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Als die Herero gesehen hatten, daß gegen die Umsicht und Tatkraft des Buschläufers nichts auszurichten war, als sie auch nach der Brandstiftung, von der sie sich so großen Erfolg versprochen hatten, mit blutigen Köpfen abziehen mußten, entlud sich ihre ganze leidenschaftliche und durch den hartnäckigen Widerstand immer mehr aufgereizte Wut gegen ihren eigenen Führer, der sich selbst im entscheidenden Augenblick so wenig mutig gezeigt hatte.
Der Beestezwinger namentlich, der überall die schwerste Arbeit zu verrichten gehabt, und den die Kugel, die ihm Traugott in den linken Arm gejagt hatte, zu brennen begann, war rasend vor Zorn. Er, der gewohnt war, mit seiner gewaltigen Kraft im ersten Anlauf alles niederzuschlagen, was sich ihm entgegenstellte, er hatte vor einem halberwachsenen Deutschen zurückweichen müssen!
Schäumend vor Wut war er von der Mauer herabgesprungen und hatte sich mit wildem Gebrüll auf den Häuptlingssohn gestürzt: »Feiger Schurke! Läßt du uns wieder im Stiche? Immer machst du große Worte und jagst uns voran, damit wir uns für dich die Knochen zerschlagen lassen. Immer lockst du uns mit Versprechungen, und wenn es dann endlich so weit ist, läufst du davon. Jetzt haben wir aber genug davon! Jetzt herunter mit dir vom Gaul, du elender Verräter!«
Dabei packte der Beestezwinger den Häuptlingssohn mit dem gesunden Arm am Schenkel, um ihn vom Pferde herabzuziehen.
Aber Ismael wußte, was auf dem Spiele stand. Der Einäugige, der ihm sonst immer beigestanden hatte, war davongelaufen. Wenn er jetzt also dem wütenden Viehhüter in die Hände fiel, war er verloren.
»Hüh! Hüh!« schrie er, seinem Pferd den noch freien Schenkel in die Weiche schlagend, und wirklich machte das geängstigte Tier einen so gewaltigen Seitensprung, daß es den Beestezwinger, der mit dem verwundeten linken Arm nicht recht Herr seiner Kräfte war, über den Haufen warf und im nächsten Augenblick an den entsetzt zurückweichenden anderen vorbeijagte.
Doch sogleich war der Beestezwinger wieder auf den Beinen. »Haltet ihn! Fangt ihn! Lauft ihm nach! Schlagt ihn tot!« schrie er und rannte, was er konnte, hinter dem Davonsprengenden her. Die anderen folgten ihm und schrieen nun ebenfalls: »Fangt ihn! Haltet ihn! Schlagt ihn tot!« – Aber das Pferd war schneller, und nachdem sie eine Weile vergeblich versucht hatten, nachzukommen, machten sie halt und begnügten sich damit, dem Fliehenden die fürchterlichsten Drohungen nachzurufen: Er solle sich nicht wieder bei ihnen sehen lassen, das würde ihm diesmal sehr schlecht bekommen; sie würden ihn in tausend Stücke zerreißen, wenn ihnen wieder unter die Hände geraten sollte.
Doch Ismael war jetzt wieder obenauf. Sobald er gesehen hatte, daß die Leute stehen geblieben waren, kehrte er um, ritt so weit an sie heran, daß er im Notfalle immer wieder davonkommen konnte, und fing nun seinerseits an, die Viehhüter mit Schmähreden zu überhäufen.
»Dumme Tölpel!« rief er. »Wenn mein Vater heimkommt, will ich schon dafür sorgen, daß ihr gehörig die Peitsche bekommt. Verräter seid ihr! Und wenn der Oberkapitän erfährt, wie ihr seine Befehle befolgt, so wird er euch alle aufhängen lassen. Ist euch nicht befohlen worden, alle Deutschen zu töten, Männer, Weiber und Kinder? Aber ihr macht mit den Deutschen gemeinsame Sache und lehnt euch gegen euren Führer auf!«
»Ein schöner Führer!« schrie der Beestezwinger. »So ein feiger Schakal, der immer nur bellt und sich verkriecht, wenn es ans Beißen gehen soll! Komm nur her, du! Wir wollen dir schon zeigen, mit wem wir gemeinsame Sache machen!« Dabei ergriff er einen großen Stein und schleuderte ihn nach dem Häuptlingssohn.
