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Man mußte leise sein im Hause, man durfte nicht rasch gehen. Das Brüderchen war so krank. Aber es lebte, es konnte noch einmal gut werden, alles konnte noch einmal gut werden!
Wie im Traum vergingen mir die nächsten Tage. Und nun, da wieder Hoffnung war, da alles nicht mehr so dunkel, nicht mehr so unwiederbringlich verloren schien, nun bat ich den lieben Gott in heißen Gebeten um das Leben des Brüderchens.
Nach vielen Tagen durfte das Hänsle wieder aufstehen. Ich durfte wieder mit ihm spielen. Das Leben bekam seine Farben wieder. Wir waren gerettet.
Ein dunkelblauer Matrosenanzug mit breitem Kragen über den Schultern, mit drei Reihen weißer Litzen daran, war das äußere Zeichen, daß ich groß, daß ich reif zur Schule war. Ein goldgelber gestickter Anker schien mir ein Zeichen besonderer Würde zu sein, das ich von nun ab mit Stolz zu tragen berechtigt war. Und am Tag ehe ich zum erstenmal in die Schule ging, führte mich der Vater selbst in die Lange Gasse hinüber, in der das Konvikt mit dem alten Turm lag. Dort wohnte ein Mann, der in seinem Laden ganze Reihen von Schulranzen aufgebeigt hatte, einer schöner als der andere. Ein starker Geruch nach Leder füllte den Raum, benahm mir fast die Luft und drang in mich ein als der Atem des Neuen, dem ich von nun an zugehören durfte. Lange währte die Wahl, schließlich aber schien mir ein besonders schöner Ranzen alle Wünsche zu erfüllen, weil er mit schwarz und weißem Fell überzogen war und in der Mitte ein ovales Messingschild trug, in das der Vater noch am selben Tag die Anfangsbuchstaben meines Namens einstechen ließ. Stolz trug ich den Ranzen nach Haus, zeigte ihn glücklich der Mutter. Abends legte ich ihn ans Fußende des Bettes und dankte in meinem abendlichen Gebet dem lieben Gott für diese Gabe, die mir als Verkörperung des neuen Lebensabschnittes galt. Stolz und erwartungsvoll, die breiten Schulterriemen immer wieder betastend, trug ich seine noch leichte Last am andern Morgen zur Schule. Ein hagerer Lehrer verlas die Namen und wies uns mit strengem Befehlston, der unsere frohen Erwartungen stark verminderte, die Plätze an. Die Bänke hatten Sitze, mit denen man auf- und abklappen konnte, was jedesmal ein quietschendes Geräusch und einen harten Anschlag gab, und was wir alsbald übten.
Neben mir saß einer mit hellen Augen und groben Händen. Er konnte nicht nur sofort mit der Sitzbank klappen, daß es tönte, sondern auch mit dem metallenen Deckel, der das Tintengefäß verschloß, laut schlagen, indem er ihn auf- und zuwarf. Auch sonst zeigte er ein so bewußtes Wesen, das der drohenden Gestalt des Lehrers weit überlegen schien, daß es sich für uns von selbst verstand, von diesem ersten Tag ab Freunde zu sein.
Wir gingen nach der Schulstunde zusammen nach Hause und ich begleitete meinen neuen Freund – denn dies schien mir selbstverständliche Pflicht – zu seinen Eltern und setzte mich, nachdem ich als der neue Schulfreund begrüßt und bewundert worden war, mit an den Familientisch. Denn auch dies, daß Freunde zusammen aßen, schien mir selbstverständlich und richtig. Seiner Mutter Frage, ob man mich denn nicht zu Hause erwartete, tat ich kurz mit dem Hinweis ab, wir äßen daheim stets sehr spät.
Dann spielten wir noch lange zusammen. Sein Vater hatte Pferde im Stall, denen man Zucker geben durfte. Alles war neu und fremd für mich, der Geruch des Stalles, der Pferde, deren feuchtes Maul schnuppernd die Hand berührte, daß einem Schauer der Furcht und des Entzückens über den Rücken liefen. Ich war im tiefsten aufgerührt, als hätten sich die Wunder eines fremden Landes über mich ergossen.
Als ich endlich zu später Kaffeestunde nach Hause kam diesmal brachte ich den Freund mit – konnte ich die ängstlichen und erzürnten Fragen nach dem langen Verbleib nur mit dem stolzen Hinweis auf den neuen Freund beantworten, bemüht, die eben von ihm erlernten starken Worte anzubringen, was aber zu meinem Erstaunen keinen Anklang zu finden schien.
