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So frei und leicht war es Herrn Barthold seit langer Zeit nicht zumute gewesen, wie jetzt, als er an der Spitze seiner Knechte auf der Heerstraße dahinritt. Die Entscheidung war endlich da: es sollte Krieg sein. Er hatte getan, was er tun konnte, um den Frieden zu erhalten, es war ihm hart genug angekommen, sein stolzes und trotziges Herz zu überwinden und dem Manne, den er haßte und mißachtete, als ein Bittender entgegenzutreten. Nun war sein Opfer verworfen, er mußte zum Schwert greifen um seiner eigenen Sicherheit, um seiner Selbstachtung und um des Evangeliums willen. Seit Jahren hatte er Händel mit Mainz, mancher Knecht des Erzbischofs kannte die Gefängniszellen des Bodensteins nur allzu genau, manches Schreiben voller Hohn und Verachtung hatte er dem Pfaffen am Rhein zugesandt. Dem sollte er sich nun als Vasall unterwerfen, dem Manne, der auch die Ehre seiner Tochter bedroht hatte? Nimmermehr! Dem Mainzer huldigen, das brachte er nie übers Herz, lieber wollte er sterben. Hätte er aber wirklich seinen Stolz so weit erniedrigt, wer bürgte ihm dafür, daß die beleidigten Pfaffen nicht ihre Rachsucht an ihm kühlten, wenn er sich selbst in ihre Gewalt begab?
Vor allem aber wollte er das verteidigen, was ihm das Teuerste war, Gottes Wort und Luthers Lehre. Es gab wenig in der Welt, wofür Herr Barthold einen Vorteil an Geld, Ehre und Gütern dahingegeben hätte, und seine adligen Genossen im Eichsfeld dachten nicht anders als er. Aber das Evangelium machte eine Ausnahme, es war diesen Leuten allen heiliger und bitterer Ernst, wenn sie in ihren Kirchen die Worte des lutherischen Trutzliedes sangen: Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib, laß fahren dahin – – –.
Aber leider, leider – Herr Barthold konnte sich das nicht verhehlen – waren sie alle außer ihm wohl im Notfall zu Leiden bereit, aber vor dem kräftigen, rücksichtslosen Handeln scheuten sie zurück. Das Wort: Seid Untertan der Obrigkeit – alle Obrigkeit ist von Gott verordnet, lähmte ihre Hände. Nicht die Feighcit hielt ihr Schwert in der Scheide, sondern die überängstliche Gewissenhaftigkeit. Gott hatte ihnen nun einmal – freilich im Zorne – diesen Oberherrn gegeben, darum bedeutete eine Rebellion gegen ihn in ihren Augen eine Sünde gegen Gottes Ordnung. Sie glaubten von vornherein nicht an den guten Ausgang einer Sache, die nach ihrer Meinung dem Gebote der Schrift zuwiderlief.
Ob es wohl möglich war, wenigstens einige von ihnen aufzurütteln, wenigstens einigen die Augen zu öffnen für die ungeheure Gefahr, in der das Ländchen schwebte? Ob wohl einer es begreifen würde, daß eben das, was heute einem Wintzingerode geschah, morgen einem Hanstein oder Hagen oder Bodenhausen geschehen konnte?
Vielleicht begriff das keiner, und es gelang ihm nicht, unter dem landsässigen Adel einen Bundesgenossen zu finden. Dann stand ihm allerdings ein Kampf bevor, mit dem verglichen alle Fehden seines bisherigen Lebens harmlose Scharmützel gewesen waren, ein Kampf auf Leben und Tod.
In diesem Falle war er fest entschlossen, bei den Städten des Landes Hülfe zu suchen. Zwar in Worbis war nichts zu machen; das Städtchen war nichts als ein ummauertes großes Dorf. Die Bewohner nannten sich zwar mit großem Stolz Bürger, waren aber nichts anderes als friedliche Bauern. Dagegen in Duderstadt und Heiligenstadt durfte er wohl auf Anhang rechnen. Denn beide Städte waren längst mit dem erzbischöflichen Regiment unzufrieden und durch die Übergriffe der katholischen Priester erbittert und gereizt. Zumal in Heiligenstadt war die Bürgerschaft aufgebracht gegen die Pfaffen; Leute wie Hugold waren dort gar nicht selten. Gelang es, diese Männer zu sammeln und zu einem Bunde zu vereinigen, so ließ sich vielleicht viel mit ihnen ausrichten.
