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V. Kapitel.
Politisches. Das Jahr 1866.

Das Leben und Wirken des Ministers Bernhard v. Watzdorf ist im 1. Bande bis zum Jahr 1853 geschildert worden, jetzt gilt es, seinen Einfluß in dem weimarischen Land einerseits und auf die deutsche Geschichte andererseits in der Folgezeit zu beleuchten. Sein größtes Verdienst war wohl, daß er nach dem Jahr 1848 alle Spaltungen zu überbrücken suchte, keinen Schritt zurück tat, sondern die Versprechungen hielt, die damals – in stürmischer Zeit – gegeben worden waren. Im Landtag wurden ihm natürlich oft Hindernisse bereitet, er hatte nicht immer die Mehrheit hinter sich, aber keine dieser Spannungen dauerte lange, die gemeinsame Arbeit für Handel, Industrie, Landwirtschaft, Kultus, Schule, Rechtspflege und Verwaltung, die vortreffliche Gesetze hervorbrachte, vereinte die Gegner bald wieder. Auf Hebung des Verkehrs und Volkswohlstandes war Watzdorf sehr bedacht, auch lag ihm am Herzen, die Bevölkerung zur Selbständigkeit zu erziehen und sie möglichst von der bureaukratischen Bevormundung zu befreien. Alle diese Bestrebungen wurden sehr anerkannt und der Staatsminister genoß daher das Vertrauen aller Stände im höchsten Maße. Dazu trug auch die Persönlichkeit und die schöne Erscheinung Watzdorfs noch viel bei. Er war groß und schlank, seine hellen Augen waren ein Spiegel seines edlen Charakters. Die warme Herzlichkeit, ehrliche Offenheit und die Abwesenheit jeglichen Hochmuts, sein Interesse für alles Gute und Schöne und die Liebenswürdigkeit als Gesellschafter mußten jeden für ihn einnehmen und ihn beliebt machen.

In den auswärtigen Geschäften, in der Politik, hatte Watzdorf ein gewichtigeres Wort mitzureden, als die Kleinheit des Landes, das er vertrat, bedingte. Sein reiner Charakter, – frei von Partikularismus, aber doch seinem Herrn treu ergeben – sein weiter Blick und die milde Beurteilung seiner Gegner gab ihm ein großes Übergewicht im Kreise seiner Kollegen und eine hervorragende Stellung gegenüber den Fürsten. Er arbeitete offen und im stillen beständig für sein Ideal: ein einiges Deutschland unter Preußens Führung, und war fest überzeugt, daß wir früher oder später zu dem ersehnten Resultate kommen würden.

Wie wertvoll es für Watzdorf sein mußte, einen Mann als Redakteur der »Weimarischen Zeitung« zu gewinnen, der schon eine hervorragende Tätigkeit auf politischem Gebiet entwickelt hatte und in den wichtigsten Fragen mit ihm auf gleichem Boden stand, kann man sich denken.

Karl Biedermann war einer von den Vielen, die in dem Schutze des weimarischen Landes Zuflucht vor politischen Gegnern fanden. Er war 1812 in Leipzig in kleinen Verhältnissen geboren, erhielt eine gute Erziehung und konnte sich schon 1835 als Dr. phil. in seiner Vaterstadt habilitieren. Er hielt Vorlesungen über Staatswissenschaft, war aber auch als Politiker und Literat tätig – auch er kämpfte für ein einiges Deutschland, für einen Bundesstaat, mit Preußen an der Spitze. Er war Mitglied des Frankfurter Parlaments gewesen und führte dort den Vorsitz in der »Erbkaiserpartei«; er wurde gegen das Ende hin Vizepräsident des Parlaments und war bei der Deputation, die nach Berlin gesandt wurde, um Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone anzubieten. Nach dem Scheitern dieser großen Hoffnungen trat er im Juni 1849 mit Dahlmann, Gagern u. a. in Gotha zusammen, um zu Gunsten des preußischen Unionsgedankens zu wirken.

Seit dieser Zeit lag ein Zug schmerzlicher Entsagung über Biedermanns Wesen. Die überall eintretende Reaktion machte den Zustand fast unerträglich. Robert Mohl Robert v. Mohl, berühmter Rechtslehrer, Mitglied des Frankfurter Parlaments, von 1848-1849 Reichsjustizminister, trat mit Gagern zurück. 1861-1866 badischer Bundestagsgesandter. Mitglied des Reichstags. Gestorben 1875 in Berlin. schrieb ihm Ende 1850:

Welche Zeiten. Es ist doch in der That ohne Beispiel, daß eine große Nation so zu Grunde geht an der völligen Heillosigkeit einiger weniger Menschen. Wir haben durch Handeln und Unterlassen viel gesündigt; allein dies haben wir nicht verdient. Es ist zum Rasendwerden, wohin man sieht! Was wird dies für eine Abrechnung geben! Indessen – Gott befohlen! Das Lamentiren ändert doch nichts.

1850 nahm Biedermann seine Vorlesungen wieder auf und gründete eine Sammelschrift »Germania«, sie hielt sich nur zwei Jahre, denn »die Ungunst der Zeiten, die Abspannung und Gleichgültigkeit der gebildeten Kreise war zu groß«. 1853 erschien die von ihm redigierte Zeitschrift »Die deutschen Annalen zur Kenntnis der Gegenwart und Erinnerung an die Vergangenheit«. Ein Artikel darin, über »Deutschland und das französische Kaisertum«, den er nicht einmal selbst verfaßt hatte, gab dem Ministerium Beust die Handhabe, den unbequemen Professor loszuwerden. Man verurteilte ihn zu einem Monat Gefängnis und enthob ihn seiner Professur – gegen den Willen der philosophischen Fakultät. Der berühmte Staatsrechtslehrer Wächter sagte darüber: »Dieser Fall ist das Skandalöseste, was ich kenne.«

Anfang der vierziger Jahre hatte Biedermann die Schwester des späteren Leipziger Oberbürgermeisters Koch geheiratet. Sie hatte ihm vier Kinder geboren und alle Anfechtungen mit ihm getragen, ist ihm nie durch weibliche Schwäche ein Hemmnis gewesen, sondern hat ihn gestützt und ihren heiteren Sinn bewahrt. Um der Seinen willen mußte er ein festes Einkommen erstreben. Er dachte an die Universität Zürich, denn keine deutsche würde ihn ausgenommen haben – außer Jena, wo schon so manche bedrängte Existenz auf gesundem Boden neue Wurzeln schlagen konnte. Hier hatte merkwürdigerweise einer, der sich doch wohl persönlich für den Professor interessieren mußte, – trotzdem er ihn selbst seiner Stelle entsetzt hatte – Minister v. Beust, ihm vorgearbeitet. Er hatte an seinen Kollegen Watzdorf geschrieben und Biedermann nach Jena empfohlen. Leider war keine Professur frei und kein Geld für einen neuen Lehrstuhl vorhanden, aber bald darauf schrieb Hermann Böhlau, der Besitzer der Hofbuchdruckerei hier, und bot ihm die Redaktion der halboffiziellen »Weimarischen Zeitung« an. Nachdem Biedermann sich vergewissert, daß ihm nicht zugemutet werden würde, etwas gegen seine Ansicht – für die er schon so viel gelitten – zu schreiben, nahm er das Anerbieten an und lief in diesen Hafen der Ruhe und des Friedens ein, wo er sich mit Frau und Kindern von allen Anfeindungen erholen konnte.

Watzdorf und Biedermann kannten sich schon von Berlin her, wo ersterer, bei Gelegenheit der Kaiserdeputation, der einzige Bevollmächtigte war, der die Sendung bei dem Königshof unterstützte und sich persönlich zu den Abgesandten hielt.

Biedermann sagt in seinen Memoiren: »Mein Leben.« (Breslau 1886-1887.)

»Watzdorf empfing mich in der liebenswürdigsten Weise, wie einen Gesinnungsverwandten, und ich fand mich in der Überzeugung bestärkt, daß mein Verhältnis zu ihm ein durchaus befriedigendes, zu Konflikten schwerlich jemals Anlaß gebendes sein würde.«

Das Programm, das Biedermann für die Zeitung entwarf, wurde von Watzdorf angenommen; die Verantwortlichkeit des Redakteurs für den nichtamtlichen Teil und die Rücksichten, die er auf die Meinung der Regierung, – da die Zeitung ihr Eigentum ist – sowie auf den Herausgeber Böhlau nehmen muß, machen diese Stellung zu einer ziemlich schwierigen, die nur durch große Umsicht und viel Takt so ausgefüllt werden kann, wie es wünschenswert ist.

Biedermann schreibt in seinen Memoiren so eingehend und wahr über Weimar, daß ich ihn oft mit seinen eigenen Worten reden lasse, denn er gibt uns ein Bild des politischen und sozialen Lebens sowie eine Charakteristik des Ministers v. Watzdorf, wie niemand es besser getan:

»Im Herbst 1855 siedelte ich mit meiner Familie nach Weimar über. Es waren nur drei Stunden Eisenbahnfahrt, und doch fühlte ich mich in der kleinen thüringischen Residenz wie in eine ganz andere Welt versetzt. In meiner sächsischen Heimat war ich angefeindet, verfolgt, wie ein Verbrecher behandelt worden – hier kam man mir von allen Seiten mit sichtlichem Zutrauen und Wohlwollen entgegen. S. K. H. der Großherzog (Karl Alexander), dem ich mich vorstellen mußte, empfing mich äußerst gnädig mit den Worten: ›Sie sind uns durch Ihre Schriften bestens empfohlen, und wir empfangen Sie mit dem vollsten Vertrauen!‹ Mein Verhältnis zu dem dirigierenden Staatsminister v. Watzdorf war vom ersten bis zum letzten Tage meiner Redaktionsführung das allerbefriedigendste; ja es hat meine amtlichen Beziehungen zu ihm weit überdauert und bis zu seinem, leider viel zu frühen, Tode unverändert fortbestanden. Herr v. Watzdorf behandelte mich vom ersten Tage an nicht wie einen ihm Untergebenen [was ich doch in gewisser Hinsicht war], sondern wie einen Gesinnungsgenossen und Vertrauten, ja [ich darf es sagen, da er es selbst gesagt hat] wie einen politischen Freund. Er besprach mit mir rückhaltlos Fragen der inneren wie der äußeren, namentlich der deutschen Politik, ließ sich gegen mich mit größter Offenheit über Verhältnisse und Personen aus, und gestattete mir tiefe Einblicke in seine ganze Denk- und Handlungsweise.