Aber Ismael ließ sein Pferd geschickt zur Seite springen und rief wieder: »So? Und was wollt ihr denn ohne mich anfangen, he? Wäret ihr wohl jemals auf den Gedanken gekommen, den Stall anzustecken, ihr blöden Klötze? Wären wir nicht sicher hinübergekommen, wenn ihr nicht langsam gewesen wäret wie die Schnecken? Aber wenn ihr den Buschläufer nur seht, lauft ihr ja schon davon. Schaut nur hin, wie lustig es dort auf dem Hofe brennt! Heiho! Wenn ich nur drei tüchtige Burschen hätte, wollte ich schon hinüberkommen und mir den Branntwein holen, der dort im Keller liegt, und all die schönen Ochsen dazu. He, Sutal, Hendrik, kommt! Wollt ihr euch von dem dummen Prahler da um die schöne Beute bringen lassen? Schlagt ihn tot, den Verräter, und folgt mir! Ich will euch gewiß reichlich belohnen!«
So versuchte er noch eine ganze Weile, die Leute zu überreden, sich von dem Beestezwinger loszusagen und ihm, Ismael, noch einmal bei einem Angriff auf das Gehöft zu helfen. Aber die Viehhüter hielten zu ihrem Kameraden, vor dessen Stärke sie weit mehr Achtung hatten, als vor der Verschlagenheit des Häuptlingssohnes. Und die anderen von der Werft hatten auch keine Lust, ihr Leben noch weiter für ein Unternehmen auf das Spiel zu setzen, an dessen Erfolg sie doch nicht glaubten.
»Der Buschläufer hat neulich ganz allein den Tiger besiegt, gegen ihn können wir doch nichts ausrichten,« meinten sie und riefen Ismael zu, er solle sie nur in Ruhe lassen, sie wollten mit ihm nichts mehr zu tun haben.
Nun fing Ismael wieder an zu schimpfen und zu schelten, bis der Beestezwinger mit einem mächtigen Feldstein in der Hand auf ihn losstürmte und drohend schrie, er werde ihm doch ganz gewiß den Schädel einschlagen und er solle es nicht wagen, sich noch einmal vor ihm blicken zu lassen. Da zog Ismael es vor, sein Pferd wieder in Galopp zu setzen und sich aus dem Staube zu machen.
Die Leute kehrten nun noch einmal nach dem Hofe zurück. Der Gedanke an den Branntwein, an den Ismael sie schlauerweise erinnert hatte, ließ ihnen doch keine Ruhe. »Was meint ihr, wenn wir ihn uns allein holten?« meinte der Beestezwinger, und die anderen fanden diesen Vorschlag sehr beachtenswert. Warum sollten sie das nicht auch allein können? Das Feuer auf dem Gehöfte war jetzt so mächtig geworden. Vielleicht gelang es jetzt doch, unbemerkt über die Mauer zu kommen.
Aber als sie sahen, daß überall Posten standen, die sofort zu schießen anfingen, sobald man sich nur hinter der Mauer blicken ließ, standen sie davon ab. Sie hoben nun den toten Wettermacher auf und den anderen, der stöhnend neben dem Tore lag, und kehrten mit ihnen, schimpfend und den Häuptlingssohn verwünschend, nach der Werft zurück.
Vorsichtig folgte ihnen Ismael. Aber als er in die Nähe der Werft gekommen war und noch immer die Drohungen hörte, die sie gegen ihn ausstießen, wagte er sich doch nicht hinein. Der Vater hatte alle seine Diener und Trabanten mit sich genommen. Niemand war da, ihn zu beschützen in dem großen, einsamen Hause. – Er dachte daran, den Einäugigen aufzusuchen. Aber auch dessen Haus lag ganz hinten im Dorfe, und der Mond schien so hell, daß die Viehhüter, die in einer der ersten Hütten hausten, ihn sicher bemerken mußten.