Vor allen Dingen aber beschloß Barthold, seine Vettern von dem Geschehenen in Kenntnis zu setzen. Sie waren beide auf dem Scharfenstein, denn sie wollten morgen in der Frühe von dort nach Heiligenstadt reiten. Deshalb bog er am Fuße des Dünberges von der breiten Straße ab und schlug den schmaleren Weg ein, der zu der Burg emporführte. Gegen neun Uhr kam er vor ihrem Tore an, und da der Wächter sträflicherweise schlief, so ward ihm erst nach längerem Rufen und Klopfen aufgetan.
Die Frauen der Burgherren mit ihren Kindern, sowie fast das ganze Gesinde, hatten sich schon zur Ruhe begeben, die beiden Junker selbst saßen aber noch beim Schlaftrunk.
»Endlich kommst du!« rief ihm Bertram entgegen, als er in das Gemach trat. »Wir haben lange auf dich gewartet, dachten schon, du hättest deinen Plan aufgegeben, mit uns morgen nach Heiligenstadt zu reiten.«
»Setze dich hierher«, sagte der dicke, behäbige Hans, ohne sich von der Stelle zu bewegen. »Der Krug langt auch für drei.«
»Ich danke Euch!« sagte Barthold näher tretend. »Ein Trunk wird mir allerdings guttun, denn ich bin scharf geritten.«
Er nahm den Becher, den ihm Hans eingoß, und stürzte ihn hinab. Dann setzte er ihn fest auf den Tisch. »Verzeiht, Vettern«, fuhr er fort. »Ich reite nicht mit nach Heiligenstadt, denn ich bin eben dort gewesen.«
»Du warst in Heiligenstadt?« rief Bertram erstaunt. »Heute schon? Warum?«
»Ich dachte, heute den Grafen leichter allein zu treffen als morgen, und überdies hatte meine Sache hohe Eile«, erwiderte Barthold.
»Und was hast du erreicht?« fragte Bertram aufs höchste gespannt.
»Nichts«, entgegnete Barthold, und indem er jedes einzelne Wort scharf betonte, fuhr er fort: »Der Vertrag zwischen Mainz und Hohnstein ist geschlossen. Ich kam zu spät.«
Bertram fuhr mit einem Schreckensruf empor und starrte ihm erbleichend ins Gesicht. Selbst Hans kam etwas aus seiner gewöhnlichen Ruhe und knurrte etwas Undeutliches, das wie »der Teufel auch« klang.
Dann schwiegen alle drei einige Augenblicke. »Was nun?« fragte endlich Bertram.
Barthold ließ sich in einen Lehnstuhl nieder, verschränkte die Arme über seinem Haupt und sprach langsam und ruhig, indem er ihm dabei voll in die Augen blickte: »Diese Frage, Bertram, hättest du dir selber beantworten können, denn es gibt darauf nur eine Antwort. Du weißt, Ihr wißt es beide, wie ich den Mainzer erbittert und verletzt habe, und was er mir angetan hat. Ich habe keinen schlimmeren Feind und kenne keinen gemeineren Hund als ihn. Dem Manne soll ich huldigen? Das geht mir gegen die Natur wie dem Wolfe das Grasfressen. Und selbst, wenn ich's wollte – was täte ich damit? Ich lieferte mich selbst dem Henker aus. Bekommt mich der Pfaffe in seine Hände, so kann ich der Welt Valet sagen.«
