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Der Viehraub.

In derselben Nachmittagsstunde lagerten auf einem der entlegensten Viehposten, die zu der Werft des reichen Kapitäns Isaak gehörten, sechs Männer im Schatten ihrer aus Stangen, Dorngestrüpp und trockenen Blättern rasch zusammengebauten Hütte.

Es waren arme Burschen; denn während die meisten ihrer Stammesgenossen, sobald sie es nur irgend erschwingen konnten, sich beeilten, ihre bronzefarbenen Leiber mit Drellanzügen und ihre wolligen Schädel mit Schlapphüten zu bedecken, liefen sie noch wie die echten Feldherero herum, die mit den Europäern noch gar nicht in Berührung gekommen sind. Ein aus dünnen Lederriemen geflochtener Schurz und ein paar Lederbänder, oder ein dürftiger Überwurf waren ihre ganze Bekleidung. Ohne eigenen Besitz, fristeten sie als Viehwächter im Dienste ihres reichen Häuptlings ein bescheidenes Dasein, das ihnen aber sehr zu behagen schien; denn sie machten alle sehr vergnügte Gesichter, während sie in süßem Nichtstun am Boden lagen und den Rindern zuschauten, die in einiger Entfernung weideten.

»Äh! Äh!« schnarrte nach langer Pause der eine, während er träge die gewaltigen Glieder reckte. »Die Sonne ist bald unter, und die Beeste lagern noch nicht? Das bedeutet was!«

»Was soll es denn bedeuten?« entgegnete ein anderer, ohne sich in seiner Bequemlichkeit stören zu lassen. »Wettermacher du! Immer siehst du Geister. Aber die Geister sind wie der Regen; sie kommen nie, wenn du sie rufst. Schlaf lieber, das ist das beste für dich und uns, denn du verdirbst uns dann nicht die schöne Ruhe.«

»Kuru sagt euch, es hat doch was zu bedeuten heute!« meinte der erste wieder, und diesmal ließ er sich sogar dazu herbei, seine bequeme Lage aufzugeben und sich aufzurichten. »Kuru hört den Trab von Pferden aus der Ferne; der Kapitän wird auf den Viehposten kommen, oder die Grootmannen; sie werden böse werden, wenn die Wächter schlafen.«

Jetzt hielten auch die anderen es für geraten, sich zu erheben; denn wirklich ließ sich jetzt deutlich das Herankommen von Pferden erkennen, und gleich darauf sah man am Horizonte zwischen den weidenden Rindern die Gestalten dreier Reiter auftauchen.

»Huhu! Ismael, der Sohn des Kapitäns!« rief der Wettermacher, frohlockend, daß seine Prophezeiung sich dennoch so bald erfüllt hatte. »Die Geister kommen doch, wenn Kuru ruft!«

»Dann hättest du dir aber wenigstens bessere aussuchen sollen!« brummte ärgerlich ein dicker Geselle, den sie den Beestezwinger nannten, weil er so stark war, daß er einen Ochsen bei den Hörnern packen und zu Boden drücken konnte. »Der Kapitän ist schon ein Geizhals, der einem armen Viehhüter nicht eine Handvoll Tabak gönnt und einen Schluck Branntwein schon gar nicht. Aber der Sohn ist noch viel schlimmer. Die Weißen sind mir nicht mehr verhaßt als Ismael. Was der auch wohl auf dem Viehposten zu suchen hat!«

siehe bildunterschrift

Ismael und die beiden Großleute hielten vor der Hütte.

Unmutig stimmten die anderen ein, nahmen ihre Spieße und Wurfkeulen zur Hand und gingen nach verschiedenen Richtungen auseinander, um sich so den Anschein zu geben, als wären sie wer weiß wie eifrig in der Ausübung ihres Wächteramtes.

