Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

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XXII.

Friedrich wollte sich schnurstracks zu seiner Gemahlin begeben, aber er wurde unterwegs aufgehalten. Als er die Zugbrücke der Burg überschritten hatte, traf er im Torbogen Hartmut von Beulwitz, der mit einem halben Dutzend Knechte auf ihn wartete.

»Herr,« meldete der Rottenführer, »wir haben einen Menschen angehalten, der uns verdächtig erschien. Er drang in den Hof und fragte nach Euer Gnaden.«

»So bring' ihn her!«

»Dort sitzt er, Herr,« erwiderte Beulwitz und wies auf einen Mann, der im Dunkeln auf einem Steine saß. Man hatte ihm Hände und Füße gebunden, und er blickte trotzig vor sich nieder.

»Wer bist du?« fragte ihn der Landgraf.

»Einer, der besseren Empfang verdient hätte, Herr,« versetzte der Gefangene. »Ich dachte, die Meißner und Thüringer wären höfliche Leute, aber mich haben sie behandelt wie einen Mörder und Dieb, ohn' allen Grund. Und vorher, ehe ich in die Stadt kam, hätten mich die wütenden Bauern beinah' totgeschlagen. Mit Mühe bin ich ihnen entgangen.«

»Und was suchst du bei mir?«

»Ich suche nicht, ich bringe. Eine Botschaft bring' ich, Herr, die Ihr längst erwartet.«

»Wer sendet sie?«

»Einer, den Ihr wohl kennt, hat mir geheißen, das Heer zu begleiten als geworbener Knecht. Sonst bin ich ein ganz anderer Mann, das glaubt mir. Ich selbst sollte die Gelegenheit erkunden, wo ich Euch nützen könnte, und ich habe sie gefunden.«

Der Landgraf trat hart an den Gefangenen heran. »Die Losung?« fragte er halblaut.

»Johann von Schwaben.«

»Nehmt ihm die Fesseln ab!« gebot Friedrich. »Sieh nicht sauer, guter Freund, daß du sie hast tragen müssen, du sollst dafür entschädigt werden! Komm hierher und sage mir, was du mir zu künden hast.« Er zog ihn ein Stück in den Hof hinein.

»Herr, was ich Euch künden will, ist dies: Des Königs Heer lagert seit heute bei Lucka. Der König selbst ist nicht dabei, er mußte zurück nach Nürnberg. Den Befehl hat der Küchenmeister von Rotbenburg, den sie auch den Nortenberger nennen. Morgen bleibt das Heer bei Lucka stehen, um zu rauben, übermorgen aber nach dem Mittag zieht es auf Zwenkau und will das Städtlein verbrennen. Die Straße, die nach Zwenkau führt, ist bei Kobschütz ganz von Wald eingeschlossen, wie Ihr wißt. Dort könnt Ihr am besten über sie herfallen.«

»Wer bist du?« fragte der Landgraf erstaunt. »Du bist ein Kriegsmann.«

»Mein Name ist verschollen, Herr. Ich habe mich dem hochwürdigen Herrn von Mainz gelobt zu jedem, auch dem schwersten Dienste, weil er mir für eine blutige Tat Absolution verschafft hat bei unserem heiligen Vater in Rom. Wie ich auch früher hieß, jetzt bin ich Kunz, sein geringer Knecht.«

»Ich dringe nicht in dich. Du hast mir einen großen Dienst erwiesen und meinen Dank verdient. Ist deine Nachricht wahr, so sind hundert Gulden dafür nicht zu viel.«

»Ich diene nicht um Lohn, Herr,« versetzte der Namenlose stolz.

