Paul Schreckenbach
Die von Wintzingerode
Paul Schreckenbach

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XXV. Kapitel.

Die Erregung in Heiligenstadt stieg mit jedem Tage. Die Maßregelung des Rates, die Schließung der Kirchen, vor allem die Vertreibung des in der ganzen Stadt beliebten und hochangesehenen Pfarrers hatte die Gemüter erhitzt und die ganze Bürgerschaft mit Ausnahme der wenigen Altgläubigen in helle Wut versetzt. Überall standen die Bürger zusammen auf den Straßen und vor den Haustüren und besprachen mit finsteren Mienen die unglaublichen Vorgänge der letzten Woche. Wenn man den verhaßten Propst mit Blicken hätte töten können, so wäre er keinesfalls mit dem Leben davongekommen; denn wo er auf der Straße ging, schauten ihm wuterfüllte Augen nach. Aber den harten Gottesmann kümmerte das nicht im mindesten, im Gegenteil, die Erbitterung des Volkes belustigte ihn. Mochten sie immerhin die Fäuste in der Tasche ballen, die Hauptsache war, daß keiner die Hand gegen ihn erheben konnte. Wehe den lutherischen Hunden, wenn sie es wagten, sich an ihm zu vergreifen! Stralendorf lag in der Stadt mit nunmehr fast zwölfhundert Knechten, und mit mehr als siebenhundert wurde der Kurfürst in den nächsten Tagen erwartet. Jeder Widerstand war deshalb wahnsinnige Torheit.

In diesem Bewußtsein ging er nun noch weiter, wagte den Ketzern noch größeren Schimpf zu bieten. Der alte Andreas Strecker, einer der wohlhabendsten und ehrwürdigsten Bürger der Stadt, lag todkrank, man sah, daß es mit ihm zu Ende gehen werde. Da drang eines Tages Bunthe mit mehreren Priestern an das Sterbelager vor und stellte dem Kranken alle Schrecknisse der Hölle in Aussicht, wenn er nicht noch vor seinem Tode die Wittenbergische Ketzerei abschwöre und in den Schoß der Mutter Kirche zurückkehre. Aber der Greis blieb trotz alles Zeterns und Eiferns bei seinem evangelischen Bekenntnis, und als der Propst am andern Morgen wiederkam, war er schon ruhig entschlafen. Sofort verfügte Bunthe, daß ihm ein ehrliches Begräbnis auf dem Friedhofe der Stadt zu versagen sei. Einem Ketzer, der noch dazu ausdrücklich auf dem Totenbett seinen ketzerischen Glauben bekannt habe und in ihm gestorben sei, dürfe man kein Grab unter den Gräbern guter Christen gewähren. Man solle ihn dort einschaufeln, wo die Selbstmörder lägen, oder ihn sonstwo draußen auf dem Felde einscharren. Dabei blieb es trotz alles Flehens der verzweifelten Witwe und ihrer Kinder. Man sollte klärlich erkennen, sagte der Propst, daß man Ernst machen wolle mit dem Feldzug gegen die lutherische Irrlehre.

Wenn überhaupt etwas den Grimm des Volkes noch hatte schüren können, so war es dieser Streich gegen einen Toten, der zu Lebzeiten einer der besten und ehrenfestesten Bürger gewesen war. Einer, der früher mehrmals das Amt des Bürgermeisters der Stadt bekleidet und stets im Rate gesessen hatte, mußte ohne alle letzten Ehren wie ein am Galgen Gestorbener auf einem Leiterwagen zum Stadttor hinausgefahren werden. Jeder Blumenschmuck war streng verboten, keine Glocke durfte geläutet werden, nur den allernächsten Hinterbliebenen war es erlaubt, den Sarg zu geleiten, den auch in der Umgegend kein geweihter Gottesacker aufnehmen durfte. Draußen im Obstgarten seines Landgütchens begrub man den alten Strecker unter einem großen Birnbaum, den er selbst einst als Knabe gepflanzt hatte. Zu Hunderten standen die Leute auf der Straße, als der Sarg vorübergefahren wurde, alle entblößten schweigend ihre Häupter; nur hie und da erklang ein halblauter Fluch gegen den Anstifter dieses noch nie dagewesenen Greuels. Gar viele hatten Tränen in den Augen, Tränen des Schmerzes und des Zornes. Aber die Schmach, die hier von einem Priester Roms allen Evangelischen in ihrem toten Glaubensgenossen angetan wurde, mußte schweigend hinabgewürgt werden, mochte sie auch in den Herzen wie Feuer brennen. Denn Stralendorfs Macht war stark genug, jeden Widerstand im Blute zu ersticken.