»Daß Herr v. Watzdorf ein aufrichtig liberal und national gesinnter Staatsmann sei, hatte ich längst gewußt; allein, je näher ich ihm trat, desto mehr mußte ich ihn verehren und lieben wegen der Klarheit, Sicherheit und Aufrichtigkeit, womit er in beiden Richtungen, selbst unter den schwierigsten Verhältnissen, unbeirrt seinen Weg ging. Besonders interessant war mir die Beobachtung seines Verhaltens in der inneren Politik. In ihm war so gar nichts von jenem Bureaukratismus, von dem sonst auch die besten Staatsmänner selten ganz frei sind, dem Pochen auf Untrüglichkeit und dem eifersüchtigen Wachen über der eigenen Würde. Ihm war es immer nur um die Sache, niemals um seine Person zu tun. ›Sehen Sie,‹ sagte er mir einmal, ›wenn einer meiner Räte eine andere Ansicht vertritt, als ich, so frage ich mich immer: hat der Mann nicht am Ende recht, muß er nicht die Spezialitäten seines Ressorts genauer kennen als ich?‹ Dieselbe Zurückhaltung beobachtete er auch – und das wollte mehr sagen – gegenüber den Organen des Volkes. Als einmal im Landtage die Rede auf die Stellung des Ministeriums zu den Bezirksausschüssen kam, erklärte Herr v. Watzdorf: er reformiere nur in äußersten Fällen den Ausspruch eines Bezirksausschusses, denn ein solcher stehe den praktischen und örtlichen Verhältnissen näher, kenne die Bedürfnisse der Bevölkerung besser, als die Behörde am grünen Tisch. Und daß dem wirklich so sei, bestätigte sofort mit sichtlicher Befriedigung der Führer der demokratischen Partei im Landtage, Rechtsanwalt Fries (der Sohn des Philosophen in Jena). Zu den Lieblingsschöpfungen des Ministers gehörte das System einer ausgedehnten Selbstverwaltung des Volkes, wie es sich in eben diesen Bezirksausschüssen und in einem mit weiten Befugnissen ausgestatteten Gemeindeleben in Stadt und Land darstellte. Es war ihm nicht leicht geworden, wie er mir oft vertraute, dieses System ins Leben zu rufen und lebensfähig zu erhalten; es hatte Mühe gekostet, einerseits die Staatsbeamten der hergebrachten Vielregiererei zu entwöhnen, andererseits die Bevölkerung selbst dahin zu bringen, daß sie sich auf eigene Hand zu helfen suche und nicht immer auf Anleitung oder Anregung von oben her warte. Aber es war ihm gelungen!

»Unverkennbar günstig war der Einfluß des Systems und der Persönlichkeit Watzdorfs auf die Beamten, namentlich die höheren. Abgesehen von einer sie auszeichnenden allgemeinen Bildung und geistigen Strebsamkeit, welche weit über die Grenzen ihres speziellen Berufs hinausreichte, waren sie auch – nach der liberalen wie nach der nationalen Seite hin – von einer Unbefangenheit und Vorurteilslosigkeit, wie man solche in diesen Kreisen nicht häufig antrifft. Und das war nicht bloß ein ›Liberalisieren‹, womit sie etwa ihrem Chef oder dem Großherzog gefällig zu sein meinten, sondern ihre freie und deutsche Gesinnung war offenbar ›in der Wolle gefärbt‹, beruhte auf eigener, fester Überzeugung, wennschon das rühmliche Beispiel, das ihnen fortwährend von oben her gegeben ward, daran gewiß auch seinen Anteil hatte.

»Daß ein Minister wie Watzdorf sich der allgemeinsten Popularität erfreute, auch ohne sie zu suchen, kann nicht wundernehmen. Mich davon zu überzeugen, hatte ich Gelegenheit, als Watzdorf nach einer langen, schweren Krankheit, die er auf seinem Gute Berga überstanden, in die Residenz zurückkehrte und von der ganzen Bevölkerung mit lauten, ungeheuchelten Huldigungen empfangen ward. Fast noch denkwürdiger war mir eine Szene, die ich einst als Zuschauer im Landtage mit erlebte. Es war das in der Zeit der ärgsten Reaktion, wo wahrscheinlich von den größeren Höfen aus so manche mächtige Einflüsse dahin strebten, den kleinen thüringischen Staat, der wie eine glückliche Oase inmitten der politischen Wüste dastand, die damals den größten Teil von Deutschland bedeckte, in die allgemeine Strömung mit hineinzuziehen. Im Lande selbst gab es eine zwar kleine, aber wegen eben jener auswärtigen Bundesgenossenschaft nicht ungefährliche Partei, welche insgeheim an dem Sturze des verhaßten liberalen Ministers arbeitete. Watzdorf selbst teilte mir dies mit und verhehlte die Besorgnisse nicht, die er deshalb – nicht für seine Person, wohl aber für die gute Sache – hegte.

»Nun begab sich folgendes. Bei dem Bau der neuen Kaserne oberhalb der Stadt Weimar war, wie das zu gehen pflegt, die ständische Bewilligung nicht unbedeutend überschritten worden. Der Finanzausschuß rügte dies, und dessen Berichterstatter Fries ließ ein paar scharfe Worte fallen über das Recht, welches die Stände wohl hätten, einer solchen Überschreitung die nachträgliche Genehmigung zu versagen. Alsbald erhob sich einer der feudalen Gegner Watzdorfs, schloß sich mit gut gespielter sittlicher Entrüstung der Rüge des Finanzausschusses an und ließ durchblicken, daß er und seine Gesinnungsgenossen nicht abgeneigt wären, mit der Linken gegen die Genehmigung zu stimmen. Man wußte, daß der Großherzog auf jenen Bau ein besonderes Gewicht legte, und die Herren mochten daher denken, wenn die Genehmigung versagt würde, so müsse dies Watzdorfs Stellung erschüttern. Aber was geschah? Plötzlich stand Fries auf und erklärte mit gehobener Stimme: So sei es nicht gemeint! Wenn etwa die Herren auf der Rechten dächten, die Linke solle ihnen dazu helfen, das Ministerium Watzdorf zu stürzen, so täuschten sie sich sehr; 10 000 Taler [so viel betrug die Überschreitung] sei der Linken ein Ministerium Watzdorf noch immer wert! Und richtig, die ganze Linke stimmte wie ein Mann für die Genehmigung, und die paar Feudalen blieben mit ihrer Abstimmung dagegen in einer kläglichen Minderheit.

»An dem Großherzog Karl Alexander hatte Watzdorf bei seinen liberalen und nationalen Bestrebungen einen sicheren Rückhalt. In ihm lebte der freie und hohe Geist seines großen Vorfahren Karl August, der ja auch in jener trüben Zeit von 1817 ff. sein kleines Land und seine Universität Jena vor den hereinbrechenden Wogen der Reaktion und der Demagogenriecherei mannhaft, soweit er nur konnte, geschirmt hatte.

»Von demselben Geist waren auch die beiden fürstlichen Frauen beseelt, die dem Großherzog zur Seite standen, Großfürstin Maria Paulowna und Großherzogin Sophie. Sie teilten sich mit ihm und unter sich in die schöne Aufgabe, einerseits den idealen Interessen, welche auf den Schutz eines Hofes wie der weimarische recht eigentlich Anwartschaft zu haben schienen, andererseits solchen praktischen und humanen Bestrebungen, welche auf den materiellen, geistigen und sittlichen Fortschritt des Volkes abzielten, mit warmem Herzen und offener Hand jede Förderung zu bieten.

»Was die Regierung des Landes betraf, so war schon der vorige Großherzog, der 1853 verschiedene edle Karl Friedrich, darin dem ruhmreichen Beispiel seines unvergeßlichen Vaters gefolgt. Von ihm erzählte man sich in Weimar eine Geschichte, die ihn hoch ehrte. Ein fremder Fürst habe ihn besucht, und Karl Friedrich sei mit ihm im Park zu Ettersburg umhergewandelt. Da habe jemand gehört, wie der fürstliche Gast dem Großherzog zugeredet habe: er solle doch die liberalen Zugeständnisse, die er 1848 seinem Volke gemacht, zurücknehmen, wie aber der alte Herr darüber in großen Zorn geraten sei und mit erhobener Stimme gesagt habe: ›Was denken Euer Liebden von mir? Ich bin ein ehrlicher Mann und halte mein Wort ...‹

»Dem glücklichen Ländchen blieb daher auch das Schicksal erspart, welches damals so viele deutsche Staaten, große und kleine, traf, das Schicksal, durch Staatsstreiche und Verfassungsbrüche die Rechtsordnung gestört und das Rechtsgefühl des Volkes aufs tiefste verletzt zu sehen. Selbst die mancherlei kleinen Ausschreitungen, die wohl 1848 vorgekommen waren, erfuhren in Weimar eine mildere Behandlung, als vieler Orten; politische Verfolgungen kamen nicht vor. Und die Folge von alledem war die, daß die Verirrten von selbst sich allmählich zu ruhigeren Ansichten bekehrten und gute, brauchbare Staatsbürger wurden, daß keinerlei Verbitterung im Volke Platz griff, daß auch zwischen der Opposition und der Regierung keineswegs ein so schroffer Gegenstand bestand, wie sonst wohl häufig, vielmehr jeder Teil das Gute an dem andern anerkannte und ehrte. Als Fries zum erstenmal [nach hartnäckigem Kampfe] in das Präsidium des Landtags gewählt war und ich dies dem Minister mitteilte, meinte dieser lächelnd: ›Nun, das ist auch kein Unglück; Fries ist ein verständiger Mann?‹ Und als bei den nächsten Neuwahlen die Opposition verstärkt in den Landtag zurückkehrte, ließ ihn das ebenfalls sehr ruhig.

