Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

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IX.

Der Sankt Nikolaustag war von altersher in Eisenach ein beliebtes Volksfest, allerdings vor allem ein Fest der Kinder. Am Vormittag von früh an zogen die Knaben und Mädchen, mit bunten Bändern geschmückt, von Haus zu Haus und sangen vor den Türen ein kleines Lied mit lustigem Kehrreim. Traten dann die Erwachsenen heraus, so hatten die Kinder das Recht, sie mit grünen Tannenreisern zu schlagen, die sie in dichten Bündeln in den Händen hielten. Aber die Alten lösten sich durch Verabreichung kleiner Kupfermünzen oder süßen Naschwerkes, und darauf war es abgesehen. Am Abend zogen dann fratzenhaft aufgeputzte Nikolause durch die Straßen, gingen in die Häuser und ließen die Kinder beten, worauf sie ihnen nun wieder allerlei Süßigkeiten, Nüsse und Äpfel in die Stuben warfen. Darum stand dieser Tag bei den Eisenacher Kindern fast so hoch im Ansehen, wie das heilige Christfest selbst.

Im Jahre des Heils 1306 beschränkte sich nun die Feststimmung nicht auf die Kleinen und Jungen, sondem die ganze Bürgerschaft schien davon ergriffen zu sein. Daran hatte freilich der gute Sankt Nikolaus und sein Gedächtnis nicht den geringsten Anteil, sondern etwas ganz anderes. Ein großer Schlag war den Bürgern gelungen: man hatte in der vergangenen Nacht die Eisenacherburg gestürmt und nach hartem Ringen gewonnen. Zwar war dabei viel Blut geflossen, aber es war nur wenig Bürgerblut, denn man hatte die Soldknechte des Königs klüglich vorangeschickt und das Beste tun lassen. Somit herrschte nur in wenigen Häusern Trauer und Klage, in den meisten dagegen heller Siegesjubel, und da der Deutsche die Freude, die er im Herzen empfindet, durch etliche Schoppen Weines oder Bieres allzeit zu steigern liebt, so waren am Abend alle Schenken und Trinkstuben übervoll. Immer neue Fässer mußten aus den Kellern heraufgeschafft werden, die Wirte keuchten und schwitzten und konnten kaum des Ansturms der Zecher Herr werden. Aber sie taten's gern und dankten den lieben Heiligen, denn solch ein Geschäft hatten sie nicht einmal zu verzeichnen gehabt, als des Königs Hoheit in ihrer guten Stadt weilte.

Geradezu andächtig gestimmt war der dicke Wirt, der des Rates Trinkstube am Markte gepachtet hatte. Bei ihm ging es ja nicht so laut und lärmend zu, wie in den Wirtshäusern gewöhnlichen Schlages, denn die Herren, die hier verkehrten, bewahrten wenigstens bis zum zehnten Becher eine gewisse vornehme Zurückhaltung. Dafür aber wurden in diesen Räumen die auserlesensten Sorten getrunken, edler Malvasier, Weine aus Hispanien und Welschland und die feurigen, goldklaren Gewächse, die den Ufern des Rheines ihr Dasein verdanken.

