Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Sei hochgepriesen, Herr und Gott,
Daß nun die Zeit gekommen,
Wo unsrer alten Feinde Spott
Ein Ende hat genommen!
Wo alle Stämme rasch und kühn
Sich um den Adler scharen,
Wo alle deutschen Herzen glühn,
Ihm Treue zu bewahren.
Ja, unser ganzes Vaterland,
Vom Süden bis zum Norden,
Nun ist's von
einer Glut entbrannt,
Nun ist es einig worden.
Und unser deutsches Heldenblut
Und unser deutsches Eisen,
Sie werden Frankreichs Übermut
Vernichten und zerreißen!
Mit diesem Gedicht – »und die Tinte noch naß« – empfing mich eine siebzigjährige mütterliche Freundin am Tage der Kriegserklärung 1870 in Bayreuth, die unter ihrem Mädchennamen, Adelheid v. Stolterfoth, als Rhein-Dichterin bekannt war. Bei ihr verlebte ich die ersten Wochen Meine Erlebnisse während der Krieges habe ich in »Zwei Menschenalter« erzählt., in denen die Siegesnachrichten uns beide, die wir im höchsten Enthusiasmus lebten, in einen Taumel des Glückes versetzten, den nur die Nachrichten über unsere Verluste dämpfen konnten. Die damalige Stimmung in Deutschland kann man kaum jemand begreiflich machen, der sie nicht miterlebt, mitempfunden hat. Die besten Gefühle wurden wachgerufen, denn es galt, für das Vaterland gegen den Erbfeind zu ziehen, der unsern langjährigen Groll durch fernen Hochmut beständig geschürt hatte. – Nur zwei bis drei Tage hatte man von den unerhörten Forderungen Napoleons gehört, kaum begriffen, daß sie Grund zum Kampfe abgeben könnten, da kam am 15.Juli auch schon die Kriegserklärung, die wie Blitz und Donner in das ruhige Leben fuhr, um ganz Deutschland zur höchsten Tatkraft aufzurufen. Den weimarischen Soldaten wurde die Nachricht abends gegen 8 Uhr mitgeteilt, als das Bataillon eben zu einer nächtlichen Übung ausrücken sollte, und natürlich mit dem unerhörtesten Jubel aufgenommen. Die fieberhafteste Tätigkeit begann von allen Seiten, jeder fühlte seine Kräfte sich verdoppeln. Schon am 17. konstituierte sich ein Verein, um dem durchfahrenden Militär, und besonders unserm Regiment, Notwendiges zu beschaffen. Ein Komitee nach dem andern wurde gebildet, um für die Verwundeten zu sammeln und zu arbeiten. – Der französische Gesandte erhielt seine Pässe und reiste ab. – Der Erbgroßherzog, der in der Schweiz war, fuhr direkt nach Düsseldorf, um sich der Armee anzuschließen.
In dieser schweren Zeit sah man, wie vortrefflich P. v. Bojanowski die »Weimarische Zeitung« führte. Seine Leitartikel waren so voll patriotischen Empfindens und vornehmer Gesinnung, daß das Blatt nicht nur hier, sondern auch in weiteren Kreisen – selbst in Berlin am Königshofe – Beachtung fand und manch Gutes schaffen konnte. – Natürlich wurden unendliche Massen von patriotischen Liedern eingesandt und nur einige der besten gedruckt; hier sollen auch von diesen nur Bruchstücke gebracht werden. Freiherr Hugo v. Blomberg, der an der Kunstschule arbeitete, veröffentlichte Ende Juli ein »Deutsches Kriegslied«, dessen letzter Vers lautet:
Und Du, dem Gott zum heil'gen Streite
Des Rächers Cherubschwert vertraut,
Mein König, steig aufs Roß und reite
Dem Sieg entgegen, wie zur Braut.
Wir steh'n zu Dir und Deinem Throne,
Wir stehen ein mit Gut und Blut,
Bis Kaiser Rotbarts goldne Krone
Auf Deinem Silberscheitel ruht.
So war vom ersten Tag an der Gedanke an ein einiges Vaterland und einen deutschen Kaiser bei allen lebendig und wurde zum Ansporn, der so unerhörte Taten hervorbrachte.
Die Truppendurchzüge begannen am 23. Juli. Der Perron wurde für das Publikum gesperrt, um dem Militär freie Bewegung zu sichern. – Am gleichen Tage nahmen die Herrschaften von dem 2. Bataillon in Eisenach Abschied, am 24. von dem Bataillon hier und danach in Umpferstedt von dem 3., dem Füsilierbataillon, das in Jena stand. In Weimar war der Feldaltar vor der Kaserne errichtet, das Militär bildete ein Viereck, der Großherzog wohnte dem Gottesdienst, den Garnisonprediger Schweitzer hielt, zu Pferde bei, die Großherzogin mit den beiden Prinzessinnen im vierspännigen Wagen. Der Choral, vom Musikkorps geblasen, und die warmen Worte des Geistlichen machten schon einen tiefen Eindruck, aber die begeisternde Ansprache der Frau Großherzogin, beim Abschied von den Offizieren, bewirkte es, daß das Hoch, das Oberst v. Bessel ausbrachte, von einem donnernden Hurra begleitet wurde. Der Großherzog rief den Leuten zu: »Auf Wiedersehen!« denn auch er bereitete sich zur Abreise vor.
Zu gleicher Zeit mit dem weimarischen und dem jenanischen Bataillon fuhren die Herrschaften am 25. nach Wilhelmsthal. Am hiesigen Bahnhof gingen sie, Abschied nehmend, an dem Militärzug hin, und die Frau Großherzogin schärfte den anwesenden Beamten noch ein, daß möglichst für die armen Familien der Reservisten gesorgt werden solle. – Der Großherzog folgte seinem Regiment (Nr. 94, Großherzog von Sachsen) am 4. August. In seinem Gefolge waren Generaladjutant Graf Beust, die Adjutanten Major v. Kiesenwetter und Leutnant v. Palezieur-Falconnet, sowie der Militärarzt Dr. Matthes aus Eisenach, den der Großherzog als Leibarzt angenommen hatte. In Eisenach am Bahnhof fand der Abschied statt, bei dem auch Fritz Reuter sich nahte, um warme, tröstende Worte zu den Zurückbleibenden – die ja immer das schwerste Los haben – zu sprechen. Nachdem die Herren mit einem Militärzug abgefahren waren, kehrte die Großherzogin mit ihren Töchtern nach Weimar zurück und bezog Schloß Belvedere, von wo sie ihre Tätigkeit als wahre Mutter des Landes begann, denn der Großherzog hatte sie für die Zeit seiner Abwesenheit zur Regentin ernannt.
Die Begeisterung war so groß, daß jeder, der ein Recht dazu hatte – und viele die keines hatten – sich zu den Fahnen drängten. Die ganze oberste Klasse des Gymnasiums meldete sich, sie gingen als Freiwillige mit. Natürlich gab es auch Schwächliche, die nicht zugelassen wurden; darunter einen, der todunglücklich war, daß er schon bei mehreren Nachschüben nicht mitgedurft hatte. Endlich meldete er sich wieder, und der Offizier, der die Leute aussuchte, sagte: »Nun, Sie sehen ja heute ganz kräftig geworden aus, so reisen Sie denn mit.« Stolz fuhr der junge Mann ab, – der sich durch vier übereinandergezogene wollene Hemden ein strammes Aussehen verschafft hatte – er kam bald in die Schlacht, und die erste Kugel, die er pfeifen hörte nahm ihm sein junges Leben!
Am 28. Juli berichtete die »Weimarische Zeitung«:
»Ein Leutnant v. Münster hatte Reservisten aus Hannover zu holen. Beim Aussteigen entdeckte er, daß sich ein dreizehnjähriger Knabe eingeschmuggelt hatte. Er ist nicht wegzubringen, hält sich zur Kompanie und wird mit eingekleidet werden. Der kleine Held ist aus dem Großherzogtum Weimar, er sagt aber seinen Geburtsort und Namen nicht.«
Das Damenkomitee, das schon im Krieg 1866 unter dem Protektorat der Großherzogin für die Verwundeten gearbeitet hatte, erließ auch jetzt, Ende Juli, wieder den Aufruf um Beisteuer von Geld, Nahrungsmitteln und Kleidern. Die Regentin selbst aber wendete sich in der Zeitung mit folgenden Worten an die Weimaraner in Stadt und Land:
»Unser Vaterland wird durch einen Krieg bedroht, der es jedem Einzelnen zur Pflicht macht, alle Kräfte einzusetzen zum Wohle des Ganzen.
Die Frauenvereine des Großherzogtums haben schon im Jahre 1866 allseits die hingebendste Tätigkeit gezeigt. Dieselben werden zu einer solchen jetzt noch in höherem Grade bereit sein und unsere Bemühungen werden den lebhaftesten Anklang finden in allen Schichten der Bevölkerung.
Vertrauensvoll wende Ich Mich an die Frauen und Jungfrauen unseres Vereins mit der Bitte, ihre Anstrengungen mit den Meinigen zu verbinden, um während der Dauer des Krieges die Leiden derer, welche mit den Waffen für das Vaterland kämpfen, nach Kräften zu mildern, sowie den Angehörigen derselben die nötige Unterstützung zu gewähren.
Unser Land, Ich weiß es, wird keinem anderen nachstehen in opferwilliger Hingebung.
Möge Gott, der Allmächtige, unsere schwachen Bestrebungen segnen. Er nehme gnädig unsere geliebte Heimat, wie das teure deutsche Vaterland in seinen Schutz und gewähre Sieg der gerechten Sache!
Weimar, den 24. Juli 1870.
Sophie.«
In dem Leitartikel der »Weimarischen Zeitung« vom 27. Juli heißt es:
»Das unregelmäßige Eintreffen der Briefe und Zeitungen gestattet uns heute noch nicht, unsern Lesern den Wortlaut der Ansprache mitzuteilen, welche, wie der Telegraph gestern meldete, der König von Preußen an das deutsche Volk gerichtet hat. Ein deutscher König an das deutsche Volk! Schon in diesem Worte findet die gewaltige Umgestaltung einen konkreten Ausdruck, welche wir mit freudigem Staunen und mit tiefer Ergriffenheit in den letzten vierzehn Tagen in unserem Vaterland sich vollziehen sahen, – eine Umgestaltung, so groß, so mächtig, daß ihre Vollendung auch dem sanguinischen Patrioten einer fernen Zukunft Vorbehalten erschien. Was die Besten unter uns kaum für ihre Kinder zu hoffen wagten, das ist uns plötzlich selbst zuteil geworden; wir erleben, sehen und begeistern uns an der zur Tatsache gewordenen Einigung des deutschen Volkes. Ein großer Moment, der größte in der öden Wüste der vielhundertjährigen Geschichte unseres Volkes, die immer und immer wieder das traurige Bild zeigte, wie Deutsche feindlich Deutschen gegenüberstanden, wie die innere Uneinigkeit den Fremden Tür und Tor öffnete, sie am Mark und der Gesundheit des deutschen Volkes zehren ließ ...«
Es wurde nun eifrig für die zu erwartenden Verwundeten vorbereitet, ein Lazarett im Schießhaus mit allen sanitären Notwendigkeiten ausgestattet, auf der Wiese davor vier Baracken errichtet und das ganze Gelände zur Benutzung freigegeben. In der »Sommer-Erholung« errichtete Gräfin Beust mit Frau v. Pirch, Frau v. Loën und Frau v. Bojanowski ein Privatlazarett mit vierundzwanzig Betten, wo später meist Rekonvaleszenten von den beiden Pflegerinnen Fräulein Riek aus Jena versorgt wurden. Wer sich als Pflegerin ausbilden wollte, hatte sich bei Medizinalrat v. Conta zu melden.
