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IX. Kapitel.
Ausklang.

Es bleibt mir nur noch übrig, die wichtigsten Vorkommnisse, die sich bis zum Schlusse des Jahrhunderts in Weimar zugetragen haben, zu erzählen und vom Ende mancher Personen zu berichten, deren Lebensweg in diesen Blättern berührt worden ist.

Wir wissen, daß unter dem Gefolge des Großherzogs im Krieg ein junger, eben eingetretener Adjutant war, der – einer alten waadtländischen Familie entstammende – Leutnant von Palézieux genannt Falconnet aus Vevey, welchen Graf Beust in einem seiner Briefe als besonders geschickt und brauchbar gerühmt hatte. Königin Augusta hatte ihn ihrem Bruder empfohlen, der einen Offizier um sich zu haben wünschte, welcher die französische Sprache beherrschte. Sie war durch König Wilhelm auf den die Artillerieschule in Berlin besuchenden Leutnant aufmerksam gemacht worden. 1869 wurde Palézieux zur Botschaft nach Paris und dann nach London kommandiert, von dort kam er gerade rechtzeitig, um mit Karl Alexander nach dem Hauptquartier abzureisen. Er kehrte mit seinem Herrn aus dem Kriege hierher zurück, wurde zum Flügeladjutanten ernannt und gewann sich durch seine große Tat- und Arbeitskraft, seine Klugheit, sein ehrliches, manchmal etwas derbes Wesen und seine offene Rede bald das Vertrauen der Herrschaften in so hohem Grade, daß er nach und nach ein Ratgeber für jedes einzelne Glied der fürstlichen Familie wurde und dadurch eine sehr einflußreiche Stellung innehatte. Auch von fremden Fürstlichkeiten wurde Palézieux ausgezeichnet, besonders von Kaiser Wilhelm II., von der Kaiserin Augusta, die ihm ihr Wohlwollen erhielt, und von den badischen Herrschaften, denn alle erkannten seinen scharfen Verstand, seine großen Leistungen, seine Uneigennützigkeit, sowie die Wahrhaftigkeit und Freimütigkeit ihnen gegenüber, an. Unter dem Volk und den Bediensteten hatte er oft Feinde, denn er konnte sehr scharf sein. Sein großer Gerechtigkeitssinn und seine, im höchsten Grade entwickelte, eigene Pflichttreue duldeten weder Übergriffe noch Nachlässigkeiten. Das trat später noch mehr zutage, als er die Zügel des großherzoglichen Haushaltes straff hielt; während die neben oder direkt unter ihm arbeitenden höheren Beamten ihn meist sehr hoch schätzten. Auf Reisen begleitete Palézieux seinen Herrn fast immer, besonders als Graf Beusts Gesundheitszustand diesem Schonung gebot. Er war ein vortrefflicher, umsichtiger Reisemarschall, wenn auch nicht immer bequem für die Herren Wirte, die einen, wenn auch inkognito reisenden Fürsten, gerne schröpfen.

Palézieux war im Stande, gegen jeden, sogar gegen seinen Herrn, scharf aufzutreten und schonungslos die Wahrheit zu sagen, wenn er es für nötig hielt; daß Karl Alexander, der feine, formvolle, zurückhaltende Fürst, sich das bieten ließ, beweist, daß er Palézieux sehr hoch schätzte und ihm ganz vertraute. Ganz besonders gut verstand er sich mit der Großherzogin Sophie, deren praktischer, logischer Verstand die gleichen Eigenschaften bei ihm zu würdigen wußte. Auch war sie ruhig und unbesorgt um ihren Gatten, wenn sie Palézieux in seiner Nähe wußte, der ihm die Wege ebnete und die Sorge für die Anforderungen des praktischen Lebens, von denen der Großherzog nicht viel verstand, unbemerkt abzunehmen, ihn nötigenfalls zu leiten wußte. Auch mit dem Erbgroßherzog Karl August stand er sehr gut, und war späterhin geradezu befreundet mit Prinzeß Marie Alexandrine und Prinzeß Elisabeth, die ebenfalls seine Aufrichtigkeit zu schätzen wußten.

Er hatte beständig Pläne im Kopfe, er mußte schaffen und verbessern, arbeiten Tag und Nacht; die Gedanken ließen ihm keine Ruhe, und je mehr Arbeit er sich aufladen konnte, desto mehr Freude hatte er am Leben. Seine Hauptschöpfung war die »Permanente Ausstellung« (jetzt Großherzogliches Museum für Kunst und Kunstgewerbe am Karlsplatz). Mit hundert Talern, die er von einem Freunde geborgt hatte, fing er an zu kaufen und zu sammeln; er wollte das Kunsthandwerk heben, den hiesigen Handwerkern gute Vorbilder schaffen, den Malern, die ihre Arbeiten jederzeit ausstellen konnten, Gelegenheit zum Verkauf geben und durch die Vorführung fremder guter Bilder die Anschauung der Künstler und des Publikums erweitern. Nach und nach sollte eine Sammlung von Kunst- und Kunstgewerbegegenständen zusammenkommen, die für Weimar bestehen bliebe. Von den Reisen mit Karl Alexander brachte er die schönsten Sachen mit, einerlei, ob es echte Altertümer oder Kopien waren, sie sollten doch in erster Linie zum Vorbild dienen. Durch Wiederverkauf, besonders von Doubletten, sammelte sich ein Kapital an, durch das die Ausstellung nach und nach vergrößert werden konnte. Eine deshalb ins Leben gerufene Lotterie hatte auch nur den Zweck, das Geld zu notwendigen Erweiterungsbauten und Neuerwerbungen zu beschaffen. Da Palézieux, bevor er in das Militär trat, in dem Bankhaus Schmidt-Polex in Frankfurt gearbeitet hatte, verstand er mehr von kaufmännischen Geschäften, als viele seiner Kameraden, und er wandte nun hier seine Kenntnisse auf höchst nützliche Weise an. Er wurde freilich deshalb von Menschen, die etwas Außergewöhnliches nicht verstehen können, oder sich geschädigt glaubten, heftig angegriffen und trat – nachdem er sich glänzend gerechtfertigt hatte – offiziell von dem Unternehmen zurück, das groß genug geworden war, um angestellte Beamte unterhalten zu können. Das ganze Haus am Karlsplatz war mit Bildern, Möbeln, Bronzen, Altertümern aller Art gefüllt – von all der mit Liebe zusammengetragenen Sammlung sind jetzt nur noch die hervorragendsten Stücke da zu finden, denn nach dem Tode von Palézieux – am 10. Februar 1907 – wurde das meiste verkauft und anstatt dessen eine Kollektion verschiedener Porzellane aufgestellt, die vorher in den Großherzoglichen Schlössern zerstreut waren.

Im Herbst 1896 heiratete er Freiin Elisabeth v. Werthern-Beichlingen – die Tochter des verstorbenen preußischen Gesandten in München, Graf Georg v. Werthern und seiner Gattin, geb. v. Bülow – die Enkelin des langjährigen Oberkammerherrn am hiesigen Hofe.

Im Jahre 1900 schloß Palézieux' Avancement mit der Ernennung zum Generalleutnant ab, Generaladjutant war er seit 1897.

Trotzdem er nun für eine Familie zu sorgen hatte, arbeitete er beständig weiter für das Gemeinwohl, besonders für die Verschönerung Weimars, und trat bei den Herrschaften für alles ein, was er für recht und gut hielt. – Nach dem Tode der Großherzogin Sophie stand er dem vereinsamten alten Herrn noch fester und näher zur Seite; dessen Schatullverwaltung hatte er bereits früher übernommen. Der junge Großherzog Wilhelm Ernst übertrug ihm dazu noch die Leitung des Hofmarschallamtes. Er betrieb den Bau des neuen Theaters mit wahrem Feuereifer, hat aber die Vollendung leider nicht erlebt. Der große Konzertsaal, den man hier oft so sehr vermißt, gehörte mit zu seinen unausgeführt gebliebenen Projekten. Sein letztes Werk war die Verschönerung des Parks, nachdem er das ursprüngliche alte Tor durch die Bastille nach dem Schloß zu wieder geöffnet und das schöne alte Gebäude mit malerischen Anpflanzungen geschmückt hatte. Die Arbeiten im Park, deren Ausführung der Oberhofgärtner Sckell besorgte, wurden von den Weimaranern mit Mund und Feder heftig bekämpft, ehe man nur wußte, was beabsichtigt war. Denn trotz allem, was Palézieux hier schon geleistet, hatte er nur einen kleinen Kreis von Menschen, der ihm eo ipso vertraute; die Fernerstehenden beobachteten sein Treiben ängstlich, schalten auf ihn und mißtrauten seinen Absichten, bis das jedesmalige Gelingen derselben sie zum Schweigen brachte. Daß z. B. der Park unendlich gewonnen hatte, mußte dann jedermann zugeben. Das hat dem treuen Diener und Berater unseres Fürstenhauses oft bittere Worte ausgepreßt, so daß ich ihn sagen hörte: »Ich bin der bestgehaßte Mann in Weimar; was habe ich denn den Menschen getan?« Freilich darf nicht verschwiegen werden, daß Palézieux' starkes, leidenschaftliches Temperament und seine Impulsivität ihm Feinde machte und dadurch oft Unannehmlichkeiten bereitete. Auch seine ununterdrückbare Lust an Neckereien machte ihm keine Freunde, denn Wenigen war es gegeben, so witzig und scharf zu sein wie er.

Daß die Herrschaften in ihrem großen Vertrauen und ihrer Freundschaft für ihn unwandelbar blieben, beweisen einige Stellen aus ihren Briefen Ihre Exzellenz Frau v. Palézieux hat sie mir freundlichst überlassen. Sie sind alle ungedruckt und aus dem Französischen übersetzt. an ihn, die teils im Text, teils im »Anhang« (Nr. 5) stehen.

Der Mann, der siebenunddreißig Jahre seine große Arbeitskraft nur für Weimar, nie für sich selbst verwendet hat, verdient, daß man ihm hier ein dankbares Andenken bewahrt – gegen seine vortrefflichen Eigenschaften treten seine Fehler ganz in den Hintergrund. Er blieb immer seinem Wahlspruch getreu: Faire sans dire.

*

Den Erbgroßherzog Karl August haben wir beim Einzug in Weimar nach dem Kriege verlassen, er kehrte bald darauf in seine Garnison Düsseldorf zurück, wo er noch zwei Jahre blieb, ehe er die Vorbereitung für seine zukünftige Regierungstätigkeit im Zivildienst begann. Daten und Notizen sind entnommen aus: »Karl August, Erbgroßherzog von Sachsen. Ein Lebensbild von P. v. Bojanowski.« (Weimar 1895.) Vorher aber wurde ihm der Wunsch erfüllt, den er schon seit Jahren gehegt: er machte eine Reise in den Orient. Im Dezember 1872 reiste er mit zahlreicher Begleitung von hier ab. Der erste längere Aufenthalt war in Kairo, dann fuhr er – überall festlich und fürstlich empfangen – auf dem Nil bis Assouan und der Insel Philä, wo ihm Georg Ebers als Führer diente. Von Kairo wurde die Reise nach Suez, Port Said, Jaffa und Jerusalem angetreten, Bethlehem, Jericho, Samaria, Nazareth und Haiffa besichtigt. Über Beiruth begab man sich nach Baalbeck, Heliopolis und Damaskus, dann über Smyrna nach Athen. In Griechenland besuchte die Gesellschaft noch Argos, Mykenä und Korinth, bevor die Fahrt nach Konstantinopel angetreten wurde. Über Bukarest ging es dann heimwärts; in Wien traf der Erbgroßherzog mit seinem Vater zusammen, der ihn dem Kaiser vorstellte. Ende Mai 1873 kehrten die Reisenden hierher zurück, und schon am 20. Juni wurde das Land durch die Verlobung Karl Augusts mit der Prinzessin Pauline von Sachsen-Weimar, der ältesten Tochter des Prinzen Hermann und der Prinzessin Auguste von Württemberg, erfreut. Schon am 26. August war die Vermählung in Friedrichshafen am württembergischen Hoflager und am 6. September der Einzug in Weimar.

Darüber berichtet Lassen am 3. September an seine Eltern:

Das Festprogramm lautet: Sonnabend den 6. kommen die Neuvermählten in der geschmückten Stadt an, es wird einen großen Jubel geben, denn der Erbgroßherzog ist sehr beliebt, man freut sich über seine Wahl und wünscht dem guten Menschen ein großes Glück. Abends ist Illumination und Fackelzug. Sonntag Hofkonzert im großen Saal, das ich dirigire; Liszt wird – als große Ausnahme – zweimal mit Orchester spielen: die »Polonaise« von Weber und die »ungarische Fantasie« von ihm selbst. Fräulein Prohaska aus Wien, Milde und Ferenzy werden singen. Liszt hält die Probe mit Orchester für geladene Zuhörer im Theater ab. Montag ist Gallavorstellung, die mit meiner »Festouvertüre« beginnt, dann wird ein Festspiel von Otto Devrient gegeben, das er für diese Gelegenheit gemacht hat und für welches ich die Musik zusammengetragen und theilweise komponirt habe. Es kommen eine Menge Erscheinungen darin vor, für jede einzelne mußte ich die geeignete Musik finden: Herzog Bernhard von Weimar, die heilige Elisabeth, Luther, Dorothea Maria, Cranach, Iphigenie, Tasso, Faust, Wallenstein, die Fischerin, Oberon, Cid, Egmont usw. Nach diesem Festspiel wird Liszt die neunte Symphonie dirigiren.

12. September: Von Fürstlichkeiten waren bei dem Hofkonzert: der Kaiser und die Kaiserin von Deutschland, Prinz und Prinzessin Carl von Preußen, Prinz und Prinzessin Georg von Sachsen und Prinz Heinrich der Niederlande. Die Thüringischen Herzöge hatten Vertreter gesandt. Mit allen Deputationen gab das eine glänzende, stattliche Versammlung. – Nun kommen noch die Feste in Eisenach, die am 17. anfangen. Auf der Wartburg wird ein Festspiel von Scheffel aufgeführt, für das Liszt Musik gemacht hat.