So beschloß er denn, sich zunächst fern zu halten, bis die Gemüter sich beruhigt haben würden und ihm ein neuer Gedanke gekommen wäre, sie zu überreden. Planlos ritt er eine Weile durch die Nacht dahin, die schon der Dämmerung zu weichen begann, und unwillkürlich zog es ihn wieder nach dem Gehöfte, wo die prächtigen Ochsen waren, die er schon so sicher zu haben geglaubt hatte.
Leise ritt er an der Mauerseite hin, die dem Stalle zunächst lag, und stellte sich in die Steigbügel, um hinüberschauen zu können. – Da lag der Stall in Schutt und Asche. Mit wilder Freude sah er auf die rauchenden Trümmer. Etwas wenigstens hatte er dem verhaßten Buschläufer doch antun können! – Und da – da stand der Buschläufer selbst. – Ganz frei und ahnungslos – keine fünfzig Schritt entfernt. – Jetzt war die Gelegenheit da, ihn unschädlich zu machen. – Wenn es gelang, ihn zu töten, war auch der Hof gewonnen. Dann würden auch die Leute wieder Achtung vor ihm haben und ihm gehorchen!
Mit vor Aufregung bebender Hand legte er die Büchse an. – Es schwamm ihm vor den Augen, während er zielte. – Endlich drückte er ab.
Aber der Schuß versagte, und bei dem Knacken des Hahns bekam er selbst einen solchen Schreck, daß er, ohne es eigentlich zu wollen, dem Pferde die Schenkel in die Flanken preßte. – Wiehernd stieg das Tier und jagte dann davon über das Hochland hinweg in das Flußtal hinab und im Sande weiter, immer weiter, ohne daß sein Reiter daran gedacht hätte, es aufzuhalten.
Sie kamen an die große Akazie, wo Ismael das erste Mal versucht hatte, den Gespielen zu erschießen. Mit Entsetzen sah er das verworrene Gezweig vor sich in die Morgendämmerung aufragen. – Ihm war, als müsse der Buschläufer jetzt wieder dort oben sitzen. – Er riß das Pferd herum und jagte über das Flußbett hinweg nach dem großen Weideplan, wo der verlassene Kraal lag. – Aber auch dort wurde er das unheimliche Gefühl nicht los, daß jemand hinter ihm her sei, der ihn verfolge.
Erst als die Sonne emporgekommen war, wurde er ruhiger. – Er ließ das keuchende Pferd langsamer gehen und sah sich in der Gegend um. – Ohne es zu merken, war er bis in die Nähe des nächsten größeren Quertales gekommen. Wenn er ihm stromaufwärts folgte, konnte er in wenigen Stunden die nächste Hererowerft erreichen. Sollte er dorthin reiten und sein Heil versuchen? – Man war dort auf seinen Vater nicht gut zu sprechen. Aber wenn er ihnen von der reichen Beute erzählte, die sie mit leichter Mühe vom Marienhofe holen könnten, würden sie gewiß Vergangenes vergessen sein lassen und ihm folgen.
Unwillkürlich ritt er weiter. Doch plötzlich machte er halt. Ein neuer Gedanke war ihm gekommen. Was hatte er denn davon, wenn die von der anderen Werft sich die Ochsen holten? – Sie würden ihm gewiß nicht viel davon abgeben. Nein, das gönnte er ihnen nicht. Noch mußte es einen anderen Ausweg geben.
So wandte er sein Pferd und ritt, auf neue Ränke sinnend, langsam nach Marienhof zurück.
Mit froher Zuversicht blickte Kaspar in den Morgen. War diese Nacht glücklich vorübergegangen, so würde er auch den Tag über den Hof halten, und in wenigen Stunden mußte der Vater mit militärischer Hilfe da sein. Dennoch durfte man nicht nachlassen; denn sicherlich würden die Herero bald in verdoppelter Zahl zurückkommen. Nach dem Frühmahl, bei dem Frau Lerse mit den sonst so sorgsam behüteten Schätzen ihrer Räucherkammer nicht gekargt hatte, machte er sich also sofort daran, neue Vorkehrungen zur Verteidigung zu treffen.
»Hiob! Wie steht's? Siehst du nichts?« rief er nach der Bodenluke hinauf, in der jetzt der schwarze Bursche als Beobachtungsposten aufgestellt war.
»Nein, Herr! Nichts Ovaherero! Alle fort Ovaherero!« antwortete Hiob.
