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Die Flucht.

Als Herr Körner mit seinen fünf Begleitern in den Hof eingeritten war, wurde er von allen Seiten mit Jubel begrüßt. Alle hofften von ihm Erlösung und Befreiung von der Angst und Not, unter der sie die drei letzten Tage und Nächte geseufzt hatten.

Selbst Kaspar glaubte, daß er nun doch den Hof würde halten können. Unter dem Schutze so vieler Gewehre würde man vielleicht im stande sein, die Tiere einige Male am Tage nach dem Flusse zu den Wasserlöchern zu treiben. Er wußte ja noch nicht, was inzwischen draußen vorgegangen war, und daß das ganze Land in Aufruhr stand. Er ahnte zwar, daß etwas Schreckliches sich vorbereite, dachte aber bis jetzt doch immer nur, daß er sich allein der Feindschaft Ismaels und des von diesem aufgehetzten Häufleins Herero gegenübersehe, mit dem er während der letzten Tage kämpfen mußte. Die aber würden ihm jetzt nicht viel mehr anhaben können.

Und wie glücklich Röschen war! Zu all der Not, die sie mit den anderen bestehen mußte, war bei ihr noch die Sorge um den Bräutigam gekommen. Warum hatte er die ganze Zeit über nichts von sich hören lassen? Schwebte er auch in Gefahr, wie sie? Diese Fragen quälten sie, und diese Qual wurde nur durch das feste Vertrauen gemildert, daß er schließlich doch kommen würde. –

Und nun war er da; frisch und gesund, und brachte ihnen Hilfe! Sofort hatte sie seine Stimme erkannt und eilte hinaus, um ihn zu begrüßen.

Am allerglücklichsten aber war Frau Lerse. Der Gedanke, daß sie sich schließlich doch von ihrem geliebten Hause würde trennen müssen, hatte sie gänzlich niedergeschmettert. Seit Kaspar davon gesprochen, kauerte sie weinend in einem Winkel, unfähig, ihre Verzweiflung länger zurückzuhalten. Aber nun war der Retter gekommen. Nun würden sie auf Marienhof bleiben können, und nun würde sie auch vielleicht Nachricht von ihrem Manne erhalten, um den sie sich so lange in Sorge verzehrte. Als Röschen also plötzlich mit dem Freudenrufe: »Er ist da! Er ist da!« hinausgelaufen war, hatte auch sie sich eiligst aufgemacht, um ihren künftigen Schwiegersohn willkommen zu heißen und in das Haus zu führen.

Aber all diese Hoffnungen und Erwartungen wurden nur allzubald zunichte.

Herr Körner war nicht gekommen, um zu bleiben, er war gekommen, um ihnen zur Flucht zu verhelfen, zur Flucht, die aller Wahrscheinlichkeit nach unmöglich war, wenn sie nicht in dieser Stunde noch bewerkstelligt werden konnte.

Wie ein betäubender Schlag wirkte diese furchtbare Enttäuschung auf alle. Schluchzend brach Frau Lerse zusammen, so daß sie ins Haus getragen werden mußte, und Röschen bemühte sich lange Zeit vergeblich, sie zu beruhigen. Mit verzweifelten Blicken ins Leere starrend, saß die unglückliche Frau da und stöhnte nur immer: »O mein Gott! O mein Gott! Warum hast du uns verlassen?«

Kaspar faßte sich am ehesten wieder. Er hatte dem Schwager bei dessen Ankunft in kurzen Worten ihre Lage geschildert und dachte nun, daß Herr Körner wegen des Wassermangels die Flucht für unaufschiebbar halte.

»Aber Herr Körner! Wir haben uns so lange gehalten und werden uns auch weiter halten,« sagte er deshalb. »Es sind ihrer kaum ein Dutzend, und der Vater muß doch endlich kommen!«

»Aber wißt ihr denn nicht, was geschehen ist?« unterbrach ihn Herr Körner hastig. »Die Herero sind im ganzen Lande aufständisch. Alle Militärstationen sind gestürmt oder belagert, fast alle Ansiedelungen verwüstet, viele Weiße erschlagen. Es ist ein Wunder, daß ihr bis jetzt hier verschont geblieben seid! Wenn der Vater wirklich nach Okahandja geritten ist, so wird er dort wohl festsitzen; denn gerade dort ist am anderen Morgen der Aufstand losgebrochen, und die Feste wird seitdem von Samuel belagert. Wenn ihr also auf die Rückkehr des Vaters warten wollt, so werdet ihr sicher den letzten Zeitpunkt zur Rettung verpassen. Das ganze Land wimmelt von bewaffneten Hererobanden. Noch vor wenigen Stunden haben wir unterwegs in den Bergen Kamarinebo getroffen, der mit einer großen Horde auf dem Raubzuge ist, offenbar hierher nach Marienhof; denn der Häuptlingssohn von eurer Werft war bei ihm.«

»Ismael!« rief Kaspar. »Meine Ahnung! Ja, wenn Ismael dabei ist, dann haben sie es auf uns abgesehen. Aber unsere Mauer ist noch fest! Ich habe hier fünf Gewehre. Mit den Ihrigen haben wir elf. Damit werden wir sie doch wohl in Schach halten können. Sie sehen, wie schwer es die Mutter nimmt. Wenn es eine Möglichkeit gibt, den Hof zu halten, so wollen wir sie ergreifen.«

»Es gibt keine!« antwortete Herr Körner dumpf.

»Aber warum denn nicht?« rief Kaspar wieder.