Er war, wie mir noch am selben Abend eröffnet wurde, der Sohn eines stadtbekannten Trinkers und Grobians, und mit dem Hinweis, daß der Apfel nicht weit vom Stamm falle, und daß auch mein neuer Freund schon manches auf dem Kerbholz habe, wurde mir der weitere Verkehr mit ihm außerhalb der Schule kurzweg untersagt. Das war für meine Freundschaft, die ich mit großem Gefühl begonnen, für die ich mit der letzten Faser meines Lebens als wahrer Freund einzustehen entschlossen war, ein harter Schlag.
Ich wußte, daß ich dem Wort der Eltern Gehorsam schuldete, aber ich spürte in mir den größeren Befehl, einem Freund nicht die Treue zu brechen, stamme er her, wo er wolle, und mein Glaube an ihn, der mit den Bänken und Tintenfässern so meisterlich zu klappern verstand, der den Mut hatte, dem Rücken des Lehrers die Zunge zu zeigen, war nicht so leicht zu erschüttern. Lange konnte ich an jenem Abend nicht einschlafen, und nach verzweifeltem Kampf entschied ich mich für die Treue zum Freund, im Bewußtsein, den Eltern in diesem Fall unrecht tun zu müssen, und so, wie ich stolz auf das erste Opfer war, das ich dem Freunde zu bringen vermeinte, so war ich entschlossen, das Unrecht, das ich, einem höheren Zwange folgend, den Eltern antun mußte, mit anderweitigem Gehorsam und besonderer Artigkeit auszugleichen.
Er war und blieb mein Freund. Viel erfuhr und lernte ich von ihm, das mir das Elternhaus nicht zu bieten vermochte. Er zeigte mir im Winter, wie man mit einem alten Beil große Eisplatten vom Ufer des Flusses schlagen konnte, mit denen man, stolz wie die ersten Nordpolfahrer, frei über den damals noch nicht gestauten und in rascher Strömung dahinwogenden Fluß steuern konnte, er zeigte mir, wie man, wenn die Platte zerbarst und durch die plötzlich ungleiche Belastung auf der einen Seite im eiskalten Fluß zu versinken drohte, durch rasches Hinüberschlittern das Gleichgewicht wiederherstellen und weiterrudern konnte, um sich dann auf einen überhängenden Weidenstrunk zu schwingen und von da das sichere Ufer zu erreichen. Von ihm lernte ich, wie man mit Weidengabelschleudern abends durch die offenen Kirchenfenster Zwetschgen nach der Kanzel schießen, wie man durch Einklemmen von alten Stahlfedern in die Klingeldrücker verhaßte Lehrer ärgern konnte. Mit ihm erstieg ich erstmals die uralte Fensteröffnung des Burgverließes, darin uns kalter und feuchter Modergeruch den Atem benahm und uns in Gedanken an die hier zu Tode gehungerten gefangenen Ritter erschauern ließ. Unter seiner allkundigen Führung stöberten wir den Eingang des unterirdischen Ganges auf, der von der alten Stadtmauer am Flußufer zur hochgelegenen Burg geführt hatte. Tiefer und tiefer krochen wir über die Schutthaufen des zerfallenden Ganges, bis wir in einen Gewölberaum kamen, in dem unsere Laternen feuchte Wände gespenstisch beleuchteten. Hier, das wußten wir, hatten sich die Streiter des Herzogs Ulrich zum Ausfall gesammelt, ehe sie über den Fluß setzten in das Lager des Schwäbischen Bundes, der die Stadt mit Troß und Knechten belagerte. – Der Freund erst lehrte mich, wie mancherlei man in der großen Falte unserer Matrosenblusen zu bergen vermochte: gelbe Pflaumen, die wir in Großvaters Gütle geschüttelt, Träuble, die wir gefunden, ja Laubfrösche und einmal sogar einen Feuersalamander, den wir gefangen hatten.
Die Köchin brach in Tränen aus, als sie die Obstflecken der Bluse sah, die Mutter erstarrte in Schrecken, als ich Pflaumen und Salamander auf die Platte des häuslichen Tisches aus den Tiefen der Bluse entleerte.
