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In der Charwoche 1857 kam Franz Dingelstedt hierher. Er stand mit Liszt im Briefwechsel und wartete schon seit Jahren auf einen Posten in Weimar. Der Intendant, Herr v. Beaulieu, war theatermüde, hatte viel Unannehmlichkeiten gehabt – u. a. im Februar 1856 den artistischen Direktor Marr, der ein sehr brauchbarer Regisseur und Schauspieler war – entlassen müssen, weil er sich nicht unter den Intendanten fügen wollte. Beaulieus Gesundheit litt darunter und so bat er um seinen Abschied.
Dr. Dingelstedt stammte aus Hessen. Er war anfänglich Lehrer, erhielt dann eine Bibliothekarstelle in Stuttgart und wurde 1850 Theaterintendant in München. Durch allerhand fortschrittliche Schriften hatte er 1849 von sich reden gemacht. Daß er dichterisch und für die Regie sehr begabt war, sprach ihm niemand ab, aber sein Charakter wurde angezweifelt. Jedenfalls war er ein schöner und einnehmender Mensch, er gewann jeden, wenn es ihm darauf ankam; als Gesellschafter war er unvergleichlich und konnte mit seinen Improvisationen die Menschen bezaubern. Auch die Schauspieler liebten ihn – bis diese Liebe in Haß umschlug. Er konnte sie wie ein Vater behandeln – nannte sie alle du – dann kam aber auch der Kommandierende zum Vorschein, der seine Untergebenen nicht zart anfaßte.
Seit wann Liszt und Dingelstedt sich kannten und duzten, weiß ich nicht. Der erste Brief Dingelstedts an Liszt, den La Mara in den »Briefen an Liszt« bringt, ist vom 7. Oktober 1845 aus Stuttgart:
Du hast Recht: wir zwei gehören an Einen Karren, und Gottlob, es stecken deren genug im Dreck, um noch auf einen rechnen zu dürfen.
Stuttgart, 30. Dezember 1845. Cher excellent! Den 19. d. M. ist Riemer zu Weimar gestorben. Gott hab' ihn selig; er war ein langweiliger alter –.
Ich weiß nicht, an wen man zum Ersatze denken wird, insonderheit nicht, was Du mit Franz v. Schober vor hast. Unbeschadet seiner Hoffnungen und Deiner Ansichten, meine ich also, nur ganz unmaßgeblich: Weise für die Stelle des Oberbibliothekars in Weimar auf mich hin ... Wenn man mich ruft, so gehe ich ... Mein Plan ist: ... einst einmal das Theater dort mit Dir zu übernehmen; es ist just klein genug, um etwas Großes daraus zu machen ...
Wollte Gott, wir fänden uns auf länger als 14 Tage zusammen und dürften einmal con amore an einem Strange ziehen. Ich bin des Wanderns eigentlich satt; wärest Du es auch, so thäten wir am Besten, uns in Weimar zu setzen und dort Kunst und Gesellschaft zu reformiren, warum nicht auch gelegentlich ein bischen den »Staat« – voilà Ie grand mot laché!
Stuttgart, 19. April 1850 ... Das alte Wien im neuen Wien fesselte mich so lang, daß ich auf kürzestem Wege heimeilen mußte. Beinah wär' ich ganz dort geblieben. Es schien mir nur, daß unsere Zeit – Du weißt was ich damit meine, – in Wien noch nicht gekommen sei. Noch nicht, – ob überhaupt dieselbe kommt? Das ist gewiß: sobald sie kommt, findet sie mich am Stephansthurm ...
Antworte mir gelegentlich wie Du lebst, was Du schreibst, was Du treibst. Setzest Du das »Parlament« in Erfurt in Musik, so laß' mich den Text dazu liefern. Gehst Du in die Welt mit Deiner Oper, so nimm mich als Taufzeugen. Brauchst Du mich in Weimar, so rufe mich und ziehe mich nach. In allem Falle: behalt mich lieb, wie ich Dich, und sage mir's von Zeit zu Zeit, wenn wir uns nicht sehen, schriftlich ...
Zum Herderfest 1850 hatte Liszt Dingelstedt eingeladen, zu kommen und einen Prolog für das Theater zu schreiben. In dem Briefe, der die Zusage Dingelstedts bringt, schreibt dieser:
Cannstatt, 9. Juli: Du weißt ... wie ich immer zu Denjenigen, den Wenigen vielleicht, gehört habe, die Dich verstehen, Dich en bloc, statt en détail, auffassen, den ganzen Kerl in Dir verehren und lieben ...
Als Beaulieu den Abschied als Intendant nahm, verhandelte man durch Liszt mit Dingelstedt, deshalb kam er in der Osterwoche nach Weimar. Am Charfreitag besuchte er uns, um Grüße meines Bruders zu bringen, mit dem er in München viel verkehrte. Wir ahnten nicht, weswegen er hier war. Er schlug meiner Mutter vor, die freiwerdende Intendantenstelle in Weimar meinem Bruder zu verschaffen, der sehr gut dafür passen würde; er selbst wolle sein Möglichstes dafür tun. Am Tage darauf erfuhren wir, daß Dingelstedt die Bestallung als Intendant an dem Tage schon gehabt habe.
Er trat am 1. Oktober 1857 sein Amt an und blieb genau zehn Jahre im weimarischen Dienst, so daß er pensionsberechtigt war. Sein Wirken wird – im verschiedensten Sinne – noch des öfteren hier besprochen werden.
Von der ersten Saison unter seiner Leitung ist nicht viel zu berichten, als daß am 3. März 1858 der erste Maskenball im Hoftheater stattfand. Über die Sitze im Parterre wurde ein Tanzboden gelegt und mit der Bühne vereint, wodurch ein sehr schöner, großer Saal entstand, in dem sich die Masken tummelten. Balkons und Galerie waren für die Zuschauer im Gesellschaftsanzug bestimmt, die den Saal nicht betreten durften. Die Masken schwärmten aber natürlich im ganzen Hause umher und verbreiteten Leben und Humor. Der Versuch war sehr gelungen, man hatte sich amüsiert und der Theaterkasse blieb eine schöne Einnahme.
Daß das Geldverdienen und das Sparsystem Dingelstedts Steckenpferd war, konnte man schon in den ersten Monaten bemerken. Es war ihm oft weniger um die Kunst zu tun, als um das Geschäft. Wenn es ihm aber darauf ankam, etwas Schönes zu schaffen, wie z. B. mit den Shakespeare-Aufführungen, dann setzte er sein ganzes Können ein, und das war sehr groß. Um so mehr verargte man es ihm, wenn er das Theater vernachlässigte. Daß Liszt in der übergroßen Sparsamkeit nicht mit ihm übereinstimmte, war natürlich, denn dieser war eine generöse, weitblickende, künstlerisch empfindende Natur, dem alles Enge zuwider war. Man bemerkte bald, daß Liszts Stellung am Hofe und das Übergewicht des musikalischen Elementes für Dingelstedt ein Dorn im Auge war. Er war total unmusikalisch und ließ sich auf diesem Gebiet von seiner Frau leiten, die als Jenny Lutzer eine gefeierte Koloratursängerin gewesen und auf dem Standpunkt einer Primadonna der alten Schule stehen geblieben war.
Liszt hatte die Befugnis, die aufzuführenden Opern und das Engagement der Musiker und Sänger zu bestimmen. Keiner der früheren Intendanten hatte ihm dieses selbstverständliche Recht beschnitten. Dingelstedt aber wollte in seinem Theater Alleinherrscher sein, Liszt war ihm unbequem. Die Freundschaftsversicherungen für Liszt hinderten ihn nicht, langsam den Boden zu untergraben, auf dem dieser sein herrliches musikalisches Wirken aufgebaut hatte. Sogar bei den Herrschaften arbeitete er unmerklich, um Liszt zu schaden, und hatte es so weit gebracht, den Großherzog wirklich momentan etwas kühl gegen Liszt zu stimmen; nur die Großherzogin Sophie durchschaute Dingelstedt mit ihrem scharfen Verstand und sprach später ganz offen von seinem schlechten Charakter und seiner Unwahrheit. Wir werden sehen, daß das Zusammenarbeiten mit Liszt – nach dem sich Dingelstedt früher so gesehnt – ihm nicht lange behagte, er brauchte nur fünf Vierteljahre, um ihn zu beseitigen. Ein Intendant hat ja Fühlung mit allen Kreisen und kann mit halben Worten die Menschen beeinflussen, die von ihm abhängig sind. Vorderhand ging alles friedlich, die beiden Franze schienen die besten Freunde zu sein.
Liszt schrieb aus Meiningen am 7. Dezember 1858 »an eine Freundin«:
... Das große Ereigniß in unsrer kleinen Stadt ist das remue-ménage von Dingelstedt, theils seine Art das Theater zu administriren, [die bis jetzt sehr vorteilhaft für die Kasse des Großherzogs ist,] theils durch seine Vorlesungen zum Besten der Schillerstiftung. Wir haben schon einige Stürme in unserm Glas Wasser gehabt und es hat den Anschein, als ob die Gewitter sich wiederholen würden; im Ganzen zieht sich Dingelstedt gut aus der Affaire, er hat sich noch nicht mit mir brouillirt, trotzdem die Stadt mit Freuden darauf wartete. Davison, Auerbach und Palleske sind Dingelstedt sehr zu Hülfe gekommen ...
Anfang März 1858 dirigierte Liszt im Stadthaussaal ein Oratorium des jungen Anton Rubinstein: »Das neue Paradies«. Liszt hatte dem Knaben 1839 in Paris Unterricht gegeben, er prophezeite ihm eine große Zukunft und sah in ihm den Erben seines Klavierspiels. Er nannte ihn oft Van II, wegen seiner Ähnlichkeit mit van Beethoven und freute sich immer, wenn der geniale Künstler ihn besuchte. Liszt scheute keine Mühe, die Masse von Kompositionen mit ihm durchzugehen, die der Vielschreiber jedesmal mitbrachte. Schon damals warnte er ihn, seine Kräfte nicht mit zu vielerlei Arbeiten zu zersplittern, sondern mehr zu feilen und zu verbessern. Aber er liebte den talentvollen, leidenschaftlichen Stürmer, trotzdem er manches an ihm zu tadeln fand. Rubinstein konnte sich nicht mit der Musik von Wagner und Berlioz befreunden und verhehlte seine Abneigung auch nicht, aber Liszt suchte ihn zu bekehren und beredete ihn, die Proben zu besuchen. Es war im Februar 1855, Rubinstein wohnte auf der Altenburg, und als Liszt ihn am Morgen zu einer Probe – wahrscheinlich zu dem Berlioz-Konzert am 21. – abholen wollte, war Rubinstein verschwunden – ohne Abschied in der Nacht abgereist. Liszt rügte wohl diese Unart in einem Briefe, aber er verzieh dem Durchgänger bald wieder.
Im März 1858 kehrte der Schauspieler La Roche vom Wiener Burgtheater hier ein, wo er lange gewirkt hatte und in sehr gutem Andenken stand. Er spielte in »Cromwells Ende« von Raupach, in »Der arme Poet« sowie in »Die beiden Klingsberge« von Kotzebue und in »Erinnerung« von Iffland. La Roche erntete enormen Beifall und ließ sich vom Großherzog verpflichten, im November 1859 zu der Schillerfeier wiederzukommen.