Indessen war der Großherzog mit seinen Herren nach vierundzwanzigstündiger Fahrt im Hauptquartier des Königs – in dem er den ganzen Feldzug mitmachte – in Mainz angekommen und bei Erzbischof Ketteler einquartiert worden. Graf Beust schrieb am 5. August von dort an seine Frau:
Der gestrige Abend war entzückend. Als wir eben um 9 Uhr zum König zum Thee wollten, war die Depesche des Kronprinzen eingetroffen: »Blutiger aber vollständiger Sieg bei Weißenburg. Fünfhundert unverwundete französische Gefangene in unsern Händen!«
Er schildert nun die Begeisterung des Volkes, das »Heil dir im Siegerkranz« anstimmte, als der König auf den Balkon trat, und die gehobene Stimmung aller.
Fast zugleich mit diesem ersten Sieg wurde am Abend des 6. August schon die Nachricht von der Schlacht bei Wörth hier bekannt und erregte natürlich solchen Enthusiasmus, daß die Ansammlungen auf dem Markt und das Singen patriotischer Lieder in der Nacht kein Ende nehmen wollten. Am 7. erhielt die Großherzogin ein Telegramm des Kronprinzen, das den Jubel nur noch erhöhte:
»Großer Sieg meiner Armee über Mac Mahon, dessen Truppen in vollem Rückzuge bei Wörth. Die thüringischen Regimenter zeichnen sich sehr aus, sämtliche Fürsten dabei und alle wohl.«
Freilich erhielt jeder Freudenrausch einen traurigen Nachklang; diesmal hatte das 94. Regiment sich besonders hervorgetan und sehr viel Verluste erlitten. Die Namen der Soldaten kann ich hier nicht angeben, das würde für diese Blätter zuviel sein, an der großen Zahl der verwundeten und toten Offiziere ersieht man die Tapferkeit des Regiments, das den Ehrennamen des »eisernen« erhielt, weil kaum einer seiner Offiziere heil blieb. – Vom 1. Bataillon war Hauptmann v. Esebeck tot; seine junge Frau, geb. v. Pappenheim, war mit dem kleinen Töchterchen hier bei ihren Eltern und gebar, wenige Tage nach dem Tode des Gatten, einen Sohn. – Schwer verwundet waren Major v. Necker, Hauptmann v. Heyne – Verfasser des Werkes über den Krieg von 1866 – der im Mannheimer Lazarett starb, und Premierleutnant Mahr. Leichtere Wunden hatten Premierleutnant v. Nostitz, die Sekondeleutnants Graf Keller, v. Kamptz (der im Dezember seinen Leiden erlag), de Rège, v. Blumenthal und Berends. Vom 2. Bataillon wurden Major v. Wussow und die Sekondeleutnants v. Rhaden und v. Egloffstein als verwundet gemeldet. In diesen Tagen der Trauer um vergossenes Blut zeigte die Großherzogin-Regentin sich in ihrer ganzen Güte und Hilfsbereitschaft. Durch den Großherzog erhielt sie die Nachrichten schneller, als es auf offiziellem Wege möglich war, und ließ sie den Anverwandten auf die schonendste Weise mitteilen. Auch die jungen Prinzessinnen haben durch ihre warme Teilnahme manchem trauernden Herzen wohlgetan.
Der Tod des Hauptmanns v. Esebeck war in diesen Tagen der schwerste Schlag für Weimar. Daß er auch in weiteren Kreisen sehr geschätzt wurde, bezeugt ein Gedicht von Franz Jahn, das die »Weimarische Zeitung« brachte und von dem zwei Verse hier stehen mögen:
Gedoppelt war der Trennung Schmerz
Für ihn, denn stolze Vaterfreuden
Erwartete sein liebend Herz;
Da rief die Pflicht – er mußte scheiden.
Bei Wörth schon sollte durch das Blei
Die kurze Siegeslaufbahn enden –
Nur einen Gruß noch, voll und treu,
Kann aus durchschoß'ner Brust er senden:
»Mein trautes Weib, es ist zu süß,
Fürs theure Vaterland zu sterben!
Wenn sich erfüllt, was Gott verhieß,
Du einen Sohn mir gibst zum Erben,
So weih' ihn dem Soldatenstand!
Denn Schön'res gibt es nicht auf Erden,
Als sterben für das Vaterland!
Mein Sohn soll nur Soldat einst werden!«
Sein Sohn ist Soldat geworden.
In derselben Zeit, als man in Weimar die ersten Trauerbotschaften empfing, wurde das Hauptquartier nach Homburg in der Pfalz vorgeschoben; dort fand Graf Beust seinen zweiten Sohn auf dem Krankenlager liegen. Thilo Beust war Referendar und hatte sich – ohne seine Eltern zu fragen – als Grenadier bei dem 2. Garderegiment einreihen lassen, trotzdem ihn eine Kopfwunde, die er als Student auf der Mensur erhalten, untauglich für das Militär gemacht hatte. Sein glühender Enthusiasmus und großes Gottvertrauen hatten ihn vorwärtsgetrieben. Nun lag er krank in Homburg. An seine Eltern hatte er einige Tage vorher geschrieben:
Aus: »Friedrich Hermann Graf v. Beust, ein Lebensbild.«... Es geht jetzt ein Zug durch die Geister, dem sich Niemand verschließen kann, und wäre es mir daher unmöglich gewesen, abermals, trotz Kraft und Jugend, einen Feldzug als müßiger Zuschauer anzusehen ... Ja, liebe Eltern, ich möchte Euch tausendmal um Verzeihung bitten, daß ich Euch solche Sorge bereite, aber ich habe gethan, was ich nicht lassen konnte. Wenn das Vaterland in solcher Gefahr ist, wenn der König zu den Waffen ruft, darf sich kein Mann, besonders kein Edelmann, diesem Ruf entziehen.
Über das Zusammentreffen von Vater und Sohn in Homburg schreibt Dr. Matthes, der den Kranken besuchte:
Aus: »Im großen Hauptquartier, 1870-1871. Feldbriefe in die Heimat von Dr. Matthes.« (München 1892.)Graf Beust hat große Sorge um seinen Sohn Thilo ... Als Freiwilliger eingetreten, muß er leider schon hier Halt machen. Er hat ein heftiges rheumatisches Fieber, dick geschwollene Knie und Füße und große Schmerzen, dabei liegt er in einem schlechten Bett in dunkler, verräucherter Küche ohne Licht und ohne Pflege. Ich suchte ihn zu überreden, daß er, wenn auch nur auf kurze Zeit, zurückkehren möge. Doch war meine, wie des Vaters Bitte erfolglos und »wenn er nach Frankreich auf allen Vieren kriechen müsse,« sagte er, »die Schmach könne er nicht überleben, zu Hause zu bleiben, in einer Zeit, in welcher jeder fürs Vaterland eintreten müßte!« Wirklich folgte er einige Tage später seinem Regimente, obgleich der Zustand nur wenig gebessert war und er seine geschwollenen Füße noch nicht in die Stiefel brachte.
Er ging zu Fuß nach Frankreich hinein, sein Regiment zu suchen, und achtete nicht der Schmerzen und des Gespöttes der Soldaten, wenn er oft ruhen mußte. Daheim bangte die Mutter sich um Mann, zwei Söhne und Schwiegersohn, Herrn v. Kalkreuth. Ihre Sorgen beschwichtigte sie mit der Arbeit für Kranke und Verwundete, denn schon am 10. August kam der erste Transport, der aus zwei Offizieren und dreißig Mann vom 94. Regiment sowie fünfzig bis sechzig Franzosen bestand.
Am 10. überschritt das Hauptquartier die französische Grenze und blieb in St. Avold. Der Großherzog kam mit seinen Herren in ein wenig angenehmes Quartier zu drei alten Damen, die ob dieser Einquartierung sehr verstimmt waren. Bald hatte aber die Liebenswürdigkeit der Deutschen die schlechte Laune gänzlich besiegt, so daß die Wirtinnen dem Großherzog Blumen schickten und dem Grafen versicherten: » Nous aimons les ennemis comme vous, messieurs!«
Am 18. August schrieb Graf Beust aus Pont-à-Mousson:
Das war gestern ein ermüdender Tag. Nachts zwölf Uhr wurden wir per Feldjäger alarmirt, erhielten Befehl aufzubrechen, ritten fünf Meilen, bis in die Nähe von Metz, wo Abends zuvor ein blutiges Gefecht, wieder zu unsern Gunsten, stattgefunden hat, erlebten zwar keinen Kampf, blieben aber acht Stunden auf dem noch mit vielen hundert Leichen und Verwundeten bedeckten Schlachtfeld, immer gewärtig, jede Minute loszuschlagen. Der Feind wich uns aber immer aus. Nur gegen drei Uhr wurden einige Schüsse auf große Entfernung gewechselt. Die Zeit war nicht verloren, da wir Alle, jeder nach seiner Kraft, den unzähligen daliegenden Verwundeten Hülfe zu leisten suchten, wobei Matthes sich sehr verdient machte, aber auch der Großherzog, in wahrhaft rührender Weise, den ganzen Tag Wasser herbeischaffend. Alle stärkte und unermüdlich durch Heranziehen von Trägern und Wagen sorgte, daß sie nach den Lazarethen gebracht werden konnten. Sehr tüchtig und bei der Hand und dabei höchst befähigt, sich in jeder Gegend durch Landkarten sofort zurechtzufinden, ist Palézieux. Um sieben Uhr kehrten wir im Wagen hierher zurück.
19. August: Nachdem wir gestern von zwölf bis acht Uhr Abends ein Gefecht gehabt, sind wir erst Nachts ein Uhr ins Quartier zurück, das wir soeben, früh fünf Uhr, wieder verlassen ... Dr. Matthes sah sich gestern zweimal bewogen, den Großherzog zu bitten, sich doch nicht so unnöthig zu exponiren, so frisch und munter ritt unser gnädigster Herr mehrere Male sogar weiter vor als der König, trotzdem dieser auch immer auf dem rechten Punkt war und mehrmals von den Seinigen mit Gewalt zurückgehalten werden mußte, nicht weiter vorzureiten. Unsere Strapazen sind oft nicht gering. Gestern den ganzen Tag außer einem Butterbrot nichts zu leben, der Großherzog aber immer heiter und guter Dinge.