Mittlerweile waren die Reiter herangekommen, und schon von weitem hörte man Ismaels scheltende Stimme: »Kuru! Satal! Wo steckt ihr denn, ihr Faulenzer? Auf dem ganzen Felde keiner zu sehen! Niemand würde den Kirri erheben, wenn die Nama kämen und uns die Beeste forttrieben. Der Kapitän wird euch durchpeitschen lassen, wenn ihr nicht besser eure Schuldigkeit tut.«

»Wir tun schon unsere Schuldigkeit,« antwortete brummend der Beestezwinger, der sich am wenigsten beeilt hatte, dem Sohne seines Brotherren aus dem Wege zu gehen. »Aber wo kein Regen fällt, wächst auch kein Gras. Warum hält uns der Kapitän so trocken?«

»Er hält euch, wie ihr's verdient, ihr faulen Schlingel!« rief Ismael, der jetzt mit den beiden Großleuten, die ihn begleiteten, herangekommen war und vor der Hütte, im Schatten, halt machte.

Er sah heute zu Pferde, mit der breiten blutroten Schärpe um die Hüften und der Flinte auf dem Rücken, sehr stattlich aus, und trug eine sehr stolze Miene zur Schau, wie immer, wenn er den Untergebenen seines Vaters gegenüberstand und wußte, daß er seinem Hochmut ohne Gefahr die Zügel schießen lassen konnte.

»Wo sind die anderen? Gewiß schlafen sie irgendwo? Rufe sie her. Ich habe mit ihnen zu reden!« fuhr er dann fort, indem er seine Büchse zur Hand nahm, um dadurch dem Beestezwinger, vor dessen Kraft er im stillen nicht geringe Angst hatte, Respekt einzuflößen.

»Sie werden schon bald da sein,« sagte der Dicke und trottete sich davon.

»Meint ihr, daß sie uns helfen werden?« fragte Ismael, nachdem der Dicke hinter der Hütte verschwunden war, seine Begleiter.

»Gewiß, wenn du sie gut bezahlst,« antwortete der eine, der einäugig war, mit spöttischem Grinsen, während der andere, dessen schwarzbraunes Gesicht über und über mit Pockennarben bedeckt war, sich lachend seine Pfeife ansteckte.

»Warum soll ich sie bezahlen?« fragte Ismael hochmütig weiter. »Sind sie nicht die Diener meines Vaters und müssen gehorchen, wenn ich befehle?«

»Sie werden gehorchen, wenn du ihnen aufträgst, deines Vaters Rinder gut zu hüten,« meinte der Einäugige. »Wenn sie aber die Ochsen eines anderen für dich forttreiben sollen, das ist doch – ein ander Ding!«

»Und kein sehr gutes,« fügte der Pockennarbige hinzu. »Denn der Ovaherero ist arm, aber nicht schlecht. Er weiß, was er zu tun schuldig ist. Du wirst ihm einen besonderen Vorteil bieten müssen, wenn er sich an seines Nächsten Vieh vergreifen soll.«

»Sie sollen sich keineswegs an ihres Nächsten Vieh vergreifen,« warf Ismael mit großem Eifer ein. »Der Weiße ist nicht des Ovaherero Nächster, der Weiße ist des Ovaherero Feind, und was er sein Eigentum nennt, das gehört von Rechts wegen uns. Bald werden wir sie ja auch alle totschlagen, wie ich heute morgen den Buschläufer totgeschlagen habe.«

»Hast du ihn totgeschlagen?« fragte höhnisch der Einäugige. »Dann hat Gott ein Wunder an ihm geschehen lassen; denn als ich vorhin an dem Kraale der Weißen vorüberritt, sah ich ihn lebendig und ein junges Pferd einreiten.«

»Das ist nicht wahr!« rief Ismael zornig, mit prahlerischer Gebärde seine Flinte hochhaltend, obgleich er wohl wußte, daß er log, und längst auf eine neue Gelegenheit sann, Kaspar um seine Büchse zu bringen. »Ich wiederhole, daß ich ihn mit dieser Büchse totgeschossen habe, und daß ich jeden Weißen ebenso totschießen werde, der mir in den Weg kommt!«

»Nu, nu! Wir glauben dir ja schon!« unterbrach ihn beruhigend der Pockennarbige. »Wenn nur etwas Tüchtiges dabei abfällt. Ob der Buschläufer noch lebt oder nicht, seines Vaters Rinder werden dadurch nicht schlechter. Die Hauptsache ist, daß wir sie bekommen, und deshalb rate ich dir, versprich den Wächtern, daß du ihnen den Zehnten abgeben willst von der Beute.«

»Meinetwegen denn,« entgegnete Ismael, fügte dann aber, halb für sich, hinzu: »Versprechen kann man es ihnen ja schließlich.«

Die Hüter waren mittlerweile zurückgekommen und standen neben der Hütte, mit ziemlich gleichgültigen Gesichtern erwartend, was der Sohn ihres Häuptlings ihnen zu sagen haben würde.