»Weil ihr ohne Wasser nicht bis zum Mittag aushalten könnt, und weil von den fünfzig bis sechzig Leuten, die Kamarinebo mit sich führt, wenigstens die Hälfte Flinten besitzen. Es ist ganz ausgeschlossen, daß wir uns gegen eine solche Übermacht halten könnten. Und wenn wir wirklich ein paar Stunden lang mit Erfolg kämpften – was nützte uns denn das? Wer weiß, ob nicht morgen eine neue Bande von irgendwoher auftaucht und über uns herfällt? Ich sage dir, Junge, höre auf mich! Noch gibt es eine Möglichkeit, euch zu retten. Noch gelingt es uns vielleicht, vor Kamarinebo durch den Hohlweg zu kommen und Groß-Barmen zu erreichen, wo die Militärstation uns aufnehmen könnte und wo wir vorläufig in Sicherheit wären. Aber jede Minute ist kostbar. Wenn dir das Leben deiner Mutter teuer ist, Kaspar, so verliere keinen Augenblick. Laß die Wagen anschirren, packe alles darauf, was von Wert ist und hinaufgehen will. Ich werde inzwischen versuchen, die Mutter zu überreden.«

Damit eilte er in das Haus zu Frau Lerse, während Kaspar sich sogleich anschickte, die Ratschläge des Schwagers zu befolgen. Auch er war jetzt überzeugt, daß die Flucht sich nicht länger aufschieben ließ. Kein Wasser! Kein Wasser! Das war der springende Punkt. Er bot also seine ganze Umsicht und Tatkraft auf, um sich so bald als möglich bereit zu machen. Mit Hilfe der Körnerschen Leute wurden die beiden Wagen herangeschoben und je mit zwölf der stärksten und sichersten Ochsen bespannt. Dann wurde aufgeladen, was in der Eile nur als wertvoll und unentbehrlich erkannt und aus dem Hause geschleppt werden konnte.

Bei jedem Stück, das sie an sich vorübertragen sah, brach Frau Lerse aufs neue in Schluchzen aus. Aber sie sträubte sich jetzt nicht länger. Zwar hatten sie die Worte Körners keineswegs überzeugt. Was hätte sie überhaupt in dieser Lage überzeugen, was hätte ihr den Gedanken faßbar machen können, daß sie nun von allem sich sollte trennen müssen, was ihr in vieljähriger Sorge und Arbeit so sehr ans Herz gewachsen war!

Auch Herr Körner war klug genug gewesen, ihr in Aussicht zu stellen, daß sie in Groß-Barmen vielleicht nähere Nachricht über Herrn Lerse erhalten würden, und das hatte ihren Widerstand gebrochen. Fast willenlos in ihrem unendlichen Gram ließ sie jetzt alles über sich ergehen, und nur wenn sie mit eigenen Augen sah, wie ihr Hab und Gut aus dem geliebten Hause geschleppt wurde, rüttelte der Schmerz sie auf.

Bald waren die Wagen beladen. Hoch türmte sich die Habe und so schwer ächzten die Achsen unter der Last, daß Elias, der vor Eröffnung der Eisenbahn bei einem Frachtführer in Dienst gestanden und daher die Verhältnisse von Grund aus kannte, meinte, man müsse aufhören, weil man sonst unterwegs beim Überschreiten der Flußtäler liegen bleiben werde. Und doch standen fast noch alle Möbel in den Zimmern, noch lagen, hingen und standen so viele Dinge im Hause umher, die unentbehrlich schienen und von denen Frau Lerse sich nicht glaubte trennen zu können.

Aber Herr Körner drängte.

»Die Zeit vergeht!« rief er. »Vorwärts! Vor Tagesanbruch müssen wir durch den Hohlweg sein, oder wir sind alle verloren. Kamarinebo ist der tapferste Häuptling im Lande. Wenn er uns in den Weg kommt, weiß ich nicht, was daraus werden soll. Trennen Sie sich, liebe Frau Lerse; es hilft doch alles nichts!«

»Nein! Ich kann nicht!« jammerte die Unglückliche, die bei dem Gedanken, daß nun die schreckliche Stunde gekommen sei, wo sie wirklich ihre Scholle verlassen sollte, aufs neue in Klagen ausbrach.

Händeringend lief sie im Hause umher, sich förmlich an jedes einzelne Stück anklammernd, das sie zurücklassen sollte, und ihr Wehklagen steckte die eingeborenen Frauen an, die nun auch zu heulen anfingen, obwohl sie schon dafür gesorgt hatten, daß ihre paar Habseligkeiten auf dem Wagen nicht vergessen worden waren.

Endlich gelang es Kaspar und Röschen, die Mutter wieder so weit zu beruhigen, daß sie sich hinausführen und auf den Wagen heben ließ, auf dem zwischen den Betten ein Lager für sie eingerichtet war, während auf dem anderen Wagen die kleineren Kinder der Eingeborenen und die beiden Verwundeten untergebracht wurden.

Röschen stieg nun auch auf den Wagen zu der Mutter.

»Huiho!« schrieen die Ochsenführer, und fort ging es zu dem geöffneten Tore hinaus.

Den Kopf in die Kissen vergraben, lag Frau Lerse da. Nur das Schreckliche nicht sehen! In ihrem grenzenlosen Schmerz war sie vollständig hoffnungslos. Nie, nie würden sie wieder nach Marienhof zurückkommen. Das Werk ihres Lebens und Strebens war verloren. Sie würde das nicht überleben, und ihr Mann auch nicht!

Aber ohne Rücksicht auf ihren Kummer trieb Elias, der aus seinem Reitochsen neben dem vordersten Gespann herritt, die Tiere an: »Huiho! Huiho!« Und »Huiho!« schrieen auch die Hirtenjungen, die auf den Rücken der Zugtiere saßen. Der zweite Wagen folgte, während Herr Körner mit seinen Leuten vorausritt, um den Fahrern den Weg zu zeigen.

Erst nachdem die Wagen in der Gegend des Gartens angelangt waren, ließ Kaspar die Hürden niederreißen, hinter denen das Vieh, ungeduldig vor Durst, auf und nieder rannte. In wildem Durcheinander stürmte nun alles brüllend und blökend über den Hof zum Tore hinaus, den bekannten Wasserstellen zu. Die Weiber, die Kaspar zum Treiben bestimmt hatte, eilten schreiend hinterdrein. Er selbst blieb noch mit Hiob und Gottlieb, die er mit Pferden beritten gemacht hatte, auf dem Hofe zurück.