»Das wird sich finden,« sagte der Landgraf. »Beulwitz, komme hierher,« gebot er dann. »Nimm diesen Mann in ritterliches Gewahrsam, in ritterliches, hörst du? Er hat mir eine Botschaft gebracht, für die er eine goldene Kette verdient, wenn sie wahr ist, und den Tod auf dem Rade, wenn sie unwahr ist. Übermorgen, guter Freund, reden wir darüber,« wandte er sich an den Fremden. »Als Mann, der die Welt kennt, wirst du einsehen, daß ich dich vor der Hand verwahren muß.«

In ganz anderen Gedanken als vorher schritt er dem Schlosse zu. Der Tod Helldorfs, der mörderische Überfall auf ihn selbst – das alles trat jetzt in seinem Geiste mit einem Male weit zurück vor der Aussicht auf die nahe Entscheidung, die sich ihm eröffnet hatte. Er kannte die Gegend wohl, sie war für ihn wie geschaffen. Mehrere Stellen dieser Straße waren zu einem Überfalle aufs beste geeignet. Es drängte ihn, Hermann Goldacker und Dietrich von Werthern zu sich bescheiden zu lassen und sich mit ihnen, seinen kriegskundigen Vertrauten, über alle diese Dinge zu besprechen. Aber nach kurzem Zögern trat er doch zunächst bei seiner Gemahlin ein.

Frau Else schrie vor Entsetzen laut auf und umklammerte seinen Hals, als er ihr von dem Dolchstoß erzählte, der sein Leben bedroht hatte, und bei der Nachricht von Helldorfs Tode brach sie in bittere Tränen aus. Sie weinte, an die Brust ihres Gatten geschmiegt, so unaufhaltsam, daß der Landgraf endlich ernsthaft fragte: »Was war er dir?«

»Mir?« fragte sie, erstaunt zu ihm aufblickend. »Was er dir war, ein werter, treuer Mann. Es ist schrecklich, daß er so sterben mußte! Und ach, die arme Irmgard Werthern! Sie hat ihn so lange schon lieb gehabt, und er hätte sie wohl auch geheiratet. Ich gab mir seit langem Mühe, die beiden zu einem Paar zu machen. Und seine beiden jungen Brüder, denen er wie ein Vater war, wie werden die ihn entbehren! Hat er sie nicht noch deiner Sorge empfohlen?«

»Er hat wohl gemeint, das verstehe sich von selber.

Seine letzte Sorge galt dir! Er hat mir noch eine Bitte ausgesprochen, und die werde ich erfüllen.«

Die Landgräfin blickte ihn fragend an, und er fuhr fort: »Ich meinte, du seiest hier am sichersten, aber dem ist nicht so. Noch weiß ich nicht, wer diesen Mörder gedungen hat, vielleicht werd' ich's erfahren, wenn er auf der Folterbank liegt. Schon einmal hat mich der Meuchelmord bedroht vor Jahren, als ich unter eines deutschen Königs freiem Geleit nach Altenburg kam. Damals fiel statt meiner Johannes Lotze, jetzt Martin Helldorf. Wenn einer den Staufenkönigen hätte dienen wollen durch Meuchelmord, wahrlich, sie hätten ihn in Ketten geworfen. Dieses Königs Diener aber wissen wohl, wie sie sich ihres Herrn Dank verdienen. Warum sollten sie nicht auch einmal auf dich ihre Blicke richten, wenn sie mich nicht treffen können? Und warum sollten sie nicht zum Gifte greifen, wenn etwa das Messer versagt? Darum war es die letzte Bitte des Getreuen, dich heimzusenden auf die Wartburg. Sie stimmte zusammen mit meinen eigenen Gedanken, und der Weg ist frei, hat keine Gefahren, du kannst mit zwanzig oder dreißig Berittenen ohne alles Bedenken reisen, und deshalb hab' ich's ihm zugelobt.«

»Und dich, Friedrich, soll ich zurücklassen in der Gefahr?«

«Du könntest sie nicht geringer machen, auch wenn du hierbliebst, ja, du könntest nicht einmal in meiner Nähe weilen. Denn wisse, übermorgen ziehe ich aus, um des Königs Heer zu schlagen.«

