Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

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XXI.

Am nächsten Tage meldeten sich die Freifrau von Hracin und ihr Sohn beim Generalfeldmarschall Tilly, um ihm in der herzlichsten Weise für seine Großmut zu danken. Der General freute sich des Erfolges und wünschte Humprecht Glück zu dem Besitze dieses herrlichen Mädchens.

Wenige Stunden darauf erschien der Feldmarschall selbst noch einmal im Hause Antonins, das Heldenmädchen, wie er Libussa nannte, zu begrüßen und sich mit ihr des Erreichten zu freuen. –

Libussa erholte sich sehr rasch. Die erregten Nerven beruhigten sich von Tag zu Tag mehr und erst jetzt dachte Humprecht daran, mit seiner Mutter nach Hrádeck zu reisen, um die ihm verbliebene, wertvolle Einrichtung zu bergen. Doch wollte er sich unter keiner Bedingung mehr von Libussa trennen, sie sollte im Gegenteile als seine angetraute Gattin die Reise mitmachen.

Aber Libussa wollte erst noch ihrem Gelöbnisse nachkommen, und deshalb sagte sie zu Humprecht:

»In der höchsten Not habe ich die Himmelsmutter auf dem heiligen Berge um Hilfe angerufen und ich glaube, daß nur sie mir geholfen hat, dich zu retten. Erst wenn ich ihr an Ort und Stelle meinen Dank dargebracht, bin ich würdig des Glückes, ganz dein zu sein.«

286 Humprecht war von dem felsenfesten Glauben seines Mädchens tief gerührt und er entgegnete:

»Dein Vertrauen und dein Glaube, liebes Mädchen, hat dich nicht betrogen und es ist meiner Mutter und mein Entschluß, uns nicht erst durch die neuen kaiserlichen Dekrete zwingen zu lassen, sondern freiwillig deinen Glauben anzunehmen. Wir reisen mit dir zum hl. Berge nach Pribram und dort soll unsere Trauung stattfinden.«

So waren alle Wünsche Libussas erfüllt. Nach herzlichem Abschiede von Eltern und Bruder reiste sie von Prag ab, um wenige Tage später als Freifrau von Hracin auf Hrádeck anzukommen, von wo sie vor vier Jahren als vermeintliche Hexe in so unwürdiger Weise forttransportiert wurde. Fiel es auch Humprecht schwer, die Burg seiner Väter in die Hände der Kommissäre übergeben zu müssen, so besaßen er und seine Mutter doch noch Mittel genug, um diesen Verlust verschmerzen zu können. Der Besitz Libussas tröstete Humprecht über jeden Verlust hinweg.

Burg Hrádeck kam kurze Zeit darauf in der That in den Besitz von Humprechts Vetter, Herrn Johann Hracin.

Schmerzlich war es Humprecht, seinen Freund Wolf nicht mehr auf Welhartitz begrüßen zu können. Wolf hatte sich, nachdem er dem Obersten Hoef Huerta entflohen, wohl später noch einmal nach Welhartitz gewagt und seine Kleinodien gerettet, da er wohl voraussah, daß sein Gut gleich vielen andern vom Kaiser würde eingezogen werden. Hierauf wandte er sich an den Herzog Maximilian von Bayern, der ihm in Anbetracht der Waffenbrüderschaft des alten Perglas mit seinem Oheim, dem Herzog Ferdinand, und bei der Vorliebe, welche sein Vater, Herzog Wilhelm, für den alten Haudegen jederzeit empfunden hatte, 287 wohlwollend entgegenkam und ihm gesicherten Aufenthalt in Bayern zusagte. Der Herzog bewirkte später sogar durch Vermittlung seiner Schwester, der Kaiserin, daß die Verbannung Wolfs aus Böhmen zurückgenommen wurde.

Der Fürst von Liechtenstein hatte durch ein kaiserliches Mandat nochmals alle, welche an der Empörung irgendwie teilgenommen, aufgefordert, sich zu stellen, unter Androhung der kaiserlichen Ungnade und strengster Bestrafung im Falle der Nichtbeachtung. Es erschienen siebenhundertachtundzwanzig begüterte Herren; es waren nahezu alle adeligen Geschlechter Böhmens. Sie reichten ihre Namen ein, klagten sich selbst an und baten um Vergebung. Es wurde ihnen zwar Ehre und Leben geschenkt, mit ihren Gütern aber wurde vom Kaiser willkürlich verfahren. Viele verloren ihre Besitzungen ganz, andere teilweise.

