihr nicht zu Eurem Manne, so müßt Ihr gegen seinen Willen zu ihm dringen. Habt Ihr Mut dazu?«
»Was ich tun kann, bei Gott, das tue ich, und müßt' ich dabei zugrunde gehen!« rief sie leidenschaftlich.
»Es gibt einen Schlüssel zu jeder Pforte«, versetzte Hanstein. »Kennt Ihr ihn?« Er warf einen Beutel auf den Tisch. »Damit bringt man Wunder zustande. Seid Ihr mit Geld versehen?«
»Ich habe nur wenig bei mir, aber was mein ist –«
»Schon gut!« unterbrach sie Hanstein. »Ihr seid eine wohlhabende Frau, habt ein Weibergut, wie wenige im Lande. Ihr werdet mir erstatten, was ich für Euch auslege.« Er machte eine lange Pause und fuhr dann fort: »Der Leibarzt des Kurfürsten, der Euern Mann in Pflege hat, ist ein gieriger, habsüchtiger Mensch. Auch ist er ein Welscher, und die Welschen sind alle bestechlich. Er hat Wärterinnen aus der Stadt an das Lager Eures Mannes gesetzt, die sich immer ablösen. Nicht unmöglich, daß er Euch an Stelle der einen einschiebt, wenn man ihm die Hände tüchtig vergoldet. In seiner Begleitung könnt Ihr sicher durch alle Wachen hindurchgehen. Und kommt's heraus, und Ihr werdet ergriffen – mein Gott, was will der Kurfürst machen? Eine Frau von edelm Geschlecht kann er nicht mißhandeln, das brächte ihm Schande im ganzen Reich, und der Adel würde schwierig. Auch ich würde mich herausreden, ohnehin schwant mir, als würde man ein Darlehen von meiner Hand gern annehmen. Es herrscht verteufelte Klemme bei den Mainzer Herren!«
»Hanstein, wenn das gelingt«, rief Frau Käthe, »so will ich's Euch danken mein Leben lang, ja vor Gottes Thron will ich's Euch danken!«
»Wenn die Dunkelheit kommt, gehe ich zu dem Welschen. Vielleicht sitzt Ihr heute Nacht schon an Eures Mannes Lager. Jetzt aber setzt Euch zu mir, Frau Base, und nehmt an meinem Vesperbrot teil. Ihr werdet hungrig sein und habt Kräfte nötig. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen.«