Paul Schreckenbach
Um die Wartburg
Paul Schreckenbach

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XII.

Landgraf Friedrich war nicht nach Tenneberg gezogen, sondern er hatte auf den Ruf seiner Gemahlin hin ungesäumt den Rückzug nach der Wartburg angetreten. Er konnte das den Rossen zumuten, denn es lag kein Schnee, und die Wege waren bei dem starken Froste besser passierbar, als zu jeder anderen Jahreszeit. Aber er kam mit den schweren Gäulen nur langsam vorwärts, und so war es gegen neun Uhr abends geworden, als er an den Ausläufern des Wartberges anlangte.

Dort stieß er zu seiner Verwunderung auf Hermann Goldacker, der ihm mit einer Reiterschar entgegengezogen war. »Die Herren von Eisenach,« erklärte der treue Mann, »haben heute einen Königsboten in ihrer Stadt und noch dazu einen, der ein tüchtiger und verwegener Kriegsmann ist. Da wird ihnen der Kamm gewaltig geschwollen sein, und der Teufel mochte wissen, ob sie es nicht wieder einmal wagten, um den Berg zu schwärmen. Darum habe ich an Lutz Wangenheim den Befehl abgegeben und bin Euer Gnaden entgegengezogen. Es konnte leicht zu scharfen Schwertschlägen kommen.«

»Und da lüstete dich's, dabei zu sein,« erwiderte lachend der Landgraf. »Wohl bedacht und wohl getan, mein wackerer Hermann! Und nun komm her zu mir an meine Seite und erzähle, was sich auf der Burg ereignet hat.«

Als der Ritter seinen Bericht beendigt hatte, schwieg Friedrich nachdenklich. Dann sagte er mit fester Stimme: »Was mein Vater mir überlassen hat, das ist zu dieser Zeit nicht viel mehr als ein Name.«

»Und, gnädiger Herr, noch eines: die alleinige Gewalt über die Burg, die vor uns liegt,« warf der Ritter ein. »Das ist doch nicht allzu wenig, denn Ihr kennt das Sprichwort wohl: Wer die Wartburg hat, der hat Thüringen.«

»Möge sich's erfüllen!« rief der Fürst. »Mit aller Kraft wollen wir erstreben, daß aus dem Namen eine Herrschaft werde. Und ich bin guten Mutes, Hermann, denn ich erkenne, daß dieses Königs Macht nicht so fest gegründet ist, wie es den Anschein hat. Eine Kunde ward mir heute zugetragen, die Frohes verheißt: Peter von Aspelt, der Bischof von Basel, ist erwählt und vom Papste bestätigt zum Erzbischof von Mainz.«

»Heiliges Kreuz! Das ist eine gute Kunde, gnädiger Herr! Der ist schon lange des Königs geheimer Feind und wird ihm zu schaffen machen!« frohlockte der Marschalk.

»Das denke ich auch. Und noch eine zweite gute Kunde: Abt Markwart bringt die Judenschaft von Erfurt dazu, uns eine Anleihe von mehreren tausend Mark Silbers zu gewähren.«

»Alle Hagel, gnädiger Herr, das ist noch mehr wert als das andere! Denn Euer Gnaden weiß selbst, wie sehr es uns an Rossen mangelt. Wollen wir im Frühling nicht nur hinter Mauern widerstehen, so müssen wir vor allen Dingen zwei bis dreihundert gute Gäule haben.«

»Da hast du recht, und es wäre uns schwer geworden, sie mit leeren Taschen zu erstehen,« versetzte Friedrich. »Gelobt sei Gott und alle Heiligen, daß sich wider alles Hoffen und Vermuten ein Weg zu Geld auftut! Hab' ich nur erst Freiberg wieder mit seinen Silbergruben, dann sollen mich die Schulden nicht drücken. Es sind, wie ich höre, viele Bürger dort mir noch wohlgeneigt, und der König verliert an Anhang mit jedem Tage. Ich könnte da wohl manches versuchen, aber erst muß der Zuzug von meinem Bruder da sein.«

Während dieser Neben waren sie den Berg hinaufgekommen und ritten nun durch das Tor in den vorderen Hof der Burg ein. »Ist Frau Else noch wach, oder ist sie schon zur Ruhe gegangen?« fragte Friedrich, indem er sich aus dem Sattel schwang.

