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Wenn man von dem alltäglichen Leben hier erzählen will, so tauchen vor allem die Ereignisse in Kunst und Wissenschaft auf, so daß Außenstehende meinen könnten, in Weimar lebe man nur in Schönheit und Freude und es würden beständig Feste gefeiert. Das Bestreben Karl Alexanders war es ja, die Künste um sich zu vereinigen, aber das Notwendige und Nützliche wurde doch nicht darüber vergessen; dafür sorgte die Großherzogin Sophie auf das beste. Daß sie 1854 das »Sophienstift« gründete, ist schon gesagt worden. Am 10. April – als Nachfeier ihres Geburtstages – fand die Einweihung statt. Auf der schönen, geschmückten Doppeltreppe in dem »Froriepschen Mittelhaus« standen die geputzten kleinen Mädchen, zwei von den größten zu oberst: Lida Froriep, die ein Gedicht vortrug, das Frau v. Schorn für diese Gelegenheit verfaßt hatte, und Adelheid Schorn, die Blumen überreichte, als die Stifterin feierlich und hoheitsvoll, aber freundlich lächelnd die letzten Stufen erreicht hatte.
Von weiteren Schulangelegenheiten wäre die Einweihung der Realschule zu nennen, die gemeinschaftlich von der Stadt, der Regierung und der Landesvertretung geschaffen worden war. Sie fand am 7. April 1856 statt. Der erste Direktor war Gymnasialprofessor Tröbst.
Drei Jahre später, am 22. August 1859, wurde die zweite Bürgerschule, hinter der Stadtkirche gelegen, eröffnet.
Einen großen Verlust erlitt das Gymnasium, der Gelehrtenkreis und die intime Geselligkeit der schon früher erwähnten »Clique« durch den Weggang des Dr. Sauppe, der seinen Direktorposten 1856 verließ, um einem Ruf als Professor nach Göttingen zu folgen.
Am 1. Januar 1854 ging die »Weimarische Zeitung« in den Besitz von Hermann Böhlau über, der die Hofbuchdruckerei gekauft hatte. In seinen bewährten Händen lag von nun an ein großer Teil der hier erscheinenden Literatur, und auch die Kunst hatte eine kräftige, sehr verständnisvolle Stütze an ihm. Daß er die Tochter des Geheimen Finanzrats Thon heiratete, ist schon früher erzählt. Böhlau nahm lange Jahre eine einflußreiche Stellung hier ein. Seine und seiner Frau Persönlichkeit, sowie die vornehme Lebensführung seines Hauses, sicherten seiner Familie einen hervorragenden Platz in den besten Kreisen der Stadt. – Böhlau ließ die Zeitung täglich erscheinen, er behielt bis zum Herbst 1855 den bisherigen Redakteur Dr. Hans v. Mangoldt, der nach Freiburg i. Br. übersiedelte und dort als sehr geschätzter Professor der Nationalökonomie in jungen Jahren starb. – Auch ein Sonntagsblatt gab Böhlau der Zeitung bei, das drei Jahre von Joseph Rank redigiert wurde, der 1848 Mitglied des Frankfurter Parlaments gewesen. Er lebte später als Schriftsteller in Wien.
Anfang 1858 konstituierte sich der neue Gewerbeverein und wählte als Stiftungstag wieder – wie der alte Gewerbeverein – den 2. Februar, den Geburtstag des seligen Großherzogs Karl Friedrich. Oberbürgermeister Bock gedachte des »unvergeßlichen Fürsten, des Gerechten und des Guten, wie die Geschichte ihn mit Recht nennen wird«. Großherzogin Sophie schenkte vorläufig hundert Taler zur Anschaffung von Büchern und Modellen. In den Vorstand wurden gewählt: der Redakteur der »Weimarischen Zeitung«, Professor Biedermann (der später noch selbst davon sprechen wird), Amtsregistrator Rehbein, Sattlermeister Harzbecker, Zimmermeister Kurth und Hoftöpfermeister Schmidt. Da dieser ablehnte, trat Tuchhändler Stiebritz an seine Stelle, der auch den Vorsitz übernahm.
Am 1. Februar desselben Jahres eröffnete Wilhelm Lämmerhirt ein Schnittwarengeschäft, das für das gewerbliche Leben ein wichtiger Faktor wurde. Das Putzgeschäft seines Vaters, Gustav Lämmerhirt, bestand seit 1833 in der Esplanade – jetzt Schillerstraße 6 – und war weit über Weimars Grenzen hinaus wegen der geschmackvollen Arbeiten berühmt, die aus den geschickten Händen der Frau Lämmerhirt hervorgingen.
Im September 1859 besuchte die Großherzogin Sophie den weimarischen Teil des Rhöngebirges, besonders die Hohe Rhön mit ihren Dörfern Birx und Frankenheim, denn von dort erklangen Notrufe; Krankheit und Armut waren mehr denn je über diese Bergbewohner hereingebrochen. Die Großherzogin unterrichtete sich von allem, und von da an datieren bessere Zeiten für die sterilen Gegenden; sie errichtete z. B. eine Schnitzschule und ließ diese ärmsten ihrer Untertanen nicht wieder aus den Augen.
Bei ihren sozialen Bestrebungen hatte die Frau Großherzogin einen getreuen Mitarbeiter an ihrem Schatullverwalter, Hofrat Marshall, einem geborenen Schotten. Er war ein hervorragend gebildeter und angenehmer Herr, der sich in Weimar eine vortreffliche Stellung gemacht hatte. Im Oktober 1856 hatte ihn die Universität Jena aus eigenem Antriebe zum Dr. phil. gemacht, »als ehrende Anerkennung seines Geistes, seiner Gelehrsamkeit und seiner bewährten Tätigkeit«. Sehr treffend war die Bezeichnung in dem Diplom als » natione Scotus, animo Germanus«, denn in Marshall vereinigten sich wirklich die Vorzüge der schottischen und der deutschen Rasse: das Maßvolle und Feine des Engländers mit der Gemütswärme des Deutschen: er verfolgte mit dem verständnisvollsten Interesse alle Errungenschaften seiner neuen Heimat, die er liebgewann.
Am Hofe traten Anfang der fünfziger Jahre verschiedene Veränderungen ein. Daß Graf Leo Henckel v. Donnersmark 1852 als Adjutant zu Karl Alexander kam, wurde früher schon erwähnt. Er bewohnte mit seiner Frau Emma, geb. v. Parry, von 1853 an die erste Etage des Goethehauses. Das junge, auffallend schöne Paar nahm bald eine bevorzugte Stellung in der Gesellschaft ein; einerseits war ihnen durch das Parrysche Haus schon der Weg bereitet, anderseits errang Graf Henckel bald die Freundschaft seines Herrn, so daß er ihm, außer dem Grafen Beust, in jener Zeit wohl der Nächststehende war. Graf Henckel war mit der Familie v. Pogwisch verwandt und später einer der Erben des Goetheschen Nachlasses.
Im Frühjahr 1854, nach dem Regierungsantritt Karl Alexanders, wurde Graf Beust zum Oberhofmarschall des Großherzoglichen Hofes ernannt; sein Vorgänger, Herr v. Beaulieu Marconnay, und der Intendant v. Ziegesar traten als Obersthofmeister und Hofmarschall in den Hofstaat der verwitweten Großherzogin, die jetzt wieder offiziell den Namen Großfürstin führte.
In das Ministerium trat im Juni ein neuer Departementschef für Kultus und Justiz ein: Legationsrat v. Wintzingerode aus Kassel.
An die Spitze des Hofstaates der Großherzogin Sophie wurde im Herbst 1854 die verwitwete Gräfin Emilie v. Hohenthal-Hohenprießnitz, geborene Gräfin v. Gneisenau, die Tochter des berühmten Generals, als Obersthofmeisterin berufen, aber schon im Februar 1855 starb sie am Nervenfieber.
Das Hoffräulein Marie v. Könneritz, die Schwester der Frau Minister v. Watzdorf, erhielt den Titel »Hofdame«, als Gräfin Hohenthal angestellt wurde. Sie blieb viele Jahre, solange es ihre Kräfte erlaubten, die treuergebene Helferin ihrer Herrin, hochgeachtet und geliebt von allen die sie kannten.
Ferdinand v. Ziegesar diente der Großfürstin nicht lange; gebrochen durch den Tod seiner Frau, starb er – mit Hinterlassung dreier Kinder – schon 1855. Sein Nachfolger als Hofmarschall wurde sein Schwager v. Plüskow, der frühere Adjutant Karl Alexanders.
Im Mai desselben Jahres wurden zwei sächsische Offiziere berufen: Max v. Minkwitz als Kammerherr zu der Kaiserlichen Hoheit und Hans v. Mangoldt als Adjutant des Großherzogs. Letzterer heiratete die älteste Enkelin des Präsidenten v. Ziegesar, Helene v. Helldorff auf Drakendorf. Herr v. Minkwitz und seine Frau machten ein angenehmes, geselliges Haus hier, waren sehr beliebt und hinterließen eine große Lücke, als er an den sächsischen Königshof berufen wurde. Ihr Leben haben aber beide doch in Weimar beschlossen: er wurde später als sächsischer Gesandter hierher geschickt.
Hauptmann v. Mauderode wurde 1856 zum Großherzoglichen Stallmeister ernannt, wurde später Oberstallmeister und behielt diesen Posten bis zu seinem Tode.
Der 1. Oktober brachte das fünfzigjährige Dienstjubiläum der Obersthofmeisterin Gräfin Konstanze v. Fritsch. 1806 war sie Hofdame bei Maria Paulowna geworden, seit 1843 stand sie an ihrem jetzigen Posten.
In diesem Sommer reiste die alternde Frau Großfürstin noch einmal nach Rußland, zur Krönung ihres Neffen, Alexander II. Auf dem Rückweg machte sie in Berlin die Vermählung ihrer Enkelin, Prinzeß Luise, mit dem Großherzog von Baden mit. In Weimar bereitete ihr das Volk einen begeisterten Empfang, obgleich sie sich die offizielle Feier verbeten hatte. Man sah, wie sie geliebt wurde, und welche Sorge diese weite Reise den Weimaranern gemacht hatte.