Edouard Lassen arbeitete sich indessen ein und wurde ein vorzüglicher Dirigent. Am 8. April 1858 dirigierte er schon die Festoper, »Der Traum einer Sommernacht« oder »Königin und Dichter« von Ambroise Thomas. Er wurde sehr gelobt, sogar von der Großherzogin Sophie; da sie es höchst selten tat, so machte ein Wort aus ihrem Munde ganz besonderen Eindruck. Lassen arbeitete auch bereits an einer neuen Oper, »Frauenlob«, deren Text ihm wieder der Regisseur Ernst Pasqué gemacht hatte und über die er an seine Eltern schrieb:
Wenn es eine Gerechtigkeit giebt, und ich glaube es, so muß eine Arbeit, die mit dem heiligsten Glauben an die Kunst und mit dem größten Enthusiasmus für das Schöne gemacht ist, wenigstens das Loos haben wie solche Werke, die nur mit fliegender Feder, zum Amüsement der Dummen, geschrieben sind.
Leider geht es nicht so gerecht zu, wie Lassen glaubte, denn seine Opern errangen, wie schon erwähnt, immer nur einen kurzen Erfolg. Viel mehr Freude erlebte er an seinen Liedern. Es bildete ein Ereignis für den Freundeskreis, wenn Lassen Kompositionen beendet hatte und sie vorspielte. Den Anfang dieser festlichen Abende machte der 13. April 1858, der Geburtstag von Milde und zugleich von Lassen, der in dem Mildeschen Hause gefeiert wurde. Lassen hatte sich für die Gedichte von Hoffmann-Fallersleben begeistert und deren acht komponiert. Rosa und Feodor v. Milde sangen sie zu seiner Begleitung vom Blatt; es war ein Musizieren nach Herzenslust.
In diesen Tagen war Liszt in Pesth, wo eine Messe von ihm aufgeführt wurde. Am 11. April nahm man ihn dort feierlich in die Konfraternität des Ordens vom heiligen Franz v. Assisi auf und schmückte ihn mit dem portugiesischen Christusorden. Auf seine Lebensführung hatte das keinen Einfluß, aber bei seiner tiefen, wahren Frömmigkeit beglückte ihn die Zugehörigkeit zu dem Orden seines Heiligen, und es paßte zu seiner von Jugend auf gehegten Idee, in ein Kloster einzutreten.
Im Herbst 1858 wurden – vom Schillerverein ausgehend – Vorlesungen gehalten, die Liszt in seinem Brief schon erwähnte. Lassen schrieb darüber am 7. Dezember:
Dingelstedt's Vorlesung war die beste; Emil Palleske hielt die letzte, über »Freude, schöner Götterfunke«. Mittwoch las Palleske auf der Altenburg Shakespeare's »Wintermärchen«; es war einer der schönsten Abende die ich erlebt, denn Palleske las ausgezeichnet.
Sonnabend kam Frau Viardot (Pauline Viardot Garcia, die große Sängerin, Schwester der Malibran) an, und da Liszt in Coburg ist, um die erste Aufführung der Oper des Herzogs – »Diana von Solange« – zu hören, so habe ich ihr die honneurs von Weimar gemacht. Ich schwärmte schon lange für sie und war glücklich sie kennen zu lernen. Sie ist gestern nach Leipzig gereist, kommt aber am Sonntag wieder, um im »Barbier von Sevilla« zu singen. An diesem Sonntag sollte gerade die komische Oper von Peter Cornelius, »Der Barbier von Bagdad«, gegeben werden, nun ist der arme Kerl ganz unglücklich, 1. über den Aufschub und 2. daß diese beiden Opern so nacheinander kommen, was seinem Werk beim großen Publikum schaden kann.
Sonntag war die »Zauberflöte« zum 67. Todestage Mozarts. Pasqué hat einen Prolog gemacht, der großen Erfolg hatte.
30. Dezember: Wir haben die Oper von Cornelius am 15. gehabt, deren Text er aus 1001 Nacht genommen hat. Bei der Aufführung hat sich ein wahrer Skandal ereignet, man hat gezischt und gepfiffen, was in einem Hoftheater noch nie geschehen und streng verboten ist. Da stecken lokale Kabalen dahinter. Die Oper enthält große poetische und musikalische Schönheiten; ich bin überzeugt, daß ein zweites Werk von ihm ein sehr gutes werden wird. Cornelius hat sich vortrefflich und brav benommen. Der Eindruck war für uns, seine Freunde, womöglich noch peinlicher als für ihn. Er ist eine prächtige, liebenswürdige, ehrliche Natur. Uebrigens hat er seine revanche einige Tage später gehabt, zu dem Konzert, das zu Beethovens Geburtstag gegeben wurde, hatte er den Prolog geschrieben, der sehr gefiel ...
Mit der Aufführung des Corneliusschen »Barbier von Bagdad« waren die Minen gesprungen, die längst gegen Liszt gelegt worden waren. Denn natürlich ihm, dem Protektor, dem Dirigenten galt der Spektakel, nicht Cornelius und seinem Werk, das gar nichts in und an sich hat, um einen Skandal hervorzurufen. Zehn Minuten dauerte der Lärm. Daß Liszt selbst klatschte, daß »Margiana« – Frau v. Milde – den Autor auf die Bühne zog, half nichts, sondern vermehrte nur das Getöse. Von Rechts wegen hatten die Husaren, die immer im Theater als Wache postiert sind, gegen die Lärmenden losgelassen werden müssen, aber es geschah nichts dergleichen. Liszt sagte zu Dingelstedt: »Nach dem, was sich heute abend zugetragen, setze ich keinen Fuß mehr in deine Bude!« »Etwas Angenehmeres konnte er ja dem Herrn Generalintendanten gar nicht antun,« schreibt Lassen. Liszt sprach sich noch an demselben Abend bei dem russischen Probst Sabinin – wo die Künstler nach dem Theater eingeladen waren – gegen Fräulein Emilie Genast dahin aus, daß er – nur um die Beethovenfeier nicht zu stören – das Konzert am 17. noch dirigieren, aber dann den Taktstock niederlegen werde. Man hoffte allgemein, daß der Großherzog eine réparation d'honneur für Liszt vorbereite, um ihn hier zu halten, aber vergebens. Dingelstedts Macht war in dem Augenblick zu groß; Karl Alexander ließ seinen alten Freund in diesem kritischen Moment im Stich! – Über die Ovation, die das Publikum Liszt und Cornelius im Beethovenkonzert bereitete, wird Cornelius mit eigenen Worten berichten.
Schon am 16. Dezember, am Tage nach der Aufführung des »Barbiers von Bagdad«, hatte Liszt dem Großherzog geschrieben, um für Cornelius die réparation d'honneur zu verlangen, die man ihm selbst hätte geben müssen. Er sagte, da der Großherzog schon im vorigen Jahre gewünscht habe, den Dichter des weimarischen Volksliedes kennen zu lernen, so bitte er, Cornelius jetzt zu empfangen, diesem die Ehre zuteil werden zu lassen, um die er im vorigen Jahre gekommen sei, das würde eine Aufmunterung für die ernsten Bemühungen sein, von denen die vortreffliche Arbeit des jungen Dichterkomponisten Zeugnis gebe, und ein Trost für den Sturm, den er am Abend vorher habe über sich ergehen lassen müssen:
Die Musik seiner Oper ist eine der vortrefflichsten Sachen, die in dieser Art in den letzten Jahren geschrieben worden ist; einen Beweis seines Verdienstes können Ew. Königliche Hoheit in der empörten Beharrlichkeit finden, mit welcher der musikalische Theil des Publikums am Schluß der Vorstellung Cornelius gerufen hat, trotz dem ungastlichen und wenig motivirten, beständigen Pfeifen, das durch nichts, weder eine taktlose Situation, noch künstlerische Dinge, hervorgerufen war.
Cornelius schrieb am 19. Dezember an seinen Bruder Karl: Peter Cornelius' ausgewählte Briefe, nebst Tagebuchblättern und Gelegenheitsgedichten. Herausgegeben von Karl Maria Cornelius. 1. Bd. (Leipzig 1904.)
... Die Oper wurde erst am Mittwoch gegeben. – Es ist alles gut, wie es gekommen, mein Lieber! Ich bin jetzt ein Künstler in den Augen der musikalischen Welt, von dem man etwas erwartet. Die beigefügte Kritik sagt das auch; wenn ihr mehr Wärme und Geist zu wünschen wäre, so macht anderseits die anständige Unpartheilichkeit [der Schreibende ist von niemand als dem Redakteur Biedermann gekannt] ihr achtungsvolles Lob um so ermuthigender. Siehst Du, Du meintest, ich solle mich durch zu großen Beifall nicht verwirren lassen! Nun, mein Geschick will mich zu einem Manne machen – das seh ich an allem, und ich werde alles thun, es nicht an mir fehlen zu lassen.
Es gibt dem Anfange meiner Laufbahn eine wunderliche Bedeutsamkeit, daß meine geringe Wenigkeit der Anstoß des entschiedenen Bruches zwischen Liszt und Dingelstedt wird. Liszt will – die Kunst; Dingelstedt – nur sich. Das ist der Kampf. Dingelstedt hat meine Zischer bestellt. Er soll zum Großherzog gesagt haben: »Königliche Hoheit! ich hatte für den Fall, daß das Ding nach dem ersten Akt ausgepfiffen wurde, ein Lustspiel bereit,« worauf der Großherzog eine abweisende Bewegung gemacht haben soll. – Ich war den Tag darauf von Liszt beim Großherzog eingeführt, der äußerst gnädig und freundlich gegen mich war, mir zum Schluß Ruhm prophezeite und mir herzlich die Hand gab. – Liszt wird seit jenem Abend keinen Fuß mehr ins Theater setzen und fortan die Bühne – Dingelstedt und den Seinigen überlassen. – Der 17. Dezember, Beethovens Geburtstag, wurde zu einem glänzenden Triumph für Liszt und uns. Dingelstedt hatte einen Prolog bei mir bestellt, und ich denselben zwei Tage vor meiner Aufführung geschrieben. Herr v. Milde [der Kalif, meine eigne Wahl, Dingelstedt wollte Herrn Grans] sprach den Prolog mit einer schönen männlichen Begeisterung, wurde schon in der Mitte von einem Applaus unterbrochen, der durchaus nur vom Publikum selber ausging. Zum Schluß folgte anhaltender Beifall, in welchen die Großherzogin, so lange er dauerte, mit einstimmte. Ich wartete auf Mildes Erscheinen, und blieb im Parkett sitzen, bis man nach mir schickte – wo ich denn schleunig hinauflief, um an Mildes Hand vor das Publikum zu treten. – Von nun an ging das Konzert mit einer Weihe, einer Aufnahme seinen Gang, die unvergleichlich war – bis zuletzt nach einer Ausführung der A dur-Sinfonie, wie sie vielleicht noch nicht gehört worden, ein allgemeiner enthusiastischer Zuruf Liszt an sein Pult rief ...
