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Wo das Ohmgebirge, das im Osten des Eichsfeldes Grenze bildet, zum Tal des Flüßchens Hahle jäh hinabfällt, da erhob sich auf einer schroffen, kurz vorgestreckten Bergnase die uralte Burg Bodenstein. Wer über die Berge kam, der traf zunächst auf die Vorburg. Dort lagen die Wirtschaftsgebäude, die Gelasse für Knechte und Mägde, die Ställe für die Pferde, deren Ritter Barthold eine große Zahl hielt. Auch das Gebrumm der Rinder war zu vernehmen, und auf dem nur in der Mitte und längs der Gebäude gepflasterten Hofe wälzten sich grunzend unzählige Borstentiere, denen die ungeheuren Eichenwälder der Umgebung überreichliche Mast boten. Schon dieser Teil der Burg war stark befestigt durch einen breiten und tiefen Graben und eine mächtige Ringmauer, die hier und da ein stumpfer, kurzer Rundturm überragte. Nur ein starker und mit Geschütz wohl versehener Feind durfte hoffen, hier den Eingang zu erzwingen, und darum war es dem wilden Bauernheere, das vor achtundvierzig Jahren Thomas Münzer und Heinrich Pfeiffer vor die Burg geführt hatten, nicht gelungen, das Schloß zu stürmen. Mit blutigen Köpfen hatte sie Barthold von Wintzingerode, damals ein Jüngling, dem kaum der Bart sproßte, von seinen Mauern heimgeschickt. Das war die erste Waffentat des Ritters gewesen, und sie hatte den Ruf der Uneinnehmbarkeit, den der Bodenstein von altersher genoß, von neuem befestigt.
Drang aber auch wirklich ein Feind in diesen Teil des Schlosses ein, so waren die Herren der Burg noch keineswegs verloren. Sie brauchten sich dann nur über die Zugbrücke zurückzuziehen in die Hauptburg, die auf der vordersten steilen Felsgruppe gewaltig emporragte.
Hier, wo einst die wilden Sachsen dem Wodan ihre Opferfeuer entzündet hatten, stand seit mehr als fünfhundert Jahren eine Feste, die ihre Lage fast unüberwindlich machte. Nach drei Seiten fiel der Fels kirchturmtief glatt und steil ins Tal hinab, nach Norden zu in einer Terasse, die etwa dreißig Fuß unter dem Gipfel sich vorschob und durch eine ungeheure Ringmauer mit in den Kreis der Befestigungen eingeschlossen war. Von dieser Seite her mußte jeder feindliche Ansturm vergeblich sein. Nur von Süden her war es möglich, die Burg zu berennen, aber auch hier stellten sich dem Feinde die schwersten Hindernisse entgegen. Stand er dem Brückentor gegenüber, so gähnte zu seinen Füßen ein tiefer Felsengraben, und drüben starrten ihm zwei mächtige Türme entgegen, die links und rechts die Zugbrücke deckten. Wollte man die Burg stürmen, so blieb nichts anderes übrig, als zuvörderst in den Graben hinabzuklettern und dann mit Leitern die Mauern emporzuklimmen – ein schwierig Ding, denn Barthold von Wintzingerode verfügte über eine stattliche Schar von Feldschlangen und Wallbüchsen.
So war es denn kein Wunder, daß die von Wintzingerode mit stolzem Selbstgefühl auf ihre feste, unbezwingliche Burg hinblickten. Sie hatten im Laufe der mehr als zwei Jahrhunderte, seitdem sie das Schloß im Besitz hatten, schon manchem mächtigen Feinde hier Trotz geboten, und nie hatte ein feindlicher Fuß ihr Felsennest betreten. Längere Belagerungen hatten ebensowenig jemals zum Ziel geführt, wie plötzliche nächtliche Überfälle. Waren die Wintzingerode auch im Felde nicht immer glücklich, in ihrer festen Burg hatten sie stets eine sichere Zuflucht gefunden. Sie waren meist sehr fehdelustige Herren gewesen, denen das Schwert gar locker in der Scheide hing, und von jeher wenig gewillt sich zu beugen. Sie gingen bei vielen Herren zu Lehn, aber keinem bezeigten sie einen sonderlichen Respekt, und da sie behaupteten, ihr Stammgut Wintzingerode vom Reiche selbst zu Lehn zu tragen, und da ihnen niemand das Gegenteil beweisen konnte, so fühlten sie sich im Innersten den freien Reichsrittern und Dynasten gleich.
