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VI. Kapitel.
Weimarisches Leben in den sechziger Jahren. Kunstschule. Schillerstiftung. Gedenktage. Das Theater unter Baron v. Loën. Liszts Rückkehr.

Wie schon erwähnt, hatte der Großherzog Ende der fünfziger Jahre den Grafen Stanislaus Kalkreuth hierher berufen, um eine Kunstschule zu gründen. Da er mit seiner großen Familie in das Froriepsche Haus zog, in dem wir schon lange wohnten, so schlossen sie sich rasch an uns, besonders an meine – fast immer kranke – Mutter an. Graf Kalkreuth war es angenehm, mit einer gescheiten Frau, die die Verhältnisse Weimars kannte, die Pläne für die neue Anstalt zu besprechen. 1860 fuhr er nach München, wo er Lehrkräfte – mit Hilfe meines Bruders, der in den dortigen Künstlerkreisen lebte – zu finden hoffte. Piloty suchte man als Direktor zu gewinnen; er verbrachte einige Tage hier und glaubte, die Stelle annehmen zu können, denn er stellte in München sehr hohe, fast unerfüllbare Forderungen; aber der König gewährte alles und Piloty mußte bleiben. Nach seiner Absage bestimmte Karl Alexander den Grafen Kalkreuth für diesen Posten, der in München einige Herren engagiert hatte: Arthur v. Ramberg als Professor der Historienmalerei, Arnold Böcklin als Professor der Landschaftsschule, Franz Lenbach auf ein Jahr als Lehrer der Malklasse und G. Conräder für zwei Jahre als Lehrer; meinen Bruder, Dr. Otto v. Schorn, hatte Graf Kalkreuth als Sekretär der Kunstschule gewonnen. Aus Düsseldorf kam Johannes Niessen als Lehrer des Aktsaals. Als Architektur- und Theatermaler trat Händel ein; über Anatomie las Geh. Medizinalrat Dr. Froriep und über Kunstgeschichte Hofrat Schöll. Man arbeitete in provisorischen Räumen, bis das Kunstschulgebäude – für das nur fünfundzwanzig Jahre Garantie geleistet wurde – fertig war. Zum Hausvogt und Diener nahm man den früheren Stabshoboisten Franke; er war ein treuer, zuverlässiger Mann und ein Original in seiner derben, treuherzigen weimarischen Art.

Wie wir wissen, war Genelli auch 1859 in Weimar eingezogen. Er schloß sich an die von früher hier lebenden Maler, Preller, Hummel, Wislicenus, Martersteig, Thon usw. an. Man konnte nicht von großer Einigkeit unter diesen verschiedenen Gruppen sprechen, der Antagonismus zwischen den »Alten« und den »Jungen« war so augenscheinlich, daß in der »Weimarischen Zeitung«, in der Besprechung über die erste Ausstellung von Bildern im Logenhaus – die der im Dezember 1859 von den »Jungen« gegründete »Künstlerverein« veranstaltete – gesagt wurde, daß Ersprießliches nur durch Einigkeit aller Parteien zu erreichen sei.

Indessen zogen immer mehr junge Maler, der neu emporwachsenden Kunstgemeinde wegen, hierher: v. Wille und C. v. Binzer kamen aus Düsseldorf; Graf Rosen – später Akademiedirektor in Stockholm – und Graf Mörner aus Schweden. Graf Ferdinand Harrach und Karl v. Schlicht waren Schüler und Hausfreunde Kalkreuths, ihnen schloß sich W. Cordes aus Lübeck an.

Im Oktober 1860 kamen die fünf Herren aus München und verbrachten in den ersten Wochen – bis Rambergs und Böcklins Familien anlangten – die Abende meist bei Kalkreuths oder bei uns. Da wurde die Einrichtung der Kunstschule besprochen und die Fremden nach und nach in die weimarische Geselligkeit eingefügt. Ramberg mit seinem schöngeschnittenen, noch jugendlichen Gesicht und den weißen Haaren, den geselligen Talenten und der lustigen kleinen Frau schoß gleich den Vogel ab. Böcklin war still und verschlossen und blieb mit seiner italienischen Gattin weiteren Kreisen fremd. Auch Lenbach hat sich – in seiner jugendlichen Unbeholfenheit – nicht wohl hier gefühlt. Die meisten der »Herrn von Malerschule« – wie sie lachend genannt wurden – gehörten zum Hofkreis, Hofton aber war ihnen noch fremd. Es gab auch in der ersten Zeit keinen Ort, wo sich die Maler zusammenfanden, wie später der »Künstlerverein«, der so viel zu der Behaglichkeit der Mitglieder, und auch zu der künstlerischen Geselligkeit der Stadt beitrug; besonders seit der Großherzog später dem Verein ein eigenes Haus überwiesen hatte. Die alte Hofschmiede im Zeughof wurde von den Künstlern zu einem originellen Heim umgestaltet. Der erste darin wohnende Hauswart war Wilhelm Lucas v. Cranach, und die Feste dort merkwürdig phantastisch und reizvoll; die Maler hatten und haben nun einen Ort der Zusammenkunft, wie man ihn sich nicht wohnlicher denken kann.

Leider machte die Kunstschule schon bald nach ihrer Gründung in keiner angenehmen Art von sich reden. Man nannte sie Kriegsschule, denn es gab endlose Zankereien und Zerwürfnisse. Künstler sind oft nicht leicht zu behandelnde Menschen und es ist nicht jedem gegeben, solch kleines Reich gerecht und unpersönlich zu regieren.

Aber es kam dadurch neues Leben nach Weimar, die Geselligkeit erhielt frische Elemente, die Kaufleute hatten mehr Verdienst, denn es wurden Feste gegeben; wer in dieser Zeit jung war, hat sein Leben in schöner, künstlerischer und harmloser Weise genossen. Die Maler haben sich von hier aus über alle Länder zerstreut, aber dieser Jahre in dem kleinen Weimar haben sie nicht vergessen, das haben wir, die an Ort und Stelle geblieben sind, oft freudig empfunden. Mancher ist wohl auch in Bitterkeit geschieden, als Opfer der Zerwürfnisse, die zwischen dem Direktor und den Professoren vorkamen.

Durch meinen Bruder war Karl Emil Doepler von Dingelstedt als Kostümier berufen worden. Trotz der kargen Mittel am Theater brachte er schöne Dinge zustande. So erfand er eine Art, Dekorations- und Kostümstoffe mit Verzierungen in Golddruck zu versehen, die prächtige Wirkungen hervorrief. Aber auch hier gab es Zerwürfnisse, da Dingelstedt immer mehr versprach, als er zu halten gewillt war. Nach zwei Jahren griff der Großherzog, – der immer zu helfen und zu beschwichtigen suchte – nachdem Doepler sich direkt an ihn gewandt, ein und befreite diesen von seinen Pflichten am Theater, ernannte ihn aber zum Professor an der Kunstschule. Doepler hatte ein großes Talent für Einrichtung aller Arten von Festen und für die Echtheit und dadurch Schönheit der Kostüme. Er wurde zu jeder Veranstaltung herangezogen und ließ nie jemand im Stich. Das war sehr angenehm für den Hof und die Gesellschaft, aber schwierig für einen Maler, der Frau und Kinder durch seine Arbeit erhalten soll. Er erzählt all diese Vorkommnisse in launiger Weise in seinen Erinnerungen, »75 Jahre Leben, Schaffen, Streben. Eines Malersmannes letzte Skizze« von Karl Emil Doepler dem Älteren. (Berlin und Leipzig 1900.) geht natürlich nicht gut mit denen um, die ihm übel mitgespielt, spricht aber mit großer Anhänglichkeit von Weimar und von der Güte der Fürstlichkeiten. Er erzählt auch von dem Teetisch der Frau v. Schorn, wo es den Gästen bei einfachster Bewirtung behaglich gemacht wurde, weil die geistvolle Frau die Liebenswürdigkeit selbst war, aus jedem das Beste herauszuholen wußte und den jungen Leuten mit mütterlichem Rate beistand.

Der Matador der Künstler und der Gesellschaft war aber Graf Ferdinand Harrach, einer der liebenswürdigsten Menschen, die mir im Leben begegnet sind. Er war bald der unbestrittene Anführer aller Unternehmungen; wenn er und Doepler ein Fest vorbereiteten und leiteten, so konnte man des schönsten Gelingens sicher sein. Darüber muß aber Graf Harrach seine Studien doch nicht vernachlässigt haben, sonst wäre er nicht solch ein feinsinniger Maler geworden. Mögen ihm diese Zeilen sagen, daß er in Weimar unvergessen ist.

Lenbach und Böcklin waren damals junge, schon vielversprechende Künstler. Beide litt es nicht lange hier, Italien zog sie mächtig an. Lenbachs Kontrakt wurde bis zum Frühjahr 1862 verlängert; bald darauf schied auch Böcklin, dem Weimar – wo er ein Kind verloren – wohl keine gute Erinnerung hinterlassen hat.

Nach Frorieps Tode, im Sommer 1861, übernahm Dr. Brehme endgültig die Vorträge über Anatomie und Dr. v. Schorn las über Ästhetik und Kostümkunde, bis Doepler das letztere Fach übernahm; Zeichenlehrer Jäde lehrte Perspektive. – Am 1. April 1862 wurden Historienmaler Pauwels aus Antwerpen und Bildhauer Reinhold Begas als Professoren angestellt. Der Versuch, eine Klasse für Bildhauerei zu errichten, scheiterte damals – Begas blieb nur wenige Wochen hier – sie wurde erst viele Jahre später ins Leben gerufen. – Die ersten Schüler der Kunstschule waren Gussow, Weichberger und Geibel. Im ersten Jahr traten achtundzwanzig ein, von denen dreizehn sogenannte Meisterschüler waren, die selbständig in eigenen Ateliers arbeiteten. – Die Fortschritte der Kunstschule können hier nur in großen Umrissen wiedergegeben werden, der häufige Wechsel der Professoren in den ersten fünfzehn Jahren bedingte ein unruhiges Leben in dem Künstlerstaat und soll hier nicht in seinen Ursachen dargestellt werden.

Im Februar 1861 wurde die erste Ausstellung der Kunstschule in der Loge eröffnet, die unter anderem das große Bild von Kalkreuth, »Der heilige Graal,« enthielt, das der Großherzog kaufte; von Lenbach waren »Der Titusbogen« und sein »Hirtenknabe«, im blumigen Grase liegend ausgestellt, von Böcklin der »Raub an der italienischen Küste«. Beide Bilder kaufte Herr v. Schack für seine Galerie in München.

Am 5. März arrangierten die Maler ihr erstes Künstlerfest im Stadthaus. Maskenbälle hatte man ja schon unendlich viele hier gesehen, aber welch anderes Gepräge bekamen sie jetzt! Jedes Kostüm wurde von den Künstlern angegeben, gezeichnet, oft fast selbst gemacht. Jede Person, die sie zu einer der Vorstellungen ausgesucht, hatte sich ihren Anordnungen unbedingt zu fügen. Aber wie überraschend schön war dann auch der Gesamteindruck. Jetzt ist man das seit vielen Jahren gewöhnt und kann es sich kaum mehr anders denken, aber damals war es etwas Neues, was uns viel Mühe und Arbeit, aber auch große Freude brachte.

Der Vorabend des Geburtstages der Frau Großherzogin wurde mit einem Fest zum Besten verunglückter Holländer gefeiert. Ramberg und Doepler stellten in der »Erholung« lebende Bilder, Schöll sprach die Einleitung und Erläuterungen, und Liszt – der wenige Monate später von Weimar schied – spielte die Begleitung.

Der Geburtstag des Großherzogs wurde 1861 noch nicht wieder gefeiert, waren es doch erst zwei Jahre her, daß seine Mutter am Vorabend ihre Seele ausgehaucht hatte. Zwar war Königin Augusta gekommen, aber nur, um mit den Ihren dem Trauergottesdienst in der griechischen Kirche beizuwohnen.

Nur die Künstler hatten trotzdem Vorbereitungen für eine eigenartige Feier getroffen: sie eröffneten im Meßhause eine permanente Gemäldeausstellung; die Innenausstattung des Raumes wurde durch eine Verlosung von Skizzen bestritten, die sie dazu geschenkt hatten. Unter den Ausstellern waren erfreulicherweise die beiden weimarischen Künstlergruppen und auch Fremde vertreten.

Die Zwistigkeiten unter den Malern berührt der Großherzog in einem Brief an Frau v. Gleichen vom 21. Januar 1862:

... Weimar macht wirklich Fortschritte: bei dem in acht Tagen zusammentretenden Landtag führe ich mit Gottes Hülfe Gewerbefreiheit ein; Künstler sind eine Menge hierher gezogen, die ihre Thätigkeit schon documentiren, denn sie malen Bilder, rasiren sich nicht und hassen sich untereinander; und nun hat sich auch die Stadt die Möglichkeit angeschafft Erdbeben haben zu können. Vor vierzehn Tagen war es Sommerschwül, plötzlich halb vier Uhr Nachmittag knisterten die Wände in meiner Töchter Zimmer, wackelten alle Bilder und in der Stadt viel Krinolinen – es war ein Erdbeben und die Zeitungen bestätigten es. Was ist doch nicht Alles möglich in der Welt?! Nur eins nicht, daß ich je aufhören könnte Clio, meine Clio, Frau v. Gleichen, meine Frau v. Gleichen zu nennen, da ich bin und bleibe dieser

ein ergebener Freund
Carl Alexander.

Zur Nachfeier seines Geburtstages wünschte der Großherzog ein Künstlerfest im Park von Belvedere zu sehen, dessen Inszenierung Ramberg und Theatermaler Händel übernahmen. Dingelstedt hielt eine launige Ansprache, dann folgten komische Vorführungen, z. B. eine Travestie der Ballade »Der Handschuh« von Schiller, eine burleske Menagerie, in der sich Harrach und Doepler als Tiger und Löwe hervortaten, ein Turnier auf Eseln usw. Leider mischte sich der Regen störend ein, aber am Abend konnten Tanz und Feuerwerk doch noch zu ihrem Rechte kommen.

Der Zentralsitz der deutschen Kunstgenossenschaft wurde Ende Oktober von Düsseldorf nach Weimar verlegt. In den Vorstand wählte man Professor Martersteig als Präsident, Professor Doepler als Vizepräsident, Dr. v. Schorn zum Sekretär und als Kassierer Professor Hummel. Der Verein bestand damals aus 1500 Mitgliedern.

Der Großherzog mußte im August 1863, durch seine Reise nach Frankfurt zum Fürstentag, das erste große Künstlerfest im Freien hier versäumen, das zu Ehren der 8. Versammlung der »Deutschen Kunstgenossenschaft« gegeben wurde. Das war ihm gewiß ein Schmerz, denn er liebte es, bei solchen Gelegenheiten der Mittelpunkt zu sein, um den sich bedeutende Leute sammelten, und sein geliebtes Weimar im Festesglanze zu sehen. Vertreten wurde er durch seine Gemahlin, die an solchen Tagen, wo die Repräsentation allein auf ihren Schultern lag, ihre ganze, bestrickend sein könnende, Liebenswürdigkeit entfaltete. Zur Seite hatte sie ihren Sohn, der die Herzen durch seine einfache, warme Art gewann.

Das Fest begann am 17. mit einem Begrüßungsabend im Stadthaus, wo Hans Köster die Gäste mit einem Festgruß empfing, dessen Anfang lautete:

Sag, Freund, was ist's nur heut mit Eurem Weimar?
Das rennt, das läuft, biegt kurzum um die Ecke,
Daß mit den Köpfen man zusammenfährt,
Und von gebroch'nen Rippen träumt und Schädeln;
Die Banner wehn, viel lust'ge Fähnlein flattern,
Und Eure Dichterbilder sind bekränzt! –
Zieht er schon ein, der neugekrönte Kaiser? –
– »Gemach, mein Freund; sang unser Alter doch:
›Pfui! ein politisch Lied – ein garstig Lied!‹« –
– Was habt Ihr denn? – kaum dem Waggon entstiegen,
Zerr'n hundert weiche Händchen mich am Rock:
»Zu uns, mein Herr!« – Ihr schönen Frau'n, ich weiß nicht –
– »Ihr müßt mit uns – so gut als alle andern
Woll'n wir den unsren auch!« – Und, eh' ich mich
Der Widerred' versehn kann, führt man mich
Schon in ein festlich aufgeschmückt Gemach,
Und kehrt mit Rostbratwurst und Ilmer Bier
Den Staub mir aus der Kehle.

Lassen berichtet von diesem Abend an seine Eltern, unter anderem daß belgische Maler eingetroffen sind, die – wie auch die Gäste von Berlin und Dresden – mit Musik am Bahnhof empfangen wurden.