Am obern Ende des großen Hauptgewölbes stand ein mächtiger Eichentisch. Nach einer ungeschriebenen, aber streng festgehaltenen Rangordnung hatten an ihm die Vornehmsten und Angesehensten unter den Ratsmannen Platz genommen, die ältesten Ratsherren aus den Familien Aurifaber und Mennich, Zigenfleisch und Sperber, die beiden Bürgermeister Heinz Hellgrave und Dietrich von Wartberg und zwischen beiden der Altbürgermeister Ditmar Hellgrave, ein uralter Mann mit schneeweißem Haar und Bart, aber trotz seiner vierundachtzig Jahre noch trinkfrohen Gemütes, ein Freund lustiger Schwänke, bissig und derb in seiner Ausdrucksweise, ein geschworener Feind alles Neuen. Darum war er auch den Bestrebungen, für Eisenach die Reichsfreiheit zu gewinnen, gründlich abhold. Er befand sich deshalb in ewiger Wortfehde mit seinem Sohne, dem jetzigen Bürgermeister, und dessen Freunden, nahm dabei kein Blatt vor den Mund, schimpfte, besonders wenn er etwas getrunken hatte, weidlich auf die Rebellen, die Eisenach noch ins Unglück stürzen würden, und lobte und pries das landgräfliche Haus in allen Tonarten. Wunderlicherweise nahm ihm das niemand übel, sondern alles lächelte nur, wenn er zu poltern anhub, und schob seinen Grimm auf sein hohes Alter, das ihn unfähig mache, die neue Zeit und ihre Forderungen zu begreifen. Manche, die ihm nahe standen und seine Derbheit nicht fürchteten,hänselten und neckten ihn sogar zuweilen mit seiner Vorliebe für die Herrschaft der Wettiner.

So tat jetzt der Bürgermeister Dietrich von Wartberg. Er hob seinen Becher und sagte: »Nun, Vater Hellgrave, auf Eure Gesundheit! Was ich Euch fragen wollte: Wie bringen wir wohl am besten die erlauchten Herrschaften unter, wenn die Wartburg unser ist? Wir müssen sie doch in die Häuser verteilen, und da werdet Ihr Euch gewiß nicht weigern, die schöne Markgräfin bei Euch aufzunehmen. Habt ja immer einen Sinn gehabt für schmucke Frauensleut´.«

»In meiner Jugend teilten nur Narren die Beute, die sie noch nicht hatten,« erwiderte der Alte mit zornigem Brummen.

Die Nächstsitzenden lachten. Auch der Bürgermeister stimmte gezwungen mit ein. Dann rief er laut: »Aber Vater Hellgrave, Ihr müßt doch zugeben, daß wir die Burg beinah' haben!«

»Beinahe ist nicht ganz,« versetzte der Greis. »Einen Quark habt Ihr, werdet auch niemals mehr bekommen. Die Wartburg kriegt Ihr nicht, denn die Frau, die drinnen das Regiment hat, ist soviel wie drei Männer von Deiner Sorte, darauf verlaßt Euch.«

»Wir werden wohl mit einem Weibe noch fertig werden!« schrie Wartberg, der schon etwas mehr getrunken hatte, als er vertragen konnte.

»Sprich ehrerbietiger von deiner Herrin!« knurrte ihn der Greis grimmig an. Er pflegte alle Bürger in Eisenach beim Vornamen anzureden und zu duzen.

»Zum Henker! Sie ist unsre Herrin nicht,« erwiderte der Wartberger erbost. »Wir haben nur einen Herrn, den König. Gott gebe ihm Sieg und langes Leben! Wer des Königs Freund ist, der stoße mit mir an!«

Alle erhoben ihre Becher und ließen sie aneinanderklirren, nur der eigensinnige Alte blieb steif sitzen lächelte spöttisch und rührte sich nicht.

»Bei Sankt Maria! Das ist ein starkes Stück,« sagte Wartberg und stieß sein Trinkgefäß zornig auf den Tisch. »Jeder sieht Euren weißen Haaren manches nach, Vater Hellgrave, aber nicht mittun, wenn auf des Königs Hoheit getrunken wird« –

»Ach laß ihn,« warf sein Amtsgenosse Heinz Hellgrave verdrießlich dazwischen. »Du weißt ja, wie mein Vater ist. Kein Mensch kann den Eisenkopf bekehren. Da ist nichts zu machen!«

»Aber wo wir doch die freie Reichsstadt Eisenach sind!« schrie Wartberg. »Hier muß jeder den König ehren!«

»Haha!« krähte der Alte. »Freie Reichsstadt Eisenach! Mit Speck fängt man Mäuse und mit Honig den Bären. Freie Reichsstadt Eisenach! Gibt es nicht, und wird es nimmer geben! Wollt ihr wissen warum, ihr Spatzenköpfe?«

»Ja, warum denn nicht, Vater Hellgrave?« riefen die Ratsherren halb ärgerlich, halb ergötzt.