»Diese Harmlosigkeit der politischen Zustände im Großherzogtum kam auch mir zugute. In der Residenz erschien eine demokratische Zeitung, ›Deutschland‹, welche ungleich verbreiteter war als das Regierungsblatt; allein ich erinnere mich nicht, daß dieselbe auch nur ein einziges Mal unser Blatt oder mich selbst im entferntesten so feindselig oder so gehässig angegriffen hätte, wie mir das leider seitens der Demokratie meines sächsischen Vaterlandes so häufig geschehen war. Zwischen dem Führer der weimarischen Demokratie, Fries, und mir bildete sich sogar allmählich ein Verhältnis der Annäherung aus. Fries bewies mir offenbar Vertrauen und zog mich bei nationalen Fragen [wo wir auf gleichem Boden standen] gern zu Rate ... Ich war daher kaum überrascht, wohl aber erfreut, als ich im Reichstag 1871 Fries als meinen Nachbar auf den Banken der Nationalliberalen fand.«

Da Biedermann keinen Kampf gegen die Opposition zu führen brauchte, konnte er sich der ihm sympathischeren Aufgabe zuwenden, das Volk über Fragen des Staatsrechts, der Volkswirtschaft usw. zu belehren und aufzuklären. Wie offen er schreiben durfte, beweist ein Leitartikel vor den Landtagswahlen, in dem er sagt, daß es richtiger sei, keine Staatsbeamte, sondern unabhängige Männer in die Kammer zu wählen.

Biedermanns traten in einen sehr angeregten geselligen Kreis ein. Mit Preller und Hummel wanderte er regelmäßig nach Belvedere, wo es beim Billardspiel sehr munter herging. Auch Genelli und Martersteig gehörten zu seinen näheren Bekannten. Der »Mittwochsverein«, »Schlüssel« genannt – weil ein Schlüssel in der Zeitung an jedem letzten Mittwoch im Monat das Zeichen gibt, daß die Mitglieder sich versammeln sollen – war die Gesellschaft (die heute noch besteht), in der Biedermann sich am liebsten bewegte und wo er sehr freundlich ausgenommen wurde. Sie bestand aus höheren Beamten, Geistlichen, Professoren des Gymnasiums und anderen Gelehrten, Schriftstellern, Juristen, Ärzten, Buchhändlern, einigen Offizieren usw. Ein kurzer Vortrag von einem der Herren und ein frugales Abendessen, mit lebhafter Unterhaltung gewürzt, füllt den Abend aus.

Die Privatgeselligkeit war in jenen Jahren sehr entwickelt, sie war einfach, bequem und gemütlich; die materiellen Genüsse bescheiden, sie spielten keine bedrückende Rolle, denn man kam einzig der Unterhaltung wegen zusammen. Am Morgen schickte man zu den Bekannten und bat sie für denselben Abend, sie stellten sich meist gern und vollzählig ein. Biedermann schreibt darüber: »Die Unterhaltung war lebhaft, zwanglos, geistig angeregt und anregend, ohne Affektation und künstliches Geistreichtun.«

Biedermann benutzte das Zusammenströmen von Gästen zu den Festen am 3. und 4. September 1857, um einen »Verein für deutsche Kulturgeschichte« zu gründen. Er versammelte den Schriftsteller Heinrich König, Archivrat Brückner aus Meiningen, Professor Wachsmuth und Joh. Falke, Konservator am Germanischen Museum in Nürnberg, um sich und berichtet, davon:

»Auf dem Felsenkeller zu Weimar fanden wir uns, freilich nur wenige, in einer dem allgemeinen Festesjubel mühsam abgestohlenen Abendstunde zusammen und entwarfen die Statuten des Vereins. Er sollte namentlich dazu dienen, solches kulturgeschichtliches Material aufzusuchen und zu sammeln, welches in den gewöhnlichen Geschichtsquellen sich selten findet, z. B. Tagebücher, Briefschaften, Rechnungs- und Haushaltungsbücher u. dergl., ebenso die noch da und dort vorhandenen Spuren von Volksfesten, Volksgebräuchen usw. Es entstanden mehrere Zweigvereine, einer in Weimar, an welchem eine große Anzahl von Beamten, Gelehrten u. a. sich lebhaft beteiligte, einer in Meiningen unter Brückners Leitung, einer in Nürnberg unter Falke und Müller, einer in Hildesheim durch die Bemühungen von Karl Seiferts; die in Nürnberg von Falke und Müller herausgegebene ›Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte‹ brachte Berichte über die Tätigkeit dieser Vereine und ein reger Eifer des Suchens, Sammelns und Verwertens kulturgeschichtlicher Stoffe zeigte sich allerwärts. So u. a. erhielt der Zweigverein zu Weimar ein wertvolles Geschenk vom Minister v. Watzdorf, das Wirtschaftsbuch eines fränkischen Rittergutes aus dem 17. Jahrhundert, und Staatsrat Bergfeld entwarf aus Grund desselben ein sehr interessantes und lehrreiches Bild von den wirtschaftlichen, sozialen, sittlichen Zuständen einer solchen Großgrundbesitzerfamilie der damaligen Zeit. Der Aufsatz erschien in der oben gedachten Zeitschrift ›Jahrgang 1858‹. Leider aber hatten alle diese Vereine das Schicksal so vieler Vereine: der anfängliche Eifer erkaltete allmählich, und so sind sie einer nach dem andern eingegangen, zuletzt auch der zu Weimar, der noch nach meinem Weggange von dort eine Zeitlang unter der kräftigen Leitung des Geh. Finanzrats Schomburg fortbestanden hatte.

»Mit Jena knüpften sich ebenfalls Beziehungen an. Zwar Hettner war fort, und Droysen ging bald darauf nach Berlin, dafür machte ich neue, wertvolle Bekanntschaften an den Geh. Kirchenräten Hase und Schwarze, dem Juristen Danz, dem Philosophen Kuno Fischer u. a. Das 300jährige Bestehen der Universität ward 1858 mit großer Feierlichkeit begangen, und natürlich fehlten wir Weimaraner dabei nicht. Von den noch lebenden vier ältesten berühmten Jenensern: Arndt, Alexander v. Humboldt, Heinrich v. Schubert und Karl Benedikt Hase war nur der letzte [den ich 1844 in Paris kennen gelernt hatte] herbeigekommen und erschien noch sehr rüstig.«

Biedermann war ein belebendes und belehrendes Element für die verschiedensten Kreise, so veranstaltete er nach Uhlands Tode mit Böhlau im Gewerbeverein eine Todtenfeier, bei der er die Gedächtnisrede hielt. Anwesend waren die hiesigen Fürstlichkeiten mit der Königin Augusta von Preußen. – Auf die Bitte von Frau v. Watzdorf hielt Biedermann vor einem Kreise von Familien aus den höchsten Ständen einen Zyklus von Vorlesungen; es wurde dann das Buch daraus: »Deutschlands trübste Zeit oder der Dreißigjährige Krieg in seinen Folgen für das deutsche Kulturleben.«

»Es war damals die Zeit, wo in das deutsche Gewerbeleben neue Bewegung kam, wo die Frage der Gewerbefreiheit die Gemüter zu beschäftigen anfing. In der Stadt Weimar hatte früher ein Gewerbeverein bestanden, war aber eingeschlafen. Es gelang mir, mit Hilfe des hochverdienten, meinem Vorhaben zugeneigten Oberbürgermeisters Bock, denselben wieder ins Leben zu rufen. Der Versuch freilich, den ich in Gemeinschaft mit Fries unternahm, den Verein für den Gedanken der Gewerbefreiheit zu gewinnen, scheiterte im Anfang gänzlich; wenig fehlte, daß wir Beide vor dem erzürnt aufbäumenden Zunftgeist förmlich die Flucht hätten ergreifen müssen. Allmählich indes ward doch so viel erreicht, daß, als 1858 der erste ›Kongreß deutscher Volkswirte‹ in Gotha tagte [an dessen Zustandebringung ich mich beteiligte], ich vom Gewerbeverein zu Weimar als Delegierter dorthin entsendet und, da ich bei meiner Rückkehr mitteilte, man habe sich auf dem Kongreß überwiegend zu Gunsten einer freieren Gestaltung der Gewerbeverhältnisse ausgesprochen, dies ruhig hingenommen ward. Die Leitung des Vereins führte ich einige Zeit lang in Vertretung eines dem Namen nach an die Spitze gestellten Handwerkers, gab sie aber so bald als möglich ab an einen dazu Befähigteren, den Baumeister Kohl, der sich dann das Verdienst erwarb, eine erste gesamtthüringische Gewerbeausstellung, und zwar eine sehr gelungene, zu Stande zu bringen.

»Ich hatte in der letzten Zeit meines Leipziger Aufenthaltes einem dortigen ›Gesellenverein‹ geschichtliche Vorträge gehalten und dabei große Freude gehabt an dem lebhaften Wissenstriebe und dem gesunden, von sozialistischen Hirngespinsten völlig freien Sinne dieser jungen Leute.