Vieles verdankte ich ihm, nicht zuletzt das Gefühl einer durch alle Fährnisse bewahrten, unverbrüchlichen Treue. Zwei Jahre, bis wir durch unsern Schicksalsweg getrennt wurden (er kam in die Volksschule, ich ins Gymnasium), behielt ich mein Geheimnis und die Treue zu meinem Freunde. Es war ein böser und schwerer Abschied, als wir uns, nach der letzten gemeinsamen Schulstunde, trennten.
Doch die neue Schule brachte neue Freunde. Diesmal aber waren es zwei, mit denen ich besonders gut stand. Der eine, ein stiller Junge, zeigte mir eines Tages einen Eberzahn, einen gebogenen weißen Hauer. Sein Vater hatte ihn samt einem Schwert und Schild in einem Grabhügel gefunden. Immer wieder mußte er mir erzählen, wie sie den Hügel aufgegraben, in dem ein Krieger der Vorzeit ruhte, über dem Totenschädel einen Helm, neben sich Schwert und Schild. Dieser Eberzahn, Schmuck eines längst gefallenen Kriegers, in einem Hünengrabe gefunden, wurde das Sinnbild unserer Freundschaft, einer Freundschaft, die von allen geachtet wurde.
Kenntnisse konnte man aus Büchern lernen. Was aber erst das Maß des Lebens zu füllen vermochte, war der heilige Begriff von Mut, Kameradschaft und Treue; der Treue zu sich und dem Freund.
Einen Gegner jedoch hatte ich in jener Zeit: er war so in allem der Gegensatz zu mir, daß uns offensichtlich die Natur zu Feinden bestimmt und im Rahmen der Schule zusammengeführt hatte, einen ihrer uralten Kämpfe durch uns austragen zu lassen. Sicher war er der beste Wisser der Klasse. Aber es war ihm unmöglich, den Spott aller zu vermeiden, wenn er – plump und täppisch – sich vergeblich bemühte, eine noch so einfache Übung im Turnen zu zeigen, und wenn er bei tapferen Spielen, die mutigen Einsatz verlangten, sich feige drückte. Und war es mein Ziel, ein guter Läufer, ein mutiger Springer, der beste Kamerad zu sein, so war es die Erfüllung seines Ehrgeizes, in der Lateinstunde den Fehler eines Kameraden schmähend belächeln zu können. Kurz, wir waren Todfeinde.
Hatte diese Spannung auch lange schon unverhüllt bestanden, so war es doch niemals vor jenem Schulausflug zu offenem Streite gekommen:
An einem Maienmorgen zogen wir singend hinaus. Eine grüne Botanisiertrommel, die mir der Vater geschenkt, hatte ich mitgenommen. Ein buntes Bild, ein über Blumen schwebender Schmetterling, war darauf gemalt, und sie hatte zwei Abteilungen, eine fürs Vesper, eine für Raupen und Käfer. Sie war mein Stolz und der Neid der ganzen Klasse; ihr Besitz stimmte mich hochgemut, ja übermütig. So übermütig, daß ich das kaum verklungene Lied »Wem Gott will rechte Gunst erweisen« in ein Spottverschen umdichtete, das ich leise vor mich hinsang. Einer, der das hörte, sang es den Kameraden zu, und so kam es auch zu dem andern, der es sofort auf sich bezog. Ihm die Absicht, die ich erst gar nicht gehabt, zu leugnen, war unter meiner Würde, und ich bestätigte sie sofort, gewärtig der Entscheidung, die unvermeidbar schien.
Es kam zu keinem Kampf. – Wirst schon sehen, war alles, was er sagte.
Wochen waren vergangen; ich hatte das Liedchen längst vergessen. Er aber berief die Kameraden hinter meinem Rücken zusammen und hetzte sie auf. Ich hätte durch mein Gedicht nicht ihn, sondern seine Familie beleidigt, und er verlange Sühne.
Als ich einige Tage später mit den Freunden nach Hause ging, da stand plötzlich die ganze Klasse geschlossen uns entgegen. Da standen sie gegen mich, sie, die ich oft im Kampfspiel geführt, die mir jubelnd gefolgt, wenn wir siegten.
Wir wußten, es ging um das Ganze, die Ehre, die Geltung. Wir zögerten nicht, uns zu schlagen, wir waren im Recht, und drüben war Lug und Trug.
Die Straße frei! rufe ich sie an.
Aus dem schweigenden Haufen tritt der Stärkste der Klasse, der Rote Fuchs, heraus, und während er langsam auf mich zukommt und ich in sein häßliches, sonnenfleckiges Gesicht blicke, schnalle ich den schweren Ranzen ab und lege ihn, die Riemen in den Händen haltend, vor mir nieder.
