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Am Nachmittage des 20. Januar 1574 saßen in einem kleinen Eckzimmer des Martinsstiftes zu Heiligenstadt zwei Männer in eifriger Unterhaltung beisammen. Vor ihnen auf dem Tische stand ein großes bauchiges Gefäß mit edelm rheinischen Rotwein, aus dem der ältere von beiden die kleinen Becher eben füllte. Dann hob er sein Trinkgefäß empor und sagte: »Ihr habt mir gute Kunde gebracht, Herr von Stralendorf. Denn darauf kommt es vor allen Dingen an, daß der Erzbischof am Leben bleibt. Alles andere ist Nebensache. Darum stoßt an mit mir auf die Gesundheit unseres erlauchten, hochwürdigen Herrn!«
Stralendorf lehnte sich, nachdem er getrunken hatte, in seinen Sessel zurück und entgegnete gewichtig:
»Wir haben freilich eine sehr, sehr böse Zeit durchlebt, und ich darf wohl von mir sagen, daß ich am schwersten mit gelitten habe. Pater Bacharell sah bald ein, daß er allein die Pflege des kranken Herrn nicht durchführen könne und schenkte mir das Vertrauen, mich dazu heranzuziehen. Auch hatte der Kurfürst, wie ich erfuhr, selbst nach mir verlangt. Wir haben manche Nacht gesessen und gewacht. Ich sage Euch, es war kein leichtes Werk, den Herrn in diesen Tagen zu behandeln, das glaubt mir, Herr Propst Bunthe.«
»Das glaub' ich gern«, sagte der andere, indem er die Becher von neuem füllte. »Es wird aber auch Euer Schade nicht sein, Herr von Stralendorf«, setzte er mit einem lauernden Blicke hinzu.
Der junge Edelmann lächelte. »Da dürftet Ihr recht haben, Herr Propst«, entgegnete er mit einem triumphierenden Ausdruck in seinen Mienen. »Ihr seht in mir den künftigen Landeshauptmann des Eichsfeldes. Seine kurfürstliche Gnaden hat es mir fest und feierlich zugesagt.«
»Der Tausend!« rief Bunthe und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Das sagt Ihr jetzt erst? Meinen Glückwunsch, Herr von Stralendorf, meinen herzlichen und aufrichtig gemeinten Glückwunsch! Das ist mir hocherfreulich zu hören, da wird bald ein anderer Wind wehn. Der alte Berlepsch ist zu lau in Glaubenssachen, verlangt man von ihm irgendeine schärfere Maßregel gegen die Pest der Ketzerei, so ist er taub. Bei Euch wird das anders sein. Darum auf Euer Wohl, Herr Landeshauptmann in spe!«
»Danke, danke, Herr Propst«, sagte Stralendorf, indem er mit ihm anstieß. »Seid gewiß, daß ich Eure Hoffnungen nicht enttäuschen werde. Aber es kommt noch viel besser. Wißt Ihr, was diesmal der Hauptzweck meiner Gesandtschaft auf das Eichsfeld ist?«
»Nun?« fragte Bunthe gespannt.
»Ich soll mit Euch darüber beraten und ein ausführliches Memorandum einreichen, wie man die lutherische Ketzerei ausrotten und unsern allerheiligsten katholischen Glauben hierzulande ausschließlich zur Herrschaft bringen könne. Es wird Ernst, Herr Propst! Der Kurfürst ist fest entschlossen, dem lutherischen Unfug für immer ein Ende zu machen.«
Der Propst hob beide Hände zum Himmel empor, und sein Gesicht glänzte vor Freude. »Gelobt sei Gott!« rief er mit lauter Stimme. »Gelobt sei Gott, daß meine Augen das noch sehen dürfen!«
»Nicht nur sehen sollt Ihr das, Herr Propst«, fiel Stralendorf ein. »Ihr sollt vielmehr in diesem Spiel eine sehr wichtige Rolle übernehmen. Es werden zur Unterdrückung der Ketzerei zwei Kommissare ernannt, ein weltlicher und ein geistlicher. Der weltliche bin ich, der geistliche werdet Ihr. Der Kurfürst bezeichnete Euch in meiner Gegenwart als den geeignetsten Mann dazu, dem es weder an Klugheit noch an rücksichtsloser Tatkraft fehle.«
»Darin soll sich Seine Gnaden nicht getäuscht haben!« rief der Propst, und der Zug unbeugsamer Härte und Willenskraft, der seinem sonst abstoßend gemeinen Gesicht einen bedeutenden Ausdruck verlieh, trat noch schärfer hervor als gewöhnlich. »Man gebe mir zehn Jahre freie Bahn, und wenn Gott mir das Leben läßt, soll kein Ketzer mehr auf dem Eichsfelde zu finden sein!«
»Zunächst will Seine Gnaden selbst hierher kommen«, fuhr Stralendorf fort. »Er will in Heiligenstadt für einige Monate seine Residenz aufschlagen. Hier soll der Ketzerei zuerst ein Ende gemacht werden.«
»Wann soll das geschehen?« fragte der Propst schnell.