»In Erinnerung daran tat ich im Gewerbeverein in Weimar einmal die Äußerung: es wäre doch wünschenswert, wenn hier etwas Ähnliches zur Fortbildung der Arbeiter geschähe. Darauf erschien bei mir eine Deputation von Gehilfen und bat mich im Namen derselben, die Gründung eines solchen Vereins in die Hand zu nehmen. Ich tat dies, und so entstand neben dem Gewerbeverein [von letzterem unabhängig, ja von manchen der Handwerksmeister anfangs mit wenig günstigen Augen angesehen] ein ›Gesellenverein‹. Die mir angebotene Leitung desselben wies ich ab, um die jungen Leute daran zu gewöhnen, sich selbst zu regieren, was denn auch recht wohl gelang. Nur bei besonderen Fällen holten sie meinen Rat ein. Dagegen hielt ich ihnen regelmäßig Vorträge teils über Fragen der Volkswirtschaft [diese abwechselnd mit Dr. Emminghaus, dem jetzigen (1887) Direktor der Lebensversicherungsgesellschaft zu Gotha], teils über geschichtliche und andere für sie passende Themata. Aus diesem Gesellenverein wuchs dann ein ›Gesellenturnverein‹, aus diesem wieder eine ›Turnerfeuerwehr‹ heraus. Von dem Vorstand der letzteren erhielt ich im Jahre 1884 zu meiner großen Überraschung ein Schreiben, worin ich, als Urheber des Vereins, dringend gebeten ward, zur Feier seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens nach Weimar zu kommen und die Festrede zu halten. Die darin sich kundgebende dankbare Anhänglichkeit rührte und erfreute mich um so mehr, als ja natürlich der größte Teil der gegenwärtigen Vereinsmitglieder von mir nur aus Mitteilungen ihrer älteren Genossen etwas wissen konnte. Ich mochte mich daher auch der an mich gerichteten Aufforderung nicht entziehen. Und ich hatte es nicht zu bereuen, denn bei meiner kurzen Anwesenheit in Weimar fand ich mich von so viel Liebe umgeben, erhielt auch von dem unter diesen Arbeitern unverändert fortlebenden Geiste ein so erfreuliches Bild, daß ich noch heut gern an die dort verlebten Stunden zurückdenke.

»In größerem Umfange ward meine Tätigkeit in Anspruch genommen, als ich einerseits eine Vereinigung der thüringischen Gewerbevereine zur gemeinsamen Beratung gewerblicher Zeitfragen bildete, andererseits eine zunächst für Sachsen begründete ›Volkswirtschaftliche Gesellschaft‹ sich zu einer ›sächsisch-thüringischen‹ oder ›mitteldeutschen‹ erweiterte, und mir in beiden Körperschaften der Vorsitz übertragen ward.

»So wurde allmählich auch die, sonst so stille Musenstadt in die Bewegung hineingezogen, welche – zunächst auf wirtschaftlichem, bald auch auf politischem Gebiet – rings umher bereits wieder sich zu entwickeln begann, zumal als 1859 die Versammlung ›deutscher Genossenschaften‹ unter Schulzes, 1862 der ›Kongreß deutscher Volkswirte‹ unter Lettes Vorsitz, 1863 gar der ›Deutsche Abgeordnetentag‹ sich dorthin flüchtete, um sich der unbehinderten Versammlungs- und Redefreiheit zu erfreuen, die im Staate Karl Alexanders herrschte.«

Am 28. September trafen diese 200 Abgeordneten aus allen deutschen Gauen hier ein, um die Einberufung einer Nationalversammlung zu beraten. Die Deutsch-Österreicher hatten ihre Teilnahme zugesagt, blieben aber im letzten Moment aus. Professor Bluntschli-Heidelberg, der zum Vorsitzenden gewählt wurde, hatte die Veranlassung zu dieser Versammlung gegeben und alle Vorarbeiten allein besorgt. Zum Präsidenten wählte man Rechtsanwalt Fries-Weimar, er war ein sehr gescheiter, scharfer Kopf und liberal durch und durch. Bluntschli sagte in seiner ersten Rede, daß diese Versammlung nur aus dem Bedürfnis hervorgegangen sei, die Fühlung zwischen den verschiedenen deutschen Ländern herzustellen: »hätten wir ein Parlament, so wäre sie überflüssig gewesen. Die Männer, die gleiches Streben haben, sollten auch in persönliche Beziehung treten.«

Die Anwesenheit Heinrichs v. Gagern hatte etwas Peinliches für seine früheren Parteigenossen: Er sah jetzt die Rettung Deutschlands nur in der Bereinigung mit Österreich, stand aber mit dieser Ansicht ganz allein und hatte einen machtvollen Gegner in Schulze-Delitzsch. Gagern hielt eine lange, matte Rede und es war traurig zu bemerken, daß sie nur Ungeduld hervorrief. Biedermann schreibt darüber:

»Wir, die wir ohne Wandel auf dem Standpunkte, den ehemals Gagern einnahm, dem eines deutschen Bundesstaates unter Preußens Führung und ohne Österreich, stehen geblieben waren, wir durften uns der schmerzlichen Pflicht nicht entziehen, hier offen Farbe zu bekennen, somit gegen ihn, den einst von uns so hochverehrten Parteiführer, aufzutreten; doch sollte man niemals vergessen, welche großen Verdienste dieser Mann sich namentlich in der ersten Zeit der stürmischen Bewegung von 1848 um die Sache der Ordnung und der Monarchie erworben hat! Ihm wesentlich war es zu verdanken, wenn nicht durch einen Sieg der republikanischen Partei im Vorparlament namenlose Verwirrung in Deutschland angerichtet wurde.«

Nach langen Beratungen der Abgeordneten wurde der Antrag v. Bennigsen, Fries, Hölder, v. Hoverbeck, Metz, Schulze-Delitzsch fast einstimmig angenommen, daß ein deutsches Parlament geschaffen werden müsse, das aus freien Volkswahlen hervorgehen solle. Die nationale Einigung habe das ganze Deutschland zu umfassen; es dürfe kein deutscher Bundesstamm ausgeschlossen werden, es sei aber auch das Recht und die Pflicht aller einzelnen Staaten, sich anzuschließen. Das gelte auch für Deutsch-Österreich; sollten aber dort noch Hindernisse im Wege stehen, müßten die deutschen Lande vorerst allein mit dem nationalen Werke beginnen.

Zollvereinsfragen und andere, minder wichtige Dinge nahmen die übrige Zeit der Sitzungen in Anspruch.

Im Oktober 1858 trat der Prinz von Preußen die Regentschaft an, weil der geistige Zustand des Königs jede ernste Beschäftigung unmöglich machte. Die Persönlichkeit des Prinzen und seine ersten Handlungen erweckten Hoffnungen für eine Bessergestaltung der preußischen und der deutschen Angelegenheiten.

Biedermann schrieb auch von Weimar aus immer für die »Deutsche Allgemeine Zeitung« und trat Anfang 1859 – nachdem durch die Neujahrsanrede Napoleons an den österreichischen Gesandten ein Krieg zwischen Frankreich und Österreich zu befürchten war – durch Leitartikel und in Briefen an seine Freunde sehr dafür ein, daß Preußen die Führung Deutschlands übernehmen solle.

Nachdem im Sommer verschiedene Versammlungen in Eisenach gewesen, wurde der »Nationalverein« am 16. September in Frankfurt gegründet. Das Programm lautete: »die nationale Einheit höher zu stellen, als die Forderung der Parteien, und für die Errichtung einer kräftigen Verfassung Deutschlands in Eintracht und Ausdauer zusammenzuwirken«. Wie sehr Biedermann dabei beteiligt war, wird später mit seinen eigenen Worten erzählt werden. – Er ließ keinen Anlaß vorübergehen, ohne für sein Ideal, die Einigung Deutschlands, zu arbeiten. Als Napoleon 1860 Savoyen und Nizza einheimste, schrieb er eine Flugschrift: »Die Savoyer Frage. Denkschrift an Preußens Staatsmänner von einem deutschen Patrioten.« (Weimar 1860.)

Biedermann fühlte wohl, daß seines Bleibens in Weimar nicht lange sein könne, denn mit der »Weimarischen Zeitung« war nicht in die Geschicke des deutschen Volkes einzugreifen, und da durch das vortreffliche Regierungssystem – glücklicherweise – große Zufriedenheit im Lande herrschte, kamen seine journalistischen und politischen Talente nicht genügend zur Entfaltung. Die »Deutsche Allgemeine Zeitung« stand zwar unter seinem Einfluß, aber da er nicht als verantwortlicher Redakteur zeichnen konnte, war es doch nicht das, was er brauchte. Auch mit den Gesinnungsgenossen in Sachsen fehlte jeder Zusammenschluß – er hatte eben keine Partei um sich, der er Führer und Berater war, die er anspornen oder zügeln konnte. Er selbst schreibt darüber:

»Meine nahen Beziehungen zu der großherzoglichen Regierung und speziell zu Herrn v. Watzdorf legten mir die moralische Verpflichtung auf, nichts zu tun, was jene oder diesen irgendwie in ein falsches Licht stellen könnte. Aus diesem Grunde habe ich mich z. B. der aktiven Teilnahme am ›Deutschen Nationalverein‹, solange ich in Weimar lebte, enthalten und bin ihm erst beigetreten, als ich wieder in Sachsen war. Ich hatte wesentlich mit den ersten Anstoß zu jener Bewegung gegeben, aus der zuletzt der ›Nationalverein‹ hervorging. Was schien natürlicher, als daß ich unter den ersten Teilnehmern und Gründern desselben sein würde? Auch erhielt ich von den zur Eisenacher Versammlung fahrenden Berliner Abgeordneten, Unruh, Schulze-Delitzsch u. a., die ich auf ihrer Durchreise aus dem Bahnhof zu Weimar sprach, ebenso wie Fries, die dringendsten Aufforderungen, mit ihnen dorthin zu kommen. Allein ich hatte es für meine Pflicht gehalten, mit Watzdorf zuvor darüber zu sprechen. Er wollte mir natürlich keine Vorschriften über das machen, was ich tun oder lassen solle, allein er drückte mir den Wunsch aus, ich möchte ein öffentliches Hervortreten gerade in dieser Richtung mir versagen. Die großherzogliche Regierung und er selbst seien dafür bekannt, daß sie dem nationalen Gedanken aufrichtig anhingen; es könnte daher leicht den Schein erwecken, als ob ich, der ich eine Vertrauensstellung zur Regierung und zu ihm einnehme, im geheimen Auftrage der Regierung die Bestrebungen, die im Nationalverein verkörpert seien, fördern helfe; ja, man könnte weiter gehen und aus dem nahen verwandtschaftlichen Verhältnis des weimarischen Hofes zum preußischen Königshause Schlüsse ziehen, die sogar für den Nationalverein selbst, dessen Wirksamkeit eine um so nachdrücklichere sein werde, je mehr dieselbe als eine völlig spontane, von keiner Regierung beeinflußte erscheine, nicht günstig wären. Ich mußte ihm darin recht geben, und so enthielt ich mich für meine Person der Teilnahme am Nationalverein.«

