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Volkmar Wolf, Graf und Herr zu Hohnstein, Lohra und Klettenberg, Scharzfeld, Allerberg und Bodenstein, war am ersten Februar mit einem Gefolge von zwanzig Speeren und mehreren Räten und Schreibern in Heiligenstadt eingeritten. Was den hohen Herrn bewog, in eigner Person nach der kurfürstlichen Landstadt zu reisen, war nicht etwa eine besondere Courtoisie gegen den Gesandten des Erzbischofs, sondern die dringende Not trieb ihn dazu. Der Zustand seiner Finanzen war derartig betrüblich, daß er sich gezwungen sah, irgendwo bei Christen oder Juden ein größeres Darlehn aufzunehmen. Das bedeutete nichts Außergewöhnliches, weder im Leben des Grafen Volkmar Wolf, noch in dem seiner erlauchten Standesgenossen. Anno 1574 gab es im heiligen römischen Reiche deutscher Nation eigentlich nur einen Fürsten, der immer Geld hatte, das war Herr Augustus, Kurfürst und Herzog zu Sachsen. Selbst das erhabene weltliche Oberhaupt der Christenheit zu Wien, obwohl in Germanien, Hungarn und Beheim und sonstwo noch König, befand sich beständig in drückendster Geldnot und mußte oft Bäckern, Schneidern und Fleischern jahrelang große Summen schuldig bleiben.
So war es kein Wunder, daß der kleine Graf von Hohnstein dasselbe tat, was die großen Herren des Reiches ihm allesamt redlich und getreulich vormachten, daß er nämlich Leute suchte, die ihm auf schriftliche und mündliche Versprechungen und Verpfändungen hin etwas Erkleckliches vorschießen sollten. Bisher war ihm das in Heiligenstadt schon mehrmals trefflich geglückt, nicht nur einzelne reiche Bürger, sondern auch die Stadt selbst zählte ihn unter ihre Schuldner.
Diesmal aber schien das Glück dem geldbedürftigen Grafen minder hold zu sein. Es war ihm schon auffällig, wie wenig sich die Leute um seinen Einzug kümmerten. Sonst waren viele der Bürger vor die Haustür getreten und hatten ihre Kappen abgezogen. Heute sah er trotz des prächtigen Winterwetters fast niemand auf den Straßen, nur hie und da wurde ein Fenster aufgestoßen, aber meist sogleich wieder zugeschlagen. Nirgendwo, wie sonst, ein freundliches Gesicht, überall finstere Blicke und mürrische Mienen. Dem Grafen wurde es unfroh und unbehaglich zu Sinne, und er freute sich, als er vor dem Martinsstift vom Pferde steigen und sich in das Haus zurückziehen konnte.
Dort bewillkommnete man ihn freilich wie einen ganz besonders werten und teuern Gast. Propst Heinrich Bunthe mit einigen Kanonikern kam ihm bis auf die Straße entgegen und begrüßte ihn mit süßlichem Lächeln und geleitete ihn unter vielen Reverenzen und Artigkeiten die Treppe hinauf nach seinen Gemächern, während zwei Chorherren die gelehrten Begleiter und die Knechte in den Gebäuden des Klosterhofes unterbrachten. Man hatte nicht gespart, dem Grafen die Bequemlichkeit zu bereiten und die Ehre zu erweisen, die man fürstlichem Besuche zu geben pflegte. Auf den Dielen und an den Wänden waren prächtige bunte Teppiche angebracht, in das Feuer des Kamins hatte man Räucherwerk geworfen, so daß ein starker Zimmetduft die Räume erfüllte. Endlich stand auf dem Tische mitten unter kostbaren venetianischen Spitzgläsern, wie eine Henne zwischen ihren Küchlein, eine riesige Kanne voll edeln Malvasiers. Nachdem dieser Willkommentrunk kredenzt und gebührend geprobt worden war, zogen sich der Propst und die ihn begleitenden Stiftsherrn mit tiefen Verbeugungen zurück.