Darauf konnte man sich verlassen; denn den gefürchteten Feind witterten die Damara schon von weitem, und Gebüsche oder Felsspalten, in denen Herero sich hätten verstecken können, gab es in dem ganzen Vorgelände nicht. Nur hinter dem Gehöft lag eine Kluft. Aber aus ihr gab es in der Nähe keinen Aufstieg.
»Nun dann also vorwärts!« befahl Kaspar. »Nimm dir die sichersten Reitochsen, Traugott, und reite mit den Jungen nach dem Kraale hinüber. Packt auf, was ihr an Futter finden könnt. Es wird die höchste Zeit. Die Tiere werden schon ungeduldig, und wer weiß, wann wir wieder dazu kommen werden. Eilt euch, so viel ihr könnt. Wir anderen werden euch den Rücken decken!«
Wenige Minuten darauf öffnete sich zum ersten Male wieder das Tor, dem der Brand keinen wesentlichen Schaden getan hatte. Mit den Hütejungen und zehn Reitochsen zog Traugott hinaus. Sobald die Tiere die langentbehrte Freiheit witterten, setzten sie sich in Trab, und hui! ging es hinüber nach dem Kraale, wo die frische Weide lockte.
»Wir, Elias, wollen inzwischen die Zeit benutzen und die Steine beseitigen, die die Herero an die Mauer geschleppt haben. Hole die Damara, und von den Weibern können auch welche mit anfassen. – Gib wohl acht da oben, Hiob. Sobald du irgend etwas Verdächtiges siehst, fängst du an zu schießen. Hast du verstanden?«
»Ja, Herr!« rief Hiob zurück. »Hiob gute Augen. Aber nichts sehen von Ovaherero.«
Mit Hilfe von Stangen wurden nun die gefährlichen Felsblöcke von der Mauer entlang nach der Kluft befördert. Tragen konnte sie niemand; das hatte nur der Beestezwinger fertig gebracht. Es verging viel Zeit darüber. Endlich aber war die Arbeit doch getan, und mit lautem Freudengeschrei ließ man die Steine in den Abgrund hinabrollen.
Inzwischen war auch die Futterkolonne glücklich wieder heimgekehrt. Hoch mit frischem Büschelgrase beladen, zogen die Ochsen in den Hof wieder ein, begrüßt von dem sehnsüchtigen Brüllen der hungrigen Tiere.
»So! Jetzt werden wir es ja wohl aushalten, bis um Mittag der Vater kommt,« dachte Kaspar, als er gegen zehn Uhr das Tor wieder schloß.
Er ließ sich nur den Gottlieb kommen, einen von den Hütejungen, der sich während der Nacht besonders wacker gehalten hatte. »Gottlieb!« redete er den Jungen an. »Du scheinst mir der Vernünftigste von der ganzen Gesellschaft zu sein. Hast deine Sache heute nacht beim Brande gut gemacht. Dafür will ich dich belohnen. Traust du dich wohl, eine Büchse in die Hand zu nehmen?«
»Uh! Uh! Herr!« schrie der schwarze Bengel, vor Freude den grinsenden Mund bis in die Nähe der Ohren aufreißend. »Gottlieb nicht fürchten. Uh! Büchse fein! Büchse fein! Gib Gottlieb Büchse, Herr!«
»Gut denn. Hole mir den Traugott! – Gib deine Büchse dem Jungen da,« fuhr er fort, nachdem der Nama zur Stelle war.
Mit sehr trauriger Miene sah Traugott seinen jungen Herrn an und sagte: »O, warum arme Traugott Büchse fortnehmen? Traugott so gut mit Büchse. Traugott so viel totschießen Ovaherero mit Büchse. Traugott Büchse behalten, Herr!«
Ein Weilchen ließ Kaspar ihn zappeln, so sehr ihn die treuherzige Liebe, mit der der lange schwarze Mensch an der alten Jagdflinte hing, auch rührte. Dann aber griff er plötzlich hinter sich, holte das englische Repetiergewehr hervor, das der einäugige Großmann bei seiner Flucht über die Mauer hatte in den Hof fallen lassen, streckte es ihm hin und sagte: »Da, Traugott, hast du eine andere, eine bessere. Fünfmal kannst du damit schießen, ohne zu laden. Ich geb' sie dir, weil du so wacker gewesen bist und dem Beestezwinger eins versetzt hast. Mit dieser Büchse wirst du es noch fünfmal besser machen können. – Und nun kommt hinter den Stall; ich will euch mal zeigen, wie ihr mit den Dingern umzugehen habt.«
Traugott wußte sich nun vor Freude kaum zu lassen. »Fünfmal schießen ich! Fünfmal schießen! Alle Ovaherero auf einmal!« schrie er, sprang wie besessen um seinen Herrn herum und packte schließlich den Hütejungen, um diesen auf seine Schulter zu stellen und so mit ihm triumphierend über den Hof zu marschieren.