Die Redaktionsarbeiten hinderten Biedermann auch an seinen wissenschaftlichen Beschäftigungen: »Deutschland im 19. Jahrhundert« kam nicht rasch genug vorwärts, denn die tägliche Fronarbeit an solch kleinem Blatt ist oft eine wichtige, aber immer eine Zeit und Kraft in Anspruch nehmende Sache. Mehrmals wurden ihm Redaktionen an großen Zeitungen angeboten, endlich sollte er sein politisches Organ, die bei Brockhaus erscheinende »Deutsche Allgemeine Zeitung«, ganz übernehmen. Biedermann bat in dieser Lebensfrage um den Rat Watzdorfs, der ihm am 17. Juni 1863 von seinem Schloß Berga antwortete:

Hochverehrter Herr Professor! Den Hauptgegenstand Ihres Briefes vom 12. d.M. betreffend, habe ich absichtlich mehrere Tage gewartet, bevor ich eine feste Überzeugung gewonnen. Diese geht dahin, daß Sie die Leipziger Offerte annehmen sollen, wenn sie einigermaßen Dauer verspricht.

Es wird mir recht schwer, mein lieber Biedermann, dies niederzuschreiben. Ich achte und liebe in Ihnen einen Mann von erprobter, durchaus ehrenwerter Gesinnung, von umfassendem Wissen und großer publizistischer Befähigung, daneben einen politischen Freund. Von einem solchen Manne sich zu trennen, wird jedermann, wird besonders einem Minister schwer. Aber ich würde unrecht handeln, wollte ich nicht dennoch obige Überzeugung aussprechen. Was Sie in Ihrer dermaligen Stellung beklagen, habe ich bereits seit Jahren mir gesagt. Ich habe gesucht nach der Möglichkeit einer angemessenen Änderung, besonders auch nach der Möglichkeit einer festen Existenz. Jene habe ich nicht gefunden, und diese würde, das muß ich mir sagen, nur von äußerst wenigen, eben jetzt nicht disponiblen Punkten in Frage kommen können, und auch da, nach unseren beschränkten Verhältnissen, nur eine Existenz bieten, welche Ihnen keinesfalls genügen könnte. Da sage ich mir denn freilich: es wäre unverantwortlich, wollte ich Ihnen nicht raten, eine im Verhältnis zur Gegenwart ungleich entsprechendere Stellung anzunehmen. Daneben, das gestehe ich trotz aller Vorliebe für Weimar und seine Zeitung, halte ich dafür, daß im allgemeinen Interesse Ihre Kräfte gerade jetzt wohl auf einem weiteren Felde verwertet werden sollten. Sie sehen, ich bin fern von allem Egoismus. Ich gebe Ihnen die Entscheidung anheim.

Mit aufrichtiger Hochachtung und Ergebenheit
Watzdorf.

Nach diesem aufrichtigen Rat mußte die Entscheidung für Leipzig lauten. Böhlau, der Verleger der »Weimarischen Zeitung«, hätte Biedermann gerne gehalten, allein er konnte die eigentümliche Gebundenheit der Stellung nicht ändern, ihr keinen weiteren Spielraum verschaffen.

Am 15. August reiste der Großherzog mit Graf Beust nach Frankfurt a. M., wohin der Kaiser von Österreich einen deutschen Fürstentag einberufen hatte, um die festere Verbindung der deutschen Staaten mit Österreich zu erreichen. Auf Bismarcks Antrieb blieb der König von Preußen fern, trotzdem König Johann von Sachsen nach Baden-Baden fuhr, um König Wilhelm zu bereden. Bei den Abstimmungen fehlte also die Stimme Preußens und infolge davon auch die von Sachsen-Weimar, Oldenburg und den beiden Mecklenburg, die ohne Preußen nichts beschließen wollten. Erst am 2. September kam der Großherzog von Frankfurt zurück und am 3. Minister v. Watzdorf, der ihm wohl die ganze Zeit dort zur Seite gestanden hatte.

Wie vortrefflich Biedermann in sozialer, politischer und gesellschaftlich-belebender Weise hier gewirkt hatte, wie man seine feine Persönlichkeit zu schätzen wußte, das sprach man in herzlichster Art beim Abschied aus. Er selbst schreibt darüber:

»So hatte ich denn, nachdem ich so viele Berufungen nach auswärts abgewiesen, endlich doch einer solchen nachgegeben, die mich nötigte, mein liebes Weimar wieder zu verlassen. Leicht, wahrlich, wurde mir der Abschied nicht. War ich doch in den acht Jahren, die ich dort verlebt, mit so vielen Fasern des Geistes wie des Herzens in der neuen Heimat festgewurzelt! Nicht anders erging es den Meinen. Und, hatte uns einst das freundlichste Entgegenkommen von allen Seiten das Heimischwerden in Weimar erleichtert, so ward uns jetzt durch die gleich herzlichen und sichtlich aufrichtigen Beweise von Liebe, die man uns auf den Weg mitgab, das Scheiden nicht wenig erschwert. Der ›Mittwochsverein› veranstaltete mir zu Ehren ein Abschiedsfest, bei welchem in einer nicht enden wollenden Reihe von Trinksprüchen mir des Guten so viel nachgesagt ward, daß ich endlich ein: Claudite jam vivos! ausrief und scherzhaft hinzusetzte: Ich könnte diese vielen Freundlichkeiten ohne Gewissensbelastung nur in der Voraussicht annehmen, daß dieselben dort, wohin ich jetzt zurückkehre, leider wohl durch mancherlei Vorgänge ganz entgegengesetzter Art, durch neue Kämpfe und neue Anfechtungen, quitt gemacht werden würden. Was denn auch geschehen ist.«

Am 15. September 1863 nahm Biedermann Abschied in der Zeitung, von dem Weimar, das er so lieb gewonnen, und sagt, daß keine seiner Befürchtungen eingetroffen sei, daß er seinen liberalen Ansichten gemäß ganz frei habe schreiben dürfen. Er nimmt die höchste Meinung von der Vortrefflichkeit der Regierung und ihrer Übereinstimmung mit dem Volke mit fort.

Am 14. Oktober zeichnete zum erstenmal sein Nachfolger, Paul v. Bojanowski, als Redakteur der »Weimarischen Zeitung«. Mit ihm kam ein vortreffliches Element hierher; er führte uns in der Politik auf geraden nationalen Bahnen und hält Weimars Geist und Tradition hoch. Allezeit und überall helfend, steht er immer an erster Stelle, wo es gilt, mit feinem Sinn und Takt den rechten Pfad zu finden.

Biedermanns Wunsch, die verlorene Professorstelle wieder zu erlangen, erfüllte sich 1865. Watzdorf schrieb ihm darauf:

Nach Kämpfen mancherlei Art thut solches Ergebniß wohl – für die Person und als ein Sieg des Princips!

Auch später standen Watzdorf und Biedermann noch in freundschaftlichem Briefwechsel, so schrieb ersterer am 10. Oktober 1865 und drückte Biedermann seine politische Übereinstimmung aus. Beide wünschten den engen Anschluß der Elbherzogtümer an Preußen und beide beurteilten Bismarcks Tätigkeit weit günstiger als viele ihrer Gesinnungsgenossen, wenn auch ihr Vertrauen zu ihm noch nicht groß war. Nach einer längeren Auslassung über die Zeitlage schließt Watzdorf:

Obiges mag Ihnen beweisen, wie ich in meiner ländlichen Ruhe (auf seinem Gut Berga) die Weltbegebenheiten nicht vergessen habe. Die Ruhe ist mir sehr werth und zum Gebrauche meiner Kräfte im Dienste dringend nöthig. Der letztere mit seinen kleinen Begebenheiten der einzelnen Tage nimmt mich gewaltig in Anspruch. Das beweist mir, daß meine Kräfte auf diesem Gebiete schwinden. Sonst klage ich nicht. Im Gegentheil. Die großen Dinge und etwa noch alle Zweige des Landlebens haben für mich ein erhöhtes Interesse und finden mich in größerer Ruhe, als sonst vielleicht der Fall war. Das ist der Vorzug der späteren Lebensjahre. Man fühlt zwar auch, aber man sieht und urtheilt so, als wenn man nicht fühlte.

*

Das verhängnisvolle Jahr 1866 brach an, und schon im April wird in den Zeitungen von militärischen Maßnahmen berichtet, die darauf hindeuten, daß es zwischen Österreich und Preußen wegen Schleswig-Holstein zum Krieg kommen könne.