Der Stolzeste und Eigenwilligste aber von allen, die jemals vom Bodenstein als Herren ins Tal hinabgeblickt hatten, war der jetzige Besitzer der Burg, der Ritter Barthold von Wintzingerode. Er war jetzt fünfundsechzig Jahre alt, aber dem riesenstarken Manne, der das mächtige Haupt mit der Eulennase und den funkelnden Augen so aufrecht auf den breiten Schultern trug, merkte man nur an dem eisgrauen Barte an, daß er schon im Greisenalter stand. Der Schnitt des Bartes gab ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit dem alten sächsischen Bekennerkurfürsten Johann Friedrich, und das war des Ritters Stolz. Denn er war ein Rittmeister und treuer Diener dieses unglücklichen Fürsten gewesen. Eine breite, blutrote Narbe, die über die linke Stirnseite hinlief und sich unter dem dichten grauen Haupthaar verlor, zeugte für Zeit seines Lebens von seiner wilden Tapferkeit, die er im Dienste des Kurfürsten bei Mühlberg bewiesen hatte. Im übrigen hatte er in seinem Äußeren wenig von dem dicken, schwerfälligen Johann Friedrich, er war eher hager als beleibt, und alle seine Bewegungen waren rasch, jäh, eckig und herrisch.
Heute saß der Ritter im hohen, holzgetäfelten Gemach allein vor dem ungeheueren, wuchtigen Eichenholztisch, an dem die Familie mit ihren Gästen und den reisigen Knechten die Mahlzeiten einzunehmen pflegte. Es war ungefähr zehn Uhr vormittags, und das war eine frühe Tageszeit für einen, der bis nach Mitternacht beim Becher gesessen und im Trinken redlich seinen Mann gestanden hatte.
Denn zu Frau Käthes, des Ritters adeliger Hausfrau, heimlichem, aber großem Mißfallen war der gestrige Tag wieder einmal mit einem weidlichen Gelage zu Ende gegangen. Der Bodenstein beherbergte zur Zeit Gäste, soviele wie seit lange nicht. Seit fast zwei Wochen hielt sich in seinen Mauern der polnische Edelmann Casimir Kaminski auf, ein langer, bleicher, stets in tiefstes Schwarz gekleideter Mann mit einem unendlich hochmütigen Ausdruck in den verlebten Zügen. Wollte man seinen Worten trauen, so hatte er freilich alle Ursache, auf das gewöhnliche Menschenvolk voller Hochmut hinabzusehen. Denn er war ein Nekromant, er besaß die tiefste Einsicht in die geheimnisvollen Kräfte der Natur. Gold machen aus unedelm Metall, das konnte er nicht, wie er freimütig zugab. Dagegen war ihm das Geheimnis der Multiplikation aufgegangen, er konnte eine beliebige Masse Goldes verzehnfachen, ja, wenn die Sterne günstig waren, sogar um das hundertfache vermehren. Barthold hatte diesen Wundermann in Nordhausen kennen gelernt und ihn dringend gebeten, mit ihm auf den Bodenstein zu kommen und dort seine Kunst zu erproben. Nach einigem Sträuben war der Pole ihm willfährig geworden und hatte mit einem Diener Einzug in die Burg gehalten, während er den anderen Begleiter und seine Pferde in Nordhausen zurückgelassen hatte. Die Nacht des zwölften Tages im zwölften Monat, die zugleich den Vollmond bringen sollte, hatte er für überaus günstig erklärt und dem Ritter eingeschärft, bis dahin eine möglichst große Summe von Goldgulden zu beschaffen. Der Pole hauste mit seinem Diener in drei Zimmern des rechten Flügels, überdies war ihm noch ein Laboratorium eingerichtet worden in dem Obergeschosse des Kornhauses, das in die Ringmauer der Burg auf der Nordseite eingebaut war.