Er blickte düster vor sich nieder und fuhr nach einer Pause ebenso langsam und nachdrücklich fort: »Am meisten aber treibt mich zum Kampf die Sorge um unseren Glauben. Ich kann es nicht dulden, daß ein katholischer Pfaff Oberherr wird über mein Gericht. Das darf nie geschehen, denn dann zieht die römische Abgötterei wieder ein. Darum bleibt mir nur eines, und eine Wahl habe ich nicht: Ich muß meine Burg zu halten suchen, so groß auch die Macht ist, die gegen mich heranzieht, ich muß kämpfen bis zum äußersten.«
Es war nach diesen Worten wieder still in dem Gemach. Dann begann Bertram: »Daß ich niemals wieder ein Schwert gegen dich aufheben werde, Barthold, das brauche ich dir nicht zu sagen. Hans auch nicht. Keine Lehnspflicht kann uns zwingen, gegen das eigene Blut zu fechten. Aber wir sind geschworene Vasallen des Hohnsteiners. Wir sind auch Mainzer Lehnsträger. Wie dürfen wir wider unseren Eid die Hand gegen unsern Herrn erheben? Der Graf hat uns nie das geringste Leid angetan, nicht einmal einen Vorwand wüßt' ich, ihm die Lehnspflicht aufzukündigen.«
»So höre ich sie im Geiste schon alle reden, unsere trefflichen Genossen vom Adel!« sagte Barthold bitter. »Der Eid, der Eid! Das ist das Schild, hinter dem sie sich alle verkriechen!«
»Wundert dich das?« fragte Bertram. »Einen adligen Mann bindet sein Eid.«
»So bin ich wohl ein Eidbrüchiger in deinen Augen?« fuhr Barthold auf.
»Von dir ist nicht die Rede«, entgegnete Bertram ruhig. »Dir hat der Graf an deine Rechte gegriffen, und vieles, was geschehen ist, mußte dich zu seinem Feinde machen. Bei mir, bei fast allen andern ist das etwas ganz anderes. Ich bin Vasall des Hohnsteiners, die meisten Herren auf dem Eichsfelde sind Vasallen des Mainzers. Wohl wünschen sie alle, sie ständen lieber unter einem lutherischen Herrn. Aber sollen sie deshalb Aufruhr beginnen? Dürfen deshalb Untertanen zum Schwert greifen wider ihre gottgeordnete Obrigkeit?«
Barthold schlug eine rauhe Lache auf. »Ja, Bertram, wenn du dich zu den Untertanen rechnest, dann können wir uns freilich nicht verstehn!« rief er. »Donnerwetter, Kreuz und Hagel! Wir sind also Untertanen! Bis jetzt dacht' ich, wir wären Leute von edlem Blute, den Fürsten gleich, nur daß die mächtiger sind und reicher als wir. Bei Gott – was ist denn solch ein Fürst weiter, als ein dick und groß gewordener Edelmann! Und wodurch groß und dick geworden? Durch die Faulheit und Schlaffheit der anderen Edelleute, oft durch Lug und Trug!«
Bertram schwieg eine Weile, dann entgegnete er nachdenklich: »Es mag so sein. Aber was kann uns das jetzt kümmern? Die Fürsten haben unsern Lehnseid. Daran müssen wir uns halten. Solange der Kurfürst ihren Rechten nicht zu nahe tritt und sie in ihren Freiheiten ungekränkt läßt, sind die Mainzer Lehnsleute gebunden.«
»Ist das dein Ernst? Vergißt du, daß der Mainzer ein Pfaff ist?« rief Barthold grimmig.