»Weil's keine freie Reichsstadt Wien und keine freie Reichsstadt Prag gibt. Nämlich, sowie der hungrige Habsburger ein Land gefressen hat, so kümmert er sich den Teufel ums Reich. Vorher girrt und lockt er: Ich mache euch zu freien Reichsstädten, ich mache euch zu Fürsten und Grafen des Reiches, wenn ihr mir helft, eure Herren zu verjagen. Aber wenn er zu seinem Ziele gekommen ist, dann tut er euch den Teufel. Das Reich erbt ja doch keiner von seinem Blute. Meint ihr, er wird für den König aus anderem Geschlecht sorgen, den nach ihm die Fürsten wählen? Weit gefehlt! Für den Habsburger wird er sorgen, seinen Sohn, der nach ihm und unter ihm das Land bebeherrschen soll, wie einer schon Böhmen hat. Dem schafft er gehorsame Untertanen und keine Reichsstädte, die nur unter dem Könige stehen!«

Der Alte hatte zuletzt sehr laut gesprochen, und der ganze Tisch hatte zugehört. Es lag soviel Sinn ln seinen Worten, und sie stimmten so sehr überein mit allem, was man von König Albrecht wußte, daß ein verlegenes, peinliches Schweigen eintrat, als er geendet hatte.

»Ach was!« lief endlich Wartberg trotzig. »Wir haben des Herrn Königs Wort und Eid.«

»Da habt ihr was Rechtes!« versetzte der Altbürgermeister trocken.

»Was soll das heißen?« fuhr Wartberg auf.

»Das soll heißen, junger Dietz, daß Worte und Eide hundertmal gebrochen werden von Fürsten und Bürgern, Rittern und Pfaffen. Ich hörte einmal einen Eid mit an und schwur ihn selber mit, daß eine Stadt wollte ihrem Erbherrn treu, hold und gewärtig sein mit Gut und Blut und Leib und Leben ihrer ganzen gemeinen Bürgerschaft. Wo ist der Eid? Vergessen, und die Stadt hat ihrem Erbherrn abgesagt und will freie Reichsstadt werden.«

Wieder ein Schweigen, dann aber von allen Seiten mißbilligendes, ärgerliches, drohendes Gemurmel. Das war den ehrbaren Ratsherren denn doch zu viel. Daran mochten sie sich nicht mahnen lassen, auch nicht von einem, dem sonst keiner so leicht etwas übel nahm.

Wartberg war mit puterrotem Gesichte aufgesprungen, er keuchte und rang nach Worten. Wer weiß, welche Folgen die übergroße Deutlichkeit des unerschrockenen Alten noch gehabt hätte, wenn nicht ein Ereignis eingetreten wäre, das wie ein einfallender Blitzstrahl auf die ganze erhitzte und halbtrunkene Gesellschaft wirkte. Die Tür ward aufgerissen, und herein stürzte der dicke Ratsherr Velsbach, dem die Wache am Nikolaitor anvertraut war. Es fiel ihm nicht ein, die Tür hinter sich zu schließen, so daß die kalte Winterluft in dichten Schwaden in das Gemach eindrang.

Velsbach warf sich auf einen Stuhl, er konnte nicht reden, so war er außer Atem. »Zu den Waffen!« kam es endlich über seine Lippen. »Zu den Waffen! Der Markgraf ist in der Stadt!«

Ein Schrei brach aus allen Kehlen. Alle sprangen auf und starrten Velsbach an und starrten einander an, als könnten sie's nicht fassen.