Aus dem Stadthaus gingen wir fort um eine Feuersbrunst zu sehen. Eine halbe Stunde vor der Stadt brannte eine Mühle lichterloh, sie ist am Wald und am Fluß gelegen, der hier ein Wehr hat über das das Wasser rauschte und in dem sich das Feuer spiegelte. Es war die schönste Dekoration die ich noch gesehen.

Die Einladungen zu dem Fest waren von Professor Martersteig und Dr. v. Schorn gezeichnet. Dietz-Karlsruhe wurde zum Präsidenten gewählt; Hübner-Dresden und Kalkreuth zu Vizepräsidenten; Wichmann und Schorn zu Schriftführern. Am ersten Tage zog die Großherzogin den Vorstand und die Deputation zur Tafel nach Belvedere, wo sie alle mit ihrer Liebenswürdigkeit begeisterte. Halb Weimar war indessen in den dortigen Park gewandert, wo die Musik spielte und die Großherzogin sich nach der Tafel mit ihrem Sohn und den Gästen unter die Spazierenden mischte. Bekannte ansprechend und sich Fremde vorstellen lassend. Am Abend geleiteten Turner die Menge mit Fackeln durch die Allee nach der Stadt, wo vor jedem Dichterdenkmal Halt gemacht und ein Ständchen gebracht wurde. Vor Goethe und Schiller hielt Hans Köster eine begeisterte Rede.

Am 19. begrüßte in einer Vormittagsversammlung Staatsrat Stichling die Gäste im Namen des Großherzogs, dann wurden die inneren Verhältnisse der Kunstgenossenschaft beraten. Der Nachmittag war für das aufs beste vorbereitete Fest im »Stern« bestimmt. Dieser Platz an der Ilm, umgeben von den schönsten Bäumen, eignet sich wie kein anderer zu solchen Veranstaltungen und hier hatten alle zusammengewirkt, um etwas Schönes zu schaffen. An der Spitze der Maler standen Genelli, James Marshall, Graf Harrach, Doepler usw., aber gearbeitet hatten alle, um den »Stern« in einen Festplatz zu verwandeln, der an dem Ende nach dem Schlosse zu von der Fürstenloge, an der gegenüberliegenden Seite von einem Festbau begrenzt war, der zwei Bühnen und an den Seiten Portale für die zirkulierende Menge enthielt, die sich nach der dahinter liegenden Festwiese, zwischen der Ilm und Goethes Garten gelegen, begeben wollte. Der Festplatz war mit Riesenkandelabern und Blumengehängen eingefaßt, auf der Wiese waren ringsum Buden gebaut, wo man sich niederlassen und erfrischen konnte, in der Mitte stand ein Zirkus, in dem die Parodie eines spanischen Stiergefechts vorgeführt werden sollte; zwei Tanzplätze waren eingerichtet und der Schluß des Festes sollte ein großes Feuerwerk sein, als dessen Hintergrund die Dekoration »Schloß Peterhof« aufgestellt war.

Um vier Uhr erschien der Hof; die Herrschaften wurden mit Jubel empfangen. Leider trübte sich der Himmel und während der Festzug – von Graf Harrach als Ritter zu Pferde angeführt – den Platz umschritt, begann es etwas zu regnen. Das Festspiel von Wilhelm Genast, inszeniert von seinem Vater, dem Ehrenmitglied des Hoftheaters, mit Musik von Stör und lebenden Bildern von Genelli, begann. Bis gegen das Ende desselben ging alles gut, Frau Niemann-Seebach und Frau Köster repräsentierten Wissenschaft und Tonkunst, Frau Hettstedt die Dichtkunst, Fräulein Bußler die bildende Kunst und Fräulein Knaufs Germania – da wurde es plötzlich fast Nacht und es strömte ein solcher Regen hernieder, daß jedermann nur vom Wunsche nach Rettung beseelt war. Die Frau Großherzogin blieb sitzen, um das Ganze zusammenzuhalten, erst als man ihr sagte, daß die Darsteller bereits das Weite gesucht hätten, kehrte sie nach dem Schlosse zurück. Der Wolkenbruch verwandelte den wundervollen Festplatz in einen See und es spielten sich tragikomische Szenen ab. Erst am Abend war es möglich, einiges wieder herzurichten, wenigstens die Tanzenden zu befriedigen, aber die ganze Schönheit des Festes, Feuerwerk, Illumination des »Sterns«, Stiergefecht, alles war ins Wasser gefallen.

In der Sitzung des dritten Tages beantragte Dietz, nachdem die Geschäfte erledigt waren, dem Altmeister Asmus Carstens, dem Begründer der neuen deutschen Kunst, auf Kosten der Kunstgenossenschaft ein Denkmal in seinem Geburtsort St. Jürgens bei Schleswig setzen zu lassen. Bildhauer Gilli-Berlin stellte einen Marmorblock zur Verfügung. Es wurde beschlossen ein Medaillonporträt von Carstens anzubringen, und der Zufall wollte, daß das einzige Bild, welches von ihm existierte, in nächster Nähe zu finden war. Carstens' Freund Fernow hatte in Rom eine kleine runde Bleistiftzeichnung von diesem gemacht, auf der das schöne Profil des Künstlers so scharf heraustritt, als wenn es zur Vorlage für ein Relief hätte dienen sollen. Dieses Bildchen hatte Fernow seiner Freundin Johanna Schopenhauer gegeben und von ihr hatte es ihre Tochter Adele geerbt. Daß diese es ihrem Helfer und Berater Schorn geschenkt, wissen wir aus ihren Briefen im ersten Band und aus der Unterschrift von der Hand meiner Mutter: »Carstens von Fernow gezeichnet, Geschenk von Adele Schopenhauer an Schorn.« Nach diesem Porträt wurde das Relief für das Denkmal gemacht.

An demselben Tage war das Festmahl im Schießhaus, wo die begeisterten Gemüter sich in Trinksprüchen genug taten. Dietz toastete auf den abwesenden Großherzog; auch hier spielte die Hoffnung, die man auf den Fürstenkongreß setzte, wie in fast allen Reden, eine Rolle. – Hübner sprach mit großer Wärme von der Großherzogin, »die an jeder Stelle die erste Stelle einnehmen wird«. Daß sie ihnen in Belvedere den Willkomm zugetrunken habe, sei ein unvergeßlicher Moment gewesen, und morgen werde sie die Künstler auf der Wartburg empfangen, wie vordem die heilige Elisabeth die deutschen Sänger. – Der letzte Redner war Gutzkow, der von dem Wesen der Kunst sprach, von dem notwendigen Glauben des Künstlers an sich selbst, von der echten Künstlergesinnung, die nicht nach fremdem Urteil, sondern aus eigner, tiefer Empfindung heraus Kunstwerke schaffe, mit heiliger, glühender, hingebender Andacht. Dieser Gesinnung bringe er ein Hoch! Jubelnder Beifall folgte seinen begeisterten Worten. – Der hochbetagte Peter v. Cornelius hatte sein Erscheinen angemeldet, aber doch wieder absagen müssen. Auf ein Telegramm antwortete er: »Der Kunstgenossenschaft meinen großväterlich altmeisterlichen Segen und Gruß.« – Ein Ball in der »Erholung« beschloß die schönen Festtage.

Am 21. fuhr die ganze geladene Gesellschaft mit Extrazug nach Eisenach und bestieg die Wartburg, wo Ramberg und Doepler ein herrlich stilvolles Fest vorbereitet hatten. Die Poesie die über dem Ganzen lag, und die Liebenswürdigkeit mit der sich die Großherzogin mit ihrem Sohn und den beiden Töchtern unter ihren Gästen bewegte, blieb den Teilnehmern unvergeßlich. Den Höhepunkt des Tages bildete ein Konzert im großen Saale, wo Albert Niemann und Frau Köster zu der Begleitung von Lassen sangen. Niemanns herrliche Stimme soll in dem schönen Raum einen überwältigenden Eindruck gemacht haben. – Die Stimmung war so warm und enthusiastisch, die Eindrücke von Natur, Kunst und Erinnerungen so mächtig, daß die Dankes- und Hochrufe an die fürstlichen Festgeber gar nicht enden wollten. – Als die Gäste im Dunkel nach dem Bahnhof zogen, bildeten Bergfeuer und die erleuchtete Burg den letzten Abschiedsgruß.

*

Die Generalversammlung der »Goethestiftung« tagte am 28. August 1863 und erteilte den ausgeschriebenen Preis von tausend Talern, der diesesmal einem Bildhauer zukam, einer Gruppe die Johannes Schilling für die Brühlsche Terrasse geschaffen hatte. 1865 erhielt Hermann Wislicenus den Preis für seinen Karton: »Die Bedrängnis des Menschen durch das Element.« Der Ausschuß bestand aus Schnorr v. Carolsfeld, Steinle und den Bildhauern Bläser und Brugger sowie Genelli als Stellvertreter des greisen Peter v. Cornelius. Die Herren setzten die Preisverteilung auf alle drei Jahre fest und bestimmten als Konkurrenzarbeit ein Relief über den Eingang des Museums.

Um ein Bild von dem wechselnden Leben in den ersten fünfundzwanzig Jahren der Kunstschule zu geben, nenne ich die Professoren, Lehrer, hervorragendsten Schüler und die selbständig arbeitenden Maler, die nur von den Hilfsmitteln der Schule Gebrauch machten. Graf Kalkreuth blieb bis 1876; während seinen Urlaubsreisen, die aus Gesundheitsrücksichten geboten waren, vertraten ihn abwechselnd Ramberg, Pauwels und Verlat. Nach Kalkreuths Rücktritt führte Theodor Hagen das Direktorial bis 1881; dann Professor Brendel bis 1885. Beide blieben der Anstalt als Professoren erhalten, nachdem der Großherzog am 1. Oktober 1885 den Grafen E. v. Schlitz genannt v. Goertz zum Direktor ernannt hatte.

Das 1860 angestellte Lehrerkollegium ist schon genannt worden. Professor Pauwels schied 1871, nach zehnjähriger Tätigkeit, wegen Zerwürfnissen mit Graf Kalkreuth. 1863 trat A. Michelis ein, der 1868 hier starb. An seine Stelle trat Max Schmidt bis 1871. Wislicenus wurde 1865 angestellt, drei Jahre später folgte er einem Ruf nach Düsseldorf. Paul Thumann blieb von 1860-70; B. Plockhorst von 1866-69; Charles Verlat aus Antwerpen von 1869-72; Gussow wurde 1870 Professor, folgte aber bald einem Rufe nach Karlsruhe; A. Bauer-Düsseldorf 1871-76; Ferd. Schauß 1871-76. – Bei dem Namen Theodor Hagen-Düsseldorf, der 1871 als Professor berufen wurde, überkommt uns endlich eine wohltätige Ruhe, denn er schied nicht nach einigen Jahren, sondern widmete Weimar und der Kunstschule sein Leben und seine Kraft. Bald fesselten ihn zarte Bande, er heiratete Marie Ridel, die Enkelin eines der »Ratsmädel«, welche Helene Böhlau berühmt gemacht hat. Unter seiner bewährten Leitung haben sich Generationen von Landschaftsmalern ausgebildet; sogar sein Schwiegervater, Major Ridel, wurde Hagens Schüler, nachdem er die Kriege von 1866 und 1870 mitgemacht hatte. Hagen hat aber auch als Mensch den denkbar besten Einfluß auf die jungen Leute und die ganze Anstalt gehabt – und hat sie noch, denn er lebt und arbeitet als hochgeachteter, geliebter, verehrter Nestor der Kunstschule unter uns, der die Fahne der naturalistischen Landschaftsmalerei hoch hält. In der Zeit seiner Direktion waren von 1878-82 Alexander Struys und Wilhelm Linnig aus Antwerpen als Lehrer tätig. 1874 trat B. Woltze, 1876 F. Arndt ein. Das Jahr 1875 brachte einen der größten Künstler, die an der Kunstschule gelehrt haben, den Tiermaler Albert Brendel aus der Barbizonschule. Auch bei ihm und bei Max Thedy, der 1882 aus München berufen wurde, überkommt uns freudiges Empfinden, denn sie blieben Weimar treu. Brendel wurde nur leider allzu früh vom Tode überrascht, aber Thedy ist neben Hagen eine bewährte Stütze der Schule, ein herrlicher Künstler und vortrefflicher Lehrer.

Die drei noch zu nennenden Professoren hatten zu den Schülern der Anstalt gehört: Woldemar Friedrich wurde 1881, Wilhelm Zimmer 1882, Graf Leopold Kalkreuth 1885 berufen.

Der erste Sekretär der Kunstschule war Dr. Otto v. Schorn. Er nahm 1872 den Abschied wegen überhandnehmenden Unfriedens und folgte einem Ruf an das neugeschaffene Kunstgewerbemuseum in Nürnberg, woselbst Architekt Dr. Stegmann aus Weimar Direktor war. Dr. Roßmann trat für ein Jahr in die Stellung des Sekretärs ein, auf ihn folgten Dr. Flörcke, Maler Arndt und Dr. v. Bamberg.

Als Gäste der Kunstschule sind in diesen ersten fünfundzwanzig Jahren ihres Bestehens zu nennen: Cordes, Portaels, Bischop, Klinkenberg, Linnig sen., Fritz Werner, Albert Schmidt.

Die bekanntesten Namen der ehemaligen Schüler sind, außer den schon genannten: O. Günther, Souchon, v. Gerstenberg, Gehrts, Piltz, Pohle, Freiesleben, Ludwig v. Gleichen-Rußwurm, Buchholz, Tschimmer, Winkler, Graf Reichenbach, Boppo, Böhm, Berninger, Graf Cederström, v. Schennis, Liebermann, Hasemann, Sturtzkopf, Haeseler, Feddersen, Koken, Brütt, Mackeldey, Pölchau, v. Schultzendorf, Krohn, Kanoldt, Speckter, v. Haber, Tübbecke, v. Blomberg, v. Schrenk, Piglhein, Rohlfs, Rettig, Hammer, v. Otterstedt, Hoffmann-Fallersleben, v. Loën, Förster, Ridel, v. Eschwege, Rasch, Schlittgen, v. Meyendorff, Dr. Kling, Bunke, Flintzer, Merker, Herrfurth, Braune, de Marées, Hansen, Asperger, Plühr, Haas, Valentini, Rieß, v. Cranach, Vogel, Schrader.

Die Professoren aus den späteren Jahren sind: Frithiof Smith, Paul Förster (Professor und Sekretär), Aristide Sartorio, Hans Olde (Direktor und Professor), Ludwig v. Hoffmann, Sascha Schneider, Fritz Mackensen (Direktor und Professor), Gari Melchers, Egger-Lienz.

*

Die ersten zu verzeichnenden Vorkommnisse am Hofe in den sechziger Jahren beweisen wieder die schöne Pietät, auf die Karl Alexander und Sophie ihr Leben bauten. So beschenkte die Großherzogin am 23. Juni 1860, dem Jahrestage des Todes der Großfürstin, zwei von dieser gegründete Anstalten mit namhaften Summen: die »Gartenarbeitsschule« und die »Marienstiftung« für alte Männer. Am 8. Juli, dem Todestage Karl Friedrichs, wurde der Grundstein zu der griechischen Friedhofskapelle gelegt, die auf testamentarische Verordnung der Großfürstin dicht hinter der Fürstengruft errichtet werden sollte. Der Großherzog legte selbst den Grundstein, die russischen Sänger trugen ihre herrlichen Gesänge vor, Probst Sabinin sprach das Gebet, Minister Watzdorf hielt die Weiherede und verlas den Passus aus dem Testament der Großfürstin, der schon bei ihrem Tode im ersten Band zitiert worden ist. – Die Kapelle wurde am 23. Juni 1862 eingeweiht. Zugegen war die Großherzogliche Familie mit Königin Augusta; Graf Adlerberg, der Abgesandte des Kaisers von Rußland; Baron v. Maltitz, der hiesige russische Gesandte; die obersten Hofchargen, das Ministerium usw. Probst v. Sabinin vollzog die Weihe unter der Assistenz der russischen Geistlichen aus Stuttgart und Wiesbaden; Gottesdienst und ein gesungenes Tedeum beschlossen die Feier.

Die Fürstengruft öffnete sich am 17. Juli 1864 wieder zum Empfang eines Sarges: die Tochter des Herzogs Bernhard, Prinzessin Anna, war in Liebenstein verschieden.

Wir kehren zu dem Jahr 1860 zurück: Am 3. August, dem Namenstag der Großfürstin, wurde das von ihr gestiftete Lesemuseum am Karlsplatz eingeweiht. Großherzogin Sophie hatte die innere Einrichtung geschenkt. Kammerherr v. Minkwitz übergab es im Namen des Großherzogs dem Vorstand der Museumsgesellschaft, Seminardirektor Mohnhaupt.