Im Februar 1859 wurde Gräfin v. Wedel aus Hannover Obersthofmeisterin bei der Frau Großherzogin Sophie. Dadurch wurden bald auch ihre beiden jüngsten Söhne hierher gezogen, die schon allein durch ihre vornehmen Erscheinungen eine Zierde für den Hof waren. Graf Oskar Wedel trat 1860 als Kabinettsekretär des Großherzogs ein. Er heiratete 1876 die jüngste Tochter – Marie – des Grafen Beust, war damals schon Hausmarschall und die rechte Hand seines Schwiegervaters, dessen Nachfolger er als Oberhofmarschall wurde. In ihm gewann Karl Alexander einen vortrefflichen, treuen Anhänger, der seinem Herrn bis zu dessen Tode zur Seite stand. Nach dem Kriege von 1866 kam auch Graf Ernst Wedel, der hannoverscher Offizier gewesen und bei Langensalza verwundet worden war, hierher und trat als Stallmeister in den Dienst des Großherzogs. Nach dem Tode von Mauderode wurde er Oberstallmeister und hielt seinen Marstall ganz vortrefflich.
Der obengenannte Freiherr v. Beaulieu-Marconnay stammte aus einer französischen Protestantenfamilie und war 1811 in Minden geboren. Während er 1831 seine juristischen Studien in Jena machte, kam er oft nach Weimar und wurde durch die Gräfinnen Egloffstein bei Goethe eingeführt. Aus dem Oldenburger Ministerium rief man ihn dann als Geheimen Referendar für die auswärtigen Angelegenheiten nach Weimar. 1848 verließ er den Staatsdienst, um Hofmarschall am Erbgroßherzoglichen Hofe zu werden; 1853 wurde er Obersthofmeister bei der Großherzogin-Witwe. Er war ein äußerst lebendiger Mensch, sehr gescheit und gebildet, konnte unbeschreiblich liebenswürdig, aber auch oft scharf und sarkastisch sein. Daher war er beliebt, aber auch etwas gefürchtet und hatte großen Einfluß auf das Leben in Weimar. Er verheiratete sich mit der ältesten Tochter des Generals v. Staff-Reizenstein, nach ihrem Tode mit der jüngsten Tochter des Bundestagsgesandten Karl v. Fritsch. Von 1850-52 führte Beaulieu die Intendanz interimistisch für Ziegesar, 1854-57 übernahm er sie definitiv. Er sowie Ziegesar waren mit Liszt befreundet und förderten seine Pläne, soweit die kleinen Verhältnisse es erlaubten. Liszt sprach es später gegen die Witwe Beaulieus aus, wie dankbar er ihrem Gatten noch sei, denn er sei es gewesen, der ihm hier die Wege geebnet habe. Beaulieu erfreute sich des Vertrauens der Herrschaften in hohem Maße und wurde oft als Abgesandter an fremde Höfe geschickt, so zu der Krönung König Wilhelms nach Königsberg. 1864 übernahm er die Stelle des Bundestagsgesandten der thüringischen Staaten in Frankfurt, erlebte dort den Krieg 1866, nahm in demselben Herbst den Abschied und siedelte nach Dresden über, wo er seiner schriftstellerischen Tätigkeit lebte. Er starb 1889 und wurde auf dem weimarischen Friedhof, an der Seite seiner ersten Frau, begraben.
Während Beaulieu Intendant war, überließ er Liszt vollständig die Leitung der Oper und der Kapelle. 1854 berief dieser den berühmten Sänger Roger aus Paris, der im Juni in der »Weißen Dame«, in »Lucia« und der »Favoritin« gastierte. Und auch seinem Freunde Berlioz bereitete er wieder die Stätte, dessen Musik in Frankreich immer noch kein Verständnis fand. Liszt hatte alles einstudiert und seine ganze Kraft an ein schönes Gelingen gesetzt. Am 17. Februar 1855 dirigierte Berlioz in einem Hofkonzert Bruchstücke aus seinen Werken, am 21. im Theater, zum Besten der Witwen und Waisen der Kapellmitglieder, » l'Enfance du Christ«, dann seine » Simphonie phantastique« zum erstenmal vollständig. Die Klavierbegleitung im Finale hatte Liszt übernommen. Ein Jahr später dirigierte Berlioz seinen » Benvenuto Cellini« als Festoper am 16. Februar, und am 1. März – wieder für die Pensionskasse der Kapelle – »Fausts Verdammnis«. Dabei geschah das Merkwürdige, daß Liszt im Orchester stand und die große Trommel schlug.
Die Herren v. Bronsart, Singer, Pruckner und Coßmann bildeten im Winter 1855 eine Quartettvereinigung; Fräulein Emilie Genast und Herr v. Milde waren als Liedersänger gewonnen.
Dawison aus Dresden gastierte im Januar 1856 als »Hamlet«, »Carlos« in »Clavigo« und – am selben Abend! – als »Bonjour« in dem Genrebild von Holtei »Wiener in Paris«. Dawison spielte dann noch »Mephisto« und »Shylock«. Genast erzählt, »Erinnerungen eines alten Schauspielers« von Eduard Genast. (Leipzig 1862. 1. Auflage.) daß nach den Aufführungen von »Clavigo« und »Wiener in Berlin« ein Bauer gesagt habe: »Na, das ist ein Mordskerl! Erst möchte man den Racker vor Wut zerreißen und dann vor Liebe auffressen.« Mit Dawisons Auffassung des »Mephisto« war Genast nicht ganz einverstanden; Goethe habe den Charakter – seinen Schülern gegenüber – anders dargestellt, als böses Prinzip, »bei dessen Humor uns zugleich ein Schauder durchdringt«; während Dawison mehr den lustigen Teufel betonte. Der »Kaufmann von Venedig« mußte – auf Dawisons Verlangen – mit dem 4. Akt schließen. Die Intendanz tat ihm den Willen, was Genast sehr tadelte. 1857 kam Dawison wieder und gab am 4. April zum erstenmal »Richard III.«, den er meisterhaft spielte.
Weimar sah damals die größten Schauspieler und Sänger über seine kleine Bühne gehen; jeder und jede rechnete es sich zur Ehre, hier aufgetreten zu sein. So kam im Mai die herrliche Altistin Johanna Wagner, die Nichte von Richard Wagner. Sie gab »Orpheus« in der Gluckschen Oper; »Romeo« in »Capuletti und Montecchi«; »Lucrezia Borgia« und zuletzt »Klytämnestra« in »Iphigenie in Amis«. Sie entzückte das Publikum ebensosehr durch die Großartigkeit ihres Spieles wie durch ihren Gesang. Als Liedersängerin konnte man sie in einem Konzert bewundern, das die Lisztschülerin Martha Sabinin gab. Letztere spielte mit Hans v. Bronsart » les Préludes« von Liszt auf zwei Flügeln; den Schluß bildete ein Sextett von Hummel. Begeisterter Beifall belohnte die enthusiastischen jungen Künstler.
Der Anfang des Jahres 1857 war überreich an künstlerischen Genüssen. Die junge Schauspielerin Marie Seebach errang schon bei diesem Gastspiel große Erfolge. Ihre erste Rolle war »Gretchen«. Genast nennt sie »das Urbild von Goethes Schöpfung, verkörperte Poesie«; nur in der letzten Szene, im Kerker, war sie ihm zu sehr Heroine. Er gab ihr den Rat, die Worte des »bösen Geistes« in der Kirchenszene selbst zu sprechen, was sie später auch tat. Sie gab noch »Julia«, »Maria Stuart« und »Adrienne Lecouvreur« und wurde diesen so sehr verschiedenen Rollen gerecht. Zwischen ihren Gastspielen, am 7. Januar, war ein Theaterkonzert, das Bronsart zum Besten des Orchester-Pensionsfonds gab. Liszt dirigierte alles und Bronsart saß am Klavier. Den Anfang machte die symphonische Dichtung von Liszt: » Le qu'on entend sur la montagne«, Bronsart spielte sein eigenes Trio mit Singer und Coßmann sowie Liszts zweites Klavierkonzert; dazwischen sprach Marie Seebach »Schön Hedwig« und »Der Heideknabe« von Hebbel; der Konzertgeber spielte die Schumannsche Begleitung dazu. Bei diesem Konzert konnte man von einem Parterre von Künstlern sprechen, so viele waren dazu hierher gekommen, und der Enthusiasmus war so groß, daß gewiß niemand diesen Abend vergessen hat, der ihn erlebt.
Lassen schrieb am 31. Januar 1857 an seine Eltern:
Gestern Abend war bei Dr. Richard Pohl, dem Correspondenten der »Leipziger Musikalischen Zeitung«, eine Schubertfeier. Liszt hat himmlisch gespielt und Caspari (Heldentenor am Theater) die »Allmacht« sehr schön gesungen. Singer, Coßmann, Stör und Walbrül spielten das große Quartett in ré ausgezeichnet. Nach der Musik wurde sehr vergnügt soupirt, wobei Hoffmann-Fallersleben allerhand amüsante Toaste hielt.
9. Februar: Sonnabend habe ich »die Hugenotten« musikalisch aufführen hören. »Valentine« wurde von Frau v. Milde ganz hervorragend gesungen, und wenn ich auch manche Stimmen aus Brüssel vermißte, so habe ich, als Ersatz dafür, Feinheiten bemerkt, von denen ich bis jetzt nichts ahnte. Vor zwei Tagen hat mir Liszt seine Messe vorgespielt, die man in Gran aufgeführt hat; das ist ein wundervolles Werk, nicht nur musikalisch, aber als poetische Auffassung.
13. März: Heute Abend singt Johanna Wagner zum letzten Mal, als »Orpheus«. Als »Eglantine« war sie nicht so gut wie als »Klytemnestra«. Frau v. Milde war superb als »Euryanthe«, ebenso Milde als »Lysiart«. Liszt ist noch krank, er konnte beide Opern nicht dirigiren, hofft aber, Sonntag nach Jena zu fahren, wo sein Psalm gemacht wird. Er hat mir einen Platz in seinem Wagen angeboten. – Heute ist Goethefeier, »Faust« wird gegeben, den ich zum ersten Male sehe.