Abends: ... Wir hatten gestern – wie ich schon erwähnte – von Mittags zwölf bis Abends acht Uhr eine Schlacht vor Metz, an der sich wohl fast die ganze französische Armee betheiligte, sowie unsere ganze erste und zweite Armee, von Steinmetz und Friedrich Carl ... Alle Garde-Infanterieregimenter haben ihre Commandeure verloren, die Garde-Schützen ihre sämtlichen Offiziere. – Trotzdem ist die Stimmung der Armee wundervoll. Auch wir hatten gestern Abend die Ehre [wie schon erwähnt] mit dem König und dem Großherzog im Feuer zu sein. Eine Granate schlug dicht neben uns so ein, daß ein Adjutant des Prinzen Carl an der Hand verwundet wurde und Kiesenwetters Pferd sich vor Schrecken überschlug. Heute waren wir bei Zeiten wieder auf dem Schlachtfeld, aber beide Armeen waren so erschöpft, daß keine angriff, und man glaubt, daß in den nächsten Tagen kaum wieder etwas vorkommen wird. Ich kann nur wiederholen, daß unser Großherzog, wo er nur kann und weiß, den Verwundeten hilft. Wir nehmen immer Frühstück und Wein für uns mit, hungern aber, weil der Großherzog, wo er nur Einen liegen sieht, hinläuft und ihn füttert und tränkt, und dabei ist er immer guter Laune und mit Allem zufrieden.
Über diesen Sieg erhielt die Großherzogin am 19. August ein Telegramm der Königin Augusta aus Berlin: »Soeben erhalte ich folgendes Telegramm: ›Bivouac bei Rezonville, 18. August, neun abends. Die französische Armee in sehr starker Stellung westlich von Metz heute unter meiner Führung angegriffen, in neunstündiger Schlacht vollständig geschlagen, von ihren Verbindungen mit Paris abgeschnitten und gegen Metz zurückgeworfen. Wilhelm.‹ Die Königin.«
Diese Depesche wurde am 19. abends von den Stufen des Rathauses aus verlesen. Ein Taumel der Freude ergriff die Menschen, die Häuser erhellten sich durch alle Straßen, um neun Uhr brannte ein Feuer auf dem Markt, die Glocken läuteten und die Menge sang mit Inbrunst: »Nun danket alle Gott!« Am andern Morgen prangte die Stadt im Flaggenschmuck.
Am 19. ging ein Transport mit Liebesgaben für das 94. Regiment ab, die Führer waren Hauptmann v. Beulwitz und Justizkommissar Lieber. Sie hatten mit unendlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, wurden sogar gefangen genommen und veröffentlichten später die Geschichte ihrer Fahrt, um zu beweisen, daß es ihnen unmöglich gewesen war, das Regiment zu finden. Spätere Sendungen kamen gut an und wurden mit Freuden empfangen. Besonders rühmend werden zwei Herren v. Eichel aus Eisenach erwähnt, die mehrmals Transporte leiteten. Auch bei den Verpflegungsstationen waren Weimaraner im Felde tätig. Baron v. Loën hat als Johanniter die Schlachten bei Metz mitgemacht, sechzig freiwillige Krankenpfleger unter sich gehabt und Lazarette errichtet, wofür er von dem Kommandeur der 6. Division das höchste Lob erntete. Auch Staatsrat v. Wardenburg und Graf Oskar Wedel widmeten ihre ganze Kraft dieser schweren Liebesarbeit.
In Weimar hatte sich nach und nach eine geregelte Tätigkeit eingerichtet. In den Lazaretten und Baracken war meist jedes Bett belegt, die Arzte von Weimar und Jena arbeiteten unausgesetzt, geschulte und neuangelernte Pfleger und Pflegerinnen versahen ihr schweres und dankbares Amt. Die Frau Großherzogin kam oft, um Trost und Hilfe zu spenden, – sie hatte ihre Lazaretteinrichtung für fünfzig Betten von Heinrichau kommen lassen – kurz es wurde alles getan, um die Tragik und Grausamkeit des Krieges zu mildern. Auch für die durchfahrenden Truppen, für Verwundete und Gefangene, wurde am Bahnhof mit Speise und Trank gesorgt. Im Winter, als die Kälte noch alles erschwerte, zeigte sich, wie segensreich gerade diese Veranstaltung war; es wird dann mehr davon zu berichten sein.
Und nun kam der 2. September, der Tag von Sedan, wo die Franzosen aufs Haupt geschlagen wurden und unsere Armee einen Sieg errang, wie ihn auch die kühnste Phantasie nicht hätte ausdenken können. Wie ein Traum erschienen die Nachrichten den Zurückgebliebenen. Als man nach und nach erfuhr, was und wie sich alles zugetragen, konnte man nur nassen Auges und dankbaren Herzens mit König Wilhelm sagen: »Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!« Aber auch mit Emanuel Geibel singen:
»Nun lasset die Glocken von Turm zu Turm
Durchs Land frohlocken im Jubelsturm!
Des Flammenstoßes Geleucht facht an –
Der Herr hat Großes an euch getan –
Ehre sei Gott in der Höhe!«
Über die Sedanfeier in Weimar kann ich nicht aus eigener Anschauung berichten – ich verbrachte den 2. September auf dem Wege vom Elsaß nach Mainz – so erzähle ich sie Herrn Guido Schnaubert nach, der den Tag hier erlebte und schon vieles aus Weimars Vergangenheit vor dem Vergessenwerden rettete. Er erzählt in der »Weimarischen Zeitung« vom 2. September 1906 über den 3. September 1870. Ob wohl damals jemand daran dachte, daß der 3. September Karl Augusts Geburtstag war?
Es scheint, daß am 2. September noch keinerlei Nachricht vom Kriegsschauplatz hier angelangt war, denn erst am 3., einem Sonnabend, wurde man durch Kanonenschüsse von Erfurt her am Morgen aufmerksam gemacht, daß etwas Besonderes geschehen sein müsse. Auf dem Markt wurden vorzeitig die Verkaufsstände zusammengeräumt, denn aus allen Straßen strömten die Menschen nach dem Rathaus, wo die Depeschen an die Großherzogin gleich nach der Ankunft angeschlagen wurden. Kopf an Kopf standen die Menschen, sie teilten sich mit, daß die Zeitungen eben die Übergabe von Sedan und die Gefangennahme Napoleons gebracht, aber da noch keine Depesche des Großherzogs da war, mögen sie die Nachricht wohl unglaublich gefunden haben. Endlich um elf Uhr kam ein Hofdiener mit dem Telegramm: Zum Anschlägen ließ man ihm keine Zeit, er mußte lesen, daß Sedan genommen, der Kaiser und 90 000 unverwundete Soldaten sich ergeben hätten. Die Nachricht verbreitete sich wie eine Welle über den Marktplatz hin, aber es blieb noch still, es war wie Ruhe vor dem Sturm: »Da – eine Stimme – zwei – drei – mehrere, jetzt ein ganzer Chor – dann stimmte die ganze Menge in den Sang ein:
Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!
Wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb Vaterland, magst ruhig sein:
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
Dann erschien der Festredner, Bürgerschullehrer Anton Bräunlich, auf dem Balkon des Rathauses. Er verlas die Depesche und sprach dann von dem Dankgefühl gegen Gott, der uns diesen Sieg geschenkt, er schloß mit den Worten:
›Möge der Herr unsre Väter, Söhne und Brüder, die für uns draußen stehen zur blut'gen Wacht in Feindesland, behüten und beschirmen!
Wir singen das Lied: »Nun danket alle Gott!«‹
Tiefe, tiefe Stille herrschte auf dem Platze. Nichts regte sich. Da entblößte andächtig der eine sein Haupt, ihm folgte ein zweiter, dann – da war's, als ob eine heilige Weihe über die Menge gekommen wäre: feierlich ernst stand die ganze Masse mit entblößtem Haupte unter Gottes freiem Himmel da. Die Glocken von dem nahen Stadtturme begannen zu läuten, die Musik setzte ein, und von Tausenden von Jungen scholl der mächtige Sang empor:
Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen,
Der große Dinge tut an uns und allen Enden,
Der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an
Unzählig viel zu gut und noch jetzund getan.
Es war eine Kirche, ein Gottesdienst, in tiefster feierlicher Andacht.
Manches Auge wurde bei dem Gesang naß. Eine alte Bauerfrau weinte bitterlich: ein Sohn war tot, vom andern hörte sie nichts; aber sie sang mit, zitternd und weinend! Weder Männer noch Frauen schämten sich ihrer nassen Augen, aus denen Glück, höchste Dankbarkeit und Trauer sprachen.
Die Menge stand, nachdem das ganze Lied gesungen, noch still und unschlüssig, wohin sich zu wenden, da kamen zwei Hofwagen von Belvedere her und fuhren quer über den Markt. Im ersten saß die Frau Großherzogin mit der Ministerin v. Watzdorf, im zweiten die Prinzessinnen Marie und Elisabeth. Die Wagen mußten halten, die Menge umdrängte sie mit Hochrufen auf die geliebte Regentin, dazwischen erklang wieder »Die Wacht am Rhein«, Schüsse fielen, Glocken läuteten – endlich konnten sich die Wagen wieder in Bewegung setzen und mit der sie geleitenden Menge das Schloß erreichen.
»Was nun? Da war kein Führer, kein Festordner, die angaben, was geschehen sollte: Die Masse ordnete sich von selbst. ›Ins Schloß!‹ ›Zum preußischen Gesandten!‹ schrie's aus dem Gewühle. Die Musik stellte sich an die Spitze des Zuges. Voran einer der längsten Männer Weimars, der Obergeometer Steinert, einen Jungen auf der Achsel tragend, mit einer kleinen Kinderfahne – schwarz, gelb, grün – rechts und links einige Krieger und dann in endlosen Reihen groß und klein, Bürger und Bauern, vornehm und gering, wie sie sich zusammengefunden, die Masse des Volkes. So zog sie in den Schloßhof, singend, jubelnd, hochrufend! Die Großherzogin grüßte und winkte mit den Prinzessinnen vom Balkon herab, bis der Zug weitermarschiert war – nach der Ackerwand, vor die Wohnung des Herrn v. Pirch. Geredet wurde nichts, nur Hochrufe auf König Wilhelm, Bismarck, die Armee, und dazwischen begeisterte Gesänge. – Bis zum Abend waren die Straßen voller Menschen, dann verloren sie sich in die Gasthöfe und Wirtschaften, wo die Feier wohl noch lange fortgesetzt worden ist.«
Natürlich kamen die herbsten Trauerbotschaften nach: das 94. Regiment hatte bei Floing große Verluste gehabt. Folgende Depesche, die Karl Alexander am 4. aufgegeben hatte, kam erst am 7. in die Hände der Regentin:
»Gestern nach dem Empfang des gefangenen Kaisers habe ich mein Regiment und die Verwundeten besucht. Ersteres im Biwak, mit unendlichem Jubel empfangen, ich habe da den König erwartet und das Regiment präsentiert, welcher sehr gedankt hat. Oberst Bessel ist wohler, heute oder morgen lasse ich ihn und Pfuhlstein, dem es auch besser geht, wegführen, allmählich nach Deutschland. Necker, Stollberg, Thieme sind bedeutend besser. Ersteren fand ich vor der Tür sitzend. Winterberger, der eine Kanone erobert, kann mit Unterstützung wieder gehen. Keller und Massow sind bereits weitertransportiert nach Donchery. Von den Verwundeten, die ich sprach, lag keiner gefährlich. Mein Sohn, den ich gestern sprach und einen Teil des Tages mit ihm zubrachte, sowie ich, Umgebung, Diener sind ganz wohl.«
Oberst v. Bessel, der durch beide Beine geschossen war, hatte sich durch seine Tapferkeit sehr exponiert, er stellte sich bei einer Attacke an die Spitze des Regiments, was – wie er selbst sagte – bei solch vortrefflicher Mannschaft nicht nötig gewesen wäre. Das Regiment verlor einen vorzüglichen Kommandeur an ihm, er hatte es mit Takt und Umsicht geführt, war streng, aber gut und gerecht. Ernste Sittlichkeit und großes Wohlwollen beseelten ihn. Dabei war er ein schöner und sehr liebenswürdiger Mann. Er starb am 5. Oktober in Vrigne-aux-Bois und hinterließ hier eine junge Witwe mit drei Kindern. Am 11. Oktober wurde er auf dem hiesigen Friedhof begraben.