In dem kleinen Badeort Lauchstädt feierte man am 25. Juli das hundertundfünfzigjährige Bestehen des Bades. Da dieser Ort durch Goethe und Schiller so nah mit Weimar verknüpft war, benachrichtigte man den Großherzog davon, der einen sehr warm gehaltenen Brief durch Walther v. Goethe überbringen ließ.

Zu dieser Pietät gehörte es auch, daß Karl Alexander alte Beziehungen nicht fallen ließ, besonders wenn sie mit der Glanzzeit Weimars in Verbindung standen. So unterhielt er den Briefwechsel mit Frau v. Gleichen und übertrug seine Liebe auch auf ihren einzigen Sohn Ludwig. Von der Wartburg schrieb er am 18. Mai 1860:

Meine gnädigste Frau! Besuche sind oft eine Last, aber auch eine Freude. Da ich Ersteres gern vermeiden. Letzteres gern verursachen möchte, frage ich Sie, wie Herrn v. Gleichen, ob mir dieses strategème wohl gelingen würde, wenn ich Sie besuche? Sind Sie über diese Frage einig, so bitte ich mir ferner zu sagen, ob ich nach dem 8. Juni kommen darf? Ist auch diese Frage erledigt, so sind Sie so gütig mir zu sagen, welcher Weg vorzuziehen sey, über Frankfurt oder Bamberg und wo ich die Bahn zu verlassen habe? Nach diesen Fragen allen nenne ich den Freiherrn Walther v. Goethe als meinen Begleiter, falls Sie diesen meinen Besuch annehmen und drei Diener als zur Vervollständigung des zu wissen nöthigen détails. Meinen Freund Goethe wählte ich eines Theils weil ich ihm damit Freude mache, andern Theils, weil es mir ganz passend erscheint, daß die Enkel Carl August's und Goethe's der Tochter Schiller's huldigen. – Ich bitte Sie mir hierher zu antworten, wo ich seit gestern wohne und mir die Frühlingspracht in der Vogelperspective betrachte ...

Der Besuch des Großherzogs und Walther Goethes auf Schloß Greifenstein fand statt und beglückte ersteren so sehr, daß er mehrmals in späteren Briefen davon spricht. Am 8. August schrieb er aus Wilhelmsthal:

Eine Gedankenheimath ist ein Glück. Es genießt dieses bei Ihnen und durch Sie Ihr Ihnen ergebenster Carl Alexander.

In Wilhelmsthal wurde in der Großherzoglichen Familie am 31. Juli 1862 der 18. Geburtstag des Erbgroßherzogs gefeiert, an dem man ihn für volljährig erklärte. Das Fest wurde aber durch die Todesnachricht des Herzogs Bernhard gestört, der an diesem Tage in Liebenstein verschieden war. Seit 1848 war er Oberbefehlshaber der Kolonialarmee in Niederländisch-Indien; als er seinen Abschied nahm, lebte er meist im Haag, im Sommer in Liebenstein. Am 6. August kam die Leiche in Weimar an, wo sie in der Fürstengruft beigesetzt wurde. Mit militärischen Ehren wurde der Zug von Liebenstein hierher in jedem Orte empfangen und geleitet. – Von den Nächststehenden und denen, die unter ihm gedient, wurden dem Herzog große Tapferkeit, Energie und viele Kenntnisse, namentlich in den Kriegswissenschaften, nachgerühmt. In Belgien war sein Name fast zum Schrecknis geworden, oft hieß es: »Sachsen-Weimar führt etwas im Schilde.« Man lobte den Herzog als guten Vater, als wohltätig, gastfrei, gesellig und lebenslustig, aber man warf ihm auch allzu große Leidenschaftlichkeit, despotische Neigungen und Launen vor, unter denen seine Umgebung oft zu leiden hatte.

Der Großherzog schrieb am 2. August 1862 aus Wilhelmsthal an Frau v. Gleichen:

Ein neuer Zeuge der großen Erinnerungen jener goldenen Zeit ist mit den übrigen nunmehr vereinigt: mein Onkel Bernhard starb vorgestern zu Liebenstein. Er war durch sein Alter wie das Verbindungsglied zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart.

Mit diesem Tode war die alte Generation erloschen, mit der Großjährigkeitserklärung des Erbgroßherzogs Karl August trat eine junge in ihre Rechte.

Veränderungen am Hofe in diesen Jahren waren: Der langjährige Flügeladjutant zweier Großherzöge, Gotthard v. Watzdorf, bat um seinen Abschied; Graf Beust wurde Generaladjutant mit dem Titel Generalmajor. 1863 erhielt Hauptmann v. Kiesenwetter die Stelle eines diensttuenden Flügeladjutanten. – 1865 kam die Palastdame der verstorbenen Königin von Holland, die verwitwete Gräfin v. Limburg-Stirum, als Oberhofmeisterin der Großherzogin hierher. Sie war als Fräulein v. Buchwald Hoffräulein bei derselben gewesen. Sie bewohnte das Fürstenhaus und lud weitere Kreise zu ihren Bällen und Gesellschaften ein, als zu Hofe gehen konnten. Einerseits hatten diese Abende den Ruf langweilig zu sein, wohl für die Menschen, die nur der Verpflichtung wegen sich dort zeigten. Aber die Jugend verlebte bei der guten Gräfin ihre schönsten Zeiten, man fühlte sich zu Hause, mochte nun getanzt, musiziert oder vorgetragen werden, und sie hatte ihre Freude daran, wenn man sich gut unterhielt. Der Hof war natürlich immer da und auch die jüngeren Mitglieder desselben fühlten sich im Fürstenhaus freier als im Schloß.

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Wichtige Anstellungen von neuen Beamten seien hier zusammengefaßt: Der bisher nur provisorisch angestellte Bibliothekar Dr. Reinhold Köhler wurde im Januar 1860 definitiv ernannt. Damit war für die Großherzogliche Bibliothek eine vorzügliche Kraft gesichert. Er war als Gelehrter, Beamter und Mensch gleich ausgezeichnet und von den Wenigen, die ihn genau kannten, hochgeschätzt und geliebt; da er eine scheue Natur war und mit seinen Schwestern sehr zurückgezogen lebte, war sein großer Wert als Charakter nur im kleinen Kreise bekannt.

Am Wilhelm Ernst-Gymnasium war, durch den Weggang des Direktor Heiland, die Neubesetzung dieser Stelle notwendig geworden. Im Oktober 1860 wurde Dr. Rassow, der Professor am Joachimsthaler Gymnasium gewesen, als Direktor ernannt. Diese gereifte, kraftvolle, ritterliche Persönlichkeit war sehr geeignet, das der Reform bedürftige Gymnasium zu leiten, sich die Liebe der Schüler zu erwerben und – von 1876 an – als Oberschulrat die Aufsicht über alle höheren Schulen des Landes zu führen. Seine intime Freundschaft mit Stichling, dem Chef des Kultusministeriums, erleichterte die Verhandlungen zum Wohl der Unterrichtsanstalten. 1881 trat Rassow wegen Augenleiden von der Direktorstelle zurück, 1887 war er genötigt auch der Arbeit als Oberschulrat zu entsagen. Unter seinem Nachfolger, Direktor Weniger, wurde 1887 das neue Gymnasiumsgebäude in der Amalienstraße bezogen.

Der Archivar an dem gemeinschaftlichen Hauptarchiv des Sachsen-Ernestinischen Hauses, Dr. Karl Hugo Burkhardt, erhielt im April 1862 die Ernennung zum Archivar und ersten Beamten des geheimen Haupt- und Staatsarchivs. Wer diesen vortrefflichen, aber höchst originellen Mann gekannt hat, wird seiner nicht vergessen.

1865 wurde von Eisenach der Musiker Müller-Hartung als Kirchenmusikdirektor und Lehrer am Gymnasium und Sophienstift hierher berufen. Er übernahm den von dem verstorbenen Musikdirektor Montag gegründeten Singverein und bewies seine große, unermüdliche Tätigkeit gleich im ersten Winter seines Hierseins, indem er Konzerte mit seinem Chor gab, zu denen er sich der Mithilfe des Orchesters und der ersten Kräfte am Theater versicherte. Er führte unter anderm den »Lobgesang« von Mendelssohn, »Paradies und Peri« von Schumann, das »Magnifikat« von Bach und viele andere große Werke auf. 1869 wurde Müller-Hartung – auf Anraten von Liszt – zum dritten Kapellmeister am Hoftheater ernannt, um, zum Vorteil seiner Konzerte, mehr Fühlung mit dem Orchester zu gewinnen. 1872 gründete er die Orchesterschule, mit sehr kleinen Mitteln und viel Arbeit und Sorgen, bis sie sich nach und nach, unter der Beihilfe der Herrschaften, sowie Liszts und Hans v. Bülows, gedeihlich entwickelte. Die Lehrer nahm Müller-Hartung meist aus den Musikern und Sängern des Theaters und richtete, unter Beihilfe des Mildeschen Ehepaares, sogar eine Theaterschule ein. Er war der Lehrer von Prinzeß Elisabeth, die sich mit großem Eifer dem Klavierspiel widmete. So hat der, später zum Geheimen Hofrat ernannte, liebenswürdige, tätige Musiker jahrelang einen Teil des musikalischen Lebens hier in der Hand gehabt und nach seinen besten Kräften gefördert.

An der Hof- und Garnisonkirche war seit Mitte der sechziger Jahre Dr. Karl Alfred Hase als Kollaborator angestellt, der Sohn des berühmten Theologen in Jena. 1868 wurde er Hofdiakonus und war bis 1870 – wo er als Feldprediger mit in den Krieg zog – einer der beliebtesten Kanzelredner, denn er sprach warm und geistvoll. Die Geselligkeit wußte er durch sein Wissen und feinen Humor sehr zu beleben.

Assessor Adolph Gujet kam im August 1868 als Geheimer Referendar in das Ministerium und als Referent in das Departement des Großherzoglichen Hauses, des Äußern und des Innern. Auch er spielte, durch seine feine Persönlichkeit, eine Rolle in der Geselligkeit Weimars und füllte seine Stellung als Beamter bis zu seinem allzu frühen Tode auf das vortrefflichste aus.

Ich kann nicht von diesen beiden Herren reden, ohne jetzt schon des dritten zu gedenken, der Ende der sechziger Jahre in unsern Kreisen verkehrte: Dr. Albert v. Zahn, der als zukünftiger Direktor des im Bau begriffenen Museums schon hier lebte, Vorträge hielt und sich in den Familien heimisch machte. Die damalige Geselligkeit war durch die Herren aus den verschiedensten Berufsarten – man nehme noch die Maler und Musiker sowie die Offiziere dazu – eine so angeregte, daß man in viel größeren Städten dergleichen vergebens suchen konnte. Auch die Mitglieder des Theaters und fremde Künstler trügen zur Belebung bei.

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Einige Notizen, die hier nicht fehlen dürfen, seien der Zeit nach ausgezeichnet:

Am 12. Januar 1862 kam Röckel, der Neffe von Nepomuck Hummels Witwe, aus dem Zuchthaus zurück, in dem er seit 1849, wegen seiner Beteiligung am Dresdner Aufstand, gesessen hatte. Er war damals mit Richard Wagner zusammen, dem er in seinen künstlerischen Kämpfen treu beigestanden hatte; Wagner war bei der Revolution nur als Zuschauer beteiligt, Röckel aber einer der Anführer gewesen. Jetzt war er vom König von Sachsen begnadigt worden und suchte Weimar auf, wo die ihm verwandte Familie Hummel lebte und seine Tochter Louisabeth als Schauspielerin engagiert war.

Der beliebte Oberbürgermeister Bock, der seit 1850 die Stadt Weimar regierte, wurde Ende 1866 zum Direktor des zweiten Verwaltungsbezirks und – zum Dank für seine ausgezeichneten Leistungen – zum Ehrenbürger ernannt. Anfang 1867 führte Regierungsrat Schomburg den Nachfolger, Herrn Schaeffer, ein.

Als Nachzügler des Krieges von 1866 erhielt Weimar einen schrecklichen Gast – die Cholera, die in den Straßen an der Ilm ziemlich stark auftrat und achtundfünfzig Opfer forderte. In Apolda hauste sie viel schlimmer, und so wurde beschlossen, Professor Pettenkofer von München kommen zu lassen, um die Ursache zu erforschen und geeignete Vorkehrungen zu treffen. Er kam, untersuchte, hielt im Januar 1867 einen Vortrag und kehrte im April nochmals hierher zurück, um mit einem Kollegium von Ärzten zu beraten, zu denen Wunderlich-Leipzig, Griesinger-Jena und John Simon gehörten. Letzterer war der oberste Medizinalbeamte des Staatsrates von England. In den »Verhandlungen der Cholera-Konferenz in Weimar am 28. und 29. April 1867, mit einem Vorwort von Pettenkofer (München 1867)«, wird bemerkt, daß Simon nicht nur in den Sitzungen, sondern auch außerhalb derselben vielfache Belehrung und Anregung gewährt habe. Er wurde später Sir John Simon. Man glaubte damals, daß ein Matratzenhändler die Krankheit eingeschleppt habe, der in Böhmen, wo die Cholera herrschte, Sachen von der Armee gekauft hatte. Jedenfalls haben die Anordnungen der Ärzte gute Früchte getragen, denn bis jetzt ist die Cholera nicht wieder aufgetreten; allerdings hat die Ruhr im August 1867 mehr Opfer gefordert, als ihre gefürchtetere Schwester.

Der 23. November 1866 brachte einen furchtbaren Brand. Während wir im Theater saßen, flammte Feuer aus dem Schloßbrauhaus auf, das an der Biegung der damaligen Brauhausstraße, (jetzt Ecke der Kaiserin Augusta- und Seminarstraße), stand. Wie ein Flammenmeer wogte es über den Häusern, so daß man auf ein weiteres Umsichgreifen gefaßt war, das aber Gottlob verhütet wurde.

Am 1. September 1867 konnte die Hofapotheke am Markt auf ihr dreihundertjähriges Bestehen zurückblicken. 1567 wurde ihr – nachdem sie schon einige Jahre gegründet war – das Recht zugestanden, in Weimar allein Medikamente verkaufen zu dürfen. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde – mit der Genehmigung des damaligen Hofapothekers Hoffmann – die Errichtung einer zweiten Apotheke gestattet. Der jetzige Besitzer der Hofapotheke, Dr. phil. Julius Hoffmann, ist schon der vierte Hofapotheker aus dieser Familie, denn sein Urgroßvater übernahm sie im Jahre 1799.

Der Naturforscher Haußknecht, ein Weimaraner, hatte im November 1866 eine Weltreise angetreten. Im Januar 1868 hörte man, daß er über Beiruth nach Syrien und Mesopotamien gekommen sei und im Mai 1867 Niniveh erreicht habe. Auf dem Wege nach Sinah in Persisch-Kurdistan hatte er einen Kampf mit Räubern zu bestehen. Diese Nachrichten kamen aus Hamadan, dem alten Ekbatana. Die auf seinen Reisen gemachten botanischen Sammlungen hat Haußknecht Weimar hinterlassen, sie sind in seinem Hause, Amalienstraße 27, als »Herbarium Haußknecht« aufbewahrt.

In der Nacht vom 6. zum 7. November 1868 wütete hier ein so furchtbarer Sturm, daß eine Menge alte, schöne Bäume im Park umgerissen wurden, unter anderen eine große Silberpappel gegenüber dem Tempelherrnhaus und die Steinweichsel am römischen Haus die in ihrer Blütenpracht so merkwürdig schön war, daß alljährlich eine wahre Wallfahrt der Weimaraner dahin stattfand.

Am 9. März 1870 wurde »am Markt A 58, neben H. Roltsch, der Bazar für Damen von Max Haar« eröffnet. In einem kleinen Laden begann das Geschäft, das durch seine solide, vortreffliche Führung für Weimar eine große Bedeutung erhalten hat und neben dem Lämmerhirtschen bis heute das erste Schnittwarengeschäft Weimars geblieben ist.

Verdiente Männer an ihren Gedächtnistagen zu ehren und ihr Wirken in die Erinnerung der Lebenden zurückzurufen, ist eine schöne Sitte. So wurde auch der hundertjährige Geburtstag von Heinrich Meyer, dem Getreuen Goethes, am 16. März 1860 begangen. Am Grabe hielt Hofrat Schöll eine Rede, nachdem Musik die Feier eingeleitet hatte. Im Stadthaus war eine Ausstellung von Meyers Bildern und am Abend hielt sein Schüler, Christian Schuchardt, einen Vortrag über Meyers Leben, Wirken und Charakter.