Die junge Erbgroßherzogin gewann sich bald die Herzen der Weimaraner durch ihre frische Natürlichkeit, ihr anmutiges Wesen und die Wärme, mit der sie ihnen entgegenkam. Die etwas strengen Sitten des hiesigen Hofes wurden ihr im Anfang schwer, war sie doch von ihren Eltern in größerer Einfachheit und Bewegungsfreiheit erzogen worden. Am 10. Juni 1876 gebar sie ihrem Gemahl den ersten Sohn, Wilhelm Ernst Karl Alexander, den jetzigen Großherzog; am 18. April 1878 den zweiten Sohn, Bernhard Heinrich. Diese beiden Kinder machten das Glück des jungen Paares aus. Strahlenden Auges rief die Erbgroßherzogin ihre Knaben heran, wenn sie Bekannten auf dem Spaziergang begegnete, um die Kinder vorzustellen. Das Gesicht des Vaters zeigte einen ernsten, fast feierlichen Ausdruck, als er mir einst sagte: »Wenn ich meine Söhne doch zu tüchtigen und zu glücklichen Menschen machen könnte!«

In den Jahren, die dem Erbgroßherzog noch vergönnt waren, bereitete er sich auf den hohen Beruf vor, den er nie erreichen sollte. Er machte sich eingehend mit den Staatsgeschäften bekannt, dabei bedauerte er immer, daß er nicht mehr mit dem von ihm so sehr verehrten Minister v. Watzdorf gearbeitet hatte. Minister Thon hat ihn in das Staatsministerium eingeführt, in dessen verschiedenen Ressorts er sich mit großem Fleiß die nötigen Kenntnisse verschaffte; er wohnte den Sitzungen der Minister bei und führte – in Abwesenheit des Großherzogs – den Vorsitz. Stichling gedenkt seiner in den »Erinnerungen aus dreiundfünfzig Dienstjahren« mit den Worten: »Der Erbgroßherzog gehört zu denen, welche unbedingt mehr sind, als sie scheinen – eine Seltenheit auf solchem Terrain! Das wird aber von Jahr zu Jahr mehr erkannt und gewinnt ihm mehr und mehr die Herzen. Seine Rechtschaffenheit gepaart mit Wahrhaftigkeit und Herzensgüte, seine ernste Pflichttreue, die ihn bei allem, was er anfaßt und beurteilt, auf den Grund gehen läßt, und die große Einfachheit und Natürlichkeit seines Wesens und Auftretens geben mir die Gewißheit, daß er dereinst nicht nur ein tüchtiger, sondern auch ein populärer Regent in seinem Lande wird.«

Das ganz besondere Interesse des Erbgroßherzogs richtete sich auf die Landwirtschaft und deren praktische Arbeiten, über die er sich durch den Augenschein so gut belehrte, daß er mit der Zeit eine Autorität z. B. für Pferde- und Rindviehzucht wurde. Bei dem häufigen Besuch der Ausstellungen gewann er die Herzen des Volkes durch seine schlichte Liebenswürdigkeit und die Gründlichkeit, mit der er alles anfaßte. Auch über Forstwirtschaft, Fischerei, die sozialpolitischen Fragen und alles was die Landeskirche betraf, unterrichtete er sich und tat was er konnte zur Förderung.

Weil sich der Erbgroßherzog wenig mit der bildenden Kunst beschäftigte – sein Vater besorgte das ja genugsam – glaubten viele, er habe gar kein Verständnis dafür. Ihm war allerdings die Technik, die Mache ganz gleichgültig, aber das Historische daran interessierte ihn in hohem Grade. So hat er seine Sammlung Callotscher Werke zu der vollständigsten gemacht, die existiert; die Liebe zur Jagd veranlaßte ihn, sich mit den Stichen nach Riedinger, die hier vorhanden waren, zu beschäftigen und die Kollektion zu ergänzen, so daß von den zwölfhundert Tier- und Jagdstücken nur noch wenige fehlen. Auch um die Anschaffungen für das Museum kümmerte er sich und lobte es, wenn man zu den berühmten Gemälden auch noch die Vorarbeiten, wenigstens in der Nachbildung, erwerben konnte, um die Intentionen des Künstlers verfolgen zu können. Auch eine Münzensammlung legte er an, des geschichtlichen Interesses wegen. Bojanowski schreibt dazu: »So spiegelt sich auch in dieser, doch nur Mußestunden erfüllenden Beschäftigung der ganze Charakter des Mannes wider: seine pflichttreue Vertiefung in den vorliegenden Gegenstand, die Beschränkung auf das wirklich Erreichbare, das Streben nach Erkenntnis des inneren genetischen Zusammenhanges, des Werdens und der Entwickelung der ins Leben tretenden Erscheinungen.«

Auch die Großherzogliche Bibliothek hatte einen eifrigen Förderer an dem jungen Karl August. Er liebte die Literatur und wandte dieser Anstalt manch wertvolle Spende zu. Das 1884 von Oberbaudirektor Streichhahn erbaute Archivgebäude am Alexanderplatz erregte mit seiner vorbildlichen Einrichtung sein ganzes Interesse, abgesehen davon, daß er stolz auf die Vergangenheit seines Hauses war und gern in den alten Papieren, den Zeugnissen derselben, studierte. Hier war nun vereinigt, was früher in der Bibliothek und einigen Zimmern des Schlosses verteilt gewesen war: das geheime Haupt- und Staatsarchiv für den weimarischen Staat und das Fürstenhaus, sowie das Großherzogliche Hausarchiv und außerdem das gemeinschaftliche Hauptarchiv des Sachsen-Ernestinischen Gesamthauses.

Noch bleibt eine Seite der Tätigkeit des Erbgroßherzogs zu erwähnen, die ihm viel Freude machte: er übernahm 1893 das Ehrenpräsidium über die vereinten Krieger- und Militärvereine, deren Protektor der Großherzog war. Die kameradschaftliche Gesinnung Karl Augusts und das bleibende Interesse für das Militär erwarb ihm in den Kreisen der Veteranen große Liebe, die ihm die dreitausend alten Soldaten – deren Vorbeimarsch er am 25. Juni desselben Jahres, am zweiten Abgeordnetentag des Bundes, abnahm – durch jubelnde Zurufe zeigten.

So hat er still und unauffällig einundzwanzig Jahre hier gearbeitet und gewirkt, ist ob seiner Bescheidenheit oft für weniger begabt gehalten, aber von denen, die ihn kannten, sowie den Wenigen, denen er sich erschloß, sehr hoch gestellt und treu geliebt worden. In die Öffentlichkeit außer Landes ist er nur einmal getreten, er wohnte als Vertreter seines Vaters 1887 dem fünfzigjährigen Regierungsjubiläum der Königin Viktoria von England bei.

Im Herbst 1875 verlobte sich Prinzessin Marie Alexandrine mit Prinz Heinrich VII. von Reuß-Schleiz-Kostritz, einem vortrefflichen, hochgebildeten und sehr gescheiten Manne, der als Diplomat in preußischen Diensten oft an den wichtigsten Posten stand. Die Vermählung fand am 6. Februar 1876 statt, die Trauung vollzog Oberhofprediger Dr. Hesse, der nach dem Tode Dittenbergers von Breslau hierher berufen und Ostern 1872 eingetreten war. Es wird später noch von ihm die Rede sein.

Prinzessin Elisabeth wurde nun mehr und mehr die Gefährtin ihres Vaters, da die Großherzogin Sophie ihrer Geschäfte und Gesundheit halber ein mehr häusliches Dasein vorzog. Sie teilte die Liebhaberei ihres Vaters für die Künste; Fahrten, Ritte, Spaziergänge und Reisen machten sie fast immer gemeinsam. Erst das Jahr 1886 entführte auch diese Tochter, sie vermählte sich am 6. November mit dem Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg, dem nachherigen Regenten von Braunschweig, und fand an der Seite dieses tüchtigen und liebenswürdigen Gatten volle Befriedigung.

Mit ihrem Weggang trat ein Abschnitt in dem Hofleben ein: die alten Herrschaften gaben nur noch so viele Gesellschaften und Feste, als die Repräsentation es verlangte, denn sie hatten keine Jugend mehr um sich, die sich amüsieren wollte. Die Erbgroßherzogin Pauline hatte leider viel mit Krankheit zu tun, so daß sie die gesellschaftlichen Pflichten, die ihr nun eigentlich oblagen, oft nicht erfüllen konnte. Somit wurde es stiller in Weimar, wenn es auch noch sehr viel zu erleben, zu hören und zu sehen gab, die Gesellschaft drehte sich nur mehr um den Großherzog, nicht um junge Leute, es gab weniger Bälle, mehr Gesellschaften, in denen musiziert oder vorgetragen wurde; da er gern abends ausging, vereinigte man oft in Privathäusern kleine Kreise, in denen man sich nur durch Konversation unterhielt.

Das Denkmal zum Andenken an Herzog Karl August, zu dem die Sammlungen in dem Jahre seines hundertjährigen Geburtstages – 3. September 1857 – begannen, wurde am 3. September 1875, seinem hundertjährigen Regierungsantritt, enthüllt. Kaiser Wilhelm war bei der Feier zugegen. Wir kennen die Reiterstatue von Professor Donndorf auf dem Fürstenplatz, sie ist eine der schönsten ihrer Art und wird noch lange Jahre den Namen des Fürsten, aber auch den des Künstlers, der sie für seine Vaterstadt schuf, wach erhalten. Adolf Donndorf lebt zwar in Stuttgart, aber Weimar rühmt sich doch dieses vortrefflichen Sohnes, der auch dafür gesorgt hat, daß man ihn hier nicht vergißt: er hat der Stadt eine schöne Brunnenfigur und später die Abgüsse seiner sämtlichen Werke geschenkt. Erstere schmückt den kleinen Platz an der Geleitstraße, letztere sind in einem eigens dafür gebauten Saal an der Amalienstraße aufgestellt und bilden ein interessantes und instruktives »Donndorf-Museum«.

Im Jahr 1877 trat Prinz Otto zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg als Flügeladjutant bei Großherzog Karl Alexander ein. Er hatte in hannöverschen Diensten gestanden und sich bei Langensalza ausgezeichnet, war dann nach Österreich übergetreten, nahm als Hauptmann seinen Abschied und siedelte mit seiner Gattin, geb. Gräfin v. Sayn-Wittgenstein-Sayn, nach Weimar über. Auch sein Zwillingsbruder lebte jahrelang mit seiner Familie hier; beide Häuser bildeten mit dem ihnen verwandten des Grafen Goerz, genannt v. Schlitz – der die Direktion der Kunstschule übernommen hatte – und seiner unbeschreiblich und berühmt schönen Gattin, geb. v. Villeneuve, eine kleine, liebenswürdige, elegante und vornehme Koterie – zu der noch Graf Leo v. Henckel-Donnersmarck mit seiner Familie gehörte.

Das fünfundzwanzigjährige Regierungsjubiläum Karl Alexanders wurde am 8. Juli 1878 begangen. Es kamen eine ganze Anzahl fürstlicher Gäste. Von allen Veranstaltungen sei nur ein Künstlerfest in dem Garten der Armbrustgesellschaft genannt und das Gala-Theater mit Festspiel von Viktor Scheffel, »Die Linde vom Ettersberg«, mit Musik von Lassen, und als Vorspiel Liszts »Karl Alexander-Marsch«, den er vor zwanzig Jahren komponiert hatte. Das originellste und sehr gelungene Unternehmen war ein Konzert im »Stern«, denn es sollte zugleich das hundertjährige Bestehen des Parkes gefeiert werden. Auf dem herrlichen Platz, der mit hohen Bäumen umgeben ist, war ein Riesenpodium für das sehr verstärkte Orchester aufgeschlagen. Drei weimarische Kapellmeister hatten für diesen Tag komponiert und dirigierten ihre Werke selbst: Liszt einen »Goethemarsch«, Lassen einen »Festmarsch« und Müller-Hartung eine »Festhymne«. Es war eigenartig, festlich und sehr gelungen.

Der Großherzog schrieb in seinem Dankbrief an Fanny Lewald für ihre Glückwünsche zu dem Tag:

Das Leben lehrt, daß es doch am meisten auf den redlichen Willen ankommt, das Gelingen aber Gott anheimsteht. So will ich nur von meinem redlichen Willen reden.

*

Am 15. April 1885 starb der letzte Goethe, Walther, dessen tragischer Lebensweg und letzter Wille aus dem ersten Bande bekannt sind. Ein dankbares Gefühl, ein Aufatmen ging durch die gebildete Welt, als man erfuhr, wie großherzig die Enkel für Goethes Nachlaß gesorgt hatten, wie fein und richtig alles bestimmt war; sie machten wieder gut, was sie – in bester Absicht – gefehlt, indem sie mehr als fünfzig Jahre lang dem deutschen Volke diese Schätze vorenthalten hatten.

Eine Stelle aus den Briefen des Großherzogs über Walthers Tod dürfte hier interessieren. Sie ist an Herrn Hans v. Cranach gerichtet, der von 1875 bis 1884 Ordonnanzoffizier bei ihm war; daß er in der Zeit seinem Herrn sehr nahe trat, ersieht man aus den späteren Briefstellen Herr Oberburghauptmann v. Cranach hat sie mir freundlichst überlassen. Sie stehen teils im Text, teils im »Anhang« Nr. 6, und sind sämtlich ungedruckt.. Von 1884 bis 1894 diente derselbe wieder im 3. Garderegiment, dann berief ihn der Großherzog an den freigewordenen Platz eines Kommandanten der Wartburg.

Weimar, 18. April 1885 ... Die Worte anima candida fassen das zu Sagende richtigst zusammen. Ich füge hinzu, daß er eine der vornehmsten Seelen war die ich je gekannt, daß ich nie eine Sünde an ihm wahrnehmen konnte. Wir liebten uns treu und herzlich. Sie ahnen deshalb, was ich verlor. Sie sprechen, und das mit Recht, mir Trost zu, indem Sie wünschen, daß ich in dem Sinn an den Verstorbenen handle. Daß ich seine Gedanken fort entwickele, in seinem Sinne seinen letzten Willen zur Ausführung bringe. Diesen Trost hat er mir selbst gesichert, denn durch sein Testament hat er die Sammlungen und Häuser dem Staat vermacht, und mich zum Leiter und Wahrer dieser Schätze gemacht; wie er meiner Frau das gesamte Goethe Archiv vermachend, ihr gleiche Pflichten anvertraut. Sein Vertrauen hat er also uns vermacht und uns hierdurch den größten Beweis seiner Freundschaft gegeben ...