Schnell lief er in das Haus zum Schreibtisch in der Wohnstube. Wenn der Vater wider Erwarten doch in der nächsten Zeit kommen würde, sollte er wenigstens wissen, wo sie geblieben waren. Eilig schrieb er den Zettel, der einige Stunden später Herrn Lerse so gute Dienste leisten sollte. Dann kehrte er in den Hof zurück, wo Hiob und Gottlieb, neben ihren Pferden stehend, ihn erwarteten.

»Hole schleunigst die Leiter aus der Scheuer herbei!« rief er Hiob zu. »Ich werde das Tor von innen schließen und dann über die Mauer meinen Weg ins Freie nehmen.«

Bald war Hiob mit der Leiter zurück. Die beiden Leute führten nun die Pferde hinaus. Rasch schloß Kaspar das Tor, erstieg die Mauer auf der Leiter, warf sie hinter sich um und sprang auf der anderen Seite zu Boden.

Seiner frischen Kraft hatte die Hoffnungslosigkeit, unter der die Mutter litt, nicht zu nahen vermocht. Er war fest überzeugt, daß der Aufstand bald niedergekämpft sein werde, und daß sie dann in nicht allzulanger Zeit freudig und ohne große Verluste nach Marienhof zurückkehren würden. Wohl tat es ihm weh, daß er nicht im stande gewesen war, den Hof so lange zu halten, bis er ihn dem Vater hätte zurückgeben können. Aber er war sich nicht bewußt, etwas versäumt zu haben. Er hatte getan, was in seinen Kräften stand. Nur die Verhältnisse, die stärker waren als er, hatten ihn zwingen können, den Platz zu verlassen, auf den der Vater ihn gestellt hatte.

Dieses Bewußtsein half ihm über den Schmerz hinweg. Nicht den Feinden war er gewichen, sondern der Naturgewalt. Das Versagen des Brunnens allein hatte ihn hinausgetrieben. Wenn er seinem Vater den wertvollsten Besitz, das Vieh, erhalten wollte, durfte er nicht anders handeln. Haus und Hof konnten schließlich wieder aufgebaut, Garten und Kraal wieder hergerichtet werden. In den Herden aber steckte das Betriebskapital, und wenn das verloren ging, war alles verloren. So schied er mit gutem Gewissen von dem Gehöft, auf das er bald mit den Seinen zurückzukehren hoffte.

Noch einmal prüfte Kaspar von außen die Festigkeit des Tores, dann schwang er sich in den Sattel und sprengte mit seinen beiden Leuten den anderen nach.

Erst nach längerer Zeit blickte er zurück, um nach der Hererobande zu sehen, die seit Herrn Körners Ankunft in der Nähe auf der Lauer gelegen und alle Vorgänge beobachtet hatte. Gewiß würde sie nun über den Hof herfallen, um den Branntwein zu suchen, nach dem der Beestezwinger und die anderen vor allem gierig waren und den sie doch nicht finden würden; denn Kaspar hatte den kleinen Vorrat davon, der im Keller lag, vorher im stillen fortgeschüttet. Aber nein! Sie liefen an dem Hofe vorüber und schienen ihnen folgen zu wollen. Offenbar hofften sie, etwas von den Herden der Fliehenden erwischen zu können, und das lockte sie doch noch mehr, als der Branntwein.

»Na, kommt nur!« dachte Kaspar. »Den Spaß werden wir euch schon versalzen!«

Dann ritten sie weiter und holten die Wagen im Flußbette ein, wo Herr Körner wartete, bis das Vieh sich satt getrunken hatte. »Die Schwarzen von der Werft sind wieder hinter uns her!« rief er Herrn Körner zu. »Soll ich ein paar von Ihren Leuten nehmen und sie auseinander jagen?«

»Nein, laß nur. Wir dürfen uns auf keinen Fall hier länger aufhalten. Wenn sie uns angreifen sollten, ist es immer noch Zeit,« entgegnete Herr Körner, der bereits begonnen hatte, die Tiere zusammentreiben zu lassen und den Zug zu ordnen.

Kaspar fügte sich und ritt zu der Kleinviehherde, die sich vollständig führerlos weit über das benachbarte Weideland zerstreut hatte.

»Imanuel! Imanuel!« rief er ärgerlich. Aber niemand antwortete. Vergeblich suchte er nach dem Alten, den die während der letzten Tage ausgestandene Angst vollends kindisch und unbrauchbar gemacht hatte. Endlich fand er ihn schlafend am Rande des Flußbettes, ließ ihn zu den Verwundeten und Kindern aus den Wagen tragen und übergab die Aufsicht über die Schafe und Ziegen Hiob, der sie mit Hilfe der Hunde bald wieder zusammenbrachte und zum Abmarsch bereit hielt.

Plötzlich erklangen aus der Ferne laute Hilferufe durch die Nacht: »Hilfe! Hilfe! Ovaherero! Ovaherero!«

Ohne sich zu besinnen, nahm Kaspar drei von Herrn Körners Leuten und sprengte mit ihnen in der Richtung davon, aus der die Rufe kamen. Bald sah er, um was es sich handelte: eine Gruppe von Ochsen war nach den Wasserstellen weiter flußaufwärts gelaufen, und über sie hatte sich der Beestezwinger mit seinen Leuten hergemacht. Die Hütejungen waren schreiend davongelaufen, und nun standen die Herero eben im Begriff, die Tiere nach dem Buschwald zu treiben. »Holla, ihr Schlingel! Wollt ihr wieder Ochsen stehlen?« schrie Kaspar und lenkte sein Pferd nach der Höhe, um ihnen den Weg abzuschneiden.

siehe bildunterschrift

Der Beestezwinger versuchte mit seinen Ochsen in den Buschwald zu entkommen.

Die Herero ließen ihre Beute fahren und liefen davon. Nur der Beestezwinger versuchte noch, mit dem Ochsen, auf dessen Rücken er saß, in den Buschwald zu entkommen. Als er aber die Kugeln um die Ohren pfeifen hörte, bequemte auch er sich, abzusteigen und sich zwischen den Dornbüschen zu verkriechen.