Aber trotz dieses freundlichen, ja glänzenden Empfanges war und blieb das Gemüt des Grafen beschwert. Er war im Grunde ein sehr hochfahrender Herr, aber dabei wegen seiner Freigebigkeit bei den Bürgern und kleinen Leuten nicht unbeliebt. So war er es gewöhnt, höflich und ehrerbietig begrüßt zu werden, und es kränkte ihn, wenn es einmal nicht geschah. Die kalten, abweisenden, teilweise sogar spöttischen oder feindseligen Mienen, denen er heute überall in der Stadt begegnet war, zeigten ihm, daß eine Mißstimmung gegen ihn in der Bürgerschaft bestand, die er nicht geahnt hatte. Den Grund dafür konnte er in nichts anderem suchen, als in seiner Annäherung an Mainz. Die Bürger Heiligenstadts waren fast alle lutherisch, man zählte nicht mehr als zwölf Familienhäupter, die noch am alten Glauben festhielten. Wäre der Kurfürst nicht zu fürchten gewesen, sie hätten auf der Stelle die Pfaffen des Martinsstiftes zu allen Teufeln gejagt. Daß nun ein lutherischer Herr der Nachbarschaft bei diesen verhaßten Kuttenträgern einkehrte als ihr Freund und geehrter Gast, das mußte ihnen ein Ärgernis und ein Stein des Anstoßes sein.
Das Herz des Grafen wurde bei solchen Erwägungen immer bedrückter, und die starken, dunkeln Brauen über der scharfen Nase zogen sich finster und sorgenvoll zusammen. Was sollte denn unter sotanen Umständen aus seinen Anleiheplänen werden? Hier würde man ihm schwerlich etwas borgen, vielleicht ihm sogar den bisher gewährten Kredit entziehen. Dann befand er sich in einer bösen Klemme und mußte alle seine Hoffnung darauf setzen, daß ihm seine neuen Freunde aus der Not helfen würden. Das ward dann aber ein neues, sehr festes Glied in der Kette, die ihn an den römischen Priester band. Er kam dadurch in eine ganz unwürdige Lage.
Dem Grafen stand der Angstschweiß auf der Stirn, als er über das alles nachdachte. Eine außerordentliche Unruhe und Bangigkeit überkam ihn mehr und mehr. Da er eine entschlossene und rasche Natur besaß, so mochte er diesen Zustand nicht lange ertragen. Er klingelte nach seinem Rat und Kämmerer Herrn Valentin Gerstenbergk und entsandte ihn zum Bürgermeister, um diesen zu sich zu entbieten.
Doktor Valentin kam schon nach einer Viertelstunde mit sehr langem Gesicht zu seinem Herrn zurück und brachte üble Botschaft. Der Bürgermeister hatte ihn in der Ratsstube in Gegenwart mehrerer Ratsmannen empfangen und kurz und kühl erklärt, das Martinsstift betrete er nicht, wolle der Graf etwas von ihm, so müsse er ihn bitten, aufs Rathaus zu kommen. – »Und ein Ratsherr, ein grober, ungeschlachter Geselle«, fügte der Doktor hinzu, »schlug mit der Faust auf den Tisch und brüllte: Wer den Pfaffen nachläuft, der soll sich an die Pfaffen halten, wenn er etwas will. Wir Heiligenstädter haben für solche Herren nichts übrig!«
»Verfluchtes Krämerpack!« knirschte der Graf. »Was tun wir nun, Doktor?«
»Wer A sagt, muß auch B sagen, und wer sich die Suppe einbrockt, der muß sie auch auslöffeln,« erwiderte Gerstenbergk gleichgültig. »Ich habe Euer Gnaden stets vor dem Handel mit Mainz gewarnt, denn er schadet Eurer fürstlichen Reputation. Nun haben wir's. Die Lutheraner trauen Euch nicht mehr, meinen wohl gar, Ihr wolltet wieder katholisch werden. Was gilt's, sie werden Euch den Kredit kündigen! So bleiben Euch nur die Pfaffen. Der Mainzer Herr selbst kann Euch schwerlich helfen, denn seine Truhen sind meist nicht voller als die Euern. Versucht's bei Bunthe. Der ist Propst des reichen Nörtener Stiftes und soll hier Dekan werden. Man munkelt, der Kurfürst wolle ihn zu seinem geistlichen Statthalter über das ganze Eichsfeld machen. Solch ein Mann weiß Geldquellen und kann sie flüssig machen.«
»Aber wenn er nicht will? Die Summe ist verwünscht hoch«, fragte der Graf mit einem schweren Seufzer.
