Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

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XVI.

Am vierten Tage nach des Landgrafen Ausfall zog Heinrich von Weilnau mit den Söldnern des Königs in Eisenach ein. Der ganze Rat ging ihm vor das Tor entgegen, das Volk hatte Tannenzweige auf den Weg gestreut, jubelte und schrie und gebärdete sich vor Freude wie toll und närrisch. Denn nun kam der große Tag des Sieges, der Tag, an dem die verhaßte Burg da droben in Trümmer sinken und das landgräfliche Joch auf immer gebrochen werden sollte. Eine goldene Zeit brach für Eisenach an, jedermann, etwa mit Ausnahme des alten Ditmar Hellgrave und einiger anderer Sonderlinge, sah die Zukunft der Stadt in rosigstem Lichte.

Aber dieses rosenrote Licht erblaßte gar bald und machte einem bedenklichen Grau Platz. Schon am ersten Tage gab es lange Gesichter im Rat, denn der Graf erklärte kurzab, es sei Befehl des Königs, daß die bewaffneten Bürger Eisenachs in sein Heer eingereiht werden sollten. Eine besondere Bürgerwehr unter dem Befehle ihrer Bürgermeister und Viertelsmeister sollte es nicht mehr geben, alle sollten allein dem Feldhauptmanne des Königs gehorchen. Was blieb den guten Bürgern übrig, als sich zu fügen? Aber sie taten es mit großem Unmut, und in den nächsten Tagen wurde ihr Unmut zum Groll. Denn Weilnau schaltete in der Stadt wie ein Diktator, nahm auf keinen Menschen irgendwelche Rücksicht, befahl kurz und barsch und verlangte unbedingten Gehorsam. Zwei Bürgerssöhne, die einen Wachtposten auf einige Zeit verlassen hatten, ließ er in Eisen legen und kündete an, daß er künftig ähnliche Vergehungen mit dem Galgen ahnden werde. Und was mutete nun vollends dieser Mensch den Bürgern im Felde zu! Bis jetzt hatte die Kriegsführung der Eisenacher darin bestanden, daß sie mit Schwertern und Spießen und viel Geschrei um die Wartburg herumlungerten, hier und da etwas niederbrannten, was dem Landgrafen gehörte, Boten abfingen, Wagen und Saumtieren auflauerten. Jetzt mit einem Male wurde von ihnen verlangt, daß sie mit größter Gefahr Leibes und Lebens stürmen und im Bereich der feindlichen Geschosse Verschanzungen aufwerfen, Bliden und Ballisten bedienen sollten. Diese lebensgefährliche Art der Kriegsführung war ihnen von den ersten Stunden sehr verhaßt, und sie wünschten den Urheber dieses bösen Zwanges heimlich zu allen Teufeln.

Das freilich konnte niemand leugnen, daß er in zwei Tagen weiter gekommen war, als die Städter in acht Wochen. Er hatte sofort erkannt, daß er die Eisenacherburg unter allen Umständen gewinnen müsse, wenn es ihm gelingen sollte, der Wartburg erheblichen Schaden zu tun. Darum ließ er gleich am Morgen nach seinem Eintreffen die nur mäßig stark befestigte Burghöhe bestürmen und setzte den Sturm fort den ganzen Tag über ohne jede Unterbrechung und von allen Seiten, indem er immer seine erschöpften Rotten durch neue, ausgeruhte ablösen ließ. So war er am Abend Herr der Befestigung, denn die kleine Schar der Verteidiger mußte trotz aller Tapferkeit schließlich doch der Übermacht erliegen. Und als in der Morgenfrühe des nächsten Tages Hermann Goldacker durch die Mauerzinnen im Süden der Burg ins Tal hinunterschaute, da ward ihm ein Anblick, über den er in seinem tapferen Herzen furchtbar ergrimmte.

Drüben auf der Eisenacherburg waren drei Galgen errichtet. Daran hingen die Knechte, die am Abend vorher lebend in die Hände Weilnaus gefallen waren. Und auf dem schmalen Bergsattel, der die niedrigere Höhe der Eisenacherburg mit dem hochragenden Felsen der Wartburg verband, war über Nacht ein hohes Gerüst gezimmert und überdacht worden. Eine große Menge Menschen war damit beschäftigt, eine Verschanzung davor aufzuführen, und im Hintergrunde stand Rotte an Rotte in voller Bewaffnung, um einen Ausfall der Belagerten abzuwehren.