Kaspar trieb die Tiere zusammen und kehrte mit ihnen zu den Wagen zurück. Die Herero schleuderten zornentbrannt und auf den Buschläufer schimpfend ihre Speere hinter ihm her, ohne Schaden damit anzurichten, kamen aber zunächst nicht wieder zum Vorschein und folgten erst später in respektvoller Entfernung wie beutelüsterne Wölfe dem Zuge, hoffend, daß sie dann in den Bergen doch noch Gelegenheit finden würden, etwas zu ergattern.

Inzwischen hatte Herr Körner den Zug geordnet und die Leute verteilt; weiter ging es, den westlichen Bergen zu, die man überschreiten mußte, um nach Groß-Barmen zu gelangen. Voran fuhren die beiden Wagen, dann folgten die Pferde und Rinder und zuletzt die Kleinviehherde. Herr Körner ritt selbst voran, Kaspar hielt sich mit Gottlieb als Nachhut am Ende, die Leute, soweit sie nicht bei den Wagen beschäftigt waren, ritten und liefen rechts und links neben den Herden, um die Tiere, die sich aber bald an die Ordnung gewöhnten, am Ausbrechen zu verhindern.

Ohne Aufenthalt ging es nun fort, bis sie in die Nähe des Höhenzuges kamen.

Die Nacht war noch immer stockdunkel. Nur ab und zu erleuchtete ein greller Blitz das schwere Gewölk. Im Osten schien ein Unwetter niederzugehen, und zuweilen ließ sich aus der Ferne das Grollen des Donners vernehmen. Wie eine schwarze Mauer lag das Gebirge vor ihnen, und wenn es wetterleuchtete, konnte man deutlich die kahlen Schroffen der Gesteinsmassen erkennen und den wild zerklüfteten Einschnitt, der als einziger Verkehrsweg durch sie hindurchführte.

Hier ließ Herr Körner halt machen, um mit Kaspar zu beraten.

»Die Nacht ist so dunkel, daß es unmöglich ist, irgend etwas zu erkennen,« sagte er. »Es scheint zwar, daß Kamarinebo noch nicht heran ist. Aber wenn er im Hohlweg über uns herfiele, wären wir verloren.«

»Gibt es denn keinen anderen Weg?« fragte Kaspar.

»Nein. Zu Pferd kann man zur Not über die Berge. Mit den Wagen muß man jedoch durch die Schlucht. Die Strecke ist nur kurz. Aber die Berge sind rechts und links mit Buschwald bestanden. Alles wie geschaffen für Strauchdiebe.«

»Dann lassen Sie mich doch vorausreiten,« sagte Kaspar schnell. »Geben Sie mir ein paar von Ihren Leuten mit; ich werde schon aufräumen, wenn die Schurken sich dort etwa verkrochen haben sollten.« Er dachte noch immer, daß es sich höchstens um den Beestezwinger und dessen Bande handeln könne.

Aber Herr Körner, dem die größere Gefahr vor Augen schwebte, die mit Kamarinebo heranzog, wollte davon nichts wissen. »Nein, du kennst das Gelände doch nicht genügend,« sagte er. »Bleibe hier bei dem Zuge und gib acht, daß uns der Feind nicht in den Rücken fällt. Es ist immerhin möglich, daß Kamarinebo das Gebirge weiter nördlich überschritten hat und uns hier aufspürt. Ich werde mit zweien meiner Leute vorausreiten und die Schlucht untersuchen. Ist sie noch frei, so gebe ich dir Nachricht, und du mußt dann sehen, so rasch als möglich heran und durch den Hohlweg hindurch zu kommen. Sind die Herero aber schon dort, so ist der Platz hier draußen immer noch am günstigsten, um einen Angriff abzuwarten. Ich kehre dann sofort zurück und werde weiter Rat zu schaffen suchen. Bist du damit zufrieden?«

»Gewiß,« antwortete Kaspar verständig. »Sie kennen die Verhältnisse mehr als ich, Sie müssen es also besser wissen.«

»Gut dann; auf Wiedersehen!« Damit rief Herr Körner zwei seiner Leute heran und jagte mit ihnen nach dem Hohlwege davon.

Sinnend blieb Kaspar zurück. Kamarinebo? – Mit dem hatte er bis dahin noch gar nicht gerechnet. – Und Ismael war bei ihm? – Dann waren die Bedenken Körners sicher nicht unberechtigt; dann konnte man sich auf alles gefaßt machen. Die Übermacht fürchtete er allerdings nicht. Die Erfolge in den Kämpfen der letzten Tage hatten sein Selbstbewußtsein mächtig gehoben und der frische Wagemut der Jugend tat das übrige. Er freute sich beinahe darauf, sich mit den Feinden einmal im offenen Kampfe messen zu können, und beschloß, sich schon jetzt auf alle Fälle darauf einzurichten.

Der Platz, auf dem sie hielten, eine freie Hochebene, auf der nur da und dort ein paar Steine herumlagen, war zu einem Kampfe so ungeeignet wie nur möglich. Es gab nirgends Deckung, und vor allem waren die Wagen und die Herden vollkommen ungeschützt. Kaspar suchte also in der Umgegend nach einer geeigneteren Stelle und fand sie unweit hinter einem kleinen Vorberge, der halbkreisförmig eine breite Niederung verdeckte, aus der man ohne Mühe schnell nach dem Hohlwege gelangen konnte.

Dorthin ließ er also die Wagen fahren, ordnete die Herden dahinter, indem er mit Stöcken und Stricken schnell eine Art Hürde herstellte, und ritt dann selbst auf die Höhe, um den Boten zu erwarten, durch den Herr Körner ihm das Zeichen zum Vorrücken senden wollte.

Aber schon war seit dem Fortreiten Körners eine halbe Stunde vergangen, und noch immer war von dem verheißenen Reiter nichts zu sehen. Einige Zeit wartete Kaspar noch, dann trieb ihn die Ungeduld, dem Schwager entgegen zu reiten. Er übergab Elias die Aufsicht über den Zug, ritt vorsichtig an den Wagen heran, auf dem die Mutter lag – sie war nach all den Aufregungen vor Erschöpfung eingeschlafen und ruhte friedlich in Röschens Schoß – und sprengte dann in der Richtung auf die Schlucht davon.