»Das hängt von Verschiedenem ab«, sagte Stralendorf. »Ihr kennt unsere Verhandlungen mit Hohnstein?«
»Genau. Ist etwas Neues eingetreten?«
»Nein, nichts Neues. Der Graf besteht noch immer darauf, daß wegen der Religion ein Passus in den Vertrag aufgenommen werden soll. Der Kurfürst will darauf nicht eingehen. So sind wir keinen Schritt weiter gekommen.«
»Herrgott!« rief Bunthe unmutig, »schreibt doch ruhig in den Vertrag, was dem Grafen beliebt. Worte sind Worte, und wenn sie zehnmal geschrieben und unterschrieben sind. Haben denn die Ketzer ein Recht? Dürfen wir überhaupt, ohne eine Todsünde zu begehen, einen Vertrag halten, der den Ketzern freie Religionsübung zugesteht? Nimmermehr! Also sollte der Kurfürst sich an diesem Passus nicht stoßen.«
»Es ist schwer, Seiner Gnaden diese Auffassung beizubringen«, entgegnete Stralendorf. »Hoffen wir, daß es mit der Zeit gelingen möge. Bacharell gibt sich viel Mühe, dem Herrn die Skrupel und Bedenken auszureden.«
Der Propst ging langsam in dem Gemache auf und nieder und blieb dann vor Stralendorf stehen. »Wenn ich alles erwäge, so erscheint es mir sogar besser, wenn die lutherische Religion in dem Vertrage salviert wird. Vorausgesetzt, daß man sich an das Dokument nur so lange bindet, als man muß. Denn wenn die Ketzerei in dem Vertrage für das Gericht Bodenstein anerkannt ist, so haben die lutherischen Fürsten keine Ursache sich einzumischen.«
»Um so mehr aber haben sie dann später einen Vorwand zum Eingreifen, wenn wir wider den Vertrag die Religion ändern wollen«, bemerkte Stralendorf.
»Wir müssen dann freilich eine Zeit abwarten, wo sie gerade uneins sind«, entgegnete Bunthe.
»Nun, dem sei, wie es wolle«, sagte Stralendorf, »vorläufig habe ich den Auftrag, den Grafen zum Aufgeben seines Verlangens zu bringen. Der Religion soll gar keine Erwähnung geschehen, weder so noch so. Ich glaube fast, der Hohnsteiner geht uns auch auf diese Art ins Garn, denn wenn er unsre Hülfe nicht erhält, so muß er sich vor dem Wintzingerode demütigen.«
»Wenn nur dieser Mensch endlich einmal beseitigt würde!« rief der Propst, und ein Blitz des Hasses zuckte über sein Gesicht.
»Ihn niederzuwerfen erkennt der Kurfürst als seine wichtigste Aufgabe«, versetzte Stralendorf. »Deshalb kommt er erst, wenn der Vertrag vollzogen ist. Hier in Heiligenstadt soll Graf Volkmar Wolf ihm vor versammeltem Adel huldigen und das Gericht aus seinen Händen als Lehn zurückerhalten. Dann soll der freche Junker auf dem Bodenstein geduckt werden. Der Kurfürst ladet ihn als sein Oberlehnsherr vor, und wenn er ausbleibt, woran ich nicht zweifle, so wird er auf seiner Burg ausgeräuchert. Und weil das eben geschehen muß, so meine ich, wird bis zum Eintreffen des Kurfürsten auch nach Abschluß des Vertrages noch geraume Zeit verfließen.«
»Warum?« fragte Bunthe erstaunt.
»Das leidige Geld!« seufzte Stralendorf. »Was meint Ihr, was es kostet, eine Burg wie den Bodenstein zu erobern!«
Der Propst brummte mißvergnügt vor sich hin. »Ja, ja«, sagte er ebenfalls seufzend, »da habt Ihr wohl recht. Der Kurfürst muß mit einer starken Macht kommen, denn die von Adel auf dem Eichsfelde helfen ihm nicht gegen den Wintzingerode, die Städte auch nicht. Wir müssen froh sein, wenn sie nicht mit ihm gemeinsame Sache machen.«
»Es wäre ein schönes Ding, wenn es gelänge, den Fuchs in eine Falle zu locken. Dadurch würde viel Geld, vielleicht auch viel Blut erspart«, sagte Stralendorf nachdenklich.