»Umsonst werdet Ihr's freilich nicht haben, gnädiger Herr, Ihr werdet einen Preis zahlen müssen«, sagte Gerstenbergk.
»Und welchen meint Ihr?« fragte der Graf finster.
»Man wird von Ew. Gnaden verlangen, den Religionsartikel in dem Vertrage fallen zu lassen«, erwiderte Gerstenbergk.
»Das kann ich nicht, und das darf ich nicht!« fuhr der Graf auf. »Soll ich mich einen Verräter am Evangelium schelten lassen?«
Der Doktor zuckte die Achseln. »Mancher muß tun, was er nicht gern tut«, entgegnete er. Aber seine Befürchtung war unbegründet. Als die Verhandlungen am Nachmittage begannen, legten die Mainzer auf den viel umstrittenen Artikel gar kein Gewicht mehr. Am frühen Morgen war nämlich eine Stafette von Mainz eingelaufen mit der kurzen, aber schwerwiegenden Notiz von der Hand des Paters Bacharell: Der Bleicheroder Vertrag kann ohne Anstoß und Abzug verwilliget werden. Seine kurfürstliche Gnaden hat gegen Artikel IV nichts mehr zu erinnern.
Somit war man einig, denn die Klausel, daß die Bewohner des Gerichtes Bodenstein in ihrer lutherischen Religion nicht sollten beunruhigt werden, war ja das einzige gewesen, was ein Übereinkommen gehindert hatte. Der Graf bestätigte durch Unterschrift und beigedrucktes Insiegel alles, was in Bleicherode verabredet war, und der vorsichtige Bunthe sandte das kostbare Dokument sogleich durch einen besonderen Boten nach Mainz.
So hatte denn der Kurfürst erreicht, was er seit Jahren begehrte. Der erzbischöfliche Stuhl zu Mainz war über das ketzerische Ländchen erhöht. Bunthe warf Stralendorf, während der Graf unterschrieb, einen Blick zu, der vor triumphierender Freude funkelte. Der Graf bemerkte nichts davon, aber Valentin Gerstenbergk fing ihn auf, und das Herz wandte sich ihm um vor Kummer und Bitterkeit. Er wußte wohl, was in den Seelen dieser beiden vorging, er wußte und fühlte, welch ein verhängnisvoller Augenblick gekommen war, und seine Hand zitterte, als er seinen Namen unter den seines Gebieters setzte.
Auch der Graf stand ernst und düster auf, als er unterschrieben hatte, und über seine sonst fahlen Wangen flog ein heißes Rot. Auch er fühlte, wenn er es auch nicht eingestanden hätte, daß dieser Vertrag eines Grafen von Hohnstein unwürdig war. Zudem lastete auf seiner Seele noch die bange Sorge, wie er wohl Geld erlangen könnte, dessen er so dringend bedurfte.
Aber wie ward ihm, als Bunthe selbst um die Gunst einer vertraulichen Unterredung bat und ihm dabei ohne alle Umschweife ein namhaftes Darlehn anbot! Der Bund des Grafen mit dem Erzbischof, sagte der schlaue Propst, werde viele vor den Kopf stoßen. In Heiligenstadt sei ihm schon manche befremdliche und bedrohliche Rede zu Ohren gekommen. Da nun ein großer Herr wie der Graf, wie ja jeder wisse, auch große Verbindlichkeiten habe, so erachte er es für seine Ehrenpflicht, etwaige üble Folgen seines Bündnisses mit Mainz von ihm fernzuhalten.
