Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

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XVI.

Des jungen Spielmanns Fahrt nach Prag ging glücklich von statten. Als sie der Stadt nahe kamen, ließ Stanislaus an einer einsam gelegenen Herberge halten und hier das Fuhrwerk einstellen, denn Humprecht konnte nicht recht wohl durch das Stadtthor gefahren werden, ohne sich einer Entdeckung auszusetzen. Man mußte also versuchen, ihn auf andere Weise hieher zu bringen und Stanislaus hatte sich unterwegs einen Plan zurecht gelegt, von dem er hoffen konnte, daß er gelingen werde.

Es war ein schwerer, schmerzlicher Abschied, den Libussa von dem geliebten Manne nehmen mußte. Erfüllte er doch ihr Herz wie mit trüben Ahnungen, als ob die nächste Zukunft Verderbenbringendes in ihrem Schoße berge.

So sehr man sich in der Hoffnung wiegte, daß der Kaiser sämtlichen böhmischen Edelleuten, welche sich am Kriege gegen ihn beteiligt, volle Straflosigkeit gewähren werde, so munkelte man doch dort und da, daß die Jesuiten das zur Versöhnung geneigte Herz Ferdinands zum Schweigen bringen und ihn zur unnachsichtigen Bestrafung der Rebellen bewegen wollten. Indessen wußte man auch, daß Mansfeld noch Kriegsvölker habe und den westlichen Teil Böhmens besetzt halte und tröstete sich mit der Annahme, daß 221 vorerst nichts unternommen würde, wodurch die Böhmen wieder gereizt werden könnten.

Aber es war immerhin eine sehr unsichere Zukunft und das erfüllte Libussas Herz mit banger Sorge um den geliebten Freund.

Man war übereingekommen, daß Humprecht, als Leichenscharrer verkleidet, mit den andern Personen, welche am weißen Berge noch Tag für Tag die Gefallenen zu verscharren hatten, durch das Stadtthor gelange. Stanislaus sorgte inzwischen, daß das Fuhrwerk so nahe als möglich herankomme, da Humprecht noch nicht vermochte, eine längere Strecke zu Fuß zu gehen. Bei der eingetretenen strengen Kälte war es nicht auffallend, wenn er den Kopf so verhüllt hatte, daß man von seiner Wunde nichts sehen konnte. Der alte Antonin, ebenfalls mit Schaufel und Pickel versehen, begleitete ihn, und beide wollten sich den in früher Morgenstunde am Thore sich versammelnden Taglöhnern zugesellen.

Libussa und ihre Mutter folgten mit Körben, welche mit Gemüse gefüllt waren, angeblich bestimmt für jene Ortschaften, woselbst für die vielen Arbeiter in Markedentereien ausgekocht wurde. Sie wollten Humprecht noch Lebewohl sagen, wenn er im Wagen saß.

Das Thor hatten bayerische Soldaten besetzt. Jeder der Auspassierenden wurde vom wachehabenden Offizier genau angesehen. Als Humprecht an die Reihe kam, erschrak er nicht wenig, in dem Offizier gerade denjenigen zu erkennen, der ihm den Säbelhieb am Kopfe beigebracht. Dem Offizier hingegen fiel der wankende Schritt und die fahle Blässe des Passanten auf und er sagte:

»Aber hör du, – du gehst, Leichen einzuscharren und 222 siehst selbst aus wie eine Leiche. Warum bleibst du nicht lieber zu Hause in der warmen Stube?«

Humprecht erwiderte etwas in böhmischer Sprache. Antonin, der zwar nicht genau gehört, was der Offizier und Humprecht gesprochen, es sich aber wohl dachte, sagte in gebrochenem Deutsch:

»Herr Offizier, wenn wir hätten warme Stube, ohne zu arbeiten, blieben wir freilich lieber zu Hause. Wir müssen verdienen, wenn wir nicht wollen hungern.«

»Du bist wohl der Vater dieses Burschen?« fragte der Offizier.

Humprecht nickte mit dem Kopfe und machte ein Zeichen, daß der Alte nicht recht höre.

»Merkwürdig,« versetzte jetzt der Offizier, Humprecht fest ins Auge fassend, »du erinnerst mich an – ich weiß nicht gleich an wen – aber ich habe dich schon irgendwo gesehen. Ja, ja, du gleichst einem tapferen Herrn, dem ich den Schädel gespalten habe. Dieser Ähnlichkeit wegen sollst du heute nicht mit den Totengräbern gehen. Da hast du Geld. Geh nach Hause und pflege dich. Du wankst ja förmlich.«

Humprecht wies die dargebotene Gabe mit einer stolzen Bewegung zurück, indem er auf böhmisch sagte:

»Ich danke, Herr, aber ich lasse mir nichts schenken.«

»Ei, wie stolz!« versetzte der Offizier.

In diesem Augenblicke kamen Libussa und ihre Mutter hinzu.