»Komm her zu mir, Helldorf!« rief Goldacker dem Marschalk der Landgräfin zu, der eben über den Hof geschritten kam.

Der junge Ritter sprang leichtfüßig die Stufen zu dem Mauerumgang hinauf, aber er stand wie erstarrt, und der Morgengruß erstarb ihm im Munde, als Goldacker stumm nach der Anhöhe hinüber und dann auf das Werk der Feinde hinunter deutete.

»Die Schurken!« stieß er endlich hervor. »Sie haben unsere Leute gemordet!«

Der große Ritter antwortete durch ein hartes Gelächter. Dann sagte er mit wildem Hohn: »Gemordet? Willst du des Königs Hoheit beleidigen? Gerichtet sind sie, denn sie waren Helfer des Achters Friedrich von Wettin, und darum haben sie den Tod verdient, wie wir alle. – Hund!« brüllte er in plötzlich ausbrechender Wut und ballte die mächtigen Fäuste gegen einen hochgewachsenen Mann in ritterlicher Rüstung, der jetzt drüben sichtbar ward. »Dich hatt' ich schon einmal in meiner Gewalt. Hält' ich dich damals in den Graben geschleudert! Aber gönnen mir's die Heiligen, daß ich noch einmal an dich komme, dann wehe dir!«

Drunten, wo die Wurfmaschinen aufgerichtet wurden, war man auf die beiden Ritter aufmerksam geworden, schien auch etwas gehört zu haben von Goldackers Drohungen. Schimpfworte, die halb im Winde verhallten, klangen zu den beiden empor.

»Heiliger Gott!« sagte Helldorf, »dort tritt die Herrin aus dem Hause. Schnell, laßt uns ihr entgegengehen und ihre Schritte anderswohin lenken, damit sie den Greuel nicht sieht!«

»Was soll das nützen? Meinst du, der Schuft ließe die Leichname abnehmen, damit sie der gnädigen Frau nicht in die Augen fallen? Der wird sie tagelang baumeln lassen, daß sie uns ein Entsetzen einjagen. Denn mit Schreck will dieser König und sein Knecht die Menschen zur Unterwerfung bringen. Der Anblick kann ihr nicht erspart werden. Wer eine Burg verteidigen will gegen den Habsburger und sein Mordgesindel, der muß auch solche Dinge sehen können.«

»Nein!« rief Helldorf hastig und eilte die Treppe hinab der Fürstin entgegen. »Gnädigste Herrin, ich bitte Euch, kehret hier um! Es wartet Euer ein abscheulicher Anblick.«

»Nun Helldorf, was Ihr sehen könnt, das kann ich auch sehen. Ich bin nicht schwach, wie die meisten Weiber, das müßtet Ihr wissen. Laßt mich ruhig hinauf, wo Goldacker steht. Bei Sankt Elisabethen, Marschalk, wie seht Ihr aus? Was ist's, das Euch so verstört hat?«

Mit diesen Worten trat sie an die Zinne heran und blickte hinaus. Sie stieß einen Ruf der Überraschung aus, denn ihr Auge fiel zunächst auf das Getriebe zu ihren Füßen. Aber als sie dann den Blick zur Eisenacherburg hinüber schweifen ließ, da erblaßte sie jäh, und ihr Antlitz ward steinern.

»Sind das Menschen? Sind das Christen?« schrie sie endlich auf.

Hermann Goldacker wollte eben mit hochrotem Angesichte eine Rede anheben, in der er seiner Meinung über den Christenstand der Feinde gewiß ungeschminkt Ausdruck gegeben hätte. Aber er kam nicht dazu. Von unten her erklang ein scharfer, dünner Laut, und gleich darauf flog ein Holzpfeil mit blanker Stahlspitze durch die Mauerluke, sauste so dicht über dem Haupte der Landgräfin hin, daß er ihr fast das Haar berührte, und blieb im Holzgebälk des Pferdestalles haften.

»Fort!« rief Hermann Goldacker erschrocken. »Fort von hier, edle Frau, das ist kein Platz für Euch!«

»Nein, wahrlich,« erwiderte Frau Else, der gleichfalls ein Schrecken durch die Glieder gefahren war. »Hier könnt' ich ohne Nutz und Frommen für jemanden abgeschossen werden wie die Taube auf dem Dache.«

Sie stieg eiligst die Stufen wieder herab und schritt dem Hause zu.