»Tagediebe!« begann er, wieder mit seiner Flinte fuchtelnd. »Jetzt hat das faule Leben hier ein Ende! Der Kapitän befiehlt euch, morgen früh, noch ehe die Sonne über die Berge gestiegen ist, alle Beeste, die ihr hier zu bewachen habt, nach der Werft zu treiben. Es ist eine Botschaft gekommen vom Oberkapitän Samuel in Okahandja, und was sie enthält, wird euch der Kapitän selber verkünden. Habt ihr mich verstanden?«

»Wir haben schon verstanden!« antworteten die Wächter mit sehr unzufriedenen Gesichtern; denn es lag ihnen nicht viel daran, in der Nähe ihres Häuptlings zu sein, der sie auf jede Weise ausnützte und nur darauf bedacht war, sich durch ihre Arbeit zu bereichern.

»Wenn du uns weiter nichts zu sagen hast,« fügte deshalb der Beestezwinger hinzu, sich trotzig an den Boden werfend, um wenigstens den Rest der guten Zeit noch auszunützen.

Einen Augenblick sah Ismael die beiden Großleute an, dann sagte er: »Ich hätte euch schon noch etwas zu sagen, wenn ich wüßte, daß ihr ebenso klug seid wie faul.«

»Nu, wir sind schon klug genug, um beim Essen den Mund zu finden, und um zu wissen, daß Tabak eine gute Sache ist,« entgegnete der Beestezwinger, vor sich hinbrummend.

»Ei! Wenn ihr das seid,« fuhr Ismael schnell fort, »dann werdet ihr euch eine gute Belohnung nicht entgehen lassen.«

Er rückte nun mit seinem Anliegen heraus, stellte ihnen mit allerlei schönen Redensarten vor, wie verdienstlich es wäre, dem verhaßten Deutschen ein paar von seinen Ochsen fortzunehmen, und wie leicht und ohne Gefahr das Unternehmen sich ausführen ließe, und versprach ihnen goldene Berge, wenn sie ihm dabei helfen würden. Aber die Wächter, die wohl wußten, daß diese goldenen Berge im Monde lagen, zeigten sich zunächst gänzlich abgeneigt, bis die beiden Großleute sich ins Mittel legten und Bürgschaft dafür versprachen, daß die Belohnung nicht verkürzt und in reichlichen Mengen Tabak und Branntwein ausbezahlt werden würde.

Nun willigten sie ein und machten sich sogleich bereit, das Abenteuer auszuführen, denn der Schatten der Hütte war mittlerweile länger und länger geworden, und bald mußte die Sonne hinter den Bergen verschwunden sein. Ja, ihre Begierde nach der in Aussicht gestellten Belohnung war so groß, daß es bei der Auswahl dessen, der als Wächter auf dem Viehposten zurückbleiben sollte, fast zu einer allgemeinen Rauferei gekommen wäre.

»Ich weiß die Beeste zu fangen! – Mir laufen sie von selbst nach, wenn ich sie locke! – Mich mußt du mitnehmen!« schrieen sie durcheinander, rissen Ismael und den beiden Großleuten fast die Kleider vom Leibe, stießen und pufften sich, um nur ja recht dicht an sie heranzukommen, bis der Beestezwinger, der sich aus Bequemlichkeit und Selbstbewußtsein abseits gehalten hatte, dazwischenfuhr, und bis dem, der endlich zum Zurückbleiben bestimmt wurde, versprochen worden war, daß er auch sein Teil haben solle.

Bald darauf zogen die acht Raubgesellen in der beginnenden Dämmerung nach Westen davon, Ismael mit der Flinte und die beiden Großleute zu Pferde voran, die fünf Viehhüter auf Reitochsen hinterdrein, überdies mit Spießen und Keulen bewaffnet und reichlich mit Stricken versehen.