Die Landgräfin fuhr zurück und erblich. »Also in Wahrheit – du willst es wagen? Friedrich, laß dich von deinem Weibe warnen in der zwölften Stunde!«

»Ganz recht. In der zwölften Stunde, denn übermorgen ist der letzte Mai. Vor dem Ende des Maien werden also Leu und Adler aufeinandertreffen, und es wird sich ja zeigen, wer den andern zerfleischt.«

»Und wenn die Nonne dennoch aus dem Geiste Gottes geweissagt hätte?«

»Eben diesen Glauben will ich dir für alle Zeit nehmen,« erwiderte Friedrich. »Siege ich, so siehst du ein, daß die Prophezeiung, die dich ängstigt, nichts war, als eine Träumerei. Du siehst fernerhin ein, daß unsere Sünde uns nicht behalten worden ist vom Herrn des Himmels, sondern daß er vergeben hat. Dann kannst du mein Weib sein mit freiem Herzen und brauchst nicht Qualen des Gewissens zu leiden, wenn ich meinen Arm um deinen Hals lege. Ist es nicht so?«

Frau Else nickte und barg stumm ihr Haupt an seiner Brust.

»Eine Gelegenheit bietet sich mir, wie ich sie vielleicht zum zweiten Male nimmer finde,« fuhr Friedrich fort. »Das Königsheer zieht auf Zwenkau, die Straße kenne ich wohl – da ist es zu fassen an mehreren Stellen, da kann eine kleine Schar sehr wohl elne große überrumpeln und zersprengen. Und wenn dieses Heer geschlagen ist, so ist es verloren und kehrt nicht heim, denn dann machen die Bauern den letzten Mann nieder.«

Er wartete lange vergeblich auf eine Antwort. Endlich erwiderte Frau Else mit leiser Stimme: »Ich kann deinen Sinn nicht beugen, er ist allzu fest und hart. Du bist wirklich von Stahl, wie alle Leute es von dir sagen. So kann ich nur hoffen und beten, daß Gott dein Wagnis gelingen lasse.«

Friedrich küßte sie auf die Stirn. »Sei sicher,« rief er, »es wird mir gelingen. In meiner Brust ist eine Stimme, die verheißt mir, daß ich siegen soll!«

»Und wenn du nun siegst, kehrst du dann nicht sogleich nach Leipzig zurück? Und darf ich dich dann nicht hier erwarten?«

»Ob ich zurückkehre, ist höchst ungewiß,« entgegnete der Landgraf. »Fällt mir der Sieg zu, so beute ich ihn aus, dessen sei sicher. Und es graut mir bei dem Gedanken, daß du inzwischen hier sein solltest ohne mich.«

»So will ich mich auch als dein gehorsames Weib darein finden, daß ich abreisen soll,« sprach Frau Else seufzend.

»Ich danke dir,« erwiderte der Landgraf. »Mir wird das Herz leichter sein, wenn ich dich außer der Gefahr weiß, die im Finstern schleicht.«

»Soll ich morgen schon reisen? Laß mich zum mindesten bei dir, bis du ausziehst.«

»Ja, du sollst bleiben, bis ich ins Feld rücke!« rief der Landgraf. Er reckte mit einem Male seine Gestalt hoch empor, seine Augen blitzten und funkelten, es war, als sähe er in der Ferne etwas Wunderbares.

»Um Gott, was ist dir, Friedrich?« rief die Landgräfin, der die plötzliche starke Erregung ihres Gatten nicht entging.

»Das sollst du sehen!« entgegnete der Landgraf. »Ein Gottesgericht will ich fordern, und du sollst dessen Zeugin sein. Dann wird der Wahn aus deinem Herzen schwinden, und du wirst frei sein.«

»Was willst du tun?«

»Übermorgen in der Frühe will ich dir's offenbaren. Bis dahin gedulde dich.«

Er schloß sie noch einmal heftig in seine Arme und verließ das Gemach. Dann entbot er sofort Hermann von Goldacker, Dietrich von Werthern und die andern Obersten und Rottenführer zu sich und besprach mit ihnen den Plan, das königliche Heer zu überfallen. Alle stimmten aufs freudigste zu, und als man sich gegen Mitternacht trennte, war der Angriff fest beschlossen. Doch sollte der gemeine Mann bis zur Stunde des Auszuges nichts davon erfahren, damit jede Verräterei unmöglich wäre.