Es fehlte nicht viel, so wäre der hocherfreute Graf dem Propst um den Hals gefallen. Mit einem Schlage sah er sich von der Hauptlast befreit, die seine Seele niedergedrückt hatte. Er dankte dem bieder lächelnden Priester mit überschwenglichen Worten und folgte in rosiger Laune seiner Einladung zu einem Imbiß im Speisezimmer des Klosters. Nur Bunthe und die beiden ältesten Kanonici, Stralendorf und der Graf mit seinen beiden Räten saßen um den großen runden Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand und mit auserlesenen Gerichten und teuren Weinen besetzt war.
Ebendiese Weine brachten es dahin, daß die Stimmung der Gesellschaft gar bald zu einer lustigen und lärmenden wurde. Nur der alte Rat Valentin Gerstenbergk nahm an der allgemeinen Fröhlichkeit nicht teil, sondern saß finster und schweigsam auf seinem Platze.
Am höchsten dagegen gingen die Wogen der Lust bei seinem Herrn. Die Regung der Scham von vorhin war längst wieder entschwunden aus der Seele des Grafen, er war vielmehr voller Freude, daß er einen großen Kredit gefunden hatte. Darum trank er unmäßig viel und erzählte bald Schwänke und Zoten, die seinem alten, ehrenhaften Rat die Röte ins Gesicht trieben, und die in das Refektorium eines Klosters am allerwenigsten paßten. Aber Bunthe und seine Genossen schienen großen Gefallen daran zu finden, denn sie bogen sich vornüber und wieherten vor Lachen.
Eben wollte der Graf eine neue Geschichte zum besten geben, als der Diener erschien, der die Lichter brachte. Hinter ihm kam ein Knecht des Stiftes in den Saal und wandte sich an den Grafen: »Gnädiger Herr«, sagte er, »es steht einer draußen auf dem Gange, der Euer Gnaden sprechen will.«
»Ach Larifari, Potz Hagel, sage dem Menschen, ich hätte jetzt keine Zeit, er solle morgen wiederkommen!« rief unwirsch der Graf.
»Wer ist es denn?« fragte Bunthe, der die Worte des Grafen gehört hatte, obwohl die Unterhaltung laut und lärmend war.
»Ich kenne ihn nicht«, gab der Diener zur Antwort. »Es scheint ein Junker zu sein, hat den Eisenhut tief in die Stirn gedrückt. Das Wappen ist ein roter Spieß mit zweifacher Spitze.«
»Ach Donnerwetter!« rief der Graf, »das ist Herr Bertram oder Hans von Wintzingerode. Ich habe die Herren freilich erst für morgen bestellt, aber vielleicht hat er mir Wichtiges zu melden. Den kann ich nicht wohl abweisen. Ist's Euch genehm, Herr Propst, so lassen wir ihn hereinkommen.«
»Das versteht sich«, sagte Bunthe und neigte beistimmend das Haupt, aber dabei zog er ein Gesicht, als habe er sauern Essig getrunken.
»So führe den Junker herein«, gebot der Graf, der in seiner Weinlaune die Verstimmung seines Gastgebers gar nicht bemerkte.