Eine historisch-dramatische Vorstellung, die originell genug war um erwähnt zu werden, brachte der 9. Mai: 1. »Der todte Mann« von Hans Sachs; 2. »Horribilicribifax« von Gryphius (zweiter und dritter Akt); ). »Dido« von Elias Schlegel (vierter Akt); 4. »Der Schatz« von Lessing; 5. »Die Laune des Verliebten« von Goethe. – Am nächsten Tage war die erste Aufführung der Oper »Landgraf Ludwigs Brautfahrt«, Text von Ernst Pasque, Musik von Edouard Lassen. Sie wurde im Laufe des Jahres zweimal wiederholt.
Lassen schrieb am 15. Mai 1857:
Ich bekomme noch viele Gratulationen. Gestern war ich beim Großherzog, der sehr liebenswürdig war. Die Oper hat ihm gefallen, er wird auch die zweite Aufführung sehen. Liszt hat mir einige Striche angegeben.
Im Mai gastierte Tichatschek als »Masaniello« und »Tannhäuser«, und zum Schluß der Saison brachte Großherzogs Geburtstag den »Sturm« von Shakespeare. Lassen schrieb am 2. Juli:
Die Musik von Taubert zum »Sturm« ist unbedeutend. Die Bearbeitung für drei Akte ist von Dingelstedt, dem neuen Intendanten, der dadurch hier eingeführt werden soll.
Am 18. Juli wurde folgender Passus in den Akten des Hoftheaters verzeichnet: »Der zeitherige Königlich Bayerische Hoftheaterintendant Dr. Franz Dingelstedt zu München wird vom 1. Oktober 1857 an zum Intendanten des Hoftheaters und der Hofkapelle, unter Verleihung des Dienstprädikats als Generalintendant und des Rechts zum Tragen der gestickten Hofuniform, ernannt.«
*
Am 1. März 1855 wurde ein gerichtliches Urteil gefällt, das weite Kreise mit Spannung erwarteten. Es hatten sich seit Jahren auffallend viele Handschriften Schillers im Handel gezeigt, und niemand wußte, wo sie herstammten. An ihrer Echtheit zweifelte man im Anfang nicht, nach und nach erregte die Masse Verdacht, und schließlich entdeckte man, daß sie gefälscht seien. Die Nachahmung war so gut gemacht, daß nun die Beunruhigung eintrat, man könne die echten und die falschen nicht mehr voneinander unterscheiden. Endlich wurde derjenige entdeckt, der sich die große Mühe gemacht hatte, ganze Kisten von Papier künstlich gelb und alt erscheinen zu lassen und Schillers Handschrift täuschend nachzuahmen. Es war ein Architekt v. Gerstenbergk in Weimar, der nun zu zwei Jahren Strafarbeitshaus, drei Jahren Verlust der staatsbürgerlichen Rechte und Tragung der Kosten verurteilt wurde.
Zu Pfingsten kam der Dichter Otto Roquette nach Weimar, um sich nach einer Stelle – vielleicht als Bibliothekar – umzusehen, denn sein Lehramt mit 250 Taler Gehalt in Dresden war ihm drückend. Der Großherzog nahm ihn freundlich auf, bewog ihn dann, einige Tage nach der Wartburg zu fahren, und empfahl ihn an den Kommandanten v. Arnswald, mit dem Roquette genußreiche Stunden verbrachte. Auch Moritz v. Schwind war zugegen und schloß sich dem Dichter an, nachdem er die erste Scheu vor dem gefürchteten Berichterstatter überwunden hatte. In Weimar war Roquette viel im Prellerschen Kreise; er schreibt »Siebzig Jahre.« (Darmstadt 1893.) mit großer Wärme über die Einfachheit des Hauses und des Teetisches, aber auch über die Gastlichkeit von Preller und seiner Frau, die es jedem behaglich zu machen wußten.
Im Herbst kam Roquette wieder, um bei Herrn v. Beaulieu seine Tragödie »Jakob von Artevelde« vorzulesen, die dann im März 1856 aufgeführt wurde. – Roquette war oft auf der Altenburg und erzählt sehr launig, wie Liszt die Hilfe der Fürstin Wittgenstein und ihrer Tochter in Anspruch genommen habe, um ihn zu bestimmen, eine Kantate über die heilige Elisabeth zu dichten, die Liszt – auf den Wunsch Karl Alexanders – komponieren wollte. Roquette hatte es Liszt abgeschlagen, weil ihm der Stoff nicht recht poetisch erschien, ließ sich aber dann doch dazu bestimmen. Von der Aufführung auf der Wartburg, im August 1867, ist später die Rede. – Liszt führte auch Verhandlungen zwischen dem Großherzog und Roquette wegen einer Anstellung. Man wünschte seine Übersiedelung nach Weimar, aber zu bieten hatte man nichts, geschweige denn mehr, als er in Dresden bekam. – Zu seinem Kummer fand er das Goethesche Gartenhaus an eine deutsch-ungarische Familie Steinacker vermietet, bei der er sogar ein poetisch sein sollendes, aber nur lächerlich wirkendes Gartenfest erlebte.
Von Apolda aus kam im Januar 1857 die erste Anregung, Karl August zu seinem 100jährigen Geburtstage, am 3. September desselben Jahres, ein Denkmal zu setzen. Es wurden sehr rasch in allen Städten des Landes Komitees gebildet um zu sammeln, denn der Gedanke schlug wahrhaft zündend ein. Am 12. Februar brachte die »Weimarische Zeitung« einen Brief Karl Augusts, der am 30. Oktober 1824 im 18. Stück der »Allgemeinen deutschen Vaterlandskunde« gestanden und den jemand aus dem Oberland zu diesem geeigneten Zeitpunkt zum Wiederabdruck eingesandt hatte. Er lautete:
Mit den Gefühlen der lebhaftesten Dankbarkeit, aber auch mit wirklicher Verlegenheit, habe ich in Erfahrung gebracht, daß zum Tage des Jubileums meines Regierungsantritts allerhand Anstalten getroffen werden, um die Epoche dieses Festes zu verherrlichen oder auch durch Denkmäler zu verewigen, und daß deswegen Subscriptionen im In- und auch im Auslande eröffnet worden sind.
Was einstmalen nach meinem Abschiede geschehen soll, um mein Andenken zu ehren, darüber will ich mich schon im Leben freuen, aber daß nichts der Art während meines Lebens geschehe, darum muß ich dringend bitten, und dieses zwar sehr triftiger Ursachen halber, die hier aufzuzählen, zu weitläufig werden möchten, die aber ein Jeder, der mich kennt, leicht errathen kann. Ueberhaupt kann ich es mir noch nicht recht klar machen, ob die sogenannte Jubelfeier eines Menschen ein Fest der Freude sein sollte, da es doch erst fällt, wenn der Abschied des Gefeierten auf ewig vor der Thür ist. Für Anstalten ist es gewiß passender und erfreulicher, da man sich alsdann der Hoffnung hingeben kann, daß die Anstalt fortdauern werde, so wie sie schon so lange sich erhalten hat.
Ich bitte die Herren, diese meine Gesinnungen im Publico bekannt werden zu lassen und es dahin zu vermögen, daß es den 3. September 1825 eben so behandle, wie alle seine Vorgänger seit etlichen 60 Jahren.
Weimar.
An die Herren Minister.
Carl August.
(G.)
Hatte Karl August in seiner Bescheidenheit sich 1825 die Feier verbeten, so wurde sie 1857 desto schöner begangen. Der 3. und 4. September waren herrliche Festtage für Weimar. Für das geplante Karl August-Standbild wurde der Grundstein gelegt, und die Enthüllung der Dichterstatuen hatte Festgäste von nah und fern herbeigeführt. Die Stadt war mit Grün und Blumen geschmückt, und die Bilder der Gefeierten waren in allen Größen und Arten angebracht. Am 3. früh um 6 Uhr war eine Feier in der Fürstengruft, bei der Dr. Dittenberger die Rede hielt und junge Mädchen Karl Augusts Sarkophag bekränzten. Um 9 Uhr hielt Oberpfarrer Dittenberger den Festgottesdienst in der Stadtkirche, und von da entwickelte sich der Festzug, der um 11 Uhr Aufstellung auf dem Fürstenplatze nahm, wo die Grundsteinlegung vor sich ging. Auf den Tribünen erwarteten ihn die Fürstlichkeiten mit ihren Gästen, sämtlich Nachkommen von Karl August und Luise: Herzog Bernhard mit seinen Kindern Prinz Hermann und Prinzessin Heinrich der Niederlande (Sohn und Enkelkinder von Karl August), Prinzeß von Preußen und Prinzeß Karl von Preußen (Enkelinnen Karl Augusts) mit ihren Gatten. Die Festrede hielt Superintendent Stier, und im Namen des Großherzogs sprach Staatsminister v. Watzdorf, aus dessen Rede der Passus hier folgen mag, der auf einem Flugblatt verteilt wurde:
»Was Karl August als der Zentralpunkt des Lichtmeers, welches von Weimar aus über die ganze gebildete Welt geleuchtet hat, bedeutet, was er, sich selbst immer treu in schweren und den schwersten Zeiten, für Deutschland getan und erstrebt, das danken ihm heute und werden ihm immer danken Millionen weit über die engen Grenzen dieses Platzes hinaus. Was er im Laufe einer mehr als 50jährigen, schwer geprüften, aber auch reich gesegneten Regierung im Innern seines Landes gewirkt, was er in der leicht verständlichen und leicht zugänglichen Liebenswürdigkeit seines Wesens dem einzelnen war, das wird bestehen, solange menschliches Wirken besteht, das mag im Volksmunde den Nachkommen überliefert werden. Schon dies alles wäre des schönsten Denkmals wert, aber ein Denkmal Karl Augusts soll in seinem Lande noch eine ernstere, höhere Bedeutung haben. Unvergänglichen Ruhm und ein für alle Zeiten gesegnetes Andenken sichert ihm, dem großen Manne, die klare, unbefangene Erkenntnis dessen, was unsere irdische Aufgabe ist, die reine, ungetrübte Anschauung der Dinge, die ausdauernde Verfolgung des Zieles, welches er als das rechte erkannte, der wohlwollende landesväterliche Sinn, der zwischen ihm und seinem Volke, bis auf den geringsten seiner Untertanen herab, ein unauflösliches Band knüpfte. Das war der Geist, der sein ganzes Wirken durchdrang, der ihn, den einsichtsvollen, vielerfahrenen Fürsten, zum Regieren berufen wie wenige, doch den rechten Zeitpunkt finden ließ, wo er, sich selbst Grenzen setzend, seinem Volke eine Verfassung verleihen sollte; das ist der Geist, den er als ein großes, unschätzbares Vermächtnis seinem hohen Hause und seinem Volke hinterlassen hat.«
In den Grundstein versenkte man ein Kästchen mit Erinnerungen, dann erklangen die feierlichen Hammerschläge. Die letzten tat der alte Kämmerier Roth, der langjährige Kammerdiener Karl Augusts, der bei dem Tode seines Herrn in Torgau zugegen gewesen war. Dr. Dittenberger sprach das Schlußgebet, und während der Handlung wurde das »Weimarische Volkslied« gesungen, das Liszt auf die Bitte des Großherzogs hin komponiert hatte. Im Sommer hatte dieser an Liszt geschrieben, man habe bei feierlichen Gelegenheiten nie ein anderes Lied als » God save the queen«, deshalb möge er eine Nationalhymne schaffen:
Ich wünsche, daß der Gesang bei den Septemberfesten eingeweiht wird. Er soll zwischen einem Gebet und einem Volkslied sein, mehr ernst als heiter, nicht zu lang und nicht zu kurz – er soll eine Vollkommenheit sein. Sie allein können ihn schaffen.