Am 27. Dezember 1864 wurde in dem Saal der Ersten Bürgerschule in Gegenwart des Großherzogs, der Frau Großherzogin, des Ministeriums und einer großen Versammlung die hundertundfünfzigjährige Stiftung des Waisenhauses und das fünfzigjährige Bestehen der Falkschen Stiftung gefeiert. 1713 hatte Herzog Wilhelm Ernst mit 3650 Talern die Waisenversorgung begonnen, später wurde das Falksche Institut für verwahrloste Kinder damit vereinigt, das dieser edle Menschenfreund nur mit seiner Arbeit geschaffen und damit in den schweren Jahren der Befreiungskriege so unendlich viel Gutes geleistet hatte. Seine Tochter Rosalie wohnte der Feier bei und hörte die Worte des Dankes für ihren Vater, die Kirchenrat Dittenberger sprach. Die Großherzogin stiftete für das Falksche Institut ein Bild: Christus, der die Kinder zu sich ruft und segnet. – An dem hundertjährigen Geburtstag von Johannes Falk – 28. Oktober 1868 – wurde eine Gedenkfeier an seinem Grabe und eine in der Bürgerschule gehalten. Rosalie Falk gab Erinnerungsblätter aus den Tagebüchern und Briefen ihres Vaters heraus.

Eine Anzahl bemerkenswerter Menschen, die der Tod in diesem Jahrzehnt dahingerafft, seien hier erwähnt:

Frau Christine Genast, geborene Böhler, starb nach langen Leiden am 15. April 1860. Sie war eine vortreffliche Schauspielerin aus der Goetheschen Schule, und eine ebenso ausgezeichnete Gattin, Mutter und Hausfrau, so daß die Trauer um sie eine allgemeine war.

Der Juni 1861 brachte dem Leben Weimars schwere Schläge bei: am 18. starb der Geheime Medizinalrat Robert Froriep und am 21. Oberbibliothekar Ludwig Preller. Beide wohnten in der Bürgerschulstraße, nur wenige Schritte voneinander entfernt, beide gehörten zu den begabtesten, angesehensten Männern der Stadt, beide hinterließen tieftrauernde Familien und große Lücken in ihrem Arbeits- und Freundeskreise. Am Todestage Prellers wurde im Schillerhaus eine Marmorbüste des Dichters aufgestellt, zu deren Anschaffung die beiden eben Heimgegangenen auch beigetragen hatten: im Jahr 1846 hatte sich eine Anzahl Herren verbunden, um für gemeinnützige Zwecke ein Kapital zu sammeln, und zwar durch öffentliche Vorträge. Von diesem Geld wurde unter anderem eine Büste Schillers bei Professor Hähnel in Dresden bestellt und am 21. Juni 1861 dem Schillerhaus übergeben.

Der Leibarzt Goethes und Karl Augusts, Staatsrat Dr. Vogel, verschied am 27. April 1869 am Schlagfluß, nachdem er dem Staate vierzig Jahre treu gedient hatte.

Der Bibliothekssekretär Edmund Kräuter, dessen Name durch Goethe bekannt geworden ist, verschied am 24. Januar 1866.

Am 18. Februar 1867 starb hier der französische Gesandte v. Belcastel, der sich in den fünf Jahren seines Hierseins durch Verstand und Liebenswürdigkeit beliebt gemacht hatte. Seine Leiche wurde nach Toulon gebracht.

Auch bei der russischen Gesandtschaft trat in diesem Jahr ein Wechsel ein. Staatsrat v. Petersen, der seit 1865 den Posten des Barons v. Maltitz innehatte, – welcher den Abschied genommen, aber Weimar treu geblieben war – wurde abberufen, an seine Stelle trat Herr v. Meyendorff. – Apollonius v. Maltitz starb am 2. März 1870, tiefbetrauert von seiner Witwe, seinen Freunden und den Armen, denen er in seltener Milde und Menschlichkeit beigestanden.

Am 13. November 1868 wurde Bonaventura Genelli abgerufen und am 15. zu Grabe getragen. Vom Sterbehause aus folgte ein großer Zug – alle hiesigen und viele auswärtige Künstler – dem Sarge, der von vier Trauermarschällen geleitet wurde: Martersteig, Schorn, Thumann und Landbaumeister Scheffer. Am Grabe sprach Stiftsprediger Förtsch. Die letzte, nicht ganz vollendete, Arbeit Genellis, einen Karton, hat die Frau Großherzogin gekauft und ihn dem Museum überwiesen: Bachus auf dem Meere mit Seeräubern kämpfend, die von ihm ins Wasser geworfen werden und sich in Delphine verwandeln.

Zwei Frauen, Cousinen, die in dem weimarischen Leben lange Jahre eine hervorragende Stelle eingenommen, starben kurz nacheinander: die Witwe des Generals v. Egloffstein, Isabelle, geborene Gräfin Waldner-Freundstein, von deren origineller Art und Weise im ersten Band erzählt wurde, am 26. April 1869. Nach ihrem Wunsche hoben Unteroffiziere des hiesigen Regiments ihren Sarg auf den Leichenwagen. (Wenn ich nicht irre, hatte sie bestimmt, daß dieselben die alte weimarische Uniform für diesen Akt anlegen mußten.) Eine Quelle alter Erinnerungen versiegte mit ihrem Tode, war sie doch kurze Zeit die Braut des General Rapp gewesen und hatte, als Hofdame der Herzogin Luise, Napoleons Anwesenheit im hiesigen Schlosse mit erlebt. – Einige Wochen später, am 17. Mai, verschied meine Mutter, Henriette v. Schorn, geborene v. Stein, nach jahrelanger Krankheit. Ihre liebenswerte Persönlichkeit kann hier nicht eingehend geschildert werden, sie tritt in meinem Buch »Zwei Menschenalter« dem Leser nahe. Nur ein Gedicht von einem mir Unbekannten, das ich in der »Weimarischen Zeitung« gefunden, möge hier aussprechen, was sie für ihre Mitmenschen gewesen ist:

Nachruf an Henriette v. Schorn, geborene v. Stein.

Oft, wo Nacht der Todespforte
Unsrer Edlen eins und Lieben
Nahm dem Blick voll Thränenthau,
Hast Du uns ins Herz geschrieben
Klageworte, Trostesworte
Süßen Klangs, Du fromme Frau!
Doch das Leiden jetzt, wer stillt es?
Wer hat Balsam für die Klagen
Uns'rer Herzen krank und wund,
Nun Dein Herz hat ausgeschlagen
Und sich schloß Dein lieberfülltes
Auge, schloß Dein treuer Mund!?
Nur Dein Geist, der über Mängel
Sich und Schmerzen tief erhellend
Stärkung andern strömte zu.
Unerschöpflich freudequellend
Warst Du schon hienieden Engel,
So umschwebst uns ewig Du!

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Eine lange Reihe von Notizen über Vereine und Festtage liegt vor mir, von denen ich der Zeit nach berichten werde:

An Goethes Geburtstag, 28. August, l860 wurde der »Gartenbauverein« von folgenden Herren gegründet: Major v. Seebach, Hauptmann Gauby, Hofgärtner Hartwig, Professor Martersteig, Rat Stark, Rat Winzer, Sekretär Zöllner und Hofkalkulator Weber.

Der »Verein für historische Kunst« tagte Mitte September desselben Jahres hier. Es wurden zwei Bilder angekauft und verlost, davon eines der Großherzog gewann: »Die Begegnung Friedrichs des Großen mit Kaiser Joseph« von Menzel. (Es hängt jetzt im Museum.)

Eine Gewerbeausstellung im Schießhaus wurde im Beisein der Herrschaften am 9. Juni 1861 eröffnet. Danach fand an demselben Tag auf dem Markte die feierliche Überreichung einer Fahne statt, die die Jungfrauen dem Sängerbund, zu Ehren des am 26. Juni beginnenden Sängerfestes, widmeten.

Das Sängerfest, für das eine große Halle auf der Reithauswiese gebaut war, wurde am 25. Juni mit einem Kirchenkonzert eingeleitet, in dem der alte Organist Töpfer, der Orgelkünstler, wundervoll über »Ein' feste Burg ist unser Gott« improvisierte, der Choral war von Montag vierstimmig gesetzt und wurde von ihm dirigiert. Darauf folgten Stücke von Haßler, Gumpertzheimer, Schubert und der 19. Psalm von Liszt, der das Fest sehr unterstützt, aber eine Direktion abgelehnt hatte. Der zweite Teil begann mit dem »Liebesmahl der Apostel« von Wagner, von Stör dirigiert; das »Halleluja« aus Händels »Messias« hatte Töpfer für Männerchor und Orgel eingerichtet, vorgetragen wurde es von Gottschalg, dem Kantor aus Tieffurt, seinem Schüler.

Am 26. war der Wettgesang in der Halle, die eine offene Seite nach dem Schloß zu hatte und in der nur die Sängerchöre sich aufstellten, das Publikum saß im Freien. Hinter der Halle waren Buden und Sitzplätze errichtet, wo man sich stärken konnte – namentlich an Rostbratwürsten und Bier. Damals wurden ja auch die Wollmärkte auf diesem Platz gehalten und dieselben Buden und hölzernen Bänke und Tische waren alljährlich Mitte Juni dort zu finden; es entwickelte sich dann ein regelrechtes Volksfest. So war es auch beim Sängerfest. Als Preisrichter fungierten Liszt, Lassen, Montag, Stör und Pohl. Die beiden letzten hatten sich der ganzen Einrichtung sehr angenommen. Den ersten Preis erhielt der Jenaer Sängerbund unter Direktor Naumann. – Am 27. störte ein starker Regen das Fest, Sänger und Publikum zogen in das daneben liegende Reithaus, wo die Akustik viel besser war. Ein Festzug beschloß die schönen Tage, die von Fürst und Volk gemeinsam begangen worden waren.

Unter den Verstorbenen im Jahre 1864 ist oben der Leibarzt Goethes, Dr. Vogel, genannt worden. Zurückgreifend muß noch eines Vortrages gedacht werden, den er am 22. Dezember 1862 in einer Abendunterhaltung der »Goethestiftung« hielt. Er teilte – aus noch nicht benutzten Quellen – Briefe Karl Augusts und Goethes über Okens »Isis« mit. Am Schluß sagte er, daß er mit der Herausgabe des Briefwechsels von Karl August und Goethe beauftragt sei und hoffe in diesem Winter fertig zu werden. Es sei aus den vierhundertundsechzehn Briefen des Herzogs und hundertunddreißig von Goethe nur sehr wenig weggelassen worden, um Lebende zu schonen; das könne in späteren Zeiten veröffentlicht werden. Ein Mendelssohnsches Trio, von Lassen, Stör und Coßmann vorgetragen, beendete den angeregten Abend.

Rat Zwierlein feierte am 7. Dezember 1865 sein fünfzigjähriges Jubiläum als Beamter des Hofmarschallamtes. Eine der Töchter aus seiner Ehe mit Marie Kirsten lebt noch mit Kind und Kindeskindern unter uns: Frau Emilie Ridel, die Hochbetagte, Geistesfrische, Liebenswürdige, sowie deren Tochter Marie, Gattin des Professors Theodor Hagen, mit ihren drei Töchtern.

»Am 4. Juni 1867 feierte der Nestor der Organisten, der Leitstern aller Orgelbauer, der Ruhm und Stolz Weimars – Professor Johann Gottlob Töpfer – sein fünfzigjähriges Amtsjubiläum.« So beginnt der Zeitungsartikel, der die Verdienste Töpfers und alle Ehren, die ihm an diesem Tage zuteil wurden, berichtet. Weimar ernannte ihn zum Ehrenbürger, er erhielt Orden vom Großherzog und dem König von Preußen, dessen Gemahlin, als Prinzeß Augusta, Töpfers Schülerin gewesen. Der Stadtrat hatte neben dem Viadukt nach dem Hause des Jubilars einen Pfad und Steg machen lassen, um ihm den Weg zu ebnen und erleichtern. Ein feierlicher Aktus in der Bürgerschule, Aufführungen seiner Kompositionen, die Ernennung zum Ehrendoktor von Jena, Geschenke aller Art und die Sammlung einer »Töpferstiftung«, deren Ertrag für Seminaristen bestimmt wurde, die sich im Orgelspiel auszeichnen, bewiesen dem alten Herrn, daß seine Verdienste in hohem Grade gewürdigt wurden.

Die »Goethestiftung« hielt ihre Sitzung am 28. August 1869 im Museum ab. Anwesend waren die Professoren Th. Große-Dresden, Hähnel-Dresden, Lübke-Stuttgart, Preller-Weimar und Zitek-Prag. 1868 hatte kein Preis verteilt werden können, weil keine Arbeit genügt hatte. Ausgeschrieben hatten die Herren damals einen Preis für monumentale Malerei, die das Treppenhaus des Museums schmücken sollte. Jetzt wurde er Hermann Wislicenus-Düsseldorf zuerkannt.

Die wichtigsten festlichen Ereignisse, die sich in der letzten Hälfte der sechziger Jahre hier begeben haben, sind: die achthundertjährige Gedächtnisfeier der Gründung der Wartburg; die silberne Hochzeit des Großherzogs und der Großherzogin; das fünfundzwanzigjährige Dienstjubiläum des Ministers v. Watzdorf und die Einweihung des neuen Museums.

Die Gedächtnisfeier der Wartburg wurde am 28. August 1867 begangen. Schon seit Jahren arbeitete Liszt – auf den Wunsch Karl Alexanders – an einem »weltlichen Oratorium, die heilige Elisabeth«, das an diesem Gedenktag aufgeführt werden sollte. – Liszt war, seit seinem Abschied von Weimar im Jahr 1861, nur einmal für kurze Zeit hier gewesen, als er 1864 wegen des Musikfestes in Karlsruhe nach Deutschland kam, und hatte damals wieder auf der Altenburg gewohnt, die noch eingerichtet war. Im Sommer 1867 traf er in Weimar ein, um die Einstudierung seines Werkes zu beaufsichtigen, die Müller-Hartung übernommen hatte. Die Aufführung leitete Liszt selbst.

Er war 1865 in den geistlichen Stand eingetreten, d. h. er erhielt den Titel Abbé, trug den langen schwarzen Rock der katholischen Weltgeistlichen und hatte die drei ersten Weihen erhalten. Die Messe zelebrieren konnte er nicht. – Dem Großherzog, mit dem er beständig in freundschaftlichem Verkehr geblieben, teilte er selbst diesen Schritt in einem Brief vom 3. Mai 1865, aus dem Vatikan, mit:

Monseigneur, Ich habe soeben – in einfachster Absicht – einen Akt ausgeführt, zu dem meine innigste Ueberzeugung mich längst vorbereitet hatte. Am 25. April bin ich in den geistlichen Stand eingetreten, indem ich die niedern Weihen empfing; seitdem wohne ich bei Cardinal Hohenlohe, der mich durch seine wahrhafte Güte an sich fesselt.

Diese nähere Bestimmung, oder – wie eine hochgestellte Persönlichkeit sich ausdrückte – diese Verwandlung meines Lebens bringt keine schroffen Veränderungen hervor. In kurzer Zeit werde ich meine Kompositionsarbeiten wieder beginnen und werde suchen, das Oratorium Jesus Christus bis Weihnachten zu beenden. Andere Werke, entworfene und geträumte, werden mit der Zeit entstehen. Da mein neuer Stand mir keine unangenehmen Entbehrungen auferlegt, werde ich ganz natürlich in der Befolgung seiner Regeln leben, ohne mich moralisch unbequemer zu fühlen, als meine Soutane es äußerlich verlangt, von der man mir sagt, daß ich sie trage, als wenn ich immer damit bekleidet gewesen wäre.

Ew. Königliche Hoheit werden nicht glauben, daß ich früher eingegangene Verpflichtungen nun vernachlässige, besonders nicht solche, die mir durch eine aufrichtige Dankbarkeit auferlegt sind. Hier eingeschlossen erhalten Sie einen schwachen Beweis von der Wichtigkeit die ich Allem beilege, wenn es sich um den Dienst bei Ew. Königlichen Hoheit handelt. Den Fragen, die Monseigneur auf dem mitgetheilten Dokument notirt hat, habe ich die Antworten beigefügt. Aber wie werde ich Sie in der Frage wegen einem Kapellmeister befriedigen können? Die beiden Personen, auf die ich die Wahl Ew. Königlichen Hoheit lenkte, sind jetzt nicht mehr frei. Seine Majestät der König von Baiern hat die Initiative ergriffen und den gefesselt, den ich für Weimar wünschte. (Wahrscheinlich Hans v. Bülow.) Darüber ist nun nichts mehr zu reden, – und das Beste wird sein, sich an Herrn v. Dingelstedt zu wenden. Wenn Monseigneur aber durchaus verlangen, daß ich musikalische Größen nenne, die im Stande wären die Stelle gut auszufüllen, so gehorche ich und citire die Herrn Rubinstein, David [Leipzig] und meinen Ex-Freund Hiller [Köln], der vortreffliche Antezedenzien in Weimar hat, wo er seine Studien bei Hummel, zu Lebzeiten von Goethe, gemacht hat.