Der Knecht ging hinaus, kehrte aber sogleich wieder zurück. »Der Junker weigert sich«, meldete er. »Er sagt, er müsse Euer Gnaden allein sprechen. Er hat mich gefährlich angeschnaubt.«
Der Graf sprang ärgerlich auf. »Halt!« rief Herr Bunthe und legte die Hand auf seinen Arm. »Ihr werdet doch dem Menschen den Willen nicht tun. Das ist ja eine Frechheit. Ja, so sind sie, diese Wintzingerodes! Sagt ihm, er solle in drei Teufels Namen morgen wiederkommen oder gefälligst jetzt da erscheinen, wohin Ihr ihn ladet. Es ist doch wahrlich schon eine Ehre für solch einen kleinen Junker, wenn er mit einem Herrn wie Ihr, mit seinem Herrn, zu Tische sitzen darf.«
»Ihr habt recht«, sagte der Graf mit schwerer Zunge, indem er ein neues Glas roten Weines hinunterstürzte. »Sage ihm, er solle hereinkommen oder morgen früh wieder nachfragen.«
Der Diener ging zögernd hinaus. Einige Augenblicke vergingen, dann öffnete sich die Tür, und eine gewaltige Gestalt erschien auf der Schwelle, ein Junker in voller Rüstung mit Brustharnisch und Eisenhaube. Er tat langsam ein paar Schritte vorwärts und trat so nahe an den Tisch heran, daß sein Gesicht vom gelben Lichte der Wachskerzen hell beleuchtet ward. Es war Herr Barthold von Wintzingerode.
Bei dieser unerwarteten Erscheinung ward es so totenstill im Gemach, wie einst in König Belsazars Saal, als die feurige Schrift an der Wand erschien. Bunthe starrte den Ritter an wie ein grabentstiegenes Gespenst, Stralendorf sank käseweiß in seinen Stuhl zurück, der Graf ließ ein kostbares Glas zur Erde fallen, daß es klirrend zerbrach.
Endlich Hub der Ritter mit tiefer Stimme zu reden an: »Ich muß Euch sprechen, Herr Graf von Hohnstein, denn ich habe Euch Wichtiges zu sagen.«
Der Graf taumelte empor und tastete nach dem Klingelzuge, der unfern von ihm von der Wand herabhing. »Ein Überfall!« schrie er mit halberstickter Stimme. »Gewalt!«
Barthold faßte seinen Arm und drückte ihn auf den Sessel zurück. »Bei Jesu Tod!« sagte er. »Ihr habt keine Gewalttat zu befürchten. Mein Eindringen erschreckt Euch, aber Ihr habt es so gewollt. Meine Rede leidet keinen Aufschub, darum muß ich angesichts dieser Zeugen sprechen, deren ich, weiß Gott, gern entraten möchte.«
Er machte eine unaussprechlich verächtliche Bewegung gegen Bunthe und Stralendorf und fuhr dann mit erhobener Stimme fort: »Ich biete Euch den Frieden, Herr! Von der Lehnsfolge meines Sohnes soll nicht mehr die Rede sein. Was wir sonst für Späne haben, die sollen verglichen werden. Ein Schiedsgericht soll darüber seinen Spruch fällen. Meine Klage beim Kammergericht ziehe ich zurück und bin bereit, Euch für Bodenstein als meinen rechten Lehnsherrn anzuerkennen. Dies alles, wenn Ihr mit Mainz fürder nicht mehr unterhandelt.«
Nach diesen Worten entstand eine ebenso tiefe Stille wie vorher. Der Graf, auf dessen hagerem Antlitz Röte und Blässe einander jagten, wagte offenbar nichts zu erwidern, sondern rückte nur unruhig auf seinem Sitze hin und her und blickte nicht zu dem Ritter empor.
»Was sagt Ihr dazu, Herr Graf von Hohnstein?« fragte Barthold.
Der Graf entgegnete noch immer nichts, aber Bunthe hatte sich rasch gefaßt. Warum fürchtete man sich eigentlich? Dieser Wintzingerode, so tollkühn er war, konnte mitten in der volkreichen Stadt und in einem Hause, das von bewaffneten Knechten wimmelte, doch keinen Überfall versuchen. Der Gedanke gab ihm seinen Mut zurück, und indem seine Augen boshaft und spöttisch aufleuchteten, sagte er: »Ihr kommt zu spät, Junker, der Vertrag ist vor zwei Stunden schon unterzeichnet.«
Barthold zuckte zusammen, dann wandte er sich mit einer ungestümen Bewegung zu dem Grafen: »Ist's wahr, Herr, was dieser Pfaffe sagt?«
»Ihr habt mich ja selbst dazu gezwungen!« erwiderte der Graf ausweichend.