Er war noch nicht weit gekommen, als er vom Gebirge her Schüsse zu vernehmen glaubte. Aber es war auch möglich, daß er sich getäuscht haben konnte, denn noch immer donnerte es ab und zu in der Ferne. Er hielt sein Pferd an und lauschte. Jetzt fiel wieder ein Schuß – und jetzt noch einer. Diesmal war kein Irrtum möglich. Und der Bote kam noch immer nicht. Was hatte das zu bedeuten? Was sollte er nun tun?

Sein erster Gedanke war: zurückzureiten, die drei Körnerschen Leute, Elias, Hiob und Gottlieb mit sich zu nehmen und dem Schwager, der offenbar in der Schlucht überfallen worden war, zu Hilfe zu eilen. Rasch wandte er sein Pferd und jagte zurück. Aber bald sah er ein, daß das unmöglich sein würde. Beim Aufzucken eines Blitzes sah er plötzlich ein paar Gestalten den Hügel hinaufkriechen, hinter dem die Wagen standen. So schnell das Pferd laufen wollte, ritt er, die Flinte schußbereit in der Hand, auf die Stelle zu. Aber als er den Hügel erreichte, war nichts mehr zu sehen. Er suchte die Gegend ab; nichts war zu finden.

Und doch konnte er sich nicht getäuscht haben; es war nur zu wahrscheinlich, daß der Beestezwinger mit seiner Bande hinter ihnen hergeschlichen war, und daß sie sich in der Dunkelheit irgendwo hinter den Steinen verbargen. Wenn er jetzt mit den einzigen zuverlässigen Leuten fortritt, würden sie über die Wagen herfallen und die wehrlosen Frauen niedermachen. Sein Plan war unmöglich. Wenigstens mußte zunächst der Beestezwinger unschädlich gemacht werden.

So beschloß er denn, sogleich das Feld nach ihnen abzusuchen, und war eben im Begriff, um den Hügel herumzureiten und seine Leute herbeizurufen, als er vom Gebirge her Pferdegetrappel zu hören glaubte. Er hielt sein Pferd an und erkannte bald die Gestalten dreier Reiter, die in gestrecktem Galopp durch die Nacht herangesaust kamen.

»Wer da?« rief er sie an.

»Körner!« klang es schon von weitem zurück.

Kaspar drückte dem Pferd die Schenkel in die Flanken und sprengte den Ankommenden entgegen. Gleich darauf trafen sie zusammen.

»Sie kommen selbst? Was ist denn los?« rief Kaspar in höchster Spannung.

»Es ist, wie ich gefürchtet hatte!« entgegnete Herr Körner in großer Aufregung. »Hinter dem Hohlwege lagert Kamarinebo mit mindestens fünfzig Kriegern. Seine Späher haben die Schlucht besetzt. Um ein Haar wären wir abgeschnitten worden, sind aber noch glücklich über die Berge fort entschlüpft. Wenn sie Wind davon bekommen, daß wir hier mit den Wagen und den Herden halten, sind wir verloren. Ich weiß nicht mehr, was daraus werden soll!«

»Was daraus werden soll? – Ein frisches, fröhliches Gefecht!« rief Kaspar, nur von der Lust an den bevorstehenden Abenteuern erfüllt. »Wissen Sie, Herr Körner, was der alte Fritz an unserer Stelle getan haben würde? Zugeschlagen haben würde er, um dem Feinde zuvorzukommen. Und so sollten wir auch handeln. Kommen Sie! Jetzt machen wir erst schnell die paar Kerle unschädlich, die hier hinter den Steinen herumlungern. Und dann vorwärts über die Berge auf irgend einem Schleichwege! Sie sagten doch, daß Kamarinebo dort hinten lagert. Überraschen wir ihn also! Fallen wir über ihn her, ehe er sich's versieht. Wenn wir ihn unversehens angreifen, sind wir im Vorteil. Kommen Sie schnell! Sie sollen sehen, wie wir ihn über den Haufen schießen werden!«

In seinem Eifer war er dicht an Herrn Körner herangeritten und hatte ihn beim Arm ergriffen, um ihn zur Eile anzuspornen und mit sich fortzureißen.

Aber Herr Körner folgte ihm nicht und trotz aller seiner Sorgen mußte er über die tollkühne Kampfbegier des jungen Schwagers lächeln. »Nein, mein Junge, so einfach ist die Sache denn doch nicht,« sagte er endlich im Weiterreiten, »du bist gewiß ein wackerer Bursch und hast dich tapfer gehalten in den drei schlimmen Tagen. Dein Vater kann stolz auf dich sein, und ich bin es auch; denn Röschen hat mir alles erzählt. Aber das, was du jetzt planst, ist nicht mehr tapfer und kühn, es ist vermessen, es hieße Gott versuchen, und deshalb werde ich nie meine Hand dazu bieten. He, Philipp! Reite voraus. Du weißt Bescheid,« rief er einem seiner Leute zu und fuhr dann, zu Kaspar gewendet, fort: »Du unterschätzest die Herero. Sie sind schlauer, als du denkst. Nachdem sie uns vorhin gesehen haben, werden sie sich hüten, sich von uns überraschen zu lassen. Und wenn wir wirklich unbemerkt über die Berge kämen, glaubst du, daß sich fünfzig Hererokrieger im Handumdrehen niedermachen lassen? Wir würden vielleicht im Anfang einige Erfolge erzielen. Aber was dann? Im besten Falle würden wir uns in einen langwierigen Kampf verwickeln und ihnen Zeit geben, hier über unsere Wagen herzufallen. – Vorwärts doch! Vorwärts!« unterbrach er sich wieder, nach den Wagen hinüber rufend. Dann sagte er: »Nein, mein Junge, du meinst es gewiß gut, aber diesmal bist du auf dem Holzwege. Meiner Meinung nach können wir jetzt nichts tun, als so schnell als möglich aufbrechen, nach Süden abbiegen, um zu versuchen, das Gebirge zu erreichen. Ich weiß dort eine Kluft, in der wir uns verbergen können. Vielleicht finden sie uns dort nicht und ziehen an uns vorüber nach Marienhof.«