Da der Himmel bewölkt war, herrschte bald tiefste Finsternis, und der Einäugige, der immer für Vorsicht war, fragte deshalb den Häuptlingssohn, ob er auch den Weg kenne und genau wisse, wie man am besten ungesehen an die Ochsen des Deutschen herankommen könne.

Diese Frage nahm Ismael in seiner Naseweisheit aber sehr krumm, verhöhnte den Großmann wegen seiner Einäugigkeit und schwor, daß er den Weg finden würde, auch wenn er überhaupt keine Augen hätte; er als Kapitänssohn kenne im Gebiete seines Vaters überhaupt jeden Schritt und Tritt, und auf dem Viehposten des Deutschen wisse er ganz besonders Bescheid, weil er dort wohl zehnmal mit dem Buschläufer gewesen sei, um Fallen für die Wildkatzen aufzustellen.

»Der dumme Buschläufer!« fügte er spöttisch hinzu. »Er dachte, daß ich wegen der dummen Katzen so weit mit hinausgelaufen wäre, und merkte gar nicht, daß ich bloß sehen wollte, wie man seinem Vater am besten die Ochsen fortnehmen könnte!«

Aber trotz dieser großen Worte schien es mit der Wegkenntnis des biederen Häuptlingssohnes doch nicht allzu weit her zu sein; denn nachdem sie etwa eine Stunde lang in der Dunkelheit dahingetrabt waren, kam plötzlich der Beestezwinger nach vorn gesprengt und rief: »Wo führst du uns denn hin, Kapitänssohn? Du willst den Weißen wohl erst fragen, ob er auch nicht böse wird, wenn wir ihm die Beeste forttreiben? Dort hinter dem Berge liegen die Hütten der Weißen!«

»Was du auch gescheit bist!« entgegnete Ismael ärgerlich. »Was dort hinter dem Berge liegt, werde ich wohl besser wissen, und wenn ich dich führe, so hast du zu folgen!«

»Das werde ich hübsch bleiben lassen!« entgegnete der Dicke mit aufsässigem Gebrüll. »Wer stärker ist und klüger als ich, dem folge ich schon. Aber nicht solchen Bürschchen, wie du eines bist. – Kommt!« rief er seinen Kameraden zu. »Der Kapitänssohn will uns nur an der Nase herumführen. Laßt uns wieder zu unserer Hütte reiten und schlafen.«

Die anderen, die auch längst gemerkt hatten, daß sie in vollständig falscher Richtung geführt wurden, machten nun wirklich Miene umzukehren. Ismael tobte und schrie und drohte sogar mit der Büchse, um sie gefügig zu machen. Aber sie lachten ihn, da er doch nicht Ernst machte, schließlich aus, und so blieb ihm nichts übrig, als die Führung an den Beestezwinger abzutreten.

Der Dicke brachte sie nun bald auf die richtige Fährte, und nachdem sie abermals eine Stunde geritten waren, gelangten sie in das Tal eines Baches, der Herrn Lerses äußersten Viehposten im Westen begrenzte. Das nur wenige Meter tiefe, ausgetrocknete Bachbett war am östlichen Rande, wo die große Weidefläche des Viehpostens begann, dicht mit Gestrüpp und verkrüppelten Akazien bewachsen, während das andere Ufer einen weitgedehnten Buschwald begrenzte.

»Hier müssen wir die Reittiere zurücklassen,« rief der Beestezwinger, nachdem sie dem Bachbett eine Weile talabwärts gefolgt waren, »und uns vorsichtig ein Stück weiterschleichen; denn gleich hier links liegen die Hütten der Wächter. Es sind Damara, feige Burschen, die davonlaufen, wenn sie nur den Namen eines Ovaherero nennen hören. Aber wenn sie etwas merken, können sie doch Lärm machen und uns den Spaß verderben.«

Ismael, der, nur um seine Autorität zu wahren, etwas einwenden wollte, meinte zwar, man könne ruhig noch ein Stückchen weiterreiten. Aber es hörte schon längst niemand mehr auf ihn, und so mußte er sich wohl oder übel dazu bequemen, sein Pferd ebenfalls an eine Akazie zu binden und den anderen zu folgen, die bereits im Schutze des Ufergestrüppes vorausgeeilt waren.