Liszt soll – so wurde mir von Zuhörern mitgeteilt – an diesem Abend mit unerhörtem Feuer und ansteckendem Enthusiasmus dirigiert haben, so daß der Jubel kaum ein Ende finden konnte.
Übrigens waren die unangenehmen Ereignisse dieser Tage noch nicht beendet. Wie wir durch Lassen wissen, war Frau Viardot in Weimar. Sie sang am 19. Dezember »Norma« und am 22. die »Rosine« im »Barbier von Sevilla«. Lassen schreibt darüber am 30. Dezember:
Wenn auch ihre Stimme sehr abgenommen hat, so bleibt sie doch immer die große Künstlerin, die wir als »Fides« im »Propheten« kennen – und wirklich! ihre »Rosine« ist à faire damner un saint!
8. Januar 1859: Was Dingelstedt während der Anwesenheit von Frau Viardot gethan hat, ist skandaleus. – Ich habe die feste Ueberzeugung, daß die ganze Sache mit Cornelius von Dingelstedt eingerichtet worden ist. Das Publikum war nicht daran schuld, denn die Mehrzahl, die früher gegen Liszt war, nähert sich ihm jetzt, aus Widerspruch gegen Dingelstedt.
In den herausgegebenen Briefen von Liszt sind einige Billetts von Frau Viardot an ihn, die zeigen, daß sie durch das Benehmen des Generalintendanten sehr gekränkt und geärgert war. Auch Liszt erwähnt die unangenehme Sache später in einem Brief, aber die eigentlichen Vorkommnisse konnte ich nicht mehr aufklären.
Dingelstedt hat dann am 19. Januar 1859 an Liszt geschrieben und ihn gefragt, ob er etwas von Differenzen zwischen dem Hofkapellmeister Liszt und dem Generalintendanten Dingelstedt wisse, von denen eine Korrespondenz aus Weimar in der »Allgemeinen Zeitung« berichte? Worin diese Differenzen beständen und inwiefern sie mit seinem Rücktritt von der Oper zusammenhingen? – Liszt hat nicht geantwortet, und so schrieb Dingelstedt am 21. Januar dringender, wiederholte seine Fragen und fügte hinzu:
Ich rechne um so gewisser auf eine Antwort, als Du Selbst jetzt von ersichtlichen Differenzen zwischen dem General-Intendanten und dem Hofkapellmeister sprichst, während ich von deren Bestand oder gar Notorietät bis zu dem, meines Erachtens weder von Dir noch von mir zu ignorirenden Artikel der Allgemeinen Zeitung keine Ahnung gehabt habe.
Ob Liszt auf diesen Brief geantwortet hat? Ich glaube es nicht. – In ihm reifte der Gedanke, Weimar zu verlassen, wenn nicht Wandel in den Verhältnissen geschaffen würde, die ihn längst durch ihre Engigkeit bedrückten und sich jetzt, durch Dingelstedts Machinationen gegen ihn, zur Unerträglichkeit auswuchsen.
Am 14. Februar schrieb Liszt einen langen Brief an Karl Alexander, um zu sagen, daß der Sturm bei der Aufführung des »Barbier von Bagdad« nur der Tropfen gewesen sei, der den vollen Becher zum Überfließen gebracht habe; über kurz oder lang hätte er – mit Dingelstedt oder einem anderen Intendanten – sagen müssen, daß er in diesen engen Verhältnissen nicht weiter arbeiten könne; weder der Ehre des Großherzogs noch seiner eigenen sei es würdig. Er stellt noch einmal die Punkte auf, auf denen er bestehen müsse, die ihm zwar nie ganz verweigert, aber nur von Fall zu Fall und ungern gewährt worden seien. Er sagt, daß seine Stellung nach außen nicht nur eine sehr unangenehme sei, sondern auch eine schmerzliche, daß er nicht noch ideale Verluste erleiden könne. Das Wenige, was er sich erspart, würde genügen, einige Jahre zurückgezogen zu leben und zu arbeiten:
Man sagt so viel Schlechtes von meinen Arbeiten, daß sie entweder sehr gut oder sehr schlecht sein müssen ... Wollte ich meine Funktionen hier fortsetzen, so gäbe ich Ihnen das, was mir keine Summe ersetzen kann; meine Zeit und mein Renommee. Die Dankbarkeit kann mir jedes Opfer auferlegen, nur darf es nicht nutzlos sein ...
Welches auch die Entscheidung ist, die Ew. Königliche Hoheit trifft, es wird die Richtige sein. Ich begreife, daß die Kunst und der Künstler ein überflüssiger Luxus sein können, daß ich in mehrfachem Sinne für Weimar unnöthig bin, daß ich hier von allen Seiten Geringschätzung erfahre und daß man mich gern einen banalen, philisterhaften Weg einschlagen sähe. Je mehr ich unter solchen Dingen zu leiden habe, je mehr ist es meine Pflicht gegen mich selbst und eine Andere, die mir theurer ist als das Leben und alle Ehren der Welt, daß man mir einst nachsagen kann, ich hätte ein besseres Los verdient.
Liszt hielt sein Wort, er dirigierte nicht wieder.
Hätte man es damals verstanden, ihn Weimar zu erhalten, seinen Wunsch, eine Musikschule zu errichten, erfüllt, wie ganz anders hätte sich die musikalische Zukunft Weimars gestaltet! Daß er keine sichtbare Frucht seines Wirkens hinterlassen, daß er seine Energie auch später nicht auf einen bleibenden Punkt konzentrieren konnte, blieb ein Schmerz für ihn. Aber mit allem guten Willen, Weimar groß zu machen, hatte Karl Alexander keinen weitausschauenden Blick. Den größten Künstler, den er schon hier hatte, seinen ergebenen, selbstlosen Freund, ließ er gehen und wandte sein Interesse der Kunstschule zu, die jahrelang nicht recht leben konnte und auch nicht sterben sollte. Da Liszt jetzt für sich selbst hätte reden und bitten müssen, tat er es nicht; er behielt, trotz seiner späteren Wiederkehr und seiner Anhänglichkeit an Weimar und sein fürstliches Haus, seit jener Zeit eine Bitterkeit im Herzen, die nur von denen verstanden wurde, welche ihn sehr gut kannten und diese Zeit mit ihm erlebt hatten.
Cornelius spürte auch bald, daß seines Bleibens hier nicht mehr sei, und verließ sein geliebtes Weimar schweren Herzens, denn er hing mit seinem ganzen Sein, mit Liebe und Freundschaft, hier fest und wußte kaum, wo er seine Schritte hinlenken sollte. Ohne Abschied reiste er ab, nur sein Intimus, der Bibliothekar Reinhold Köhler, erhielt einen Zettel mit kurzem Gruß an den Freundeskreis und der Unterschrift: » A rivederci – il fuggitivo Pietro.«
Aus Mainz, seiner Vaterstadt, schrieb er am 18. Februar 1859 an Liszt:
Dadurch, daß Sie mir zu der Aufführung meiner Oper verholfen, haben Sie mich zu dem Manne gemacht, der ich fortan unbeirrt und unerschrocken sein werde. Musik und Literatur – in allen ihren Wechselbeziehungen, in Lehre, Theorie, Vertretung, Durchdringung beider, mit ihrer unerschöpflichen Anregung zur Produktivität, das ist die Fahne, welche ich als ein fester und unermüdlicher Mensch in der Hand halten will, und in den Feldern, die ich da erstürme, muß auch zuletzt der Kartoffelacker sein, von dem ich leben kann. Ich habe in jeder Hinsicht meine hohe Schule durchgemacht und nehme mit aller Kühnheit und allem Selbstvertrauen mein Geschick in meine eigne Hand. Walt' es Gott!
Liszt schrieb am 23. August an Cornelius:
Zögern Sie nicht zu lange (mit dem Druck des »Barbier von Bagdad«), lieber Freund – und glauben Sie mir, wenn ich Sie abermals versichere, daß das Werk ein ebenso vorzügliches, als die Intrigue, der es hier unterliegen mußte, eine niederträchtige war ...
Die Zustände am damaligen weimarischen Theater kennzeichnen sich durch zwei Briefstellen. Liszt schrieb am 12. Januar 1859 an Dräsecke:
Nach Ihrer Abreise von Weimar hatten wir noch eine Art von Seitenstück oder Supplement zu der Vorstellung des »Barbier von Bagdad«, bei Gelegenheit des Gastspiels von Frau Viardot, zu verschlucken. Ich will Sie aber mit Erzählungen unsrer Local-Miseren und crassen Unschicklichkeiten nicht langweilen. Nur so viel sei angedeutet, daß bei dem jetzigen intendantlichen Regime, zu meinem Leidwesen, das Gastspiel der Frau Schröder-Devrient von vornherein auf fast unüberwindliche Hindernisse stößt.
Anfang 1859 schrieb Cornelius aus Mainz humoristisch an Liszt:
Im Uebrigen beginnen die bedauerlichen Zwiespältigkeiten der Weimarer Verhältnisse auch schon bedrohliche Folgen für das weitere Vaterland nach sich zu ziehen. Der berühmte Violinist Singer aus Weimar wurde zum heutigen Mittwochconcert der Liedertafel erwartet, hat aber abtelegraphirt, vermuthlich aus sehr begreiflichen Verhinderungsgründen!
Daran ist Schuld, was gilt die Wett',
Doch nur der König Dingstichlett!
»Frauenlob«, die neue Oper von Lassen, sollte am 8. April, am Geburtstag der Großherzogin Sophie, gegeben werden, Dingelstedt setzte aber anstatt dessen »Teufels Anteil« auf das Repertoir. Lassen schrieb darüber am 13. März 1858:
»Frauenlob« habe ich so gut wie fertig. Mittwoch hat sich Liszt bei mir angesagt, um es zu lesen. Er ist empört, daß man nicht meine Oper gewählt hat, er that sein Möglichstes dafür, aber der Intendant hat die Billigkeitsfrage in den Vordergrund gestellt, die für ihn die wichtigste ist. Ich weiß, daß ich mein Bestes gethan und muß mich in das Unvermeidliche fügen.
Vom 1. bis 4. Juni wurde ein Musikfest in Leipzig gegeben, welches insofern von Bedeutung war, als bei dieser Tonkünstlerversammlung, wie schon erwähnt, der »Allgemeine deutsche Musikverein« gegründet und Liszt zum Präsidenten desselben gewählt wurde. Lassen schreibt am 6. Juni:
Ich war in Leipzig und bin gestern zurückgekommen. Das Fest war sehr brillant und der Zweck der Aufführung ist – gegen meine Erwartungen – zum Theil gelungen. Natürlich waren nicht alle Gegner der Zukunftsmusik versammelt, aber man hat sich doch gesehen und kennen gelernt, dadurch wird die Bitterkeit in den Angriffen nachlassen. Liszt hatte großen Erfolg mit seinem »Tasso«, und die »Graner Messe« ist wirklich sehr schön, besonders der erste Theil hat mir großen Eindruck gemacht. Die Sitzungen waren höchst interessant und das Resultat war, daß wir eine Künstlervereinigung gegründet haben, eine Gesellschaft wie sie in Deutschland noch nicht existirt. – Die Fürstin Wittgenstein war mit ihrer Tochter zu dem Fest von München zurückgekommen. Prinzeß Marie hat mir ein Petschaft mitgebracht, von Gold und Agath, mit der Devise: » altius«, die ich zu verdienen suchen werde.