Was Herrn v. Bronsart betrifft, so kann ich ihn nicht genug empfehlen; man würde sicher Vortheil davon haben, wenn man einen passenden Platz für ihn fände ...

Daß der Großherzog sich mit der Wahl eines neuen Kapellmeisters beschäftigte, hatte seinen Grund in den Zerwürfnissen zwischen Dingelstedt und Lassen, aus dessen Briefen an seine Eltern man ersieht, daß er sich beim Großherzog über den Intendanten beklagt, aber auch diesem selbst geschrieben hatte, um ihm nicht erfüllte Versprechungen vorzuwerfen. In derselben Zeit versuchten Hans v. Bülow und Richard Wagner, Lassen nach München zu ziehen. Auch Frau Cosima v. Bülow schrieb ihm darüber, aber er konnte sich nicht entschließen, Weimar zu verlassen, und die Herrschaften taten alles, was sie konnten, um ihn zu halten. Sie wußten, was sie an dem talentvollen Musiker und feinen Menschen hatten.

Auf die Mitteilung Liszts, daß er Abbé geworden, antwortete der Großherzog traurig, sagte aber, daß er fortfahren würde Liszt wegen allem, was das künstlerische Leben Weimars beträfe, um Rat zu fragen, denn Liszt habe ihm das Versprechen gegeben, ihn immer zu unterstützen.

Ende Juli 1867 kam Liszt nun als Abbé hierher und wohnte wieder auf der Altenburg. Man trat ihm im ersten Moment etwas scheu gegenüber, wußte man doch nicht, wie weit der Wechsel ihn beeinflußt hatte. Aber diese Scheu seiner alten Freunde verflog mit dem ersten Händedruck, mit dem ersten Blick in seine Augen, die so viel ernster, aber so warm und freundschaftlich blickten. Näheres über meine eigenen Erlebnisse mit Liszt findet sich in »Zwei Menschenalter«.

Die Chorproben der »Heiligen Elisabeth«, bei denen Liszt nun zugegen war, rechne ich zu meinen schönsten Erinnerungen, freilich gehörte ich – infolge der Freundschaft Liszts für meine damals noch lebende Mutter – zu dem kleinen Kreis Derer, die ihm am nächsten standen, die alles hörten was er sprach und erklärte, die in dieser Zeit täglich um ihn waren. Sein erster Besuch galt meiner Mutter, mit der er vieles besprach; für mich war er wie ein väterlicher Freund, er freute sich, daß ich in seinem Oratorium mitsang und sorgte dafür, daß ich immer in seiner Nähe saß, um sich mit mir verständigen zu können. Er reiste im August nach Meiningen zu dem dort statthabenden Musikfest und traf direkt von da in Eisenach – im »Rautenkranz« – ein, wohin ihm fast die ganze Künstlerschar aus Meiningen folgte. Außerdem versammelten sich eine Menge interessanter Menschen – Eisenach war überfüllt bis in das kleinste Dachkämmerchen.

Die Burg war durch Professor Doepler, den der Großherzog dazu aufgefordert hatte, geschmückt und geordnet worden. Auch hier war jeder mögliche Raum für Gäste ausgenutzt und die schönen Linien des Baues durch grüne Girlanden, Fahnen und Teppiche geschmückt.

Am 27. fand nachmittags die Hauptprobe statt. In dem herrlichen großen Saal war an einer der Schmalseiten eine Estrade für die Fürstlichkeiten und ihre Gäste errichtet, an der andern ein großes Podium für Orchester und Sänger. Frau Dietz-München sang die »Elisabeth«, Milde den »Landgrafen« und Fräulein Holmsen-Weimar die Landgräfin Sophie. Das Orchester war durch Solisten an den Geigenpulten und Meininger Kapellmitglieder verstärkt, die Chöre aus den Eisenacher und weimarischen Vereinen zusammengesetzt. Die Probe war sehr schwer, denn es war die einzige, die Liszt dirigierte und in der er all die fremden Elemente, die seine Art und Weise nicht kannten, unter seinen Willen beugen mußte. Er war einigemale ganz verzweifelt, aber es mußte gehen – und am andern Tage gelang alles herrlich.

Am 28. war der Wartburgberg vom frühen Morgen an von den Eisenachern belagert, die wenigstens die ankommenden Gäste sehen wollten, wenn ihnen auch der Zutritt zur Burg verwehrt war, die nur die Eingeladenen betreten durften. Am Morgen hielt Prälat Grüneisen aus Stuttgart eine Andacht für eine kleine Anzahl von Zuhörern in der Kapelle, um zwölf Uhr aber begann der feierliche Gottesdienst im großen Burghof. Als die Fürstlichkeiten erschienen, erscholl von der ganzen Versammlung, die den Hof erfüllte, das Lutherlied, »Ein' feste Burg ist unser Gott«. Danach hielt Dr. Dittenberger, auf der Treppe stehend, die Festrede, die natürlich auf Luther und dessen Aufenthalt auf der Wartburg fußte, während die weitere Feier mehr der Heiligen und den Meistersängern galt.

Im Landgrafenzimmer wurde das Bankett serviert, wobei die Speisefolge in altdeutscher Mundart auf wohlverzierte Blätter gedruckt war. Großherzog Karl Alexander hielt selbst folgende Rede:

»Auf der Wartburg rufe ich meinen Gästen Willkommen zu. Willkommen alle dem, was diese Stätte vielbedeutend entgegenbringt. Seit achthundert Jahren erhielt Gottes Hand diese Burg und machte sie zu einem Hort höchster nationaler Interessen. Die Erinnerung erhabener Beispiele der Glaubenstreue, der Opferfreudigkeit für die großen Zwecke deutscher Nation, der Pflege für Kunst und Wissenschaft, bezeigen im hellen Licht den Weg der Toleranz, der Teilnahme an dem nationalen Wohl, des fördernden Schutzes wahrer Bildung als denjenigen, welcher ein Segen bleiben möge für Gegenwart und Zukunft.«

Nach dem Essen bewegten sich die Gäste zwanglos in den Nebenzimmern, um sich beim Kaffee kennen zu lernen und ihre Gedanken auszutauschen. Um halb sieben Uhr begann die Aufführung der »Heiligen Elisabeth«. War die Probe schwierig, so war die Vollendung herrlich. Liszts Angesicht leuchtete, seine Augen strahlten, er sah größer aus als sonst und lenkte durch seine Mienen und Handbewegungen wie spielend die Masse der Menschen, die keinen Blick von ihm verwendete. Die Mitwirkenden waren wie berauscht und hochbeglückt, daß alles so gut ging.

Die Herrschaften ließen ihre große Liebenswürdigkeit, die bei solchen Anlässen so beglückend wirkte, auf Gäste und Ausführende erstrahlen, so daß dieses schöne Fest sehr harmonisch ausklang. – Der Niederstieg nach Eisenach, bei Nacht durch den dunklen Wald, wurde durch die erleuchtete Burg beschützt. Jede Linie war durch kleine Flämmchen gezeichnet und über allem schwebte das strahlende Kreuz. Damals war eine Illumination dort oben eine halsbrechende Arbeit, die Lämpchen anzubringen und am Abend zu entzünden. Heute flammt das elektrische Licht durch einen Druck in allen Höfen und Räumen, sogar im Walde, der Straße entlang, auf; es macht einen zauberhaften Eindruck. – Am 29. hörten die Fürstlichkeiten und die noch anwesenden Fremden die »Heilige Elisabeth« in der Eisenacher Kirche unter der Direktion von Professor Müller-Hartung.

Herr Dr. Dingelstedt – unter dessen Leitung das ganze Fest eigentlich hätte stehen müssen – hatte sich gesundheitshalber entschuldigt und war in einen Badeort gereist.

Von den Personen, die wegen Liszt zu dem Fest auf die Wartburg gekommen waren, sei sein Schwiegersohn, Emile Ollivier aus Paris, genannt und sein Vetter, Eduard Liszt aus Wien, mit seinem jungen Sohne Franz, dem jetzigen berühmten Berliner Professor der Rechte. Vater und Sohn kamen dann nach Weimar, um die Auflösung des Haushaltes auf der Altenburg zu besorgen. Liszt hatte zum letztenmal da gewohnt, wo er zwölf Jahre gelebt, gearbeitet, gewirkt und gelitten hatte. Es war ein trauriger Anblick, der Verkauf der gewöhnlichen Gebrauchsgegenstände auf dem Hofe. Möbel, Bilder, Bücher, Musikalien und Instrumente wurden in einer kleinen Wohnung untergebracht, von wo sie erst im Jahre 1887, nach dem Tode Liszts und der Fürstin Wittgenstein, durch deren Tochter, Fürstin Marie zu Hohenlohe, wieder befreit wurden.

Die glänzende Kunstepisode auf der Altenburg war endgültig vorbei.

Kaum war das Wartburgfest vorüber, so rüstete man sich für die silberne Hochzeit des Großherzoglichen Paares, die am 8. Oktober 1867 stattfand. Da bei solchen Anlässen das Publikum seine herzliche Liebe ausdrücken wollte, so war die Schmückung der Stadt sehr schön geworden. Die landesfarbigen Fahnen wechselten mit den niederländischen und denen der Stadt Weimar – Schwarz, Rot, Gold – ab, so daß die Fremden oft ganz erstaunt waren, die verpönten Farben der Revolution hier so reich vertreten zu sehen. Die erste Feier war am 7. Oktober mittags in der Schloßkapelle, wo der Karton von Wislicenus in der Altarnische aufgestellt war, nach welchem er das von weimarischen Damen geschenkte Kuppelbild später malte. Von fünfundzwanzig ehemaligen und jetzigen Hofdamen war ein großer Teppich für die Kapelle gestickt worden. Beide Geschenke wurden von Deputationen übergeben. Dazu kam noch ein großes goldenes Kreuz für den Altar – in der Mitte der Christuskopf auf dem Schweißtuch – vom König von Preußen und ein Betpult mit schöner alter Bibel von der Königin. – Das Festgedicht von Karl Kuhn, von einer Dame gesprochen, wurde am Schluß von Harfenklängen begleitet, die zu einem Psalm überleiteten, den Müller-Hartung für Gesang mit Orgel komponiert hatte und der nun feierlich von der Empore herab erklang.

Danach nahmen die Herrschaften in den Empfangszimmern Deputationen mit Geschenken und Glückwünschen entgegen. Am Nachmittag vereinigten sich die Herren zu Festdiners in den geschlossenen Gesellschaften und abends war ein imposanter kostümierter Fackelzug, um den sich wieder die Künstler, besonders Professor Doepler, verdient gemacht hatten. Berittene Trompeter und Herolde eröffneten den Zug. Ihnen folgten fünfzig Bewaffnete mit bengalischen Fackeln. Darauf der Wagen der »Wimaria«, die vor einem Transparent thronte, zu ihren Füßen die Gestalten der Künste. Vor und hinter diesem Wagen schritten blumenstreuende Mädchen und neben dieser ganzen Gruppe gingen vierundzwanzig Pagen in Weiß und Blau, transparente Buketts an mit Bändern verzierten Stäben tragend. Dann kamen sechzehn kostümierte Paare mit Windlichtern, die im Schloßhof den Fackeltanz aufführten. Den Beschluß machten die Gewerkschaften, Vereine, Turner, Schützen, berittene Marschälle, Musik usw. Lange mußten die Teilnehmer des Festzuges warten, ehe sie sich vom Karlsplatz aus in Bewegung setzen konnten, denn der Zug, der König Wilhelm brachte, hatte Aufenthalt in Erfurt. Sowie die Nachricht kam, daß er einpassiert sei, ließ Doepler den Zug abmarschieren; leider spielte aber auch hier wieder das Wetter einen bösen Streich, denn alle Vorführungen wurden bei stürzendem Regen ausgeführt; man kümmerte sich aber nicht darum, die Fürstlichkeiten – König und Königin, der Kronprinz, Prinz und Prinzessin Karl von Preußen, König von Sachsen, Prinz Heinrich der Niederlande mit Gattin und die Prinzen des weimarischen Hauses – hielten tapfer auf dem Balkon aus. Baumeister Kohl sprach, nach einem Gesang des Sängerbundes, in der Festrede warme Worte; dann folgte der Fackeltanz, dessen Platz von den Fackeln- und Blumentragenden umgrenzt wurde. Trotz der Nässe soll das ein zauberhafter Anblick gewesen sein.

Am Morgen des 8. Oktober begannen um acht Uhr die Glocken zu läuten, im Schloßhof erklang Musik und dazwischen hörte man Freudenschüsse. Aber das Paar, dem diese ganze Feier galt, war schon um sieben Uhr ganz allein zur Schloßkapelle gegangen, wo Dr. Dittenberger es zur Einsegnung erwartete. Vor dem Eingang fanden sie die Könige von Preußen und von Sachsen stehen, die sich als Zeugen anboten. Meine Mutter schrieb darüber an ihre Schwester: Aus »Zwei Menschenalter«.

Nur Dittenberger war bei dieser Scene zugegen, die Alle zur tiefsten Rührung brachte. Es scheint überhaupt daß die unzähligen Beweise von Liebe und die außerordentlich zarte und taktvolle Art des Königs von Preußen, unsern beiden Fürsten sehr wohlgethan hat.

Um zehn Uhr zogen alle Schulkinder singend in den Schloßhof: »Nun danket alle Gott!« und »Einst sandt' uns Holland Blüten.« Dann kamen sechzig berittene Gutsbesitzer, darunter zwei aus Udestedt, die vor fünfundzwanzig Jahren mit denselben Fahnen dem einziehenden Paare vorausgeritten waren.

Von halb zwölf Uhr an war Empfang, zuerst Cour der Militär- und Staatsdiener, dann Deputation des Landtages, wobei Fries die Rede hielt und Karl Alexander antwortete. Bezirksdirektor Schomburg brachte die Sammlung des Landes – fast 4000 Taler – für die Blindenstiftung, der die Großherzogin noch 5000 Taler hinzufügte. Oberbürgermeister Schäffer übergab die Adresse der Stadt und die Schenkung des Karl Alexander-Sophien-Brunnens am Museum. Universität, Kunstschule usw. waren mit Deputationen und Geschenken vertreten. Aus allen Städten, selbst aus den kleinsten Dörfern kamen Zeichen der Liebe und Dankbarkeit. – Um halb fünf Uhr wurden die fremden Gesandten und die Deutzer 8. Kürassiere, deren Chef der Großherzog war, empfangen. – Um fünf Uhr war im Schloß Festtafel für zweihundert Personen, bei der König Wilhelm für sich und im Namen des Königs von Sachsen einen Toast auf das Jubelpaar ausbrachte. – Um acht Uhr begann das Theater, in dem die Künstler lebende Bilder aus der Geschichte der fürstlichen Häuser Sachsen-Weimar und Oranien stellten. Festouvertüren von Stör und Lassen leiteten die Bilder ein, deren erläuternde Verse, von Küchling gedichtet, von Frau Hettstedt vortrefflich gesprochen wurden. Beim Verlassen des Theaters fand man die Stadt auf das schönste illuminiert.

Am nächsten Tag gab die Erholungsgesellschaft einen Ball, bei dem noch sämtliche fürstlichen Gäste zugegen waren. Ausführliches in »Zwei Menschenalter«. Nachdem diese am 10. abgereist, machte ein Ball der Armbrustgesellschaft, wo unsere Herrschaften erschienen, den Beschluß des schönen Festes, zu dessen Andenken Angelika Facius eine Medaille gefertigt hatte.