Der fremde Edelmann war jedermann im Schlosse, den Burgherrn allein ausgenommen, unheimlich, und Frau Käthe konnte nie ein Grauen unterdrücken, wenn sein bleiches Gesicht irgendwo auftauchte. Dagegen war gestern ein Gast in den Schloßhof eingeritten, den sie mit heller Freude begrüßt hatte. Das war der junge Ritter Heinrich von Bünau, ein entfernter Verwandter ihrer seligen Mutter. Schon seit mehreren Jahren war ihre älteste Tochter Anna ihm versprochen, und nächstes Frühjahr, an seinem sechsundzwanzigsten Geburtstage, sollte die Hochzeit sein. Der Junker war Frau Käthes erklärter Günstling und auch ihrem Gatten ein hochwillkommener Eidam, denn er war nicht nur begütert und von altem, edeln Geschlecht, sondern auch stattlich von Ansehen und von einem so hellen, freudigen, gehobenen Wesen, daß jeder fröhlich wurde in seiner Gegenwart, und daß ihn männiglich lieb hatte. Er wußte wohl, daß seine Erkorene zur Zeit in Mainz bei einer Patin und Erbtante weilte, die ihrem seligen Heimgang bei großer Leibesschwachheit entgegensah, und daß er sie also auf dem Bodenstein nicht vorfinden werde. Aber da er als Gesandter über das Eichsfeld zog, um dem Herzog von Grubenhagen eine Botschaft seines Kurfürsten zu überbringen, so hatte er den kleinen Umweg nicht gescheut und wollte auf der befreundeten Burg nächtigen. Sein Begleiter, der junge kurfürstliche Rat Doktor Neyher, hatte sich unschwer überreden lassen, von der geraden Heerstraße mit ihm abzuweichen. Er durfte annehmen, daß er als Bünaus Freund jedenfalls willkommen sei, und zudem war die Gastfreundschaft des Bodensteins im ganzen Lande fast sprüchwörtlich.
Sie wurden denn auch mit Freuden aufgenommen und mit allem bewirtet, was das Haus darbieten konnte. Frau Käthe erschöpfte sich dabei in Fragen nach dem Wohlergehen unzähliger Vettern und Basen im Sachsenlande, die sie seit Jahren nicht gesehen, und Bünau in seiner freundlichen und liebenswürdigen Weise stand ihr bereitwillig Rede und Antwort. Auch sein Reisegenosse wußte sich durch sein höfliches, vornehmes Wesen ihre Gunst zu erwerben, und mit mütterlichem Stolz bemerkte sie, daß ihre zweite Tochter Sophie, ein hübsches, frisches Kind von siebzehn Jahren, einen unverkennbaren Eindruck auf den hochgelehrten jungen Rat des Kurfürsten hervorbrachte. Was hatte sich aus solch zufälliger Bekanntschaft manchmal schon entsponnen! Wie oft hatten sie zu Verspruch, Brautstand und Hochzeit geführt! Und Reyher war gewiß nicht zu verachten, denn war er auch nicht von altem Adel, die Gunst des Kurfürsten erschloß ihm eine gute, vielleicht sogar glänzende Zukunft. Das Ehestiften galt damals in deutschen Landen für ein höchst löbliches und verdienstliches Werk, fürstliche Damen sahen darin eine ihrer wichtigsten Aufgaben – kein Wunder, daß der guten Edelfrau allsogleich der Gedanke kam, die beiden könnten wohl ein Paar werden. Sie hatte ja drei Töchter zu versorgen und unter die Haube zu bringen, deren jüngste freilich noch ein Kind war. Schade, daß die beiden Freunde nicht Herren ihrer Zeit waren und im Fürstendienste morgen schon weiterreisen mußten. Umsomehr erhoffte sie von dem traulichen Zusammensein am Abend im Familienkreise.