»Und wenn er schon ein Pfaffe ist, ihren Eid müssen sie ihm doch halten«, entgegnete Bertram fest. »Eid ist Eid!«
»Nein, Bertram, das leugne ich und leugne es mit Recht!« rief Barthold. »Da hätte ja nie ein Mönch weltlich werden dürfen, denn er hatte nun einmal geschworen, zeitlebens in der Kutte zu stecken! Da hätte nie ein Fürst sich gegen den Kaiser auflehnen dürfen, denn sie hatten ihm alle gehuldigt. Da hätte kein Landesherr und kein Bischof reformieren und die päpstlichen Greuel abtun dürfen, denn er war mit heiligem Eide gebunden. Es gibt aber eben Eide, die nichts als Sünde sind. Das sind die Eide wider Gottes Wort. Nun sage selbst, Vetter: Wer ist denn der Papst? Der Antichrist. Das hat uns der selige Doktor Luther haarscharf bewiesen. Was sind die Bischöfe? Diener des Antichrists, also Teufelsdiener. Wie darf man ihnen Gehorsam geloben? Ist solch ein Eid nicht eine schwere Sünde?«
Bertram schüttelte den Kopf. »Ich erkenne in deinen Worten etwas Wahres, aber ich kann dir nicht folgen«, sagte er. »Du fliegst mir zu hoch. Es mag sein, daß die Gewaltigen der Welt manchmal etwas tun müssen gegen Eid und Gewissen. Ich aber bin ein einfacher Edelmann, kein Großer und Gewaltiger und bin auch schlichten Geistes. Ich komme über einen Eid nicht hinweg, selbst wenn ich ihn einem Schurken geschworen hätte.«
»Ist das auch deine Meinung, Vetter?« wandte sich Barthold an Hans. Der blickte ihn bekümmert an, denn es ward dem gutmütigen Manne nichts schwerer, als einem eine Bitte abzuschlagen. »Ja, Barthold, ja«, sagte er. »Auch ich kann dem Grafen meinen Eid nicht brechen. Aber Heeresfolge leiste ich ihm auch nicht, verlaß dich darauf!«
Barthold stand auf. »Dann ist es nutzlos, weiter zu reden«, sprach er kalt. »Ich muß mich schon sehr bedanken, daß Ihr Euch nicht verpflichtet fühlt, mit gegen mich das Schwert zu ziehen. Ich stehe ganz allein! Nun, so muß ich sehen, wie ich die Sache allein durchfechte.«
Er wandte sich zu gehen. Aber Bertram hielt ihn zurück. »Sei nicht zornig, Barthold«, bat er. »Bei Gott, ich kann nicht anders. Was ich tun kann für dich, das werde ich tun. Kommt's zum äußersten, und willst du Weib und Kind in Sicherheit bringen, so steht dir der Scharfenstein zu Diensten. Suchst du selbst eine Zuflucht – kein Mensch kann mir zumuten, daß ich dich ausliefere. Aber verlange nicht, was gegen mein Gewissen geht!«
»Gott gebe, daß ich keine Zuflucht suchen muß! Dann also hebt deine Freundschaft erst an?« versetzte Barthold finster.
»Herrgott!« rief Bertram. »Kannst du dich denn gar nicht in anderer Leute Lage denken? Ich kann doch nicht anders, ich kann nicht!«
Barthold sah, wie das sonst so ruhige und unbewegliche Antlitz seines Vetters in tiefer Erregung zuckte, und er begriff plötzlich, daß dieser Mann in der Tat nicht anders handeln konnte. Er gehörte nun einmal zu den Naturen, die sich selbst entehrt fühlen, wenn sie einmal abweichen von der schnurgeraden Straße strenger, buchstäblicher Pflichterfüllung, die nie um eines hohen Zieles willen die Schranken des Rechtes und der Ehrbarkeit überspringen. Von einem solchen Charakter war nicht zu verlangen, daß er seinen Lehnseid brechen sollte, um einer späteren Gefährdung des Evangeliums vorzubeugen. Einen derartigen Entschluß vermochte er überhaupt nicht zu fassen.
»Kann man auch Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? Ich kann nichts anderes von dir fordern, als was du zu geben hast«, sagte Barthold. »Zornig bin ich nicht, ich habe keinen Groll gegen dich. Aber es wird besser sein, wenn wir uns heute trennen. Ich will heimreiten nach meiner Burg.«
»Nein, bleibe!« rief Bertram. »Wir wollen Rat halten über deine Sache. Irgendein Ausweg muß zu finden sein.«
»Rats bedarf ich nicht, und Auswege suche ich nicht. Es gibt nur einen, der heißt Unterwerfung. Den gehe ich nimmermehr. Gehabt Euch wohl, Vettern!« erwiderte Barthold, winkte ihnen einen Gruß mit der Hand zu und schritt zur Tür. Aber er wandte sich noch einmal um. »Wie geht es Klaus?« fragte er.
»Die Besserung hält an, das Fieber ist verschwunden, und die Wunde verheilt«, antwortete Bertram. »Jetzt wird er schlafen.«
»Ich will in ein paar Tagen nach ihm sehen. Vermeldet ihm das«, sagte Barthold.