Dem allem fügte nun Bunthe noch den offenen Hohn hinzu. Er ließ am vierten Juni den Rat auf das Rathaus entbieten und teilte den Stadtvätern mit, daß übermorgen der Einzug des Kurfürsten stattfinden werde. Der Herr werde durch das Geisledertor in die Stadt einrücken, dort habe sich also der gesamte Rat einzufinden und die Schlüssel der Stadt kniend zu überreichen. Das verstehe sich von selbst, aber sie würden wohl noch ein übriges tun wollen. Als treue Untertanen würden sie wohl den Drang in sich fühlen, dem geliebten Landesvater durch Errichtung stattlicher Ehrenpforten, durch reichen Schmuck ihrer Häuser mit Blumenkränzen und Girlanden ihre Freude über sein Kommen zu bezeugen. Diesen Drang des Herzens möchten sie ja nicht unterdrücken, damit nicht etwa Seine Gnaden einen Widerwillen fasse gegen Heiligenstadt und sich demgemäß verhalte.

Als er mit dieser versteckten Drohung den Saal verließ, scholl ihm diesmal kein einziger Entrüstungsruf nach, sondern stumm und trotzig gingen die Ratsherren auseinander. Die Mehrzahl war nicht gewillt, der Anregung Folge zu geben, obwohl sie fast einem Befehl gleichkam. Aber im Laufe des folgenden Tages überkam doch viele die Angst, daß ihnen irgend etwas Schlimmes geschehen könne, wenn sie ihre Häuser nicht schmückten, andere beharrten auf ihrem Sinne. So kam es, daß am Morgen des sechsten Juni die Stadt ein wunderliches Aussehen zeigte: die eine Hälfte der Häuser war mit Kränzen behangen, die andere stand kahl und leer da. Bunthe knirschte vor Ärger, als er dies Bild erblickte; denn bei der Zwiespältigkeit, die sich da offenbarte, wäre es weit besser gewesen, von einer Schmückung der Straßen ganz und gar abzusehn. Aber nun war nichts mehr zu ändern.

Der Kurfürst hatte schon am fünften Mühlhausen verlassen, doch konnte er nur sehr langsam vorwärts kommen. In seiner Begleitung befand sich nicht nur fast der ganze Hof, viele Geistliche und Kapläne und Jesuiten, sondern er führte auch noch mehrere schwere Geschütze bei sich, die von vielen Pferden auf staubigen Wegen mühselig weiter gebracht wurden. Nicht weniger als siebenhundert Knechte zu Fuß und zu Pferde bildeten seine Bedeckung. Mit dem in Heiligenstadt stationierten Kriegsvolk gebot also der Erzbischof über fast zweitausend Mann.

Es war beschlossen, unterwegs noch eine Nachtrast zu halten im Kloster Beuren. Das lag zwar etwas abseits von der geraden Straße nach Heiligenstadt, aber dafür fand dort der hohe Herr wenigstens einige Bequemlichkeit. Freilich war das ehedem wohlbegüterte Kloster nach dem Brande, den die Pfeiferschen Horden im Bauernkrieg angezündet hatten, nur notdürftig wieder aufgebaut worden, und die adligen Jungfrauen dort hatten nicht viel zu beißen und zu brechen, aber es war doch ein besseres Losament als ein Bauernhaus am Wege oder ein Zeltlager unter freiem Himmel.