Die eingezogenen Güter wurden teils den Heerführern statt der schuldigen Kriegsgelder überwiesen, teils an ausländische Adelige verkauft, so daß über vierundzwanzig Millionen Schock der königlichen Kammer zufielen. Viele Unschuldige wurden durch die Geldgier der Staatsbediensteten ihrer Güter beraubt und des Landes verwiesen. Viele gerieten ob solcher Schärfe in Verzweiflung.

Der berühmte Majestätsbrief, welcher die Glaubensfreiheit in Böhmen gestattete, wurde nun vom Kaiser für ungiltig erklärt. Aller Gottesdienst, welcher nicht römisch-katholisch war, wurde in ganz Böhmen verboten, die nichtkatholischen Prediger verjagt und die Einwohner mit Gewalt zum katholischen Glauben bekehrt. Wer sich nicht fügte, wurde des Landes verwiesen. Tausende verarmten, Zehntausende wanderten ins Elend, die andern wurden zu Bettlern oder Kriegsknechten.

288 Bei diesen Gewaltmaßregeln spielte Hoef Huerta eine traurige Hauptrolle. Mit einer Schwadron Kürassiere, begleitet von Jesuiten, besorgte er das Bekehrungsgeschäft in Kuttenberg, Bidczow, Saaz, Taus, Schlan, Pisek, Prachatitz und anderen Orten mit größter Grausamkeit und Härte, wobei er Kirchen und Burgen plündern ließ, um seine Soldaten zu befriedigen und sich zu bereichern.

Viele Tausende flüchteten deshalb aus dem Lande, andere verbargen sich in Gebirgen und in den entlegensten Wäldern.

Da standen die Bauern im Kaurczimer Kreise wegen des Religionszwanges auf. Aber auch sie wüteten in Städten und Burgen mit Mord und Brand, bis sie durch reguläre Truppen wieder zerstreut und bestraft wurden, so daß Protestanten und Katholiken in dieser Beziehung sich nichts vorzuwerfen hatten. Tilly nahm von der Oberpfalz Besitz und über den nach Holland geflüchteten Friedrich V. ward die Reichsacht ausgesprochen. Seine Verbündeten, der abenteuerliche Graf Mansfeld, der Markgraf Friedrich von Baden und Herzog Christian von Braunschweig, welche mit die Union bildeten, gaben sich zwar alle Mühe, in der Oberpfalz und am Rhein Friedrichs Sache zu verteidigen, wurden aber von den ligistischen Truppen unter Tilly bei Wimpfen und Höchst geschlagen.

In Böhmen ward Albrecht Waldstein oder Wallenstein, welcher große Besitzungen der Geächteten erhalten hatte, zum Feldobersten ernannt. Er hatte sich erboten, ein Heer von 50 000 Mann zu werben und zu erhalten, und zwar auf eigene Kosten. Dafür erhielt er den Titel eines Herzogs von Friedland und Unbeschränktheit im Oberbefehl.

König Christian IV. von Dänemark, welcher sich der 289 Union angeschlossen, wurde von Tilly bei Lutter am Barrenberge geschlagen. Wallenstein aber rettete Wien und den Kaiserthron, welche beide durch Mansfelds und Bethlen Gabors Truppen arg bedroht wurden. Östreich stand bald durch ihn auf dem Gipfel seiner Macht.

Auf dem Reichstage zu Regensburg 1623 war dem geächteten Friedrich von der Pfalz, König von Böhmen, bereits Land und Würde feierlich abgesprochen und die Kurwürde dem Herzog von Bayern verliehen worden, welchem nunmehr der Kaiser für 15 Millionen aufgewendete Kriegsgelder, die er ihm schuldete, auch die Oberpfalz und von der Rheinpfalz die Städte Mannheim und Heidelberg überließ.