Liszt komponierte daraufhin die zu diesem Zwecke gedichteten Verse von Peter Cornelius – und so entstand das Lied, welches seitdem bei vielen festlichen Gelegenheiten in Weimar gesungen worden ist. Ich lasse die letzte Strophe hier folgen:
Möge Segen dir entsprossen
Aus vereinten Sarkophagen,
Wo unsterbliche Genossen
Diadem und Lorbeer tragen.
Aus geweihter Gräber Spalten
Brechen Lebensblumen aus:
Möge Gott dich stets erhalten,
Weimars edles Fürstenhaus!
Am Abend dieses Tages der Grundsteinlegung gab man das Festspiel von Franz Dingelstedt, »Der Erntekranz«, das er mit viel Geist, Takt und Geschick zu dieser Gelegenheit gemacht hatte. Zwei Verse daraus sind auf demselben Flugblatt, das einen Teil von Watzdorfs Rede trägt, abgedruckt; sie wurden gesprochen, als Karl Augusts Bild, inmitten der Gestalten aus Goetheschen und Schillerschen Stücken, vom Publikum mit Jubel begrüßt, erschien. Auf dem Flugblatte steht:
Dem Andenken
Karl August's
und
seines Weimar-Jenaischen Musenhofs
geweiht.
Du warst in kampfbewegter Zeit
Von Deutschlands Fürsten weit und breit
Der Erste, der vom Thron herab
Sein Recht dem Volk freiwillig gab.
Du schlossest nicht blos mit dem Mund,
Nein, auch mit Hand und Herz den Bund,
Auf dessen feuerfestem Grund
Dein Staat, Dein Haus gesichert stund.
Drum wehet, als um ihren Schild,
Die Fahne Weimars um Dein Bild.
Geschöpfe und Gestalten jener Zeit,
Die Ihr in Eurem Fest verherrlicht.
Auch sie vergleich' ich Aernten Karl August's;
Denn an den Werken seiner Dichter hat
Er selbst ein gutes und lebend'ges Theil.
War's nicht Sein Geist, der sie zusammenrief,
Zusammenhielt mit Sich und mit der Welt?
Nach diesem sehr gelungenen ersten Stück spielten Genast und Frau Hettstedt Goethes »Paleophron und Neoterpe«, und zum Schluß wurde der dritte Akt von »Don Carlos« gegeben, mit Dawison als »Philipp II.« und Emil Devrient als »Marquis Posa«. Darüber schrieb Lassen:
Diese beiden Feinde so nebeneinander zu sehen war von großem Interesse für die Neugier des Publikums. Ich begreife nicht, wie man, bei zwei so grundverschiedenen Talenten, Vergleiche anstellen kann; aber die Rivalität existirt, besonders zwischen den beiden Künstlern selbst; man behauptet, daß Dawison nur die Rolle des Königs angenommen hat, um zu erleben, daß sich Posa-Devrient in der großen Scene ihm zu Füßen wirft. Was die äußere Darstellung betrifft, das Kostüm, die Art sich zu schminken, die edlen Stellungen, die Wahrheit und der Ausdruck der Bewegungen, so war darin Dawison dem Devrient weit überlegen; bei letzterem konnte ich den jungen Liebhaber nicht so weit vergessen, um ganz an den Posa zu glauben. Beide hatten sehr schöne Momente und am Schluß kamen sie Hand in Hand, wie zwei brave Feinde, die sie sind.
Am 4. September mittags um 1½ Uhr wurde die Statue Wielands enthüllt, vor der Hofrat Schöll die Festrede vor den Fürstlichkeiten und einer großen Menschenmenge hielt. Man war nicht sehr befriedigt von der Arbeit des Bildhauers Gasser, der neben Rietschel, dem Schöpfer des herrlichen Doppelstandbildes, einen schweren Stand hatte. Nachdem auf dem Wielandsplatz die Feier zu Ende, zog man nach dem Theaterplatz, wo Tribünen gebaut waren. Die Nachkommen der Dichter saßen mit den Nachkommen Karl Augusts zusammen; es war ein feierlicher Moment, als die goldig glänzenden, schönen Figuren erschienen. Lautlos hatte die Menschenmenge der Rede des Dr. Heiland, Direktors des Gymnasiums, gelauscht; als die Hülle fiel, brauste ein spontaner Jubel gen Himmel, wie ich ihn nie wieder gehört. Von allen Dächern und Fenstern wehten die weißen Tücher, die Menschen waren wie außer sich vor Freude, Tränen und Jubelrufe mischten sich, man schüttelte fremden Menschen die Hände, man umarmte sich – und über all dem Lärm und Gewühl standen die beiden hehren Gestalten, und der blaue Himmel spannte sich über den kleinen Platz voller begeisterter Menschen. Der Großherzog winkte Rietschel, dem Schöpfer des Standbildes, auf die Tribüne zu kommen, und umarmte ihn.
Rietschel hat ein Meisterwerk geschaffen – schreibt Lassen – welch herrlichen Ausdruck hat er Schiller gegeben und doch die Ähnlichkeit gewahrt. Die beiden großen Männer stehen ruhig und vornehm auf ihrem Postament. Goethe, zur Rechten Schillers, schreitet mit festem Schritt, eine Welt von Gedanken liegt in der Falte seiner Stirn. Schiller blickt gen Himmel, versunken in ideale Kontemplation, den Kranz, den Goethe mit vollem Bewußtsein hält, berührt er nur mit den Fingerspitzen. Keine Antike der Welt, weder Apollo noch Laokon, keine Venus, keine Statue die ich gesehen, hat mir so das Herz bewegt, als dieses Doppelbild des menschlichen Genies in seiner höchsten Macht, einziges Beispiel aller Zeiten: Zwei große Dichter als Freunde, sich ergänzend. Weimar ist lebend geworden, seitdem die Rietschel'sche Statue hier steht; es ist unmöglich sie anzusehen, ohne daß einem edle, wahre Gefühle aufsteigen, es ist als wenn man Goethe und Schiller wirklich gesehen hätte, wie sie im Park spatzieren gehen und sich über die Kunst besprechen.
Rietschel, Gasser und Schalter, der das Herder-Standbild gemacht, sowie Erzgießer Miller aus München, in dessen Werkstätten der Guß aller Statuen vollzogen worden war, wurden zu Ehrenbürgern von Weimar ernannt.
Die Großherzogin Sophie schenkte 10 000 Taler als Grundstein einer Blinden- und Taubstummenanstalt, zum Andenken an die Herzogin Luise, die Lebens- und Gesinnungsgenossin Karl Augusts, der das Land die Rettung aus großer Gefahr verdankte.
Herzog Bernhard wurde von der »Loge Amalia«, deren Protektor sein Vater, Karl August, gewesen, zum Ehrenmitglied ernannt.
Am Enthüllungstage – 4. September – war Festtheater mit einzelnen Akten aus den Werken von Goethe und Schiller: zweiter Akt »Tasso«, erster Akt »Götz von Berlichingen«, dritter Akt »Egmont«, vierter Akt »Wallensteins Tod«, vierter Akt »Faust« und zum Schluß »Die Glocke« mit lebenden Bildern, von Maler Seitz aus München eingerichtet, mit Musik von Stör. Die Hauptrollen waren mit den Gästen Marie Seebach, Fräulein Fuhr, Emil Devrient und Dawison besetzt; nur die Rolle des »Götz« verblieb Genast, der ein vortrefflicher Darsteller derselben war.
Die Seebach hat die Palme errungen – schrieb Lassen – besonders als »Clärchen« konnte man sich nichts naiveres, bebenderes, natürlicheres und erhabeneres denken, als ihr Spiel. Als »Gretchen« habe ich sie manchmal etwas manierirt gefunden, aber sie war doch entzückend. Wie gern würde ich die ganze Rolle von ihr sehen! Devrient hatte schöne Momente, besonders als »Egmont«. Dawison war der pfiffigste »Mephisto«, den man sich denken kann. Die Fuhr verschwand, trotz ihrem Talent, ganz neben diesen drei Größen.