Die Nacht war mittlerweile etwas heller geworden, das Gewölk hatte sich mehr und mehr verzogen, und wenn auch der Mond noch von ihm verdeckt war, so begannen doch die Sterne hervorzukommen, die in Südafrika viel heller leuchten als bei uns. Bald sahen sie die kleinen Hütten, in denen die Damara mit ihren Familien hausten, und nicht weit davon auch die ersten Ochsen, die in kleinen Gruppen am Boden lagen.

»Da liegen sie ja! Nun holt sie doch!« rief Ismael, indem er, unfähig seine Begierde noch länger zu zügeln, das Gestrüpp zurückbog.

Aber im nächsten Augenblick hatte der Beestezwinger ihn so unsanft zurückgerissen, daß er wie ein Bündel die sandige Böschung hinunterrollte.

»Willst du dich ruhig verhalten, oder ich schlage dir den Schädel ein!« brummte der Dicke dabei. »Denkst du, wir werden deinetwegen unsere Knochen drangeben? Wenn sie uns erkennen, hetzen sie uns die weißen Reiter auf den Hals. Wenn dich der Buckel juckt, gut; eine gehörige Tracht Prügel wird dir nicht schaden. Aber solange wir dabei sind, verhalte dich still, oder du sollst an mich denken!«

Die ungeheure Kraft des Dicken, die er nun am eigenen Leibe verspürt hatte, verfehlte ihren Eindruck bei Ismael nicht. Er hielt sich von nun an vorsichtig zurück und wartete nur auf den geeigneten Augenblick, wo er vom Hinterhalte aus seine Flinte würde abdrücken können.

Aber zunächst schien sich keine Gelegenheit dazu bieten zu wollen; denn die Damara waren offenbar ebenso zuverlässige Wächter als ihre braunen Kollegen vom Hererostamm.

Auch sie mochten wohl denken, daß es viel angenehmer sei, des Nachts auf der weichen Futterstreu in der Hütte zu schlafen, als auf dem Felde herumzuspazieren und auf die Tiere acht zu geben, die schließlich doch am besten wußten, was ihnen gut war, und schon Lärm machen würden, sobald sie Gefahr gewittert hatten.

Kein Hüter war auf dem weiten Felde zu sehen, und ebensowenig einer der Hunde, die es auch wohl vorziehen mochten, in den weiter ostwärts sich erhebenden Bergen herumzustreifen, um dort einen Springhasen oder einen jener kaninchengroßen Dickhäuter zu überlisten, die für Südafrika so charakteristisch sind und Klippschliefer oder Klippdachse genannt werden.

Trotzdem wartete der Beestezwinger, bis sie an eine Stelle gekommen waren, wo die Dornenhecke des großen Kraals, der in der Mitte des Weidefeldes angelegt war, sie verdeckte und es unmöglich machte, daß sie von den Hütten aus gesehen werden konnten.

An der Dornhecke ließ der Beestezwinger endlich halt machen, befahl den anderen, sich ruhig zu verhalten, und kroch selbst behutsam durch das Gestrüpp vor, um sich nach der besten Gelegenheit zur Ausführung ihres Vorhabens umzusehen.

Nach wenigen Minuten kehrte er zurück und sagte leise: »Hier dicht bei uns, keine zwanzig Schritte vom Rande, lagern fünf Beeste, prächtige Tiere. Die werden wir holen. Ihr beiden Großleute und du da, Kapitänssohn, ihr bleibt hier und gebt acht. Wenn ihr jemand kommen seht, pfeift ihr – ganz leise, wie der Springbock – dann hören wir schon. Nehmt die Stricke zur Hand, Kuru, Henrik, Satal! – Kommt!«

Sie krochen nun langsam am Boden hin zu den Tieren hinüber, die das Herankommen der unbekannten Besucher sehr bald witterten und vereinzelt Miene machten, unruhig zu werden.

Aber mit erstaunlicher Geschicklichkeit wußten die fünf Männer sich sogleich mit ihnen vertraut zu machen.

Sie legten sich neben die Tiere hin und streichelten und liebkosten sie, während sie ihnen dabei unbemerkt die Stricke an den Hörnern befestigten.

siehe bildunterschrift

Mit erstaunlicher Geschicklichkeit wußten die fünf Schwarzen mit den Tieren sich vertraut zu machen.