Was der »Allgemeine deutsche Musikverein«, von dem Lassen berichtet, für die Verbreitung der Zukunftsmusik getan, und daß er heute noch alljährlich bei seinen Festen die Kompositionen der jungen, noch unbekannten Musiker aufführt, ist wohl nicht nötig näher auszuführen. Liszts größtes Streben war, der Jugend auf ihrem Wege zu helfen, und dem Zweck sollte – wie seine Bestrebungen hier bewiesen haben – auch besonders das weimarische Hoftheater dienen.
*
Die Beziehungen Friedrich Hebbels zu Weimar hatten schon im Jahre 1852 mit der Aufführung seiner »Agnes Bernauer« begonnen, der er aber nicht beigewohnt hatte. Erst im Mai 1857 lernte er die Stadt der Erinnerungen kennen und schrieb mit tiefster Empfindung über seine Besuche im Goethe- und im Schillerhause an seine Frau.
Im Frühjahr 1858 frug Dingelstedt bei ihm an, ob er seine »Genoveva« am 24. Juni, zu Großherzogs Geburtstag, geben solle, und lud Hebbel ein, dazu hierher zu kommen. Dieser nahm beide Vorschläge an, und Liszt – der immer voraus Sorgende – schrieb am 17. Juni an den Großherzog nach Italien:
Im Fall Hebbel zu der Aufführung seiner »Genoveva« am 24. hierher kommt [zu welcher Lassen einige der besten Stücke aus Schumann's Oper gleichen Namens als Zwischenaktsmusik ausgesucht hat], darf ich wohl Ew. Königliche Hoheit dringend bitten, den weißen Falken nicht im Käfig zu behalten, sondern seinen Flug auf das Knopfloch eines Poeten von so seltenem und hohem Fluge zu lenken. Es scheint mir sehr am Platze, daß dieser Bote Ihrer Gnade am 24. Abends bei Hebbel eintrifft.
Der Dichter kam am 22. Juni an und überraschte Dingelstedt und die Schauspieler im Theater bei der Probe zu seiner »Genoveva«, worüber er sehr humoristisch an seine Frau berichtet. »Hebbel's Briefe an seine Frau«, herausgegeben von Bamberg. (Berlin 1890-91.) Weimar erinnert ihn an seine Heimat Wesselburen:
Alles unglaublich eng und klein ... In Weimar muß man entweder Goethe – oder sein Schreiber sein ... Die Weimaraner haben Genoveva mit verwunderten Augen angesehen, sie aber nichtsdestoweniger acceptirt und sowohl mich wie die Darsteller öfter gerufen ...
Lassen schreibt über diese erste Aufführung:
Ich kann nicht sagen, welch großen Eindruck mir das Stück gemacht hat, es ist eine der schönsten Sachen, die ich noch gesehen habe. Die Musik macht sich sehr gut dazu. Hebbel ist hier, nach der zweiten Aufführung werden wir ihm ein Souper geben. Gestern Abend waren wir im russischen Hof, Hebbel, Liszt, Dingelstedt etc.
Daß Champagnerpunsch gebraut wurde und Oskar Schade einen Vortrag über Metrik hielt, erzählt Hebbel seiner Frau, auch daß er sich gefreut habe, selbst beim Punsch etwas zu lernen, und daß Liszt und Dingelstedt sich deshalb über ihn amüsiert hätten. Hebbel wurde zur Großfürstin nach Belvedere geladen, da der Großherzog mit Gemahlin noch in Italien weilte. Der Dichter schreibt über dieses Diner:
Ich dachte fortwährend: das ist die Tochter Kaiser Pauls, der ermordet wurde, indeß man ihr, als kleines Mädchen, im Nebenzimmer laut Klavier spielte, damit sie das Todesächzen des erwürgten Vaters nicht hörte; das ist die Schwester des gewaltigen Nikolaus, der ein so plötzliches Ende fand, wie ein Schieferdecker; das ist dieselbe Maria Paulowna, an die Schiller vor mehr als einem halben Jahrhundert die »Huldigung der Künste« richtete! Trotz des modern-frivolen Bodens, auf dem die Scene vor sich ging, war mir zu Muth als träumte ich von Shakespeare; übrigens ist sie trotz ihrer 72 Jahre eine imponirende Erscheinung, die dem Bruder alle Ehre macht und Hoheit mit Milde und Sanftmuth vereinigt ...
Am 26. Juni schreibt Hebbel an seine Frau: Friedrich Hebbels Briefwechsel mit Freunden und berühmten Zeitgenossen, herausgegeben von Felix Bamberg. (Berlin 1892.)
Inzwischen war bei Dingelstedt aus Luzern vom Großherzog nachstehende telegraphische Depesche eingelaufen: »Genoveva am 30sten wiederholen; Hebbel festhalten!« Da hast Du mein und Dein Schicksal für die nächsten Tage! Abends auf der Altenburg große Gesellschaft, wo Liszt spielte, was er nur sehr selten thun soll; Zigeuner-Rhapsodien, durch die er mich allerdings auch electrisirte. Am Klavier ist er ein Heros; hinter ihm in polnisch-russischer Nationaltracht mit Halb-Diadem und goldenen Troddeln die junge Fürstin, die ihm die Blätter umschlug und ihm dabei zuweilen durch die langen, in der Hitze des Spiels wild flatternden Haare fuhr. Traumhaft phantastisch! Neben mir ein junger Dichter, Adolph Stern, Verfasser eines epischen Gedichtes, Jerusalem, das ich schon in der Illustrirten Zeitung besprochen und gelobt habe; er flog an allen Gliedern und wurde todtenbleich, als er mir vorgestellt wurde, ist aber ein gar herziger Junge und vertraute mir, als ich ihm durch einige Scherze wieder zu Athem verhalf, daß er in Zittau, wo er lebt, im letzten Winter Vorlesungen über mich gehalten hat. Ein ewiger Kreislauf! Wie ich einst vor Uhland, stehn sie jetzt vor mir und die noch in der Wiege liegen, werden wieder vor ihnen liegen und sie entschädigen! ...
Weimar, den 1. Juli 1858: ... Der Großherzog kam vorgestern zurück und ließ sich gestern die Genoveva wiederholen. Er bezeigte Dingelstedt schon nach dem dritten Act seine hohe Zufriedenheit und ließ mich zwischen dem fünften und sechsten in seine Loge herauf rufen. Hier sagte er mir, indem er meine Verbeugung dadurch abschnitt, daß er mir freundlichst die Hand reichte, viel Verbindliches und wirklich Einsichtiges über das Stück, meinte, meine Lebensschicksale hätten daran wohl mit gearbeitet und überreichte mir sodann den Orden seines Hauses, den Wunsch hinzufügend, daß ich der Devise treu bleiben möge. Das Alles geschah auf eine so schöne und liebenswürdige Weise, daß es mich innerlich rührte und daß ich ihm, obgleich ich die Orden wahrlich nicht darum mit gleichgültigen Augen betrachtet habe, weil sie mir zu hoch zu hangen schienen, wie dem Fuchs die Trauben, von Herzen danken konnte Daraus ergibt sich, daß das undatierte Billett des Großherzogs im »Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Karl Alexander, herausgegeben von La Mara« (Leipzig 1909, S. 102) in den Juni 1858 versetzt werden muß und sich auf Hebbel bezieht, nicht – wie La Mara vermutete – in den August 1861. Sie glaubte dasselbe auf R. Wagner beziehen zu müssen. Jetzt aber wissen wir aus R. Wagners »Mein Leben«, daß der Großherzog es Liszt abgeschlagen hat, ihm den am 17. März 1861 für Wagner verlangten Orden zu geben. ...
Friedrich Hebbels Briefe. Nachlese in 2 Bänden, herausgegeben von Rich. Maria Werner. (Berlin 1900.)Weimar, den 3. July 1858: ... Von der Fürstin Wittgenstein bringe ich in wohlgepackter Schachtel etwas mit, was Titi's Wohlgefallen in hohem Grade erregen wird: eine sehr schöne Nips-Figur. Die Prinzessin hat mir das erste rothe Band in den Frack geknöpft und Liszt [ein durch und durch nobler Mensch, der mir sehr werth geworden ist!] hat mir mit einem Falkenorden in verjüngter Gestalt [der Großherzogliche ist zum Tragen etwas groß] ein Geschenk gemacht, das mich drücken würde, wenn ich nicht wüßte, wie ich mich revanchiren kann ...
Am 2. Juli war Hebbel bei dem Großherzoglichen Paar in Ettersburg zur Tafel:
Die Großherzogin, eine holländische Prinzessin, mit heiterem, vergnügten Gesicht, unterhielt sich lange mit mir und brauchte manche schalkhafte Wendung ...
Hebbel verkehrte natürlich viel auf der Altenburg; Liszt sowohl wie die Fürstin Wittgenstein interessierten sich warm für ihn und seine Werke. Prinzeß Marie Wittgenstein trat dem ernsten Manne in ihrem jugendlichen Liebreiz mit großem Enthusiasmus entgegen, und als sie ihm nach der Aufführung der »Genoveva« in der Theaterloge, aus ihrem warmen Empfinden heraus, eine Rose gab, da erschien sie dem Dichter wie eine Elfe, deren Herz durch sein Werk erwärmt worden war. Von da an hegte er eine liebende Verehrung für sie, die wohl nur mit seinem Tode erloschen ist.
Anfang September 1859 kehrte Hebbel wieder in Weimar ein. Er besuchte Liszt und schrieb am 5. an seine Frau:
Gestern Abend gelang es mir, Dingelstedt und Liszt wieder zusammen zu bringen; hätte ich geahnt, daß sie Beide hier seyen, wäre ich nicht gekommen, nun aber habe ich ein Werk vollbracht, wie Johanna von Orléans, als sie den Herzog von Burgund und den König Carl miteinander versöhnte.
Auch von einem Wiedersehen mit Prinzeß Marie, die sich indessen mit dem Prinzen Konstantin von Hohenlohe-Schillingsfürst verlobt hatte, berichtet Hebbel.
Hebbels große Dichtung, die »Tragödie der Nibelungen«, erlebte in Weimar ihre Uraufführung am 31. Januar 1861. An diesem Tage wurden, in Gegenwart des Verfassers, die beiden ersten Teile gegeben, »Der gehörnte Siegfried« und »Siegfrieds Tod«. Ich erlebte diesen großen Eindruck mit und sah Hebbel im Theater, wo das Publikum ihn mit großer Wärme begrüßte. Am 2. Februar las er den dritten Teil, »Krimhilds Rache«, am Hofe vor und schrieb danach an seine Frau, daß der Großherzog ihm mit bewegter Stimme gesagt habe:
Ich halte Ihre Nibelungen für das Höchste, was seit Schiller und Goethe in Deutschland gemacht ist, ich bin als deutscher Fürst stolz darauf, daß solch ein Werk zu meiner Zeit entstehen konnte, und freue mich von ganzem Herzen, daß ich es zuerst hören durfte.