»Es geht, wie ich mir's dachte«, murmelte er, als er den steilen Schloßberg wieder hinunterritt. »Mein eigenes Geschlecht steht nicht offen zu mir – was kann ich von den anderen erwarten? Keiner wird mir Hilfe leisten, keiner!« –
Darin hatte sich der Ritter nicht getäuscht. Die folgenden Tage zeigten ihm, daß er auf den tatkräftigen Beistand seiner Standesgenossen nicht zu rechnen hatte. Die Hagen, die mächtigen Hansteins, die Westernhagen, die Bodenhausen wollten von einer bewaffneten Erhebung gegen den Erzbischof nichts wissen. Alle erklärten, daß sie nicht gegen ihren Glaubensgenossen fechten würden, aber das Schwert ziehn wollte keiner. Da gab es Barthold auf, Bundesgenossen unter dem Adel zu werben. Wenn Werner von Hanstein, Heinz und Hans von Westernhagen und Wilko von Bodenhausen nichts wagten, so brauchte man bei den übrigen gar nicht erst anzufragen.
»Die Herren wollen nicht«, sagte Barthold acht Tage später zu seinem Vertrauten Conrad Schmid, den er auf den Bodenstein entboten hatte. »Sie denken: Laßt den Wintzingerode die heiße Suppe allein ausessen! Bei einigen mögen Gewissensbedenken im Spiele sein, bei anderen Feigheit, bei manchen auch alter Haß gegen mich.«
»Ich meine, Junker, Ihr habt trotzdem keinen Grund, den Mut sinken zu lassen«, versetzte Schmid.
»Das fällt mir auch gar nicht ein!« rief Barthold. »Seht, Conrad, ich rechne so: Wenn das Land nicht mithält gegen mich, dann kann der Mainzer nicht mehr als zwölfhundert Knechte gegen mich aufbringen. Als ich jung war, kostete der Knecht vier Gulden im Monat, jetzt sind sie kaum für acht zu haben, Reiter kosten zwölf und vierzehn. Macht allein für das Volk im Monat rund zwölftausend Gulden. Werbung, Rüstung und Geschütz kosten gut und gern das Dreifache. Da sind fünfzigtausend Gulden in vier Wochen weg. Das hält vielleicht der Teufel oder August von Sachsen aus, aber nimmermehr der Kurfürst von Mainz. Ich kenne die Finanzen des Erzstiftes. Sie sind des Erbarmens wert.«
»Ihr aber könnt den Bodenstein mit hundert Knechten ganz wohl halten«, unterbrach ihn Schmid.
»Ich denke etwa hundertundzwanzig zusammenzubringen, und Ihr sollt mir dabei helfen«, entgegnete der Ritter. »Ich weiß, Ihr versteht zu werben.«
»Das denk' ich wohl«, versetzte Schmid geschmeichelt lachend, »und ich bin gern bereit dazu. Wäre ich nicht schon tief in Eurer Schuld von früher her, so müßt' ich Euch doch zu Diensten stehn um Eurer neuerlichen Wohltaten willen. Ihr habt mich aus der Beute der beiden Räuber großartig abgefunden, Junker.«
»Ihr habt erhalten, was Euch gebührte«, erwiderte Barthold. »Habt's ehrlich verdient und Euch als mein Freund bewiesen. Nun sagt mir – etwa sechzig Fußknechte brauche ich noch und zwei oder drei Büchsenmeister. Werdet Ihr die mir stellen können bis Anfang Mai? Vor Mitte Mai habe ich schwerlich etwas zu besorgen.«
»Das glaube ich sicher«, sagte Schmid. »Nordhausen und Mühlhausen, Eisenach und Weimar beherbergen zur Zeit viele abgelohnte Soldknechte. Auch Franken ist voll davon. Da bringe ich leicht sechzig zusammen, besonders wenn's gegen einen Pfaffen geht. Aber das sag' ich Euch im voraus: Ihr werdet einen hohen Satz zahlen müssen, denn es wird schwere Arbeit geben, und es ist der wenigsten Knechte Geschmack, monatelang in einer belagerten Burg zu sitzen. Dies Volk will lieber im freien Felde schweifen.«
»Wer sagt Euch, daß sie immer in der Burg hocken sollen?« warf Barthold mit schlauem Augenzwinkern ein.