Hiedurch war Bayern an Macht und Würde neuerdings das bedeutendste Land im deutschen Reiche geworden.

Der spanische Oberst Don Martin Hoef Huerta war bei der Verteilung der konfiszierten Güter, wie bei seinen unverschämten Forderungen selbstverständlich, nicht zu kurz gekommen. Den Sold, welchen er für seine Soldaten bekam, steckte er in die eigene Tasche und entschädigte die Leute, indem er sie Beute machen ließ. Für nicht erhaltenen Sold aber wußte er großartige Rechnungen zu machen. Um ihn zu befriedigen, gab ihm der Kaiser in der That das erbetene Gut Welhartitz mit den Gütern Mokrosuk und Nemilkow.

Später wurden ihm erblich auch die der Familie Kapler von Sulewitz konfiszierten Güter Neustupow, Wlchowitz und Miltschin verkauft; ebenso erwarb er die Stadt Pisek samt Gebiet. Außerdem hatte er Häuser in Tabor, Prag und Klattau. Der Kaiser erhob ihn in den Freiherrnstand mit dem lokalen Prädikat »von Welhartitz.«

290 Nun hatte der Abenteurer genug zusammengerafft, um auf seinen Lorbeeren ausruhen zu können und andern die Strapazen des Krieges zu überlassen. Doch er ruhte noch nicht.

Juditha von Kolowrat, die verwitwete Woiwodin von Moldau, wollte er sich noch gewinnen und es war für den neugebackenen Freiherrn nicht schwer, sie als seine Gemahlin heimzuführen. Nur zu gern reichte sie dem Freier ihre Hand.

Erst einige Zeit nach der Hochzeit kehrte ihre Stieftochter, Anna Maria, die Tochter des Woiwoden aus Kroatien, wo sie bisher gelebt, in das Schloß Welhartitz heim und lernte dort ihren jetzigen Stiefvater kennen, der sie adoptierte und dessen ganz besonderer Gunst sie sich alsbald erfreute.

Nun war auch die Zeit gekommen, den künischen Freibauern, gegen welche sowohl Don Hoef Huerta, wie seine Gemahlin einen unversöhnlichen Haß hatten, ihre Macht fühlen lassen zu können. Sie wußten, daß der Kaiser, welcher bei allen Einnahmen, die der Staatskasse zufielen, immer zuletzt an sich selbst gedacht, in großen Geldnöten war, und Hoef Huerta reiste selbst nach Wien, um ihn zur abermaligen Verpfändung der königlichen Freibauern im Waldhwozd zu bestimmen, indem er ihm zehntausend Schock Meißener Groschen als Pfandsumme zur Verfügung stellte.

Der Kaiser wollte lange nicht daran, da sich die Künischen erst vor sechs Jahren frei gelöst und ihnen urkundlich versichert worden, daß sie von der königlichen Kammer niemals wieder verpfändet werden sollten. Hoef Huerta wußte jedoch dem Kaiser einzuwenden, wie sich die Freibauern zu öfteren Malen gegen die kaiserlichen Truppen feindlich benommen und sie sich dadurch der kaiserlichen 291 Gnade unwürdig gemacht hätten. Der Jesuit Leonhard della Gratia unterstützte das Gesuch des Spaniers, der dafür dem Jesuitenorden zur Errichtung eines Kollegiums und einer Schule in Klattau zwei Häuser schenkte.

Die kaiserliche Administration aber verlangte die doppelte Summe für die Verpfändung des Hwozdes, worüber sich Hoef Huerta in seiner Habsucht so erzürnte, daß er sich in Gegenwart des genannten Jesuiten die verletzendsten Ausdrücke gegen die kaiserliche Majestät erlaubte.