»Helldorf,« sagte Goldacker, als sie gegangen war, »jetzt wird's bitterer Ernst. Die Schufte können zwar der Mauer nichts anhaben, aber nicht lange wird's dauern, da kommen die Brandpfeile geflogen. Du siehst, wie weit sie schießen. Ich werde die Wurfschleuder hierherbringen lassen, die wir vorn auf der Schanze haben, und auch mit Armbrüsten ihr Schießen erwidern. Aber ich fürchte, wir werden sie nicht vertreiben. Bald werden Steine, Bolzen und Pfeile in Massen in die Burg fallen. Darum hüte die Herrin! Beschwöre sie, daß sie keinen Fuß aus dem Hause setzt, denn im Hofe ist keiner seines Lebens sicher.«

Helldorf gelobte das und eilte schleunigst der Landgräfin nach, um ihr die Bitte vorzutragen. »Wie?« rief Frau Else zornig, »da wäre ich ja eine Gefangene in meiner Kemenate? Das glaubt nur ja nicht! Ich lasse mich nicht den ganzen Tag einsperren!« Aber als am Nachmittag die Beschießung begann, schwere Steine in den Hof prasselten, zischende Pfeile überall die Luft durchschwirrten, da gab sie doch den flehentlichen Bitten ihres Marschalks nach und blieb unter dem schützenden Dache. In dieses gefährliche Getümmel, das sah sie ein, gehörten nur Männer, die den Harnisch um die Brust und die Eisenhaube auf dem Kopfe trugen. Für ein Weib hieß es Gott versuchen, wenn sie sich unbewehrt in solche Gefahr begab. Zudem war ihr persönliches Eingreifen unnötig, denn Hermann Goldacker leitete die Verteidigung mit der größten Umsicht und Tatkraft. Er sorgte dafür, daß die Schützen auf der Burg denen drunten die Antwort auf ihr Schießen nicht schuldig blieben, stellte an allen gefährdeten Stellen Knechte mit Leitern, Haken und Wassereimern auf, die sofort jeden Brandpfeil unschädlich machen sollten, sah unermüdlich nach den Wachen, schien manchmal an mehreren Stellen zu gleicher Zeit zu sein. Wesentlich ihm war es zu danken, daß die Feinde am Abend eigentlich nichts erreicht hatten, und daß der Mut der belagerten Mannschaft vollkommen ungebrochen war.

Trotzdem waren seine Mienen tiefernst, fast kummervoll, als er nach dem Abendläuten vor das Angesicht seiner Herrin trat. Frau Else empfing ihn mit Tränen in den Augen und streckte ihm die Hand entgegen. »0 Marschalk,« rief sie, »wie habt Ihr Euch bewährt! Wie habe ich Euch zu danken. Ich habe aus den Fenstern gesehen, was Ihr getan habt, und ich habe Euch beneidet. Denn wie eine Gefangene saß ich im Hause, während Ihr kämpftet. Ach, daß ich als schwaches Weib geboren bin!«

»Euer Lob ist mir ein großer Lohn, gnädigste Frau,« erwiderte Goldacker. »Nichts erfreut den treuen Diener so, als wenn die Herrin mit ihm zufrieden ist. Um so unlieber ist's mir, daß ich Euch von etwas reden muß, worüber Ihr mir zürnen könntet.«

»Sprecht, Goldacker! Was es auch sein mag, ich zürne Euch nicht.«

»Gnädigste Frau, Ihr sagt, daß Ihr heute wie eine Gefangene gewesen seid. Das wird nun andauern viele Tage, vielleicht viele Wochen, und es wird mit jedem Tage ärger werden. Heute haben wir mit Gottes Hilfe abgewendet, daß ein Brand ausbrach. Aber wer sagt uns, daß Gott uns immer so gnädig sein wird? Und wenn auch nicht das ganze Schloß ausbrennt, – schlimm genug wäre es schon, wenn Getreide und Heu verbrennten und wir die Pferde nicht erhalten könnten. Dann wäre kein Ausbrechen mehr möglich, und Euer Gnaden müßten hier aushalten, was auch geschähe. Darum möcht' ich euch in treuer Meinung bitten: Brecht aus, solange wir die Rosse noch frisch und munter haben. Brecht die nächste Nacht aus und bringt Euch und das junge Fräulein in Sicherheit.«

»Wo meint Ihr denn, daß wir sicher wären? Gibt es für uns irgendwo einen sicheren Ort?« fragte die Landgräfin herb.