»Ich seh' in Eurem Gemache noch Licht, gnädiger Herr. Wahrscheinlich erwartet Euch dort die Herrin.«

Friedrich hob erstaunt den Kopf. Sein Weib sollte ihn erwarten und in seinen Gemächern? Frau Else hatte die Zimmer, die er bewohnte, ängstlich gemieden, seit er wieder in der Burg war. Sollte sie gerade jetzt da weilen, da die Nacht hereingebrochen war? Wunderlich und kaum glaublich! Aber sie hatte ihm vielleicht noch etwas Dringendes mitzuteilen, was Hermann Goldacker nicht wußte, auch nicht wissen sollte.

Er verabschiedete in dem inneren Hofe seinen Begleiter und stieg mit klopfendem Herzen die Stufen hinan. Seltsam bange war ihm zu Mute, er fürchtete, seine Frau möchte zurückkommen auf ihre Absicht, die Burg zu verlassen, um nach Himmelskron zu ziehen, und sie habe diese Stunde gewählt, um ihm das zu sagen.

Ein paar Augenblicke zögerte er vor der Tür, dann klinkte er sie auf und trat ein, entschlossen, mit allen Mitteln der Rede, die ihm zu Gebote standen, um sein Glück zu kämpfen. Aber ein friedliches und rührendes Bild bot sich seinem Auge dar. Frau Else war auf ihrer Bank eingeschlafen, ihr Haupt war an die Wand zurückgesunken, ihre Hände ruhten leicht gefaltet im Schoße, an den Wimpern hingen noch die Tränen, die sie geweint hatte, ehe der Schlaf sie übermannte.

Der Landgraf betrachtete das bleiche, schöne Gesicht eine Weile schweigend, dann trat er leise an sie heran und küßte sie auf die Lippen. Er war so übermannt von Liebe und Wehmut, daß er die Schranken ganz und gar vergaß, die sie selbst zwischen sich aufgerichtet hatten.

Sie öffnete die Augen, aber es lag noch ein traumhafter Ausdruck darin. Schlief sie noch, und träumte sie weiter? Oder wachte sie und wußte, was sie tat? Sie legte ihre Arme leise um seinen Hals und sagte mit unbeschreiblicher Innigkeit: »Friedrich, mein Friedrich, bist du endlich wiedergekommen? O dem Himmel sei Dank, daß ich dich wiederhabe!« Dann begann sie ihm leise das Haar zu streicheln und zu schlichten, wie eine zärtliche Mutter mit ihrem Kinde tut.

Der Landgraf wagte nicht sich zu rühren, sondern hielt unbeweglich still. Ihm war, als hätte hier Zauberei ihre Hand im Spiele, und als könne jedes Wort und jede Bewegung den wundervollen Zauber zerstören.

Plötzlich zuckte Frau Else zusammen. Ihre Augen weiteten sich und wurden schreckensstarr, und mit zitternden Fingern deutete sie auf eine Stelle seines Hauptes. Sie hatte unter der Lockenfülle eine breite blutrote Narbe berührt, die von der Schläfe fast bis zum Wirbel lief, und die sie von früher her nicht kannte. »Um Gottes willen, was ist das?« fragte sie mit hohler Stimme.

»Ein Hieb, den ich vor einer böhmischen Burg empfing.«

»Du bist in Gefahr des Lebens gewesen da draußen?« schrie die Landgräfin.

»Da mein Schwäher die Gefahr stets klüglich zu vermeiden suchte, so mußt' ich wohl in die Bresche springen.«

»Und du hast nicht an mich gedacht?«

Friedrich sah sie an, und eine düstere Glut glomm in seinem Auge auf. »Wohl habe ich an dich gedacht,« sagte er traurig. »Ich dachte daran, daß mir kein liebendes Weib ihre Arme um den Hals schlingen würde, wenn ich aus dem Kampfe heimkehrte. Denn meine Frau wollte im Kloster beten. Wofür sollte ich mich schonen? Ja oft schon habe ich mich gefragt: Wofür kämpfe und streite ich? Du willst mich retten in deinem Irrwahn, und statt dessen zerstörst du mein Leben.«