Gerade in dieser Zeit feierte Weimar einen Gedenktag von politischer Bedeutung – am 5. Mai wurden es fünfzig Jahre, daß Karl August seinem Lande eine Verfassung gegeben hatte. Die Wichtigkeit dieser Tat wurde von allen Ständen anerkannt und der tapfere Herzog dafür gepriesen, heute wie vor fünfzig Jahren. Schon am Vorabend, dem 4. Mai, brachten die Bürger dem Großherzog Karl Alexander ein Fackelständchen und am Festtag selbst empfing die fürstliche Familie die Glückwünsche des Landes durch Deputationen. Landtagspräsident Fries, der ehemals gefürchtete Demokrat, hielt eine vortreffliche Rede, auf die der Großherzog antwortete. Bei den Festdiners wurden patriotische Reden gehalten und die dankbare Liebe des Volkes zu seinem Fürstenhaus immer wieder ausgesprochen. – Bei dem Eintritt der Herrschaften in das Theater, vor der Aufführung des »Tasso«, wurden sie mit unbeschreiblichem Jubel begrüßt. Nachdem bei Störs Festouvertüre Ruhe eingetreten war, sprach Frau Hettstedt einen Festgruß von Wilhelm Genast, – der die hohen Taten unseres Fürstenhauses und seine Mannestreue pries – aus dem nur eine Strophe hier folgen soll:

Da schau ich Dich, Carl August, hellen Auges
Ein freud'ger Sämann gehen durch Dein Land,
Ausstreu'n mit milder Hand des Rechtes und
Der Freiheit goldnen Samen reich umher.
Der Mächt'gen Keiner, doch der Erste Du
Von allen, deren Throne neu gevestet
Durch ihrer Völker Opfermuth und Kraft,
Das Wort, das Du gegeben, einzulösen.

Nachdem in den folgenden Versen noch Karl Friedrich gehuldigt, er »groß an Treue« genannt worden und das Publikum des öfteren schon die Sprecherin mit Beifall unterbrochen hatte, brach nach den letzten Strophen, die an Karl Alexander gerichtet waren, ein jubelnder Applaus los. Immer und immer wieder mußten der Großherzog und seine Gemahlin dankend an der Brüstung erscheinen.

Zu gleicher Zeit ward der Tag auf dem geschmückten Turnplatz gefeiert, wo sich bei Rostbratwürsten und Bier ein richtiges Volksfest entwickelte, während man dem Schauturnen zusah. Bei der Festrede des Literaten Heinrich Jäde, der 1848 unter den Unruhstiftern gewesen war, mußte man an das Urteil Biedermanns denken, der gesagt hatte, daß »in Weimar die Verirrten von selbst sich allmählich zu ruhigeren Ansichten bekehrten und gute, brauchbare Staatsbürger würden«, weil sie nicht verfolgt worden waren. Der Merkwürdigkeit halber mögen einige prägnante Stellen aus Jädes Rede – nach der »Weimarischen Zeitung« – hier stehen, hat er auch noch manchen Strauß mit weiter rechts stehenden Politikern gehabt, so fühlt man doch das patriotische Empfinden aus seinen Worten heraus.

Er führt zuerst Sätze aus der Rede an, die der Philosoph Jakob Friedrich Fries am 18. Oktober 1817 den auf der Wartburg versammelten Studenten gehalten:

»›Ihr stehet auf dem freiesten Boden der Deutschen! Dasselbe Fürstenhaus, das auf der Wartburg einst Luthern schützte, als er den Deutschen deutsch die heilige Wahrheit lehrte, schützte uns Fürstentreue, deutsches Fürstenwort. Kehret wieder zu den Eurigen und sagt: Ihr wäret im Lande deutscher Volksfreiheit, deutscher Gedankenfreiheit. Hier wirken entfesselnd Volks- und Fürstenwille. Hier ist die Rede frei über jede öffentliche Angelegenheit. Hier erkennen Fürst und Volk Volkssache und Regierungssache als öffentliche Angelegenheit an. Hier sorgen Fürst und Volk, daß deutsches Gesetz und Recht besser geordnet werde. Ein kleines Land zeigt euch die Ziele ... Und so verbündet euch, daß im Geiste eins und einig werde das deutsche Vaterland, daß es in regem Gemeingeist erblühe zu öffentlichem Leben!‹« Jäde erklärt nun dem Volk, daß Karl August die erste Konstitution in Deutschland gegeben hat und daß sie das Fest der ersten Freiheitsbegründung feiern: »Gewiß, mit dem 5. Mai 1816 wurde Weimar der freieste Boden Deutschlands! – Freilich, durch eine bloße Verfassungsurkunde wird ein Land das nicht. Der Fürst, der sie unterschrieb, darf sie nicht als ein bloßes Blatt Papier ansehen, das er im Ärger zerknittert, durchlöchert, wenn nicht zerreißt. Und das Volk, das solche Rechte erhalten, muß sie lebendig handhaben und trotzig verteidigen, wenn man sie angreift. Aber letzteres war hier nicht möglich. Zwar die Karlsbader Beschlüsse nahmen dem Lande die gesetzliche Preßfreiheit, wie denn auch die Burschenschaft zu Jena aufgelöst und unser Turnplatz abgebrochen werden mußte. Doch unser Grundgesetz, weder das alte noch das zeitgemäß revidierte vom 15. Oktober 1850, wurde niemals für ein bloßes Blatt Papier angesehen: dank dem hochherzigen Karl August und seinen würdigen Nachfolgern!

... »Man bietet Deutschland jetzt ein Parlament an. Nur zugegriffen! Aber das behaupte ich: ein deutsches Parlament wird stets ohne Macht sein, – wenn nicht ›das Volk in Waffen‹ hinter ihm steht, wenn Deutschland kein wahres Volksheer besitzt. Zu einem Volksheer gehört aber eine frische, geschulte, verständnisvolle und begeisterungsfähige Jugend. Letzteres ist Ziel und Arbeit des Turnvereins! ... Ein Gutheil dem erlauchten Fürsten Weimars und seinem Haus! Ein Gutheil dem Volk und der Verfassung dieses Landes! Ein Gutheil dem frei- und einswerdenden Deutschland!«

Der unbeschreibliche Enthusiasmus nach dieser Rede entlud sich in dem Liede: »Brause, du Freiheitsdrang.«

Dankbar und verehrend wurde in diesen Tagen eines Mannes gedacht, der von 1816 bis 1847 als Landmarschall an der Spitze des Landtags gestanden hatte, des Freiherrn v. Riedesel zu Eisenbach. Er hatte sich große Verdienste um das Land, speziell um die Landwirtschaft erworben. Sein einziges Kind, seine Tochter Marline, heiratete den Freiherrn Hermann v. Rothenhahn auf Rentweinsdorf in Franken. Deren ältester Sohn Georg wurde der Erbe seines Großvaters Riedesel, nicht nur seiner Besitzungen, sondern auch seiner edlen, offenen, wahren Charaktereigenschaften, die er auf demselben Platz, den sein Großvater so lange innegehabt, auf dem Präsidentenstuhl des Landtages, lange Jahre zum Besten seiner Mitmenschen verwertete. Der Großherzog hat den Freiherrn Georg v. Rothenhahn 1890 zu seinem Oberkammerherrn gemacht. Seit dem Tode des Grafen Werthern hatte Graf Beust die Geschäfte des Oberkammerherrn geführt.

*

Die kriegerischen Gerüchte verstärkten sich immer mehr und am 5. Juni hielten es zweiundzwanzig Abgeordnete des weimarischen Landtags – unter ihnen Fries und Genast – an der Zeit, eine Erklärung zu veröffentlichen, daß bei all den kriegerischen Aussichten nur der Anschluß an Preußen und Einberufung des deutschen Parlaments den Frieden sichern könne: »Wir sind trotz aller augenblicklichen Gebrechen im Inneren Preußens der unerschütterlichen Überzeugung, daß nur durch einen in Freiheit erstarkenden preußischen Staat das gesamte Deutschland zu nationaler Kraft und Einigung und zu volkswirtschaftlichem Gedeihen gelangen kann, und daß daher der endliche Sieg des Verfassungsrechts in Preußen auch für uns von der höchsten Bedeutung ist.

»Ein Niederwerfen Preußens durch Österreich und die mit ihm vereinten übrigen deutschen Staaten aber wäre für Gegenwart und Zukunft ein unerträgliches Nationalunglück.«

Daß die größte Zahl der Weimaraner sich nach der Seite Preußens neigte, war sicher. War es doch auch für unser Ländchen, seiner Lage und den nahen verwandtschaftlichen Beziehungen der Fürstenhäuser nach, das Naturgemäße. Unter dem Militär herrschte eine gedrückte Stimmung, denn niemand wußte, was aus dem weimarischen Regiment werden solle. Die Offiziere beneideten ihre preußischen Kameraden, die freudig-ernst, vertrauensvoll dem Rufe ihres Königs folgten. Aber es gab hier auch eine antipreußische Partei, und zwischen den beiden hatte Minister Watzdorf eine schwere Stellung. So sehr er von jeher für ein einiges Deutschland, mit Preußen an der Spitze, gewesen war, so hatte er doch immer nur an eine allmähliche, friedliche Entwickelung geglaubt, der Kampf zwischen Deutschen war ihm sowohl wie dem Großherzog ein schrecklicher Gedanke. Dazu kam, daß er der Selbstlosigkeit Preußens nicht traute, er fürchtete, Bismarck wolle nicht für Deutschland arbeiten, sondern nur für sein engeres Vaterland. Der Beschluß des Bundestages, daß Österreicher und Preußen die Bundesfestungen verlassen und dafür die thüringischen Regimenter einrücken sollten, wurde von Watzdorf mit großer Freude begrüßt; er glaubte, daß diese bewaffnete Neutralität das Richtigste für das, seiner Führung anvertraute, Land und dessen Bevölkerung sei.

Am 11. Juni kam der Befehl, Die Notizen sind aus: »Geschichte des 5. Thür. Inf.-Regiments Nr. 94 (Großherzog von Sachsen) vormaligen Großh. Sächs. Bundes-Kontingentes.« Von E. v. Heyne, Hauptmann und Kompagniechef im Thür. Inf.-Reg. Nr. 94. (Weimar 1869.) daß das Regiment in Friedensstärke, 1500 Mann, nach der Festung Mainz, die für neutral erklärt worden war, abgehen solle. Der Großherzog hielt am 12. eine Parade ab, nach der er und die Frau Großherzogin sich von den Truppen verabschiedeten. Am Abend des 13. Juni fuhren das 1. und 3. Bataillon von hier ab, unter den drückendsten, weil völlig unklaren Vorstellungen für ihre Zukunft; geleitet wurde es von dem Erbgroßherzog, Minister Watzdorf und einem großen Teil der Bevölkerung. Die Gedanken und Empfindungen der Offiziere sind in dem Heyneschen Buche vortrefflich wiedergegeben.