»Jedes Kloster ist eine Freistatt für die Verfolgten. Reitet nach Reinhardsbrunn.«

»Und wenn dieser König und seine Knechte den heiligen Ort nicht achten?«

»Den Bann muß auch der König scheuen, so böse und ruchlos er ist. Auch würden die Ritter in seinem Heere den Befehl nicht achten, dort Hand an Euch zu legen, denn das wäre eine Schande für jeden ritterlichen Mann.«

»Meint Ihr? Und wenn ich nun unterwegs in ihre Hände falle?«

»Gnädigste Frau, das ist unmöglich. Hänge ich das rote Licht in der Nacht am Bergfried aus, so kommt in der nächsten Nacht um eins der Abt mit mehr als hundert Helmen uns entgegen. Von hier nehmt Ihr die meisten Rosse mit. Da kommt Ihr auf alle Fälle durch.«

Die Landgräfin dachte eine Weile nach. »Meint Ihr, daß sie stürmen werden?« fragte sie endlich.

»Das werden sie wohl versuchen.«

»Und wo?«

»Vorn an der Schanze. Eine andere Stelle gibt es nicht.«

»Und glaubt Ihr, daß sie die Burg gewinnen könnten?«

»Nimmermehr, so lange wir leben!«

»Dann bleibe ich hier!« entschied Frau Else. »Die Burg ist mir übergeben von meinem Gemahl, und nur ein Befehl von ihm gäbe mir das Recht, sie zu verlassen.«

»Der Herr Landgraf würde den Befehl gewißlich geben, wenn er wüßte, wie bedrängt wir sind.«

»Das wissen wir nicht, Marschalk. Darum müssen wir uns nach der eigenen Ansicht richten. Reden wir also nicht mehr davon. Ich bleibe hier!«

Der Marschalk neigte schweigend das Haupt, er erkannte, daß er jetzt nichts erreichen werde. Aber tiefbekümmert und mit schwerem Herzen schied er von seiner jungen Gebieterin. Er hielt es für seine Pflicht, Frau Else von der hartbedrängten Burg hinwegzubringen, denn wenn etwa ein Unglück geschah und durch Feuer die Vorräte vernichtet wurden, so blieb nichts übrig, als die Feste zu übergeben. Dann fiel sie in die Hände des Königs, und der Landgraf konnte nichts mehr unternehmen, ohne befürchten zu müssen, es werde an seiner Frau gerächt werden.

Einen Augenblick kam ihm der Gedanke, ohne ihr Wissen das rote Licht auszuhängen und sie wider ihren Willen von der Burg wegzuführen. Aber er verwarf ihn sogleich, denn er wußte, daß sie ihm das nie vergeben werde.

Er suchte diese Nacht kein Lager auf, sondern übernachtete, in einen Reitermantel gehüllt, in dem Turm, der auf der Ostspitze der Schanze stand. Er wollte gleich zur Stelle sein, wenn etwa ein nächtlicher Angriff auf die gefährdete Stelle der Burg erfolgen sollte, den er dem Grafen Weilnau wohl zutraute.

Als die Mitternacht vorüber war, schien sich sein Argwohn zu bestätigen. Man hörte dumpfes Getöse von der Eisenacherburg her, Lärm, Geschrei, Pferdegetrappel. Das feindliche Lager schien in Aufruhr zu geraten. Dann mit einem Male ward es wieder still. Gegen drei Uhr morgens wiederholte sich ganz dasselbe, aber ein Angriff erfolgte auch jetzt nicht.

»Es sind ohne Zweifel die Reiter des Abtes,« sagte der Marschalk erfreut zum alten Teutleben. »Das ist gut, das mag er Nacht für Nacht so betreiben, dann wird er die Schurken da unten mürbe machen. Abt Markwart ist ein trefflicher, frommer Mann, ich hab' es immer gesagt.«

Der Gedanke des Abtes, die Belagerer der Burg um ihren Schlaf zu bringen und so zu ermüden, erwies sich in der Tat als ein ganz ausgezeichneter. Am nächsten Tage freilich war von seiner Wirkung noch nichts zu verspüren; die Beschießung war im Gegenteil noch heftiger als am vorhergehenden, und der Feind versuchte sogar die Schanze zu stürmen, allerdings ohne jeden Erfolg. Aber am dritten Tage kam es fast zu einer Meuterei der rheinischen und schwäbischen Soldknechte. Sie murrten und fluchten so bedrohlich, daß Weilnau zu seinem unaussprechlichen Ärger einen Ruhetag ansetzen mußte. Wütend ritt er in die Stadt zurück und erwog dort im Predigerkloster mit seinen Vertrauten, wie die ewige nächtliche Plackerei abzustellen sei. Natürlich war er, wie alle andern auch, der Meinung, Landgraf Friedrich selbst führe die Überfälle aus.