Allgemein glaubte man, daß nach diesem entscheidenden Tage der Krieg zu Ende sei. Von Berlin kam eine Adresse hierher, die, mit massenhaften Unterschriften bedeckt, an König Wilhelm abgehen sollte und welche die Bitte enthielt, keine fremde Einmischung bei den Friedensverhandlungen zuzulassen. Den Aufruf an das weimarische Publikum unterzeichneten Fries und Genast als Mitglieder des Reichstags, Oberbürgermeister Schaeffer und der Vorsitzende des Gemeinderates Schenk.
Aus Reims schrieb Graf Beust am 9. September:
Gestern hat mein weimarisches Herz und zugleich mein altes Soldatenherz eine rechte Freude erlebt. Der himmlisch gute, liebe König hat unserm Großherzog das Eiserne Kreuz verliehen, und man kann ohne Phrase sagen, er verdient es auch, da er in dieser Campagne wirklich immer und ohne Ausnahme auf dem rechten Fleck gewesen ist und seine Schuldigkeit gethan hat. Mir aber ist es auf meine alten Tage eine Herzensfreude, ihn noch mit einem solchen wirklichen Soldatenorden geschmückt zu sehen. Er ist ungemein beglückt darüber und hat es dem König ganz offen gesagt, als er sich bei ihm bedankte. Ich denke die Weimaraner freuen sich auch!
Anfang September traf den schon lange kränkelnden, an Kopfgicht leidenden, Minister v. Watzdorf ein schwerer Schlag; er verlor seine Gattin, seine geliebte Gefährtin, mit der er lange in sehr glücklicher, wenn auch kinderloser, Ehe gelebt hatte. Armgard v. Könneritz war eine der schönsten Frauen ihrer Zeit und ihre klassischen Züge blieben edel bis zum Tode. Ihr scharfer Verstand befähigte sie, sich an den Geschäften ihres Mannes – manchmal etwas zu impulsiv – zu beteiligen. Wenn auf irgendeine Frau, so war auf sie das so gut charakterisierende Wort: » maîtresse femme« anzuwenden. Sie stand an der Spitze des Frauenvereins und fast aller wohltätigen Anstalten, auch für die Verwundeten. – Über diesen Todesfall schrieb Amalie v. Groß an ihre Freundin Rosalie Falk:
Ungedruckt, im Besitze des Barons Siegfried v. Groß, der mir die Briefe seiner Großmutter freundlichst zur Verfügung stellte.Es ist Manches hier geschehen, abgesehen vom Krieg, was uns tief erschüttert hat. So der Tod der Ministerin Watzdorf. Sie wohnte mit dem kranken Mann in Belvedere. Um ein Uhr frühstückte sie mit der Großherzogin; um zwei Uhr fuhr sie nach der Stadt, um im Frauenverein für das Lazareth thätig zu sein. Im Wagen brach sie zusammen und bereits todt hob man sie heraus. Sie war zu schwer, um die Treppe hinaufgetragen zu werden, man legte sie in die Kammer des Küchenmädchens, auf deren Bett. Da lag sie im eleganten Mousselinkleid mit dem Blumenhut auf dem Kopf; der Minister, den man holte, meinte sie schliefe. Es war am Tag, als die Kunde vom Sieg von Sedan eintraf. Freudenjubel in der Stadt, Illumination, Flaggen wehten, es wurde mit Flinten und mit Kanonen geschossen, und unter diesem Lärm hauchte die schöne Frau ihr reiches Segenspendendes Leben aus ...
Wir hörten von Herrn Schnaubert, daß Frau v. Watzdorf um elf Uhr mit der Frau Großherzogin von Belvedere hereinfuhr – wenige Stunden später starb sie auf demselben Wege. – Am 16. verschied auch ihr Gatte, er konnte diesen Schmerz nicht überleben. Wohl sein letzter Federzug war die Unterschrift unter den Dank, den er für die Teilnahme beim Tode seiner Frau Herrn v. Bojanowski diktiert hatte.
Welch schwerer Schlag der Tod dieses verdienstvollen, vortrefflichen Mannes – gerade während des Krieges – vor allem für die Großherzogin-Regentin war, ist kaum auszudenken. Bernhard v. Watzdorf hatte mit sicherem, staatsmännischem Blick das Land von der alten in die neue Zeit geleitet, und man war gewiß, einen bewährten, selbstlosen Ratgeber an ihm zu haben.
In der »Weimarischen Zeitung« erschien ein Nachruf aus der Feder P. v. Bojanowskis, dessen Schlußsatz hierher gehört:
»Unser Herrscherhaus und unser Vaterland trauern um den ersten Diener des Staates, gleich ausgezeichnet durch staatsmännische Größe wie durch fleckenlosen Adel der Seele, Deutschland um einen seiner besten Söhne. Zu den Füßen des Dahingeschiedenen legen wir einen vollen und unverwelklichen Kranz dankbarer Liebe nieder, wie er nur das Haupt der Wenigen schmückt, die, wie Herr Staatsminister v. Watzdorf, in edelster Selbstlosigkeit ein stets dem Großen zugewandtes Leben nicht sich, sondern dem Ganzen gelebt haben.«
Die feierliche Beisetzung des Staatsministers fand am 18. September nachmittags vier Uhr unter sehr großer Beteiligung – auch von auswärts – statt.
Die beiden Departementchefs, die Geh. Staatsräte Thon und Stichling, suchten nach besten Kräften der Großherzogin beizustehen. Letzterer sagt in seinen »Erinnerungen«: »Aus dreiundfünfzig Dienstjahren.« Erinnerungen von v. D. Gottfried Theodor Stichling, weimarischem Staatsminister. (Weimar 1891.) »Jeder von uns hat gewiß in dankbarer Erinnerung auf die Zeit zurückgeblickt, in welcher die ausgezeichnete Fürstin sich den Geschäften, über welche wir ihr wöchentlich Vortrag erstatteten, nicht nur mit dem ernstesten Pflichtgefühl und dem regsten Interesse, sondern auch mit gründlich eindringendem, scharfem Verständnis in der eingehendsten Weise widmete, eine geborene Regentin, die es wert wäre, ein großes Land zu beherrschen.« Stichling wurde die Vertretung der Großherzoglichen Regierung im Norddeutschen Bundesrat in Berlin übertragen, über das Leben dieses für Weimar so verdienstvollen Mannes werden wir am Ende dieses Kapitels im Zusammenhang berichten.
An Stelle von Frau v. Watzdorf wurde als Vorsitzende des Frauenvereins Frau v. Hanfstengel, geb. v. Cruickshank, die Witwe eines preußischen Offiziers, gewählt.
Am 10. September bat Karl Alexander telegraphisch, allen Denen zu danken, die ihm Beweise ihrer Anhänglichkeit hatten zugehen lassen. – Aus Lagny teilt er am 2. Oktober mit, daß das Regiment ohne Verlust ein siegreiches Gefecht bei Quarrefour Pompadour mitgemacht hat, und später, daß das 1. und 3. Bataillon bei Orleans gekämpft und weder Verwundete noch Tode habe.
Ende Oktober mußte der Großherzog seinem Freunde, Graf Beust, mitteilen, daß dessen zweiter Sohn, Thilo, der mit Überwindung aller Hindernisse in den Krieg gegangen, in der Normandie gefallen sei. In seinem Enthusiasmus hatte er, trotz Zuruf des Feldwebels, keine Deckung gegen ein starkes feindliches Feuer gesucht, – wie alle seine Kameraden – er fiel mitten auf der Straße, marschierend und schießend, in den Unterleib getroffen, hintenüber. Auf dem Transport nach Beauvais gab er den Geist auf.
Um dem schwergeprüften Vater eine Wohltat zu erweisen, kommandierte der König – auf die Bitte des Großherzogs hin – den einzigen noch lebenden Sohn Karl v. Beust als Adjutant zu unserm Erbgroßherzog in das Hauptquartier, so daß er in der Nähe seines Vaters war. Am 8. November wurde die Leiche Thilos in Weimar begraben. Seine Mutter konnte sich von aller Sorge und diesem Schlage nicht erholen, ihr geschwächter Körper erlag am 6. Oktober 1872 einem Nervenfieber; mit ihr ging eine edle, vortreffliche Frau zur Ruhe, die mit Frau v. Plüskow den Armenverein gegründet und als langjährige Vorsteherin desselben viel Liebe und Wohltat gespendet hat. Aber der Prüfungen, die über den glaubensstarken Mann und seine beiden Töchter verhängt wurden, waren noch nicht genug. Am 2. September 1874 verschied, – unter den Glockenklängen des Sedanfestes – nach einem Sturz mit dem Pferde zu Hannover sein letzter Sohn Karl.
*
In Erfurt hatte man ein Zeltlager für gefangene Franzosen eingerichtet, das aus Weimar und der Umgegend viel besucht wurde und auch wirklich einen höchst merkwürdigen Anblick bot. Es waren allein vierhundert Offiziere dabei und die vielen Turkos und Zuaven verliehen der Zeltstadt einen ganz fremdländischen Anstrich.
Unter den zahlreichen Veranstaltungen zum Besten der Verwundeten seien nur drei erwähnt: eine Ausstellung der Kunstschule mit Verlosung von geschenkten Bildern; ein Konzert, in dem Musikdirektor Klughardt sein »Dornröschen«, eine Komposition für Soli, Chor und Orchester, aufführte, und der Vortrag des Afrikareisenden Gerhard Rohlfs über seine interessanten Wanderungen.
Unser Erbgroßherzog erhielt vom Kronprinzen, seinem Chef und Vetter, am 5. Oktober das Eiserne Kreuz überreicht. Die Namen der Offiziere, die zu dem 94. Regiment oder zu Weimar gehören, alle zu nennen, die mit diesem kostbarsten aller Denkzeichen geschmückt wurden, würde zu weit führen, denn es sind sehr viele; der Merkwürdigkeit halber sei nur erwähnt, daß die vier Söhne des Präsidenten Julius v. Egloffstein in Eisenach im Oktober dekoriert wurden, von denen der jüngste noch nicht siebzehn Jahre alt war. Freiherr Julius von und zu Egloffstein stand seit 1836 als Jurist in weimarischen Diensten. Bis 1863 arbeitete er in Weimar, wo er und seine Gattin, Freiin Marie v. Vitzthum, die Tochter des früher genannten Oberhofmarschalls der Großfürstin, geliebt und geschätzt wurden. 1863 trat er an die Stelle des Herrn v. Mandelslohe als Präsident des Appellationsgerichtes in Eisenach. Hier wurden vier Söhne und eine Tochter, die Gattin des berühmten Jenaer Frauenarztes – Professor Dr. Schultze – geboren. 1879 wurde Julius v. Egloffstein Präsident des gemeinschaftlichen Thüringer Oberlandesgerichts in Jena, wo er bis 1884, bis an seinen Tod, arbeitete. Er war in seiner kernigen, wahrhaftigen, treuen Natur der Typus des Edelmannes von altem Schrot und Korn und ein vortrefflicher Beamter.