Ein Fest, bei dem sich aus vollem, dankbarem Herzen Fürst und Volk beteiligte, war das fünfundzwanzigjährige Dienstjubiläum des Ministers v. Watzdorf, das er am 6. Oktober 1868 feierte. Wie weit über die Grenzen des Landes hinaus sein wohltätiger Einfluß ging, ersah man an diesem Ehrentage. Fast alle deutschen Fürsten beschenkten ihn, die Minister der Thüringer Staaten hielten ihm zu Ehren hier eine Zusammenkunft. Deputationen und Gratulanten wechselten vom frühen Morgen an ab. Sämtliche Gemeinden des Großherzogtums hatten sich vereinigt, um Watzdorf zum Dank für die Gemeindeverfassung, die er geschaffen, eine Denkmünze zu verehren, die sein Bild mit Namen und Datum, umgeben von Eichenlaub und Lorbeer, enthält; auf der Rückseite steht: »Dem Begründer der freien Gemeindeverfassung im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach.«

Von Festtafel, Fackelzug usw. will ich nicht weiter erzählen, sondern nur noch ein Stück der Gedenkschrift bringen, die der Redakteur der »Weimarischen Zeitung« dem Jubilar widmete. Nachdem Paul v. Bojanowski eingehend Watzdorfs Verdienste gewürdigt hat, die gerade er besonders gut kannte, weil er täglich freundschaftlich und geschäftlich mit ihm verkehrte, sagt er:

»In einem Staat auf konstitutioneller Basis ist eine Ministertätigkeit von solcher Dauer nur denkbar, wenn in seltener Weise drei Bedingungen sich erfüllen: die höchste Sittlichkeit im politischen wie im persönlichen Charakter des Ministers, das bewußte Vertrauen eines einsichtsvollen Fürsten, und die Liebe eines nach politischer Reife strebenden Volkes. Wie sehr diese Bedingungen sich hier geeinigt haben, davon legt am Jubelfeste des Ministers die freudige Bewegung in allen Kreisen der Bevölkerung das beste Zeugniß ab.«

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Für das neue Museum, das im Sommer 1869 eingeweiht werden sollte, wurde schon ein Jahr vorher der Direktor angestellt, um alles vorzubereiten. Es war der schon oben genannte Dr. Albert v. Zahn, bisher Privatdozent und Kustos des Leipziger Museums, der rasch ein beliebtes und belebendes Element der Gesellschaft wurde. Im Juli 1868 wurde Christian Schuchardt – der die Kunstsammlungen unter sich hatte, die nach dem Museum gebracht werden sollten – nach vierzigjähriger Dienstzeit in den Ruhestand versetzt. Seine Stelle an der freien Zeichenschule übernahm Professor Preller. Zahn erhielt vom Ministerium den Auftrag, öffentlich kunstgeschichtliche Vorträge zu halten, was er auch in der kurzen Zeit seines Hierseins vortrefflich besorgte. Er hatte gleich das erste Jahr dazu benutzt, einen Katalog über die Kunstwerke zu verfassen, die in dem neuen Gebäude vereinigt werden sollten, derselbe erschien kurz vor der Einweihung, die am 27. Juni 1869 stattfand. In dem geschmückten Vorraum nahm das Großherzogliche Paar mit den beiden Prinzessinnen vor der Treppe Platz, zu Füßen der großen Goethestatue mit der Psyche, die in das unfertige Haus gebracht und dort eingebaut worden war. Baumeister Zitek übergab die Schlüssel an Staatsrat Stichling, den Chef des Kultusdepartements, mit dem Spruch:

»Mit Gottes Hilfe vollendet ist der Bau – den Musen ein Tempel – zum Ruhm für Fürst und Land.«

Staatsrat Stichling überreichte die Schlüssel dem Großherzog, wobei er eine Rede hielt, deren letzter Satz lautete:

»So möge denn das neue Haus mit allem, was es birgt, ein geweihtes sein! Es leite den Künstler auf seiner steilen Bahn, es hebe den Handwerker zu gesteigerter Bildung empor; und allen, allen, die es betreten, sei es eine Quelle der Erfrischung! Es sei ein neues, dankbar erkanntes, bleibendes Denkmal der edlen hochsinnigen Fürsorge, mit welcher Weimars erhabenes Fürstenhaus, wie von alters her, so in den heutigen Tagen noch, edle Bildung zu wecken und zu verbreiten, aus Kleinem Großes empor zu ziehen, ein teures Vermächtnis liebevoll zu pflegen weiß! Es sei ein neues würdiges Glied in der großen lebendigen Kette deutschen Geisteslebens, deutscher Art und Kunst! Das gebe Gott!«

Der Großherzog übergab die Schlüssel Direktor v. Zahn und sagte in seiner Ansprache unter anderem, daß das Museum »der Pflege der lebenden Kunst im Vaterland und der Verbindung derselben mit dem Leben, also dem höchsten Zweck der Kunst«, dienen werde.

Dr. v. Zahn hielt eine längere Rede, in der er von den Schätzen sprach, die das Haus enthalte und die nun von den Besitzern dem Publikum zugänglich gemacht werden sollen. Der Rundgang und die Besichtigung der Einrichtung brachte Preller besondere Ehrungen vor seinem Odyssee-Zyklus. Die Herrschaften dankten allen den am Bau Beteiligten, die versammelt waren. Im Schloß empfing der Großherzog Deputationen des Landtags und Gemeindevorstandes, welche den Dank und die Glückwünsche des Landes und der Stadt darbrachten.

Baumeister Zitek, Architekt Stegmann, und in erster Linie Friedrich Preller wurden vom Großherzog dekoriert, und die Stadt Weimar ernannte letzteren zu ihrem Ehrenbürger. Aber auch die Gemeinde seiner Freunde, Verehrer und Kunstgenossen wollte ihn feiern. So versammelten sie sich zu einem Festdiner in der »Erholung«, wo Minister v. Watzdorf den Toast auf den Großherzog ausbrachte und Genast in warmen Worten Preller feierte.

Preller dankte bewegt und bat um Entschuldigung, denn »die freie Rede ist bei allen gebildeten Völkern und zu allen Zeiten erstrebt und hochgeehrt gewesen, aber nicht jedem ist sie beschieden« ... »Der Künstler allein fühlt nach Abschluß seiner Aufgabe, wie weit er hinter dem Ziele, das er sich gesteckt, zurückgeblieben: Nehmen Sie mein ernstes Streben in der schweren Aufgabe mit Nachsicht auf.« ...

Gegen neun Uhr abends, als die Familie Preller in ihr Haus an der Belvedere Allee zurückkehrte, fand sie es geschmückt und illuminiert. Unter den Bäumen standen Gruppen von Menschen, die den Meister warm begrüßten, als er vor seiner Türe stehen blieb, weil er sich auf einem großen Transparent selbst erblickte, zu Füßen Homers sitzend und dessen Erzählungen lauschend. Zugleich erklang ein Ständchen, das die Singakademie unter Müller-Hartung dem geliebten Gefeierten brachte.

Albert v. Zahn nahm 1870 seinen Abschied, um einem Ruf nach Dresden zu folgen. An seine Stelle trat Karl Ruland aus Frankfurt a. M., der von London hierher berufen wurde, wo er Verwalter der Kunstsammlungen des Prinzgemahls gewesen war. Er widmete Weimar seine Kräfte bis zum Tode. Außer dem Museum übernahm er später das Goethe-Nationalmuseum und war sieben Jahre Vorsitzender der Goethegesellschaft. Seine feine Bildung und liebenswürdige Persönlichkeit sicherten ihm eine angenehme Stellung, sowohl am Hofe, wie in den künstlerischen und bürgerlichen Kreisen. Bonhomie und Gefälligkeit, sowie ein würdig-verbindliches Benehmen, fast an einen Geistlichen mahnend, waren für Ruland charakteristisch.

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Daß Dr. Franz Dingelstedt im Herbst 1867 seinen Abschied nahm, wurde schon erwähnt. Die Theaterverhältnisse bei seinem Scheiden kennzeichnet C. F. Glasenapp sehr treffend: »Das Leben Richard Wagners« von Carl Fr. Glasenapp. 4. Aufl. 4. Band, S. 319. (Leipzig 1908.) »Ein erfreulicher Umschwung hatte sich in Weimar, seit dem Abgange Franz Dingelstedts, geltend gemacht. Die verderbliche Gegenströmung, die hier so verheerende Erfolge gehabt und – vor allem – die Vertreibung Liszts von der Stätte seines Wirkens herbeigeführt hatte, war nunmehr, in Dingelstedts Person, auf Wien abgelenkt; an seiner Stelle war Baron v. Loën als einsichtsvoller Bühnenleiter darauf bedacht, die vorgefundenen Trümmer zu ordnen, die Kräfte zu erneuern und zu konzentrieren und in die verlassenen Bahnen wieder einzulenken.«

August v. Loën war 1828 in Dessau als Sohn des dortigen Oberhofmarschalls geboren. Er wurde Offizier und machte 1849 den Feldzug in Schleswig mit. 1852 heiratete er Freiin Marie v. Salza und Lichtenau, die ihm durch ihre Güte und Sanftmut eine vortreffliche Lebensgefährtin wurde. Viele Reisen und Entsendungen an fremde Höfe – als Adjutant des Herzogs – machten ihn weltgewandt, seine vielseitigen Interessen und literarischen Beschäftigungen zum hochgebildeten Manne. 1863 und 64 wohnte er mit seinem Herrn dem Fürstenkongreß und dem schleswigschen Feldzug bei, 1866 errichtete er in Schloß Koswig – im Auftrage des Herzogs – ein Lazarett.

Seine vielen kunstkritischen Aufsätze in Zeitschriften, welche die früheren militärischen Arbeiten abgelöst hatten, machten Liszt auf ihn aufmerksam, er empfahl ihn dem Großherzog, als der Posten des Intendanten in Weimar frei wurde. – Hier war Loën nicht fremd, er hatte als Jüngling in der ihm verwandten Goetheschen Familie verkehrt – ein Loën hatte die Schwester von Goethes Großmutter Textor, geb. Lindheim, geheiratet – und August v. Goethe scheint der Pate August v. Loëns gewesen zu sein. So trat er mit Freuden hier ein, obwohl er wußte, daß er es nicht leicht haben würde. Aber gerade die Vielseitigkeit seiner Stellung wird ihm Freude gemacht haben: der nahe Verkehr mit den Herrschaften, denen er in größter Unbefangenheit und Offenherzigkeit entgegenkam, denn er hatte immer in Hofkreisen gelebt; die nahe Verbindung mit den Künstlern, die er verstand, sie förderte, für sie sorgte, die er liebte und sie leicht für sich gewann; die Tätigkeit an der Spitze der Vereine, die sich in dieser Zeit um die Namen Schiller, Shakespeare und Goethe bildeten und alle ihren Sitz in Weimar hatten. Diese verschiedenen Arbeitskreise wußte Loën miteinander zu verknüpfen, sie dadurch zu fördern und sich zum Mittelpunkt des künstlerischen Lebens in Weimar zu machen. Besonders war seine liebenswürdige Persönlichkeit sehr dazu gemacht, als Mittelsmann zwischen den Fürstlichkeiten und den verschiedenen Künstlern zu wirken. Dankbarkeit hat er oft geerntet, aber es gab auch Enttäuschungen und Arger, denn er konnte nicht immer erfüllen, was man von ihm erwartete und was er selbst für möglich gehalten hatte; auch hat es wohl noch nie einen Theaterleiter gegeben, der keine verärgerten Feinde besaß.

Schwer war der Anfang, denn viele gute Kräfte waren eben abgegangen, andere sehnten sich von hier fort und wurden nur durch Loëns Überredung gehalten, um es wenigstens unter der neuen Führung zu versuchen. Die Regisseure in den zwanzig Jahren unter ihm waren: Ludwig Barnay, der hier seine Schwingen entfaltete; Emil Claar, der nachherige Leiter des Frankfurter Theaters; für kurze Zeit Arthur Deetz, der spätere Direktor der königlichen Schauspiele in Berlin; Otto Devrient, der sich besonders durch seine Bearbeitung der beiden Teile des »Faust«, dessen Inszenierung und seine Darstellung des »Mephisto« einen Namen machte; endlich Paul Brock für das Lustspiel und Jocza Savits für das Drama. Nach des letzteren Abgang inszenierte Loën mit Vorliebe die klassischen Stücke selbst, als ihm das zu viel Arbeit auflud, berief er Karl Saar aus Wien zu seiner Hilfe. Regisseur der Oper war lange Jahre der Bassist Bernhard Schmidt. – Als Neueinrichtungen brachte Baron v. Loën die Abonnements für die Theaterbesucher der Umgegend; jedes Frühjahr ein klassisches Stück für die Thüringer Gymnasien und billige Abonnements auf klassische Dramen.

Von den Mitgliedern des Theaters, die er hierher gezogen, und seinen künstlerischen Taten können nur die hervorragendsten genannt werden: Im Herbst 1867 kam Fräulein Rosa Lüdt, die die Rollen der Salondame vortrefflich gab. Sie hat gespielt, solange es ihre Kräfte erlaubten, und lebt heute noch, geschätzt und geliebt, als Ehrenmitglied des Hoftheaters unter uns. Ludwig Barnay gastierte im Dezember als »Schiller« in »Die Karlsschüler« von Laube. Er hat bis 1871 unvergeßlich Schönes hier geleistet. Seine Frau hatte die Rollen der Primadonna inne. – Im Neujahrskonzert am Hofe sang 1868 Frau Désirée Artôt und der ungarische Geiger Remenyi spielte. Im Januar schreibt Lassen:

Die Vorstellungen des »Troubadour« und der »Hugenotten« mit der Mallinger und Wachtel waren brillant. Milde und Fräulein Holmsen vervollständigten das Ganze sehr gut.

Für Wachtels herrliche Tenorstimme schwärmte man damals so sehr, daß seine sonstige unzureichende Begabung fast übersehen wurde. Seine Hauptrolle war »Der Postillon von Lonjumeau«, sein kunstvolles Peitschenknallen war dem Publikum fast ebenso anziehend wie sein Gesang. Darin, sowie in »Die weiße Dame« und »Die Hugenotten« trat er Anfang November 1868 auf, und kam – da die Billetts zu enormen Preisen verkauft werden konnten und das Theater die Menge nicht faßte – Ende Dezember zu nochmaligem Gastspiel, woran sich dann die Aufforderung für das Neujahrskonzert im großen Saal anschloß. Im November sang er im kleineren Hofkreis in den Dichterzimmern, die zum erstenmal seit dem Tode der Großfürstin benutzt wurden. Neben dem Gast behaupteten sich unsere einheimischen Künstler, das Ehepaar Milde, als Liedersänger ganz vortrefflich. Frau Rosa hatte noch nicht wieder an Hof gesungen seit ihrem Abschied vom Theater und wurde sehr gefeiert. Den in der Kapelle neuangestellten Cellisten Joseph Servais hörte man zum erstenmal. Er spielte auf dem herrlichen »Stradivarius« seines berühmten Vaters und gefiel sehr.

Der 30. Januar 1868 brachte die Uraufführung des Trauerspiels »Der Tod Iwan des Furchtbaren« von Alexis Grafen Tolstoi, übersetzt von Karoline v. Pawloff. Der Dichter war hier und man interessierte sich sehr für dieses Werk des begabten Russen, der beglückt über die gut vorbereitete Vorstellung war.

Lassen hatte es fertig gebracht, die erste Aufführung der französischen Oper »Mignon« in Deutschland für Weimar zu sichern. Er gab sie mit dem dritten Schluß, ohne den Tod und ohne die Heirat »Mignons«. Die Rolle wurde von Fräulein Anna Reiß aus Mannheim am 13. April kreïrt. Sie sang aus Liebe zur Kunst einige Jahre am hiesigen Theater und trat dann wieder in das Privatleben zurück. Sie wohnt in ihrer Vaterstadt und bildet dort noch heute einen Mittelpunkt des musikalischen Lebens.

Der 2. Mai brachte den selten aufgeführten »Manfred« von Byron mit der Musik von Schumann. Michael Bernays, der Rezitator und Goetheforscher mit dem phänomenalen Gedächtnis, sprach den »Manfred«. Er hielt sich damals längere Zeit hier auf, hatte Vorträge eingerichtet und sprach auch oft in Privatkreisen. Er hat mir selbst gesagt, daß er die ganze Bibel und den ganzen Homer Wort für Wort auswendig wisse. Von Goethe hatte er sicher auch das meiste inne, denn er rezitierte augenblicklich jedes Gedicht, um das man ihn bat – sehr feierlich, ausdrucksvoll, aber etwas theatralisch-selbstbewußt.

Von dem Schauspieler Franke war schon im 1. Band die Rede; von ihm und seinem fünfzigjährigen Jubiläum schrieb Lassen:

Er hat sein ganzes Leben dem hiesigen Theater gewidmet. Das Fest dauerte drei Tage; am 7. Mai gab er den »Just« in »Minna von Barnhelm«; am Schluß umringten ihn alle Mitglieder, Frau Hettstedt hielt eine Rede und krönte ihn. Großer Jubel! Am 8. war bei Loëns – im Auftrag des Großherzogs und aus der Hofküche – großes diner. Am 9. Gratulation bei Franke, Geschenke, Reden, Frühstück, Orden, Ehrenmitglied des Theaters, Belastung seines Gehaltes als Pension. Abends Festessen und Ball, bei dem der Jubilar tanzte.

Während dieses Festessens habe ich selbst die Reden mitangehört, in denen die Schauspieler aussprachen, wie tief sie den Niedergang des weimarischen Theaters unter Dingelstedt empfunden hatten und wie freudig sie Loëns energischem Willen folgten, den sie in diesen Monaten schon kennen gelernt hatten. Er bewirkte auch bald die Pensionierung Störs, der nur noch alljährlich drei Konzerte dirigierte. Lassen wurde Hofkapellmeister, Müller-Hartung bekam den Titel als dritter Kapellmeister und übernahm die drei Konzerte mit Chorwerken. Im April 1870 wurde Klughardt als Musikdirektor angestellt.