Wie sehr die Frau Großherzogin das Vertrauen des letzten Goethe zu würdigen gewußt und in wie großartiger Weise sie die literarischen Schätze gehütet und nutzbar gemacht hat, weiß jetzt die Welt. Damals hat sie nicht lange Zeit verstreichen lassen, ehe sie sich einen Plan gemacht, nach welchem die Schätze für die Allgemeinheit verwertet werden sollten. In einer Niederschrift vom 5. Mai 1885 heißt es, daß »das Archiv alsbald mit Rücksicht auf künftige Veröffentlichungen wissenschaftlich durchforscht und sein gegenwärtiger Wert vom Standpunkt der Goethe-Wissenschaft festgestellt« werde, als »Grundlage für die teils von mir selbst zu veranlassenden, teils für die durch das Goethe-Jahrbuch zu vermittelnden Publikationen«. Aus: »Sophie, Großherzogin von Sachsen« von P. v. Bojanowski. (Braunschweig 1898.)

Jetzt war auch die Zeit gekommen, um die längst geplante »Goethe-Gesellschaft« zu gründen. Daß dieser Gedanke Karl Alexander beständig beschäftigte, beweist eine Karte vom 10. Dezember 1882, in der er Baron v. Loën den Stand seiner Verhandlungen mit Herrn v. Loeper mitteilt, und die Nachschrift eines Briefes Freiin Marie v. Loën hat mir freundlichst erlaubt, Stellen aus den Briefen des Großherzogs und der Frau Großherzogin, sowie an R. und C. Wagner, an ihren Vater zu veröffentlichen. Sie stehen teilweise im Text, teilweise im »Anhang« Nr. 4 und sind alle ungedruckt. an denselben, der aus Biarritz vom 24. Oktober datiert ist. Die Jahrzahl ist unleserlich, wahrscheinlich 1884; sie lautet:

Die heranrückende Schillerstiftungsfeier läßt mich auf einen Gedanken zurückkommen, der von Ihnen Selbst ursprünglich ausging: in Weimar eine Goethegesellschaft zu stiften, die der Shakespearegesellschaft ähnlichen Zweck auf ähnliche Art verfolgt. Lassen Sie sich dieses Project nunmehr warm empfohlen sein und suchen Sie an dem Tage Schiller's das Andenken der Freundschaft unserer Dichter-Dioskuren durch Stiftung der Goethe-Gesellschaft zu ehren.

Aber erst der Tod Walther Goethes gab den endgültigen Anlaß dazu. Auf Anregung der Frau Großherzogin wurde dann folgender Aufruf durch die Zeitungen bekannt gemacht, den P. v. Bojanowski verfaßt hatte:

»Mit dem Erlöschen des Goetheschen Geschlechts und dem Übergang des Goethe-Archivs in den Besitz Ihrer Königl. Hoheit der Frau Großherzogin von Sachsen, der Sammlungen Goethes in den des weimarischen Staates, ist der Augenblick gekommen, einen längst gefaßten Plan zur Ausführung zu bringen, den Plan zur Bildung einer in Weimar zu errichtenden ›Goethe-Gesellschaft‹ zur Pflege der mit dem Namen Goethe verknüpften Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts und Vereinigung der auf diesem Gebiete sich rege betätigenden lebensvollen Forschung. Für die Wirksamkeit der Gesellschaft bietet sich in der Veranstaltung von jährlichen Zusammenkünften zum Meinungsaustausch der Mitglieder, vor allem in der Veranstaltung größerer Publikationen, die auf Goethe und sein Wirken in der obengenannten Literaturperiode Bezug haben, und in der Fortführung des Goethe-Jahrbuchs ein weites Feld für fruchtbringende Tätigkeit auf lange Zeit.

Die Unterzeichneten sind zusammengetreten, um die Bildung dieser Goethe-Gesellschaft vorzubereiten, für deren Organisation sich in den Statuten der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft ein geeignetes Vorbild bietet, und fordern alle diejenigen Förderer und Freunde deutschen Geisteslebens, die bereit sind, sich an der gemeinsamen Arbeit im Zeichen Goethes zu beteiligen, auf, in der konstituierenden Versammlung zu erscheinen, für welche Weimar, und da manche Punkte einer beschleunigten Beschlußfassung bedürfen, die Tage des 20. und 21. Juni bestimmt sind. Die Versammlungen beginnen an den genannten Tagen um 11 Uhr im Saale der Armbrustgesellschaft in Weimar.

Weimar, Jena und Berlin, 9. Juni 1885.

H. Böhlau, Verlagsbuchhändler. v. Bojanowski, Hofrat und Redakteur der ›Weimarischen Zeitung‹. Dr. Burckhardt, Archivrat. Dr. Delbrück, Universitätsprofessor in Jena. Eggeling, Kurator der Universität Jena, Geh. Regierungsrat. Dr. Eucken, Hofrat und Universitätsprofessor in Jena. Dr. Francke, Gymnasiallehrer. v. d. Gabelentz-Linsingen, Oberhofmeister. Dr. Geiger, Universitätsprofessor in Berlin. Genast, Geh. Regierungsrat. Dr. Freiherr v. Groß, Geheimer Rat. Dr. Guyet, Ministerialdirektor. Dr. Haeckel, Universitätsprofessor in Jena. Professor Dr. Hase, Wirkl. Geheimer Rat in Jena. Dr. Keil, Rechtsanwalt. Dr. Köhler, Oberbibliothekar. Dr. jur. Kuhn, Regierungsrat. Dr. Lassen, Hofkapellmeister. Dr. Liebmann, Hofrat und Universitätsprofessor in Jena. Dr. Franz Liszt. Dr. Litzmann, Privatdozent in Jena. v. Loën, Generalintendant. Dr. v. Loeper, Geh. Ober-Regierungsrat in Berlin. Ruland, Hofrat und Museumsdirektor. Dr. Scherer, Universitätsprofessor in Berlin. Dr. Weniger, Gymnasialdirektor.«

Trotz der kurz anberaumten Zeit hatten sich bei der ersten Versammlung doch ungefähr hundert Menschen eingefunden, außer den Unterzeichnern des Aufrufs seien genannt: Staatsminister Dr. v. Gerber-Berlin; Geheimrat v. Beaulieu-Marconnay-Dresden; der Schriftsteller Hans Hopfen; Geheimrat Kuno Fischer-Heidelberg; Professor Dr. Erich Schmidt-Wien; Freiherr v. Biedermann-Dresden; Erbgroßherzog Karl August, Graf Goertz, die Minister Stichling, Freiherr v. Groß, Vollert.

Baron v. Loën hielt am 20. Juni die Begrüßungsrede, in der er von den Vorkommnissen sprach, die diese Versammlung veranlaßten. Er konnte von den Plänen berichten, welche die Frau Großherzogin mit dem Archiv hatte: Goethes Werke sollten, nach den Manuskripten redigiert, vollzählig erscheinen; eine umfassende Goethe-Biographie müsse verfaßt werden, ein Jahrbuch herausgegeben, eine Bibliothek gesammelt – wobei man auf die Hilfe der Goethe-Gesellschaft zählt – und das Archiv solle in einem angemessenen Lokal untergebracht werden, um es dann dem Gebrauch zu übergeben. Der letzte Satz Loëns lautete: »Auf Goethe eignet sich zumeist sein Wort: ›Es wird die Spur von seinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn.‹ Diese Spur aber zu verfolgen, auf ihr fort und immer fort zu wandeln, ist die große Aufgabe der Goethe-Gesellschaft. Und so mögen sich alle Freunde und Verehrer Goethes in seinem Namen und in der Arbeit für ihn zusammenfinden. Tun wir es in seinem Geiste, so ist diese Stunde für uns und auch – wir hoffen es – für unsere Nation eine gesegnete.«

Herr v. Loën wurde nach seiner, mit großem Beifall aufgenommenen Rede durch Akklamation zum Vorsitzenden gewählt und die Statuten – von Regierungsrat Dr. Kuhn entworfen – mit geringen Änderungen angenommen. Schriftliche Anmeldungen gingen von Kanzler v. Rümelin-Stuttgart, Graf Leo Henckel v. Donnersmarck, Julian Schmidt-Berlin und Herrn v. Meysenbug-Gera ein.

Ein Antrag von Loeper, Fischer, Scherer und Gerber schlug vor, das Protektorat dem Großherzog anzubieten. Der Antrag wurde einstimmig angenommen und von Karl Alexander freudig, mit dem warmen Interesse das er der Sache entgegenbrachte, akzeptiert.

Ein Festmahl in dem Saal der Armbrustgesellschaft vereinte die Mitglieder und löste den Enthusiasmus in begeisterten Toasten aus. Auf ein Huldigungstelegramm an Kaiserin Augusta, an die Enkelin Karl Augusts, erfolgte ein warmer Dank und die Anmeldung als Mitglied der Gesellschaft, sowie die Anweisung auf fünfhundert Mark. – Den Schluß dieses ersten Tages bildete die Aufführung von »Stella« im Hoftheater.

Daß jedes Mitglied unseres Fürstenhauses auch Mitglied der »Goethe-Gesellschaft« wurde, verstand sich von selbst. Die Anmeldung der Frau Großherzogin geschah in einem, auch außerdem interessanten, Brief an Loën, der hier in Übersetzung folgt:

18. Juni: Monsieur, Ich bitte Sie, mich als Mitglied der Goethe-Gesellschaft einzuschreiben und ebenso Prinzeß Elisabeth. Sie wissen, daß Alles für den Besuch im Goethe-Haus vorbereitet ist. Man wird die Wohnung des Dichters sehen und die beiden Zimmer, in denen die Sammlungen aufbewahrt werden. Eine kleine Auswahl davon wird ausgestellt sein, um einen Vorgeschmack zu geben. Hofrat Ruland, der Direktor des »Goethe-Nationalmuseums« geworden, hatte diese kleine Ausstellung eingerichtet. Der Platz ist sehr beschränkt, weil die Miether (General v. Eberhard mit seiner Familie) im Hause sind. Auch im Schloß ist Alles vorbereitet, ich habe selbst für die Anordnung gesorgt. Das Archiv war im Schloß untergebracht, weil das Goethe-Haus zu feuergefährlich war. Der Großherzog hat mir den Brief von Paul Heyse zu lesen gegeben – er hat nur den Wunsch des Großherzogs verdoppelt, ihn nach Weimar zu ziehen und er will Sie bitten, an Heyse zu schreiben, damit dieser es in die Hand nimmt, für die poetischen Werke Goethes zu thun, was nöthig ist. Der Großherzog glaubt, daß der Brief von Paul Heyse das Arbeitsprogramm der Goethe-Gesellschaft kritisirt. Natürlich muß ich Alles mit den kompetenten Herrn in fester Hand halten, um das so zu vollenden, wie es wirklich sein soll. – Wenn Sie Herrn Heyse antworten, sagen Sie ihm bitte von mir, daß, wenn man sein Talent hat und in der Literatur Deutschlands schwimmt, man seinen bezeichneten Platz in einer literarisch-wissenschaftlichen Gesellschaft hat. – Es ist seine Sache, ob er an den Versammlungen Theil nehmen will. Ich verstehe seine Empfindung, nach und nach wird er vielleicht einsehen, daß in der Goethe-Gesellschaft die verschiedenen Arten des Talents und das natürliche literarische und wissenschaftliche Geschick nebeneinander Platz haben. Das Ziel ist, weitsichtig zu sein und nicht mit der Lupe literarische Kunst zu treiben.

Ich bitte Sie, es noch recht zu überlegen, ob es nothwendig ist, in der Öffentlichkeit von meinen Verhandlungen mit Goethes über die Sammlungen zu sprechen. Leider muß man von mir sprechen in Bezug auf das Archiv. Schon meine beiden großen Unternehmungen, Sophienstift und Sophienhaus. die unter meiner Egide und von meinem Geld gebaut werden, geben mir eine außergewöhnliche Stellung ...

Herr v. Loeper glaubt, daß ich mein Archiv einstweilen in dem Staatsarchiv unterbringen kann. Mein inneres Gefühl ist und bleibt, daß ich ein Lokal für mich haben muß – aber das ist sehr theuer. Nur so könnte ich etwas fertig bringen, was ich würdig genug fände und welches Interesse für das Archiv erwecken würde, durch Gaben oder indem man ihm Papiere anvertraut. – Ein literarisches Museum ist undenkbar in dem großen Archiv ...

Bei der Besichtigung des Goethe-Hauses zeigte Hofrat Ruland einzelne kostbare Sachen; in den Zimmern im Schloß, wo das Goethe-Archiv untergebracht war – im zweiten Stock nach der Ilm zu – erklärte Herr v. Loeper manches und Scherer hielt einen Vortrag über die Vorarbeiten zum »Faust«.

Die zweite Versammlung fand Sonntag den 21. Vormittag statt, die »Goethe-Gesellschaft« bestand schon aus hundertundsiebzehn Mitgliedern, die gebeten wurden, in ihrer Heimat Lokalkomitees zu bilden. Minister v. Gerber sprach den Dank der Gesellschaft an die Frau Großherzogin aus, »daß die hohe Frau in dem Ernst und der Hingabe an die erwachsenen Aufgaben bekunde, wie sie die so großartige Ausführung des Goetheschen Testaments als eine Pflicht der Nation gegenüber erfasse«. Die Anwesenden erhoben sich von ihren Sitzen. Bei der Wahl des Vorstandes wurde der, indessen eingetroffene, Präsident des Reichsgerichts v. Simson zum Präsidenten der Goethe-Gesellschaft gewählt. Loën zum ersten, Scherer zum zweiten Vizepräsidenten. Außerdem Kuno Fischer, Paul Heyse, v. Loeper, v. Beaulieu-Marconnay, v. Rümelin, Erich Schmidt, Eggeling, Ruland. – Der geschäftsführende Ausschuß bestand aus den Herren: Geheimer Kommerzienrat Moritz, Hermann Böhlau, Dr. Oelschläger, General Krüger, Dr. Kuhn, Karl Ruland, P. v. Bojanowski, Graf Wedel, v. Loën, Reinhold Köhler, Archivrat Burckhardt.