Er wandte sich voll tiefer Bitterkeit halb ab von ihr. Da mit einem Male schlangen sich die Arme seines Weibes von neuem um seinen Nacken, und sie lag fest an seiner Brust. Ein Strom von Tränen stürzte aus ihren Augen, und sie vermochte anfangs gar nicht zu reden. Endlich stammelte sie unter Schluchzen: »Ja, ihr habt Recht, der Abt und meine Mutter und du. Der Preis ist zu hoch. Ich kann den Heiligen nicht gehorchen!«

Den Landgrafen durchzuckte es wie ein Schlag, und seine Augen leuchteten. Er preßte sein Weib mit mächtigen Armen an sich und fragte mit bebender Stimme: »So siehst du ein, daß unsere Ehe keine Sünde ist?«

»Nein, Friedrich, Sünde ist sie. Wollt' ich Gottes Willen tun, so müßt' ich mich von dir lösen. Aber um deinetwillen will ich die Sünde auf mich nehmen, auf daß ich dich nicht unglücklich mache und dein Leben zerstöre.«

Sie brach ab und hing mit einem Male wie leblos in seinen Armen. Ihr Körper ward schwer und ihre Augen geschlossen, und er erkannte, daß sie wieder von einer Ohnmacht heimgesucht ward, wie schon öfters im letzten Jahre.

Er ließ sie auf die Bank gleiten und sah eine Weile, ohne sich zu regen, mit versteinertem Antlitz auf sie nieder. Das große Glücksfeuer in seinem Herzen war jäh erloschen. Er erkannte, welch' ungeheure Überwindung sie üben wollte, sich selbst untreu zu werden um seines Glückes Willen. Und es ward ihm klar, daß auf diesem Grunde nie ein dauerndes Glück erblühen konnte, daß sie mit so beschwertem Gemüte elend werden mußte, und daß er das Opfer, das sie wider ihr Gewissen bringen wollte, nicht annehmen durfte.

Eben wandte er sich, um eine ihrer Frauen zu rufen, da regte sie sich und schlug die Augen auf. Gleich darauf saß sie aufrecht da. »O Gott, ich war wieder einmal meiner Sinne nicht mächtig,« stammelte sie. »Was ist das nur? In früheren Zeiten kannt' ich das doch nicht!«

»Höre mich an, Else,« sagte der Landgraf und zwang sich mühsam zur Ruhe.

»Ich bin Friedrichs von Staufen Enkel, und Blut läßt nicht von Blut und Art nicht von Art. Ich bin nicht unfromm, zweifle nicht an der göttlichen Natur unseres Herrn und Erlösers, wie es mein großer Ahn getan hat. Aber daß der allmächtige Gott durch heilige Weiber zu uns redet, das glaub' ich nicht.«

Die Landgräfin sah ihn erschrocken an, erwiderte aber kein Wort.

»Du glaubst das, wie die meisten andern, und ich habe eben gesehen, wie tief dieser Glaube sitzt,« fuhr Friedrich fort. »Du willst aus Liebe zu mir ein Leben wieder auf dich nehmen, das du für Sünde hältst. Ließe ich das zu und macht' ich mir diese Aufwallung deines Gemütes zu Nutz – wahrlich, ich zerbräche deine Seele. Darum will ich geduldig ausharren, bis du andern Sinnes wirst.«

»Wie sollte das geschehen?« flüsterte Frau Else.

»Wenn die Weissagung der Heiligen von Weißenfels sich als eitel Dunst erweist. Kommt im März der König und siegt nicht, so müssen dir ja die Augen aufgehen. Denn was hätte dann die Weissagung von Unheil und Untergang noch für einen Sinn?«

Er schritt einige Male schnell in dem Gemache auf und nieder und blieb dann vor ihr stehen. »Das hoffe ich zu erleben,« nahm er seine Rede wieder auf. »Und das Opfer nehme ich an, daß du auf der Wartburg bleibst und daß du dich wie mein Gemahl hältst vor den Leuten. Es braucht niemand zu erfahren, wie es mit uns steht. Sonst aber sei sicher: Nie und nimmer halt' ich dich als mein Weib, solange du des Glaubens bist, unser ehelich Leben beflecke deine Seele. Der Tag wird kommen, da der Bann von deinem Geiste weicht. Einen Kuß gebe ich dir, so tut ja auch der Bruder der Schwester. Aber dann – Gute Nacht, Frau Landgräfin.«


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