»Habt ihr sie alle festgebunden?« fragte der Dicke nach einer Weile leise.

»Ja, es ist geschehen!« klang es ebenso zurück.

»Dann also vorwärts! – Ihr beide, Henrik, macht euch nach Süden hin – du, Wettermacher, kannst geradeaus bleiben – und wir werden uns nach Norden halten … Aber daß mir niemand am Stricke reißt, wenn die Beeste nicht wollen. Laßt sie nur, sie werden schon kommen … Nu, ihr wißt ja Bescheid.«

»Ja, wir wissen wohl Bescheid!« antworteten die vier, und nun begannen sie, die Ochsen, einen nach dem anderen, durch Vorhalten von frischem Futtergras, das sie vorher im Bachbett gepflückt und im Gürtel ihres Schurzes mitgebracht hatten, zum Aufstehen zu veranlassen.

Das machte sich alles ganz wie von selbst, und mit derselben Gewandtheit führten sie nun die Tiere, sich selbst in verschiedenen Richtungen am Boden weiterschiebend, langsam mit sich, so daß es von weitem aussehen mußte, als ob die Rinder weideten.

So erreichten sie endlich den Rand des Tales, wo die Tiere behutsam durch das Gestrüpp gezogen wurden, um dann fast lautlos im Talgrunde zu verschwinden.

»So! Die hätten wir!« sagte fröhlich schmunzelnd der Dicke, nachdem sie alle wieder beieinander waren. »Was meint ihr wohl, wenn wir sie nun auch behalten dürften? – Ha! Das wäre so was, die schönen Beeste!« Dabei streichelte er seinem Tier so zärtlich die Schnauze, daß es die Zunge herausstreckte und ihm die Hand zu lecken anfing. »Aber stehlen ist nichts für arme Burschen, wie wir sind, dazu muß man reich sein, wie unser Kapitän. Ihm werden die weißen Reiter nichts anhaben, und deshalb bin ich schon zufrieden, wenn wir tüchtig Branntwein und Tabak dafür bekommen. Aber das sage ich dir, wenn du nicht Wort hältst, dann sollst du nicht noch einmal versuchen können, uns zum Beesterauben zu verführen!«

Dabei packte er Ismael mit so gewaltigem Griff an der Jacke vor der Brust, daß der lange Bengel nicht aus noch ein wußte und hoch und teuer gelobte, er wolle alles tun, was der Beestezwinger verlange; er solle ihn nur loslassen und sich beeilen, noch mehr Ochsen zu holen, denn die beiden Großleute wollten doch auch ihr Teil haben.

Aber der Dicke hatte es damit nicht so eilig. Er kannte dieses Geschäft und wußte, daß ein tüchtiger Viehdieb zuerst den Sperling in der Hand in Sicherheit bringt, ehe er nach den Tauben auf dem Dache ausschaut.

Denn die Damara wußten in dieser Hinsicht ebensogut Bescheid, und so konnte es sich wohl ereignen, daß die Tiere mit derselben Geschicklichkeit wieder aus dem Tale hinausgezaubert werden konnten, mit der sie kurz vorher hineingehext worden waren.

Trotz aller Einwendungen Ismaels ließ er also die fünf Ochsen zunächst in aller Ruhe nach einem Orte bringen, wo sie nach seiner Meinung auf alle Fälle in Sicherheit waren – er lag ganz oben im Tale, weit hinter der Stelle, wo sie die Reittiere zuerst gelassen hatten – und machte sich dann erst daran, den Fang zum zweiten Male auszuführen.

Auch diesmal ging alles glatt.

Wieder weideten sich fünf ahnungslose Tiere auf Nimmerwiedersehen an den Bachrand heran, und wieder brachte der Dicke die Beute in Sicherheit, nachdem er dem Sohne seines Häuptlings gründlich unter die Nase gerieben hatte, wie verdient er sich um ihn mache und wie reichlich daher die Belohnung ausfallen müsse.

Als sie aber zum dritten Male zu einer Gruppe von ruhenden Rindern gekrochen und eben dabei waren, unversehens den Tieren die Stricke um die Hörner zu legen, ließ sich aus den hinter ihnen liegenden Gebüschen ein leiser Pfiff vernehmen.