Der Großherzog war nach Eisenach gefahren, wo er von dem 2. Bataillon Abschied nahm und dieses sich den von Weimar her ankommenden Truppen zur Weiterreise anschloß.

Am andern Mittag erfuhren die Offiziere in Frankfurt von dem weimarischen Bundestagsgesandten v. Beaulieu-Marconnay, – der 1864 die Stellung des zurücktretenden Herrn v. Fritsch übernommen hatte – daß der Bundestag soeben die Bundesexekution gegen Preußen beschlossen habe und letzteres daraufhin aus dem Deutschen Bunde ausgetreten sei. Wie ein Donnerschlag schlug diese Nachricht ein! – aber es war nichts zu machen, sie mußten ihre Marschroute einhalten und erreichten einige Stunden später Mainz. Die Stimmung wurde immer trüber und nicht freundlicher gegen Watzdorf, der von dieser Zeit an unter den Offizieren keine Anhänger mehr suchen durfte – er hatte sie in eine zu schwere Situation gebracht.

Am schwersten lastete die Unklarheit der Lage auf dem Kommandierenden, Oberst v. Sydow, der neunundzwanzig Jahre in preußischem Dienst gestanden hatte und seit 1863 das weimarische Regiment befehligte. – Gouverneur der Festung war der bayerische General Graf Rechberg, Kommandant der meiningische Oberst v. Buch. Am 27. abends wurde der Anmarsch der Preußen gemeldet und auch gleich Oberst v. Sydow auf die Kommandantur bestellt. Dort frug ihn Oberst v. Buch, »ob er als ehemaliger preußischer Offizier bei einer zu erwartenden Aktion gegen preußische Truppen etwa beabsichtige, das ihm untergestellte Regiment überzuführen«.

Sydow sprach seine Verwunderung über dieses Mißtrauen aus und daß ihm darauf nichts übrig bleibe, als sich wegen Krankheit vom Dienst zurückzuziehen und Major v. Arnswaldt das Kommando zu übergeben. Er selbst, als preußischer Untertan, werde natürlich nicht gegen Preußen kämpfen.

Oberst v. Buch entband darauf, im Einverständnis mit dem Grafen Rechberg, Oberst v. Sydow seines Kommandos.

Über den genauen Verlauf dieser Sache, die für die weimarische Truppe höchst peinlich war, muß ich wieder auf das Buch von Hauptmann v. Heyne verweisen, der das alles miterlebt hat. Ich selbst kann nur von dem deprimierenden Eindruck erzählen, den es uns in Weimar machte, als wir in den letzten Tagen des Juli den tüchtigen Offizier, den Kommandierenden unseres Regiments, in Zivil, allein in einer Gepäckdroschke einfahren sahen. Ich begegnete dem Gefährt in der Schillerstraße und sah das traurige Gesicht des mich grüßenden Freundes, das nichts Gutes prophezeite. – Sydow nahm einige Monate später seinen Abschied.

Während der Frauenverein und der Armenverein die Tätigkeit für die Verwundeten begannen, hatten zwei Bataillone preußischer Landwehr Stellung auf dem Ettersberg genommen; Oberbürgermeister Bock berief eine Versammlung zur Bildung einer freiwilligen Schutzwehr, um Ruhe und Ordnung in der Stadt zu erhalten, und man hörte von den hannöverschen Truppen, daß sie in Thüringen herumzögen, um eine Vereinigung mit den Bayern zu bewerkstelligen. Man sprach von großen preußischen Militärmassen, die auf der Eisenbahn Weimar passierten; dann wieder wurde einem heimlich flüsternd mitgeteilt, daß es immer wieder dieselben Soldaten seien, die auf der Thüringer Bahn hin und her führen, um den Feind über ihre Anzahl zu täuschen.

Währenddessen arbeitete die Partei, die zu Preußen hielt, wacker, um Weimar noch den Anschluß zu ermöglichen solange es Zeit war; man wollte der Gefahr entgehen, als besiegtes Land behandelt zu werden.

Am 27. Juni kam es zur Schlacht zwischen Preußen und Hannoveranern bei Langensalza. Trotzdem die ersteren vor der Übermacht der letzteren hatten weichen müssen, blieb ihnen – den Preußen – der endgültige Sieg. Das machte einen großen Eindruck in Weimar und half Preußens Anhängern, an deren Spitze Graf Beust stand, ihren Willen durchzusetzen. Der Großherzog schickte diesen seinen Freund nach Gitschin in das Hauptquartier, um Verhandlungen mit seinem königlichen Schwager und Bismarck anzuknüpfen.

Während Graf Beust diese hindernisreiche Reise zurücklegte, wurde hier ein bei Langensalza gefallener Weimaraner zu Grabe getragen: Gottfried Stichling, ein Urenkel Herders, der zweite Sohn des Geh. Staatsrats Theodor Stichling. Den schönen, frischen, tapferen Artillerieoffizier hatten seine Eltern und Geschwister wenige Tage vorher auf dem Hinmarsch begrüßt. Aus den Strapazen und Entbehrungen des 1864er Feldzuges gegen die Dänen war er gesund zurückgekehrt – und jetzt war er einer der ersten, dem ein Bombensplitter Brust und Gesicht zerriß und den raschen Soldatentod brachte. Sein Kanonier, der ihn liebte, nahm die Leiche in den Arm und setzte sich mit ihm auf die Lafette, als sie in die Stadt zurückkehrten. Dort suchte am andern Tage der arme Vater seinen Sohn auf vier Leichenplätzen vergebens und auf dem fünften erkannte er ihn nicht. In seinen Erinnerungen »Aus dreiundfünfzig Dienstjahren.« Erinnerungen von D. Gottfried Theodor Stichling, weimarischem Staatsminister. (Weimar 1891.) ist es ergreifend zu lesen, wie er – durch einen gefangenen preußischen Artilleristen aufmerksam gemacht – die Leiche nur an den hohen Stiefeln erkennt und dann der unglücklichen Mutter zurückbringt.

Die Teilnahme von Fürst und Volk war eine große und warme; das sah man an dem endlosen Zuge, der dem Sarg am 30.Juni folgte, von einem Zug preußischer Infanterie geleitet. Zu dessen Befehlshaber war der Freiherr Klaus v. Egloffstein ernannt worden, ein Jugendgespiele des Gefallenen und am selben Tage geboren wie dieser.

Graf Beust kam Gottlob noch am Tage vor der Schlacht von Königgrätz in Gitschin an; zwei Tage später hätte die Antwort des Königs vielleicht anders lauten müssen. Daß er sowohl diesem, wie Bismarcks bekannt und bei beiden eine wohlgelittene Persönlichkeit war, erleichterte ihm seine Mission, die recht unangenehm hätte sein können. König Wilhelm empfing ihn freundlich, mit einem Scherz, und Bismarck vereinfachte alles, indem er sagte: »Ich freue mich, daß der Großherzog gerade Sie geschickt hat, Graf Beust, Sie werden nicht allzu weitläufig sein, und ich dächte, wir machten die ganze Unterredung bei einer Zigarre ab!« In diesem leichten Tone schlossen die beiden Herren die Verhandlung in einer für Weimar sehr günstigen Weise ab.

Graf Beust erlebte im Hauptquartier den Tag von Königgrätz und sah nachher noch den König und Bismarck, letzteren in sehr ernster Stimmung, denn er hatte zum erstenmal das Elend des Krieges erlebt. Beusts ältester Sohn Karl hatte die Schlacht mitgemacht, daß er heil geblieben erfuhr der Vater erst, – trotz aller Erkundigungen in Böhmen – als er mit einem Krankentransport, den er als Johanniter-Ritter freiwillig übernommen, die Heimat wieder erreichte.

Die Frauen Weimars hatten indessen emsig Geld und nötige Sachen für die Verwundeten beschafft; im Komitee saßen fast alle Damen der Hofgesellschaft, die Frau Großherzogin trat Anfang Juli an die Spitze und sprach ihren Dank für die schon geleistete Arbeit aus. Man fühlte wohl, daß sie mit dem Herzen nicht bestimmt auf einer oder der andern Seite stand und sich abwartend verhielt. Begreiflich ist es ja wohl, daß die Fürstlichkeiten fürchteten, durch die Zentralgewalt würden ihre Rechte verringert werden. Einer Natur wie die Großherzogin Sophie, einer Königstochter, einer Oranierin, selbst mit dem Verstand und Charakter einer Herrscherin begabt, mußte ein Zurücktreten nicht leicht werden.

Dem Großherzog Karl Alexander ist es vielleicht nicht so schwer geworden, gewisse Rechte aufzugeben, denn sie betrafen gerade diejenigen Seiten, die seinem Wesen am fernsten lagen: Politik und Militär. Er fühlte wohl, daß die Stellung eines Großherzogs von Sachsen-Weimar viele andere Pflichten – geistiger Art – in sich schließt, denen gerade er sympathisch gegenüber stand und daß er einen Posten zu verwalten hatte, wie es keinen zweiten gibt – das hat ihm gewiß die Veränderungen erleichtert. Er sah Weimar als den geistigen Mittelpunkt Deutschlands an und fühlte sich berufen dafür zu sorgen, daß man hier nicht nur von Erinnerungen lebe, sondern auch etwas leiste.