Hebbel war auch bei der Schubertfeier zugegen, die am 1. Februar, dem 64. Geburtstag Schuberts, in dem neuen Erholungsgebäude am Karlsplatz gegeben wurde. Stör hatte die Sache angeregt und Liszt stand an der Spitze des Komitees. Die Herrschaften und die ganze Gesellschaft waren zugegen. Ein Prolog von Richard Pohl, gesprochen von Fräulein Röckel, machte den Anfang, dann folgte das Konzert, in dem lauter Schubertsche Kompositionen gegeben wurden: »Streichquartett D-moll«; »Erlkönig« und »Auf dem Wasser«, gesungen von Frau v. Milde; das »H-moll-Rondo«, von Liszt und Singer vorgetragen; zum Schluß spielte Liszt Schubertsche Walzer, die er hinreißend wiedergab. Darauf wurde soupiert und zuletzt getanzt, wobei nur Tänze von weimarischen Komponisten – Stör, Lassen, Sachse, Pflughaupt und Jungmann – gespielt wurden. Das sehr fröhliche Fest endete erst in den frühen Morgenstunden.
Hebbel schrieb am 2. Februar darüber an seine Frau:
Ich wohnte einer Schubert-Feier bei, die mit einem großen Ball schloß; auch dort, vor dem ganzen Publikum, sprach der Großherzog mir noch einmal seine Anerkennung aus, immer mit den Worten, es sey ihm ein inneres Bedürfniß. Daß sich, nach solchem Vorgang, alle Uebrigen anschlossen, brauche ich nicht zu sagen. Der alte russische Gesandte, Baron v. Maltitz, selbst Dichter, sprach von Shakespeare, auch die Damenwelt blieb nicht zurück. Am meisten Freude bereitete mir aber ein Toast des Oberbibliothekar's, Hofrath Preller, weil ich ihn als einen sehr kaustischen Kopf kenne, der so wenig Phrasen machen kann, wie ich ... Ein Franzose sagte sehr gut, durch das ganze Stück gehe ein Wild-Geruch, wie im Hochwald; es sind mehrere hier und Einer schreibt einen Artikel darüber für Paris.
Danach hatte der Großherzog in Wien am Burgtheater um Urlaub für Frau Hebbel gebeten, damit sie in Weimar »Brunhild« und »Krimhild« in Hebbels »Nibelungen« spielen könne. Sie begann ihr Gastspiel am 11. Mai mit »Maria Stuart«, am 16. gab sie »Brunhild« im 2. Teil der »Nibelungen« – der schon im Januar gegeben worden war – und am 18. »Krimhild« in »Krimhilds Rache«, das jetzt seine Uraufführung erlebte. Die erste »Brunhild« war Frau Hettstedt anvertraut gewesen, trotzdem sie zu zart für diese mächtige Rolle war, so gab sie dieselbe gut, wie alles, was sie anfaßte, denn sie war eine sehr verständnisvolle Schauspielerin. Frau Hebbel spielte großartig und bedeutend, aber etwas hart und derb. Deshalb paßte sie besser für die Figuren in den »Nibelungen« als für »Maria Stuart«.
Lassen schrieb darüber:
Große Freude hat es mir gemacht, einen sehr schönen Autograph von Hebbel zu bekommen. Man hat hier seine »Nibelungen« gegeben, ein Drama in drei Stücken, eine wundervolle Konzeption. Ich habe melodramatische Musik zum dritten Theile gemacht, die Hebbel sehr gut gefallen hat; ehe er abreiste, hat er mir ein sehr hübsches kleines Billet geschickt.
Hebbel schrieb am 4. Juni 1861 an Dr. Otto v. Schorn in Weimar: In der »Nachlese zu Hebbels Werken«, herausgegeben von Werner, zum erstenmal abgedruckt. (Berlin 1900.)
Verehrtester Herr! Auf meiner Rückreise sah ich in der Leipziger Illustrirten Zeitung an der Gasttafel zu Prag über unsre Weimarische Nibelungen-Aufführung einen Artikel, den ich nach den Initialen, die darunter standen, nur Ihnen zuschreiben kann. Empfangen Sie meinen herzlichen Dank, zunächst für das Wohlwollen, womit Sie mich behandelt, dann aber auch und noch mehr für die Form, in der Sie Ihr Wohlwollen ausgedrückt haben. Nichts könnte mir erwünschter seyn, als wenn die Kritik, so weit sie es überhaupt der Mühe werth findet, sich mit meiner Arbeit zu beschäftigen, die von Ihnen aufgestellte Ansicht zu der ihrigen machen möchte, denn nur auf Ihrem Standpunkt verliert ein Unternehmen, das im Widerspruch mit der Meinung höchst gewichtiger Aesthetiker begonnen und zu Ende gebracht wurde, den Charakter des Verwegenen und Tollkühnen, das ihm auf jedem anderen vorgeworfen werden müßte. Goethe hatte keine Ursache, von seinem »Götz« zu sagen, daß er nur verstanden habe, die Blumen eines großen Daseyns abzupflücken; ich aber habe wirklich nur die in dem alten Gedicht vollständig vorhandene, aber verworren umher gestreute, große Tragödie mit vielleicht nicht ungeschickter Hand zusammengerückt und faßlich gemacht. Davon war ich immer überzeugt und bin es seit der Darstellung nur noch mehr. Empfangen Sie noch einmal meinen besten Dank und seyen Sie herzlich, auch von meiner Frau, gegrüßt.
Hochachtungsvoll und ganz ergebenst
Fr. Hebbel.
Seit Friedrich Hebbel im Mai 1861 mit seiner Frau in Weimar gewesen, wünschte das Großherzogliche Paar diese beiden bedeutenden Künstler hier zu fesseln; ihn als Bibliothekar – denn Ludwig Preller war im Sommer 1861 gestorben – sie als Schauspielerin. Aber es wurden Intrigen gesponnen, um das zu verhindern, denn Dingelstedt war besorgt, Hebbels Einfluß auf die Herrschaften könne seiner Machtstellung schaden. Im Oktober war Hebbel in Berlin, zu gleicher Zeit mit dem Großherzog und der Großherzogin. Nachdem er am 26. schon an seine Frau geschrieben, daß Putlitz ihm abgeraten habe, nach Weimar zu gehen, und Cosima v. Bülow ihm gesagt, es ärgere Dingelstedt, »daß es einen Punkt gebe, wo die Concurrenz aufhöre, nämlich den moralischen Charakter«, berichtet er am 29., daß er beim Großherzog war, der »keine Ahnung von der wirklichen Lage der Sache hat, er brennt auf unsere Uebersiedelung und ist zu jeder Unterstützung bereit«. Aber die Großherzogin durchschaute mit ihrem scharfen Verstand die Verhältnisse ganz anders als ihr idealistischer Gemahl, sie nannte Dingelstedt » un caractère abominable« und warnte Hebbel vor ihm. Sie beteuerte ihm, daß ihre Wünsche ganz dieselben geblieben seien, könne ihm aber doch nicht zureden, nach Weimar zu kommen. Sie wußte genau, daß man ihm nicht genug bieten konnte, um die Unannehmlichkeiten, die beide Hebbels erwarteten, aufzuwiegen. Ebenso hatten Marshall und Beaulieu ihm die Situation erklärt, fast mit denselben Worten wie die Großherzogin. Dazu kam, daß Frau Hebbel mit allen Mitteln am Burgtheater festgehalten wurde und man ihr viel mehr zahlen konnte als in Weimar. So schrieb Hebbel am 9. November an Graf Beust, daß es ihnen nicht möglich sei, zu kommen, weil man seiner Frau die Entlassung verweigert habe.
Für die Bibliothekarstelle soll auch Paul Heyse in Aussicht genommen worden sein, den der Großherzog schon l858 bei der Münchener Ausstellung nach Weimar zu locken versuchte – aber vergeblich. Schließlich wurde Hofrat Adolph Schöll Oberbibliothekar und Schuchardt wurde die Beaufsichtigung der Zeichenschule und der Kunstsammlungen übertragen.
Im August 1862 folgte Hebbel einer Einladung nach Wilhelmsthal. Er berichtet am 23. seiner Frau, wie die Großherzogin alles Mögliche tue, um ihm den Aufenthalt angenehm zu machen, sie habe sogar Marshall und Schöll eingeladen:
Sie selbst hat mich auf die Wartburg geführt und mir Alles explicirt, das Schloß, die Bilder und die Natur; ein neues Testament, das sie mir im Lutherzimmer zum Andenken schenkte, trete ich Dir ab. Sie ist nicht bloß eine edle, sondern auch eine tiefe Frau; ich hatte vor einigen Tagen ein Gespräch mit ihr, das an drei Stunden dauerte und sich über Alles verbreitete, was den Menschen auf Erden interessirt, und ich brauchte mir nicht den geringsten Zwang anzulegen, ich konnte sogar meinen Humor walten lassen. Dabei saßen wir in der Tannenhütte, in der das Reh herumspringt. Die Kinder spielten mit dem Thierchen, sie stickte, auch der Pudel Asmodeus fand Zutritt und wir ließen uns nicht einmal durch ein Gewitter vertreiben.
Der Großherzog jagt viel, doch habe ich auch ihn schon oft gesehen; mir wird von ihm, wie von ihr, ein unschätzbares Vertrauen bewiesen.
27. August: Die Großherzogin ist eine sehr bedeutende Frau; ich glaubte schon ein Maaß von ihr zu haben, habe es aber erst gestern erhalten. Man kann geradezu Alles mit ihr sprechen; die verschämtesten Träume und die kühnsten Phantasien wagen sich ans Licht und werden verstanden. Sie sagte, sie habe viel von ihrer Erzieherin gelernt, aber in negativem Sinn, nämlich was man nicht thun und wie man Menschen und Dinge nicht behandeln dürfe. Dabei beklagte sie sich, daß sie sich überall allein fühle, selbst im Kreise ihrer Familie und kaum mit einer oder zwei Personen halb und halb intim sey ... Mit den holländischen Fürstlichkeiten kam ich auf einen ganz hübschen Fuß; die Prinzessin (Amelie, Tochter des eben verstorbenen Herzogs Bernhard) ist groß und schlank gebaut, äußerst beweglich, fast ruschlig, hat scharfe, schalkhafte Augen und spricht so rasch, als ob kein Denken vorher ginge; der Prinz (Heinrich, Bruder der Großherzogin) ist ernst und schweigsam, fast verlegen, macht aber den Eindruck eines edlen Mannes, der er auch seyn soll.
Auf der Durchreise war Hebbel noch kurz in Weimar; er schreibt darüber am 29. aus Leipzig:
Ich aß mit Marshall und Schöll auf der Schießstatt zu Mittag. Wir wurden sehr guter Dinge; es sind Menschen, denen man die ganze Hand reichen kann, nicht bloß diesen oder jenen einzelnen Finger. Marshall besonders ist ein ganz köstlicher alter Knabe, der unmittelbar, wenn nicht aus dem Shakespeare, so doch ganz gewiß aus dem Walter Scott herausgesprungen scheint. Er ist durch und durch humoristisch, steckt voll der köstlichsten Geschichten und weiß sie vortrefflich anzuwenden, daß sie eine höhere Art Bilderschrift werden und sich dadurch gewissermaßen in sein Eigenthum verwandeln.