Schmid blickte ihn verwundert an. »Ihr werdet doch nicht die Tollkühnheit haben, den Mainzern im Felde Widerstand zu leisten?«
»Da wär' ich freilich ein Narr!« lachte der Ritter. »Aber ich habe einen anderen Plan.« Er ging einige Male mit langen Schritten nachdenklich durch das Gemach. Dann blieb er vor Schmid stehen, und indem er ihm scharf in die Augen blickte, begann er: »Ich brauche Euch auch dazu, Conrad. Ihr habt mir geschworen, daß Ihr mir redlich und treulich in diesem Handel dienen wollt, und ich weiß aus andern Händeln, daß ich mich auf Eure Treue und Willfährigkeit verlassen kann!«
»Gott soll mich strafen, wenn ich Euch jemals verrate!« rief Schmid und hob die Hand empor, als wollte er einen Schwur leisten.
»Drum will ich Euch meinen Plan mitteilen«, fuhr Barthold fort. »Setzt Euch hierher, nahe zu mir. Möchte wissen, was ein so verschlagener Mann wie Ihr zu meinen Gedanken sagt.
Also merkt auf: Der Kurfürst kommt selbst nach Heiligenstadt. Es ist kein Zweifel mehr daran, dem Rate ist die Kunde schon zugegangen. Darob sind die lieben und getreuen Untertanen keineswegs erbaut, ja im Gegenteil, sie fürchten das Schlimmste. Denn der Mainzer Pfaffe hat sofort verlangt, daß die Liebfrauenkirche, in der seit vierzehn Jahren Magister Kaspar Schaumberg predigt, den Römischen zurückgegeben werden soll. Das hat böses Blut gemacht, sehr böses Blut. Ihr glaubt es nicht, wie es unter den Bürgern brodelt und gärt. Denn das muß man den Heiligenstädtern lassen: Sie hassen die römische Lehre wie die Pest.
Nun ist einer der ärgsten Pfaffenfeinde in der Stadt mein Lehnsmann Kurt Fiedeler, der in der Ratsmühle sitzt. Ihr wißt, die von Wintzingerode haben ein altes Lehn in Heiligenstadt, ein großes, stattliches Mühlengut an der Geislede bei der Ratsgasse. Den Mann bestellte ich zu mir vor drei Tagen und fragte ihn aus über allerlei, und was die Heiligenstädter über den Kurfürsten und seine Jesuiten dächten. Ich sage Euch, er schimpfte, daß einem das Herz im Leibe lachte. Da sprach ich nachdrücklich und ernsthaft: Was nützt alles Reden und Schreien? Worte helfen zu nichts. Wenn du aber ein so großer Pfaffenfeind bist, Kurt, würdest du da nicht auch einmal etwas tun gegen die verwünschte Brut? Ich sprach das so ein bißchen spöttisch, als zweifelte ich an seinem Ernst und Mut. Er aber wurde ganz blaß und sagte: Ihr wißt offenbar nicht, Herr, was mir in letzter Zeit geschehen ist. Sonst könntet Ihr nicht zweifeln, daß ich mit Freuden diesem kriechenden, schleichenden Gewürm den Kopf zertreten würde. Ich machte große Augen. Nein, beim Himmel, nichts weiß ich! rief ich. Was hat sich denn ereignet? Erzähle mir das!