Jahrelang hat die Goethe-Gesellschaft unter dem Präsidium Eduard v. Simsons jedes Jahr zu Pfingsten hier getagt; er hat ihr den Stempel seines Geistes aufgedrückt. Wenn er an der Spitze dieser Gemeinschaft stand, gedachte man unwillkürlich der wichtigen Tage, die er mit erlebt. Als Achtzehnjähriger war er von Zelter bei Goethe eingeführt worden. In der Paulskirche zu Frankfurt hatte ihn das Parlament zu seinem Präsidenten gewählt. Dieselbe führende Stellung hatte er im preußischen Abgeordnetenhaus, im norddeutschen und dann im deutschen Reichstag eingenommen, jetzt stand er an der Spitze des obersten deutschen Gerichtshofes. 1849 sollte Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone aus seinen Händen empfangen, und wenn Simson damals blutenden Herzens und unverrichteter Sache heimkehren mußte, so ward ihm 1871 die herrliche Genugtuung, König Wilhelm in Versailles Krone und Titel des deutschen Kaisers im Namen des deutschen Volkes, an der Spitze des Reichstags, überbringen zu können. Seine Würde und Mannhaftigkeit, seine Liebenswürdigkeit und Beredsamkeit machten ihn zum geeignetsten Träger aller dieser Ehrenämter.

Erich Schmidt, Professor in Wien, der geborene Jenenser, wurde an seinem zweiunddreißigsten Geburtstag von der Frau Großherzogin zum Direktor des Goethe-Archivs ernannt.

Kaum waren die Tage vorbei, in denen diese wichtigen Beratungen hier gepflogen wurden, so traf unser Fürstenhaus ein Unglück, das momentan alles andere zurücktreten ließ: Prinzeß Elisabeth stürzte mit dem Pferd und trug so schwere Verletzungen am Kopf davon, daß man tagelang an ihrem Aufkommen zweifelte. Ihr Vater schrieb am 14. Juli von Belvedere an Fanny Lewald:

Sie wünschen mir, daß ich mein festes Herz bewahre. Ich hoffe zu Gott, daß er mir dazu verhilft, nachdem er so sichtlich mein Kind aus größter Lebensgefahr gerettet und es seitdem in der Besserung fortschreiten läßt. Es war eine schwer zu durchleidende Woche, die fast unmittelbar den Goethetagen folgte. Das Beispiel Goethes lehrt, die Ereignisse sich möglichst zurechtzulegen und über denselben zu stehen, doch in der Angst und im Kummer ist es, als ob man vor einer Mauer stünde, und die Gegenwart spottet des ordnenden Willens ...

Wie lange es brauchte, bis die vollständige Genesung eintrat, sagt uns folgende Stelle aus einem Briefe des Großherzogs an Baron v. Loën aus Bordighera vom 2. April 1886:

... Wir haben unser Kind, Gott lob, hergestellt angetroffen und erfreuen uns täglich des Beweises. Auch uns geht es gut in diesem herrlichen Land, um das genügend zu betrachten ich die Zahl der Augen indischer Gottheiten haben möchte. Dennoch freue ich mich von Herzen wieder auf mein eignes Land, das so schön und so gut ist.

Meine Frau, meine Tochter, neben denen ich dies schreibe, senden Ihnen ihre herzlichsten Grüße, an die ich all die Gesinnungen anhänge, welche Ihnen längst bekannt sind als die Ihres Ihnen herzlich ergebenen

C. A.

Während die Durchforschung des Goethe-Archivs die Gelehrten beschäftigte, wurde das Goethe-Haus so hergestellt, daß eine Feuersgefahr fast ausgeschlossen ist. Die Goethe-Gesellschaft tagte und tagt jedes Jahr zu Pfingsten in Weimar. Heute braucht man nicht mehr von ihrem Wirken zu erzählen, die Tätigkeit derselben ist zu allgemein bekannt. – Zwei Jahre arbeitete Professor Erich Schmidt am Goethe-Archiv, dann folgte er einem Ruf an die Berliner Universität und an seine Stelle trat Professor Dr. Bernhard Suphan. Bei der Versammlung der Goethe-Gesellschaft im Jahre 1889 konnte dieser die Mitteilung machen, daß der Enkel und Urenkel Schillers, die Freiherren Ludwig und Alexander v. Gleichen-Rußwurm, den literarischen Nachlaß ihres Ahnherrn der Frau Großherzogin übergeben hätten, um ihn mit dem von Goethe zu vereinigen. Von dem Tag an führt das Archiv den Namen der beiden Dichter und das Werk der Enkel hat den schönsten Abschluß gefunden. Die Enkel Goethes und Schillers übergaben den literarischen Nachlaß ihres berühmten Ahnen der Enkelin Karl Augusts, der Großherzogin Sophie. Der Enkel Herders, Minister Stichling, nahm das Goethe-Haus im Namen des Staates in Empfang, dessen direkte Oberaufsicht Karl Alexander, dem Enkel Karl Augusts, übergeben worden war. Der Enkel Wielands, Justizrat Reinhold, hatte als juristischer Beirat das Testament des letzten Goethe niedergeschrieben.

Am 28. Juni 1896 wurde das Gebäude eingeweiht, welches die Frau Großherzogin über dem Ufer der Ilm hat erbauen lassen, das literarische Schätze birgt, wie keine andere Stadt sie aufzuweisen hat. Das Goethe-Schiller-Archiv ist von großartiger Einfachheit und Schönheit, es ist eine Zierde für die Stadt und ein Wallfahrtsort für Literaturhistoriker geworden. Der Name der Bauherrin wird unvergessen bleiben, solange das schöne Gebäude und sein kostbarer Inhalt existieren.

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Am 31. Juli 1886 schloß Franz Liszt die Augen. Er wurde in Bayreuth begraben – trotzdem seine Jünger glaubten, daß er in Weimar liegen müsse – und damit sein eigner Wunsch erfüllt, den man bei seinem Tode noch gar nicht kannte: da in die Erde gebettet zu werden, wo er den Atem ausgehaucht. An seinem Sterbebett war, mit Frau Cosima Wagner und ihren Kindern, der treue Freund Paul v. Joukowsky, der schon beim Tode Richard Wagners in Venedig der Familie zur Seite gestanden hatte. Näheres darüber in: »Zwei Menschenalter«. Er war Anfang 1886 einem Ruf des Großherzogs nach Weimar gefolgt, der den ihm sympathischen Maler hier zu fesseln wünschte, und hatte in den letzten Monaten viel mit Liszt verkehrt, der unbeschreiblich gut für ihn war. In Bayreuth wohnte er mit dem Meister in demselben Haus und unterstützte die Familie in der Pflege des Kranken. Karl Alexander schrieb ihm am 2. August 1886 von Wilhelmsthal: Ungedruckt. Aus dem Französischen übersetzt, ebenso der folgende Brief vom 8. März 1887.

Eben erhalte ich Ihren gestrigen Brief, mein lieber Freund! Wir kennen uns so gut, daß wir es uns gar nicht zu sagen brauchen, wie wir leiden.

Aber ich habe das Bedürfniß Ihnen zu danken, daß Sie gleich an mich gedacht, mir telegraphiert und jetzt geschrieben haben. Sie haben recht, Trost in dem Gedanken zu finden, daß Gott ihn gerufen, um ihn von Leiden zu befreien und vor größeren zu bewahren. Es giebt noch einen Trost – daß er aus künstlerischer und Freundschafts-Atmosphäre abberufen worden, nachdem er wie ein Meteor zuletzt noch durch die Welt geflogen ist und wohlverdiente Ovationen geerntet hat. Aber alles das ist steril neben dem Schmerz ihn verloren zu haben. Der Versuch nach seinen Prinzipien zu arbeiten wird, mit Gottes Hülfe, ein Trost werden. Danach streben wir. Ich habe Ihnen die Ankunft des Grafen Wedel angekündigt, der uns bei dem Begräbniß vertreten soll. Ich theile Ihnen auch die Ankunft des Herrn v. Loën mit, und da ich seine Adresse in Bayreuth nicht kenne, so lege ich ein Billet an ihn bei und bitte Sie, es ihm so schnell als möglich zukommen zu lassen; Liszt'sche Schüler haben mich gebeten, Liszt's Leiche zu reklamiren, um sie in Weimar zu beerdigen. Ich habe antworten lassen, daß ich vor Allem die Wünsche der Familie zu respektiren habe und dann die testamentarischen Bestimmungen. Ein Brief von H. Feustel an H. v. Loën, den dieser mir heute mitgetheilt hat, versichert, daß der Diener des Verstorbenen vorigen Dezember in Rom den formellen Befehl Liszts erhalten hat: »da begraben zu werden, wo er gestorben und nicht an einen andern Ort transportirt zu werden.« Der Diener soll gesagt haben, daß Sie das bestätigen können. Ist das wahr? In jedem Fall werde ich den Wunsch des Verstorbenen respektiren.

Adieu, ich drücke Ihnen sehr herzlich die Hand, wie Jemand mit dem man sich im Schmerz verbunden fühlt.

Joukowsky wußte nichts von dem Befehl Liszts an seinen Diener. Später fand man aber diesen Wunsch Liszts schriftlich niedergelegt.

Baron v. Loën eilte von Gastein nach Bayreuth, um bei der Beerdigung Liszts zugegen zu sein. Der Brief des Großherzogs an ihn lautete: Gedruckt in: »Großherzog Karl Alexander von Sachsen« von Paul v. Bojanowski. (München 1901.)

Wilhelmsthal, 2. August 1886. Ihr teilnehmender Brief, lieber Freund, hat mich tief und wahrhaft gerührt. Lassen Sie diese Worte Ihnen danken. Ich wagte nicht Sie nach Bayreuth zu senden, weil ... Ihre Gesundheit, mein Lieber, mir theuer ist. Ich kann aber nur billigen daß Sie Ihrem Herzen folgten und nach Bayreuth gereist sind. Wedel ist von mir beauftragt, meine Frau und mich zu vertreten. Sie aber bitte ich, in meinem Namen die Bühne Goethe's und Schiller's, die Bühne Weimar's zu vertreten.

... Vereinigen Sie die Künstler und sagen Sie ihnen in meinem Namen: kein deutscher Fürst betrauere mit ihnen tiefer den Verlust Liszt's als ich; keiner auch theile so wie ich ihre Trauer, keiner suche aber auch so herzlich im Sinne Liszt's für die Kunst weiter zu streben – so Gott will!

Da ich Ihre Adresse nicht kenne, vertraue ich diesen Brief Joukowsky an. Herzlich Ihr

C. A.

An Hans v. Cranach schrieb Karl Alexander am 5. August 1886 aus Wilhelmsthal:

Unerreicht als Künstler, war er größer noch als Charakter voller Geist. Sein Streben galt immer nur dem Großen und Schönen, den Werth der Dinge auf Erden kannte er und genoß sie auch gerne, nie sah ich aber einen Menschen, der unabhängiger von ihnen war. Deshalb war sein Urtheil so richtig, sein Rath so werthvoll, deshalb auch erhielt ich nie einen falschen von ihm. Mit Recht wenden Sie auf ihn das Wort Euphorions an! in der That mußte er immer höher steigen, immer weiter schauen. Deßhalb muß auch die Seele, die das Edle erstrebt, unsterblich sein; deßhalb läßt sich auch eine Seele ohne Unsterblichkeit, ohne Wiedersehen nicht denken, denn Gott giebt uns diese Ueberzeugung. Er aber ist die Wahrheit.

Dienstag, den 8. März (1887) richtete Karl Alexander noch folgende Zeilen an Joukowsky, der von Weimar nach Bayreuth reiste, um sich an der Beratung über das Grabmal für Liszt auf dem dortigen Friedhof zu beteiligen, das dann von dem Architekten Gabriel Seidl aus München gezeichnet und gebaut wurde: Nicht von Herrn Siegfried Wagner, wie in den meisten Büchern über Liszt steht, z. B. in »Franz Liszt« von Kapf, in welchem außer dieser noch manche Ungenauigkeit auszumerzen wäre.

Gestatten Sie mir, mein lieber Freund, Ihnen für Bayreuth, wohin Sie morgen ja abreisen, einen Auftrag mitzugeben oder, richtiger gesagt: Zwei: Der Erste für den Fall daß die Leiche Liszts nicht in Bayreuth bliebe, zu sagen – und zwar in meinem Namen – daß ich dieselbe dann für Weimar verlange.

Der Zweite ist, daß, wenn die Leiche in Bayreuth bleibt, ich den Wunsch hege, ihm in Weimar ein Denkmal auf öffentlichem Platz errichtet zu sehen, zu welchem ein öffentlicher, allgemeiner Aufruf an die Künstlerwelt zu ergehen hätte. Ich wüßte Ihnen kein deutlicheres Zeichen meines Vertrauens zu geben, als durch diesen doppelten Auftrag. Herzlichst Ihr

Carl Alexander.

Seit Liszts Tode sind jetzt fünfundzwanzig Jahre verstrichen, am 22. Oktober 1911 haben wir seinen hundertjährigen Geburtstag begangen, da ist schon ein Überblick über sein Wirken und seine merkwürdige Persönlichkeit möglich. Es leben noch viele, die ihn gekannt, geliebt und bewundert haben. Jetzt stehen sie alle nicht mehr unter dem Banne seines Geistes, sie sehen ihn objektiver an und schätzen sich glücklich, ihm nahe gestanden zu haben. Die kleinen menschlichen Fehler verschwinden und das Bild wirkt edler und größer von Jahr zu Jahr.