»Dann wäre aber auch nur die Hälfte erreicht«, erwiderte Bunthe. »Es kommt nicht nur darauf an, diesen Ketzer zu Tode zu bringen. Wir müssen auch seine Burg haben. Fangen wir den Schuft, so müssen wir ihn durch die Tortur zwingen, das feste Schloß bedingungslos uns auszuliefern. Der Kurfürst muß reinen Tisch machen. Das eroberte Schloß darf überhaupt nicht wieder in die Hände der Wintzingerodes kommen, auch die Junker Bertram und Hans dürfen es nicht erhalten!«
Stralendorf blickte ihn verwundert an. »Ich denke, diese Leute sind treue Vasallen des Hohnsteiners?«
»Das wohl, aber bittere Feinde unserer heiligen Kirche!« rief der Propst. »Darin sind sie alle gleich. Wenn ein Wintzingerode auf dem Bodenstein sitzt, so ist das Gericht niemals katholisch zu machen. Darum fort mit der ganzen Ketzerbrut! Rottet sie aus, wenn's irgend geht! Das ist mein Rat.«
Stralendorf erwiderte nichts, er schien über das Gehörte nachzudenken. Der Propst ging von neuem, seiner Gewohnheit folgend, im Zimmer auf und ab. Plötzlich brach er ganz unvermittelt in ein rauhes Lachen aus.
Verwundert blickte ihn Stralendorf an. »Was kommt Euch in den Sinn? Warum lacht Ihr?«
Der Propst kehrte sich ihm zu und sagte noch immer lachend: »Ich dachte eben daran, Herr von Stralendorf, wie ganz anders Ihr vor zwei Monaten hier saßet. Welcher Wahnsinn hatte doch damals die Seele des Kurfürsten umnebelt, daß er wähnte, durch Gunstbezeigungen und Versprechungen einen wilden Wolf in einen zahmen, nützlichen Hüter des Hauses zu verwandeln!«
Stralendorf lachte nun auch. »Es kam, wie es kommen mußte, und wie jeder Einsichtige dem Herrn vorausgesagt hat. Wäre er nicht toll und berauscht gewesen vor Liebe zu der schönen Anna, er wäre nie auf den Gedanken verfallen.«
»Toll und berauscht, Ihr redet wahr«, sagte der Propst. »Vielleicht hat sie ihm einen Liebestrank eingeflößt.«
»Nicht unmöglich«, erwiderte Stralendorf, »ob wohl sie schön genug war, auch ohne Zauberei einem Manne den Kopf zu verdrehen.«
»Ist denn nun wenigstens die Tollheit zu Ende? Hat sie der Herr sich aus dem Sinne geschlagen?« fragte der Propst.
»Ich fürchte, nein«, gab Stralendorf zur Antwort, und seine Stimme zum Flüstern dämpfend, fuhr er fort: »Pater Bacharell hat mir streng verboten, mit Seiner Gnaden über das Weib zu reden. Der Herr weiß noch nicht einmal, daß sie die Frau des Junkers von Bünau ist.«
Der Propst pfiff durch die Zähne und trat von dem Ritter halb abgewendet ans Fenster. »Es war schade, daß sie dem Kurfürsten entschlüpft ist. Wenn er sie besessen hätte, so wäre er nach ein paar Wochen und Monaten ihrer überdrüssig geworden. Dann war die ganze Sache vorbei.«
»Da denkt Ihr anders als Pater Bacharell. Der fürchtete ein großes Ärgernis, Klagen und Querelen vor Kaiser und Reich«, sagte Stralendorf.