Als berühmte Gäste von 1867-70 wären zu nennen: die schöne Koloratursängerin Ilma v. Murska mit ihrer reizenden, glockenhellen Stimme; Scaria aus Dresden (der 1882 als erster »Gurnemanz« in Bayreuth Unvergeßliches leistete); Klara Ziegler, die vortreffliche Tragödin; Frau Frieb-Blumauer, die in ihren Lustspielrollen wohl einzig dastand; Frau Lucca als »Selika« in der »Afrikanerin«, die in dieser Rolle kaum überholt worden ist. Im Mai 1870 sang Frau Viardot-Garcia, die einige Monate mit ihrer Familie und dem Freunde Iwan Turgeneff im »Russischen Hof« gewohnt, die Rolle der »Fides« im »Propheten«, die sie einst kreïrt hatte. Schon im Frühjahr 1869 war Frau Viardot hier, denn am 8. April wurde eine kleine Oper von ihr, »Der letzte Zauberer« – Text von Turgeneff, übersetzt von Cornelius – gegeben. Sie hatte Lassen mit der Instrumentation betraut. Als zweite kurze Oper führte er an diesem Festabend seine eigene letzte Arbeit, »Der Gefangene«, auf.

Einen vortrefflichen lyrischen Tenor engagierte Loën in Herrn Schild, der leider nur zwei Jahre bleiben konnte, weil er seine Stimme verlor. – Von Mai 1870 bis Juni 1876 sang Fräulein Dotter, eine begabte junge Frankfurterin, am Hoftheater; ihre letzte Rolle war die »Rosine« im »Barbier«, dann heiratete sie einen Weimaraner, den Bankier Moritz, und entsagte der Bühne.

Im Sommer 1868 war das Theater innerlich umgebaut und verbessert worden, soviel im alten Rahmen möglich war. Als Schmuck erhielt es ein Deckengemälde von James Marshall, das über dem Orchester in der ganzen Breite der Bühne hinlief und diese von dem Zuschauerraum trennte. Es zeigte die hervorragendsten Dichter und Musiker, sowie Gestalten aus ihren Werken. Zur Wiedereröffnung am 3. Oktober wurde Goethes »Iphigenie« gewählt, »Orest« war die Antrittsrolle von Ludwig Barnay. Die zweite Aufführung im neuen Hause war »Lohengrin«.

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Zu Anfang des Jahres 1869 siedelte der Enkel Schillers, Freiherr Ludwig v. Gleichen-Rußwurm, nach Weimar über. Er hatte seit dem Tode seiner Frau noch keinen festen Lebensweg wieder gefunden und entschloß sich nun – auf die Einladung des Großherzogs hin – an der hiesigen Kunstschule zu arbeiten, sein Talent künstlerisch auszubilden und die Malerei nicht nur, wie bisher, dilettantisch zu betreiben. Weimar war von da an sein Winteraufenthalt, er wurde Schüler von Professor Theodor Hagen und malte mit großem Fleiß. Den Sommer verlebte er in seiner fränkischen Heimat und arbeitete dort nach der Natur. Karl Alexander gab ihm ein Atelier in der Kunstschule, das Gleichen zuerst als Meisterschüler, später als selbständiger Maler bis zu seinem Tode behielt. Er wurde nach und nach eine wichtige Persönlichkeit in der weimarischen Gesellschaft, gehörte zu dem intimsten Hofkreise, war befreundet mit den vorzüglichsten Elementen und wandte seinen Einfluß immer nur im besten Sinne an.

Ludwig v. Gleichen machte durch seine Ruhe manchmal einen teilnahmlosen Eindruck, aber seine Freunde wußten, daß hinter dieser stillen Außenseite ein vortrefflicher Charakter verborgen war, rein und klar bis zum Grunde, wahr und ohne Falsch, treu und hilfsbereit. Seine Kunst wurde die Freude seines Lebens, nach der Natur zu arbeiten und sie treu nachzubilden war sein ernstes Streben. Er folgte gern den Wegen, die die jungen Franzosen gingen, und kollidierte mit seinen Ansichten oft mit denen Karl Alexanders, der als älterer Mann das Moderne nicht sehr liebte. Aber Gleichen ging – wie jeder wahre Künstler – seinen eigenen Weg und hat in der Landschaftsmalerei – in Öl und Aquarell, sowie in der Radierung – eine hohe Staffel erreicht. Der Großherzog schrieb einigemale über ihn an Frau v. Gleichen, so am 26. Juni 1871 aus Belvedere:

... Von Ihrem Sohn kann ich Ihnen Gott lob, nur das beste berichten. Er bleibt mit Ernst bei seiner Arbeit und wird hierbei durch sein Talent unterstützt. Er ist hier in allen Kreisen geschätzt und geliebt – dies ist keine Phrase. – Er wird Ihnen von einem Modell einer Statue, richtiger gesagt eines Monuments ensemble erzählen, das Bildhauer Hertel von hier zu Ehren Ihres unsterblichen Vaters für Wien entwarf. Es ist prachtvoll – nie habe ich eine schönere Darstellung von Schiller's Gestalt gesehen. Die Ungeheuern Kosten sind schuld, daß das Project nicht angenommen wurde ...

Weimar, den 18. December 1871 ... Dem immer höher steigenden Fortschritte Ihres liebenswürdigen und überall beliebten Sohnes zu folgen ist mir eine rechte Freude. Diese hier, in Weimar aber zu sehen, eine wahre Genugthuung ...

Wartburg, den 21. October 1872 ... Ich kann Ihnen beste Kunde von dem Wohlbefinden Ihres Sohnes geben, den ich erst vor wenigen Tagen in Gesellschaft traf. Er war froh und frisch, hat auch alle Ursache dazu, denn er ist beständig in künstlerischem Wachsthum begriffen und erntet ohne Uebertreibung fortwährenden und steigenden Beifall.

Mit diesem Gruß an Ihr und Ihres Gatten Elternherz verbleibe ich herzlich Ihr ergebener

Carl Alexander. »Anhang« Nr. 2 enthält noch einige Briefe des Großherzogs an Frau v. Gleichen.

Ludwig v. Gleichen lebte bis Juli 1901, mit ihm hat Weimar viel verloren, denn er bildete – wie es mit dem Alter einzutreten pflegt – einen Mittelpunkt, um den sich ein Kreis von Freunden und Künstlern männlichen und weiblichen Geschlechts scharte, der ihn liebte und verehrte. Auch um die Schillerstiftung hat er sich verdient gemacht, sein Lebensbild möge daher mit dem Nachruf schließen, der im 42. Jahresbericht derselben steht:

»Wenn wir darauf verzichten, hier auszuführen, was er als gottbegnadeter Künstler im Fach der Landschaftsmalerei war, der den höchsten Zielen der Kunst zustrebte, so können wir nur mit wärmster und dankbarster Anerkennung preisen, was er der Schillerstiftung als Vorsitzender des Verwaltungsrates gewesen ist. Trat er auch in bewußter Selbstverleugnung selten persönlich in den Vordergrund und überließ er die Initiative in den meisten Fällen den literarischen und administrativen Kollegen, so wirkte er doch durch rücksichtsvolle Humanität, durch warmes, sympathisches Interesse für alle Fragen und Vorgänge innerhalb der Stiftung allezeit belebend auf dieselbe, und dies, was der Enkel Schillers als hochsinniger, lauterer Charakter der Nationalstiftung gewesen ist, wird seinem Namen ein unvergängliches Andenken erhalten.«

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Im Januar 1869 kam Liszt zum erstenmal wieder zu längerem Aufenthalt hierher. Ausführliches darüber in »Zwei Menschenalter«. Mit Karl Alexander war er im regen Briefwechsel geblieben und dieser hatte ihm beständig zur Rückkehr zugeredet. Liszt hatte in Rom zu wenig musikalische Anregung, nur einige wenige talentvolle Menschen hatten sich um ihn geschart. Die Stadt liebte er gar nicht, das Gemisch der schönen Überreste des Altertums mit den Banalitäten aus den letzten Zeiten war ihm zuwider, das hat er mir gegenüber bei unseren späteren Fahrten durch Rom oft ausgesprochen.

Er war nur wegen der Fürstin Wittgenstein dorthin gezogen und verbrachte nur ihretwegen alljährlich, bis zu seinem Tode, einige Monate in der heiligen Stadt, entweder in einer möblierten Fremdenwohnung oder in der Villa d'Este in Tivoli, wo Kardinal Hohenlohe beständig eine Wohnung, mit der herrlichsten Aussicht auf die Campagna, für ihn in Bereitschaft hielt. – So gab Liszt den Bitten des Großherzogs nach und meldete sein Kommen an. Hier richtete Graf Beust, im Auftrag der Herrschaften, die obere Etage der »Hofgärtnerei« für ihn ein. Da Liszt sehr einfache Gewohnheiten hatte, so genügten die vier Zimmer für ihn und seinen Diener, wenn er auch manchmal ironisch von seinem »Hoffräuleinsquartier« sprach. Seinen Haushalt besorgte eine frühere Dienerin der Fürstin, Pauline Apel. Sie wohnt heute noch als Kastellanin in dem Haus, das zum »Liszt-Museum« geworden ist.

Bald kamen aber auch die Ansprüche der Ungarn an ihren großen Landsmann hinzu. Er wurde zum Präsidenten der Musikakademie in Pesth ernannt und erhielt dort eine Wohnung, um ihn zu fesseln und ihm eine Heimat zu schaffen. Das gelang aber weder in Pesth noch in Weimar, sondern er teilte das Jahr in drei oder gar vier Teile; im Frühjahr kam er meist für einige Wochen oder Monate hierher, besuchte dann in Bayreuth Tochter, Freund und Enkelkinder, verbrachte einige Zeit in Ungarn, wo sich alle Musiker um ihn scharten, und den Rest des Jahres widmete er in Rom der Freundin und seiner Arbeit, für die er dort am ehesten Ruhe und Zeit fand.

Liszts Einfluß machte sich hier nun wieder auf das vorteilhafteste geltend. Es war niemand mehr da, der seine Pläne durchkreuzte, denn der Großherzog sowohl wie Baron v. Loën und Lassen waren glücklich, des Meisters Rat einholen zu können.

Loën hatte in der kurzen Zeit seines Hierseins nicht nur am Theater, sondern am Hof, in der Gesellschaft und der Bürgerschaft festen Fuß gefaßt. Er verstand Weimar und seine Vergangenheit, mit der man rechnen muß, wenn man etwas hier erreichen will. Er arbeitete im Sinne Karl Alexanders, der beständig daran dachte, seiner Stadt und deren Bewohnern Neues, Gutes, das Beste zu bieten und zuzuführen. Loën wußte, daß seine Stellung viel mehr von ihm verlangte, als ein guter Intendant zu sein. Er hatte alle Fäden in der Hand, stand in Verbindung mit auswärtigen Künstlern und Dichtern und suchte sie für Weimar zu gewinnen. Er benutzte die frühere Berühmtheit der weimarischen Bühne; unter ihm drängten sich noch die ersten Größen zum Gastspiel, denn es erschien jedem wie ein Ritterschlag, wenn man ihm gestattete, an der Stelle zu stehen, wo Goethe gelehrt hatte. Wie oft habe ich erlebt, daß Künstler mich um Vermittelung gebeten haben, selbst ohne Bezahlung wollten sie gastieren. Wir waren es von früher gewohnt, daß durch die lebenslänglichen Engagements manche Ehepaare hier waren und blieben, und Leute aus guten Familien hierher zu kommen suchten, weil sie Aufnahme in der Gesellschaft fanden und die Liebenswürdigkeit der Herrschaften bekannt war. Das alles benutzte Baron Loën: er brachte die Künstler in seinem oder einem befreundeten Hause mit der Hofgesellschaft zusammen, um das persönliche Interesse mitwirken zu lassen, das dem Theater und der Geselligkeit zugute kam. Jedes neue Stück, bei dem meist der Autor eingeladen wurde, gab Gelegenheit zu geselligen Zusammenkünften. War ein bedeutender Musiker hier, so hörte man ihn am Hofe, im Konzert und im Privatkreis; damit befolgte Loën nur die Lehren Liszts, der immer bemüht gewesen war, den Künstlerstand zu heben.

Damals war die Geselligkeit eine sehr rege, man konnte täglich etwas Interessantes mitmachen und es seufzte niemand darüber, weil man sich nicht langweilte. Freilich war die Gesellschaft viel kleiner, die Konzerte und Bälle, die jeden Freitag in der Galerie des Schlosses stattfanden, hatten einen fast intimen Charakter, – der große Saal wurde nur an Neujahr und den Geburtstagen benutzt – Montags wurden oft kleine Konzerte oder Vorträge in den Zimmern der Frau Großherzogin, abwechselnd mit Gesellschaften bei der Oberhofmeisterin, gegeben, wo getanzt oder musiziert wurde. Alles Künstlerische, auch bei diesen Festen, war in der Hand des Intendanten, und die größten Verpflichtungen gegen die Ausübenden lagen auf seinen eigenen Schultern. Trotzdem sein Vorgänger ihn an positivem dramatischem Können überragt hatte, und sein Nachfolger für das Musikalische weit befähigter war als er, so hatten die zwanzig Jahre unter Loën, durch seine liebenswürdige Persönlichkeit und das große Geschick, mit dem er das Unmögliche möglich machte, einen ganz besonderen Stempel; es ging immer Leben und Bewegung von ihm aus, er litt keine Stagnation – denn das ist das Schlimmste für eine kleine Stadt, besonders aber für Weimar, von dem man beständig etwas Besonderes verlangt.

Nun Liszt wieder zeitweise hier war, erklang auch mehr Musik, denn es war, als wenn sie schon durch sein Dasein hervorgerufen würde. Er gab am Sonntag um elf Uhr Matineen und wählte aus der Schar seiner Schüler und Schülerinnen, die sich rasch um ihn sammelten, die Fortgeschrittensten zum Vorspielen aus. – Lassen, der Liszt sehr nahe stand und ihn von Herzen verehrte, erwähnt ihn oft in seinen Briefen, so am 15. Januar 1869:

Vorgestern ist Liszt angekommen. Gestern haben wir mit ihm bei Kömpel musiziert, er spielt göttlich, wie immer. Abends war er im »Oberon« und hat mir Komplimente über meine Einstudierung gemacht.

Zu den Matineen kam der Großherzog meist, wenn er in Weimar war, aber er reiste damals viel, und ohne einen Fürsten ging es in den kleinen Räumen lebendiger zu. Liszt lud aus der Gesellschaft einzelne ihm besonders sympathische Menschen ein, und oft erschienen auch fremde Künstler, so daß man in diesen Jahren fast alle Berühmtheiten hören und kennen lernen konnte, vorausgesetzt daß man zu Liszts intimstem Kreise gehörte. Um ihn scharten sich immer Menschen, die etwas von ihm brauchten, die sich ihm zeigen oder einfach in dieser künstlerischen Atmosphäre atmen wollten. Es war aber auch das interessanteste und angenehmste, behaglichste Dasein um den geliebten Meister herum; ich kann mir keinen anderen Menschen denken, von dessen Umgang man so viel Freude, Genuß, Belehrung und Anfeuerung haben könnte, als von diesem gottbegnadeten Künstler, der zugleich eine solch bezaubernde Persönlichkeit und hohen Charakter hatte.

Aus diesem ersten Frühjahr in der »Hofgärtnerei« erinnere ich mich der Pianistin Anna Mehlig aus Stuttgart und des Komponisten Franz Servais aus Brüssel, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Liszt hatte und sie auch sorgsam pflegte; außerdem des ungarischen Geigers Remenyi, der wegen seines leidenschaftlich geliebten Meisters hierher kam und Konzerte gab. Wenn die beiden zusammen ungarische Weisen spielten, so schlug das Feuer der Begeisterung über ihnen zusammen. Ich erlebte es, daß Remenyi danach Liszt weinend und jauchzend zu Füßen fiel und seine Knie umschlang, die er küßte. – Im Februar kam Anton Rubinstein. Wir hörten ihn in seinem eigenen Konzert, wo er allein spielte, außerdem bei der Oberhofmeisterin, bei Frau Merian-Genast, die seit kurzem mit Mann und Kindern hierher zurückgekehrt war und deren Haus einen musikalischen Mittelpunkt bildete, sowie mehrmals bei Liszt. Rubinstein mit Liszt vierhändig spielen zu hören, z. B. die Schubertschen Märsche, war ein seltener Genuß, der nicht Vielen zuteil wurde.