Ein tückisches Geschick aber durchkreuzte ihre Pläne. Denn beim Abendgrauen verkündete des Torwächters Horn das Herannahen neuer Gäste, und vier Ritter sprengten auf den Schloßhof. Es waren die Vettern Hans und Heinz von Westernhagen mit ihren erwachsenen Söhnen, sehr ehrenfeste und achtbare Herren, aber alle vier begabt mit ungewöhnlich trunkfesten Kehlen. Der dicke Heinz, der wie eine Tonne auf seinem unförmigen, breiten Schimmel saß, verkündete sogleich mit schallender Stimme, er sei gekommen, um den neuen Frankenwein zu probieren, von dem seines Wissens vorige Woche ein Fuder über Worbis eingetroffen sei, und der lange Hans, der ungern Worte machte, schielte sehnsüchtig nach dem Keller und strich bedeutungsvoll den spitzen, grauen Bart. Unter tiefem Seufzen gab Frau Käthe die schweren Trinkgefäße heraus, die für gewöhnlich in dem massiven, mit Schnitzwerk reich verzierten Prunkschrank aufbewahrt wurden. Sie hatte ja nichts gegen das Trinken der Männer einzuwenden, sie wußte, daß ein fester Ritter auch im Trunke seinen Mann stehen mußte, wollte er nicht als ein Schwächling den andern zum Gespött dienen. Sie hatte sich früher immer herzlich gefreut, wenn ihr erzählt wurde, wie wacker ihr Eheherr bei Landtagen und Festen sich beim Trunke gehalten, wie er anno sechzig zumal bei der Hochzeit des Grafen Günther von Schwarzburg sogar den bechergewaltigen Bürgermeister von Arttstadt unter den Tisch getrunken hatte. Sie wußte, daß er es auch jetzt noch mit dem Jüngsten aufnahm, aber bei seinen Jahren war ihr die Sache bedenklich. Hatte doch erst vor kurzem den trinkfrohen Grafen von Mansfeld, einen Altersgenossen ihres Ritters, mitten in einem großen Zechgelage ein Schlagfluß vom Leben zum Tode gebracht. Und nun mußten diese Westernhagen gerade heute in die Burg einfallen! Indessen als eine kluge Frau fügte sie sich mit Würde in das Unvermeidliche. Sie begrüßte, freilich mit etwas sauersüßer Miene, die ungeladenen Gäste, ließ den Herren wacker auftafeln und zog sich dann mit ihren Töchtern schleunigst in die Frauengemächer zurück. Denn wenn sie auch, wie alle ihresgleichen, einen derben Scherz gar wohl vertragen konnte, so hielt sie es doch für besser, daß Mädchenohren den Gesprächen der Männer beim Weine fern blieben. Der Zwang, den die Herren sich durch die Gegenwart der Frauen in ihren Reden auferlegten, war zumeist sehr gering.
Der Abend verlief dann, wie die Abende fast immer zu verlaufen pflegten, wenn rittermäßige Freunde zusammensaßen. Man trank einander unermeßliche Mengen zu, wurde lustig und lärmend, lachte und sang mit rauher Kehle. Der junge Westernhagen trug ein Spottlied vor auf Herzog Alba, den spanischen Hund, der eben durch seine Greueltaten in den Niederlanden den Haß aller Protestanten auf sich geladen hatte. Den Endreim sangen alle mit, indem sie dabei dröhnend und brüllend auf den Tisch hämmerten. Waren die Herren einmal verschiedener Meinung, so prasselten sie mit Worten heftig aufeinander los, und ihre gegenseitigen Bezeichnungen waren durchaus nicht schmeichelhaft. Aber die Eintracht ward bald wieder hergestellt und die Versöhnung durch einen gewaltigen Trunk besiegelt.
So hatte man um Mitternacht ein großes Faß des schweren, feurigen Frankenweins bis auf die Neige geleert. Die Folgen waren deutlich sichtbar, alle hatten einen guten Rausch. Aufrecht stehen konnten nur noch Barthold und der lange Hans von Westernhagen, der ernst und schweigsam bei weitem das meiste getrunken hatte. Heinz von Westernhagen lag mit einem glücklichen Lächeln neben seinem Stuhle auf dem Estrich und schnarchte. Er mußte von den Knechten in seine Kammer getragen werden. Auch die anderen bedurften gar sehr des Beistandes kundiger Diener, seine Lagerstätte hätte keiner allein gefunden!
Nun schliefen sie alle noch den Schlaf des Gerechten, obwohl der helle Schein der Morgensonne schon längst durch die kleinen grünlichen Butzenscheiben fiel. Nur Barthold hatte sich dem dicken Federpfühle entrungen und sich an den Frühstückstisch gesetzt. Da die andern nicht da waren und kein Mensch sagen konnte, wann sie erscheinen würden, so begann er, den guten Dingen zuzusprechen, die seine Hausfrau aufgetragen hatte. Sein Antlitz war etwas mehr gerötet als sonst, im übrigen war von dem scharfen Trunke der vergangenen Nacht nichts an ihm wahrzunehmen. Mit großem Eifer bearbeitete er den mächtigen Schinken, der vor ihm stand, und trank in starkem Zuge das wohlschmeckende Eierbier, das er früh besonders liebte.