Die Verpfändung fand übrigens trotzdem statt, und wie ein Donnerschlag traf die Freibauern dieses neue über sie verhängte Unheil. Zu einer nochmaligen Auslösung waren sie jetzt zu arm. Die mehrjährige Kriegszeit hatte viele zu Bettlern gemacht, viele von den Bessergestellten, welche der protestantischen Lehre anhingen, waren ausgewandert, andere geflohen, weil sie sich nicht ganz sicher wußten, und so mußten sie das neue Unglück über sich ergehen lassen. Der Oberrichter hatte bereits so viele Opfer gebracht, daß ihm Weiteres zu thun nicht möglich war, und bei dem Umstande, daß selbst ein kaiserliches und besiegeltes Wort schon nach sechs Jahren nach Belieben geändert werden konnte, hatte er überhaupt keine Hoffnung auf Besserung mehr. Zudem war vorauszusehen, daß bei dem fortdauernden Kriege über kurz oder lang nicht nur Herbeischaffung von Kriegsgeldern, sondern auch Durchzüge, Kontributionen und andere Ausgaben neue Opfer an Geld und Gut fordern würden.

Hoef Huerta behandelte die Freibauern in der That sofort wie Leibeigene. Er verlangte von ihnen alle möglichen Steuern, verwüstete durch die Jagd ihre Felder und Gründe und verlangte, daß sie ihm scharwerkten, 292 nicht nur die Schalupper, sondern auch die Freibauern selbst.

Er ließ nämlich die Burg Welhartitz vollständig restaurieren und einen großartigen Anbau beginnen. Maurer und Handlangerdienste sollten ihm die Freibauern thun und er ließ dieselben mittels seiner aus zehn Mann bestehenden Leibgarde und einigen Bütteln sowohl aus dem Angel- und Seewiesener Thal, wie aus allen andern Gerichten mit Gewalt beitreiben. Dabei mußten sie sich selbst ernähren. Jeder Widerspenstige wurde sofort mit Einkerkerung bestraft.

Diesem gräßlichen Zustand ein Ende zu machen, versammelten sich sämtliche Richter beim Oberrichter in Seewiesen und es wurde von ihnen beschlossen, insgesamt nach Welhartitz zu gehen und dort dem Hoef Huerta ernstliche Vorstellungen zu machen und gegen sein Vorgehen Protest einzulegen.

Es traf sich, daß zu jener Zeit gerade Wolf von Perglas mit Marianka auf Besuch in Seewiesen weilten, um Eisner zu veranlassen, nach München überzusiedeln, um den Chikanen eines Hoef Huerta nicht länger ausgesetzt zu sein, und mit ihnen ihr durch einen Knaben erhöhtes Familienglück zu teilen. Der Oberrichter wollte bei seinen Freibauern aber auch in schlimmer Zeit aushalten und dem Wunsche seiner Kinder erst nachkommen, wenn es ihm gelungen wäre, wieder einen haltbaren Zustand herbeizuführen.

Dieser Versuch sollte also mit dem Protest sämtlicher Richter in Welhartitz beginnen, dann aber eine Klage an den Kaiser ausgefertigt werden.

Als die Richter von Hoef Huerta auf seiner Burg 293 empfangen wurden, behandelte er sie in der wegwerfendsten Weise. Es kam zu erregten Erörterungen, die Richter gaben schließlich ihren Gedanken Worte, die den Burgherrn so in Wut brachten, daß er seiner Leibgarde befahl, sie sämtlich gefangen zu nehmen. Es kam zur Gegenwehr, wobei einige verwundet wurden. Dem Richter von Haidl gelang es, zu entfliehen, alle andern aber, darunter auch der Oberrichter, wurden ins Gefängnis geworfen.

Nun war das Maß voll. Im ganzen künischen Gebiet ertönte ein Wutschrei. Dieses gesetzlose Treiben des Abenteurers konnten sich die Künischen nicht gefallen lassen. Rasch bewaffnete man sich und bestimmte zum Versammlungsort Seewiesen. Dann baten die Bauern Wolf von Perglas, der kriegskundig war und auf seiner Heimatburg allein Bescheid wußte, sie anzuführen zur Befreiung der widerrechtlich Gefangenen.

Wolf war hiezu bereit, doch nur unter der Bedingung, daß nur die Gefangenen befreit werden sollten und dem Gewalthaber nur dann zu Leibe gegangen werden dürfe, wenn er sich mit der Waffe ihrem Ansinnen widersetze. Die beim Baue auf der Burg verwendeten Arbeiter waren dahin unterrichtet, sich mit den Anrückenden zu vereinigen und dafür zu sorgen, daß ihnen das Thor nicht versperrt würde, oder ihnen behilflich zu sein, an der schwächsten Seite der Burg einzudringen.