Auch Humoristisches kommt in solch ernsten Zeiten zu seinem Recht, so wollen wir nicht verschweigen, daß in einem Eisenacher Transport von Liebesgaben ein Paar Strümpfe mit folgenden Worten versehen waren: »Das ist für einen braven Soldat, Der dünne Beine und lange Füße hat. Er mög' zurückkehren zu den Seinen frisch, Und denken, wenn er liest den Wisch, An einen weimarischen Backfisch.« – Dem »weimarischen Backfisch« sendet der Empfänger Kutschke folgende Zeilen: »Ein braver Vierundzwanziger Mann, Vom märkischen Sand, Zog Deine liebe Gabe an Im fernen Land. – Dem Backfisch gilt sein Dankesgruß, Und hocherfreut, Mit warmem Herzen und dito Fuß, Hofft er der Maid.«
Anfang Oktober schrieb Dr. Matthes, daß Graf Beust ihm bestätigt habe, »was allerdings auch sonst kein Geheimnis ist, daß unser Großherzog einen wesentlichen Teil der diplomatischen Verhandlungen übernommen hat, nämlich den mit Rußland. Als naher Verwandter und Freund Kaiser Alexanders ist er allerdings dazu am geeignetsten. Neulich hat er ein langes Memorandum abgefaßt, von dem Bismarck entzückt gewesen sein soll und kein Komma daran geändert haben wollte.« Auch schon am Anfang des Krieges hatte Karl Alexander seinen Einfluß geltend gemacht, indem er den Kaiser von Rußland zur Neutralität bestimmte. – Aus Versailles erzählt Matthes am 1. November, daß der Großherzog die Kranken besuche, ihnen Geschenke mache, sich bei den Ärzten für jede besondere Fürsorge bedanke und oft an einem der Betten sitze, um sich Briefe an die Angehörigen diktieren zu lassen. Im Dezember berichtet der Leibarzt, daß sein gnädigster Herr ein Privatlazarett – hauptsächlich für die 94er – errichtet habe, weil die Luft in den großen Sälen des Schlosses nicht mehr gut für die Wunden sei. Hier behandelte Matthes die Kranken, Großherzog und Erbgroßherzog sorgten für ihre Leute und es bildete sich eine kleine weimarische Kolonie, wo sich auch die Abgesandten aus der Heimat einfanden, z. B. die Herren v. Eichel und Dr. Guyet, der Geheime Referendar des Großherzogs.
Am 24. Oktober berichtete Karl Alexander telegraphisch an die Regentin:
»Bei dem Gefecht von Châteaudun ist leider der Verlust vom Leutnant v. Harstall und eines Füsiliers zu beklagen, sowie die Verwundung des Leutnants Wentworth-Paul und neun Soldaten. Das Gefecht hat in einem sehr ernsten Straßenkampf geendigt. Ich kehre heute von der Besichtigung der Ersatzmannschaft auf Les Cloyes zurück, die, sowie das dort liegende Bataillon unterm Kommando des Majors v. Schauroth, wohl sind. Wir sind es auch.
Die Nachrichten aus den nächsten Monaten lauten:
Telegramm. »Großherzogin von Sachsen-Weimar. Rambouillet, 19. November 1870. Gestern vormittag siegreiches Gefecht der 22. Division bei Châteauneuf. 94. Regiment und besonders Füsilierbataillon sich sehr ausgezeichnet. Verlust nicht unbedeutend.
Großherzog von Mecklenburg.«
Telegramm. »Großherzogin von Sachsen-Weimar. Major v. Gélieu meldet: Am 18. November Waldgefecht bei Guène de Fontaine. Siegreiches Erstürmen von Torcay durch Füsilierbataillon Franke, erstes Bataillon Ridel. Wir zehn Tote, siebenundzwanzig Verwundete, kein Offizier darunter. Feind zwölffache Verluste. Von uns Fähnrich v. Bülow und Vizefeldwebel Fürbringer tot.
Karl Alexander.«
Der Großherzog von Mecklenburg depeschierte am 6. Dezember zehneinhalb Uhr abends von Orleans an unsere Regentin:
»Das 94. Infanterieregiment hat sich in der Schlacht bei Artenay wieder mit Ruhm bedeckt. Tot: Leutnant Graf Seckendorf, ein Vizefeldwebel. Schwerverwundet: Oberst v. Pallmenstein, Leutnants v. Garnier, Müller. Leichtverwundet: Hauptleute Schilling, v. Loucadou, Roese, Leutnants v. Steuben, v. Taube I, v. Kettelhodt, zwei Vizefeldwebel.«
Karl Alexander meldete telegraphisch als Leichtverwundete noch die Hauptleute v. Rhaden, Winterberger und Schnell v. Schnellenbühl.
Oberst v. Pallmenstein, der erst seit dem 20. November Kommandeur des 94. Regiments war, erlag seinen Verwundungen, ebenso Leutnant v. Garnier. An die Stelle des ersteren kam Oberstleutnant Marschall v. Sulicki.
Nach amtlichen telegraphischen Nachrichten hatte sich das 94. Regiment bei den Gefechten bei Cravant vom 8. bis 10. Dezember sehr tapfer gehalten. Als gefallen werden gemeldet: Tot die Leutnants v. Blumenthal und Groß, verwundet: Hauptmann Ridel, Premierleutnant Graf Stollberg, Hauptmann Töpfer, Leutnant Thieme und Leutnant Gabler.
*
Seit dem Anfang des Krieges war es bei den Deutschen eine Gewißheit, daß sie für ein einiges Deutschland, um einen deutschen Kaiser kämpften. In den ersten Tagen des Dezember schrieb König Ludwig II. von Bayern an den König von Preußen, um ihm die deutsche Kaiserkrone anzubieten. Wie diese ganze große, wichtige, herrliche Umgestaltung schließlich gemacht wurde, erzählt Geh. Staatsrat Stichling in seinen Erinnerungen; da auch Karl Alexander seinen Anteil an der Verwirklichung dieses Traumes des deutschen Volkes hatte, so mögen Stichlings eigene Worte hier stehen. Bei den Sitzungen des Reichstags war in den ersten Tagen des Dezember über den Beitritt Bayerns zum Deutschen Bund verhandelt und eine nicht zu schwere Einigung erzielt worden: »Während dieser Verhandlungen des Reichstags schwebte die Kaiserfrage in der Luft, ohne zur Perfektion zu kommen; denn, da sie wesentliche Abänderungen im Wortlaut der Verfassung bedingte, mußte sie auch durch den Reichstag gehen. Daß ein Reichstagsabgeordneter durch eine [wie man sagt, bestellte] Interpellation die Mitteilung des Staatsministers Delbrück hervorlockte, ›der König Ludwig II. von Bayern habe allen regierenden deutschen Fürsten und freien Städten Deutschlands die Anregung gegeben, den König Wilhelm von Preußen aufzufordern, daß er die Würde eines deutschen Kaisers annehme; ein Teil derselben habe bereits zugestimmt, die Zustimmung der übrigen stehe in den nächsten Tagen bevor‹ – hatte keinen praktischen Erfolg. Jedermann fühlte das überaus Würdelose dieser Art, das neue deutsche Kaisertum in den Reichstag zu introduzieren, und doch hatte es gar keinen Zweck, denn diese Art von Mitteilung konnte dem Reichstage noch keinen Anlaß geben, hiernach die neue Reichsverfassung entsprechend zu vollenden. Es blieb also beim alten. Ein Tag verging nach dem andern, der Schluß des Reichstags konnte und sollte schon am 10. Dezember erfolgen, und war der Reichstag einmal geschlossen, ohne daß die Kaiserfrage an ihn gebracht worden war, so mußte die Sache wieder ruhen bis zum nächsten Reichstage im Frühjahre 1871. Sollte aber die Sache diesmal noch ins reine gebracht werden, so war es die allerhöchste Zeit. Da wurde ich plötzlich in der Nacht vom 7. zum 8. Dezember durch ein Telegramm geweckt, das ich vom Großherzog aus Versailles erhielt. Es lautete:
›Zum geschäftlichen Abschlusse der Kaiserfrage wird, nachdem nunmehr die zustimmenden Erklärungen der meisten Fürsten vorliegen, eine verfassungsmäßige Beschlußnahme des norddeutschen Bundesrats und Reichstags vor Schluß des letzteren unentbehrlich sein. Der bayerischen Anregung in Süddeutschland entsprechend wird in Norddeutschland die Anregung im Bundesrat gegeben werden müssen. Ich beauftrage Sie hiermit, im Bundesrate den betreffenden Antrag nach Rücksprache mit Ihren Kollegen, jedenfalls aber rechtzeitig zu stellen.
Karl Alexander.‹«
Nachdem Stichling sich mit Staatsminister Delbrück besprochen, der ein Telegramm von Bismarck erhalten hatte, mit der Weisung, sich wegen dieser Sache mit Stichling zu besprechen, konferierte dieser mit seinen Kollegen aus Thüringen und den preußischen Bevollmächtigten, entwarf den Antrag in einem Nebenzimmer des Reichstags und abends wurde er gedruckt an die Bundestagsmitglieder verteilt. Am 9. kam der Antrag zur Verhandlung im Reichstag, wurde am 10. angenommen und am »Abend der Reichstag geschlossen, nachdem noch eine große Deputation gewählt worden war, um in Versailles den neuen Kaiser zu begrüßen«. Der Großherzog dankte Stichling am 17. Dezember von Versailles aus, »daß Sie ... Meine Regierung mit Geschick und Einsicht vertreten und derselben die zeitherige Geltung zu wahren verstanden haben ... daß Sie den wohlbewährten Bestrebungen des Ministers v. Watzdorf gemäß mit den Delegierten der übrigen deutschen Staaten im Bundesrat zusammengehalten und mit denselben sich über die abzugebenden Vota verständigt haben« ...
*
Zu Weihnachten wurden in den Lazaretten Bescherungen veranstaltet, bei denen die Frau Großherzogin zugegen war und Hofprediger Schweitzer die Ansprachen hielt. Kurz vor dem Feste war starke Kälte eingetreten, die bis zu 26 Grad R. stieg; das erschwerte alle Verpflegung sehr, machte sie aber erst recht nötig. Am schlimmsten sah es bei der Kälte am Bahnhof aus, wo man kaum genug Wärmemittel für die massenhaft durchfahrenden Soldaten, Gefangenen und Verwundeten schaffen konnte. Ich habe selbst vom Oktober an jede Woche mehrmals dort Dienst gehabt und allen Jammer mit angesehen. Wir kochten in Waschkesseln Kaffee, Warmbier usw., machten in den kältesten Tagen Grog und Tee. Neben uns waren andere beschäftigt, Speisen herzurichten. Täglich kamen Haufen von wollenen Sachen, die wir an die Bedürftigsten verteilten. Wenn ein Zug einfuhr, standen wir schon in Bereitschaft auf dem Perron und die Kondukteure bezeichneten uns die Waggons, wo Hilfe am nötigsten war. Gänzlich Erschöpfte wurden in die Stube gebracht und von den Krankenpflegern behandelt. Der kälteste Tag war wohl der erste Weihnachtsfeiertag, er ist mir bis jetzt unvergeßlich. Wir hatten so viel als möglich gesorgt, um etwas Festfreude zu verbreiten. Ich fuhr früh um sechs Uhr zum Dienst, der Wagen war vollgepackt voll kleiner Weihnachtsstollen. Als gegen acht Uhr der erste Zug ankam, waren wir zu vieren an den Waggons, um Kaffee und Kuchen zu verteilen. Der Zugführer bat mich, heute auch den verwundeten Offizieren etwas zu bringen, – sie erhielten sonst nur Zeitungen und Zigarren, man nahm an, daß sie sich alles kaufen konnten – weil sie m der Nacht sehr von der Kälte gelitten hätten. Er mußte die fest zugefrorene Tür mit Gewalt aufreißen – da lagen und saßen fünf Offiziere, die jammervoll aussahen. Ich rief ihnen zu: »Hier gibt es Kaffee und Stollen, denn es ist Weihnachten!« Eine schwache Stimme antwortete: »Fahren wir denn hier direkt in den Himmel hinein?« Ich glaube, es ist kein Auge trocken geblieben bei diesem Ausruf. Rührend war die Freude und Dankbarkeit der Armen für die Erquickung und teilnehmende Hilfeleistung, die wir ihnen und ihren Leuten brachten, zum Abschied schrieben sie unsere Namen auf und fuhren gestärkt und freudig bewegt ihres Weges weiter.