Am 5. September waren die Fremden eingeladen die Wartburg zu besuchen, die Einheimischen blieben in Weimar, um die Probe des Konzertes zu hören, das Abends unter Liszt's Direktion stattfand. Das Orchester war im Streichquartett um die Hälfte verstärkt, David, Grützmacher, Dietz, Simon u. a. waren gekommen um mitzuspielen; die Masse der Saiteninstrumente klang herrlich. Das Programm lautete: Erster Theil: I. Chor: »Die Künstler« von Schiller, von Liszt zur Enthüllung der Beethoven-Statue in Bonn komponirt. II. »Die Ideale«, nach dem Schiller'schen Gedicht, neue symph. Dichtung von Liszt. III. »Ueber allen Wipfeln« von Goethe, von Liszt für vier Männerstimmen komponirt und von Caspari, Knopp, Milde und Roth gesungen. IV. »Gruppe aus dem Tartarus« von Schiller, komponirt von Franz Schubert, für Chor und Orchester eingerichtet von Stör. V. »Schwager Kronos« von Goethe, komponirt von Schubert und ebenso eingerichtet von Stör. Zweiter Theil: I. »Faust«, neue symph. Dichtung von Liszt (Faust, Gretchen, Mephisto); den Schluß bildet der » Chorus mysticus« aus dem zweiten Theil des Goethe'schen »Faust«: (»Alles Vergängliche«). Den Schluß des Konzertes bildete »das Weimarische Volkslied« von Cornelius-Liszt. – Das Konzert war wirklich wunderschön und das Orchester hervorragend. Die »Faust-Symphonie« ist für mich das vollkommenste Werk das Liszt geschaffen hat, sowohl poetisch wie musikalisch.
Nach dem Konzert hatten wir ein Souper, dem alle Musiker beigewohnt haben. Sonntag [den 6.] gab man »Tannhäuser«. Montag war eine Partie nach der Wartburg, zu der die Fürstin Wittgenstein einlud. Liszt fuhr mit und die beiden Lehmann's aus Hamburg, der Maler und der Advokat, die wegen dem Fest gekommen waren; einige zwanzig Personen. Gestern war Gesellschaft auf der Altenburg und heute reist der letzte Fremde ab, morgen ist wieder alles in der alten Ordnung.
Von den Gästen, die diese Festtage mitmachten, seien nur die bekanntesten genannt: Fürst Pückler-Muskau, Freiherr v. Gleichen-Rußwurm, der Schwiegersohn Schillers, mit seinem Sohne Ludwig; Hauptmann v. Schiller, der Enkel des Dichters; die Nachkommen Wielands und Herders (Theodor Stichling, der Enkel Herders, lebte mit seiner Familie als hoher Staatsbeamter unter uns). Ferner Auerbach, Andersen, Dingelstedt – der sich mit seinem Festspiel gut eingeführt hatte, und dessen Ernennung am 18. September veröffentlicht wurde – Loewenstein, Brendel, Gerstäcker, Armand Bachet. Von Musikern, außer den schon genannten, Brandt, Littolf, Herbeck aus Wien usw.
Das Goethehaus war gerade so geschmückt, wie Goethe es 1825, zu dem 50jährigen Regierungsjubiläum Karl Augusts, hatte dekorieren lassen. Abends waren in den Straßen und im Park Pechpfannen und Gassterne angebracht, was einen festlichen und oft sehr malerischen Effekt machte, überall wurden Zusammenkünfte eingerichtet, so in dem Sommerlokal der Erholung, auf der Altenburg, wo die Musiker offene Tafel fanden, in dem schönen Froriepschen Garten, wo eines Nachmittags eine Anzahl Berühmtheiten geladen waren.
Rietschel wurde von der Universität Jena zum Ehrendoktor der philosophischen Fakultät ernannt.
Am 9. September stand folgender Erlaß des Großherzogs in der »Weimarischen Zeitung«:
Mein lieber Oberbürgermeister!
Unsere Festtage sind vorüber. Sie waren schön, erhebend, sie werden Allen, die sie mitgefeiert haben, unvergeßlich seyn. Mein Herz wird stets durch diese Erinnerung beglückt bleiben. Wir danken dies Alles der Größe ihrer Bedeutung, den großen Todten, die wir gefeiert, den Künstlern, die ihre große Aufgabe so schön erfüllt haben. Aber auch den Männern, die in den verschiedenen Comité's rastlos thätig waren. Ihnen, dem Gemeinderathe, den Bürgern und Bewohnern Weimars sind Alle, die das Fest erfreut hat. Dank schuldig. Ihn auszusprechen ist meines Herzens Bedürfniß. Nehmen Sie ihn für sich an und bringen Sie ihn in geeigneter Weise zur Kenntniß aller Betheiligten.
Möge sich mein liebes Weimar seines großen Besitzes immer erfreuen und möge die Gnade Gottes immer mit meiner Residenzstadt seyn.
Mit diesem Wunsche bin ich
Ihr
wohlgeneigter
Carl Alexander.
Weimar den 8. September 1857.
Dem Oberbürgermeister Bock,
hier.
Seit diesen Festtagen regte sich in der Bürgerschaft der Wunsch, ihrem geliebten Landesherrn ein Zeichen des Dankes darzubringen für all die Liebe und Fürsorge, die er für sein Land und insbesondere für seine Residenzstadt habe, auf deren Hebung und Förderung er beständig bedacht sei. Aber der geplante Fackelzug kam erst nach Wochen zustande, es lagen allerlei Hindernisse vor, u. a. die Besuche des russischen und österreichischen Kaisers.
Die beiden Monarchen trafen am 1. Oktober hier ein; Kaiser Alexander wohnte bei ferner Tante in Belvedere, Kaiser Franz Joseph im Stadtschloß. Seit dem Krimkrieg hatte Feindschaft zwischen ihnen geherrscht, denn »der Dank vom Hause Österreich« war damals bitter für Rußland gewesen. Hier nun sollte der Groll, der für ganz Europa verhängnisvoll hätte sein können, begraben werden; die Herrscher reichten sich die Hände und zeigten sich dem Publikum im Theater bei der Vorstellung des »Tannhäuser«.
Kaiser Alexander kam auch nach dem Tode der Großfürstin oft zum Großherzog, mit dem ihn herzliche Freundschaft verband; meist nach Wilhelmsthal, das er sehr liebte.
Die Dankeshuldigung für Karl Alexander kam endlich am 23. Oktober zustande Etwa 600 Fackelträger zogen mit Musik, mit Marschällen und Fahnen in den Schloßhof, an der Spitze der Gemeindevorstand mit Oberbürgermeister Bock und in ihrer Mitte die beiden Oberleiter des Zuges, Posamentier Lämmerhirt und Kaufmann Freund. Nach Absingung eines Liedes von Alexander Rost, dem weimarischen Barden (den Hebbel in einem Briefe an seine Frau »Bardolph, den treuen Diener von Falstaff«, nennt und damit die ganze sonderbare Persönlichkeit zeichnet), wurden die obengenannten drei Herren in das Schloß befohlen, wo sie den Dank des Großherzogs in Empfang nahmen. Anwesend waren die Großfürstin, die Großherzogin mit ihrer Mutter, der verwitweten Königin der Niederlande (Schwester der Großfürstin), und Prinzeß Friedrich Karl von Preußen, geb. Prinzessin von Dessau.
Die Septemberfeste hatten in Karl Alexander wieder den Wunsch erregt, der Goethestiftung näherzutreten. Er schrieb am 6. September an Liszt:
Ich bin entschlossen, von heute an auf dem Wege fortzuschreiten, den Ihr Licht mir seit langem erleuchtet hat. Ich will für nächstes Jahr einen Wettbewerb für die Architektur ausschreiben und zwar einen Plan für unser künftiges Museum; ich will den Aufruf jetzt veröffentlichen. Ich beeile mich, Ihnen das mitzutheilen, um mir Ihre Zustimmung und Ihre Hülfe zu sichern. Ich verstehe den Kultus für die Zeit Carl August's nur darin, daß ich die Wege verfolge, die er mir eröffnet hat. Diese wenigen Worte werden der Schlüssel zu meinen Handlungen sein, wenn es eines solchen bedarf. Sie brauchen keinen, aber vielleicht müssen Sie ihn Andern geben.
*
Der Grabstein Lucas Cranachs stand bis 1859 auf dem alten Friedhof an der Jakobskirche. Man bemerkte, daß der Stein unter dem Einfluß von Wind und Wetter zu leiden hatte, und so beschlossen einige Freunde solcher Altertümer, ihn in der Stadtkirche aufzustellen. Sie hatten dafür 246 Taler gesammelt und Ende Oktober den Stein an seinen neuen Standort geschafft. Ein Kirchenkonzert, das am 30. Oktober gegeben wurde, brachte das noch fehlende Geld ein und die Besucher konnten das Andenken an einen berühmten Weimaraner schon in der Kirche besichtigen.
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Liszt schrieb am 10. August 1858 an seinen fürstlichen Freund und meldete ihm, daß Wilhelm Kaulbach bei ihm angekommen sei, und daß er am nächsten Tage mit ihm nach Wilhelmsthal kommen werde:
Ich bin überzeugt, daß Niemand so geeignet ist, den Intentionen Ew. Königl. Hoheit wegen der Fresken in den Lutherzimmern auf der Wartburg zu entsprechen, und hoffe sehr, daß dieses Projekt bald zu einem Kunstwerk wird.
Auf diese Idee Liszts ist der Großherzog wohl gar nicht eingegangen, denn er hatte damals schon Verbindungen nach anderer Seite angeknüpft. Am 20. August war Graf Stanislaus Kalkreuth zum erstenmal in Weimar, wahrscheinlich vom preußischen Königshofe – wo er persona grata war – empfohlen. Er traf dann im September in München auf der internationalen Ausstellung, die alles zusammenführte, was künstlerische Interessen hatte, nicht nur mit Karl Alexander, sondern auch mit Liszt, Arnswald, Friedrich Preller usw. zusammen. Letzterem stellte er sich vor und sagte, daß er von Düsseldorf nach Weimar überzusiedeln gedenke. Während dieser Feststimmung kam dann allerlei zustande, was Weimar später bereichern sollte. Der Großherzog kaufte den herrlichen Bilderzyklus »Die sieben Raben« von Schwind, die mit Prellers Kartons zur »Odyssee« den größten Eindruck auf der Ausstellung hervorriefen. Daß Preller so großen Erfolg hatte, bestimmte wohl den Großherzog, – auf das Zureden Arnswalds hin – die Odyssee zu bestellen, die damals für eine eigens zu erbauende Halle bestimmt wurde. Das in München vom Großherzog gegebene Versprechen, Preller noch ein Jahr in Italien für die Arbeit studieren zu lassen, beglückte nicht nur diesen selbst, sondern die ganze Familie, insbesondere den jungen Friedrich Preller, der dadurch nach dem gelobten und ersehnten Lande aller Künstler kam. Aus seinen Tagebüchern erfahren wir die Begebenheiten in München und die Erlebnisse in Italien; er studierte neben dem Vater und half ihm gelegentlich. Auf Professor Prellers Anregung hin betraute der Großherzog ihn mit dem Auftrag, Genelli für Weimar zu gewinnen, und ging auch gleich auf die Bedingungen dieses eigenartigen Menschen und seltenen Künstlers ein. Genelli mag wohl bescheidene Wünsche geäußert haben; ihm genügte es, mit seiner Familie vor dem Hunger bewahrt zu sein und malen zu können, was der Geist ihm eingab, oder was Herr v. Schack bei ihm bestellte, der Mäzen, der Genelli sowie später Böcklin und Lenbach in ihren schweren Zeiten mit Arbeit und Verdienst versorgte.