Inzwischen drohte dem Spanier nicht nur von außen, sondern auch im Kreise seiner Familie der Krieg.

Juditha war auf ihre Tochter eifersüchtig geworden, denn Hoef Huerta hatte diese bereits als seine Universalerbin eingesetzt und schien über ihr seine Gemahlin ganz zu übersehen. Juditha lebte deshalb in fortwährendem 294 Hader mit dem dritten Manne ihrer Wahl. Sie liebte es, alles zu tadeln, was er that, und so fand sie auch die Gefangennahme der künischen Richter für ungerechtfertigt; sie ließ sich sogar herbei, wiederholt ihre Freilassung zu fordern.

Sie verfocht soeben ihrem Gemahl gegenüber wieder diese Meinung, als etwa dreihundert Bauern unter Anführung Perglers von Perglas die Burg überfielen und in den Hauptbau eindrangen. Wolf trachtete vor allem, Huerta den Rückzug über das zweite Stockwerk nach dem Kastell abzuschneiden, was ihm auch gelang.

Hoef Huerta saß beim Frühstück, als er Kenntnis von dem Sturm erhielt, der ihn bedrohte. Sofort wollte er nach dem zweiten Stocke und dem Kastell fliehen, fand aber den Weg dorthin schon verlegt. Nun flüchtete er sich mit seiner Adoptivtochter nach einem entlegenen Zimmer. Um seine Frau kümmerte er sich gar nicht.

Als jetzt Wolf mit mehreren Bauern in das Gemach trat, fand er nur Frau Juditha vor.

»Ihr sucht den Freiherrn Hoef Huerta?« sagte sie. »Er flüchtete sich in die hinteren Zimmer. Er hat gegen meinen Willen ungesetzmäßig gehandelt; ich habe keinen Teil an dieser That.«

Wolf konnte nicht umhin, über diese Worte der Freifrau zu lächeln.

»Das klingt beinahe, als wäret Ihr besorgt, edle Frau, daß Eurem Gemahl kein Leid geschehen würde,« sagte er. »Doch wir verlangen in erster Linie nur die Schlüssel zu den Gefängnissen der künischen Richter.«

»Sie befinden sich in diesem Wandschrank,« erwiderte Juditha. Sie begab sich zu demselben, nahm die Schlüssel heraus und überreichte sie Wolf von Perglas.

295 »Es sind die Gemächer im linken Flügel,« sagte sie.

Wolf übergab die Schlüssel dem Richter von Haidl mit dem Auftrage, die Gefängnisse zu öffnen.

Kaum hatten sich die Bauern aus dem Saale entfernt, als Juditha in heftiges Weinen ausbrach.

»Ihr seid nicht glücklich?« fragte Wolf die Freifrau.

»Glücklich?« versetzte diese. »Mein Mann ist ein Verräter. Er ist von gemeiner Denkungsart, dabei hochmütig und grausam. O Wolf, Ihr habt nicht Ursache, über mein Unglück zu triumphieren, denn daß ich Euch einst gewogen war und Euch dann haßte, weil Ihr mich verschmäht habt, kann mich in Euren Augen nicht herabsetzen. Ich weiß, Ihr seid glücklich vermählt. Seid überzeugt, daß ich Euch Euer Glück gönne. Und was die Künischen betrifft, wäret Ihr mir nicht zuvorgekommen, ich hätte sie selbst befreit.«

»Gnädige Frau,« entgegnete Wolf, »dann sind wir von heute ab wieder gute Freunde. Sind die Gefangenen frei, verlassen wir sofort das Schloß.«

»Und meinen Gemahl? Ihr werdet ihn nicht bestrafen?«

»Dazu haben wir kein Recht. Der Kaiser hat hier zu bestimmen.«

»So lebt wohl,« sprach Juditha. »Auch ich kehre Welhartitz in den nächsten Tagen den Rücken, denn ich lasse mich scheiden.«

»Und Eure Tochter?« fragte Perglas.