Sofort wird die Entscheidung fallen. Gleich werden sich alle andern auf mich stürzen – da springt Werner neben mir vor, wirft sich auf ihn und haut ihm mit voller Wucht, den Eberzahn des Hünengrabes in der Rechten schwingend, die so bewaffnete Faust auf den Schädel, daß er torkelnd und heulend zusammenbricht. Über ihn hinweg, den Ranzen über dem Haupte schwingend, stürze ich mit den beiden Freunden mitten in die Feinde hinein. Dort sehe ich ihn vor mir, in der hintersten Reihe, und ich schlage mich durch zu ihm, zu ihm, der meine Kameraden gegen mich aufgewiegelt. Auge in Auge steh ich dem Todfeind gegenüber. Während ich selbst zum Schlag aushole, haut er mir seinen Prügel auf den Kopf. Funken tanzen mir vor den Augen, doch ich beiße die Zähne zusammen und schlage ihn mit dem Schwung meines Ranzens zu Boden. Schreiend ergreift er die Flucht.
Die Feigen fliehen gleich ihm, und die Tapferen halten zu mir, wie es vordem gewesen.
Ward auch der längst schon zu klein gewordene Matrosenanzug mit Anker und Litzen im Kampfe zerrissen – wir hatten gesiegt! Nenikäkamen!
Der blaue Matrosenanzug war lange schon mit einer Waschsamtjoppe und dazu passenden Kniehosen vertauscht worden, da saßen wir, zwei Freunde und ich, zusammen und hielten Rat. Die großen Ferien standen vor der Tür und all unser Drängen wollte hinaus. Nicht in den Schwarzwald oder auf die Alb nur, die wir kannten wie unsere Hosentaschen, weiter, über die Grenzen Deutschlands hinaus, sollte diesmal die Fahrt gehen, nach dem Süden über die Schneeberge der Alpen hinweg in die sonnenheiße Landschaft Italiens.
Fast bangten wir selbst vor der Größe des Planes, aber an stillen Abenden hatte der Vater von jenem Lande erzählt, seinen Städten, Bergen, dem Vesuv, der noch heiße Lava hatte und eine Rauchsäule ausstieß, dem tiefen Blau der See, den starken Farben der Landschaft, den Palästen und Kirchen. Als er in mir damals nur einen aufmerksamen Zuhörer sah, – hatte er denn gewußt, welch tiefe Sehnsucht nach diesem Land er in mir geweckt? wie sich aus dieser Erzählung all mein Drang nach Weite, nach einsamer Ferne und Heimatlosigkeit in den Wunsch verdichtete, dieses Land einmal zu durchwandern, durch Dörfer und Städte mit hohen Glockentürmen, dem Meere entlang, vor dessen Bläue Gärten mit Rosen und rotem Oleander blühten?
Nun war es so weit. Ich war groß, fast vierzehn. War es nicht ein größerer Einschnitt im Leben als später vielleicht das Mündigwerden? War es hier nicht das erste Heraustreten aus der Kindheit in die beginnende Zeit der Mannhaftigkeit hinüber mit all ihren großen innerlichen Veränderungen? Nicht nur ein neues, fernes Land war es, dem ich zuwandern wollte, ein neues Leben war es, das sich wie eine neue andere Landschaft vor mir dehnte, darin der Fluß der Linien geprägter erschien, die Dinge ihren festeren Charakter und Sinn hatten, und in die ich hineinschritt nicht mehr als Kind oder als Fremder, sondern als einer, der hier schon zu Hause war, der schon hineingehört in diese Dinge der Landschaft und des Lebens. Drei Wochen wollten wir wandern. Dreimal zehn Mark würden wir brauchen. Als mir die Mutter statt der zögernd erbetenen Summe sogar noch ein weniges mehr in den Beutel steckte, da war ich so reich, daß nichts mir zu mangeln schien, daß die Welt klein war im Vergleich zu dem Überschuß an Kraft, Bewußtsein und Reichtum, den ich trug.
Weiße Schwaden lagen noch über dem Fluß, als ich in den erst heraufdämmemden Tag hinein zum Bahnhof marschierte, beladen mit dem übervollen Rucksack, dessen neue breite Riemen unter der Last des Eingepackten in die Schultern schnitten.