Nachdem die beiden Schützen sich einigermaßen eingeschossen hatten, kehrte Kaspar nach dem vorderen Hof zurück, und da vom Feinde noch immer nichts zu sehen war, befahl er den Leuten, sich in der Scheune etwas hinzulegen und auszuruhen; denn seit dem Fortreiten des Vaters gestern mittag waren sie alle unausgesetzt auf den Beinen gewesen.
Er selbst ging in das Haus, um neue Munition bereit zu legen, stieg auf den Boden, um selbst einmal Rundschau zu halten, schärfte Hiob nochmals ein, er solle ja recht gut acht geben, nach kurzer Zeit schon werde er abgelöst werden, und suchte sich dann auf der Bodenkammer ebenfalls ein Plätzchen, um die Glieder ein bißchen auszustrecken.
Aber kaum hatte er sich niedergelegt, als er einen Schuß krachen hörte.
Schnell lief er zu Hiob, der mit aufgeregtem Gesichte an der Luke stand und mit lebhaften Gebärden nach dem Flußbett hinüberzeigte.
»Was ist denn los!« rief Kaspar. »Sind die Herero etwa wieder da?«
»Nicht weiß, Herr, ob Ovaherero,« antwortete der Damara. »Aber da, Herr – Reiter – da, Herr, bei Fluß!«
Kaspar schaute nun selbst hinaus. Richtig! – Da sprengte eben ein einzelner Reiter davon – aber so schnell, daß es unmöglich war, ihn zu erkennen, und gleich darauf war er in der Niederung des Flußbettes verschwunden.
»Hast du keine Ahnung, wer das gewesen sein kann? Wie hat er ausgesehen, welche Waffen trug er?« fragte Kaspar.
»Nein, Herr, nicht sehen das,« antwortete Hiob. »Aber Reiter nicht groß, wie sonst Ovaherero, Reiter kleiner – wie Sohn von Kapitän.«
»Ismael?« rief Kaspar.
»Ja, Herr,« antwortete der Damara. »Nicht wissen, Hiob, Herr – aber Hiob glauben.«
»Ja, und so wird es wohl auch sein!« rief Kaspar, drohend die Faust nach der Richtung ausstreckend, in welcher der Reiter verschwunden war. »Der elende Verräter spioniert wieder. Er kennt ja den Hof nur allzu gut! Wer weiß, was er jetzt wieder im Schilde führt. Ob sie einem wohl einmal ein bißchen Ruhe gönnen würden! – Traugott! Elias! An die Gewehre! – Es geht schon wieder los!«
Damit eilte er in den Hof hinab, um wieder die Posten hinter der Mauer zu verteilen und alle Vorkehrungen zu treffen, um dem erwarteten Überfall wirksam zu begegnen.
Hiob, der sich als Beobachter so gut bewährt hatte, mußte nun auf dem Bodenplatz bleiben, Gottlieb kam mit Kaspar hinter das Tor, die übrigen wurden verteilt wie am Tage zuvor.
Aber es verging eine halbe Stunde, es verging eine ganze, die Sonne stieg höher, es wurde Mittag – von den Feinden war nichts zu bemerken, so sehr Hiob auch die Augen rundum gehen ließ.
Plötzlich ein leises Pochen am Tore.
»Wer ist da?« rief Kaspar verwundert herantretend.