»Die Tochter des Woiwoden, wollt Ihr sagen? Ich habe kein Anrecht mehr an sie. Sie ist die Adoptivtochter Hoef Huertas.«

Perglas wußte genug. Rasch entfernte er sich.

Wehmütige Gedanken bemächtigten sich seiner, als er 296 die weite Halle des Schlosses durchschritt, woselbst er so glückliche, fröhliche Tage verlebt. Die Stätte, wo sein geliebter Vater verschieden, sollte durch keinen Gewaltakt entweiht werden. Daß jetzt Unfrieden und Zwietracht hier wohnten, deuchte ihm nur eine gerechte Vergeltung für begangene Sünden.

Im Schloßhofe fand er Eisner und die übrigen Richter in Freiheit. Es herrschte musterhafte Ordnung unter den Bauern. Auf Wolfs Befehl hin zogen sie sofort ab; die beim Baue Beschäftigten folgten ihnen. Erst außerhalb der Burg hielten sie Beratung und wieder war es Eisner, der sich erbot, in Begleitung eines zweiten in Wien Klage gegen Hoef Huerta zu führen. Dann eilte jeder seiner Heimat zu.

Hoef Huerta hatte sich nach dem Abzuge der Feinde wieder hervorgewagt.

»Feigling!« rief ihm Juditha zu. »Danke Gott, daß der Anführer der Bauern ritterlicher dachte, als du.«

»Sie sollen mir's noch büßen!« rief er. »Des Landfriedensbruches klage ich sie an, alle, alle!«

Während der Spanier auf neue Rache sann, hatte Eisner in Wien Hilfe erbeten. Der Kaiser zeigte sich gegen die Abgeordneten der Künischen, besonders gegen den Oberrichter, sehr gnädig und befahl seinem Hofkanzler die Ausfertigung eines Rezesses, in welchem die künischen Freibauern gegen Hoef Huerta in Schutz genommen wurden. Es war darin wiederholt erklärt, daß Huerta keinerlei Rechte über sie habe, außer als Pfandobrigkeit ihre schuldigen Abgaben einzunehmen. Im übrigen wären sie frei von allem, also auch von Frondiensten, und in ihren Rechten zu belassen und zu schützen. Da sie jedoch 297 mehrmals an den Unruhen teilgenommen, sollten sie mit dem Verluste des vor sechs Jahren schon bezahlten Lösegeldes als bestraft anzusehen sein, dem Hoef Huerta aber kein größeres Recht über sie zustehen, »als in welchem Verhältnisse sie gegen ihre früheren Pfandinhaber und ursprünglich gegen die kgl. Kammer gestanden.«

Im Jahre 1627 kam Kaiser Ferdinand mit seiner Gemahlin und dem Erbprinzen wieder nach Prag und eröffnete dem dort versammelten Landtage, daß er beschlossen habe, seinen Erbprinzen als Ferdinand III. zum Nachfolger im Königreich Böhmen zu ernennen und ihn als König krönen zu lassen. Keiner von den Ständen wagte jetzt mehr die Frage, ob Böhmen als ein Wahl- oder ein Erbkönigreich anzusehen sei. So wurde die Krönung ohne Widerspruch mit großer Feierlichkeit vollzogen. –

Böhmen war bald wieder der Schauplatz des Krieges geworden. Die Schweden und die jetzt mit ihnen verbündeten Sachsen fielen in Böhmen ein, nachdem sie Graf TillyTilly ward bei der Verteidigung des Lechübergangs bei Rain am 5. April 1632 durch eine Falkonettkugel der rechte Schenkel zerschmettert; er starb infolge davon am 20. April d. J. in Ingolstadt. In der Feldherrnhalle zu München ward ihm eine Statue errichtet. bei Leipzig geschlagen hatte. Sengen und Brennen, Raub und Mord wüteten im Lande.

Die ohnedem völlig erschöpften Künischen wurden von ihrem Schutzherrn Hoef Huerta, sobald er im Jahre 1633 wegen Kränklichkeit aus dem Felde zurückgekommen, nochmals bedrängt. Aber auch für ihn sollte die Zeit der Vergeltung kommen.