Durch die Freundschaft meiner Mutter mit der Fürstin Wittgenstein war auch Liszt ihr so zugetan, daß er keine Gelegenheit versäumte, ihr durch mich eine Freude zu machen. So zog er mich zu all diesen musikalischen Festen heran und ich lernte dadurch die Künstler persönlich kennen. Manche brachte er auch zu meiner Mutter, die ihr Zimmer nicht mehr verlassen konnte, und musizierte auf unserem alten Flügel. So kamen Remenyi, Graf Tarnowski – ein talentvoller junger Komponist, der bald darauf auf einer Weltreise starb – und vor allem Ernst Dohm, der Redakteur des »Kladderadatsch«, mit Liszt zu uns. Dohm hat über ein Jahr hier gelebt und war in dem Künstlerkreis ganz heimisch geworden. Der witzige und doch so gemütvolle Mann liebte Weimar so, daß er nie seinen beißenden Spott über jemand oder etwas in Weimar ausgoß – der »Kladderadatsch« verschonte uns!

Rubinstein war in späteren Jahren noch mehrmals hier Ausführliches in »Zwei Menschenalter«.; sein Erscheinen war ein Fest für den kleinen Kreis seiner Freunde. Dazu gehörte auch der Afrikareisende Gerhard Rohlfs mit seiner Frau, die mehrere Jahre hier lebten und bei denen auch Liszt gern verkehrte. In diesem sehr angenehmen Hause habe ich Rubinstein im Herbst 1882 zum letzten Male gesehen, er war fast erblindet und hatte sehr gealtert. Damals – im Februar 1869 – beauftragte der Großherzog Liszt, Rubinstein für Weimar zu gewinnen, aber der Meister mußte seinem Freunde schreiben, daß der junge Künstler mehr von der Welt verlange, als was Weimar ihm bieten könne. – Kaum war Rubinstein – im Februar 1869 – abgereist, so kam Frau Viardot-Garcia mit Mann, Kindern und dem Freunde Turgeneff an, um – wie schon erwähnt – ihre Oper hier aufführen zu lassen. Sie waren alle so entzückt von Weimar, daß sie beschlossen, den nächsten Winter hier zuzubringen. Pauline Viardot war eine große Künstlerin, eine Schülerin Liszts, denn ihr Klavierspiel war ebenso bedeutend wie ihr Gesang und ihr dramatisches Talent. Auch als Komponistin fand sie Anerkennung. Mit Liszt war sie schon lange befreundet und vom Hofe wurde sie sehr ausgezeichnet.

Originelle Figuren aus dem Lisztkreise waren die beiden Fräulein Stahr, die mit ihrer Mutter, der ersten Frau von Adolf Stahr, hier lebten und Klavierstunden gaben. Sie vergötterten Liszt, und er tat sein Möglichstes, um den fleißigen Mädchen auf ihrem Lebenswege weiterzuhelfen. Nur wenn sie gar zu auffallend angezogen waren – sie trugen immer die Mode von vor zehn Jahren und liebten leuchtende Farben – konnte er ungeduldig werden. Adolf Stahr kam mit Fanny, geb. Lewald, seiner zweiten Frau, manchmal hierher zu seinen Kindern. Wie befreundet Liszt mit ihnen war und daß der Großherzog denselben zu der Eheschließung verholfen hatte, wissen wir jetzt durch die Schriften und Briefe des Ehepaares. Er schrieb am 9. Februar 1869 an Liszt und dankte ihm, daß er so gut für seine Töchter sei:

Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie begeistert sie mir davon berichtet haben. In der That, Du solltest eigentlich »Helferich« statt Franz heißen; denn eine hülfsbereitere Menschenseele als Dich habe ich in meinem Leben nie kennen gelernt. »Briefe hervorragender Zeitgenossen an Franz Liszt«, herausgegeben von La Mara. 2. Bd. (Leipzig 1895.)

Liszt reiste im März wieder ab und kam erst im Frühjahr 1870 zurück. Die erste Aufführung der »Meistersinger« am 28. November 1869 machte er nicht mit; Lassen hatte sie vortrefflich einstudiert und Milde war ein so wundervoller »Hans Sachs«, daß wohl niemand diese Figur wieder vergißt, der ihn in seiner besten Zeit darin gesehen und gehört hat. Knopp gab den »David« ausgezeichnet. Doepler hatte die Kostüme, Händel die Dekorationen auf das beste hergestellt. Der Kaiser von Rußland, der mit dem Großfürsten Wladimir in Belvedere war, besuchte diese erste Aufführung mit dem ganzen Hofe. Der Erfolg war von Anfang an groß, stieg aber noch mit jeder Aufführung. Zu der zweiten, am 20. November, kam Königin Augusta, zur dritten, am 5. Dezember, Herzog Georg von Meiningen. – Lassen fand am 28. November sein Pult bekränzt und darauf lag ein Taktstock aus Ebenholz und Silber, den ihm die Mitglieder der Hofkapelle schenkten. Die Widmung lautete:

Ein König bist Du uns! Dein Stab
Theilt uns das Heer der Töne ab,
Bestimmt des Tempo's Widerstreit,
Die Harmonie in Lust und Leid!
Führ' stets ihn stolz mit Künstlerliebe,
Führ' stets ihn stolz mit unsrer Liebe!

Lassen schrieb am 20. Januar 1870 seinen Eltern, daß Saint-Saens aus Paris und der Violinist Lotto im Neujahrskonzert an Hof gespielt und daß er eine Kantate für Jena komponiert habe, sowie daß seine Musik zu den Chören des »Ödipus« in Halle aufgeführt werden solle, den verbindenden Text hatte Dohm verfaßt. Er fährt am 27. fort:

Viardots kommen am 8. Februar und bleiben einige Monate. Sie wird »Orpheus« singen und »Klytemnestra« in der »Iphigenie« von Gluck.

11. Februar: Die Lucca hat mir in der »Afrikanerin« sehr gut gefallen, weniger im Hofkonzert. – Viardots sind da, ich sehe sie alle Tage. Heute Abend sind wir Alle bei Merians, wo ich eine Oper von Raff vortragen werde – »Dame Kobold« – der Text nach Calderon, die wir am 8. April geben.

25. Februar: Nächsten Sonntag ist »Orpheus« von Gluck mit der Viardot. Das macht mir viel Arbeit, weil es zwei Versionen davon giebt, die erste hat Gluck in italienisch für eine Kastraten- oder Kontraltostimme geschrieben, die zweite für Tenor, für die große Oper in Paris. Madame Viardot singt eine dritte Version, eine Mischung der beiden ersten, die ihr Berlioz für das Theater lyrique zurecht gemacht hat. Das muß ich nun mit unsrer Partitur in Einklang bringen. Sie singt noch wundervoll, trotzdem sie ihre Stimme verloren hat. Beim letzten Hofkonzert hat sie das »Lied des Britannikus« von Graun herrlich gesungen, es ist fast das Schwerste was es giebt. Heute Abend sind wir Alle bei Mildes, wo wir musicieren.

Dieser Brief gibt ein Bild des musikalischen Lebens, das dieses Frühjahr in Weimar herrschte. Die Abende bei Viardots im »Russischen Hof« waren meist sehr schön, nämlich wenn Musik gemacht wurde; traten aber an ihre Stelle Schreibspiele, so erschien mir die Zeit verloren, denn man konnte sich dann auch nicht mit Turgeneff unterhalten, der mit Gichtschmerzen und verpacktem Fuß oft recht still dabei saß.

Liszt kam zum 8. April. Er fand viel vorzubereiten, denn am 26. Mai begann die Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen deutschen Musikvereins, die dieses Mal eine Vorfeier zu Beethovens hundertjährigem Geburtstag bildete. Für den 19. bis 29. Juni hatte Baron v. Loën Mustervorstellungen Wagnerscher Werke angekündigt.

Vor einer Korona von Künstlern und Kunstliebhabern wurden die Konzerte des Musikvereins gegeben. Frau v. Moukhanoff, Frau v. Schleinitz (jetzige Gräfin Wolkenstein), Gräfin Dönhoff (jetzige Fürstin Bülow), Frau Viardot, Anton Rubinstein, Tausig, Saint-Saens, Hellmesberger waren die hervorragendsten. Zu den weimarischen Chören war der Riedelsche Verein aus Leipzig hinzugekommen, Musiker aus Sondershausen verstärkten die Kapelle. Zur Eröffnung wurde die herrliche » Missa solennis« von Beethoven in der Stadtkirche von Professor Riedel vortrefflich dirigiert. Die Soli sangen Frau Otto-Alvsleben und Frau Krebs-Michalesi aus Dresden sowie Joseph Schild und Milde; Konzertmeister David aus Leipzig spielte das Violinsolo. – Der 27. brachte vormittags ein Konzert für Kammermusik in der »Erholung«, abends ein Orchesterkonzert von modernen Kompositionen im Hoftheater. In ersterem sangen Georg Henschel und Frau Krebs-Michalesi, im Quartett spielten Hellmesberger, David, Kömpel und Fitzenhagen; Theodor Ratzenberger saß am Flügel. – Aus dem Programm des Orchesterkonzertes sollen nur einige Nummern erwähnt werden: Damrosch dirigierte seine »Festouvertüre«; Fräulein Mary Krebs-Dresden spielte unter Lassens Direktion das Es-dur-Konzert von Liszt; Saint-Saens dirigierte seine Kantate, die »Hochzeit des Prometheus«. Vor diesem letzten Stück wurde ein Vortrag von Frau Viardot eingeschoben, sie sang – sich selbst am Klavier begleitend – vier Lieder ihrer Komposition und errang mit ihrer sehr originellen Kunst großen Erfolg. – Am 28. war ein Konzert für Kammermusik und Gesang im Theater, in dem nur Beethovensche Kompositionen gegeben wurden. Am 29. ebendaselbst das große Schlußkonzert, dem Andenken Beethovens gewidmet. Lassen begann mit seiner, für diesen Tag komponierten »Beethoven-Ouvertüre«, darauf sprach Frau Hettstedt einen Prolog von Bodenstedt; Müller-Hartung dirigierte Liszts »Beethoven-Kantate« für Soli, Chor und Orchester, die dieser auf den Text von Adolf Stern für die Feier komponiert hatte. Die Soli sangen Fräulein Reiß und Milde. – Der zweite Teil des Konzerts brachte die »9. Symphonie« von Beethoven unter Liszts Direktion; das Soloquartett war dasselbe wie in der »Missa«. Liszts Leitung war damals nicht mehr ganz zuverlässig, er hatte zu lange nicht mehr dirigiert und die Proben nicht geleitet, daher kannten die Ausübenden seine Eigentümlichkeiten nicht; aber dafür las man ihm die Intentionen im Mienenspiel und an den Handbewegungen ab.

Wer diese Aufführung miterlebte, dem ist sie gewiß unvergeßlich geblieben! Ein Rausch der Begeisterung hatte das Publikum, Musiker und Choristen ergriffen; alle Blicke hingen an Liszt, dessen Gewalt wuchs, dessen Augen strahlten. Sein Antlitz hatte einen Ausdruck, als wenn die himmlischen Harmonien ihn das Jenseits schauen ließen. Man erwachte erst, als der Applaus losbrach und Hunderte von kleinen Blumensträußen dem Meister zu Füßen fielen.

Liszt war die Seele des Festes; gesellschaftlich und in künstlerischer Beziehung drehte sich alles um ihn, und wer es nicht miterlebt, der kann es nicht begreifen, wie er alles ins richtige Geleise zu bringen verstand, schäumende Wogen glättete, kampflustige Menschen besänftigte, verdienstvolle hervorzog und belohnte. Wie sehr er umlagert und in Anspruch genommen wurde, erzählt uns ein drolliges Billett Karl Alexanders, das wahrscheinlich aus diesen Tagen stammt:

Zum Teufel die Frauen, besonders wenn sie in Ihren Augen schön und liebenswürdig sind! Sie entreißen Sie meiner Gesellschaft. Ich bin weder das eine noch das andere, aber wohl ein Freund, der erfolglose Versuche macht. Sie zu sehen, denn Sie sind ja immer entführt! Jetzt appellire ich an Ihre Freundschaft, damit Sie endlich einmal zu Hause bleiben um mich heute, Montag, zwischen zwölf und ein Uhr zu erwarten. Komponiren Sie mir indessen eine Elegie über die Geduld.

C. A.

Dieses schöne Fest war aber noch nicht der Schluß aller künstlerischen Darbietungen dieses Frühjahrs; Baron v. Loën hatte Mustervorstellungen des »Holländer«, »Tannhäuser«, »Lohengrin« und der »Meistersinger« vorbereitet. Lassen schrieb darüber am 15. April:

Die Wagnervorstellungen sind am 19., 22., 26. und 29. Juni. Loën hat die Absicht, den »Tristan« noch anzufügen; das wäre herrlich, aber eine enorme Arbeit für mich; wenn das gelingt, so wäre es ein unvergleichlicher Ruhm für Weimar ...

Das scheint aber unmöglich gewesen zu sein, denn »Tristan und Isolde« konnte Lassen erst am 14. Juni 1874 herausbringen.

In den Aufführungen von 1870 behielt nur Milde alle seine Rollen und Fräulein Reiß die der »Senta«. Scaria gab »Daland«, den »König«, den »Landgrafen« und »Pogner«. Dr. Gunz aus Hannover sang die Rolle des »Erik«. Niemann gab »Lohengrin« und »Tannhäuser«; Fräulein Mallinger »Elsa«, »Elisabeth« und »Eva«; Marianne Brand »Ortrud«, Nachbaur den »Walter Stolzing«.

Unter den fremden und einheimischen Kunstfreunden war nur eine Stimme über die im ganzen sehr gelungenen Aufführungen, und daß unser Meistersinger Milde eigentlich der beste von allen Sängern gewesen se«. Er hatte den »Fliegenden Holländer«, »Wolfram«, »Telramund« und »Hans Sachs« gesungen. Fräulein Mallinger, eine reizende Künstlerin, die damals als die beste Repräsentantin der »Elsa« galt, war uns Weimaranern in ihrer Auffassung nicht so lieb, als es unsere unvergeßliche Rosa Milde gewesen war. Als diese die »Elsa« unter Liszt kreirte, durchdrang seine Empfindung das ganze Werk, wie sie »Tannhäuser« und »Fliegenden Holländer« durchdrungen hatte. Wagners Intentionen waren viel leidenschaftlicherer Natur, drangen naturgemäß später überall durch, nachdem Liszt sich mit seiner zarteren, poetischeren, lyrischeren Ausführung vom Theater zurückgezogen hatte. Alles das sprach sich in einer kleinen Szene während des Gebetes der »Elsa-Mallinger« im ersten Akt des »Lohengrin« aus: Frau v. Milde saß in einer Parterreloge neben Liszt und mir; während man dem schönen Gesang lauschte, bog ich der Meister zu ihr hinüber, klatschte leise in die Hände und lästerte: »Bravo Frau v. Milde!«

Briefe dieser großen Künstlerin und liebenswerten Frau an eine Schülerin und Freundin, Fräulein Helene v. Mangoldt in Dresden, wurden mir für diese Aufzeichnungen freundlichste übergeben, ich entnehme denselben einige Stellen, die teils im Text und teils im Anhang stehen. Auch von der Tochter, Natalie v. Milde, sind Briefe dabei. Frau v. Milde schreibt am 3. Juli über den »Lohengrin«:

... Der Total-Eindruck war glänzend. »Ortrud« (Marianne Brand) war sehr talentirt und wird gewiß noch eine bedeutende Darstellerin solcher Rollen – Telramund ist Ihnen bekannt. Verschweigen kann ich Ihnen nicht, wie sehr mein Mann bei diesem Wettkampfe der Sänger von Fremden und Einheimischen ausgezeichnet worden ist. Der Moment des Lorbeerkranzes in den Meistersingern ist für ihn zu einer vollkommenen Ovation geworden. Der Großherzog, der sich wiederholt enthusiastisch, kann man sagen, über seine Leistungen ausgesprochen hatte, ehrte ihn durch Verleihung des Falkenordens. Eine Ehre, welcher die Approbation, man kann sagen, der ganzen Einwohnerschaft noch besonderen Werth verleiht. – Ich ertappe mich da eben über einer wenig objectiven Beantwortung Ihrer Frage: wer mir am besten gefiel? – Schlagen Sie nun meine Privatgefühle für den »Hans Sachs« so hoch als möglich an, so hoffe ich doch, daß eigene Erfahrungen Ihnen die Erfolge meines Eheherrn nicht zweifelhaft erscheinen lassen werden. Die Mallinger war als »Eva« ganz reizend, wie sie überhaupt eine sehr sympathische Sängerin ist ...

Nach dieser »Wagnerwoche« sandten mehrere Verehrer von hier einen silbernen Lorbeerkranz an Wagner nach Luzern.

Kaum waren diese künstlerischen Genüsse vorüber, so erklangen weniger friedliche Töne – der 16. Juli brachte die Kriegserklärung.


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