Damit sprengte er, von Ungeduld getrieben, davon, auf die Wagen zu und rief: »Wo bleibt ihr denn? Warum fahrt ihr denn nicht? Fahrt doch zu! Vorwärts!«

Kaspar kämpfte mit sich einen Kampf, der ihn schwerer drückte, als alle die, die er in den letzten Tagen bestanden hatte. Es wollte ihm durchaus nicht in den Sinn, daß sein Schwager auf seinen Plan nicht eingehen und sich lieber vor den Feinden verkriechen wollte. Er war noch immer fest überzeugt, daß sie beim Dreinhauen viel besser fahren würden. Doch Herr Körner war der Ältere, und so bezwang er sich. Im stillen aber wünschte er, daß irgend etwas geschehen möchte, das sie doch noch zum Kampf zwingen würde.

Und dieser Wunsch sollte bald genug in Erfüllung gehen.


Nachdem Kamarinebo sich durch Ismaels verlockende Schilderungen zu dem Raubzuge nach Marienhof hatte bestimmen lassen, war er gleich vom Giraffenberge aufgebrochen und hätte sein Ziel schon am Abend erreichen müssen, wenn er nicht durch einen Zwischenfall aufgehalten worden wäre.

Eben hatte er mit seinen Leuten eine Höhe erreicht, als er unten im Tale einen Fuhrmann herankommen sah, der mit seinem Ochsengespann eilig nach Westen zu entkommen suchte. Sofort packte ihn die Habgier. Die schönen Ochsen mußte er haben. Und vielleicht war auch Branntwein auf dem hochbepackten Wagen.

»Heiho!« schrie er. »Haltet ihn!«

Mit wildem Geschrei ging es den Berg hinab, die ganze Horde über den armen Fuhrmann her, der mit Entsetzen die furchtbare Gefahr bemerkte, vom Wagen sprang und ebenso wie die beiden Damara, die er als Ochsentreiber bei sich hatte, in die gegenüberliegenden Berge zu entkommen suchte. Die Damara ließen sie laufen, aber den Fuhrmann hatten sie mit ihren raschen Pferden bald eingeholt.

Es war ein deutscher Händler, den sie wohl kannten und von dem sie oft genug im friedlichen Handel Tabak, Stoffe und Zucker eingetauscht hatten. Ja sogar Branntwein hatte ihnen der gutmütige Mann zuweilen trotz des strengen Verbotes abgelassen. Aber das alles schützte ihn jetzt nicht vor der entfesselten Mordlust. Er warf sich vor ihnen auf die Kniee und flehte um sein Leben.

»Nehmt meine Ochsen! Nehmt alles, was ich habe! Aber schlagt mich nicht tot. Ich habe ein Weib daheim und sechs kleine Kinder! Ich will euch Lösegeld zahlen, soviel ich nur kann, aber laßt mich leben!« rief er, sich in seiner Todesangst an einen der Großleute klammernd, der ihm seit langer Zeit Geld schuldig war und den er doch nie gemahnt hatte.

Aber die grausame Horde kannte kein Mitleid. Er war ein Weißer und ein Deutscher dazu. »Alle Deutschen sollt ihr töten,« hatte Samuel Maharero befohlen, und es war ihnen nur ein Vergnügen, diesen Befehl auszuführen.

»Heiho! Freundchen! Jetzt werden wir dir unsere Schulden bezahlen!« schrieen sie höhnisch und schlugen unbarmherzig mit ihren Keulen und Gewehrkolben auf ihn ein, bis der Unglückliche sich nicht mehr regte.

Inzwischen hatte Kamarinebo schon die Ochsen ausspannen und zu seiner Herde forttreiben lassen, während er selbst sich über den Wagen hermachte, um nach Branntwein zu spüren. Lange suchte er vergeblich: denn wenn die Händler das verbotene Gut mit sich führen, verbergen sie es wohlweislich, damit die Distriktsbeamten es nicht entdecken. Endlich aber fand er, in einem Zeugballen eingewickelt, das ersehnte Fäßchen, und nun war ihm alles andere gleichgültig. Mochten die anderen sich um den Tabak, um das Zeug und die anderen Waren reißen, er hatte sein Fäßchen und wollte dessen Inhalt in Ruhe genießen.

siehe bildunterschrift

Kamarinebo packte den Vorwitzigen, das Fäßchen an sich drückend.

Inzwischen kamen die Großleute heran, die dem Fuhrmann nachgesetzt waren, und nun erwachte auch in ihnen die Gier nach dem geliebten Getränke.

»Oho! Du hast die Ochsen für dich genommen und willst nun auch den Branntwein für dich allein trinken?« schrieen sie ihrem Häuptling zu, der es sich am Abhang bequem gemacht und das ganze Fäßchen vor den Mund genommen hatte.

»Nehmt euch den Tabak, oder was ihr wollt, aber laßt mich in Ruhe, rat' ich euch!« brüllte er, mit Unwillen das Gefäß absetzend und schon halb betrunken.

»Den Tabak werden wir uns schon holen. Aber Branntwein wollen wir auch haben!« riefen die Großleute näher herantretend, und schon streckte der eine die Hände nach dem Fäßchen aus.

In diesem Augenblick sprang Kamarinebo wie ein wild gewordener Stier auf, packte, mit der Linken krampfhaft das Fäßchen an sich drückend, mit der rechten Hand den Vorwitzigen beim Genick, hob ihn wie ein Kind mit dem steifen Arm in die Höhe, schüttelte ihn, daß ihm Hören und Sehen verging, und schleuderte ihn endlich mit einem so gewaltigen Ruck von sich, daß der Gemaßregelte eine große Strecke weiter mit zerschundenen Gliedern liegen blieb.