Zum Schluß dieser Erinnerungen an den teuren Meister entnehme ich einiges aus Otto Leßmanns Aufsatz zum 22. Oktober 1911, »Jenaische Zeitung«, 22. Oktober 1911. er konnte sowohl den Meister als den Musiker beurteilen:

»Kein Künstler hat einen glänzenderen Aufstieg seiner Lebensbahn gehabt, wie Franz Liszt, keiner hat wie er künstlerisch und menschlich zugleich so fördernden und anregenden Einfluß auf seine Umwelt nicht nur, sondern auf Kunst und Künstler seiner und der nachfolgenden Zeit im allgemeinen ausgeübt, aber keinem ist das urewige Vermächtnis aller bahnbrechenden Genies, die von Neid, Mißgunst und Unverstand geflochtene Dornenkrone, so tief und verletzend aufs Haupt gedrückt worden, wie ihm. Doch mit welchem Edelmut und mit welcher vornehmen Ergebung hat Liszt dies Geschick getragen, im Glauben an die Wahrhaftigkeit seines Strebens, an die Reinheit und Hoheit seiner Ideale, sich selbst tröstend mit dem Wort: ›Ich kann warten, meine Zeit kommt noch!‹ Und die Zeit ist gekommen, die dem großen Künstler und seinem Wollen recht gegeben hat, die nicht nur seine eigenen Werke zu würdigen versteht, sondern auch erkennt, wie mächtig er auf eine Weiterentwickelung unserer Kunst eingewirkt hat.

»Über Liszt, den unerreichten Klaviervirtuosen, den Schöpfer einer neuen Klaviertechnik und einer neuen, durchgeistigten und poetisch verklärten Art des Klavierspiels, braucht heute nicht mehr gesprochen zu werden, auf diesem Gebiet steht sein Ruhm unantastbar fest. Aber auch über den Komponisten sollte man heute kaum noch nötig haben, sich des weiteren zu ergehen, wenn nicht die in seinen Orchesterwerken verflochtene schöne Idee, das Ausdrucksgebiet der Musik durch ihre Verbindung mit poetischen Vorstellungen zu erweitern, im Verlauf der Zeit eine bis zum Grotesken gesteigerte Verschandelung erfahren hätte ...

»Die ›Sinfonischen Dichtungen‹ Liszts, bei ihrem Erscheinen und Jahrzehnte hindurch nur von einer verhältnismäßig kleinen Gemeinde verstanden, von der zunftmäßigen Kritik und den Dirigenten aber dem Publikum fortgesetzt als gedankenarme, mißklingende und formlose Musik verleidet, erscheinen heute in Anlage und Ausführung, nach Form und Inhalt, auch dem großen Publikum, dem durch die Werke der ›Modernsten‹ eine ganz anders paprizierte Kost zugemutet wird, als klare, harmonisch und melodisch interessante, wohlklingende und geistvolle Musikstücke ...

»Ein Grundzug in Liszts Wesen war seine tiefe Religiosität die schon in seiner frühesten Jugend wahrnehmbar war und die auch im Jüngling wie in dem reifen Mann und dem Greise bis zu seinem letzten Atemzuge lebendig blieb und sich in der mannigfachsten Weise betätigte ...«

Er ging fast jeden Morgen in die Messe, er hatte das Bedürfnis nach diesem Zusammenhang mit seiner Kirche, trotzdem er sehr wohl Kirche und Religion unterschied und an ersterer manches auszusetzen hatte. Gegen Andersgläubige war er von der größten Toleranz; sein Christentum sprach sich in unbeschreiblicher Herzensgüte aus, er war ein Wohltäter für Tausende und hat sich bestrebt, jedem zu helfen, der ihm die Hand entgegenstreckte, mochte er Unterweisung oder Geld, Rat oder Tat von ihm verlangen. Wie ist er von jeher für die Würde der Kunst und der Künstler eingetreten und wie unermeßlich ist der Segen, den er als Lehrer ausgestreut hat, denn nicht nur Musik hat er den jungen Leuten gelehrt, er hat ihnen auch die edelsten Grundsätze eingeprägt. Er verlangte allgemeine Bildung, Enthusiasmus und Anbetung für alles Hohe und Schöne, Bescheidenheit für sich selbst und Anerkennung anderer. Diese Ideen hat er aber nicht nur gelehrt, er hat sie gelebt.

»Gleich groß als Mensch wie als Künstler, mächtig eingreifend in die Entwicklungsgeschichte der Musik des verflossenen Jahrhunderts, so steht die Erscheinung dieses Einzigen fest und klar in der Erinnerung derer, die ihn und sein Wirken kannten, und so möge sein Bild für alle Zukunft nachkommenden Geschlechtern erhalten bleiben als Symbol eines lebensvollen und schöpferischen Idealismus in Kunst und Leben.«

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Am 29. Juli 1887 feierte Graf Beust sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum – so lang hatte er in Liebe und Treue seinem Herrn und Freunde gedient. Trotz Krankheit und Leiden blieb er bis zu seinem Tod, der ihn am 10. Juli 1889 erlöste, im Dienst. Sein Nachfolger als Oberhofmarschall wurde sein Schwiegersohn, Graf Oskar v. Wedel, der ihn in den letzten Jahren schon unterstützt hatte. Weitere Veränderungen in den höchsten Stellungen der Beamten am Schlusse des Jahrhunderts seien hier noch kurz zusammengefaßt: Nachdem Staatsminister Dr. Stichling den Abschied genommen, kam an seine Stelle Freiherr Rudolf Gabriel v. Groß. Er war noch einer der Wenigen, die Goethe gekannt, er hatte mit seiner Mutter, Amalie v. Groß, geborenen v. Seebach, viel im Goethe-Haus verkehrt. In den ersten Jahren seiner Beamtenlaufbahn war er im diplomatischen Dienst beschäftigt, dann arbeitete er ungefähr zwanzig Jahre in Eisenach und Jena im Dienste der Justiz, bis er nach dem Krieg – wie früher schon erwähnt – in das Ministerium berufen wurde. Als Staatsminister konnte Groß am 3. Februar 1896 sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum feiern, diese seine letzte Stellung aber nur etwa acht Jahre bekleiden, dann zwang ihn sein Alter, sich zurückzuziehen und die letzte Zeit seines Lebens im Ruhestand zu verleben. Seine hervorragendsten Charaktereigenschaften waren Wohlwollen, Milde und Freundlichkeit, sowie eine seltene Pflichttreue. Sein Leben endete am 15. September 1907.

Der Oberbibliothekar Dr. Reinhold Köhler starb 1892, nachdem er lange, an den Folgen eines Sturzes von der Leiter in der Bibliothek, gelitten hatte. An seine Stelle trat 1893 Paul v. Bojanowski, der bisherige Redakteur der »Weimarischen Zeitung«, der heute noch diesen Posten bekleidet. Keinem der alten Weimaraner braucht man zu erzählen, was Bojanowski seit 1865 alles hier geleistet hat, aber für die Nachkommen soll es festgelegt werden. Von seiner Tätigkeit an der Zeitung war schon die Rede, auch bei der »Schillerstiftung« ist er schon genannt worden, sowie als einer der Stifter der »Goethe-Gesellschaft«, bei welcher er im Laufe der Jahre – wie bei der »Shakespeare-Gesellschaft« – Vorsitzender des geschäftsführenden Ausschusses und Vorstand wurde. Außerdem ist er erster Gehilfe am Zentraldirektorium des Frauenvereins und Mitglied des Vorstandes des Preußischen vaterländischen Frauenvereins für Weimar. Aber alle diese Ehrenämter zeigen nur, wie hilfsbereit er allezeit war, wie er seine Kraft jeder guten Sache widmete; die Selbstlosigkeit und feine Empfindung, mit der er alles anfaßt und durchführt, den guten Einfluß, den er dadurch in Weimar nach den verschiedensten Seiten hin gehabt hat und noch hat, das alles muß empfunden und dankbar ausgesprochen werden. Aber auch seiner Lebensgefährtin soll man gedenken, der vortrefflichen, guten, feinempfindenden Frau, an der er und seine beiden Töchter die liebevollste, treuste Freundin verloren haben. Die älteste derselben, Eleonore v. Bojanowski, hat sich mit ihrem Werk über die Herzogin Luise in die Reihen der ernstesten, besten deutschen Schriftstellerinnen eingereiht.

Von der Berufung des Dr. Leonhard Hesse im Sommer 1872 als Geheimer Kirchenrat und Oberhofprediger ist schon die Rede gewesen. Er hatte den Ruf eines wissenschaftlich tüchtigen, dogmatisch unbefangenen Predigers. Er selbst schreibt, »Erinnerungen aus dem amtlichen Leben des Wirklichen Geheimen Rats Dr. theol. Bernhard Hesse in Weimar.« (Frankfurt a. M. 1897.) daß er den Ruf annahm, »einmal weil der Name Weimar weit und breit einen Klang hatte, sodann aber auch, weil jeder, der in kirchlicher Beziehung einer freien Richtung huldigte, dem Kirchenregiment in Weimar mit besonderem Vertrauen entgegenkam, und endlich, weil die mir angetragene Stelle auf die Gestaltung und Entwickelung der Landeskirche mir einen höchst begehrenswerten Einfluß eröffnete«. Aus der Wirksamkeit Hesses hier seien nur einige seiner für die Öffentlichkeit bemerkbarsten Taten hervorgehoben: Er richtete den Kindergottesdienst in der Stadtkirche ein, verlegte den Nachmittagsgottesdienst von ein Uhr auf fünf Uhr und erreichte damit einen erhöhten Kirchenbesuch; er rief den schon früher gestifteten und dann eingeschlafenen »Verein zur Fürsorge für entlassene Sträflinge« wieder ins Leben; gründete die »Herberge zur Heimat«, die Mägdebildungsanstalt »Paulinenstift« und den »Aufsichtsverein«, der aus zwanzig Damen besteht, welche die Waisen und Pflegekinder der hiesigen Stadt mit Sorgfalt beaufsichtigen.

Dr. Hesse stand dem Großherzog persönlich nahe, dessen wahre und warme Frömmigkeit ihn antrieb, den Vorschlägen seines geistlichen Beraters willig zu folgen, wenn dieser seine Hilfe anrief. Besonders für die protestantische Kirche im Ausland hatte Karl Alexander ein warmes Herz. So stand die kleine evangelische Gemeinde in Luxemburg seit 1867, seit die Bundesfestung aufgehoben und die preußische Garnison zurückgezogen war, unter dem Schutz des Großherzogs und des Oberhofpredigers; die Geistlichen für Luxemburg wurden von Weimar geschickt und Dr. Hesse besuchte manchmal diese entfernte, seiner Fürsorge anvertraute Station, bis der Herzog von Nassau die Regierung als Großherzog von Luxemburg antrat.

1884 wurde hier von einer Versammlung deutscher und schweizer Theologen ein Missionsverein gegründet, dessen Sendboten besonders nach Indien, Japan und China gehen sollten. Dem Großherzog wurde das Protektorat angetragen, das er »in treuem Festhalten an der als Tradition meines Hauses mir heiligen Pflege der Religion, wie aller idealen Güter« mit Freuden für sich und seine Nachkommen annahm. Bald darauf erschien der japanische – auch in Weimar akkreditierte – Gesandte in Berlin, Graf Aoki, in Dornburg beim Großherzog. Er, der selbst zum Christentum übergetreten war und sich zum Protestanismus bekannte, bat Karl Alexander, einen Geistlichen nach Japan zu schicken, um die dort lebenden Protestanten zu einer Gemeinde zu vereinigen und von da aus den Japanern das Christentum zu predigen. Für diese Stellung entschloß sich Pfarrer Spinner zu Dynhard in der Schweiz. Graf Aoki bat, ihn von Weimar aus zu senden, das durch die vielen Freundlichkeiten des Großherzogs für die in Jena studierenden Japaner in seiner Heimat besser bekannt sei als die Schweiz. Deshalb wurde Pfarrer Spinner in den weimarischen Kirchendienst aufgenommen und der Großherzog zahlte die, zu seiner Besoldung noch fehlende Summe. Im Februar 1885 war Pfarrer Spinner acht Tage hier, um sich dem Großherzog vorzustellen und die nötigen Beziehungen anzuknüpfen, da er mit der in Japan zu bildenden Gemeinde dem weimarischen Kirchenregiment unterstellt werden sollte. Dr. Hesse schreibt in seinen »Erinnerungen« über Pfarrer Spinner: »An höchster Stelle, wie überall, wo man ihn kennen lernte, war das Urteil über ihn dasselbe; tiefe Religiosität und dabei ein klares, unbefangenes Urteil, warme Begeisterung für ein Werk und dabei eine demütige Betrachtung seiner Begabung und die Eigenschaften, die unverkennbar aus seinem Wesen uns entgegentraten, und in denen wir eine Bürgschaft dafür finden zu dürfen meinten, daß er der rechte Mann für seinen hohen Auftrag sein werde.«

Nach Ostern reiste der junge Missionar nach England und von dort im Juli nach Japan ab, wo er im September eintraf. Fünf Jahre hat er dort und in Indien seinen Pflichten obgelegen, viel des Interessanten erlebt und sich mehr Welterfahrung angeeignet, als es den Geistlichen im allgemeinen vergönnt ist. Mit Dr. Hesse war er im fortwährenden Verkehr geblieben und der Großherzog betrachtete ihn als fest an Weimar gebunden. Er hatte ihm persönlich sehr gefallen, sein Wirken im Ausland interessierte ihn, er wollte den Missionar nach Weimar ziehen. Nachdem Spinner sich in der Heimat erholt hatte, gedachte er wieder ins Ausland zu gehen, aber er stand in weimarischen Diensten und die Stelle des ersten Geistlichen, des Superintendenten in Ilmenau war für ihn bestimmt worden. Als Dr. Hesse im Januar 1896 den Abschied nahm – kurz vor seinem fünfzigjährigen Jubiläum – berief Karl Alexander Dr. Spinner aus Ilmenau nach Weimar an Hesses Stelle, an die Spitze der Landeskirche. Hier hat er, als Geheimer Kirchenrat und Oberhofprediger, mit seinem weiten, freien Blick, seiner edlen, liebenswerten, Vertrauen erweckenden Persönlichkeit und seinen wahrhaft frommen und doch liberalen Anschauungen, nun schon sechzehn Jahre gewirkt – zum Segen für das weimarische Land und alle die ihm nahe stehen.

*

Beim Rückblick auf das letzte Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts sieht man als letzten glücklichen Tag, den Weimar mit seinem Fürstenhause beging, den 8. Oktober 1892 vor sich, die goldene Hochzeit des Großherzogs Karl Alexander und seiner Gemahlin, der Großherzogin Sophie. Die ganze Liebe und Dankbarkeit, die man für sie empfand, kam an diesem Tage spontan und warm zum Ausdruck. Die Künstler hatten einen pompösen historischen Festzug vorbereitet, der sehr schön ausfiel, sich bei herrlichem Wetter gut zeigte, und bei dem die festlich-freudige Stimmung der Menschen – Mitwirkende und Zuschauer – glücklich zum Ausdruck kommen konnte. Die Stadt war so voll Fremder, wie fast noch nie, und alle in gehobenster Stimmung.