Manchmal, wenn ein besonders großer Zug mit Reservisten südwärts ging oder einer mit Gefangenen oder Verwundeten daherkam, durften die Leute auf unsre Bitten aussteigen, dann konnte man sie und die Begleitmannschaft besser versorgen. Sie holten sich alles an den aufgestellten Tischen selbst und waren von großer Dankbarkeit. Ich habe nie eine Unannehmlichkeit gehabt, auch die Franzosen – von denen manchmal mehr als tausend Mann auf dem Perron waren – benahmen sich höflich und waren glücklich, ihre Muttersprache zu hören. Nur wenn sie Warmbier trinken sollten schnitten sie Gesichter, während die Deutschen es meist allem anderen Getränk vorzogen.
Das Weihnachtsgeschenk des Großherzogs bestand aus seinem Falkenorden, den er an achtzehn Offiziere verlieh, und aus vierundfünfzig Militär-Ehrenzeichen – die neugestiftete silberne Verdienstmedaille mit Schwertern – für Unteroffiziere und Soldaten. Die Verwundeten und Kranken von den 94ern wurden von ihm und seinem Sohn, sowie mit Liebesgaben aus der Heimat, reich bedacht. Das Regiment stand in Reserve in Chartres, um sich von den mit großer Bravour ertragenen Strapazen zu erholen.
Die den Großherzog begleitenden Herren erhielten in dieser Zeit alle das Eiserne Kreuz. Graf Neust bekam es aus der Hand des Königs selbst und trug es – wie er sagte – zum Andenken und an Stelle seines Sohnes Thilo. Da König Wilhelm diese Freude gern an einem besonderen Gedenktag machte, so ließ er das Kreuz zu Weihnachten dem Hauptmann v. Kiesenwetter, zu Neujahr Herrn v. Palezieur und am 18. Januar Dr. Matthes – dem der Großherzog mittlerweile den Titel Medizinalrat verliehen hatte – überreichen.
Wenn es auch wenige gefangene Deutsche gab, so war doch eine kleine Anzahl noch in französischen Händen. Unter anderen ein stud. theol. aus Weimar, der als Einjähriger in der Königlich sächsischen Armee diente. Hermann Buhler hielt am 24. Dezember im Gefängnis la Roquette zu Paris die Weihnachtspredigt für seine Mitgefangenen. – Zwei Weimaraner, die in andern Regimentern standen, blieben auf dem Felde der Ehre: Hauptmann Sondershausen starb in Pithiviers an seinen bei Beaune la Rolande erhaltenen Wunden, und einer von den vier Brüdern v. Egloffstein, Leonhard, blieb am 30. November bei Epinay.
Mit dem Eisernen Kreuze geschmückt wurden in dieser Zeit die beiden Weimaraner Dr. jur. Robert Schöll und Collenbusch, Einjährige des 94. Regiments. Das Kreuz am weißen Bande erhielten Staatsrat v. Wardenburg, der die Oberaufsicht über die Lazarette bei Sedan führte, und Baron v. Loen.
*
Am 1. Januar kam einem so recht zum Bewußtsein, was das scheidende Jahr gebracht. Dankend gedachte man Derer, die uns durch ihre Tapferkeit das längst heiß ersehnte Ziel erkämpft hatten. Trauer um die großen Opfer an Menschen und Sorge für die noch kämpfenden, leidenden, frierenden Soldaten dämpfte den Jubel. Trotz allem Unglück, das über viele gekommen, fühlte jeder die Ethik eines so heiligen Krieges und nahm geduldig die Opfer auf sich, die das Schmal forderte. Nicht die schlechten Seiten der Menschen traten zutage, sondern die guten; z. B. konnte Medizinalrat Matthes nicht genug von der Geduld und Freudigkeit der Verwundeten erzählen. Keiner dachte an sich, sondern nur an das Ganze, an die Errungenschaften dieser schrecklichen Kämpfe: Ein deutsches Reich – ein deutscher Kaiser!
Der Schluß des Leitartikels am 1. Januar 1871 in der »Weimarischen Zeitung« lautete:
»Als der Krieg ausbrach, wiesen wir darauf hin, wie über Deutschland sich die Jugendsonne einer herrlichen Zukunft erhöbe, während über Frankreich die bleichen Schatten des Todes lagerten: Heute am Jahreswechsel mag es uns gestattet sein, an die Bestätigung dieses Wortes durch die Ereignisse der letzten Monate zu erinnern. Unser ist der Sieg, unser ist das Leben, aber nur so lange, als das deutsche Volk nicht die Lehre vergißt, welche das scheidende Jahr in so gewaltiger Weise verkündet, daß nur das selbstlose Streben nach Wahrheit der Nation die Kraft der Sittlichkeit, welche Siege gibt und Siege behaupten läßt, dem einzelnen Bürger aber die Lauterkeit und den Adel der Gesinnung schafft, die uns in dem vielbetrauerten Leiter unseres Staatswesens, diesem wahrhaft deutschen Manne, so glänzend vorgeleuchtet haben.«
Leider gingen aber, trotz aller unserer Siege, die Kämpfe in Frankreich immer weiter. Am 9. Januar erhielt die Regentin folgende Depesche:
»Laut Telegramm des Großherzogs von Mecklenburg hat am 6. Januar die 44. Infanteriebrigade bei la Fourchée heftige Gefechte gehabt. Das 94. Regiment erstürmte das Dorf, nahm drei Kanonen. Leutnant v. Taube II, Fähnrich v. Obernitz und neun Mann tot. Leutnant v. Egloffstein, Vizefeldwebel Gaedechens, Fähnrich Horrocks und fünfunddreißig Mann verwundet. 94. Regiment besetzte am 8. Januar Nogent le Rotrou.
Karl Alexander.«
Nach den Gefechten am 10. und 12. Januar wurden Leutnant Gäbler als verwundet, Leutnant Lehmann als gefallen gemeldet.
Aber endlich kam der 18. Januar, der die höchste Sehnsucht unseres Volkes erfüllte: er gab uns einen deutschen Kaiser!
In einem enthusiastischen Leitartikel sprach P. v. Bojanowski aus, was Alle auf dem Herzen hatten und was in solch hehrer Stunde gesagt werden mußte. Der Schluß lautet:
»An dem Kaisertum hatte immer das deutsche Volk gehangen; stets schlug sein Herz hoch und voll bei der Erinnerung an jene glorreiche Vergangenheit. In den Zeiten des durch den Kampf kirchlicher und dynastischer Interessen herbeigeführten Verfalls der deutschen Macht und der deutschen Wohlfahrt, in den Zeiten der tiefsten Not und Unfreiheit, die über unser Vaterland gekommen, wendete das Volk den sehnsüchtigen Blick auf jene mächtigen Kaisergestalten des Mittelalters, welche ihm als das Symbol erschienen der eigenen Größe, Stärke und Wohlfahrt. Öffnen werde sich dereinst der Kyffhäuser – so dachte und dichtete der romantische Sinn unseres Volkes – hervortreten werde der Kaiser Barbarossa und geendet sein die Not des uneinigen, zerrissenen Volkes, das die Eifersucht der Fürsten sich selbst entfremdet und zum Gegenstand der ewigen Begehrlichkeiten beutegieriger Nachbarn gemacht hatte. Nun ist das deutsche Kaisertum dem Volke wiedergegeben, aber freilich ist es anders gekommen, als in jenen romantischen Träumen. In jahrelanger, mühseliger Arbeit hat das deutsche Volk sich das Kaisertum gewonnen, in Kämpfen voll Blut und Schweiß ist es zur Wahrheit geworden, weil das deutsche Volk sich selbst wieder eine Wahrheit geworden war. Erst als die Nation über die engen Schranken, die kleinliche Staatskunst errichtet hatte, sich erhoben und das volle Bewußtsein seiner unauflöslichen Einheit wiedergewonnen und betätigt hatte, erst dann war es möglich, das Symbol dieser Einheit in dem goldenen Reifen der deutschen Kaiserkrone wiederherzustellen. Heute strahlt diese Krone in dem herrlichen Glanze, der ihr erhalten bleiben wird, solange das deutsche Volk sich nicht selbst verliert, sondern festhält an den fundamentalen Stützen jedes gesunden Staatswesens, an der selbstlosen Treue, an der Zucht, an der Ehrfurcht vor dem Gesetz.«
Mitten in das freudig erregte, festlich geschmückte Weimar marschierte ein Trupp gefangener Franzosen mit zehn Offizieren ein. – Und nicht lange dauerte es, daß wieder die Fahnen flatterten und die Glocken läuteten, denn am 29. Januar erfuhr man den Fall von Paris. Das war nicht nur ein abermaliger Sieg, das war der Friede, nach dem alle Herzen sich sehnten. Mittags kam ich von der Belvedere Allee nach der Stadt, ich hatte noch keine Nachricht erhalten, aber die Glocken läuteten – das mußte das ersehnte Zeichen sein! Da kam mir auch schon in der Schillerstraße ein Zug jubelnder Menschen entgegen, alles hatte sich zusammengefunden, Frauen und Kinder, Männer und junge Burschen, mitten darunter Damen und alte Herren von der Hofgesellschaft. Diese bunte Menge zog jubelnd in den Schloßhof, um mit donnernden Hurras für die Regentin ihrem eigenen Herzen Luft zu machen. Abends war Festtheater. Webers Jubelouvertüre machte den Anfang, dann las Frau Hettstedt als »tragische Muse« die Depesche des Kaisers an die Kaiserin-Königin, die das Publikum stehend, nur tiefster Bewegung anhörte, darauf sprach sie den für diesen Tag gedichteten Prolog von Julius Grosse. Der begeisterte Gesang der »Wacht am Rhein« machte den Beschluß. Die Depesche von Kaiser Wilhelm lautete:
»Versailles, 29. Januar. Gestern abend ist ein dreiwöchentlicher Waffenstillstand unterzeichnet worden. Linie und Mobile werden kriegsgefangen und in Paris interniert. Garde nationale sédentaire übernimmt die Aufrechterhaltung der Ordnung. Wir besetzen alle Forts, Paris bleibt zerniert und darf sich verpflegen, wenn die Waffen ausgeliefert sind. Eine Constituante wird nach Bordeaux in vierzehn Tagen berufen. Die Armeen im freien Felde behalten ihre respektiven Landstrecken besetzt mit Neutralitätszonen zwischen sich.