Sowie der Morgen graute, zogen Bunthe und Stralendorf mit über zweihundert Knechten dem Kurfürsten bis Beuren entgegen, und um Mittag näherte sich der glänzende Zug dem Geisledertor. Voran ritten hundert Lanziers in voller Rüstung, dann folgte ein Haufe von Trompetern und Bläsern, darauf der Kurfürst selbst in vollem Ornat, um die Schultern den Mantel von Purpur und Hermelin, rechts von ihm der Graf von Hohnstein in einer vergoldeten Rüstung, links Stralendorf, der schon in Beuren sein Patent als Landeshauptmann empfangen hatte. Von den Hofherren und Geistlichen, die nun kamen, war fast keiner zu Pferde, die meisten saßen in schwerfälligen Karossen, Bunthe mitten unter ihnen neben Pater Bacharell. Dann folgte wieder ein stattlicher Reitertrupp, der Adel des Eichsfeldes. Die Herren waren schon gestern sämtlich nach Heiligenstadt gekommen, hatten am Abend noch eine geheime Sitzung gehalten und waren früh dem Landesherrn bis Beuren entgegengeritten, aber abseits von Stralendorf und seinen Leuten. Die Söldnerhaufen, die der Kurfürst mit sich führte, und die Proviantwagen schlossen den Zug; eine große Menge schaulustigen Landvolkes drängte in die Stadt nach.

So zog Kurfürst Daniel unter dem Donner der Mörser und Kartaunen und dem Geläute aller Glocken in die Hauptstadt des Eichsfeldes ein. Es war ein buntes, farbenprächtiges Bild, das da den Leuten vor Augen geführt wurde, ein Bild stolzen Glanzes und fürstlicher Macht. Das eben war auch des Kurfürsten Absicht. Seit dreißig Jahren war kein Mainzer Erzbischof nach dieser entlegenen Provinz gekommen, nun sollte den Eichsfeldern einmal gezeigt werden, welch einem Herrn sie dienten. Solch ein Anblick konnte manchen Übelgesinnten schrecken, manchen Schwankenden vor dem Abfall bewahren und mußte allen, die noch zur alten Lehre hielten, die Herzen stärken.

Trotzdem war der Kurfürst nicht frohen und gehobenen Gemüts, sondern schweigsam und verdrossen ritt er auf seinem reichgeschirrten Prunkroß des Weges dahin. Die ihn von früher her kannten und lange nicht gesehen hatten, erschraken über sein Aussehen. Wie ein früh gealterter Mann erschien er ihnen. Die böse Krankheit des vergangenen Winters hatte sein Haar grau, sein Antlitz schlaff und gelb gemacht. Aber er sah nicht nur aus wie ein körperlich Leidender, sondern wie einer, den schwere Sorgen niederdrücken. Und in Wahrheit nagte eine quälende Sorge seit gestern an seinem Herzen und machte ihn finster und trübe. Seine Siegeszuversicht hatte trotz seiner Heeresmacht einen starken Stoß erlitten.

Nicht zwei Monate, das wußte er genau, konnte er diese Landsknechte und Reiterfähnlein zusammenhalten. Kein Mensch außer seinen vertrautesten Räten ahnte, wie schwer es gewesen war, das Geld zu diesen kostspieligen Rüstungen aufzutreiben, und wie man im nächsten Monat den Sold aufbringen wollte, war vorläufig ihm selbst ein Rätsel. Es mußte ihm deshalb alles daran liegen, das Unternehmen gegen den Bodenstein rasch zu Ende zu führen. Das war nur möglich, wenn die Ritterschaft des Landes ihm beistand, wenn sie ihn durch ihren Zuzug stärkte und ihm vor allen Dingen Lebensmittel für die Mannschaften und Futter für die Pferde lieferte. Verweigerten die Junker ihm die Hilfe gegen ihren Standesgenosscn, so war seine Lage mißlich, stellten sie sich etwa gar auf die Seite des trotzigen Ritters, so konnte kein Mensch voraussehen, welches Ende dieses Abenteuer nehmen würde.

War das nicht sehr wohl möglich? Als er sie heute vor sich gesehen hatte, die Herren, die da hinter ihm im Zuge ritten, hatte ihm ihre Haltung gar nicht gefallen, und ihre Treue war ihm sehr verdächtig erschienen. Sie hatten zwar alle ihm die Hand gereicht und das Knie vor ihm gebeugt als vor ihrem Lehns- und Landesherrn, die Hagen und Hanstein, die Westernhagen und Knorr, die Keudell und Bodenhausen, ja selbst die beiden Wintzingerode, Bartholds Vettern, hatten sich nicht ausgeschlossen. Aber ihre Mienen flößten ihm Besorgnis ein. Finster, abweisend, stocksteif standen sie alle vor ihm, keiner tat den Mund auf, nur kurz und widerwillig gaben sie Antwort auf seine leutseligen Fragen, bis er sich verstimmt und verletzt von ihnen abwandte.