Preller kehrte in einem Rausch des Entzückens über alles Erreichte von München zurück, aber ohne eine Zeit der Prüfung sollte er sein Paradies nicht betreten.
Der Großherzog machte im November den Grafen Kalkreuth, der sich mit Frau und Kindern hier niederließ, zum Kammerherrn; mit ihm kamen zwei seiner Schüler und Freunde, Graf Ferdinand Harrach und Karl v. Schlicht, bald darauf Johannes Nießen und v. Wille aus Düsseldorf, Cordes aus Lübeck, Karl v. Binzer aus Dresden und Otto v. Kamecke – ein ehemaliger Offizier – aus Berlin.
Über diesen, für den Großherzog so erfreulichen, Zuwachs wurde der Gedanke an Preller mit seiner Odyssee und seiner Reise nach Italien in den Hintergrund gedrängt; der Prellersche Kreis – Familie und Freunde – verlebte dadurch einen schweren Winter. Zu Anfang des Jahres 1859, als Genellis Übersiedelung endlich in Aussicht stand, – er hatte in München erst seine Arbeiten für die Schacksche Galerie beenden müssen – griff Liszt wieder einmal helfend ein und bewog den Großherzog, mit Preller die Verhandlungen über die Reise und die Ausführung der Fresken abzuschließen. Soret, der frühere Gouverneur Karl Alexanders, der gerade in Weimar war, wurde von seinem ehemaligen Zögling mit diesem Geschäft beauftragt, und da noch nicht alles im reinen war, als er nach der Schweiz zurückreiste, so gingen die Briefe des Großherzogs und Prellers über Genf, anstatt direkt vom Schloß ins Jägerhaus und wieder zurück!! – Ostern war aber alles in Ordnung, und Preller bestimmte den September zur Abreise nach Italien.
Genelli kam Ende Februar 1859 mit seiner Familie hier an und wurde am 24. durch ein »trauliches Mahl« im »Erbprinzen« gefeiert. Friedrich Preller, Karl Hummel, Wislicenus, Binzer, Schöll und Schuchardt mit ihren Familien nahmen daran teil. Am 25. gaben Liszt und die Fürstin Wittgenstein ein Fest zu seinem Willkomm.
Von einer Feier, die am 18. Februar auf der Altenburg stattgefunden hatte, schreibt Lassen am 19.:
Gestern war der Geburtstag von Prinzeß Marie; sie hatte wundervolle Geschenke für ihre Sammlung von Handzeichnungen bekommen, u. a. drei Kaulbachs, einen Navez, einen Verboekhoven, einen Leys, einen Madou, etc. einige dreißig Zeichnungen im Ganzen. Ich habe dort gegessen und Abends haben wir musicirt. – Um die Gerüchte zum Schweigen zu bringen, die sagen, daß Liszt in Ungnade gefallen sei, hat ihm die Großfürstin eine süperbe Pendüle geschenkt.
Lassen hatte, angeregt durch die vortrefflichen hiesigen Sänger, viel komponiert und mit seinen Liedern großen Erfolg gehabt, besonders mit einem Heft, das er Fräulein Emilie Genast gewidmet hatte:
Ich besitze ein Exemplar, in dem Liszt unter das Lied »In der Nacht« geschrieben hat: » Sublime!« Er hat mir gesagt, beim Lesen habe er geweint » comme un veau!«
*
Der 9. Mai 1855, der 50jährige Todestag Schillers, kann als der Geburtstag der »Schillerstiftung« gelten; die erste Anregung dazu gab der Dichter Julius Hammer in Dresden. Von da an bemühten sich eine Anzahl bedeutender Männer, Vereine in allen Städten zu gründen, um Gelder zu sammeln, damit am 100jährigen Geburtstage Schillers, am 10. November 1859, die Ergebnisse veröffentlicht werden könnten, die feststellen, »daß unsere Nation sich am einigsten fühlt in der Pflege und Nahrung ihrer unveräußerlichen geistigen Güter«?
In Weimar wurde am 9. Mai 1856 ein Zweigverein gegründet, um den sich besonders Beaulieu und Dingelstedt verdient machten. Auch die Herzogin von Orleans gab einen ansehnlichen Beitrag dazu.
Indessen hatte Major v. Serre auf Maxen bei Dresden die Vorbereitungen für eine »Schillerlotterie« begonnen und trat mit der Bitte an den Großherzog heran, dieses Unternehmen zu unterstützen. Karl Alexander erklärte sich dazu bereit, »doch sei es dienlich und erfreulich zu erachten, wenn das Schillerkomitee die Lotterie auch als seine Angelegenheit auffassen und behandeln wollte«. »Geschichte der deutschen Schillerstiftung« von Prof. Dr. Rudolph Goehler. (Berlin 1909.)
Am 10. Oktober 1859 war eine Vorversammlung in Dresden, bei der von hier Franz Dingelstedt, Graf Kalkreuth und der Buchhändler Karl Voigt (der derzeitige Besitzer des Landes-Industrie-Komptoirs) zugegen waren. Die »Schillerstiftung« wurde konstituiert und als Vorort auf fünf Jahre Weimar gewählt.
Man weiß, daß die »Schillerstiftung« gegründet wurde, um bedürftigen Dichtern, Schriftstellern und ihren Nachkommen jährliche Pensionen oder einmalige Geschenke zu gewähren. Auf die Satzungen und die Streitigkeiten darüber einzugehen, ist hier unmöglich. Man findet das alles auf das interessanteste und anschaulichste in dem oben angegebenen Buche von Goehler dargestellt, dem ich die Notizen entnahm.
Am 10. November traten in Weimar die Männer zusammen, die die Aufforderung an das Volk unterzeichnet hatten. Sie forderten von jedem, der Schiller Dank schuldig sei, daß er sein Scherflein beitragen möge. Sie führten des Dichters eigene Worte an:
Göttern kann man nicht vergelten;
Schön ist's, ihnen gleich zu sein.
Gram und Armuth soll sich melden.
Mit den Frohen sich erfreu'n. –
Die Namen derer, die diese Stiftung ins Leben gerufen, die im Laufe der Jahre ein wahrer Rettungshort werden sollte, heißen: Berthold Auerbach, Ludwig Blum, Ludwig Braunfels, Heinrich Brockhaus, Gustav Carus, Franz Dingelstedt, Joh. Georg Fischer, Ernst Förster, Adolar Gerhard, Karl Gutzkow, Friedrich Haase, Julius Hammer, Gustav Haubold, Graf Stanislaus Kalkreuth, Moritz Lazarus, Ernst Merck, Ferdinand Pirscher, Karl Rick, Major v. Serre, Karl Voigt, Ernst v. Wietersheim, Friedrich Zabel, Georg Zimmermann.
Für die erste Verwaltungsperiode von Oktober 1859 bis Juni 1865 wurde Dingelstedt zum Vorsitzenden, Graf Kalkreuth zu seinem Stellvertreter und Karl Voigt zum Kassenführer ernannt. Von den Zweigstiftungen wurden fünf in den Vorstand gewählt, die je einen Abgesandten schickten. Es waren in diesen ersten fünf Jahren: Karl Bormann-Berlin, Karl Gutzkow-Dresden, Ludwig Braunfels-Frankfurt, Ernst Förster-München, Fischer-Stuttgart.
Der erste, der eine Ehrengabe erhielt, war Otto Ludwig, der Dichter, der in Krankheit, Not und Sorgen lebte. Auch Karl v. Holtei gehörte zu den Pensionären der ersten Jahre. Er dankte am 17. Dezember 1860 mit den Worten:
Was mich wahrhaft entzückt, und freudig belebend erhebt, ist das Bewußtsein: Unabhängige, mir persönlich zum Theil ganz fremde Männer, haben mich armen alten Komödianten, Vagabunden und Romanschreiber solcher Ehre würdig erkannt. Verdient hab' ichs wohl nicht, desto wärmer muß meine Dankbarkeit seyn.