Nach einer Weile erschien auch Hans von Westernhagen und begrüßte ihn mit einem Kopfnicken und einem kurzen, unwirschen Gebrumm, da er am Morgen nicht zu sprechen pflegte. Auch er widmete sich mit allem Eifer all dem Gesalzenen und Geräucherten, mit dem der Tisch besetzt war; beim ersten Bissen von einer großen Schlackwurst entfuhr ihm sogar ein kurzes Wort der Anerkennung.
»Ein tüchtig Weib ist Frau Käthe, das muß ihr der Neid lassen«, bemerkte er, indem er eine riesige Scheibe der Wurst in seinem großen Munde verschwinden ließ. Vielleicht hätte er kauend noch etwas zu ihrem Lobe hinzugefügt, aber er wurde unterbrochen, denn Bartholds alter Diener Jakob Holstein erschien in der Tür.
»Der Gestrenge hat befohlen, daß ich um zehn Uhr den gefangenen Geilhaus herführen soll«, meldete er.
»Richtig, das hatt' ich fast vergessen, so führe ihn mit dem Schreiber herein«, erwiderte sein Herr. »Ich will den Schuft heute seiner Haft entledigen«, wandte er sich erklärend an seinen Freund.
»Der Kerl hätte den Strang verdient«, bemerkte Westernhagen.
«Das hätte er. Aber noch einmal will ich ihm Gnade erweisen, das letzte Mal. Treffe ich ihn wieder auf meiner Wildbahn, dann gnade ihm Gott!«
»Gerade den ließe ich hängen, das ist ein gefährlicher Mensch. Ein Schwarmgeist, ein Winkelprophet. Habt schon von ihm gehört. Hast ja den Blutbann auf deinem Grunde«, entgegnete Westernhagen.
»Hätt' ich den Kerl auf frischer Tat ertappt, vielleicht hätt' ich ihn im Zorne niedergeschlagen. Du weißt ja, wie ich bin. Aber um einer Wildsau willen einen Menschen an den Galgen hängen und das Gewinsel seines Weibes mit anhören, das mag ich nicht. Er hat mit heute ein halb Jahr im Turm gesessen, das soll genug sein.«
»Ein absonderlich Blut, Ihr Wintzingerodes«, bemerkte Westernhagen. »Nach oben hart und starr, nach unten zu weich. Die meisten Menschen sind umgekehrt.«
»Milde gegen den armen Mann hat mich noch nie gereut«, erwiderte Barthold. »Warum konnte ich mit meiner Mutter selig allein gegen den Bundschuh mein Schloß halten? Weil keiner von meinen Leuten zu dem Münzer lief. Ich konnte mich auf sie verlassen. Ihr wart doch auch keine Memmen, aber Ihr mußtet Euch ducken, weil Ihr Eurer Leute nicht sicher waret.«
»Ja, ja«, sagte der andere verdrießlich, denn er hörte nicht gern von diesen Zeiten reden. »Das hast du schon hundertmal erzählt. Tu', was du willst. Mögs dich nicht gereuen.«
Indem wurde der Gefangene ins Zimmer geführt, ein hoch gewachsener Mann, dem das lange Haar und der verwilderte schwarze Bart unheimlich um das gelblich-bleiche, hagere Antlitz hingen. Hände und Füße waren mit starken eisernen Ketten beschwert. Seine Augen hielt er gesenkt, nur verstohlen flog ein stechender Blick hinüber zu dem Ritter, der hinter dem Tisch auf seinem Lehnstuhle saß.
»Arnold Geilhaus«, begann Barthold, »du sitzest mit dem heutigen Tage ein halbes Jahr in meinem Turme. Du weißt, daß ich dich richten könnte, denn wer zweimal auf fremder Wildbahn betroffen wird, hat den Strang verdient. Doch noch einmal, das letzte Mal will ich Gnade üben. Willst du beschwören, daß du dich nicht rächen willst weder an mir noch an den Meinen für die gerechte Strafe, die du für deine Missetat erlitten hast?«
Ein Blitz zuckte über das finstere Gesicht des Gefragten. »Ich will«, erwiderte er mit dumpfer, gepreßter Stimme.