»Hätt' ich den Achter, ich hinge ihn an den nächsten Baum!« schrie er in seinem Zorn.

»Mit Verlaub,« sagte Heinrich Hellgrave, »der Landgraf steht auf Tenneberg, das haben wir sicher erkundet. Aber er hält auch den Scharfenberg über Thal, und die von Wangenheim haben ihm den Winterstein geöffnet. Dort schläft er mit seinem Volke am Tage, und wenn's dunkel wird, kommen sie heraus und greifen uns an.«

»Wie weit sind die Schlösser?« fragte Weilnau.

»Nach Tenneberg kommt Ihr in fünf Stunden, nach Scharfenberg in zweien oder dreien, Winterstein ist wieder eine Stunde weiter.«

»Sind sie bewehrt?«

»Nicht halb, nicht ein Viertel so wie die Wartburg. Nur Tenneberg wird er jetzt stark befestigt haben.«

Weilnau dachte nach. »Wir wollen Späher ausschicken, die erkunden, wo der Wettiner liegt. Wissen wir's, dann kommen wir über ihn, wenn er's nicht vermutet.«

»Herr,« sagte der Domherr von Aspelt, der im Predigerkloster wohnte und mit dem Prior sehr freundschaftlich verkehrte, »wie wäre es, wenn wir die frommen Brüder dazu gebrauchten? Sie ziehen überall im Lande umher und sammeln milde Gaben, und niemand hat ein Arg, wenn sie erscheinen.«

»Ja, wenn sie dazu willig sind, so ist das ein sehr kluger Einfall,« erwiderte der Graf. »Und Ihr seid wohl der Mann, sie willig zu machen, denn dem Bruder ihres Erzhirten werden sie schwerlich etwas weigern.«

»Ich denke, sie werden ebenso willig wie brauchbar sein, und ich will sogleich ans Werk gehen,« gab der Domherr zur Antwort und ging freundlich lächelnd zur Tür hinaus. –

So kam es, daß Hermann Goldacker und seine Herrin, drei Tage später eine seltsame Botschaft erhielten. Der treue Mann stand über dem Tore der Schanze, das heute zum dritten Male bestürmt worden war. Sein Gemüt war sehr umdüstert, denn es war in den letzten Tagen nicht gut gegangen auf der Wartburg. Ein Brandpfeil war in ein Gemach des Landgrafenhauses gedrungen, das Zimmer war ausgebrannt, und das Feuer hatte nur mit Mühe gelöscht werden können. Eines anderen Brandes Löschung hatte man nur einem plötzlich niedergehenden Platzregen zu verdanken gehabt, aber es war doch viel von dem kostbaren Heu vernichtet worden. Nicht acht Tage mehr konnte man die Pferde auf der Burg ernähren.

Mit trüben Blicken schaute der Ritter in das Land hinein, über das sich schon die Abenddämmerung herabzusenken begann. Die fernen Bergkuppen verschwammen bereits im Dunkel, nur die Felsen des nahen Metilsteines leuchteten noch hell herüber.

Mit einem tiefen Seufzer wollte sich der Marschalk in die Burg zurückziehen, da hemmte ein merkwürdiges Geräusch, das an sein Ohr drang, seinen Fuß. Ein Gesang rauher Männerstimmen erscholl in der Ferne, und es war, als bewegten sich die Sänger den Berg hinauf, denn die Töne waren immer deutlicher zu vernehmen.

»Aufgepaßt! Es kommt wer!« rief Goldacker den Knechten zu, die auf und neben der Zugbrücke lehnten. Sie kamen auf seinen Ruf eilend mit ihren Spießen herbei. Indessen kam der Gesang immer näher, und bald ward auch sichtbar, von wem er ausging. Ein Trupp Predigermönche zog in langsamen, feierlichen Schritten den Bergweg empor. Über ihre weißen Hauskutten hatten sie die schwarzen Ausgehkutten gezogen, und zwei von ihnen trugen eine kleine Lade auf einer Bahre auf den Schultern. Es war, als trügen sie einen Kindersarg die Burg hinauf.

»Wer da?« schrie der Ritter von oben herab, als sie sich dem Tore näherten.

»Gelobt sei Jesus Christus!« tönte es im tiefen Baß zurück. Es war die Stimme des Priors Volkram, die Goldacker sogleich erkannte.