Im Theater wurde als Vorfeier am 1. Oktober die Tragödie »Bernhard von Weimar« von Ernst v. Wildenbruch gegeben, die dieser auf Wunsch des Großherzogs für dieses Fest geschrieben hatte. Am 8. Oktober war Festtheater. Im schöngeschmückten Haus wurden lebende Bilder aus der thüringischen und holländischen Geschichte, vom Oberregisseur Brandt gestellt, vorgeführt, zu denen Dr. Lassen die begleitende Musik, und die hier lebenden Schriftsteller Oehlschläger und Julius Grosse Dichtungen gemacht hatten.

Es war ein unvergeßlicher Anblick; inmitten des freudig erregten, festlich geschmückten Publikums stand das ehrwürdige Jubelpaar,– die Großherzogin von Diamanten strahlend und mit dem goldenen Myrtenkranz auf den ergrauten Haaren – freundlich grüßend und immer wieder für die Zurufe dankend, die gar nicht enden wollten, an der Brüstung der großen Hofloge, die ihre nächste Umgebung, Kinder und Anverwandte – sowie viele Fürsten Deutschlands – kaum aufzunehmen vermochte.

Niemand konnte damals ahnen, welches Leid dem alternden großherzoglichen Paare noch beschieden sein würde. Schon der Sommer 1894 brachte ihnen und dem ganzen Lande namenlosen Kummer – die Krankheit des Erbgroßherzogs Karl August. – Als ich ihn Anfang Juni zum letztenmal bei einem Vortrag im Saale der »Erholung« sah, wußte man nur, daß er an den Augen litte. Er sah aber aus wie ein Sterbender, und als ich ihn fragte: »Wie geht es Ihnen?« sah er mich unbeschreiblich traurig an, drückte mir lange und fest die Hand und sagte leise: »Nicht gut!« Das war der Abschied.

Die Ärzte fanden ein Nierenleiden und verhehlten ihre Besorgnis nicht, denn sowohl der Kranke, wie seine Eltern, verlangten die Wahrheit zu wissen. Der Erbgroßherzogin wurde die Gefahr noch verborgen um ihre Kräfte zu schonen, die sie zur Pflege so nötig brauchte. Von Ettersburg aus konnte der Kranke noch Jagdausflüge unternehmen, aber die Atemnot war oft peinigend und die Sehkraft ließ nach. Er trug alles ohne Klage, mit großer Geduld und Dankbarkeit für jeden Dienst. Seine Gattin durfte ihn kaum verlassen, denn sie war ihm Pflegerin, Vorleserin und Sekretär.

Im Herbst steigerten sich die Leiden, die durch einen Aufenthalt im Süden gemildert werden sollten. Die Frau Großherzogin war auf ihren Besitzungen in Heinrichau in Schlesien; von dort schrieb sie am 4. Oktober an Herrn v. Palézieux:

Ich ängstige mich sehr vor den Eindrücken, die der Großherzog in Ettersburg haben würde. Sie waren herzzerreißend! Ich weiß, welchen Eindruck ihm ein nagender Schmerz macht. Seine Briefe machen mir den Eindruck, daß er resignirt hat und fühlt, daß er seine Kräfte erhalten muß, um seine Pflichten erfüllen zu können. Ich fühle wie er leidet ...

Trotz aller Beschwerden versammelte der Erbgroßherzog im Oktober noch das Ministerium um sich. Das letzte von ihm Unterzeichnete Aktenstück war wohl der Erlaß zur Einberufung der VI. Landessynode.

Am 17. Oktober fand die Abreise nach Pegli statt, und der Abschied von der Mutter! Dem Sohn gegenüber war sie stark und gefaßt. Seine letzten Worte auf dem Bahnhof waren: »So Gott will, auf Wiedersehen!«

In Pegli besuchte der Großherzog seinen Sohn, der am 31. Oktober mit seiner Gemahlin nach Kap St. Martin übersiedelte. In der Begleitung waren außer der Hofdame Fräulein v. Welck und einem Adjutanten Hofmarschall v. Hadeln und Dr. Engelhardt. Hier war die Frau Erbgroßherzogin nun erst recht die stündliche Begleiterin des Kranken, er konnte sie so wenig entbehren, daß er, wenn sie sich kaum entfernt hatte, frug: »Wo ist meine Frau?« und sie mit freudigem Bück und herzlichem Händedruck begrüßte. Die schöne, warme Luft und der Aufenthalt im Freien brachte momentane Erleichterung, aber keine Besserung. Am 20. November endete dieses teure Leben durch eine hinzugetretene Lungenentzündung.

Die Leiche wurde nach Weimar gebracht und unterwegs überall mit militärischen Ehren empfangen und geleitet. Am 27. November abends kam sie hier an. Unter dem schwersten grauen Novemberhimmel und lautloser Stille in der Natur, durch lautlose Menschenmassen hindurch bewegte sich der Trauerzug vom Bahnhof nach der Hofkirche, wo der Sarg aufgebahrt wurde und schließlich unter der Masse von Blumen ganz verschwand, nachdem andern Tags die Deputationen dem geliebten Herrn die letzte Spende gebracht hatten. Die kleine Kirche war fast ganz erfüllt davon, nur der Raum vor dem Altar blieb frei für die Teilnehmer an den abendlichen Trauergottesdiensten.

Am 29. wurden die sterblichen Überreste dessen, der die Zukunft des Landes gewesen, an der Seite seiner Ahnen in der Fürstengruft beigesetzt. Hinter dem Sarge des Vaters schritt der nunmehrige Erbgroßherzog Wilhelm Ernst, umgeben und gefolgt von Verwandten und Fürsten. Zweitausend alte Krieger mit hundertsechsundfünfzig Fahnen waren gekommen, um ihren Ehrenpräsidenten zum letztenmal zu grüßen, traurig standen die Menschen hinter den spalierbildenden Vereinen in den trauergeschmückten Straßen.

Unvergeßlich steht das Bild des Verstorbenen vor uns, schlicht und einfach, anspruchslos für sich selbst, pflichtgetreu und gewissenhaft, ein lauterer, treuer Charakter, dessen Lebensführung vorbildlich für viele sein könnte. – Vale!

Der Tod des einzigen, ihr so nahe stehenden Sohnes hatte die Frau Großherzogin tief getroffen, so daß sich wohl von der Zeit an auch ihr Ende vorbereitete. Ihr fester Glaube, der sich so schön in dem folgenden Brief an Gräfin Marie Wedel – die Tochter des Grafen Beust, der ihrem Gatten so lange Diener und Freund gewesen – ausdrückt, half ihr den großen Schmerz äußerlich ruhig, zu heldenhaft zu tragen:

Von Frau Gräfin Wedel mir freundlichst zur Benutzung übergeben.Meine liebe Gräfin! Ich war sehr gerührt durch die Gefühle und Gedanken, die Sie mir so warm ausgesprochen haben, sowie von dem Andenken, das Sie meinem Sohne weihen. Sie werden ihn und seine großen Eigenschaften nie vergessen und das Andenken an ihn, mit dem an so viele geliebte Wesen, die Gottes Wille von der Erde abberufen hat, im Herzen bewahren.

Ich habe seit meinen jungen Jahren gelernt, mich mit festem Glauben vor den Wegen Gottes zu beugen. Je mehr Kummer ich durchzumachen hatte, je mehr hat sich dieser Glaube befestigt. Heute giebt er mir die innere Ruhe, und die Göttliche Gnade giebt mir die nöthige Kraft, meine Aufgabe zu erfüllen ...

Das Glaubensbekenntnis, daß die hohe Frau in so kurzen Worten ablegte, bildete die Richtschnur ihres Lebens.

Ein Beispiel, wie sie sich auch für kirchliches Leben, für den Fortschritt des Protestantismus interessierte, erzählt Dr. Nippold, Professor der Theologie in Jena. »Großherzogin Sophie von Sachsen und die Begründung des Evangelischen Bundes.« (Mai-Heft der »Deutschen Revue«, Stuttgart 1907.) Er erhielt eines Tages (wohl im Spätherbst 1886) die unerwartete Depesche aus Weimar: »Ich erwarte Sie morgen um ein Uhr. Sophie.« Er schreibt:

»Zur Erklärung dieses Telegramms muß nur beigefügt werden, daß der Großherzog auch in diesem Winter auf längere Zeit von Weimar abwesend war, die ihm von Lipsius gemachte Eröffnung (von der projektierten Gründung des »Evangelischen Bundes«) aber vorher seiner Gemahlin mitgeteilt hatte.

»Es ist eine mehr als zweistündige, überaus lebhafte Unterhaltung gewesen, welche die Großherzogin mir an dem folgenden Tage vergönnte. Die hohe Frau hatte ersichtlich alles so eingerichtet, daß keinerlei Störung eintreten konnte. Ohne Anmeldung bei einem der Hofbeamten wurde ich direkt durch den Diener zu ihr geführt. Sie hatte, wie ich bald bemerkte, niemand von dieser Audienz Mitteilung gemacht, sich aber zugleich die Sache, um derentwillen sie mich zu sich beschied, aufs genaueste zurechtgelegt.

»Es war – kurz gesagt – die Sorge, daß, wenn der Aufruf zur Begründung des Evangelischen Bundes in die Zeit der Agitation für die Reichstagswahlen hineinfalle, eine verhängnisvolle Komplikation entstehen könne. Den großen nationalen Plänen des Fürsten Bismarck würden auf diese Weise, wie die Großherzogin sich wörtlich ausdrückte, ›die Zirkel gestört werden‹. Der Fürst werde diese Störung als eine Opposition gegen seine Politik empfinden und als solche zu verhindern suchen. Dadurch aber würden anderseits die Führer einer Bewegung, die an sich durchaus keine Opposition gegen den Reichskanzler bezwecke, gegen ihren Willen in eine Oppositionsstellung gedrängt. So könnten nach beiden Seiten unberechenbar schwere Folgen entstehen.

»Es war ersichtlich das wärmste Interesse an der Sache, aus dem diese Besorgnis hervorging. Wohl noch von niemand war die gewaltige Tragweite der Aufgabe, die der Bund sich gestellt hatte, so klar verstanden und definiert worden. Die Leiter der Bewegung haben sich auch stets mit lebhaftem Dankgefühl dieser für dieselbe so förderlichen Intervention erinnert. In jener Stunde aber ist mir persönlich eine nicht leichte Aufgabe gestellt gewesen. Der durchdringende Verstand und das warme Gemüt der Großherzogin gaben allem, was sie sagte, eine erhöhte Bedeutung. Auch die Gründe, aus denen sie, wie sie mir offen erklärte, gerade mich zu sich beschieden hatte, mußten einen tiefen Eindruck auf mich machen. Jeder der genau überlegten, langsam ausgesprochenen Sätze, in denen sie ihre Mitteilungen zum Ausdruck brachte, verlangte ernsthafte Erwägung.«

Nachdem Nippold noch von den Zeit- und Personalfragen gesprochen, die die Großherzogin erörterte, erzählt er weiter:

»Die der Großherzogin besonders am Herzen liegende Rücksicht auf die große Bismarcksche Nationalpolitik mußte auch mir sofort als durchschlagend erscheinen. Ich nahm denn auch natürlich keinen Anstand, alsbald zu versichern, daß gewiß auch die andern Mitglieder des provisorischen Vorstandes ebenso denken würden. Das Versprechen, dieselben über jene Sachlage aufzuklären, hat denn auch ohne weiteres eingelöst werden können und selbstverständlich den gewünschten Erfolg gehabt. Wir haben unsern Aufruf bis nach den – zum letztenmal im nationalen Sinne ausfallenden – Reichstagswahlen vertagt. Und eine Woche bevor er erschien, hat Fürst Bismarck die nötige Mitteilung erhalten.«

Professor Dr. Nippold bemerkt noch, daß, auf den Rat der Frau Großherzogin, den maßgebendsten Persönlichkeiten, Fürst Bismarck und Kultusminister v. Goßler, ehe überhaupt etwas über die Gründung an die Öffentlichkeit kam, Eröffnungen darüber gemacht worden seien. Noch spricht er von der großen Wertschätzung, die Kaiser Wilhelm seiner Schwägerin entgegengebracht habe, »sie haben fast jeden Herbst längere vertrauliche Zusammenkünfte gehabt.« – Nach der Gründung des »Evangelischen Bundes« hat Karl Alexander die Bestrebungen desselben unterstützt, wo er nur konnte.

Aus einem Brief ohne Datum, den die Frau Großherzogin nach dem Tod ihres Sohnes – wahrscheinlich 1895 – an Palézieux schrieb, als man diesen gefragt hatte, ob er einen Gouverneurposten in Afrika annehmen würde, weil er sich um die Kolonialgeschäfte schon sehr verdient gemacht hatte, ersieht man, wie sie an ihren und den Tod des Großherzogs dachte und für die Zukunft vorsorgte, indem sie diese Vertrauensperson für ihr Haus und für Weimar zu erhalten suchte:

Der Großherzog sprach mir eben von der Sache, die zwischen Ihnen und M. R. verhandelt worden ist. Ich möchte Ihnen sagen, daß der Gedanke, Ihre Hülfe und Stütze zu verlieren, jetzt noch mehr einem Unglück gleichkäme als früher. Sie werden vielleicht meinen Egoismus empfinden, aber Sie wissen, daß ich bei den jetzigen traurigen, ernsten, schweren Verhältnissen an das Ganze denke.

Der Großherzog fühlt, was er alles verlieren würde. Wenn Sie können, so bewahren Sie uns noch Ihre Ergebenheit, wir brauchen sie so nothwendig.

Ich wiederhole Ihnen den Ausdruck aller meiner Gefühle, die Sie seit lange kennen.