Die Großleute wichen scheu zurück und blieben brummend in einiger Entfernung stehen. Aber keiner wagte sich mehr heran, während Kamarinebo, als ob nichts gewesen wäre, sich wieder niederließ und fortfuhr, das vielbegehrte Innere des Fäßchens zu ergründen.

Endlich aber lähmten die Geister des Fusels seine Kraft. Nur mit Mühe konnte er das Gefäß noch am Mund halten, der Branntwein floß ihm über das Gesicht, und als jetzt die Großleute zusprangen, um ihm das Fäßchen zu entreißen, lallte er nur ein paar unverständliche Worte, dann fiel er, sinnlos betrunken, zurück, um gleich darauf durch ein gewaltiges Schnarchen zu verraten, daß das furchtbare, betäubende Gift des Alkohols feine Wirkung gründlich ausübte.

Nun fingen die Großleute an, sich um das Fäßchen zu prügeln. Der, welcher es Kamarinebo fortgenommen hatte, schien es feinem Häuptling gleichtun zu wollen und weigerte sich, es wieder herzugeben. Man entriß es ihm mit Gewalt, aber da keiner es dem anderen gönnte, fiel es schließlich zu Boden, so daß der Inhalt auf die Erde lief. In wilder Gier stürzten sie nun darüber her, knufften und stießen sich, bis das letzte Tröpfchen ausgelaufen war. Nun schlugen sie in ihrer Wut nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf das leere Fäßchen ein, daß die Splitter nur so herumflogen, und liefen dann nach dem Wagen, um sich wenigstens an dem Tabak schadlos zu halten.

So fand sie Ismael, der in seiner Ungeduld, nach Marienhof zu kommen, vorausgeritten war und die ganze Zeit über vergeblich auf sie gewartet hatte. Außer sich vor Zorn schimpfte er von seinem Pferde herunter auf den Häuptling Kamarinebo und die Großleute. Sie wären alle Säufer und dumme Teufel und würden sich noch die schöne Beute auf dem Hofe des Deutschen entgehen lassen.

Aber die Großleute lachten ihn aus, drohten ihm, sie würden ihm die Knochen im Leibe zerschlagen, wenn er sie nicht in Frieden ließe, und jagten ihn schließlich, als er gar nicht aufhören wollte zu keifen, mit ihren Spießen und Flinten davon. Erst nach geraumer Zeit wagte er sich wieder heran, hielt sich jetzt aber still beiseite und wartete auf Kamarinebos Erwachen.

Kamarinebo schlief bis in den Nachmittag hinein. Als Ismael ihm dann sogleich nach dem Erwachen zuzusetzen begann, wurde er in seiner Katerstimmung grob und drohte ihm, er würde ihn durchpeitschen lassen und überhaupt nicht mehr nach Marienhof ziehen. Es sei bloß eine Gutmütigkeit von ihm; denn auf dem Hofe des Deutschen werde wahrscheinlich nicht einmal Branntwein zu holen sein. Der Vater sei ein falscher, spitzbübischer Mensch, und der Sohn werde wohl nicht viel besser sein. Er traue ihm nicht, und Ismael solle nur machen, daß er weiter komme, sonst werde er die Hunde auf ihn hetzen.

Nun zog Ismael wieder andere Saiten auf. Er suchte Kamarinebo bei seiner Eitelkeit zu packen und machte ihn so lüstern auf den Besitz der vielen schönen Beeste, daß der Häuptling sich endlich doch bequemte, zum Weitermarsch zu rüsten.

Noch halb im Rausch stieg er auf sein Pferd und folgte Ismael, der ihn durch unausgesetztes Schwatzen und Anpreisen der Beute bei Laune zu erhalten suchte.

So erreichten sie bei Anbruch der Dämmerung den Hohlweg. Aber nun weigerte Kamarinebo sich ganz entschieden, weiterzuziehen. Er müsse schlafen, meinte er, die Nacht sei zum Schlafen da, und um dem Deutschen die Beeste fortzunehmen, würde sich am anderen Morgen auch noch Zeit genug finden.

Ismael schäumte vor Wut. So nah am Ziel, sollte er wieder um die ersehnte Frucht seiner Bemühungen betrogen werden? In wenigen Stunden konnten sie in Marienhof sein, im Handumdrehen würde sie ein nächtlicher Überfall in den Besitz des Hofes setzen, und der faule Riese zögerte noch immer?

»Du wirst schon sehen, was dir dein Schlaf einbringt!« rief er. »Der Buschläufer ist auf dem Hof! Er wird dir den richtigen Empfang bereiten, wenn du bei Tage kommst! Haha! Ich sehe schon, wie der große Kamarinebo, der Tapferste der Tapferen, unverrichteter Sache wieder abzieht!«

Aber damit hatte er bei dem eitlen Häuptling vollends verspielt. Man wagte daran zu zweifeln, daß er mit den paar Deutschen fertig würde? Man wagte in seiner Gegenwart einen Gegner zu rühmen, der nicht beim ersten Zusammenstoß vor ihm zu Boden kriechen würde? Das war die Stelle, wo Kamarinebo sehr empfindlich war.

»Elender Knirps!« schrie er, Ismael beim Kragen packend. »Was bist du für ein frecher Bursche, daß du dich unterfängst, so mit Kamarinebo zu sprechen! Soll ich dich zu Brei stampfen, du Zwerg? Wehe dir, wenn nicht alles wahr ist, was du mir von den Herden des Deutschen gesagt hast! Wenn es nur drei Beeste weniger sind, laß ich dich mit den Beinen zu oberst an den ersten besten Baum hängen. Untersteh dich noch einmal, meine Ruhe zu stören und dich meinem Willen zu widersetzen. Morgen, wenn die Sonne über die Berge kommt, ziehen wir weiter und keine Stunde früher. Troll dich jetzt, du erbärmlicher Wicht, oder ich werde dir den frechen Schnabel mit den Keulen meiner Krieger stopfen lassen!«

Mit diesen Worten stieß er Ismael von sich, daß dieser zur Erde fiel, drehte ihm, ohne sich weiter um ihn zu kümmern, den Rücken zu und ging nach seinem Zelt, das er immer mit sich führte und das seine Leute mittlerweile bereits für ihn hergerichtet hatten.