Barthold trat einen Schritt zurück, und eine dunkle Röte flammte in seinem Antlitz empor. »Ich habe in ehrlichem Kampfe mit Euch gestanden, Herr! Wie konnte ich glauben, daß Ihr zu unredlichen Waffen greifen würdet! Ihr handelt wie der falsche Franzosenkönig, der den Großtürken gegen den römischen Kaiser zur Hilfe rief!«
»Hier ist nicht von dem Türken die Rede, sondern von einem Fürsten des heiligen Reiches!« rief Bunthe scharf.
»Halte dein Maul, Pfaff!« donnerte Barthold. »Mit dir rede ich nicht! Noch ein Wort, und du kannst dein Leben quittieren!«
Bunthe sank erbleichend in seinen Lehnstuhl zurück und stierte ihn mit Augen an, die vor Haß und Wut glitzerten. Aber den Mund wagte er nicht mehr aufzutun, denn die mächtige Faust des Ritters war ihm gar zu bedrohlich nah.
Barthold wandte sich wieder zu dem Grafen, und indem er sich mit aller Kraft zur Ruhe zwang, sagte er:
»Habt Ihr auch an Eure Verwandten gedacht, was die dazu sagen werden, die Stolberger und vor allem die ehrenhaften, glaubenstreuen Grafen von Schwarzburg?«
»Das ist meine Sache!« sagte der Graf kurz.
»Und an das teure Evangelium, Gottes reines Wort, habt Ihr auch nicht gedacht?« fuhr Barthold unbeirrt fort. »Ihr bekennt Euch zu Luthers Lehre und stellt eines Eurer Gebiete unter die Gewalt eines papistischen Pfaffen? O kehrt um, Herr, besinnt Euch!«
»Die Religion ist salviert«, versetzte der Graf.
»Salviert?« fragte Barthold traurig. »Wodurch? Durch ein Stück Papier? Habt Ihr je gesehen, daß die Pfaffen sich an geschriebene Worte kehren, wenn sie die Macht haben? Die Religion, unser lauteres Evangelium, ist in Gefahr, in der größten Gefahr, und deshalb bin ich hergekommen, um Euch vor dem Bunde mit dem Mainzer Pfaffen zu bewahren.«
»Ihr seht, Ihr kommt zu spät!« rief der Graf.
»Das steht in Eurer Hand!« sagte Barthold ruhig. »Ich kenne Euern Vertrag. Ihr wollt den Kurfürsten als Oberlehnsherrn anerkennen unter der Bedingung, daß er mich zur Unterwerfung bringt. Diese Bedingung kann er nicht erfüllen, denn ich selbst erfülle sie. Ich begebe mich in Euern Gehorsam aus eigenem, freien Entschlusse. Mainz leistet Euch also gar nichts, somit braucht auch Ihr ihm nichts zu leisten.«
»Mainz hat mein Wort und wird sich daran zu halten wissen«, entgegnete der Graf. »Ich habe den Vertrag unterzeichnet, und trete ich nun zurück, so wird der Kurfürst sein Recht mit Waffengewalt suchen.«
»Mag er's!« rief Barthold, und indem ein mächtiger Glanz in seinen Augen aufflammte, setzte er freudig hinzu: »Herr, reißt diese Kette entzwei! Laßt's darauf ankommen, daß Mainz zum Schwerte greift. Macht mich zu Eurem Feldhauptmann, und Ihr sollt sehen, wie die Pfaffenknechte laufen! Überall gärt es in Stadt und Land auf dem Eichsfelde. Wenn Ihr Euch der Sache annehmt und Euch an die Spitze der Unzufriedenen stellt – bei Gott, das ganze Land fällt Euch zu, und Ihr könnt zehn mal mächtiger werden als bisher.«
»Grumbach!« sagte Bunthe halblaut vor sich hin, aber der Graf hatte das Wort gehört.