»In Ewigkeit. Amen!« gab er zurück.

»Ah, du bist es, Hermann Goldacker,« sagte der Prior. »Hast du den Befehl auf der Wartburg?«

»Nein, meine Herrin, die Landgräfin Else.«

»So führe mich zu der edlen Frau. Die Meinen können einstweilen hierbleiben.«

»Die Brüder mögen ruhig eintreten und im Vorhofe rasten. Wir versehen uns von Euch keines Argen. – Was habt Ihr da für einen Kasten mitgebracht?« fügte er neugierig hinzu.

»Du wirst es sogleich erfahren, wenn wir vor deiner Herrin stehen.«

»So kommt!« erwiderte Goldacker und schritt ihm schnell voraus.

Frau Else verwunderte sich, als sie den Prälaten eintreten sah, aber sie hatte das Gefühl, er werde ihr etwas Günstiges verkünden. Die Predigermönche waren von dem alten Landgrafen oftmals reich beschenkt worden, und es hatte zwischen dem Kloster und der Burg stets ein gutes Einvernehmen geherrscht.

»Was bringt Ihr mir, Herr Volkram?« rief sie und bot ihm die Hand.

»Gott zum Gruße, erlauchte Frau. Angeblich soll ich hier etwas holen, in Wirklichkeit soll ich etwas bringen.«

»Nun?« fragte die Landgräfin erwartungsvoll.

»Wir haben gesehen, daß es dem üblen Teufel gelungen ist, einen Brand auf der Wartburg zu stiften. Es könnte das noch mehrmals sich ereignen. Deshalb tragen wir große Sorge, ob auch die heiligen Reliquien, die Ihr hier verwahret, vor dem Feuer wohl behütet sind, und bieten Euch an, sie in Verwahrung zu nehmen, solange die Burg belagert wird. Da Graf Weilnau vorgibt, ein Christ zu sein, so hat er dem Drängen des Herrn Domherrn von Aspelt nachgeben müssen und den Gang zu Euch erlaubt.«

Bei Nennung des Namens Aspelt warfen sich die Fürstin und der Marschalk einen blitzenden Blick zu. Der Prior bemerkte es und lächelte.

»Natürlich ist das bloß ein Vorwand,« fuhr er fort; »nur ein Dummer kann wähnen, das Ihr das teuerwerte Gut, das Euch den Schutz der Heiligen sichert, aus der Burg lassen werdet. Das aber habe ich Euch in Wahrheit zu künden: Morgen Abend bei Dunkelheit fährt Graf Weilnau mit allen seinen Reitern und den meisten Knechten nach der Ruhl aus und legt sich dort in einen Hinterhalt. Er will auf Euren Gemahl passen, denn er hat Kundschaft, daß er um elf in der Nacht von Winterstein heranzieht. Die Kundschaft ist falsch, er mag lange dort liegen. Ihr aber wißt nun, daß in dieser Nacht sein Lager von Streitern entblößt ist. Verwertet diese Nachricht, gnädigste Frau, nach Eurem Gutdünken.«

»Heil! Heil!« rief Goldacker, der in seiner Freude aller höfischen Sitte vergaß. »Wir werden uns dazuhalten!«

»Das glaub' ich wohl. Und nun, edle Frau, gebt mir Urlaub. Jedes längere Zögern könnte Argwohn schaffen. Ich denke, Ihr werdet meinem armen Kloster Euer Wohlwollen von nun an immer mehr zuwenden, wissend, daß wir Eure treuen Diener sind. Die Heiligen wollen Euch segnen und behüten!«

Als die Mönche die Burg wieder verlassen hatten, beschied Frau Else den Marschalk zu sich und pflog mit ihm eine lange Unterredung. Auch Teutleben, Helldorf, Hopfgarten, Hagen wurden dazu herbeigeholt, und jeder gab seinen Rat dazu, wie man morgen den Ausfall bewerkstelligen wollte. Gegen zehn Uhr verabschiedete sich die Fürstin, die Ritter aber saßen noch lange beim Wein zusammen und trennten sich erst nach Mitternacht. Da suchten alle ihre Lager auf, nur einer nicht. Hermann Goldacker stieg mit einem Lichte auf den Bergfried, entzündete dort eine große Laterne und hing die hinaus. Dann stand er geduldig und wartete wohl eine Stunde lang, bis endlich auf der Höhe des Wachsteins ein helles Feuer emporflammte. Da nickte er befriedigt und stieg wieder hinab. »Der Abt wird kommen,« murmelte er.


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