Über Schöll hatte Hebbel im Januar an Julius Campe, seinen Verleger, geschrieben:
Noch ganz kürzlich erhielt ich eine große und glänzende Kritik der »Nibelungen« vom Hofrath, jetzigen Oberbibliothekar Schöll zugesandt, der ehemals mein größter Antagonist war und mir jetzt mehr Ehre erweist, als ich mit gutem Gewissen annehmen kann.
So hatte sich Hebbel mit seiner Person und seinen Dichtungen Freunde erworben, und wie er selbst sich wohl hier fühlte, ersieht man aus den Zeilen an Schöll vom 23. September 1862 aus Wien:
Könnten die Geister, die in Fleisch und Blut stecken, sich melden, wie die abgeschiedenen, und klopfen wie sie, so hätte ich bei Dir und Marshall täglich einige Male geklopft, denn mit Euch habe ich nach langer Entbehrung einmal wieder ein menschliches Gespräch geführt, und das ist, wie das Seltenste, so für mich auch das Höchste auf der Welt.
Wohl die letzte Verbindung mit Weimar, die letzte Freude von hier aus, die Hebbel hatte, war seine Ernennung – im April 1863 – zum Privatbibliothekar des Großherzogs, von der er sagte, daß sie ihm keine Verpflichtungen auferlege, ihm aber in Wien nützlich sei. Es war eine Aufmerksamkeit des Fürsten für den Dichter, den er wenigstens nominell an sich fesseln wollte. Am 13. Dezember endete das Leben dieses hochbegabten Dramatikers.
*
Orchesterkonzerte hatte man früher, selbst unter Liszt, vergleichsweise wenig gegeben. Meist nur zwei im Jahre, zum Besten der Hofkapellmitglieder und ihrer Pensionskasse. Liszt führte manchmal eine Symphonie in den Zwischenakten der Schauspiele auf. Im Herbst 1859 gab die »Weimarische Zeitung« die Anregung zu Abonnementskonzerten, Dingelstedt ging darauf ein und eröffnete im Dezember den ersten Zyklus.
»Ein Wintermärchen« von Shakespeare wurde am 23. Oktober 1859 mit der Musik von Flotow zum ersten Male hier gegeben. Dingelstedt machte mit seiner Bearbeitung und Inszenierung ein Meisterwerk.
Anfang Januar 1861 gastierte der Schauspieler Otto Lehfeld als »König Lear«, »Wallenstein« und »Tell«. Er trat an Eduard Genasts Stelle, der nach dem Tode seiner Frau den Abschied genommen hatte und zum Ehrenmitglied ernannt wurde. Lehfeld war als Mensch ein Original – meist sind sie nicht bequem für ihre Angehörigen – und ein vortrefflicher Schauspieler. Seine große, wuchtige Gestalt, das markige Organ und der ausdrucksvolle Kopf eigneten sich gut für die Bühne. Er war eine leidenschaftliche, heftige, eitle, aber gutmütige Natur; schon seinem Gange sah man das entwickelte Selbstbewußtsein an. Er gefiel dem Publikum, selbst als »Wallenstein«, trotzdem Genast so vortrefflich in dieser Rolle war, wurde engagiert und spielte »Götz von Berlichingen« als Antrittsrolle. Im Herbst 1866 kam auch seine Frau an das Theater und gab bis in ihr hohes Alter die mütterlichen Rollen. Sie war eine brauchbare Schauspielerin, hervorragend aber nur als geduldige Frau ihres ungeduldigen Mannes. Man erzählte sich viele Anekdoten von ihm, z. B. daß er sich so in seine Rollen versetze, daß er zu Hause noch immer König oder Held zu sein glaube und auch königliche Verpflegung beanspruche. Einen Teller mit Schinken, den ihm seine Frau einst vorgesetzt, soll er mit den Worten zum Fenster hinausgeworfen haben: »Das ist kein Essen für einen König.«
Am 7. März wurde das Trauerspiel »Kaiser Heinrich IV.« von Karl Biedermann – von dem später die Rede sein wird – zum ersten Male aufgeführt. Da er selbst die Kritiken über das Schauspiel in der »Weimarischen Zeitung« schrieb, konnte er über sein eigenes Stück nur insoweit es die Aufführung betraf berichten. Er lobte Dingelstedts persönliches Eingreifen und Fördern, Doeplers streng historische und geschmackvolle Kostüme, Händels vorzügliche, geschickte dekorative Einrichtung, Lehfeld in der Titelrolle und Milde als älteren »Herzog von Lothringen«. »Namentlich erhielt in Herrn Mildes Munde die Rede von dem Verhältnis Deutschlands zu Frankreich einen so würdigen und warmen Ausdruck, daß lauter Beifall ihn lohnte.« Milde war einer der seltenen Künstler, die ebensogut als Schauspieler wie als Sänger sind. Aber auch als Sänger leistete er – infolge seines großen Stimmumfanges und seiner Unermüdlichkeit – mehr als jeder andere. So erbot er sich eines Tages, in der »Zauberflöte« »Sarastro« und den »Sprecher« zu singen. Der Großherzog schenkte ihm für diese vortreffliche Leistung die Trippelsche Goethebüste.
Lassen hatte mittlerweile Musik zu Hebbels »Nibelungen«, zu »Donna Diana« und zum »Wintermärchen« gemacht, ohne etwas dafür zu erhalten. Für den 1. Januar 1862 hatte Dingelstedt ihm Zulage versprochen. Da es nicht geschah, verlangte Lassen am 1. Februar seine Entlassung. Der Großherzog wollte seinen guten Kapellmeister aber nicht verlieren, und anstatt der Entlassung erhielt dieser 500 Taler Zulage und trat an die Stelle von Stör, der den Platz des verstorbenen Götze erhielt. Zum Geburtstag der Großherzogin komponierte Lassen einen Festmarsch.
In den Monaten Januar und Februar gastierte die schöne Frau v. Bulyowsky achtmal, u. a. in »Donna Diana« und »Sappho«. – Ende März kam dann die berühmte Tragödin Ristori mit ihrer italienischen Gesellschaft, sie gaben »Medea« von Legouvé und »Maria Stuart«. Lassen schrieb Anfang April:
Die Ristori ist göttlich!
Und Ende Juni über das Gastspiel von Döring:
Er spielte im »Liebesprotokoll« von Bauernfeld, im »Verschwiegenen wider Willen« von Kotzebue, am 24., zu Großherzogs Geburtstag, »Fallstaff« in »Heinrich IV.« Dann kommt noch »Adam« im »zerbrochenen Krug«, »Der Geizige« und »Nathan der Weise«. Ich esse mit Döring im Erbprinzen, er ist ein sehr interessanter Mann, gut konservirt, denn er ist über 60 Jahre. Er erzählt gut und hat ein großes Talent für Mimik; wenn er Jemand nachmacht, so hört und sieht man Denjenigen in frappantester Aehnlichkeit vor sich.
Im Herbst 1862 begann Fräulein Bußler ihre Tätigkeit mit »Thekla« in »Wallenstein«. Sie errang sich die Liebe des Publikums durch ihre Kunst und ihre Persönlichkeit.
Die beiden Shakespeareschen Lustspiele »Viel Lärm um nichts« und »Die Komödie der Irrungen« wurden am 17. und 20. Dezember in vorzüglicher Weise, unter Dingelstedts eigener Regie, gegeben. Dergleichen machte ihm so leicht niemand nach.
Am 1. Januar war alljährlich ein Hofkonzert im großen Saal. 1863 sang Johanna Wagner in demselben und der vortreffliche Geiger Sivori spielte. Erstere sang auch in einer Matinee bei der Frau Großherzogin. Am 3. gastierte sie als »Iphigenie« von Goethe und zeigte sich hier zum erstenmal als Schauspielerin. Ihr Spiel war stilvoll und großzügig, im Sprechen bemerkte man noch etwas die Angewohnheiten der Sängerin.
Am 7. Januar 1863 trat ein Weimarer Bürgerkind, Marie Schulz, zum erstenmal als »Marianne« in den »Geschwistern« auf. Sie errang sich durch ihre Schönheit, ihr frisches, natürliches Spiel und ihr munteres Wesen bald aller Herzen; wenn sie eine lustige Rolle gab, so lachte der Schelm aus ihren schönen, braunen Augen, so daß sie bald der erklärte Liebling des Publikums war. Sie spielte bis 1874, bis zu ihrer Verheiratung mit Karl Ruland, dem Direktor des Museums.
Eine ebenfalls sehr jugendliche Künstlerin, Marie Trautmann aus dem Elsaß, gab am 9. Februar ein Konzert im Stadthaus und erregte große Bewunderung durch ihr vorgeschrittenes Klavierspiel. Sie heiratete später den Klaviervirtuosen Alfred Jaëll, mit dem sie Konzertreisen machte. Nachdem sie Witwe geworden, kehrte sie als Lisztschülerin hierher zurück.
Am 23. gab Hans v. Bülow ein Theaterkonzert zum Besten der Schillerstiftung, in dem er spielte und Lassen dirigierte; Gutzkow hatte einen Prolog dazu gedichtet, den Schauspieler Grans vortrug. Dann folgten Tondichtungen von Beethoven, Liszt, Lassen und Bülow. Daß das eminente Klavierspiel Bülows Stürme von Applaus hervorrief, kann man sich denken. Bald darauf ernannte ihn die philosophische Fakultät in Jena zum Dr. honoris causa.
Shakespeares »Richard II.« wurde am 28. März nach Dingelstedts Bearbeitung und unter seiner Regie, mit melodramatischer Musik von Lassen, mit großem Erfolg gegeben. Dingelstedt machte darauf bekannt, daß er die sieben Dramen, die die Kämpfe der Häuser Lancaster und York, den Krieg der weißen und der roten Rose, behandeln, im Winter einzeln aufführen, und sie im Frühjahr 1864 – zur Säkularfeier von Shakespeares Geburt (23. April 1764) – als Zyklus geben werde.
Dingelstedt verstand es, bei den Gesellschaften in seinem Hause immer etwas Besonderes vorzunehmen. In dieser Zeit las er eines seiner Gedichte unnachahmlich schön vor und Lassen improvisierte am Klavier die Begleitung dazu.
Am Geburtstag der Großherzogin gab man in diesem Jahre die wunderschöne Oper »Beatrice und Benedikt« von Hector Berlioz. Den Text hatte der Komponist – nach Shakespeares »Viel Lärm um nichts« – selbst bearbeitet und ihn von Richard Pohl ins Deutsche übersetzen lassen. Königin Augusta war bei der ersten Vorstellung zugegen. Lassen schreibt darüber:
Berlioz war vierzehn Tage hier und hat seine Oper zweimal dirigirt. Sie ist nicht für das große Publikum, aber sehr interessant für den Musiker. Ich habe Berlioz viel gesehen, er hat mir seine »Trojaner« vorgelesen, die mir sehr gefallen haben. Er hat auffallend gealtert und ist moralisch gedrückt, der brillante Mann von früher war kaum wieder zu erkennen, aber er hat noch Momente, in denen er Feuer und Flamme für die Kunst ist.