»Warum haltet ihr euch so lange hier auf?« fragte Libussa. »Frisch vorwärts! Es ist zu kalt zum Stehenbleiben.«

Der Offizier lenkte seine Aufmerksamkeit jetzt sofort dem Mädchen zu.

223 »Gehörst du zu diesen Männern?« fragte er.

»Ja, mein Vater und dies mein Verlobter,« erwiderte Libussa.

»Verlobter? Ich dachte, es wäre der Bruder?« sagte der Offizier. »Ich wollte dem Burschen Geld geben, daß er nicht zu arbeiten brauche und sich wieder nach Hause trolle in seine warme Stube – er sieht ja aus, wie selbst dem Tode verfallen, aber er weist meine Hilfe zurück, wahrscheinlich aus böhmischem Eigendünkel. Nun, es ist seine Sache – aber dich, Mädchen, laß ich nicht passieren ohne Lösegeld.«

»Lösegeld?« fragte Libussa betroffen. »Wie meint Ihr das?«

»Du sollst mir ein böhmisches Bussel geben.«

»Herr!« rief Libussa, als sie der Offizier ohne Umstände um die Taille faßte.

Aber sofort war Humprecht zur Stelle, riß den Offizier mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft von dem Mädchen und stieß ihn zur Seite, daß er sich nur mit Mühe vor dem Falle bewahren konnte. Nun aber zog dieser den Säbel und wollte den Angreifer niederhauen.

»Frecher Böhmak!« rief er wütend.

Libussa aber warf sich zwischen ihn und Humprecht und bat den Offizier um Gnade.

Humprecht aber riß das Tuch vom Kopfe, nahm die Pelzmütze ab und stolz vor den Offizier hintretend, sprach er:

»Ich bin Humprecht von Hracin, Herr von Hrádeck – dies ist meine Verlobte. Mit dem Degen in der Hand werde ich Euch diejenige Genugthuung geben, die Euch gebührt.«

Der Offizier war auf diese Worte hin wie umgewandelt.

»Ihr seid es wirklich, der uns den letzten Kampf am »Stern« so schwer gemacht hat? Dem ich selbst diese Wunde beigebracht? Mein Herr, ich salutiere!«

Er salutierte mit dem Säbel und versorgte ihn dann im der Scheide.

»Ihr müßt vergeben,« fuhr er dann fort; »es war mit dem Mädchen hier nicht so bös gemeint. »C'est la guerre!« Nun muß ich Euch aber einladen, mir in die warme Wachtstube zu folgen. Meine Pflicht gestattet mir nicht, so schwer es mir auf Ehre fällt, Euch passieren zu lassen. Ich muß Euch als Gefangenen erklären.«

Mit dem Weiterpassieren mußte es auch ohne den vorgefallenen Zwischenfall vorerst ein Ende haben, denn die Aufregung verursachte bei Humprecht eine plötzliche Schwäche, so daß er zu Boden gesunken wäre, wenn ihm nicht Antonin und die beiden Frauen unter die Arme gegriffen und letztere unter Schluchzen ihn ins Wachtlokal geführt hätten, wo er mit Hilfe des Offiziers auf ein Ruhebett gelegt wurde. Letzterer reichte ihm dann einen Becher mit Wein, worauf sich Humprecht allmählich wieder erholte.

Der Offizier bot Libussa ebenfalls einen Sitz an, indem er sich entschuldigte:

»Verzeihen Sie mein freies Benehmen; ich wußte nicht, daß ich ein adeliges Fräulein –«

Libussa wollte erwidern, doch in diesem Augenblicke wurde die Wache mit großem Lärm unter das Gewehr gerufen.

»Der Feldmarschall kommt!« hieß es. »Feldmarschall Tilly!«

Der Offizier eilte hinaus. Man hörte kommandieren und die Trommel rühren.

225 Libussa warf sich vor Humprecht auf die Knie.

»Kannst du mir verzeihen?« rief sie schluchzend. »Ich bin schuld daran, daß du nun in dieses neue Unglück kommst!«

»Sei ruhig, Libussa,« tröstete sie der Geliebte. »Nicht du, ich ganz allein trage die Schuld, denn ich vergaß meine Rolle. Schicke das Fuhrwerk nach Hause. Ich lasse meine Mutter grüßen. Man wird mich nicht lange gefangen halten, die Reise ist nur verschoben.«

»O Humprecht!« rief Libussa, »ich fürchte unaussprechlich für dich, geliebter Mann!«

Jetzt ward die Thüre geöffnet und herein trat Feldmarschall Johann Tserklas von Tilly, gefolgt von seinem Adjutanten und dem wachhabenden Offizier, auf dessen Rapport hin der Feldmarschall vom Pferde stieg, um sich selbst nach dem Freiherrn von Hracin umzusehen.

Bei seinem Anblick gab Humprecht dem Mädchen ein Zeichen, sich zurückzuziehen, er selbst suchte sich trotz aller Schwäche so rasch als möglich vom Ruhebett zu erheben, um den Ankommenden zu begrüßen.