Dies ist der erste segensvolle Lohn für den Patriotismus, den Heldenmut und die schweren Opfer. Ich danke Gott für diese neue Gnade! Möge der Friede bald folgen!
Wilhelm.«
Nach dem Theater war die Stadt illuminiert und der laute Jubel der Menge dauerte fast die ganze Nacht.
Es ging wie erleichtertes Aufatmen durch Deutschland! – jetzt hieß es aber noch die Wunden zu heilen, die der Krieg geschlagen, und die Tapferen zu belohnen, soweit beides möglich war. Im Februar gab der Großherzog an einundsiebzig Unteroffiziere und Soldaten des 94. Regiments die silberne Verdienstmedaille mit Schwertern; der Felddivisionsprediger Dr. C. A. Hase erhielt das Eiserne Kreuz, Major v. Necker das Kreuz I. Klasse und der Unteroffizier Hugo Schorn aus Jena, der sich durch seine Tapferkeit bei la Chapelle ganz besonders hervorgetan hatte, wurde zuerst mit dem Eisernen Kreuz und später mit dem I. Klasse ausgezeichnet.
Das 94. Regiment rückte am 12. Februar – vom Großherzog eingeholt und geführt – in Versailles ein, wo es vor der Hand blieb. Am 26. telegraphierte Karl Alexander an die Regentin: »Heute nachmittag zwei Uhr sind die Friedenspräliminarien unterzeichnet. Gott sei gelobt!«
Daß über den Einzug der deutschen Truppen in Paris im Hauptquartier viel gestritten worden ist, weiß man. Schließlich rückten dreißigtausend Mann, hauptsächlich Bayern und Deputationen von den anderen Divisionen, auf drei verschiedenen Straßen ein. Auch vom 94. Regiment waren Leute ausgewählt worden, und Hauptmann v. Nostitz war sogar Platzkommandant von Paris! Er besaß ein Siegel mit dem Stempel der Pariser Platzkommandantur, das er damals geführt.
Dr. Matthes schreibt in seinen »Erinnerungen« von diesem denkwürdigen 1. März 1871:
»Ich ritt mit dem Feldleibarzt des Prinzen Karl über die Sèvres-Brücke nach Paris und wir waren, ohne es zu beabsichtigen, in eine Straße geraten, welche nicht zu unserer Zone gehörte. Wie die Wilden stürzten sofort die Bewohner auf uns los, schrien à la Seine! à la Seine! Doch waren unsere Rosse rascher wie sie, und bald gelangten wir zu den bayerischen Chevaux-legers, welche die Straße absperrten und in deren Schutz wir wohlbehalten am arc de triomphe anlangten. Es war ein herrliches Schauspiel, als unsere stattlichen Truppen anmarschierten, und auch die Franzosen konnten den kräftigen Männern ihre Bewunderung nicht versagen. Auf drei am Triumphbogen zusammenlaufenden Straßen kamen sie mit schmetternder Regimentsmusik und dem gleichmäßig strammen Schritt, unter dem der Boden erzitterte, und riefen begeistert Hurra, als sie an dem geliebten Führer, dem Kronprinzen, der sich mit seinem Stabe am Triumphbogen aufgestellt hatte, vorüberzogen ... Am 2. März ritt ich nochmals nach Paris über St. Cloud und Neuilly bis an die Platzkommandantur im Palais der Königin Christine, wo die Quartiermacher, unser Hauptmann v. Rostitz und ein Herr v. Prittwitz ihre Wohnung genommen hatten. Merkwürdigerweise sollen ebenfalls beim ersten Einzug der vereinigten Armeen in Paris zwei Träger derselben Namen Quartiermacher gewesen sein.«
Hauptmann v. Nostitz schrieb am 4. März aus Versailles an seine Frau in Weimar:
Dieser ungedruckte Brief ist mir von Frau v. Nostitz freundlichst überlassen worden.Gestern bin ich nicht zum Schreiben gekommen, theils wegen Geschäften, theils aber machte das herrliche Wetter und die Verarbeitung der vielen in mir aufgenommenen Eindrücke, es mir unmöglich zu Hause zu bleiben. Also liegt zwischen dem vorigen Brief und heute, ein für mich großartiger geschichtlicher Moment, dessen Erinnerung mir ewig bleiben wird. Paris, Frieden und Parade auf den Eliseeischen Feldern der deutschen Truppen vor dem deutschen Kaiser. Alle Beschreibungen können die inneren Gefühle nicht wiedergeben; und doch sind es die großartigsten die ich und vielleicht viele mit mir hatten. Wir haben Paris besetzt gehabt und zwar im Anfang mit fabelhaft geringen Kräften, wir haben dieser Rotte und verschrienen Weltstadt imponirt, nachdem wir ihren Heiligenschein vernichtet und sind dann, ohne groß behelligt worden zu sein, unter ihrem Triumphbogen wieder abgezogen. Kurz nach zehn Uhr verließ der General mit seinem Stabe, darunter ich, den Place de Triomphe, hinter uns hatten wir nur noch zwanzig Mann Dragoner, welche, uns folgend, den ungeheueren Menschenmengen mehr durch den moralischen Muth, als durch wirkliche Kraft Halt geboten, so daß, ganz einzelne Gassenjungen ausgenommen, die Bevölkerung äußerlich ruhig, und innerlich sicher kochend, uns bis an das Thor folgte ...
Schon am 2. März hatte unser Großherzog an seine Gemahlin depeschiert:
Der Friede ist geschlossen. Gott sei gelobt! Die Nachricht kam diese Nacht (von Bordeaux, wo die Constituante tagte). Dreihundertfünfzig waren dafür, hundertsiebzig dagegen.
Hier war am 3. März eine Friedensfeier, die um zehn Uhr unter dem Geläute der Glocken mit einem Fest auf dem Markte begann. Das herrliche Lied »Nun danket alle Gott« klang dieses Mal wie ein Jubelgesang; darauf folgten verschiedene Reden, begeistert aufgenommene Hochs und zum Schluß: »Ein' feste Burg ist unser Gott.« Im Schloßhof dankte der Bürgermeister der Frau Großherzogin, die mit den Prinzessinnen auf dem Balkon stand, für ihre Tätigkeit für die Soldaten, man brachte ihr begeisterte Ovationen. Abends war Illumination bis in die kleinsten Straßen, besonders das Schloß war brillant erleuchtet.
Gerade in diesen Tagen des Jubels wurde der Komponist der »Wacht am Rhein«, Musikdirektor Wilhelm in Schmalkalden, vom Schlag gerührt. Er starb 1873.
Der 10. März brachte Weimar seine Fürsten wieder. In Bebra wurden sie von der Groß Herzogin und den Prinzessinnen erwartet, in Gerstungen von den Spitzen der Behörden. Der Einzug durch die geschmückte Stadt war sehr feierlich, man hatte die freudigen Gefühle durch Ehrenpforten, Reden usw. auszudrücken gesucht. Lassen schreibt am 10. März:
Seit acht Tagen ist Deutschland in Festen, hier haben wir eine Illumination nach der andern. Heute um drei Uhr kommen Großherzog und Erbgroßherzog zurück. Die ganze Stadt ist auf den Beinen. Wir stehen in Frack und weißer Kravatte auf einer Seite des Theaterplatzes, auf der andern die Herrn der Kunstschule. Ueberall Transparente und Guirlanden.
Die Kirche hielt Sonnabend, den 11., mittags, eine Betstunde, um für die glückliche Rückkehr zu danken. Abends war Festtheater mit einem Festspiel, »Der Friede«, von Claar, und lebenden Bildern aus der thüringischen Geschichte, die von Künstlern gestellt wurden. Die Musik dazu hatte Klughardt gemacht, den begleitenden Text Hugo v. Blomberg. Den Jubel der Menschen kann man kaum beschreiben.
Sonntag, den 12., wurden »Die Meistersinger« als Gala-Oper gegeben, damit die Weimaraner ihre Fürsten noch einmal begrüßen konnten, und morgens brachte die Zeitung folgenden Erlaß des Großherzogs:
»Die Rückkehr in die Heimat nach Beendigung des Feldzuges ist Mir wie Meinem Sohne, dem Erbgroßherzog, durch den herzlichen Empfang, der uns in wahrhaft ergreifender Weise von der Bevölkerung des Landes und namentlich von den Bewohnern der Residenzstadt Weimar zu Teil wurde, zu einer doppelt freudigen geworden. Tief bewegt danke ich dafür in Meinem und Meines Sohnes Namen. In dem Augenblick, in welchem Ich an die Pflichten des Friedens wiederum herantrete und die mannigfachen neuen Aufgaben vor Mir sehe, welche die großartige Entwickelung der deutschen Verhältnisse mit sich bringt, lst es Mir besonders wertvoll, Mich und Mein Haus mit der Bevölkerung des Großherzogtums in gegenseitiger Treue und Anhänglichkeit verbunden zu wissen. In diesem Bewußtsein befestigt sich Mir die Hoffnung, daß Gott unserem Wirken Gedeihen geben und die Segnungen des Friedens, die Ich für das Land erflehe, in vollem Maße über dasselbe ausgießen werde.
Gegeben Weimar, 11. März 1871.
Karl Alexander.«
Der höchste Feier- und Jubeltag brach für Weimar am 16. März an, denn er brachte unsern Kaiser, der auf dem Wege nach Berlin in der Heimat seiner Gemahlin Rast machte. – Lassen schrieb darüber:
Der Einzug des Kaisers war wundervoll. So enthusiastisch bewegt und schön geschmückt habe ich das gute Städtchen noch nie gesehen. In einem offenen, mit sechs Isabellen bespannten Wagen saß er rechts von der Großherzogin, gegenüber Großherzog und Kronprinz. Wie freundlich haben er und sein Sohn auf alle Ovationen gedankt! Im zweiten Wagen fuhren Prinz Adelbert und Prinz Karl mit unserm Erbgroßherzog, im dritten die Prinzessinnen, in vielen Wagen das Gefolge, obwohl der große Train – auch Moltke – in Erfurt geblieben war. Im Schloß großes Diner, dann hat man ihm einen Fackelzug gebracht, der für Weimar enorm und sehr schön war. Der Kaiser erschien, trotz der Kälte, auf dem Balkon. Man hoffte, daß er durch die illuminirte Stadt fahren würde, aber er hat das Schloß nicht verlassen. Freitag früh um zehn ist er nach Berlin abgereist. Unsere Herrschaften sind am 21. auch dorthin, um Kaisers Geburtstag mitzufeiern.
Am Geburtstage der Großherzogin, der wegen der »stillen Woche« nicht festlich begangen wurde, überreichten ihr die Frauen Weimars eine Dankadresse für alles, was sie in diesen schweren Zeiten getan.