Daß Berlioz die Abwesenheit seines Freundes Liszt hier sehr schmerzlich empfand, ist wohl zu glauben, ob er aber seine Gefühle so drastisch ausdrückte, wie Kantor Gottschalg es in seinen »Erinnerungen« Herausgegeben von Réné. (Berlin 1910.) erzählt, ist mir zweifelhaft, weil es zu wenig zu Berlioz' Wesen paßt. Dieser soll im Westen der Stadt, angetan mit einem hellen Flausrock, auf einem Steine sitzend, gefunden worden sein, wie er weinend den Kopf in die Hände gelegt habe. Auf Befragen, was ihm fehle, habe er nur immer wieder: »Liszt, Liszt!« gestöhnt.
Anfang Juni wurde der Geiger August Kömpel als Konzertmeister am Theater angestellt, der sich langsam aber sicher in die Gunst des Publikums hinein geigte und bis zu seinem Tode Weimar treu blieb. Er war ein vortrefflicher Künstler, der sehr dazu beitrug, das musikalische Leben Weimars auf hoher Stufe zu erhalten.
Anfang Juni gastierte Niemann als »Troubadour« und »Tannhäuser« und den Schluß des Theaterjahres machten die Aufführungen von »König Heinrich IV.«, 1. und 2. Teil. Sie bildeten später in dem von Dingelstedt veranstalteten Shakespeare-Zyklus das 2. und 3. Stück.
Die Saison 1863 wurde am 17. September – zur Vorfeier des 50jährigen Gedächtnisfestes der Schlacht bei Leipzig – mit dem Schauspiel von Hans Köster (dem Vater des jetzigen Großadmirals), »Hermann der Cherusker«, eröffnet. Ein Triumphmarsch von Stör und ein Prolog von Köster leiteten den Abend ein.
Als Nachfeier von Schillers Geburtstag gab Dingelstedt am 11. November die »Wallenstein-Trilogie« an einem Tage. »Wallensteins Lager« fing um 11 Uhr vormittags an, die »Piccolomini« um 2 Uhr und »Wallensteins Tod« um 6 Uhr abends. Das war ein wirkliches Fest für alle Theaterbesucher; der mächtige Eindruck, den man davon hatte, schlug alle kleinen Bedenken nieder, die vorher dagegen ins Feld geführt worden waren. Dingelstedts große Begabung für die Aufführung von Meisterwerken hatte sich einmal wieder bewiesen. Der Großherzog dankte ihm durch ein Handbillett und trug ihm seinen Dank für die Künstler auf.
Lassen schrieb am 19. Februar 1864 an seine Eltern:
Madame Viardot-Garcia war zwei Tage hier; ich hatte große Freude sie wieder zu sehen und zu hören; ihre Stimme hat freilich noch abgenommen, aber trotzdem singt sie so prachtvoll, daß es ein wahrer Genuß ist. Ich habe beide Tage mit ihr beim preußischen Gesandten, Herrn v. Heydebrand, gegessen, seine Frau (geborene v. Helldorff) ist eine Freundin von Frau Viardot und selbst eine gute Musikerin. Ich habe das Hofkonzert dirigirt, in dem die Viardot gesungen hat.
Zu Friedrich Hebbels Gedächtnisfeier, dessen plötzlicher Tod seine Verehrer tief erschüttert hatte, wurde am 17. Marz 1864 sein Trauerspiel »Judith« gegeben, mit Fräulein Knauff in der Titelrolle und Lehfeld als »Holofernes«.
Das 50jährige Künstlerjubiläum von Eduard Genast feierte das Theater am 17. April mit der Aufführung von »Emilia Galotti«. Genast gab den »Odoardo«, seine Tochter, Frau Raff vom Herzoglich nassauischen Hoftheater in Wiesbaden, spielte die »Gräfin Orsina«. Der Tag gestaltete sich zu einem Familienfest, das Hof und Publikum mit Genasts begingen. Bei derartigen Erinnerungen darf man wirklich von der guten alten Zeit reden.
*
Mittlerweile hatte Dingelstedt zur Ehrung Shakespeares noch einen andern Plan gefaßt; er beriet sich mit den dazu geeignetsten Männern, besonders Dr. Oechelhäuser aus Dessau, um eine »Deutsche Shakespeare-Gesellschaft« zu gründen, die die genaue Erforschung der Werke dieses großen Dramatikers betreiben und sie weiteren Kreisen bekannt machen solle. Die Schlegelsche Übersetzung hatte zwar schon viel dazu getan, immerhin fehlte noch manches, um ihn zum Gemeingut aller Gebildeten zu machen. Der 300jährige Geburtstag Shakespeares, der 23. April 1864, war als Mittelpunkt der Feste gedacht, aber schon am 3. April fand eine Vorberatung – unter dem Vorsitz Hans Kösters – statt, in der Dr. Dingelstedt Mitteilungen über die Teilnahme machte, die der Gedanke – besonders in Norddeutschland – gefunden.
Den Beginn der Festlichkeiten machte ein Shakespearefest, das von dem erst seit wenig Monaten bestehenden »Verein für Kunst und Wissenschaft« gegeben wurde. Herr v. Beaulieu-Marconnay stand an der Spitze desselben, Mitglieder waren Männer und Frauen aus allen Kreisen. Der Zweck bestand darin, wissenschaftliche und künstlerische Abende zu veranstalten. Am 18. April wurden lebende Bilder aus Shakespeares Werken von den Malern Ramberg, Thumann, Doepler, Marshall und Wislicenus gestellt. Den Prolog und die Erläuterungen der Bilder hatte Gutzkow verfaßt und trug sie selbst vor. – Dieser künstlerische Teil des Abends fiel sehr gut aus, und das darauf folgende Festessen wurde durch einen Toast des Dr. Köster auf das schönste belebt. Er galt der preußischen Armee, denn soeben war die Nachricht eingetroffen, daß am Morgen die Düppeler Schanzen gefallen und der Sieg der Deutschen über die Dänen gesichert sei.
Für den Vormittag des 23. April hatten Dingelstedt und Oechelhäuser die erste Versammlung der »Shakespearefreunde« einberufen. Das hier gewählte Komitee, das die Statuten für die zu gründende Gesellschaft beraten und vorbereiten sollte, bestand aus den Herren Ulrici-Halle, Bodenstedt-München, Lemke-Marburg, Gottschall-Breslau, Oechelhäuser-Dessau, Schöll, Köster und Ramberg-Weimar. – An demselben Abend begann der Shakespeare-Zyklus im Theater mit einem Prolog von Dingelstedt, dessen Schlußverse lauten:
Und dermaleinst, wenn unsre Enkel lesen
Welch seltner Feierabend heut gewesen,
Wie jedes Haus geopfert zu dem Feste
Von seinem und von Shakespeare's Gut das Beste –
Dann werden sie, mit uns zufrieden, sagen:
Es war ein Sonnenblick in grauen Tagen,
Auf Sturmgewölk ein siebenfarbner Bogen,
Den über tiefe Dämpfe, weite Meere,
Zu Englands und zu Deutschlands eigner Ehre,
Als Friedensband die freie Kunst gezogen.
Darauf folgte die Aufführung von »Richard II.«; Sonntag den 24.: »Heinrich IV.«, 1. Teil; Montag: »Heinrich IV.«, 2. Teil; Dienstag: »Heinrich V.«; Donnerstag: »Heinrich VI.«, 1. Teil; Freitag: »Heinrich VI.«, 2. Teil; Sonnabend: »Richard III.«
Der »Weimarischen Zeitung« entnehme ich ein Bruchstück ihrer Theaterbesprechung. Nachdem in zwei Feuilletons die Vorteile und Nachteile der Dingelstedtschen Bearbeitung besprochen worden sind, heißt es: »Weimar ist durch Franz Dingelstedt im idealen Drama und dessen kunsthistorischer Entwickelung zur unbestreitbar ersten Bühne Deutschlands geworden. – Denn ihrem wohl uralten Erbübel – dem sich selbstsüchtig isolierenden Virtuosentum der Schauspieler gegenüber – wußte Fr. Dingelstedt allein, ohne bemerkbaren Druck auf seine Darsteller, das Grundprinzip aller theatralischen Kunst zu erhalten, nach welchem der Schauspieler den Charakter von der Rolle zu empfangen, nicht ihr den seinigen aufzuprägen hat. Geschieht dies, wie bei uns, ohne jeden doktrinären Beigeschmack, so gibt dieser Grundsatz dem Künstler erst die wahre gestaltende Freiheit, welche er ohne diese Leitung, die das Stigma eines genialen Bühnenlenkers ist, ohne Rettung an den verderblichen Tagesgötzen – die Manier – verliert. Tritt zu dieser Gabe der obersten geistigen Direktion nun noch ein erstaunenswertes Talent in der wirksamen Anordnung der einzelnen Szenen; fügen sich Dekorationen und Kostüme der einheitlichen Farbe des Ganzen in zweckentsprechendem Verhältnis; – dann erleben wir jene außerordentlichen Wirkungen der Szene, von denen die vergangenen Tage das glänzende Zeugnis abgelegt haben, und wir finden uns an eine Zeit gemahnt, von der Lessing in seiner Dramaturgie wie von einer utopischen spricht, – wo die Lampenputzer zu Garricks werden.«
Und nun folgt die eingehende Beurteilung der Schauspieler, die sich alle mit Selbstverleugnung in das Ganze gefügt und dadurch ein vortreffliches Gesamtbild ermöglicht halten. – Die größte Leistung erreichte Dingelstedt mit den Volksszenen; er verstand es meisterhaft, die Komparserie zu handhaben und machte aus den schwierigsten Momenten die größten Triumphe.
»Es war ein kühner Griff, mit dem Franz Dingelstedt in den Schlendrian des heutigen Bühnenwesens hineinfuhr; ob er bei der Zerfahrenheit unseres Bühnenunwesens von Erfolg sein wird, möge die Zukunft lehren, gewiß konnte Shakespeares dreihundertjähriges Jubiläum nicht würdiger begangen werden, als daß Weimars Bühne in dem Sinne wieder anknüpfte, in welchem einst Goethe begonnen hatte.«
Adolf Stahr schreibt über diese Aufführungen, die er hier mitgemacht hat, nachdem er über die vielen Schwierigkeiten gesprochen, die dem Unternehmen entgegenstanden: Adolf Stahr: Aus dem alten Weimar. Shakespeare-Feier 1864.