Dingelstedt erkannte bald, daß es für den Vorort der Schillerstiftung unmöglich sei, ohne einen literarischen Beirat auszukommen. Er beantragte 1861, einen Generalsekretär mit 500 Taler Gehalt anzustellen, der kein Stimmrecht im Verwaltungsrat haben solle. Er schlug Karl Gutzkow vor, dessen Verdienste um die Stiftung allgemein bekannt waren; in den Jahren ihrer Werdezeit war er die Seele des Ganzen gewesen. Im Verwaltungsrat hatte er seine Unparteilichkeit damit bewiesen, daß er für die Erteilung von Ehrengaben an persönliche Gegner stimmte. Die Beurteilungen von Gutzkows Fähigkeiten und Charakter, wie die Mitglieder des Verwaltungsrates sie schriftlich niederlegen mußten, sind in dem Goehlerschen Buche enthalten. Nur eine – von Braunfels – sei hier wiedergegeben, weil sie Gutzkow geradezu zeichnet:
»Gutzkow hat als Mensch seine Fehler. Sein Gemüt ist empfindlich, wie die Stimmung eines Klaviers; er deutelt, düftelt, spürt gern, sich selbst zur Beschwernis; er mißtraut leicht, findet sich leicht verletzt ... Die Wahrheit ist in all' unseren Verhandlungen stets das Ziel seines Suchens gewesen, und damit hat er uns viel, sehr viel genützt. Ich erinnere an unsere vorjährige Verwaltungsratssitzung in Weimar. Dort bewahrte er, wie stets, eine Tätigkeit, ein Interesse, einen Eifer für die Stiftung, eine Aufmerksamkeit, eine Parteilosigkeit, der aufrichtigsten Anerkennung würdig ... Wie vieles verdanken wir dem kräftigen Zusammenwirken Gutzkows mit unserm trefflichen Kollegen Förster ... Seine Tätigkeit in der fraglichen Stellung wird bald jeden überzeugen, daß wir nicht einen literarischen Parteimann gewählt haben, sondern den Mann der Schillerstiftung ...«
Der hier genannte Ernst Förster war der in München lebende Kunstschriftsteller, der ein treuer Freund meines Vaters gewesen und nach dessen Tode die Redaktion des Kunstblattes und die Herausgabe des »Vasari« übernommen hatte. Dieser lebensfrische und -freudige Mann war ein guter Weimaraner, er kam jedes Jahr für einige Zeit hierher, hatte Interesse für alles, was hier vorging, und wurde als eine der kräftigsten Stützen der Schillerstiftung angesehen. Ernst Försters Besuche und unwandelbare Freundschaft für uns waren eine große Freude und oft ein Trost, denn er strahlte von Wärme und Wohlwollen.
Gutzkow wurde einstimmig zum Generalsekretär gewählt; er übernahm sein Amt am 1. Oktober 1861 und zog mit Frau und Kindern hierher – zuerst in die Bürgerschulstraße. Am 15. gab man ihm ein Begrüßungssouper, bei dem Dingelstedt in begeisterten Worten den Toast auf Gutzkow ausbrachte und dessen Verdienste um Literatur und Kunst, besonders aber um die Schillerstiftung pries.
Gutzkow war das gerade Gegenteil von Dingelstedt: nicht groß, nicht schön, nicht liebenswürdig gegen alle Welt, sondern nur gegen einzelne. Er hatte einen schwierigen Charakter, und manche fürchteten seine scharfen Bemerkungen, auf die nicht jeder gleich eine Antwort fand. Wer ihn näher kannte, wußte unter dem rauhen Äußeren den guten Charakter zu finden, auf den man sich immer verlassen konnte.
Am 10. November 1860 war in Dresden die Ziehung der Schillerlotterie, an die Major v. Serre mehr Zeit und Kraft gewandt, als man es von Anfang an für nötig und möglich gehalten hätte; die Lotterie hatte solche Dimensionen angenommen, daß man sie kaum bewältigen konnte. 600 000 Lose waren verkauft worden; leider war es nicht nur der ideale Zweck, der das veranlaßt hatte, sondern das etwas unbedachte Versprechen des Unternehmers, daß jedes Los gewinnen und jeder Gewinn mindestens einen Taler wert sein solle; deshalb wurden so viele Lose verkauft. Der Aufforderung, Gewinne zu schenken, wurde aber nur in geringem Maße entsprochen, so daß Major v. Serre sich entschließen mußte, massenhaft billige Sachen dafür anzukaufen. Der Großherzog hatte als ersten Gewinn ein Haus in Eisenach geschenkt. Ein Müller namens Windel in Herford gewann es. So zufrieden konnten nicht alle Losinhaber sein, denn die Gewinne waren zum Teil sehr minderwertig und erregten einen Sturm der Entrüstung. Die Aufregung war geradezu lächerlich. Die Zeitungen wiesen darauf hin, daß man die Lose doch wohl des guten Zweckes und nicht des Gewinnes willen genommen habe. Aber einen der 500 roten Regenschirme und die eigens für die Lotterie hergestellten Plakate mit Bilderchen aus Schillers Werken wollte niemand haben. Monatelang dauerte es, ehe die Verschickung der 600 000 Gewinne beendet war; fast jede Woche erschienen die Direktiven des Majors v. Serre in den Zeitungen, wie und wann das Einsenden der Lose zu geschehen habe, um die enorme Arbeit zu ermöglichen. Aber wie die Mehrzahl der Menschen immer töricht ist, wenn ihr Vorteil auf dem Spiele steht, so war es auch hier: sie benahmen sich, als wenn Leben und Seligkeit davon abhinge, den Gewinn etwas früher zu bekommen. Die Post mußte besondere Anordnungen treffen, um die Massen bewältigen zu können; sie hat aber auch ihr Teil dazu beigetragen, der Schillerlotterie Kosten zu ersparen, denn alle Briefe unter Kreuzband, die unter 8 Lot wogen und die Adresse der »Schiller«- oder »Tiedgestiftung« trugen, gingen portofrei. Der Reingewinn betrug schließlich 450 000 Taler, wovon zwei Drittel an die »Schiller«- und ein Drittel an die »Tiedgestiftung« kamen.
Am 23. August 1862 verschied Julius Hammer. Der Verwaltungsrat der »Schillerstiftung« veröffentlichte ihm zu Ehren einen Nachruf, in dem es heißt: er starb in dem Augenblick, »als man durch den neuen großen Vermögenserwerb einen Bau zum Abschluß zu bringen gedachte, dessen erste Begründung bekanntlich das unbestrittene und unvergeßliche Verdienst des edlen Verstorbenen ist«.
Die Stellung Gutzkows als Generalsekretär war von Anfang an nicht fest genug geregelt; er verlangte noch mehr Einfluß auf die Entschlüsse des Verwaltungsrates, und die Mehrzahl der Mitglieder hätte ihn gern zum einfachen Sekretär, der nur die schriftlichen Arbeiten zu besorgen hat, herabgedrückt. Das war der erste Punkt der Streitigkeiten. Der zweite, daß Voigt, der Kassenführer, das eingekommene Geld in seinem Geschäft verwandte und Gutzkow sich dagegen aussprach, Dingelstedt aber die bedenklichen Worte sagte: »Verwendet Voigt in dem Geschäft das Geld, arbeitet er mit demselben, so brauchen wir das nicht zu wissen. Sein Geschäft gilt uns doch als ausreichende Kaution.«
Am 3. März 1863 starb Major v. Serre; er hatte sein Leben der Sache zum Opfer gebracht, denn sicherlich haben die Anstrengungen, Aufregungen und der Arger seine sehr kräftige Natur geschwächt. Auch er hatte mit dem Verwaltungsrat Mißhelligkeiten gehabt, aber der Nachruf (im 4. Jahresbericht) konnte mit den versöhnlichen Worten schließen:
»Uns verbleibt der Trost, daß die Wolke, welche zwischen dem Wohltäter und den Verwaltern der Stiftung eine Weile lang gelegen hatte, vor dem Abend von Serres Leben gefallen, so daß er in Frieden mit uns und unter unsern dankbarsten Segnungen hinübergegangen ist.«
Bei den Kämpfen um Gutzkows Stellung, die in der Verwaltungsratskonferenz vom 27. Juni bis 1. Juli 1863 ausgefochten wurden, stand nur Judeich-Dresden vollständig und fest auf der Seite des Unterdrückten. Er schrieb in einem Bericht an den Vorsitzenden in Dresden:
Die ganze Geschichte rührt nur daher, daß er sich »unbequem« machte durch einen Antrag auf Kassenverbesserung. Nun soll er keine »Anträge« mehr stellen. Ich versichere Ihnen, wären Sie in jener Verwaltungsratskonferenz anwesend gewesen. Sie hätten noch weit energischer wie ich den damals wahrhaft greulich gemißhandelten Gutzkow vertreten.
Am 10. November bezog Gutzkow das Expeditionszimmer im Schillerhaus. Seine Lage wurde nicht besser, ihm fehlte die alte Spannkraft, sonst hätte er seine Zelte abgebrochen und sich auf seine eigene literarische Produktion verlassen. Aber er hatte eine Frau und sechs Kinder, und so war ihm der feste Gehalt eine Beruhigung. Seine Dresdener Freunde kannten seine Lage, daß er alle Zeit und Kraft der Stiftung widmete, und er seine Stellung wohl nicht lange behalten würde, sie beantragten – auf Vorschlag des Ministers v. Wietersheim – eine Ehrengabe von 1000 Talern für ihn. Da es zweifelhaft war, ob der Verwaltungsrat sie gewähren würde, so zahlte die Dresdener Zweigstiftung sie aus eigenen Mitteln. Gutzkow sagt in seinem Dankschreiben, daß diese Hilfe ihm die Möglichkeit geben solle, ein geplantes Werk aus der Zeit der Reformation auszuführen.
Indessen steigerten sich die Zerwürfnisse immer mehr, bis im Oktober 1864 bei der Verwaltungsratskonferenz Ernst Förster und der für Weimar eingetretene Wilhelm Genast sich ins Mittel legten und eine momentane Einigung erzielten, so daß Gutzkow von Genast in das Sitzungszimmer geführt und vom Vorsitzenden begrüßt werden konnte. Am 17. wurde die erste ordentliche Generalversammlung eröffnet, bei der drei wichtige Punkte verhandelt wurden: 1. der Wunsch des Großherzogs, als Protektors der Zweigstiftung Weimar, daß seine Residenzstadt wiederum als Vorort gewählt werden möge; 2. die Frage, ob – wie bisher – Geheimhaltung der Ehrengaben und Pensionen geboten sei oder Veröffentlichung; 3. die Stellung des Generalsekretärs.
Nach endlosen Debatten wurde Wien als Vorort, vom Juli 1865 bis Dezember 1869, bestimmt. Die Geheimhaltung der Unterstützungen ließ man fallen und beschloß die Bekanntmachung. Infolge der Vorkommnisse bei der dritten Frage reichte Gutzkow am 15. November seinen Abschied ein. Als sein Nachfolger wurde Otto Roquette gewählt, der aber wieder zurücktrat, weil er nicht nach Wien ziehen wollte.