»Chuten Morgen, Buschläufer!« klang es mit einer sehr wehmütigen Stimme zurück. »Ooh jeh! Helfen arme Freund, Buschläufer! Arme Freund so schlecht gehen!«
»Du, Ismael?« rief Kaspar, empört über diese Frechheit. »Du wagst es noch, dich meinen Freund zu nennen? Du? Mach ja, daß du weiterkommst, oder ich lasse dich niederschießen.«
»Ooh jeh! Buschläufer so böse!« jammerte es wieder von draußen. »Aber Buschläufer arme Ismael unrecht tun. Arme Ismael nicht schuld, daß Ovaherero schlimm auf Deutsche.«
»Haha! Du nicht schuld?« antwortete Kaspar mit bitterem Lachen. »Wer denn sonst als du? Denkst du, ich hätte nicht gemerkt, wie du sie angetrieben hast heute nacht? – Ah! Ich kenne dich jetzt! – Und warum kommst du denn jetzt wieder angeschlichen wie eine Wildkatze, so daß nicht einmal meine Späher dich haben sehen können?«
»Deine Späher so böse! Schießen tot, wenn arme Ismael sehen. Aber nicht verdient das, arme Ismael. Ismael nicht schuld. Ismael Schutz für Deutsche. Sonst Buschläufer längst tot – alle tot sonst diese Nacht. – Aber weil Ismael Schutz für Deutsche, Ovaherero böse. Arme Ismael jetzt totgeschlagen werden von Ovaherero, wenn Buschläufer nicht helfen arme Freund.«
»Das ist nicht schlecht!« rief Kaspar. »Jetzt soll ich ihm noch helfen dafür, daß er in der Nacht den Hof angesteckt hat! Ein bescheidenes Gemüt, das muß ich sagen! Aber ein gebranntes Kind scheut das Feuer, heißt es bei uns, Freundchen! Und wenn du etwa denkst, daß ich an deine Jammerei glaube und dich jetzt auf den Hof lassen werde, damit du mich deinen Spießgesellen verraten kannst, dann bist du gründlich schief gewickelt. Klettre hinauf, Gottlieb! Jage ihm eine Kugel in den falschen Hirnkasten!«
Sofort gehorchte Gottlieb, erhob die Flinte und machte sich schußbereit.
Aber nun fing Ismael erst recht an zu jammern. Scheu blickte er nach der auf ihn gerichteten Büchse hinauf, duckte sich so dicht gegen das Tor, daß er von oben unmöglich zu treffen war, und rief: »Ooh jeh! Nicht schießen auf arme Ismael! – Arme Ismael nicht in Hof wollen! – Ismael ganz allein, fortlaufen von Ovaherero. Ovaherero schlimm! – Ovaherero totschlagen alle Deutschen. Aber Ismael Schutz für Deutsche. Darum Ismael kommen.«
»Ach was! Ich habe es jetzt satt! Ein falscher Schurke bist du. Schieß, Gottlieb!« befahl Kaspar.
»Bumm!« fuhr der Schuß aus dem Rohre. Aber Ismael hatte wohl verstanden, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.
Zischend fuhr die Kugel an seiner Schulter vorbei in die Erde, und wieder fing er an zu jammern: »Ooh jeh! Nicht schießen! Ismael Buschläufer Freund! Ismael Buschläufer retten!« Dabei schielte er aber immer nach Gottliebs Büchse hinauf, und als er sah, daß es ein alter Vorderlader war, der immer aufs neue geladen werden mußte, überlegte er sofort, wie er die Schießpause im Notfalle zur Flucht würde benützen können.
»Du mich retten?« gab Kaspar lachend zurück. »Das würde auch was Schönes werden! Sieh lieber zu, wie du jetzt selbst davon kommst. – Beeil' dich doch, Gottlieb, und daß du mir das zweite Mal besser zielst!«
Aber jetzt schrie Ismael noch lauter als zuvor: »Ja! Ja! Ismael Buschläufer retten! – Gib Branntwein, Buschläufer! Gib Branntwein! Dann Ovaherero nicht böse. Dann Ovaherero nicht totschlagen Deutsche! Dann Ovaherero auch nicht totschlagen arme Ismael! Gib Branntwein, Buschläufer!«
»Halt, Gottlieb! Bleib im Anschlag, aber schieße jetzt nicht!« befahl Kaspar, der nun doch stutzig geworden war. Dann stieg er ebenfalls auf den Wagen, der jetzt neben dem Tore an der Mauer stand, und schaute hinüber. Aber er mußte laut auflachen, als er den Häuptlingssohn so jämmerlich wie ein Häufchen Unglück in der Ecke des Tores kauern sah.