In ohnmächtiger Wut erhob sich Ismael vom Boden, dem groben Riesen geheime Rache schwörend, da er offen doch nichts gegen ihn auszurichten vermochte. Einen Augenblick dachte er sogar daran, ihn zu verraten, nach Marienhof vorauszureiten und den Buschläufer zu warnen, ja sogar ihm seine Hilfe anzubieten. Aber diesen Gedanken ließ er bald wieder fallen. Sein Haß gegen den ehemaligen Gespielen, der sich so viel stärker und kühner gezeigt hatte als er, war zu groß, und die gute Beute, die er trotz Kamarinebo dabei zu ergattern hoffte, lockte doch zu sehr.

Wie aber, wenn er alle beide verriet? Wenn er erst den Buschläufer warnte, um Kamarinebo eins tüchtig auszuwischen, und dann sich aus dem Staube machte, um dem Häuptling zu zeigen, wie fehlerhaft es war, seinen Ratschlägen kein Gehör geschenkt zu haben?

Hierüber sinnend, warf er sich unter ein Gebüsch und schlief, da er die ganze vorige Nacht hindurch geritten war, selbst ein, erwachte aber schon nach wenigen Stunden wieder, lief zu seinem Pferde und ritt in den Hohlweg, den inzwischen die Großleute der Vorsicht halber zu beiden Seiten mit Spähern besetzt hatten.

Plötzlich hörte er nicht weit vor sich Pferdegetrappel. Sofort sprang er ab, führte sein Pferd zur Seite hinter ein Gebüsch und lauschte. Offenbar waren es mehrere Reiter, die langsam den Hohlweg heraufkamen.

Gleich darauf fiel ein Schuß – und dann ein zweiter. Gewiß hatten auch die Späher die Reiter bemerkt und schossen nach ihnen, oder auch nur, um ihre Leute aufmerksam zu machen. Im nächsten Augenblick kamen drei Reiter in vollem Galopp an ihm vorbeigesprengt. Es waren Weiße, und trotz der Dunkelheit glaubte er in dem einen von ihnen jenen Mann erkannt zu haben, den er zuweilen, wenn er den Buschläufer besuchte, auf dem Hofe gesehen hatte.

Sofort schoß ihm der Gedanke durch den Kopf: Der Buschläufer hat den Hof verlassen. Er will hier durch den Hohlweg, um nach Otyikango (Groß-Barmen) auf die Station zu entkommen.

Ohne sich zu besinnen, schwang er sich in den Sattel und sprengte hinter den Reitern her. Wenige Minuten weiter oben bog eine Schlucht nach Süden ab, von der aus man über die Berge gelangen konnte. In ihr sah er die drei eben verschwinden. Vorsichtig folgte er ihnen in einiger Entfernung und ritt immer hinter ihnen her über das Gebirge zurück, bis er sie in der Ebene nach Osten davonsprengen sah. Nun machte er halt, um zu lauschen. Geraume Weile hörte er das Getrappel ihrer Pferde. Aber dann verschwand der Klang in der Ferne.

Langsam ritt er weiter, scharf ausspähend, wenn die Blitze zuweilen für einen Augenblick das Gelände erhellten. Aber es war nichts zu sehen, nur der langgestreckte Rand eines Hügels hob sich dann von dem grell beleuchteten Himmel ab. Auf ihn ritt er zu. Wenn der Buschläufer wirklich unterwegs war, mußte er hier irgendwo in der Nähe sein. Vielleicht ließ sich von der Höhe aus etwas sehen.

Er war noch nicht weit geritten, als er das Blöken von Rindern aus der Ferne zu hören glaubte. Von dort hinter dem Hügel kam es her. Wieder machte er halt, und jetzt klangen die Töne, von dem Gewitterwind getragen, ganz deutlich herüber. Dort also waren sie! Dort war der Buschläufer!

Schnell bog er nun nach Norden ab, um hinter den Hügel zu gelangen. Dann sprang er ab, band die Zügel seines Pferdes an einem Stein fest, kroch hinauf und sah nun, wie dicht unter ihm die Wagen standen und die Herden, und wie die Leute eben dabei waren, die Ochsen anzuschirren, sicher doch, um auf die Kunde der drei Reiter hin davonzufahren.

Er überlegte jetzt nicht mehr, ob er sich an Kamarinebo rächen und den Buschläufer warnen solle, er dachte nur daran, daß ihm die schöne Beute verloren gehen könne. So schnell er konnte, kroch er zu seinem Pferde zurück und jagte gleich darauf nach dem Hohlwege davon.

Inzwischen waren auch die Leute Kamarinebos durch die Schüsse der Späher aufgerüttelt worden. Er selbst lag zwar noch immer ruhig in seinem Zelt, um seinen Rausch gründlich auszuschlafen. Die Großleute aber hatten sich mit der Mehrzahl der Krieger aufgemacht und hielten schon am Eingänge zum Hohlwege, als Ismael dort auf schaumbedecktem Pferde eintraf.

»Auf! Auf! Vorwärts! Dort sind sie!« schrie er ihnen schon von weitem zu. »Zwei Wagen, ganz voll bepackt, und die ganzen Herden! Heiho! Was kümmert euch der Kapitän! Laßt ihn schlafen! Nehmt's für euch selbst! Ihr habt euch lange genug von ihm schinden lassen!«

Die Großleute überlegten eine Weile. Aber die Aussicht, einmal ohne den verhaßten Häuptling mit leichter Mühe, zu einer reichen Beute zu gelangen, die sie vielleicht in den Stand setzen würde, sich selbst zu Kapitänen wählen zu lassen, reizte sie alle.

Gleich darauf war die ganze Bande, mehr als vierzig Mann, über die Hälfte beritten und mit Flinten bewaffnet, nach dem Hügel unterwegs, den. von der anderen Seite auch der Beestezwinger mit leinen zwölf Kumpanen blutgierig und Beute erhoffend umkreiste.


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