Auch an dem Landvolk unterwegs hatte er seine Freude nicht gehabt. Zwar hatte die Schaulust und Neugier große Haufen von Männern, Weibern und Kindern zusammengeführt, die den stolzen Zug verwundert anstierten. Aber unter allen war kein freundliches Gesicht gewesen, kein Hoch aus einem Mund erklungen, kaum, daß die Leute mürrisch ihre Kappen zogen, wenn der Landesherr vorüberritt.

Was er nun vollends in Heiligenstadt sah, erbitterte und erschreckte ihn über die Maßen. Am Tore wartete seiner der Rat, um ihm die Schlüssel zu überreichen, wie es Brauch war. Eisig kalt klang aus dem Munde des Sprechers die Begrüßung des Fürsten, kurz und ungnädig war die Antwort. Dann ritt er die lange, breite Straße entlang vom Geisledertor bis zum Martinsstift. Links und rechts standen die Knechte mit ihren in der Sonne blitzenden Spießen und Stahlhauben, sonst war kein Mensch auf der Straße zu sehen. Nur hier und da zeigte sich scheu und verstohlen ein Weiberkopf an den Fenstern, denn bei dem schönen Geschlechte wird die Erbitterung noch durch die Neugier überwogen. Am meisten aber verletzte das verschiedene Aussehen der Häuser den Stolz des Kurfürsten. Der eine Teil der Bürger – das erriet er gar wohl – hatte aus Angst oder irgendwelcher äußeren Rücksicht seine Häuser bekränzt, der andere, und zwar der weitaus größere, wollte ihm offenbar durch Unterlassung solcher Ehrenbezeugung seine Abneigung an den Tag legen.

Immer herber und verbissener wurde der Ausdruck seines Gesichts, immer fester preßten sich seine Lippen aufeinander, und Stralendorf, der neben ihm ritt, fing einen Blick auf, vor dem ihm graute. Auch Bacharell schaute erstaunt, ja fast verblüfft umher. Er hatte zwar bei den Eichsfeldern von vornherein nicht viel Freude über des Kurfürsten Ankunft vorausgesetzt, denn er kannte die Stimmung des Landes zur Genüge. Aber diese Haltung des Volkes überraschte ihn dennoch, und er flüsterte Bunthe zu: »Das ist ja gerade, als wenn der Großtürke einzöge in eine eroberte Stadt. Ist etwas Besonderes vorgefallen, was die Leute verstört und zornig gemacht hat?«

»Besonderes nicht«, erwiderte der Propst. »Sie sind nur ungehalten, daß die Lutherei nun ein Ende haben soll.«

»Ihr habt sie doch nicht etwa vorzeitig gereizt, habt vorderhand Duldung und Schonung geübt?«

»Die allergrößte«, log Bunthe frech.

»Das ist gut. Der Kurfürst will noch zurückhalten mit scharfen Maßregeln, solange wir die Leute brauchen.«

»Wir brauchen sie nicht mehr«, versetzte Bunthe kurz.

Bacharell zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe. »Wir brauchen sie nicht mehr? Wieso?«

Der Propst legte ihm leicht die Hand auf den Arm und sagte ebenfalls mit gedämpfter Stimme: »Ich bitt' Euch, ehrwürdiger Pater, erwirkt mir sogleich eine Audienz beim Kurfürsten. Will mich der Herr vor Tische nicht mehr hören, dann sobald wie möglich danach und auf jeden Fall, ehe er die Abgeordneten des Rates und der Ritterschaft empfängt. Sein Bescheid auf die Klagen und Fragen des Adels und der Städte wird anders ausfallen, wenn er mich gehört hat. Ich habe ihm Eröffnungen zu machen, die wichtiger sind, als alles andere. Ich kann Seiner Gnaden zusichern, daß die Fehde mit dem Wintzingerode in vier Tagen beendet sein wird.«

Bacharell fuhr erschrocken in die Höhe. »Der Mensch will sich doch nicht etwa unterwerfen?«

»Durchaus nicht, aber man kann ihn unschädlich machen. Ihr werdet Euch des Todes wundern.«

»Ihr werdet der erste sein, den der Herr empfängt, verlaßt Euch darauf«, erwiderte Bacharell.