»Der Springbock pfeift! Hört ihr es nicht?« flüsterte der Wettermacher, der das Zeichen zuerst gehört hatte.

»Das mahnt zur Vorsicht!« brummte der Beestezwinger. »Ich sagte es ja! Wären zehn Beeste nicht genug gewesen? Aber der Kapitänssohn will ja immer noch mehr haben in seiner Habsucht.«

Der starke Mann richtete sich ein wenig auf, um zu lauschen.

Wirklich: da pfiff der Springbock wieder. Hatten die Damara also doch Wind bekommen?

»Schnell die Stricke los und fort!« befahl er. »Wenn sie uns erkennen und uns die weißen Reiter schicken, geht's uns schlecht!«

Gleich darauf sprang er auf und sah sich um.

Richtig: vom Kraale her kamen drei Männer angelaufen, und weiter zurück auch Weiber und Kinder. Offenbar hatten sie sich hinter der Dornenhecke herangeschlichen und waren jetzt keine zweihundert Schritte mehr entfernt.

Sie schwangen ihre Spieße und schrieen aus Leibeskräften: »He! Holla! Räuber! Kommt herbei! Räuber sind da! Schlagt sie tot!«

Die Herero waren schnell auf den Beinen. In großen Sprüngen setzten sie über das Feld und hatten lange vor den Wächtern das Randgebüsch erreicht.

Aber die Damara schienen ihnen auch bis in das Bachbett folgen zu wollen, sie kamen näher und näher, und da sie ihnen hier leicht den Weg abschneiden konnten, wollte der Beestezwinger eben den Befehl geben, sich in den gegenüberliegenden Buschwald zu flüchten, als Ismael plötzlich aus seinem Versteck aufsprang und blindlings seine Büchse auf die daherstürmenden Verfolger abdrückte.

Sofort machten die Damara halt, und im nächsten Augenblick liefen sie mit entsetztem Geschrei nach allen Himmelsrichtungen über das Feld davon.

Ungehindert konnten die Herero nun ihren Raub in Sicherheit bringen.

Sie kehrten nach ihrem Viehposten zurück, und hier befahl Ismael, der durch den Schuß sein volles Ansehen wiederhergestellt zu haben meinte und sich wunder wie sehr aufspielte, den Hütern noch einmal, am anderen Tage mit ihren Rindern nach der Werft zu kommen, um die Botschaft des Oberhäuptlings Samuel zu hören.

Damit wollte er davonreiten, als der Beestezwinger ihm in die Zügel fiel und sagte: »Du, Kapitänssohn! Wir haben zehn Beeste für dich geholt; es sind Tiere, daß einem das Herz im Leibe lacht, wenn man sie nur ansieht. Nun vergiß aber auch nicht, was du uns dafür schuldig bist. Viel Tabak und viel Branntwein, hörst du! Wir kommen morgen und werden fordern, was uns zukommt.«

»Was wollt ihr?« schrie Ismael wütend. »Lohn wollt ihr – dafür, daß ich euch das Leben gerettet habe? Nicht einen Ochsen hättet ihr, wenn ich nicht gewesen wäre und die Hüter mit meiner Tapferkeit verjagt hätte. Ihr habt nichts geleistet! Wofür verlangt ihr Lohn? Seid froh, wenn ich meinem Vater nicht sage, er soll euch für eure Faulheit durchprügeln lassen. Geh von meinem Pferde weg – oder ich schieße dich nieder!« Dabei legte er wirklich die Büchse an, um den Beestezwinger zu veranlassen, die Zügel loszulassen.

Doch der Dicke ließ sich nicht einschüchtern. Ohne den Lauf der Flinte zu beachten, faßte er die Zügel mit der Linken und rief, die Rechte drohend gegen Ismael geballt: »Ich sage dir, wir kommen morgen unseren Lohn zu fordern! Wehe dir, wenn er nicht reichlich genug ausfällt!«

Dann ließ er in aller Ruhe die Zügel wieder fahren und spie dreimal hinter sich, während Ismael mit den beiden Großleuten durch die Nacht eilig davonsprengte.


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