Gutzkow ging auf Reisen, aber anstatt Studien für sein Buch »Hohenschwangau« machen zu können, trieben seine zerrütteten Nerven ihn ruhelos, angstvoll, sich verfolgt glaubend von einem Ort zum andern, bis er am 14. Januar 1865 in Friedberg einen Selbstmordversuch machte. Tief mag diese Nachricht wohl manchen getroffen haben, der den Unglücklichen mit in dieses Schicksal getrieben hatte, aber die Stiftung als solche hat hier wenigstens sogleich der Not gesteuert und Hilfe gebracht, so viel sie konnte. Gutzkow wurde in der Anstalt St. Gilgenberg bei Bayreuth langsam wieder gesund und konnte am 16. Juni 1866 von Kesselstadt bei Hanau, wo er sich mit seiner Familie niedergelassen hatte, dem Verwaltungsrat der Schillerstiftung seinen Dank ausdrücken »für die außerordentliche Güte und Sorgfalt, mit welcher derselbe nicht nur während des traurigen Geschicks, das mir verhängt war, auf die Wohlfahrt der Meinen bedacht gewesen, sondern auch Vorsorge getroffen haben wollte, mir selbst die schwierigen Bedingungen, unter denen ich mich ins Leben zurückzufinden habe, nach dem Geist der edlen Stiftung zu erleichtern«.
Dingelstedt vertrat Weimar bis 1867, – bis zu seiner Berufung als artistischer Direktor an das Hofoperntheater in Wien – dann kam Wilhelm Genast an seine Stelle, über den jetzt einige Worte gesagt werden sollen, denn er war einer der Weimaraner, denen man nie genug danken kann für alles, was sie für ihre Vaterstadt – wenn auch nicht Geburtsstadt – taten. Der Sohn des vortrefflichen Schauspielerpaares war ein sehr guter Jurist, trotz seiner welch angelegten, warmen Natur ein vorzüglicher Staatsanwalt geworden. Daß er auch schriftstellerte, wissen wir aus dem 1. Band; daß er aber überall anzutreffen war, wo es zu helfen galt, daß er lange Jahre die Hauptarbeit für die Schillerstiftung tat und sie damit vielleicht über Wasser hielt, das soll dem vortrefflichen Manne unvergessen sein.
An Gutzkows Stelle trat Hans Hopfen, bis zum 1. Oktober 1866; dann – provisorisch – Ferd. Kürnberger. Genast wurde zum Vorsitzenden, Biedermann zu seinem Stellvertreter ernannt. Schulrat Laukhard vertrat die Zweigstiftung Weimar. 1869 trat Paul v. Bojanowski für Nürnberg und Stuttgart in den Verwaltungsrat ein, zum Vorort wurde von 1870-74 Weimar gewählt und endlich in Julius Grosse ein Generalsekretär gefunden, der diese Stelle zeit seines Lebens vortrefflich versorgte. In diesen Jahren war Genast Vorsitzender und Freiherr v. Loën sein Stellvertreter. Von 1875-79 war Dresden Vorort, bis 1884 wieder Weimar, mit Genast, Schöll und Loën im Vorstand. Von 1885-89 war der Vorort in München mit Paul Heyse als Vorsitzendem. Von Weimar kam Genast,– aber nicht mehr lange hatte man sich seiner treuen Arbeit und der feinen Persönlichkeit zu erfreuen – er starb am 18. Januar 1887 und hinterließ als Mensch und Beamter eine schwer zu schließende Lücke. Zum Vorsitzenden wurde Hans Bronsart v. Schellendorf gewählt, der seit Loëns Tod die Intendantenstelle innehatte. Von 1890 an blieb Weimar der Vorort der »Schillerstiftung«, Hofrat Weniger war Bronsarts Stellvertreter, Justizrat Gruner vertrat Weimar.
Alljährlich kamen und kommen seitdem die Mitglieder des Verwaltungsrates der »Schillerstiftung« hier zusammen, die mehr oder weniger in Weimar heimisch geworden sind und eine geistige Anregung für den Kreis ihrer Freunde bilden. Wie oft hatten wir die Freude, Paul Heyse hier zu begrüßen, später an seiner Stelle Richard Weltrich; Ludwig August Frankl aus Wien; Eduard Düboc – nach ihm Adolph Stern – aus Dresden; Moritz Lazarus vertrat Berlin; dann ersetzte ihn Karl Frenzel, der sich mit seiner Frau meist für Wochen hier heimisch machte. Beide hatten einen Kreis treuer Freunde hier erworben, – der feine, scharfe, kluge Redakteur der »Nationalzeitung« und die von Leben sprühende, gescheite, anmutige Frau – an deren Spitze Freiherr Ludwig v. Gleichen-Rußwurm stand. Er war zum Vorsitzenden der »Schillerstiftung« gewählt worden, nachdem Bronsart 1895 Weimar verlassen hatte. Gleichens Stellvertreter war Geh. Staatsrat Rothe. Nach Gruners Tod trat P. v. Bojanowski als vorörtliches Verwaltungsratsmitglied ein.
Der 100jährige Geburtstag Schillers – 10. November 1859 – wurde gefeiert, man kann fast sagen über das ganze Erdenrund, am freudigsten natürlich überall, wo Deutsche beieinander waren, und am innigsten wohl in Weimar, an der Stätte seiner letzten Lebensjahre und seines Todes. Es war in diesen Tagen eine gehobene Stimmung unter den Teilnehmern; man hatte das Gefühl, mit allen Gleichgesinnten durch das Leben und Wirken des edlen Mannes verbunden zu sein.
Am Vorabend des Festtages wurde im Theater das Festspiel von Friedrich Halm, »Vor hundert Jahren«, mit Musik von Liszt gegeben. Darauf Schillers »Lied von der Glocke« mit lebenden Bildern und Musik von Stör. Zum Schluß Goethes »Epilog zur Glocke«, gesprochen von Schauspieler Grans.
Am 10. früh um 8 Uhr bewegte sich unter dem Geläute der Glocken ein Festzug nach der Fürstengruft. Während von Jungfrauen aus der Bürgerschaft ein Lorbeerkranz auf Schillers Sarg gelegt wurde, standen die Mitglieder des Festzuges auf dem Friedhof, und es ertönte Instrumentalmusik und feierlicher Gesang. Still ging dann der Zug zum Marktplatz zurück, wo er sich auflöste. Um 10 Uhr war Festaktus in allen Schulen, um 2 Uhr Festessen im Stadthaus. Unter allen Festreden sei nur die von Liszt genannt; er hatte den Trinkspruch auf Goethe übernommen und schloß mit den Worten: »Goethe und Schiller waren unser! Erheben wir uns im Geist und durch Tatkraft zu den Ihrigen, damit sie sich stets bei uns wohl fühlen! Entarten wir nicht unserer Zeit! Sie ist gebieterisch und groß und die Stunde des Wohlgefallens an einem beschränkten, exklusiven Epigonentum vorüber. Treffend ruft uns Goethe zu:
Die Welt wird täglich breiter und größer,
So macht's da auch vollkomm'ner und besser!
Heil Schillers Freund! Heil Goethe!«
Am Abend des 10. gab man »Die Braut von Messina« zum Besten des weimarischen Zweigvereins der Schillerstiftung. In der kleinen Hofloge saß Schillers Enkel, Ludwig v. Gleichen-Rußwurm, mit seiner jungen Frau Elisabeth, geb. v. Thienen-Adlerflycht, sie waren an dem Abend das Ziel aller Blicke; der Nachkomme des Dichters hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem gefeierten Großvater, und seine liebliche kleine Frau mit den blonden Locken und den schönen blauen Augen wurde sehr bewundert. – Nach dem Theater bewegte sich ein Fackelzug durch die festlich beleuchtete Stadt; vor dem Schillerhaus sang die Menge, von einem Chore geführt: »Freude, schöner Götterfunken« und andere Lieder mit Schillerschen Texten. Zwei große Transparentbilder waren rechts und links von dem kleinen Hause angebracht; Genelli und Wislicenus hatten sie entworfen, und gemalt waren sie mit den vereinten Kräften fast aller Maler, die soeben einem von Graf Kalkreuth eingerichteten Kunstverein beigetreten waren.
Die Schillerfeier in Jena war auf den 11. November gelegt worden, damit die Schwesterstädte sich nicht hinderten. Sie gipfelte natürlich in einer akademischen Feier, bei der Kuno Fischer die Festrede hielt. Liszt dirigierte ein Konzert, bei dem u. a. auch »An die Künstler« von Schiller, komponiert von Liszt, aufgeführt wurde. Ein Festzug ging nach Schillers Garten, ein Fackelzug nach der Bibliothek, wobei die Studenten die Hauptrolle spielten und zum Schluß auf dem Markt » Gaudeamus igitur« sangen. Eine Festtafel in der »Rose« und Freudenfeuer auf den Bergen vollendeten die Feier.
Die Tochter Schillers, Freifrau Emilie v. Gleichen-Rußwurm, hatte in den Zeitungen gebeten, ihr alle auf die Schillerfeier bezüglichen Schriften einzusenden; es sammelten sich bei ihr auf dem Schlosse Greifenstein in Unterfranken über 2000 der verschiedensten Drucksachen, die sie in ihrem Schiller-Archiv niederlegte.
Der Großherzog schrieb am 11. Januar 1860 an Frau v. Gleichen:
Auf Ihren so vertrauensvollen Brief, gnädige Frau, antworte ich mit gleicher Offenheit, wie ich sie Ihnen, der Sache, mir selbst schuldig bin. Den einzigen Sohn, das einzige Kind, so eben glücklich verheirathet, sind die Eltern froh zu Haus, mit ihnen lebend, zu sehen. Für die väterlichen Güter ist er erzogen, für diese soll er seine Kenntniß anwenden. Gingen nun Sie, wie Ihr Gatte und Ihr Sohn auf meinen Vorschlag ein: mir letzteren zu überlassen, so überließen Sie mir den Enkel Schillers und das ist viel, ich aber nehme Ihnen den Sohn und ist das nicht mehr? Bin ich Schillers Tochter nicht mehr Rücksicht schuldig als seinem Enkel? Gleiche Rücksichten halten mir die Thore Ihres Schlosses, Ihrem Sohn die Thore meiner Stadt offen, gleiche Rücksichten erhalten uns in unserm beiderseitigen Bedenken indessen. So lassen Sie uns denn die Thore offen halten, damit die Tochter und der Enkel Schillers stets wissen, daß die Heimath derselben hier sey und bleibe ...«