»Ach Torheit!« erwiderte der Propst. »Als ob einem Fürsten nicht tausend Mittel und Wege zu Gebote ständen, ein Weib sich gefügig zu machen ohne allen Rumor! – Seht einmal«, fuhr er nach einer Pause mit einem boshaften Lächeln fort, »ich sprach zum Exempel vorhin von einem Liebestrunk. Konnte der Kurfürst nicht die Dirne wegen Zauberei ins Gefängnis werfen lassen? Wer unter dieser Anklage steht, der findet nicht viel Hülfe, auch nicht bei Kaiser und Reich, und glaubt mir, ein Hexlein im Kerker wird leicht kirre gemacht. Da wird die sprödeste Jungfer willig, wenn man ihr Rettung verspricht, denn die Tortur ist ein gar böses Ding. Wie hätte ich's dem hochmütigen Schufte auf dem Bodenstein gegönnt, wenn seine Tochter eines Bischofs Dirne wurde! Der ganzen verdammten Sippe wäre es ein unauslöschlicher Schimpf gewesen. Noch besser freilich, wenn sie als Hexe hätte brennen müssen.«
Stralendorf schwieg. Er war ein Mann ohne sittliche Grundsätze, von kühler, selbstsüchtiger Natur, der ohne Bedenken bereit war, auch Böses zu tun, wenn es ihm für sein Fortkommen nützlich dünkte, und dem eigentlich nichts auf Erden und im Himmel heilig war. Aber grausam und bösartig war er nicht. Darum schoß ihm, während der Propst seine Ansichten entwickelte, der ketzerische Gedanke durch den Kopf: Wie schauderhaft gemein sind doch die Priester Roms in ihrem Hasse! Aber er hütete sich, etwas davon laut werden zu lassen.
Der Propst fuhr, wie mit sich selbst sprechend, halblaut fort: »Die Hanstein, die Wintzingerode, die Hagen, das sind die drei Häuser, die es vor allen zu vertilgen gilt. Aber die Wintzingerode sind die ruchlosesten unter ihnen. Dieser Barthold ist ein Teufel. Gott füge es, daß er und seine ganze Brut unter dem Trümmerschutte des Bodensteins zugrunde geht!«
Aber kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da fuhr er erschrocken und erbleichend vom Fenster zurück. Denn dicht vor seinen Augen tauchte das Feldzeichen desselben Geschlechtes auf, das er eben verflucht hatte. Ein starker Haufe berittener Knechte zog draußen vorbei, der Führer voran, hinter ihm ward das wehende Banner getragen. Hätte der Propst die Hand ausgestreckt, so hätte er das weiße Fähnlein mit dem Wappen, der feuerroten, doppelten Hellebardenspitze, zu sich ins Gemach reißen können.
»Lupus in fabula!« murmelte er bestürzt. Dann öffnete er eilig das Fenster und lugte vorsichtig den Abreitenden nach. »Das ist der junge Wintzingerode«, flüsterte er, »der Bankert, wißt Ihr, den der Alte ins Lehn bringen will. Er scheint drüben im roten Hirsch Einkehr halten zu wollen. Dann werde ich hoffentlich morgen erfahren, was diese Reise bedeutet.« Er schloß das Fenster wieder und wandte sich seinem Gaste zu. »Kommt, Herr von Stralendorf«, sagte er. »Laßt uns hinuntergehn! Die Stiftsherren versammeln sich um diese Zeit zum Vespertrunk. Sie möchten ungehalten werden, wenn wir uns ihnen ganz entziehen. Ich bin zwar in Nörten, aber nicht hier Propst, soll hier erst Dekan werden und möchte nicht, daß einer Einwendungen gegen mich hätte.«
»Ich verstehe und freue mich überdies, daß Ihr einen guten Trunk noch in Ehren haltet«, versetzte Stralendorf und erhob sich. »Das ist es, was ich an Bacharell und allen Vätern der Gesellschaft Jesu tadle: Sie kasteien sich selbst gar zu sehr und wollen auch alle andern kasteien. Ein wohlgefüllter Humpen ist ihnen ein Greuel.«
»Das ist der strenge hispanische Geist«, entgegnete der Propst. »Wir finden uns da nicht hinein, sind's anders gewöhnt und können uns nicht mehr ändern. Und auch die hispanischen Priester werden auf deutschem Boden mit ihrer Strenge keinen Erfolg haben. Sie werden selbst anders werden, denn sie sind die klügsten unter allen Menschen und werden bald einsehen, daß unserer Nation mancherlei nachgesehen werden muß. Der Apostel Sankt Paulus ward den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche, so lesen wir. Nun, wer den Deutschen ein Deutscher werden will, der muß mit ihnen saufen, denn das liegt ihnen im Blute. – Bitte, Ihr habt den Vortritt als mein Gast«, setzte er hinzu, als Straleudorf an der Tür stehen blieb, schob ihn mit sanfter Gewalt hinaus und schritt dann neben ihm die breite Treppe hinab, die in den gemeinsamen Speisesaal der Stiftsherren im Erdgeschoß führte.