Wurde der 8. April auch still gefeiert, so dachte man doch hier und in Frankreich der hohen Frau in Verehrung und Dankbarkeit. Ganz besonders festlich beging man ihn vor Paris. Während man die Schüsse hörte, mit denen die Pariser sich selbst bekämpften, erfreuten sich die 94er ihrer heimatlichen Genüsse, Bratwurst und Bier. Beim 1. Bataillon in Fort Noissy wurde sogar ein kleines Stück aufgeführt: »Ein Stündchen vor Paris«. Die Regie führte der Einjährige Cadach-Donald, Mitglied des weimarischen Hoftheaters. Er sprach auch einen selbstverfaßten Prolog und erregte damit großen Enthusiasmus; einige Verse mögen hier stehen:
»Ein seltnes Fest versammelt heut uns hier.
Im Anblick der bezwungnen Riesenstadt,
Von der herüber tönt des Kampfes Wüten,
Wo Brüder gegen Brüder stehn im Feuer,
Begehen wir hier eine Friedensfeier –
Ein Freudenfest, das uns die schönen Tage,
Die ungestört in Frieden wir genossen,
Mit der Erinnerung lichten Farben malt.
Und doch ganz passend unsrer heut'gen Feier,
Mahnt uns der Donner, der herüber dröhnt,
An die verfloss'nen Tage, wo wir selbst
Im wilden Kampf, das Vaterland zu retten,
Des Daseins höchste Güter eingesetzt.
Wer war es da, der unser stets gedachte,
Mit Liebeswort und Spende uns erfrischte
Und wie ein Engel waltete im Land? –
Es war des Landes erste Frau,
Die edle Fürstin selbst, die niederstieg
Von ihrem hohen Thron und weinte mit
Den Weinenden um unsre Brüder, die
Im Heldenkampf den Heldentod gefunden ...
Wie einstens von der Wartburg hohen Zinnen
Zum Volk herniederstieg Elisabeth,
So nahte uns von ihres Thrones Stufen,
Als Helferin und Trösterin Sophia.«
Im April kehrte Graf Oskar Wedel, der Kabinettssekretär des Großherzogs, nach siebenmonatlicher Hilfeleistung in den Lazaretten, – mit dem Eisernen Kreuz am weißen Bande geschmückt – vom Kriegsschauplatz zurück. Im Auftrag seines Herrn benutzte er die Ruhe des Friedens dazu, um in den nächsten Jahren das Witwenpalais der Herzogin Anna Amalia am Theaterplatz in Stand zu setzen und die Einrichtung ungefähr wieder so herzustellen, wie sie zu Lebzeiten der Herzogin war und man sie jetzt sehen kann. Seine Kenntnisse und sein feiner Geschmack sorgten für ein schönes Gelingen.
In demselben Monat erhielten Major v. Schauroth und Feldwebel Seibert das Eiserne Kreuz I. Klasse und man begann hier mit der Auflösung der Lazarette und des Depots; nur am Bahnhof wurde noch verpflegt, solange Soldaten durchfuhren. – Allen, die geholfen, wurde nach Möglichkeit von den Herrschaften gedankt, z. B. erhielten die Ärzte Dr. Brehme und Dr. Ulmann den Titel Medizinalrat, für ihre unermüdliche Arbeit. – Der Großherzog verlieh noch siebzehn Offizieren des 94. Regiments den Falkenorden und mehreren Hunderten von der Mannschaft das Verdienstkreuz für ihre treffliche Führung und große Tapferkeit. – Im Mai erhielt Staatsrat v. Wardenburg das Eiserne Kreuz I. Klasse am weißen Bande.
Von Frankfurt kam am 10. Mai die Nachricht, daß nachmittags zwei Uhr der definitive Friede unterzeichnet worden sei. Am 11. fuhr, von daher kommend, Fürst Bismarck hier durch nach Berlin. Der preußische Gesandte, Herr v. Pirch, begrüßte ihn am Coupé und das Publikum brachte ihm laute Ovationen. Schon am 22. Mai kam der Fürst desselben Weges gefahren, er hatte mit Jules Favre und Pouyer-Quertier in Frankfurt konferiert. Er trat auf den Perron und dankte freundlich für ein vom Gerichtskommissar Walther auf ihn ausgebrachtes Hoch und unterhielt sich darauf mit Gerhard Rohlfs.
Von Berlin kommend und nach Ems reisend, brachten Kaiser Alexander II. und Großfürst Alexei den 10. September in Belvedere zu. Der Kaiser spendete zwölf Georgenkreuze für die Mannschaft des 94. Regiments, das seit dem 1. Juni in Meaur stand. Zur selben Zeit kam von dort die Deputation, die an dem Einzug der Truppen in Berlin teilnehmen sollte. Fast alle trugen das Eiserne Kreuz I. Klasse; an ihrer Spitze stand Hauptmann Franke, der das ganze XI. Armeekorps vertrat. – Zu diesem Einzug reisten auch die weimarischen Fürstlichkeiten nach Berlin; hier waren am 18. alle Häuser beflaggt, ein Friedensdankfest in den Kirchen war aber die einzige festliche Veranstaltung, diesem Tag sollte der kirchliche Charakter erhalten werden. – Auf der Totenbahre lag einer, der durch seine warmen, patriotischen Lieder viele Herzen erfreut hatte – Freiherr Hugo v. Blomberg, der begabte Maler und Dichter, hatte am 17. die Augen geschlossen.
Der 24. Juni, Großherzogs Geburtstag, wurde von den 94ern festlich begangen. Hier erschien der erste Aufruf zur Sammlung für ein Kriegerdenkmal mit den Namen der für das Vaterland Gefallenen. Am 6. Juli kamen zweihundertfünfundsechzig Reservisten zurück, die in festlichem Zuge – an der Spitze Karl Alexander und der Erbgroßherzog – in die Stadt geleitet und abends in der »Armbrust« bewirtet wurden, wobei Regierungsrat Genast die Festrede hielt. Für neunhundert Mann, die unter Hauptmann Schnell v. Schnellenbühl am 30. ankamen, wurde ein Volksfest am Schießhaus gegeben. Einige Tage vorher waren achthundertsiebzig Mann vom Ersatzbataillon zum Regiment abgereist.
*
Wie tief der Großherzog die Größe der Zeit empfand, die er am Mittelpunkt der Ereignisse erlebt hatte, spricht sich in zwei Briefstellen an befreundete Frauen aus. Am 17. Juni, dem Tage nach dem Einzug der Truppen, schrieb er, noch aus Berlin, an Fanny Lewald: Jansen, Großherzog Karl Alexander in seinen Briefen an Fanny Lewald-Stahr. (Berlin 1904.)
Gottes Allmacht und Barmherzigkeit hat sich so wunderbar an dem Vaterlande bewiesen, daß man fast zu schwach sich fühlt, genug zu danken! Ja, »vorwärts!« das rufe auch ich! Gebe uns Gott die richtige Einsicht und Kraft, die große Aufgabe vor der Geschichte zu erfüllen: das Reich auszubauen und ihm richtig zu dienen. Ich habe dazu sehr guten Muth.
An Frau v. Gleichen schrieb er am 26. Juni aus Belvedere:
Gott weiß daß Sie Recht haben, von einem schweren Jahr zu reden das hinter mir liegt. Aber noch mehr haben Sie Recht von der Dankbarkeit zu reden, die wir dem Allbarmherzigen schulden für seine unaussprechliche Gnade. Man muß ihn um Kräfte bitten genügend danken zu können.
Am 2. August brachte die »Weimarische Zeitung« an ihrer Spitze folgenden Erlaß:
»Während des Krieges gegen Frankreich haben nicht allein die zu den Waffen gerufenen Söhne des Landes in edlem Wetteifer mit den übrigen deutschen Kriegern sich den Dank des gemeinsamen Vaterlandes in reichstem Maße verdient: auch außerhalb des Heeres ist in einmütiger Erhebung der Herzen und patriotischer Hingebung viel Rühmliches für die vaterländische Sache vollbracht und dadurch in nicht geringem Maße zu dem Gelingen des großen Unternehmens beigetragen worden.
Durch eifrige und pflichtgetreue Fürsorge wurde manche Schwierigkeit geebnet, durch hilfreiche Liebe und selbstverleugnende Aufopferung mancher Entbehrung abgeholfen, manche Not gelindert, vielen Leiden und Schmerzen Heilung gebracht, und zugleich war der Mut der in Feindesland kämpfenden und duldenden Krieger durch den Gedanken an die liebevolle werktätige Teilnahme der Landesgenossen in der Heimat immer aufs neue belebt und gekräftigt.
Für diejenigen, welche sich durch solche rühmliche Tätigkeit besonders hervorgetan – Männer, Frauen und Jungfrauen – haben Wir gemeinschaftlich, als sichtbaren Ausdruck Unserer dankbaren Anerkennung, ein Ehrenzeichen gestiftet, über dessen Verleihung in einem landesfürstlichen Patent das Nähere bestimmt werden wird.
Es ist uns aber zugleich Bedürfnis, überhaupt allen, die in gleichem Sinne für die Sache des Vaterlandes gewirkt haben, Unseren wärmsten tiefempfundenen Dank hiermit auszusprechen.
Wilhelmsthal, den 19. Juli 1871.
Karl Alexander. Sophie.«
Außer diesem weimarischen Ehrenzeichen wurde eine deutsche Kriegsdenkmünze an alle Beteiligten gegeben und den an der Spitze der verschiedenen Veranstaltungen stehenden Männern und Frauen noch ein besonderer Orden erteilt.
Der 2. September 1871 wurde natürlich mit Freudenfeuern, Reden und Schulfesten gefeiert; so ist es geblieben durch vierzig Jahre hindurch, zur Erinnerung an diesen großen, merkwürdigen Tag. Das Sedanfest hat den 18. Oktober abgelöst, an dem bis 1870 das Andenken an die Schlacht von Leipzig begangen wurde. – Am 27. September konnte man endlich den Einzug des 94. Regiments feiern. Von der Erfurter Straße her kamen sie, eingeholt vom Großherzog und Erbgroßherzog und jedem der es möglich machen konnte. Bekränzt und umjubelt marschierte der Festzug durch die Ehrenhalle am Erfurter Tore nach dem Markt. Abends war daselbst ein Volksfest, das die angrenzenden Straßen noch mit einnahm. Den Offizieren gab man ein solennes Diner in der »Erholung« und am 29. war Festtheater, wozu viele Einladungen ergangen waren: man gab »Die Heimkehr«, Festspiel von Claar, eine Kantate von Julius Grosse mit Musik von Rösch und »Wallensteins Lager«.
Der Schluß des Leitartikels, mit dem die »Weimarische Zeitung« die Truppen begrüßte, lautet:
»Als treue Söhne des Vaterlandes sind unsre Soldaten in den Krieg gezogen, als lorbeergekrönte Sieger sind sie heimgekehrt und haben dem dankbaren Vaterlande große, herrliche Gaben gebracht; als eine der schönsten aber begrüßen wir die in diesem Kriege gereifte erhabene Auffassung des wahren Bürgersinnes, der nicht sich, sondern dem Ganzen lebt und aus der Ehrfurcht vor dem Recht, aus der Unterordnung unter das Gesetz und aus der Heilighaltung wahrer Sittlichkeit die Kraft zieht, dem Vaterlande zu jeder Zeit auf die rechte Weise zu dienen, für dasselbe zu leben und zu sterben, wie auf der Walstatt in Frankreich die Helden gestorben sind, denen wir heute, wo wir die Lebenden bei ihrer Heimkehr jubelnd begrüßen, den vollsten Lorbeerkranz zu Füßen legen.«