Leonhard della Gratia, sein Vertrauter, hielt es trotz der namhaften Schenkungen, welche Hoef Huerta den 298 Jesuiten machte, für seine Pflicht, den sonst so gerne in Schutz Genommenen fallen zu lassen und ihn wegen verschiedener hochverräterischer und gotteslästerlicher Handlungen anzuklagen.

Hoef Huerta hatte öfters mit dem Feinde Verbindungen gehabt und von ihm Gelder bezogen, weshalb auch seine Besitzungen stets geschont wurden. Außerdem hatte er offenbar Kirchenraub an den heiligsten Gefäßen begangen. Alsbald ward durch eine kaiserliche Verordnung der Einzug der Hoef Huertaschen Besitzungen und eine geheime Inquisition angeordnet. Dessen sofortige Verurteilung zum Tode war vorauszusehen.

Zu spät bekam er Wind von der ihm drohenden Gefahr, denn in dem Augenblick, als er entfliehen wollte, ward er auch schon gefangen. Er entsetzte sich derart über diesen unerwartet schlimmen Ausgang seines Schicksals, daß er, von einem Herzschlage getroffen, sein abenteuerliches Leben (1637) beschloß.

Am 25. Februar 1637 starb auch Kaiser Ferdinand II. in seinem 57. Lebensjahre. Ihm folgte sein Sohn als Ferdinand III. in der Regierung.

Anna Maria von Moldau, die Erbin des Don Martin Hoef de Huerta, später verehelichte Burggräfin von Dohna, mußte zufolge eines Vertrages (19. Juli 1637) mit der kaiserlichen Kommission die Stadt und Herrschaft Pisek, wie auch die kgl. Waldhwozder Freigerichte mit aller Zugehör dem Kaiser Ferdinand III. überlassen, wogegen ihr das Gut Welhartitz als Eigentum verbleiben sollte. Juditha hatte sich längst von dem Abenteurer geschieden. – Aber in Welhartitz sollte das Glück keinen Bestand mehr haben, seitdem dessen rechtmäßiger Besitzer, Wolf Pergler von 299 Perglas daraus vertrieben worden, denn Hoef Huertas Erbin mußte alsbald den einst so machtumstrahlten Besitz Schulden halber verkaufen.Die Burg kam später an die Grafen von Desfours und zuletzt an die Freiherrn von Sturmfeder von Oppenweiler. Nunmehr ist sie unbewohnt und eine der großartigsten Ruinen des Böhmerwaldes.

Den Künischen ward der heiß und langersehnte Wunsch, wiederum in die unmittelbare Unterthänigkeit der königlichen Kammer zu kommen, endlich erfüllt. Nicht viele erlebten es. Unter diesen war Eisner. Er hatte in jenen schlimmen Zeiten seine Landsleute nicht verlassen und treu geholfen mit Rat und That. Jetzt aber holten ihn seine Kinder und Enkel, um bei ihnen einen angenehmen Lebensabend zu verbringen. –

Aber noch nahmen die Kriegsgreuel kein Ende. Noch acht lange Jahre war Böhmen eine Beute der verwilderten schwedischen Scharen, welche in mehreren Feldzügen das Land in allen Richtungen durchzogen und alles verwüsteten und plünderten, bis dieser furchtbare Krieg endlich in Prag, wo er begonnen hatte, durch eine seltene That, welche zu den kühnsten und ausgezeichnetsten des langen Kampfes gehörte, beschlossen wurde.

Ein eigentümliches Geschick wollte es, daß sich dabei die beiden Jugendfreunde Hracin und Perglas, deren Söhne längst als wackere Offiziere in der kaiserlichen, wie in der bayerischen Armee dienten, in sehr vorgerücktem Alter wieder trafen und nochmals zu gemeinsamem Zwecke das Schwert führen durften für die Befreiung ihres Vaterlandes von den fremden Kriegsvölkern, die den östreichischen Staatenbund bereits an den Rand des Verderbens gebracht hatten.