»Dennoch ist dasselbe gelungen, und heute unter dem noch frischen Eindruck des Geleisteten darf ich Ihnen das Geständnis ablegen, daß ich seit mehr als zwanzig Jahren keine ähnliche Leistung irgendeiner deutschen Bühne gesehen, keine ähnlich mächtige und bedeutungsvolle dramatisch-theatralische Einwirkung auf Herz, Gemüt und Geist empfangen habe. Und ich darf hinzusetzen, daß ich mit diesem Bekenntnisse nicht allein stehe. Es ist das einstimmige Urteil fast aller derjenigen, deren Stimme ich unter denen aus allen Teilen des deutschen Vaterlandes herbeigekommenen Freunden und Kennern Shakespeares und der Bühne vernommen habe. Ehre, dem Ehre gebührt! Ehre der Geschicklichkeit, Ausdauer und Energie des Mannes, unter dessen Führung diese siebentägige Bühnenschlacht siegreich geschlagen worden; aber Ehre und Ruhm auch der hingebenden Begeisterung, dem redlichen Zusammenwirken, dem unermüdlichen Eifer und Fleiße, dem aller Anstrengung und Erschöpfung der Kräfte trotzbietenden Enthusiasmus der von ihm geführten weimarischen Künstlerschaft, durch die es ihm möglich geworden ist, diesen Kunstsieg zu erstreiten, diesen Erfolg zu erringen. Denn der geschickteste Führer ist nichts ohne sein Werkzeug, das Heer; nur freilich ist es nicht das Heer, das den Feldherrn macht.«
Am 26. April war die zweite Versammlung, in der die »Deutsche Shakespeare-Gesellschaft« gegründet wurde. In den Vorstand wurden gewählt: Ulrici als Präsident, Dingelstedt und Oechelhäuser als Vizepräsidenten, Bodenstedt als Redakteur des Jahrbuches; außerdem Marshall und Köster-Weimar, Leo-Berlin, Eckard-Karlsruhe, Gottschall-Breslau, Delius-Bonn, Lemke-Marburg. Die Statuten wurden einstimmig angenommen und die Großherzogin Sophie gebeten, das Protektorat zu übernehmen.
Die »Shakespeare-Gesellschaft« existiert und prosperiert noch heute. Jedes Jahr am 23. April kommen eine Anzahl ihrer Mitglieder hier zusammen. Am Vormittag wird Rechenschaft von der Tätigkeit in dieser Zeit abgelegt und man faßt Beschlüsse für die Zukunft. Einer der Herren hält einen Vortrag, und dann wird ein solennes Festmahl abgehalten, ehe die Mitglieder das Theater aufsuchen, wo ein Shakespearesches Stück ihnen zu Ehren gegeben wird.
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Die hauptsächlichsten Ereignisse am Theater sollen hier – bis zum Abgang Dingelstedts, Herbst 1867 – kurz zusammengefaßt werden. Sicherlich bildete die Shakespeare-Woche den Höhepunkt seiner Leistungen hier, von da an schuf er nichts Bedeutendes mehr, man konnte eher von einem Rückgang des Theaters reden.
Anfang Januar 1865 gastierte Fräulein Desirée Artôt, Lassen schrieb darüber:
Ich freue mich zu hören, daß die Artôt lobend von mir gesprochen hat, denn sie ist eine große Künstlerin und eine sehr distinguirte Frau.
Auch im Januar 1866 hörte man sie in ihren Glanzrollen, z. B. im »Barbier von Sevilla«. Wahrscheinlich hat sie in beiden Jahren im Neujahrskonzert gesungen, denn sie war sehr beliebt am Hofe, besonders die Frau Großherzogin bevorzugte die italienische Sangesweise.
Von Uraufführungen und Neueinstudierungen wären zu nennen: »Hans Lange« von Paul Heyse; »Der Eid«, große Oper, Text und Musik von Peter Cornelius, über die am Schluß des Kapitels berichtet werden soll. – Der Herbst 1865 brachte »Die Loreley«, große romantische Oper von Max Bruch, Text von Geibel; das neue Jahr 1866 »Die Afrikanerin« von Meyerbeer; »Nelusko« war eine Glanzrolle von Milde. – Für die »Shakespeare-Gesellschaft« wurde 1865 »Ein Sommernachtstraum«, 1866 »Julius Cäsar« und 1867 »Viel Lärm um nichts« gegeben.
Im September 1866 gastierte Hedwig Raabe, der entzückendste Backfisch mit blonden Zöpfen, den man sich auf dem Theater vorstellen kann. Natürlich, neckisch, oft etwas frech, manchmal sentimental. Selbst auf der Straße zog sie unsere Herzen an, man ging ihr nach, um das graziöse, noch so kindlich erscheinende Wesen zu beobachten. Als »Pariser Taugenichts« und »Fanchon« in der »Grille« ist sie mir unvergeßlich. – Der Januar 1867 brachte Ellen Franz auf unsere Bühne, sie spielte in der »Waise von Lowood« und »Der Widerspenstigen Zähmung«; man bewunderte ihr schönes Sprechen der Verse und bedauerte, daß sie nicht hier engagiert wurde, sondern in Meiningen. Dort ist sie geblieben; sie ist jetzt Freifrau von Heldburg, die Gattin des Herzogs Georg.
Von neuengagierten Mitgliedern wäre Dr. Weither zu nennen, der aber nur kurz blieb. Sein letzter Posten war der des Generalintendanten in Stuttgart. Josza Savits und seine nachherige Frau, Fräulein Charles, wurden 1867 engagiert. Das Ehepaar blieb bis 1879 hier und wurde bei seinem Scheiden schmerzlich vermißt. Savits war wohl der beste »Schüler« im »Faust«, den es je gegeben; solch jugendliche Rolle spielte er unübertrefflich. Er war dann lange Jahre Regisseur in München. Gespielt hat er dort nicht mehr, er wollte nicht in ein älteres Fach übergehen. Savits ist einer von den Künstlern, die einem in ihren besten Rollen als Ideal im Gedächtnis bleiben. Seine Frau war als »Helena« im »Faust« ein Bild von Schönheit.
Die letzte Tat, die Dingelstedt im Sommer 1867 vollbrachte, war, daß er Frau v. Milde, die in letzter Zeit viel gekränkelt hatte, einen neuen Kontrakt zuschickte, der sie so empörte – weil er ganz anders lautete, als seine vorherigen mündlichen Abmachungen – daß sie augenblicklich ihren Abschied verlangte. Hätte man damals gewußt, daß Dingelstedt im Herbst seine Entlassung nehmen würde, – weil er das Ziel seiner Wünsche, eine Stelle in Wien, erreicht hatte – so wäre vielleicht eine Vereinbarung mit der wundervollen Künstlerin – die jedermann wünschte und der Hof anbahnte – möglich gewesen. Da sie unter Dingelstedt nicht mehr arbeiten wollte, so verließ sie die Stätte ihres Wirkens und ihrer Triumphe. Als Lehrerin hat sie – auch an der Orchesterschule – noch viel Gutes gestiftet.
Peter Cornelius hatte 1828 mit seinem »Barbier von Bagdad« – gänzlich schuldlos – eine so verhängnisvolle Katastrophe für Weimar herbeigeführt, daß auch noch über die Aufführung seiner zweiten Oper »Der Cid« berichtet werden muß. Er hatte auch diesesmal den Text selbst verfaßt und dabei beständig seine Freunde Rosa und Feodor v. Milde im Auge gehabt, denen er die Rollen der »Ximene« und des »Cid« auf den Leib geschrieben hatte, wie man so sagt. Dann traf ihn die Enttäuschung schwer, daß beiden das Werk zu schwierig und unsanglich erschien, um es als Geburtstagsoper am 8. April zu geben. Cornelius war monatelang hier und arbeitete mit den Sängern, schrieb auch manches nach ihren Wünschen um, bis er die Freude hatte, daß Rosa sich zuerst für seine Musik erwärmte und zuletzt auch ihr Gatte sich freudig mit seiner ganzen Kunst der Sache hingab. Stör dirigierte und liebte die Oper, der vortreffliche Theatermaler Händel machte schöne Dekorationen, der Chor gab sich große Mühe, denn alle schwärmten für den jungen Komponisten – der Intendant selbst half bei der Regie und tat, was er konnte, um Cornelius zum Siege zu verhelfen. Damit bewies Dingelstedt, daß die Machinationen gegen den »Barbier von Bagdad« nicht dem Dichter-Komponisten, sondern Liszt, dem Führer der neuen Richtung, gegolten hatten. – War Cornelius im Anfang beim Einstudieren des »Cid« ganz verzweifelt gewesen, so wurde seine Stimmung und anbetende Liebe für Rosa-»Ximene« immer leuchtender. In den »Briefen an seine Braut« »Peter Cornelius' ausgewählte Briefe«, herausgegeben von Karl Maria Cornelius. 2. Band. (Leipzig 1905.) können wir diese Zeit in Weimar Tag für Tag mit ihm verleben, bis der 21. Mai 1865 die Erfüllung mit der ersten Aufführung brachte, die sehr befriedigend ausfiel. Da Karl Alexander an dem Tage abwesend war, wurde die Oper schon für den 31. Mai wieder angesetzt. Dabei hatte Cornelius dann auch die Braut, Bertha Jung aus Mainz, neben sich.
Um den glühenden Enthusiasmus dieses Feuerkopfes zu schildern und zugleich eine Charakteristik von Frau v. Milde zu geben, sollen zum Schluß dieser Episode die Worte hier stehen, die Cornelius in der Zeit der Proben an seine Schwester und seinen Freund schrieb, sowie das Sonett, eines von den vielen Gedichten, die er der Freundin widmete:
22. April: ... bis jetzt ist meine höchste Freude – Rosa. Sie ist eben eine echte, tiefe Künstlerin. Sie sitzt da wie ein Kind von sieben Jahren in der Schule – singt in den Proben alles mit der vollsten Begeisterung – jede Strophe richtig mit ebensoviel Berücksichtigung des Leiblich-Musikalischen als des Geistigen. Ihre Ximene wird eine ganz besondere, durchgeistigte Rolle sein, es wird hinreißend sein, wie sie vieles, fast alles, singen wird; sie wird es, selbst der Kraft nach, glänzend leisten – gebt mir alle glänzendsten Stimmen der Welt – ich will nur die Rosa, die Energie der Seele geht weit über alle Fülle des Tons ...
Am 7. Juni schreibt Cornelius an seinen Freund Josef Standhartner in Wien:
Rosa hatte ihre Partie bis in die kleinste Lücke und Spalte hinein plastisch ausgegossen, sie war von der ersten Probe an die Seele des Ganzen, als fast noch alles kalt und zweifelnd dem Werke gegenüber sich verhielt. Feodor, dem sein Cid von Anfang besonders unsympathisch war, machte alles wieder gut durch die Wärme und edle Schönheit, mit welcher er am ersten Abend spielte und sang. Er überraschte mich gleich vom ersten Auftreten an, und immer mehr, bis er den Moment wirklich mit einer unvergleichlichen Zartheit gab, wo er im zweiten Akt vor ihr niederkniet und die Worte sagt: »Gib mir die Blüte die nicht welken soll!«
An Rosa von Milde.
Wie Du bist, dachte Gott die Künstlerinnen,
Begeistert, edel, mutig, fromm, bescheiden,
Eifrig, besonnen, neidlos, zum Beneiden,
Fleißig wie Bienen, die um Blüten minnen.
Voll Dichterkraft im Denken und Ersinnen,
Und Bildnerin, Gedachtes einzukleiden,
Glückt Dir's in Linien, die den Trug vermeiden,
Den Preis des Wahren, Schönen zu gewinnen!
Es lausche fromm, wie zwischen Tempelwänden,
Wem ins Gemüt Dein Blick, die Töne drangen,
Als ob den Urquell sie der Lieb' empfänden:
Denn Du bist Priesterin; in Wonn' und Bangen
Soll jedes Herz aus so geweihten Händen
Den Gottesleib der Poesie empfangen.