»Narrheit!« schrie der junge Hellgrave. »Der Markgraf soll in Braunschweig sein!«

»So wahr Gott lebt, er ist da!« ächzte Velsbach. »Das äußere Tor haben sie schon und klettern über den Graben. Im innern hab' ich das Fallgitter herabgelassen; ehe sie das einschlagen –« er schnaufte und konnte nicht mehr sprechen, aber statt seiner drang jetzt von außen eine Stimme, die allen durch Mark und Bein ging: die Sturmglocke von Sankt Nikolai.

»Auf!« schrie der Bürgermeister Hellgrave und riß sein Schwert von der Wand. »Auf! die Ratswache vor!« Damit stürmte er hinaus.

Markgraf Friedrich hielt vor der Stadt auf seinem gewaltigen Schimmel etwa zweihundert Schritte von dem Tore entfernt, das seine Leute bestürmten. Neben ihm zügelte der Ritter von Mandelslohe, den ihm sein Schwager als Feldhauptmann mitgegeben hatte, mühsam sein Roß. Das edle Tier scheute vor den Brandpfeilen, die links und rechts von den Stürmenden mit Schleuderen über die Mauer geworfen wurden und wie Raketen durch die Nacht fuhren.

»Wir zwingen es nicht,« sagte der Ritter, nachdem ihm die Bändigung seines Pferdes endlich gelungen war. »Das verfluchte Fallgitter von Eisen hält zu lange auf. Wer Überfall ist mißlungen.«

»Gott bewahre,« sagte der Markgraf. «Seht dorthin!« Er wies auf das Dach eines Hauses, aus dem ein dicker Qualm und dann eine feurige Lohe gen Himmel fuhr. »Ein Pfeil hat gezündet, den Heiligen sei Dank, der scharfe Nordwird wird das Übrige tun. Bald werden ein paar Häuser in Flammen stehen.«

»Deshalb sind wir noch lange nicht in der Stadt,« erwiderte der Ritter.

»Das will ich gar nicht,« erklärte der Markgraf. »Aber wenn's hier brennt – und seht, wie die Flammen emporschlagen –, da rennt von den Städtern alles herbei, was in der Stadt und was vor der Stadt ist. Ich kenne sie, wenn ihr Nest brennt, laufen sie sogar aus der Feldschlacht nach Hause. Und inzwischen kommen meine Wagen an der Stadt vorbei und den Berg hinauf.«

In diesem Augenblicke brauste ein Windstoß einher und blies so mächtig in das brennende Dach, daß die Lohe prasselnd und knatternd in die Höhe stieg. Ein heller Schein breitete sich weithin über die Umgebung aus.

«Es ist genug,« sagte der Markgraf. »Wir haben, was wir wollten. Beulwitz, reite an den Graben vor und befiehl, daß die Knechte sich zurückziehen. Es soll nicht mehr gestürmt werden.«

Der Ritter sprang vor, und sogleich ward dem Befehle des Markgrafen Folge geleistet. Die Knechte zogen sich über den Graben zurück, und von drüben drängte keiner nach. So trat mit einem Male eine Stille ein, die nach dem Lärm und Geschrei und Getöse wunderlich wirkte. Da sprengte ein Edelknecht daher. »Gnädiger Herr!« rief er, »Herr Dietrich von Werthern hat den Wagenzug bis an den Fuß des Berges geführt. Er hat keinen Feind gesehen.«

»Gelobt sei Gott! Dann ziehen wir ihm nach und decken ihm den Rücken.« Dann mit einem Male sprengte er vor bis dicht an den Graben heran, reckte seinen gepanzerten Arm wider die Stadt aus, und seine mächtige Stimme klang scharf und schneidend zu den Bürgem hinüber: »Männer von Eisenach! Erkennt die Hand eures Herrn! Das war der erste Schlag an euer Tor. Wehe euch, wenn der zweite fällt! Bedenkt bei Zeiten, was euch zum Frieden dient!«

Damit wandte er sein Roß und ritt langsam zurück. Kein Hohnruf folgte ihm und kein Pfeilschuß, obwohl sein Panzer im Widerschein des Feuers wie Gold gleißte, und bald war er mit seinen Leuten in der Nacht verschwunden.


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