Ein Vetter Humprechts, Graf Schlick, war Statthalter 300 in Böhmen; Feldmarschall Colloredo Kommandant von Prag. Der schwedische General Königsmark hatte Ende Juli 1648 die Kleinseite erobert und bedrohte die Altstadt aufs heftigste durch fortwährendes Kanonenfeuer und Brandkugeln. Monatelang verteidigten sich die Truppen, unterstützt von den Bürgern, den Studenten und selbst den Ordensleuten, überhaupt von allen, die waffenfähig und voll Begeisterung waren, während General Conti für die Befestigung der Stadt und Anlegung von Minen sorgte.

Mit Sehnsucht sah man Hilfstruppen entgegen. Schon wurde man zaghaft. Da traf Humprecht von Hracin als kaiserlicher Kourier ein, um den Statthalter aufzufordern, daß er die Altstadt um jeden Preis zu halten suchen solle, da ein starkes Korps, von Feldzeugmeister Golz geführt, den Pragern zu Hilfe eile.

Fast zu gleicher Zeit kam auch Wolf von Perglas aus München, um dem Statthalter im Auftrag des Herzogs von Bayern mitzuteilen, daß die Friedensverhandlungen in Osnabrück und Münster auf des Herzogs dringenden Antrag hin nunmehr beschleunigt und an ihrem endlichen Abschluß in den allernächsten Tagen nicht mehr zu zweifeln sei, demnach Prag dem Feinde keine Zugeständnisse machen solle.

Beide Nachrichten verbreiteten in der Stadt große Freude, die aber schon Tags darauf sich in Furcht und Schrecken verwandelte, da der oberste Feldherr der Schweden, Karl Gustav, Pfalzgraf am Rhein, mit einem beträchtlichen Heere vor Prag erschien, eine Brücke über die Moldau schlug und Anstalten machte zur Belagerung der Alt- und Neustadt Prag. Auf diese Weise waren Humprecht von Hracin und Wolf von Perglas gezwungen, in der Stadt zu bleiben.

Aber nicht müßige Zuschauer wollten sie sein. Sie 301 stellten ihren Degen dem Kommandanten zur Verfügung, der ihnen mit Freude die neu errichteten Kompagnien von der Ritterschaft unterordnete und ihnen, gleich den andern Führern die Stelle anwies, welche sie zu verteidigen hatten.

Der Pfalzgraf begann seinen Angriff unter einem fürchterlichen Bombardement. Die Mauern wurden an vielen Stellen zusammengeschossen, aber die nachrückenden Schweden wurden an solchen Punkten stets mit großen Verlusten wieder zurückgeworfen und viele Hunderte fanden durch Contis wohlangelegte Minen, sowie durch mutige Ausfälle den Untergang.

Nun bemühten sich die Schweden, ihre gesamte Macht zur Eroberung der Stadt anzuwenden. Sechstausend Mann, unterstützt von anhaltendem Kanonenfeuer, liefen unter betäubendem Wutgeschrei durch eine Bresche Sturm. Da ließ Conti eine Mine springen und fünfhundert Schweden wurden in die Luft geschleudert. Daraus entspann sich ein hitziger, fünf Stunden andauernder Kampf, bis endlich die Schweden wichen und sich unter Verlust von 5000 Mann zurückziehen mußten, während die Anzahl der Toten auf Seite der Belagerten nur gering war. Der Pfalzgraf, zugleich von dem nahen Anmarsch der Golzschen Armee benachrichtigt, hob sein Lager auf und traf eiligst Anstalt zum Abzuge.

Da traf in Prag die amtliche Nachricht ein, daß zwischen den kriegführenden Mächten endlich zu Osnabrück und Münster in Westfalen der Friede geschlossen worden sei. Unendlicher Jubel herrschte nun in Prag. Die Helden des Tages, gleichviel ob Ritter oder Bürger, ob Mönch oder Student, ob Böhme oder Deutscher, umarmten sich als Waffenbrüder in dem erhebenden Bewußtsein des Sieges, zu dem ein jeder das Seinige beigetragen. Von allen Türmen 302 läuteten die Glocken, das Volk kniete vor den Kirchen betend und Danklieder singend; niemand fragte nach des andern Gesinnung – alle waren nur von dem einen Gefühle durchdrungen: gemeinsam für das Vaterland gekämpft und gesiegt zu haben. Und Friede! Friede! hallte es jubelnd durch die Stadt, wie durch das ganze Land.


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