Und nun kam eine wunderliche Geschichte zutage. Der Mann hat eine Tochter, ein schmuckes Geschöpf, aber engen und dabei schwärmerischen Geistes. Die kommt bei katholischen Verwandten – es gibt ja noch Römlinge in Heiligenstadt, wenn auch nur wenige – mit dem Propst Bunthe von Nörten zusammen. Wie man hört, soll er auch in Heiligenstadt Dekan werden. Alle Pfaffen sind mir widerlich, der unter allen am meisten, denn ich kenne ihn von früher her, es gibt einen alten bösen Handel zwischen uns. Sofort wittert der Pfaffe in dem verdrehten Weibsbilde einen fetten Bissen für seine Kirche, zumal da sie von ihrer verstorbenen Mutter ein schönes Stück Geld geerbt hat. Um's kurz zu sagen: Er weiß sie ganz verrückt zu machen, daß sie heimlich zur Beichte geht, allerlei Bußübungen und dergleichen verrichtet und eines Tages fort will, um Nonne zu werden. Ihr Vater ist natürlich außer sich vor Zorn, bittet und beschwört sie, und als alles nichts hilft, gibt er ihr die Peitsche tüchtig zu kosten und sperrt sie ein. Da sitzt sie noch, denn wenn er sie losließe, sagte er, da würde sie auf der Stelle zu den Pfaffen laufen.
Die Geschichte paßte mir herrlich in meinen Kram. Kurt, fragt' ich ihn, wenn ich nun gegen die Pfaffen vom Leder ziehe, willst du mir wohl dabei mithelfen? Mit Freuden, Herr, antwortete er. Und gibt es wohl noch andere in Heiligenstadt, die bereit sind, etwas zu wagen? Eine Menge, Herr, sagte er und nannte mir Listemann, Hugold, Herst und noch ein Dutzend andere. Da band ich ihn durch einen schweren Eid, daß er mir dienen solle in meinem Handel mit Mainz als mein geschworener Mann, und daß er auch helfen solle, andere für mich zu werben. Und wißt Ihr, was ich in Absicht habe? Nicht etwa einen Aufruhr anzetteln will ich in Heiligenstadt, sondern in der Nacht in die Stadt einbrechen, den Kurfürsten überfallen, in meine Hand bringen und ihn hierher schaffen. Das will ich.«
»Donnerwetter!« entfuhr es dem Munde Conrad Schmids, der mit immer steigendem Erstaunen zugehört hatte. »Das ist ein toller Plan!«
»Haltet Ihr ihn für unausführbar?« fragte Barthold mit blitzenden Augen.
»Nein, nein! Wohl möglich, daß er glückt!« rief Schmid. »Dachte schon, daß Ihr so etwas im Schilde führt, denn das Stillesitzen ist nicht Eure Sache. Aber keck und verwegen ist der Anschlag, und schlägt er fehl, so kostet's den Kopf.«
»Den setzt man im Kriege immer aufs Spiel«, warf Barthold ein.
»Wenn's ginge«, fuhr Schmid fort, »so würde ich mich an Eurer Stelle persönlich fern halten und die Sache durch die Knechte und Bürger machen lassen.«
»Ich habe mehr Zutrauen, wenn ich selbst dabei bin«, antwortete Barthold. »Bis dahin ist, so Gott will, Klaus wieder genesen und mag derweilen die Burg hüten.«
»Es geht dem Junker gut?« fragte Schmid.
»Gut noch nicht, aber jeden Tag besser«, erwiderte Barthold.
»Und der Mordgeselle, der ihn traf, ist noch immer unbekannt?«
»Meint Ihr, der Kerl atmete noch, wenn ich ihn kennte?« rief Barthold.
Indem trat Jacob Holstein in das Gemach und meldete einen Kurier, der ihm sogleich auf dem Fuße folgte. Er überreichte Herrn Barthold ein Schreiben, das mit dem Mainzischen Siegel verschlossen war. Der Ritter brach es auf, überflog es mit raschen Blicken und warf es dann lachend auf den Tisch. »Daniel, von Gottes Gnaden Erzbischof von Mainz, Kurfürst des heiligen römischen Reiches und seiner Kaiserlichen Majestät Erzkanzler in Germanien, fordert mich als der nunmehrige Oberlehnsherr des Gerichts Bodenstein auf, mich Anfang Juni in seiner getreuen Stadt Heiligenstadt zur Huldigung einzufinden. Geh in die Küche, junger Mann, und laß dir einen Trunk und Zehrung reichen. Du, Jacob, holst Schultheiß, den Schreiber, herüber. Wir wollen dem hochwürdigen Plattmönch eine Antwort geben, die weder Hörner noch Zähne hat!«