Zunächst schien es freilich, als wolle der Kurfürst am heutigen Tage überhaupt niemand mehr empfangen. Er erklärte sich für ermüdet und angegriffen von dem Ritte, und der war allerdings bei der Junihitze und dem Staub anstrengend genug gewesen. Er zog sich sofort in seine Gemächer zurück und behielt nur Bacharell und Thyreus bei sich, mit denen wollte er speisen. Indessen schon nach einer Stunde hatte Bunthe die Genugtuung, daß man nach ihm schickte, und nach einer weiteren halben Stunde ward auch Stralendorf gerufen. Aus dem gemeinsamen Mahl wurde eine ganz geheime Ratssitzung. Die Diener wurden entfernt, die Türen fest verriegelt, ein Posten auf der Treppe verwehrte jedem den Aufstieg. Erst gegen fünf Uhr verließen Bunthe und Stralendorf das Gemach wieder. Der Kurfürst eilte ihnen noch einmal nach und drückte Bunthe die Hand und nannte ihn seinen lieben Propst und versicherte beide seiner höchsten Gnade und Dankbarkeit. Er war kaum wiederzuerkennen, so frisch und verjüngt sah er aus.

»Was ihn am meisten freuen wird, wußte der Herr noch gar nicht«, raunte Bunthe im Hinabsteigen seinem Begleiter zu. »Morgen gegen Abend fällt uns das Weib in die Hände, nach dem er sich verzehrt.«

Stralendorf fuhr zusammen. »Ihr habt Nachricht?«

»Ich bekam sie vorhin, ehe ich zum Herrn gerufen wurde. Ihr tut gut, noch heute abend alle Wege zu besetzen, die von Westen her aufs Eichsfeld führen. Sehr möglich, daß sie nicht die gerade Straße zieht, sondern den Weg über die Ohmberge wählt. Ein paar hundert Knechte können ja leicht hier abkommen. Sie kann Euch nicht entwischen, wenn Ihr's halbwegs klug anfangt.«

»Verdammt! Das trifft sich schlecht!« rief Stralendorf. »Ich kann doch morgen nicht fehlen bei der Lehnshuldigung des Grafen! Was würde Seine Gnaden sagen, wenn der Landeshauptmann derweilen verritten wäre!«

Er sagte das mit dem Ausdruck des Ärgers und des Unwillens, innerlich aber freute er sich mächtig. Denn längst hatte er darüber nachgesonnen, ob er nicht unter irgendeinem Verwande wenigstens persönlich dem Bubenstück des Propstes fern bleiben könne. Die Verantwortung für den ruchlosen Überfall mußte er ja mit auf sich nehmen, und er hoffte auch, den klingenden Lohn dafür einzuheimsen. Aber seine eigenen Hände wollte er nicht gern durch die Gewalttat beflecken. So kam ihm Bunthes Nachricht sehr gelegen.

»Ihr habt recht«, knurrte der Propst verdrießlich. »Da dürft Ihr freilich nicht fehlen. Schade, schade! Ich hätte Euch den guten Fang gegönnt. Habt Ihr einen unter den Rottenführern oder unter den Rittmeistern, dem Ihr die Arbeit anvertrauen möchtet?«

»Mehr als einen«, versetzte Stralendorf. »Da ist vor allem der Stephan Riedinger, ein überaus schlauer, verschlagener Mann, von früher her zudem noch ein Todfeind des Wintzingerode, der ihm bei Sievershausen ein Auge ausgerannt hat.« Bei sich selbst setzte er hinzu: »Außerdem der gewissenloseste, niederträchtigste Halunke, der Gottes Welt durch sein Dasein schändet, der paßt dazu.«

»Gut, gut!« murmelte Bunthe. »Gebt ihm ja genau Instruktion. Ein Mißlingen des Anschlages fällt auf Euch zurück und kann Euch die Gnade des Kurfürsten kosten.«

»Der Herr weiß ja nichts von dem Plan«, warf Stralendorf ein.