»So nimm ihm die Ketten ab, Jakob!« befahl Barthold, »und du, Schreiber, sprich ihm den Eid vor.«
Es geschah. Beilhaus sprach den Eid der Urfehde nach. Das Schriftstück wurde gesiegelt, und da der Gefangene kein Siegel führte, so drückte Hans von Westernhagen sein Petschaft darauf zum Zeugnis dessen, was geschehen war.
»Nun erlöse mich von deiner Gegenwart. Jakob, führe ihn zur Burg hinaus. Doch halt!«, rief Barthold, als der Befreite nach der Tür zu schwankte. «Noch einen Rat gebe ich dir, Geilhaus, befolge ihn, wenn du klug bist. Lasse dich von meinen Vettern deines Eides entbinden, wenn auch die Försterstelle gut ist, die du in ihrem Dienste hast. Mache dich fort aus Wintzingerode, die Bodensteiner Luft ist dir nicht gut. Hüte dich, mir wieder zu begegnen, hüte dich!«
Geilhaus erwiederte nichts, und Jakob führte ihn zur Tür hinaus.
»Ein feiner Vogel, Herr Vater, den Ihr da habt fliegen lassen«, sagte Bünau im Hereintreten. »Der Kerl warf mir einen Blick zu – da lag die Hölle drin.«
»Blicke schaden nichts«, sagte Barthold gelassen. »Meinetwegen mag mich einer noch so giftig anstieren, darüber lach' ich nur. Geilhaus wird sich verteufelt hüten, mir noch einmal zu nahe zu kommen. Ich hoffe, daß wir die Bremse bald ganz aus der Gegend verlieren.«
Allmählig versammelte sich die ganze Familie mit ihren Gästen am Frühstückstisch. Nur der polnische Edelmann ließ sich entschuldigen, er hatte schweres Kopfweh, denn er trank zwar viel, vertrug aber nichts. Ebenso fehlte Heinz von Westernhagen, der aus seinem Bärenschlafe nicht zu erwecken war. Man beschloß, ihn ruhig liegen zu lassen; mochte er heimreiten, wenn er erwachte und es ihm gefällig war aufzustehen. Die andern rüsteten sich, den beiden Sachsen ein Stück Wegs das Geleite zu geben, denn für die war es die höchste Zeit geworden, abzureiten.
»Wenn im Mai der Bodenstein ein hochzeitlich Gewand trägt, so hoffe ich wieder Euer Gast zu sein. Freund Bünau will, daß ich einen seiner Brautführer abgebe«, sagte Reyher, als er auf dem Schloßhofe vom Pferd herab noch einmal der Schloßherrin die Hand zum Abschied reichte.
Frau Käthe nickte ihm lächelnd zu, »Ihr werdet stets auf dem Bodenstein willkommen sein, Herr Doktor«, sagte sie fröhlich.
»Und ich komme gern wieder hierher!« rief Reyher mit einem so sprechenden Blick auf die zur Seite stehende Sophie, daß ihr das Blut in die Wangen trat und sie sich verwirrt abwendete. »Einstweilen gehabt Euch wohl, hochedle Frau und Jungfrau. Gott halte Euch in seiner Hut!«
Donnernd sprengte der Zug über die Brücke, eine stattliche Reiterschar, denn es folgten ihnen noch zehn gewappnete Knechte mit blitzenden Stahlhauben und den Wintzingeroder weiß und roten Feldbinden. Barthold wollte seinen künftigen Schwiegersohn bis Heiligenstadt begleiten, wo er ohnehin mit einem Roßkamme zu handeln hatte, und kehrte vor Dunkelheit schwerlich heim. Deshalb erschien es ihm rätlich, nicht allein zu reiten, denn bei den unruhigen Zeiten war ein einzelner jederzeit einem Überfall ausgesetzt. Auch wußte er gar wohl, daß er da und dort in den Schlössern des Eichsfeldes manchen heimlichen Feind sitzen hatte. Begegnete er einem unversehens, so mochte es leicht zu einem Wortwechsel kommen und dann zu scharfem Schwertschlag.