Dann trug uns Drei, die wir noch ein wenig verschlafen, aber angefüllt mit der großen Freude an der Ferne waren, die Bahn dem Süden zu.
Noch einmal, ehe wir ausstiegen, wurden die überladenen Rucksäcke umgepackt, damit nachher ja nichts Hartes auf den Buckel drücke, wurden noch einmal alle Dinge versucht, noch einmal gevespert, und die Rucksackgerüche füllten unser Abteil, Düfte von Dörrobst, Wurstbrot, Stiefelöl und frischen Äpfeln, Grieß, neuer Wäsche und Spiritus zum Abkochen.
Es roch nach Wandern und Weite.
Und dann begann der Weg gen Süden. Die Welt tat sich auf. Unter tiefblauem Himmel marschierten wir dahin. Das Hegau erschloß sich uns und wir schritten den staubigen Weg fürbaß, den auch Ekkehart gegangen war, als er zum letztenmal zum Hohentwiel gekommen, und der geliebten Frau mit einem Pfeil sein Abschiedsgedicht über die Mauer schoß. Wir verstanden zwar nicht – und wir versicherten uns dessen ausdrücklich, warum er nicht vollends hinauf durch das Falltor in die Burg gegangen und bei der Herzogin geblieben war, aber es mochte mit dem Pfeil und dem Gedicht seine Richtigkeit haben. Und der Staub, der seine Sandalen bedeckt hatte, hüllte nun auch meine Schuhe mit einem grauen Überzug ein, der die vernickelten Schnürhaken meiner schweren Wanderstiefel leider ihres blanken Glanzes beraubte.
Brütend heiß lag der Augusttag über dem Land, die Obstbäume an der Heerstraße warfen wenig Schatten. Aber unentwegt zogen wir dahin, immer dorthin nach Süden, wo über einer dunklen Waldlinie der Himmel zu flimmern schien, wo weit, weit dahinter noch, Italien lag.
So kamen wir an den Rhein. Breit und ruhig zogen die dunkelgrünen Wasser in die Landschaft, unbekümmert um uns und unsere Erregung. – Das also war der Strom unseres Landes, und hier mußte die Grenze des Vaterlandes sein, hier hörte Deutschland, unser großes Deutschland auf. Der Tag war sengend heiß geworden. Die Wasser lockten. Wir warfen die Kleider ab und sprangen in die Fluten.
Da fassen uns auch schon die Wirbel. Wellen schlagen über uns zusammen und reißen uns mit sich hinaus in den Strom. Wasser dringt mir in Nase und Mund. Ich werde hinuntergezogen, vergeblich versuche ich gegen die Gewalt der Strömung anzuschwimmen, die mich mit sich fortträgt. Ich fühle die Kräfte weichen, ich kämpfe verzweifelt um mein Leben. Umsonst. Ein Rauschen ist in meinen Ohren und ein Klingen, dem ich mich sinkend mit schwindenden Sinnen wohlig überlasse. Da findet die nur noch unbewußt suchende Hand einen Halt, umkrampft Holz. An einem Weidenast klammere ich mich mit letzter Kraft fest, der Wille zum Leben erwacht, und Zoll um Zoll ziehe ich mich mühsam ans Land.
Dunkelheit kommt über mich, bleierne Müdigkeit drückt mich zu Boden.
In ein nie erschautes Blau sehen meine Augen, unfaßbar wölbt sich der Himmel über mir, in meine Ohren klingt das Zirpen der Grillen, das Singen des Sommertags. Ich spüre wieder, wie alles um mich her atmet, nehme das Leben wieder wahr. Erste Gedanken kommen herauf und formen sich wieder und fragen bang nach dem Schicksal der Freunde. Doch während sie quälen und zerren und mich rufen, jenen zu helfen, und ich mich aufraffen will, sie zu suchen – da schieben sich zwei dunkelblaue Schatten tröstlich vor den hellen Himmel und über mir sehe ich in die sorgenden Gesichter meiner Kameraden.
Stunden später überschritten wir den Rhein, erstmals in unserem Leben, überschritten ihn auf einer verbotenen Eisenbahnbrücke. Tief unter uns zogen die Wasser dahin und wir sahen die wundervolle Ruhe der Flut, auf der die Sonne friedlich erglänzte. Der Hauch des Todes war von den Wassern gewichen, und über uns kam fröhlicher Frieden, und wir zogen weiter des Wegs in die leuchtende Ferne.