Es war der Frau Großherzogin noch vergönnt, am 28. Juni 1896 das von ihr erbaute Goethe-Schiller-Archiv einzuweihen, umgeben von ihrer Familie und einem großen Kreis erlesener Gäste; sogar in unverminderter Geistesfrische improvisierte Dankesworte auf die Ansprachen zu erwidern – es war ein weihevoller Augenblick im literarischen Leben des deutschen Volkes und ein Höhepunkt im Leben dieser edlen Fürstin.

In ihrer Umgebung wußte man, daß ihre Kräfte schwanden, für weitere Kreise war ihr Tod am Abend des 23. März 1897 ein überraschender Schlag. Karl Alexander war zum 22. März, dem hundertjährigen Geburtstag Kaiser Wilhelms, nach Berlin gefahren; sie hatte – entgegen dem Rat ihres bewährten Arztes, Geheimen Rats Dr. Pfeiffer – Abordnungen der Bürgerschaft empfangen. Am Tage darauf endete ein sanfter Tod dieses reiche Leben.

Am Abend des 25. wurde die Leiche in der Hofkirche, wo auch ihr Sohn gelegen, aufgebahrt. Zwei Tage hatte jedermann Zutritt, am dritten wurden die angemeldeten Deputationen eingelassen und wieder verwandelte sich der ganze Raum in einen Riesenkatafalk von Blumen, vor welchem jeden Abend Trauergottesdienst gehalten wurde. Am 29. erfolgte die Beisetzung in der Fürstengruft neben ihren beiden verstorbenen Kindern, Sophie und Karl August. Wieder schritt der Erbgroßherzog Wilhelm Ernst hinter dem Sarge her, neben ihm Kaiser Wilhelm und der König von Sachsen, hinter ihm sein Bruder Bernhard Heinrich und alle deutschen Fürsten oder deren Abgesandte.

In dem Erlaß, den Karl Alexander am 30. März veröffentlichen ließ, heißt es:

»Eine Mutter im besten Sinne des Wortes ist Meine in Gott ruhende Gattin dem Lande gewesen. Mit ihren reichen Gaben des Geistes und Herzens hat sie die mannigfaltigsten Gebiete des Lebens umfaßt, schaffend, helfend, fördernd und beglückend.«

Mochte man dieser Heimgegangenen das Größte und Schönste nachrufen, für das was sie geleistet hatte war nichts zu viel. Weimar hat eine Anna Amalia besessen, eine Herzogin Luise und Maria Paulowna, wie verschieden sie auch gewesen, rede war groß in ihrer Art – und die Großherzogen Sophie vielleicht die größte an Verstand, Charakter und Selbstlosigkeit. Ihr Bild trägt – geistig und körperlich – vorherrschend ernste Züge, in der Ruhe hatte ihr Gesicht einen fast strengen Ausdruck; aber der offene, wohlwollende Blick, das feine Lächeln, das sich beim Sprechen um den Mund legte und die nicht schönen Züge verklärte, gaben ihr eine große Anziehungskraft. Wie vornehm wirkte ihre, doch ziemlich kleine Gestalt, die auch im Alter noch eine ganz eigentümliche Grazie besaß, die sich besonders in ihrem Gruß beim Eintritt in eine Gesellschaft ausdrückte. Man konnte nichts Hoheitsvolleres und zugleich Liebenswürdigeres sehen. In allem, was sie tat, lag ein großer Zug und größte Einfachheit und Würde, jede Kleinlichkeit und Halbheit war ihr verhaßt und keine Enttäuschung konnte sie von ihrem Wege abbringen, auf dem sie nur für das Wohl anderer – der ihr Anvertrauten – lebte.

Einige Worte aus der Grabrede des Oberhofpredigers Spinner in der Fürstengruft mögen den Schluß bilden:

»Unseres Herzens Freude hat ein Ende. Die Krone unseres Hauptes ist abgefallen. Schmerz durchzittert unsre Seele und unsres Herzens Klage hallt wider in der Brust eines ganzen Volkes, das da weinet wie um eine Mutter.«

Tief gebeugt ging unser alter Großherzog einher, nachdem ihm seine treueste Freundin, die langjährige Gefährtin genommen war. Seine Töchter und Enkel sowie deren Mutter, die verwittete Erbgroßherzogin umgaben ihn mit großer Liebe. Er trug die Schicksalsschläge, die 1890 mit dem Tode der Kaiserin, seiner so sehr geliebten Schwester, begannen, mit rührender Ergebung. Bernhard Suphan, der Direktor des Goethe-Schiller-Archivs, berichtet, Schriften der Goethe-Gesellschaft, 21, XVII ff. daß er nach dem Tode des Erbgroßherzogs zu Karl Alexander gerufen worden sei und dieser ihn mit den Worten empfangen habe: »Ich habe Sie kommen lassen, damit Sie mir einige Bücher vorschlagen, die meiner Seele eine Stütze geben können.« Suphan erinnerte sich daran, was Goethe für die Herzogin Luise ausgesucht, um sie nach dem Tode ihres Kindes zu trösten, und sandte dem trauernden Vater dieselben Schriften; den ersten Band von Herders »Ideen« mit den Kapiteln: »Zur Religion und Humanität ist der Mensch gebildet,« und »Der Mensch ist zur Hoffnung der Unsterblichkeit gebildet;« außerdem »Winkelmann und sein Jahrhundert« und »Goethes Sprüche in Prosa«. Daran erkennt man die Erziehung Goethes, auf deren Basis und nach deren Grundsätzen Karl Alexander weiterbaute, sich bildete und in Selbstzucht übte. – An Cranach schrieb er am 24. November 1894:

Ich bin überschüttet mit Pflichten und Anforderungen, die, so peinlich sie sind, doch fast zur Wohlthat werden, denn sie zwingen zu fortgesetzter Anstrengung und Selbstüberwindung.

Seine Stimmung nach dem Tode der Großherzogin zeigt sich in folgenden Briefstellen an Cranach:

6. April: Ich habe Gott lob viel zu thun und zu schaffen. Und obgleich Alles immer wieder fast nur schmerzlich ist, so hilft es doch, denn Pflichterfüllung ist eine wahre Wohlthat, hauptsächlich in schwerem Kummer. Dies war die Meinung der Großherzogin, dies ist die meine auch. Gott hat mir Kraft und Beistand gegeben, dies führe ich wirklich. Er helfe mir weiter! Amen.

20. April: Die Einzelheiten der Folgen eines Unglücks gehören zu den schmerzlichsten Stichen, die man wohl durchzufühlen hat. Ich mache jetzt diese Erfahrung gründlich. Beklage mich und gedenke meiner in meinem Leid in treuem Mitgefühl.

12. Oktober: Goethe sagt: »Wenn Du stille bist, wird Dir geholfen.« Dies Wort begegnete ich vergangenen März in den entsetzlichsten Momenten meines Lebens. Es hat mir damals und seitdem geholfen.

1. Februar 1898: Das Gefühl, das zwingende, eine Pflicht erfüllen zu müssen, hat immer etwas stärkendes, tröstendes in sich.

23. März 1899 (Todestag der Großherzogin): Die Ueberzeugung, daß zwischen hier und dort eine wirkliche Verbindung besteht, wird ein Trost, wenn schwerer Kummer auf der Seele lastet. Dies Gefühl muß in immer weitere größere Thätigkeit hineingeflochten und fest verbunden werden.

Der Kummer, der auf der Seele lastet, sollte für den armen Großherzog kurz vor seinem Tode noch verschärft werden, das Unglück häufte sich in den letzten Jahren seines Lebens, er mußte auch noch ein Glied aus der jüngsten Generation seines Hauses ins Grab sinken sehen. Sein Enkel, Prinz Bernhard Heinrich, kam vom Manöver auf die Wartburg und bekam eine Lungenentzündung, die ihn in wenigen Tagen, am 1. Oktober 1900, dahinraffte. Die Anwesenden konnten den rührenden Anblick nicht vergessen, als der Greis an der Leiche des jungen Mannes kniete. Die Erbgroßherzogin Pauline, die im Süden weilte, weil ihre Gesundheit es forderte, fand den Sohn als Leiche vor.

Karl Alexander schrieb am 10. November von Weimar aus an Cranach:

... und zu den Akten der traurigen Tage fügen, die ich auf der Wartburg erlebt habe. Diese ist mir eigenthümlich wie neu verbunden, denn schmerzliche Erinnerungen entfernen oder verbinden. Letzteres empfinde ich immer wieder, wenn ich täglich in den Räumen wirke und athme, wo meine liebe Frau es that. Gott lob ist für mich des Wirkens viel, seitdem ich zurück bin. »Gottlob« sage ich, denn Arbeit ist des Lebens Bedingung, ist Trost, ist das Leben selbst.

Aus den Aussprüchen in diesen kummervollen Zeiten erkennt man den festen Gottesglauben des alten Herrn. Sein Glaube stand ebenso fest wie seine Pflicht, in seinen Landen, besonders in Jena und Weimar, die liberale Richtung der Theologen auf Lehrstuhl und Kanzel zu erhalten. Die Universität Jena lag ihm ganz besonders am Herzen, ein Rückgang derselben wäre ihm ein tiefer Schmerz gewesen. Er hielt fest an der Freiheit der Forschung und Lehre. Seiner und der beteiligten Regierungen Opferfreudigkeit war es zu danken, daß schwere Zeiten glücklich überwunden wurden.

Er bemerkte darüber in einem Brief aus Belvedere, datiert vom 3. Juni t894, an Cranach:

Ich bin vorgestern höchst befriedigt hierher von meinem Jenaer Aufenthalt zurückgekehrt. Dieser Verkehr mit Männern, von denen jeder einen besonderen Theil der Wissenschaft – im Allgemeinen als Einheit verstanden – dient, ist eine Wohlthat. Eine andere: das Herantreten an verschiedene, an neue, an weite Horizonte. Dabei sind viele neue Diener der Wissenschaft eingetreten und tragen die Zeichen der Gegenwart, also des allgemeinen Weltverkehrs. Es ist eine Freude mit ihnen zu verkehren.

Neben Staatsrat Seebeck, dem vortrefflichen früheren Kurator, Kuno Fischer, Karl Hase, Delbrück, Haeckel usw. verkehrte der Großherzog auch mit dem, schon als Berater der Großherzogin genannten, Professor Nippold. Dieser erzählt »Führende Persönlichkeiten zur Zeit der Gründung des Deutschen Reiches« von Prof. Dr. Nippold. (Berlin 1911) von einem langen Gespräch, das er mit Karl Alexander in dessen Wohnung im Prinzessinnengarten in Jena gehabt, in dem sich derselbe eingehend über den Evangelischen Bund und die Pflichten der Kirche in den nächsten Jahren unterrichtet und sich eifrig Notizen gemacht habe, und fügt hinzu:

»Jedesmal, wenn ich dieser Stunde gedenke, ergreift mich das Gefühl ehrfurchtsvoller Weihe. Die anspruchslose, ja bescheidene, durch und durch wahrhaftige Art, mit welcher der greise Großherzog sich gab, atmete ein christliches Pflichtgefühl, wie es ernster nicht gedacht werden kann. Das Bewußtsein um die Pflicht des Landesherrn gegen sein eigenes Land und die von ihm geleitete Kirche ging hier gewissermaßen auf in der Anteilnahme des einzelnen deutschen evangelischen Fürsten am großen Ganzen.«

Bei den vielen Reisen, die der Großherzog in früheren Zeiten unternahm, hatten viele geglaubt, daß er nur Zerstreuung, Abwechselung und Vergnügen suche und zur Oberflächlichkeit neige. Später sah man doch, daß er alles mit feiner Beobachtung genossen hatte. Sein ausgezeichnetes Gedächtnis unterstützte er noch durch das Lesen einschlägiger Schriften, tägliche Notizen in sein Tagebuch und rasch entworfene Zeichnungen in ein Heft, das er beständig – selbst im Kriege – bei sich trug und viel benutzte. Er war im kleinen Kreis ein vorzüglicher Causeur, da wurde einem klar, wie viel Wissen, gute Beurteilung und Verständnis für Menschen und Länder, Kunst und Wissenschaft er besaß, über der Unterhaltung schwebte oft ein feiner Humor, dann kam auch wieder die etwas geschraubte Phrasenhaftigkeit hervor, die ihm und seinen Schwestern von jeher eigen gewesen, und die ritterliche Liebenswürdigkeit, die einen französischen Legitimisten zu dem Ausspruch brachte: » II est le dernier gentilhomme du siècle.«

Den Verkehr mit schaffenden Künstlern, die zugleich ihm sympathische Menschen waren, suchte und fand er bis in die letzten Jahre seines Lebens; so zog er Richard Voß an sich, den er zum Bibliothekar der Wartburg ernannte. Er hatte ihn oft wochenlang um sich und besaß an ihm einen treuen, sehr anhänglichen Freund und Verehrer, dessen Arbeiten ihm viel Freude bereiteten. – Um Ernst v. Wildenbruch hat der Großherzog lange geworben, aber erst seit 1892 kam dieser mit seiner Gattin, der Enkelin Karl Maria von Webers, alljährlich auf einige Zeit hierher, bis er endlich – aber erst nach dem Tode Karl Alexanders – Weimar, das er lieben gelernt, zum Sommeraufenthalt erkor und sich auf dem »Horn« ansiedelte. – Von den regelmäßig hier einkehrenden Berlinern, die den Großherzog interessierten, seien noch Herman Grimm und seine Frau, Gisela geborene Arnim, genannt, sowie das schon früher genannte Ehepaar Karl Frenzel; nicht zu vergessen Herrn v. Loeper, den wir oft monatelang zu den Unsrigen zählen konnten. – Mit solchen Menschen war der gnädigste Herr im richtigen Fahrwasser, haßte er doch jede triviale, inhaltlose Lebens- und Zeitverschwendung – wie z. B. das Kartenspiel – und erkannte jedes ernste Streben mit Freuden an. – Die Entstehung des »Nietzsche-Archivs« hat er auch noch erlebt, da der unglückliche Dichter aber schon körperlich und geistig gelähmt war und eine philosophischen Arbeiten dem Großherzog fern lagen und unsympathisch waren, hat diese Bereicherung Weimars ihn nicht mehr sehr berührt.