Da Weimar sich nun an Preußen anschließen wollte, verlangte der Bundestagsgesandte, Herr v. Beaulieu-Marconnay, am 4. Juli die Entlassung der weimarischen Truppen aus Mainz. Das wurde vom Bundestag abgeschlagen. Am 5. protestierte er dagegen und erklärte seine Abberufung. Am selben Tage mußte das Regiment – auf Befehl von Frankfurt her – Hals über Kopf früh um 5 Uhr Mainz verlassen; es wurde nach Ulm und Rastatt dirigiert. Heyne glaubt, daß die Nachricht von dem Sieg der Preußen bei Königgrätz beim Bundestag schon bekannt gewesen sein müsse, als man die Order gab. Am Mittag erfuhren die Offiziere in Stuttgart die gute Nachricht vom Kriegsschauplatz: »diese Stunde entschädigte für viele der in Mainz verbrachten,« schreibt Hauptmann v. Heyne, der natürlich, wie alle seine Kameraden, gut preußisch gesinnt war.

Am 11. Juli werden in der »Weimarischen Zeitung« in längerem Artikel die Vorkommnisse der letzten Wochen und die Absichten des Ministeriums erklärt. Der Schluß lautet: »Die Großherzogliche Regierung wird noch einen weiteren Versuch machen, auf anderem Wege die freie Verfügung über die großherzoglichen Truppen zu erlangen; inzwischen darf die gegenwärtige Situation derselben wenigstens als eine nicht beunruhigende betrachtet werden.«

Dem Militär wurde von allen Seiten das Zeugnis gegeben, daß es sich in der schweren Zeit in Mainz ruhig, anständig und taktvoll betragen habe, trotzdem das Entgegenkommen der Bevölkerung und der süddeutschen Soldaten ein fast feindseliges genannt werden konnte und ihre erste Unterkunft sehr schlecht war. In Ulm und Rastatt war das ganz anders, Wohnung, Verpflegung und Stimmung der Umgebung waren angenehm und zuvorkommend.

Am 15. Juli wurde ein außerordentlicher Landtag einberufen. Die Tribünen waren dicht besetzt, in der Hofloge saß der Erbgroßherzog. Fries wurde zum Präsidenten gewählt, Hering zum ersten, Genast zum zweiten Vizepräsidenten. Geh. Staatsrat Stichling verlas die Propositionsschrift. Sie forderte vom Landtag die Ermächtigung – da der Deutsche Bund als aufgelöst anzusehen sei – a) zu einem Bündnis mit Preußen, das mit dem einzuberufenden Parlamente noch näher vereinbart werden solle; b) an der Berufung dieses Parlaments teilzunehmen und zu diesem Behuf ein Wahlgesetz zu publizieren, in das die betreffenden Bestimmungen des Reichswahlgesetzes vom 12. April 1849 aufgenommen werden. Das, zurzeit in Friedensstärke befindliche, zeitherige Bundeskontigent des Großherzogtums solle in Kriegsstärke aufgestellt und über dasselbe – dem neuen Bündnis gemäß – verfügt werden.

Minister v. Watzdorf sprach nach Beendigung der Verlesung die Hoffnung aus, daß Regierung und Landtag einmütig wie vor achtzehn Jahren zusammenstehen werden und es gelingen möge, Deutschland einer festen und friedlichen Zukunft entgegenzuführen.

Die zweite Sitzung fand noch an demselben Nachmittag statt. Die Wahl des Ausschusses, der die Regierungsvorlage zu prüfen hatte, wurde vorgenommen. Die dritte Sitzung war am 20. Juli. Der Ausschuß forderte den Landtag auf, das Verlangen der Regierung zu bewilligen. Er hatte noch hinzugesetzt, daß die einheitliche Exekutivgewalt in die Hände Preußens gelegt, und daß dieser Exekutivgewalt der ausschließliche Oberbefehl über die Land- und Seemacht des Bundesstaates übertragen werden solle.

Die Abstimmung im Plenum wäre einstimmig – wie im Ausschuß – gewesen, wenn nicht Hofrat Professor Dr. Snell aus Jena seine Stimme verweigert und sowohl die Regierung wie den Landtag geradezu beschimpft hätte. Watzdorf entgegnete ihm deutlich und fest, Fries sogar scharf. Snell legte sein Mandat nieder, weil er sich weder mit der Regierung noch mit seinen Wählern in Übereinstimmung fühle.

Diese seine Wähler desavouirten ihren Abgeordneten öffentlich. In der vierten und letzten Landtagssitzung wurden die nötigen Geldmittel für die Neuerungen bewilligt.

Am 22. Juli verkündete ein Extrablatt folgendes Telegramm aus Paris vom 21. nachmittags: »Nach sichersten Mitteilungen hat Österreich, auf den Vorschlag Frankreichs, eingewilligt aus dem Deutschen Bunde zu treten und eine Rekonstruktion desselben ohne seine Teilnahme anzuerkennen.« Leider mußte man sich die Einmischung Napoleons III. gefallen lassen, das hinterließ vielen in Deutschland einen bitteren Nachgeschmack.

Im Eisenacher Oberland war durch die Einquartierung der Bayern und die Gefechte bei Zella und Roßdorf viel Schaden geschehen: alle Vorräte aufgezehrt, viele Felder und Häuser geschädigt und Krankheiten verbreitet. Hier griffen unsre Herrschaften mit aller Energie ein. Großherzog, Großherzogin und Erbgroßherzog besuchten zu verschiedenen Malen die Dörfer und Lazarette, sowie die Augenkranken in Wolfsburg, überall erzählte man sich von der Leutseligkeit und Hilfsbereitschaft, wie sie selbst in die Häuser und zu den Kranken gegangen, um nicht nur mit Geld, sondern auch mit Trost zu helfen. Die Prinzessinnen Marie und Elisabeth unternahmen eine Lotterie zum Besten der armen geschädigten Bauern, die einen schönen Erfolg hatte. Die Frau Großherzogin schaffte in Eisenach und der Umgegend alles an, was in den Lazarettdepots nötig war. Den Kaufleuten half sie durch ihre Bestellungen für Heinrichau; dort – auf ihren großen Besitzungen in Schlesien – errichtete sie ein Lazarett mit hundert Betten.

Am 5. August kam endlich das 1. Bataillon aus Rastatt hier an, am 7. traf das 2. in Eisenach und das 3. in Weimar – beide aus Ulm kommend – ein. Unter allen, die das Militär am Bahnhof empfingen, war auch Minister v. Watzdorf. Er sprach auf das herzlichste seine warme Anerkennung für die Haltung der Truppen aus, hatte auch in den schweren Wochen durch Botschaften usw. alles getan, was er vermochte, um Erleichterung zu schaffen – aber er konnte die trübe Stimmung, die über den Offizieren lag, nicht verscheuchen.

Nach einem Jahr wurde Oberstleutnant v. Bessel Kommandeur des Regiments, die Militärkonvention war abgeschlossen und es wurde ein teilweiser Austausch der preußischen und weimarischen Offiziere vorgenommen.

Am 10. September 1867 wurde der erste Reichstag einberufen. Man sollte es kaum glauben, daß sich so wenige Wähler an der Urne eingefunden, trotzdem damit ein großer Schritt dem ersehnten Ziel entgegen getan war. Im weimarischen Lande wurden Fries, Wilhelm Genast und Bezirksdirektor v. Schwendler in Eisenach gewählt.

Die Vertretung Weimars im Bundesrat übernahm Minister v. Watzdorf, – trotzdem er mit der Neugestaltung Deutschlands nicht ganz zufrieden war – denn er zweifelte nie, daß sein Ideal erreicht werden würde: ein einiges Deutschland und ein deutscher Kaiser!

Watzdorfs Lieblingsidee war, die Thüringer Staaten enger aneinander zu schließen, um in vielem gemeinsam handeln zu können. Mit einigen derselben hatte er eine Justizgemeinschaft angebahnt und hoffte, Gotha und Koburg auch noch dafür zu gewinnen. Aber darin fand er einen Gegner in Staatsrat v. Wintzingerode, der am liebsten das Erreichte wieder aufgehoben hätte. Da der Großherzog auf Watzdorfs Seite stand, so nahm Wintzingerode seinen Abschied. Watzdorf übernahm die Justiz, um seine Pläne auszuführen, und Stichling, sein treuer Mitarbeiter, von dessen Lebensgang wir später sprechen werden, erhielt das Departement des Kultus, zuerst provisorisch, dann definitiv.

Am 12. Januar 1868 trat der Landtag zusammen. Die Wahlen hatten im Oktober stattgefunden; von bekannten Persönlichkeiten waren Freiherr Georg v. Rotenhahn – der schon 1863 von den Tausendtalermännern an Stelle des Präsidenten v. Egloffstein gewählt war – und Paul v. Bojanowski zu Abgeordneten ernannt worden. Fast gleichzeitig mit den Neueinrichtungen des Norddeutschen Bundes mußten nun auch die Verhältnisse des weimarischen Landes diesen angepaßt werden, das war die ehrenvolle, aber nicht leichte Aufgabe der beratenden Herren. Es galt – im Verein mit der Regierung – dahin zu streben, daß das Land für die zu bringenden Opfer auch die Wohltaten genießen könne, die durch die Neugestaltung Deutschlands erwartet wurden. Das Geleise mußte gefunden werden, auf dem Weimar nicht nur nachfolgen, sondern in vielen Dingen voranschreiten sollte; die richtige Mitte zwischen Zentralisation und Dezentralisation einzuhalten, war einer der schweren Punkte bei dieser Reorganisation.

In der Propositionsschrift hieß es unter anderem, daß nunmehr »nach jahrhundertelangem Sehnen und Kämpfen die feste Grundlage gelegt ist, auf welcher Deutschland dauernd zu der Macht und Selbständigkeit, welche ihm die Möglichkeit ungestörter, innerer Entwickelung verbürgt, gelangen kann und gelangen wird«.

Am 8. Juni 1868 wurde bei Dermbach ein vom Großherzog Karl Alexander gestiftetes Denkmal für die gefallenen Preußen und Bayern errichtet. General Vogel v. Falkenstein hielt eine begeisternde Ansprache.


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