»Ich bin kein Johann Friedrich von Sachsen«, entgegnete er kalt. »Solche Träume finden bei mir kein Ohr. Ich werde mich hüten, mit einem Kurfürsten anzubinden. Beenden wir diese Unterredung, da sie zwecklos ist. Mainz ist nun einmal Oberlehnsherr vom Bodenstein und bleibt es auch.«
Barthold atmete tief auf und sagte mit halb erstickter Stimme: »Und das wäre Euer letztes Wort?«
»Mein letztes«, entgegnete der Graf.
»So hört auch meines!« schrie Barthold außer sich. »Krieg soll zwischen uns sein, Volkmar Wolf von Hohnstein, elender Verräter des Glaubens, armseliger Pfaffenknecht! Mainz huldige ich nimmermehr, solange ich ein Schwert halten kann. Mag dein Herr, der gekrönte Pfaffe, sehn, wie er den Bodenstein bezwingt! Ich beuge mich ihm niemals, niemals!«
Darauf wandte er sich jäh um und stürmte mit dröhnenden Schritten aus dem Gemach und die Treppe hinunter. Draußen schwang er sich auf sein Roß, winkte den Knechten, ihm zu folgen, und ritt spornstreichs auf den Markt zum Hause des Ratsherrn Hugold, seines Freundes, bei dem er eingekehrt war, und wo er Quartier bestellt hatte.
»Ich bleibe nicht in Heiligenstadt!« rief er seinem Gastfreund entgegen, als dieser aus der Tür trat, ihn zu begrüßen.
Hugold, ein schwarzhaariger, untersetzter Mann von schnellem, ungestümem Wesen, stampfte zornig mit dem Fuße auf. »So ist Euer Anerbieten zurückgewiesen?« schrie er.
»Der Graf ist in der Pfaffen Hand«, erwiderte Barthold. »Der Vertrag ist schon vollzogen. Er ist des Mainzers Vasall.«
Der Ratsherr sprang mit einem Fluch die Stufe herab, die zu seinem Hause führte, ergriff Bartholds Roß am Zügel und führte es ohne weiteres eine Strecke abseits, während er erregt auf den Ritter einsprach: »Wißt Ihr, was ich nun täte an Eurer Stelle? Hinreiten, das Klosternest überfallen, die Pfaffen totschlagen, den Hohnsteiner gefangen nehmen! Meint Ihr, es rühre sich in Heiligenstadt eine Hand wegen des Stadtfriedens? Kein Mensch stände auf, keiner. Wir wissen wohl, was wir von Mainz zu gewärtigen haben. Die Pfaffen wollen uns alle wieder katholisch machen. Unsere Rechte und Privilegien sollen auch wieder zum Teufel gehen. Wer der Pfaffen Feind ist, wie Ihr, der ist unser Mann. Greift zu! Schafft uns und Euch die Bande vom Halse!«
»Ich habe dem Grafen bei meinem Eide und Christi Tod geschworen, keine Gewalttat zu begehen«, erwiderte Barthold.
»Glaubt Ihr, die Pfaffen werden Euch einen Eid halten, wenn sie Euch kriegen könnten?« fragte Hugold spöttisch.
Herr Barthold schwieg eine kleine Weile, dann sagte er mit einem finstern Lächeln: »Gewiß nicht. Aber zuweilen ist es ein schönes Gefühl, unter Schlangen und Basilisken ein ehrlicher Mann zu sein. Was ich tue, tue ich nicht gegen Eid und Ehre. Ihr Heiligenstädter sollt bald genug von mir hören. Heute gehabt Euch wohl!«
Er schüttelte Hugolds Hand mit kräftigem Druck, dann rief er seinen Knechten den Befehl zu, ihm zu folgen, und jagte in gestrecktem Galopp durch das Geisledertor aus der Stadt.