Ein Plan, der ihn seit lange beschäftigte, war, eine deutsche Akademie für Sprache und Literatur in Weimar zu gründen. Siehe die Briefe an Baron v. Loën im Anhang. In Gedanken knüpfte er an den »Deutschen Palmenorden« an, den weimarische Prinzen 1617 mit dem Fürsten Ludwig von Anhalt gestiftet hatten und dessen zweites Oberhaupt von 1651-1662 Wilhelm I. von Sachsen-Weimar war. Karl Alexander hatte selbst Entwürfe für eine Akademie gemacht, aber auch den Schriftsteller Rudolf v. Gottschall mit einem solchen beauftragt, wie dieser in der »Deutschen Revue« von 1907 erzählt. Gottschall kam mit seiner Arbeit hierher und las sie dem Großherzog und Baron v. Loën vor, die sie guthießen und eine Besprechung mit den Ministern in Aussicht stellten. Die Sache schlief wieder ein, wahrscheinlich weil das weimarische Land die Kosten nicht hätte erschwingen können, und unter der Beihilfe des Deutschen Reiches eine solche Anstalt wohl nicht nach Weimar, sondern nach Berlin gekommen wäre. So weit Gottschall. – Nun wollte es das Schicksal, daß kurz vor Schluß des Jahrhunderts die Anregung von Berlin aus gegeben wurde, in Weimar eine Akademie unter dem Protektorat des Großherzogs Karl Alexander zu gründen. Alles war eingeleitet und unter der Hand vorbereitet, – es war sicher die letzte Freude dieser Art, die dem alten Herrn wurde – da trat sein Tod ein und brachte den Plan zum Stocken, denn nur seines selbstlosen, freudigen Interesses wegen und weil er es so vortrefflich verstand, » de payer sa personne« wie der Franzose sagt, hätte man eine kleine Stadt für eine solche Anstalt wählen können.

Seinen ersten Geburtstag nach dem Tode der Großherzogin verbrachte Karl Alexander in Schwerin bei seiner Tochter Elisabeth und ihrem Gemahl, dem Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg, der damals für seinen minderjährigen Neffen die Regierung führte und später Regent von Braunschweig wurde. Die Nähe von Bismarck in Friedrichsruh ließ in dem alten Herrn den Wunsch aufsteigen, den ersten Reichskanzler in der Verbannung aufzusuchen. Bei dem Besuch waren General v. Palézieur und der Kabinettsekretär und Kammerherr Freiherr v. Egloffstein in der Begleitung des Großherzogs. Egloffstein erzählt »Im Dienste des Großherzogs Karl Alexander; ein Erinnerungsblatt« von Hermann Freiherrn v. Egloffstein. (Berlin 1911.) eingehend von diesen merkwürdigen Stunden und wie bewegt die beiden alten Herren waren, als sie sich feuchten Auges am Zug das letzte Lebewohl zuwinkten. Auch hier handelte Karl Alexander nach Treue und Pietät – seinen schönsten Eigenschaften – trotzdem für einen Fürsten Mut dazu gehörte, den großen Abgesetzten auszusuchen. Diesen Mut hatte auch seine älteste Tochter Marie Alexandrine, die Bismarck bei seiner Anwesenheit in Wien – wohin er wegen der Hochzeit seines Sohnes kam – aufsuchte, trotzdem der damalige Reichskanzler Caprivi dem deutschen Botschafter Prinzen Reuß, ihrem Gatten, verboten hatte von Bismarck Notiz zu nehmen.

In den letzten Jahren erlitt der Großherzog noch manche Verluste in der gesellschaftlichen Umgebung, die ihn schmerzten, er konnte es nicht vertragen, wenn jemand Weimar freiwillig verließ, und hegte einen wahren Groll gegen diese Treulosen. Auch der Tod lichtete den Kreis derer, die ihm an Jahren nahe standen. Prinz Otto Wittgenstein nahm den Abschied als Adjutant und verließ Weimar mit seiner Gattin; sein Bruder war schon vor ihm weggezogen. Graf Ernst Wedel, der Oberstallmeister des Großherzogs, wurde von dem jungen Kaiser an dieselbe Stelle nach Berlin berufen. Graf Görtz verlegte den ständigen Wohnsitz seiner Familie auf sein Gut Schlitz und behielt hier nur ein Absteigequartier. Graf Leo Henckel starb 1895 und seine Witwe verließ Weimar. Oberjägermeister v. Strauch, der Karl Alexander sehr nahe gestanden, starb 1898. Er konnte den Tod des liebenswürdigen, treuen Mannes schwer verschmerzen und kam oft, besonders an jedem Totensonntag, zu dessen Witwe, um von dem Verstorbenen zu sprechen. Paul v. Joukowsky konnte er es nicht verzeihen, daß dieser im Jahr 1900 Weimar wieder verließ und nach Rußland zurückkehrte, trotzdem der Grund dazu triftig genug war: Kaiser Alexander III. übertrug ihm die Ausführung des Denkmals zum Andenken an Alexander II. auf dem Kreml in Moskau. Wie hätte sich der alte Herr gefreut, wenn er die endgültige Übersiedelung nach Weimar, dieses ihm sympathischen Menschen und Künstlers, noch erlebt hätte.

Die Umgebung des Großherzogs befleißigte sich nach dem Tode der Frau Großherzogin noch ganz besonders, ihrem Herrn die Einsamkeit nicht zu fühlbar werden zu lassen. Seine Töchter besuchten ihn oft und die Prinzen waren hier, soviel es der Dienst erlaubte. Graf Oskar Wedel führte die Hofhaltung im Sinne der Verstorbenen weiter, Palézieux war die Hauptstütze des Großherzogs, mit dem er alles besprach, und Graf Bylandt-Reydt, sein Adjutant, sorgte treu für das körperliche Wohl seines Herrn. Hermann v. Egloffstein suchte Lektüre aus und las abends vor, wenn der Großherzog zu Hause blieb. Die Staatsdame Auguste v. Watzdorf, die seit 1860 im Dienste der Großherzogin Sophie gestanden, ernannte er zur Oberhofmeisterin mit dem Titel Exzellenz und gab ihr dadurch den Rang der ersten Dame seines Hofes für die Repräsentation. Sie war ihm von jeher sympathisch und sehr vertraut mit allen Angelegenheiten seines Hauses, so verbrachte er oft die Abende bei ihr, sie lud ihm einige ihm angenehme Menschen ein und er zeigte sich da von seiner liebenswürdigsten Seite. Die Frau Erbgroßherzogin mußte die kalte Zeit im Süden verbringen, so kam es, daß er sich ihrer Gesellschaft nicht oft erfreuen konnte; aber ihre Oberhofmeisterin, Gräfin Bothmer, die seit 1875 in ihrem Dienste war, die Gehilfin des Zentralvorstandes des Frauenvereins, stand ihm in allen Angelegenheiten, die er an Stelle seiner Gattin übernommen, treu und ergeben zur Seite. Die Pflichttreue, mit der der alte Herr diese Angelegenheiten der Großherzogin zu den seinen machte, war oft rührend. Früher hatte er eine wahre Scheu vor Kranken und Toten, jetzt erschien er oft im Sophienhaus, bekümmerte sich nicht nur eingehend um alle Vorkommnisse, sondern setzte sich an die Betten der Kranken und erfreute sie mit seiner Teilnahme und Hilfsbereitschaft. Sein ganzes Wesen war weicher, einfacher, liebevoller und darum liebenswerter geworden.

Am 31. Dezember 1899 entbot der Großherzog Karl Alexander den unter seinem Schutze stehenden drei großen Stiftungen seinen fürstlichen Gruß in folgendem Schreiben:

An der Wende des Jahrhunderts wird Mir Bedürfniß, der Goethe-Gesellschaft, der Schillerstiftung und der deutschen Shakespeare-Gesellschaft den aufrichtigsten Anteil auszusprechen, den Ich an ihren Arbeiten und Bestrebungen nehme. Ihre Vereinigung unter Meinem Protektorat in Weimar ist mir ein wertvoller Beweis, daß Weimar wie zu Anfang, so am Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein Mittelpunkt im Leben des deutschen Volkes ist, würdig der großen Ueberlieferungen einer unvergleichlichen Zeit. Diese im Geiste Meiner Vorfahren fortzuführen, ist Mir und Meiner unvergeßlichen Gemahlin, weiland Ihrer Königlichen Hoheit der Großherzogin Sophie, Königlichen Prinzessin der Niederlande, eine tief empfundene Pflicht gewesen, deren Erfüllung, wie von Mir stets erkannt worden, nur ermöglicht worden ist durch die allgemeine und vertiefte Anteilnahme Deutschlands an den Kulturarbeiten, die mit Weimars Namen unlöslich verbunden sind.

Indem ich Ihnen als den Vertretern weiter und bedeutender Kreise der Nation heute meinen Dank für solche Mitwirkung ausspreche, gebe ich zugleich der Hoffnung Ausdruck, daß auch im kommenden Jahrhundert die Beziehungen sich fest und fester gestalten werden, die Weimar mit allen Betätigungen des deutschen Genius in Literatur, Wissenschaft und Kunst verbinden, unter dem fördernden Schutz Meines Hauses, das stets als eine vornehme Aufgabe erachten wird, das ihm überkommene Erbe der klassischen Zeit als nationalen Besitz zu hüten und fruchtbringend zu gestalten, in weihevoller Pflege heiliger Erinnerungen, aber auch im Hinblick auf schöpferische Ausgestaltungen des Schönen und Wahren in neuen Formen, die eine aus der Vergangenheit erwachsende große und reiche Zukunft dem deutschen Volke spenden möge auf seinem Wege aufwärts zu den höchsten Zielen nationaler Entwickelung.

Weimar, 31. Dezember 1899.
(gez.) Karl Alexander.

Die drei nationalen Institute dankten gemeinsam durch ihre Vorsitzenden:

Durchlauchtigster Großherzog!
Gnädigster Herr und Fürst!

Euerer Königlichen Hoheit huldvolles Schreiben, in ernster Stunde an uns gerichtet, hat uns auf das Tiefste bewegt als neuer Beweis der wohlwollenden Gesinnung, mit der Höchstdieselben stets das Wirken unserer Vereinigungen begleitet haben, das, wenn auch nach den verschiedenartigen Aufgaben verschiedenartig gestaltet, seinen gemeinsamen Mittelpunkt besitzt in der Förderung der nationalen Wohlfahrt auf idealem Gebiete, in der Pflege der Offenbarungen deutschen, germanischen Geistes. Solche Gemeinsamkeit des Zieles findet ihren berechtigten Ausdruck in dem gemeinsamen Protektorat Eurer Königlichen Hoheit, Höchstwelche, treu dem leuchtenden Beispiel großer Vorfahren folgend, im Verein mit der verewigten Frau Großherzogin Sophie, unvergeßlichen Andenkens, an der Arbeit des deutschen Volkes in Literatur, Kunst und Wissenschaft immer fördernden Anteil genommen und das Erbe einer großen Zeit in den Dienst der Nation gestellt haben. Bedeutungsvoll mahnt das Scheiden des neunzehnten, das Kommen des zwanzigsten Jahrhunderts an den, Wechsel der Zeiten und an die Wandlungen in den Anschauungen. Auch unsere Aufgabe darf nicht sein die Beschränkung auf die Pflege der Vergangenheit allein, sondern sie wird sich fruchtbringend auch für die Zukunft gestalten in der lebendigen Antheilnahme an den Schöpfungen deutschen Geistes in neuen Ausgestaltungen. Aber das Echte wird immer nur hervorgehen aus der Durchdringung mit den Ideen des Schönen und Wahren, die dem deutschen Volke die Großen von Weimar verkündet haben. Darum wird in allen Zeiten unlöslich bleiben das Band, das Goethe-Gesellschaft, Schillerstiftung und Shakespeare-Gesellschaft mit Weimar und seinem Fürstenhause vereinigt.

Euere Königliche Hoheit wollen unsern ehrerbietigsten Dank für die Zusicherung entgegennehmen, daß wie in der Vergangenheit so auch in der Zukunft dieser hohe Schutz unserem Wirken nicht fehlen soll.

Am 3. Januar 1900.
Der Vorsitzende der Goethe-Gesellschaft: (gez.) Ruland.
Der Vorsitzende des Verwaltungsrats der deutschen Schillerstiftung: (gez.) Freiherr v. Gleichen-Rußwurm.
Der Vorsitzende der deutschen Shakespeare-Gesellschaft: (gez.) Ochelhäuser.

Der letzte Gedenktag, den Karl Alexander erlebte, war die Aufführung des »Lohengrin« am 6. Dezember 1900, zum Andenken an dessen erstmaliges Erscheinen am 28. August 1850. Am Vormittag hatte der Generalintendant v. Vignau mit seiner Gattin alle an der Feier beteiligten – besonders alle Gäste, unter denen sich viele der ehemaligen Lisztschüler befanden – eingeladen, um sie dem Großherzog vorzustellen. Dieser wurde nicht müde, mit allen zu sprechen, zeichnete aber besonders Frau v. Milde aus, die 1850 die »Elsa« kreïrt hatte, und der er zu diesem Fest die Medaille für Kunst und Wissenschaft verliehen hatte. Am Abend wohnte der Großherzog der ungestrichenen Vorstellung des »Lohengrin« bei, die fünf Stunden dauerte, und sprach nachher noch – in sehr gehobener Stimmung – mit den daran beteiligten Künstlern. Viele haben den alten Herrn wohl an dem Tage zum letztenmal gesehen.

Er ging auch bis zuletzt noch auf die Jagd und lud im Herbst immer einige Freunde nach Allstedt ein, unter andern den Grafen Ferdinand Harrach, mit dem ihn von den sechziger Jahren an freundschaftliche Bande verknüpften. Das letzte Bild des Großherzogs, im Jagdanzug, hat Graf Harrach auf der letzten Zusammenkunft gezeichnet und es für die Freunde reproduzieren lassen. Es ist auch das letzte in diesem Buche.

Die Jagd sollte für den zweiundachtzigjährigen Großherzog verhängnisvoll werden. – Mitte Dezember zog er sich eine Erkältung zu, bei der er sich nicht schonte und die dadurch zur Lungenentzündung wurde. Am 5. Januar 1901 entschlief Karl Alexander sanft. Mit ihm schloß die alte Zeit, das Jahrhundert, ab. Er hatte fast auf den Tag dasselbe Alter erreicht wie sein Erzieher und Vorbild Goethe.


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