»Er wird ohne Zweifel davon erfahren, wenn nicht durch uns, dann durch andere, auch wenn er mißglückt. Ich rate Euch, laßt Euch den Rittmeister sobald als möglich rufen und sendet ihn noch heute abend aus.«

»Es soll geschehen«, entgegnete Stralendorf und trennte sich von ihm mit einem Händedruck. Er eilte die letzten Stufen schnell hinab und prallte, als er um die Ecke bog, mit einigen Junkern unsanft zusammen, die eben im Begriff standen, die Treppe zu ersteigen. Es waren die edeln Herren Wilko von Bodenhausen, Heinz und Hans von Westernhagen und Bertram von Wintzingerode.

Stralendorf entschuldigte sich höflich und fragte nach ihrem Begehr. »Wir kommen als Abgesandte der Ritterschaft und müssen sogleich Seine Kurfürstlichen Gnaden sprechen«, rief Wilko von Bodenhausen.

»Das wird nicht angehen«, sagte Bunthe, der langsam die Treppe hinabkam. »Der Kurfürst ist ermüdet und wünscht Ruhe.«

»Hat er ein Ohr für seine Pfaffen, so muß er auch ein Ohr für den Adel haben!« schnaubte der dicke Heinz von Westernhagen.

Bunthe warf ihm einen hochmütigen Blick zu. »Über das, was der Herr tut oder läßt, geziemt Euch nicht abzuurteilen.«

Der Junker wurde vor Zorn puterrot und griff an sein Schwert. »Willst du mich maßregeln, armseliger Pfaff?« schrie er. »Denkst du, du kannst so mit einem Ritter reden, weil dir dein Herr ein goldnes Kreuz um den Hals gehängt hat? Was bist du denn eigentlich? Nichts als ein entlaufener Knecht Bartholds von Wintzingerode!«

Der Propst fuhr zurück, als habe ein schimpflicher Streich seine Wange getroffen, und sein Antlitz erblich. »Das Wort wird Euch gereuen!« stieß er schwer atmend zwischen den Zähnen hervor.

»Kommt!« sagte Bertram von Wintzingerode und legte seine Hand auf Westernhagens Arm. »Wir können nicht mit Gewalt zum Kurfürsten dringen. Was wir ihm zu sagen haben, das müssen wir ihm morgen vor seinem ganzen Hofe sagen. Er selbst will es so.«

Er neigte flüchtig das Haupt gegen Stralendorf und wandte sich um. Bunthe streifte er mit keinem Blicke. Murrend und fluchend folgten ihm die andern.

Bunthe stand noch immer auf derselben Stelle und starrte ihnen nach, wie sie den Hörsaal durchschritten. Als die Tür hinter ihnen ins Schloß fiel, schrak er zusammen, und durch seine Gestalt flog es wie ein Krampf.

Stralendorf betrachtete ihn verwundert. So hatte er den Propst noch nie gesehen. »Kommt zu Euch!« sagte er. »Ihr seht ja aus, als habe Euer Geist Euch verlassen.«

Bunthe rang mühsam nach Fassung. Er ballte die Fäuste und biß sich die Lippen blutig, um ruhig zu erscheinen. »Verfluchtes Junkerpack!« knirschte er leise.

Dies Wort verletzte Stralendorf, und mit einer gewissen spöttischen Neugier fragte er: »Was meinte denn der dicke Halunke, als er Euch einen Knecht des Wintzingerode nannte?«

Der Propst ächzte vor Wut. »Eine infame Lüge!« zischte er. »Ich werde Euch die Sache noch erzählen, auf die er anspielt. Jetzt aber nicht, in ein paar Tagen, wenn wir den alten Wolf gefangen haben. Jetzt eilt vielmehr, daß Ihr nichts versäumt! Ich muß allein sein, muß Ruhe haben.«

Er winkte ihm mit der Hand zu und trat in ein Seitengemach. Stralendorf entfernte sich kopfschüttelnd. »Das ist ja seltsam, der Teufel werde daraus klug«, murmelte er vor sich hin.


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