»Ei du mein Schreck!« rief er. »Ist das da unten der große Kapitänssohn, der aus dem Hinterhalt auf seine Freunde schießt und ihnen in der Nacht die Räuber auf den Hals hetzt? Du bist aber gewaltig klein geworden! Als du gestern abend stolz zu Roß vor das Tor geritten kamst, sahst du anders aus! Wenn ich nicht ganz genau wüßte, daß das doch alles bloß Schwindel ist, könnte ich wirklich Mitleid mit dir haben.«
»Chuten Morgen, Buschläufer!« sagte Ismael jetzt, vorsichtig aus seiner Deckung hervorkommend und dem Deutschen, als wäre nichts gewesen, die Hand hinaufstreckend. Er hatte sofort bemerkt, daß Kaspar etwas mildere Saiten aufzuziehen begann, und wußte geschmeidig die Lage auszunützen.
»Chuten Morgen, Ismaelchen,« antwortete lachend Kaspar, »edler Freund und Gemütsmensch! Also Branntwein soll ich dir geben, damit du dich bei deinen Leuten, die wohl auch eingesehen haben, was für ein Galgenvogel du bist, wieder recht hübsch einschmeicheln und sie mir wieder auf den Pelz schicken kannst? Wahrhaftig! Wenn du nicht solch ein ausgefeimter Spitzbube wärst, könnte man deine Schlauheit bewundern. Aber wenn du denkst, daß ich darauf hereinfallen werde, dann bist du doch sehr auf dem Holzwege.«
Ismael schwur nun zwar, der Buschläufer tue ihm unrecht und die Herero würden ganz gewiß nicht wiederkommen, wenn er ihnen Branntwein mitbrächte. Um des Branntweins willen hätten sie bloß die Gelegenheit, daß Herr Lerse fortgeritten sei, benützt, und er, Ismael, hätte sie nicht davon zurückhalten können, den Hof zu überfallen.
Aber Kaspar ließ sich auch dadurch nicht beirren, obwohl es so glaubhaft klang. »Und wenn es zehnmal wahr wäre, was du sagst – glauben würde ich es nicht!« rief er. »Denkst du vielleicht, ich würde mich dazu hergeben, den Frieden zu erkaufen? Wenn die Herrschaften immer noch solchen Appetit auf unser bißchen Branntwein haben, dann sollen sie nur kommen. Ich werde es ihnen schon eintränken! … Im übrigen wird mein Vater mit euch abrechnen, der jeden Augenblick mit den Reitern zurückkommen muß. – So, und nun sind wir beide vorläufig miteinander fertig. – Mach jetzt, daß du vom Tore fortkommst. – Das zweite Mal könntest du von mir selber eine Ladung in den Leib bekommen, und daß meine Büchse sicher trifft, darauf kannst du dich verlassen!«
Damit wollte er in der Tat zur Flinte greifen, um den gefährlichen Besucher loszuwerden, als oben aus der Bodenluke wieder ein Schuß krachte.
Schnell drehte er sich um und rief hinauf: »Was ist denn los, Hiob? Siehst du etwas?«
»Ja, Herr!« kam es zurück. »Ovaherero! Oh! so viel! Da drüben, Herr!«
»Hat uns der Schurke also wirklich wieder verraten wollen!« rief Kaspar, sich schnell wieder nach der Mauer wendend. Er war jetzt fest entschlossen, den Kapitänssohn niederzuschießen.
Aber sobald Ismael gehört hatte, daß die Ovaherero zurückkämen und mit ihnen doch sicher auch der Beestezwinger, war er, so schnell seine langen Beine ihn nur tragen wollten, nach dem Flusse zu davongelaufen. Erst als er schon außer Schußweite war, blieb er einen Augenblick stehen, drehte sich mit drohend erhobener Faust noch einmal nach Kaspar um und lief dann weiter, immer schimpfend und vor sich hinbrummend, er wisse jetzt schon, was er zu tun habe, und ehe die Sonne untergegangen sei, werde er dem Buschläufer schon gezeigt haben, wer von ihnen der Stärkere sei!