Am Morgen des Auszugstages, als kaum der Tag graute, war der Landgraf mit seinem ganzen ritterlichen Gefolge in der Thomaskirche vereinigt. Auch Frau Else war zugegen und saß auf einem der Seitenstühle vor dem Hochaltare. Der Chorherrnprior hielt ein feierliches Hochamt ab, und darnach wollten die in den Kampf Ziehenden miteinander den Leib des Herrn genießen.

Als die Konsekration erfolgt war, trat Friedrich als erster an den Altar heran. Aber er beugte nicht seine Knie, sondern er wandte sich nach seinen Mannen um und begann zu aller Erstaunen an der heiligen Stätte zu reden.

»Liebe Getreue!« rief er mit lauttönender Stimme, »der Tag ist da, an dem wir abrechnen wollen mit denen, die uns schon so lange Unrecht tun und Schaden zufügen. Heute muß es offenbar werden, ob es noch fürder einen Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen geben soll, oder ob Albrecht der Habsburger da herrschen und gebieten soll, wo meine Eltern und Altvordern herrschten und geboten. Zu einem Gottesurteil habe ich den Habsburger gefordert, aber er hat mich mit Hohn zurückgewiesen. So flehe ich nun zum allmächtigen Gott, daß er heute ein Gericht halte zwischen ihm und mir. Habe ich meine Länder und Würden zu unrecht, so gebe ihm Gott den Sieg! Und liegt auf meinem Leben eine Sünde, die Gott der Herr mir nicht vergeben hat und nicht vergeben will, so trage man mich heute Abend heim als einen toten Mann. Darauf genieße ich den Leib unseres allerheiligsten Erlösers.«

Er hatte bei den letzten Worten sein Antlitz zur Seite gewendet, dahin, wo seine Gemahlin saß. Frau Else hatte das Haupt zurückgelehnt und starrte ihn mit weitgeöffneten Augen an. Ihr war, als müsse sie ohnmächtig werden. War es ein ungeheurer Frevel, den ihr Gatte hier vor ihren Augen vollbrachte? Oder trieb ihn Gott zu solchem Tun? Das mußte an den Tag kommen, ehe die Sonne gesunken war, die sich eben im Osten strahlend erhob. Denn Gott ließ sich nicht spotten und nicht ungestraft versuchen. Gab er ihrem Gatten nach diesen Worten den Sieg und erhielt ihm das Leben, so war alles Trug und Torheit, was ihr seit Jahresfrist das Herz belastet und das Gemüt verstört hatte. Ihre Sünde war ihnen vergeben, und sie konnten in ruhigem Glücke auch weiterhin miteinander leben.

Sie sagte ihm das nicht, als er nachher in der Sakristei der Kirche allein von ihr Abschied nahm, und als er ihr fest in die Augen sah und fragte: »Wie dünkt dich? Habe ich recht getan?« da erwiderte sie: »Du hast Gott versucht, aber mir ist, als dürften wir auf seine Gnade hoffen.«

Eine Viertelstunde später bewegte sich der kleine Zug der Fürstin durch das Frankfurter Tor, und über die Brücke der Pleiße, unterhalb des Schlosses, zogen Friedrichs reisige Geschwader nach Süden. Die Morgensonne spiegelte sich in den blanken Panzern und Helmen, die Spitzen der Speere blitzten und funkelten, und die Banner mit dem roten Thüringer Löwen und dem schwarzen Leuen von Meißen flogen lustig im Morgenwinde, der Luckaer Schlacht entgegen.


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