Tilly war damals ein Mann von einundsechzig Jahren, hager und von mittlerer Statur. Er hatte scharf geschnittene Gesichtszüge, große, unter buschigen, grauen Wimpern hervorblickende, feurige Augen verrieten die eiserne Härte seines Charakters. Ein großer, schwarzer Filzhut mit bunter Feder schmückte sein Haupt, ein breiter, gestickter, weißer Halskragen legte sich über das gelbe Lederkoller, unter welchem er ein grünes Samt-Wams trug. Eine scharlachrote Feldbinde hatte er breit um seine Lenden geschlungen. An den Füßen prangten hohe Reiterstiefel 226 aus gelbem Leder und ein großer Mantel hing ihm leicht über den Schultern.

Er war der Differenzen mit dem hochmütigen Bouquoi wegen seit Beginn des Feldzuges stets übler Laune gewesen, die sich aber seit der siegreichen Schlacht am weißen Berge, mehr noch aber nach Abzug Bouquois in eine sehr gute verwandelte. Auch heute hielt sie bei ihm an. Er trat auf Humprecht zu und begrüßte ihn mit so freundlicher Miene, als ob er keinen politischen Gegner vor sich habe.

»Es freut mich, Euch unter den Lebenden zu treffen,« sagte er unter anderem zu ihm. »Es hieß, Ihr wäret gefallen und seid als tot auch im Kriegsbulletin aufgeführt. Setzt Euch nur; ich will desgleichen thun. Ich mache Euch mein Kompliment, Ihr habt uns den Sieg sauer genug gemacht. Hätte König Friedrich mehr solche Kämpfer gehabt, wer weiß, wie es um uns stünde. Ich achte die Tapferkeit auch am Feinde und trage Euch gewiß nichts nach. Ich wünschte nur, Ihr hättet Euch für eine bessere Sache so tapfer geschlagen.«

»Herr Feldmarschall,« erwiderte Humprecht, »was gäbe es für eine bessere Sache, als für die Freiheit und Selbständigkeit des geliebten Vaterlandes, der Heimat, zu kämpfen und zu sterben.«

»Das ist schön gedacht,« entgegnete Tilly, »und wir haben auch erfahren, daß es euch Böhmen heiliger Ernst war. Ihr habt jedoch vergessen, daß die erste Pflicht eines jeden Staatsbürgers der Gehorsam ist gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit. Doch sagt mir, warum wolltet Ihr in dieser Verkleidung das Thor passieren?«

»Man sagte mir, man halte uns hier so viel wie 227 gefangen, und ich wünschte auf meine Burg Hrádeck zurückzukehren, um dort meine Wunden heilen zu lassen.«

»Dazu hätte es dieser geheimen Entfernung nicht bedurft. Wenn Ihr mir Euer Ehrenwort gebt, in diesem Kriege nicht mehr die Waffen gegen die Liga zu erheben, sondern Euch ruhig auf Eurem Schlosse zu verhalten, steht Eurer Entfernung von hier nichts im Wege. Wollt Ihr so?«

Humprecht zögerte einen Augenblick. Sein Blick fiel auf die in einer Ecke des Gemaches stehende Libussa, welche ihn mit gefalteten Händen bat, den Willen des Generals zu thun.

»Ihr zögert?« fragte Tilly und sein Blick verfinsterte sich. »Ihr hofft wohl gar, die böhmischen Truppen kämen noch einmal obenauf? Es giebt keine böhmische Armee 228 mehr; sie ist in alle Winde zerstreut oder liegt draußen am weißen Berge begraben.«

»Ja, ja, das Kriegsglück war uns abhold,« versetzte Humprecht.

»Kriegsglück? Es ist nicht immer an dem. Wer die Fehler des Gegners am besten erkennt und auszunützen weiß, der gewinnt. Es war einmal nahe daran, daß die Schlacht für uns unglücklich ausgefallen, doch es lag in Gottes Willen, daß es so geworden. Nun haben wir die Macht und üben sie auch aus; dafür sei der Herr gepriesen.«

Der Adjutant hatte Humprecht Papier und Feder gereicht, den verlangten Revers zu unterschreiben. Humprecht that es mit schwerem Herzen.

»Aber wie wird es Euch möglich, auf Eure Burg zu kommen?« fragte Tilly.

»Ein Wagen erwartet mich,« erklärte der Freiherr.

»Wann wollt Ihr die Reise antreten?«

»Wenn es der Herr Feldmarschall gestatten, sogleich.«

»So sollen Euch ein paar Reiter das Geleite geben bis über unsere Vorposten hinaus. Wer begleitet Euch?«

»Mein Kammerdiener.«

»Ist das –« Tilly blickte jetzt nach Libussa, von der ihm der Offizier schon erwähnt hatte, »ich meine – ist das Euer – guter Engel? Eure Verlobte?«

»Ja, Herr Feldmarschall. Das Mädchen ist einfacher Leute Kind, mit dem Adel im Herzen.«

Tilly hatte sich erhoben und näherte sich Libussa. Diese schritt ihm entgegen und ließ sich vor ihm auf ein Knie nieder.

»Steh auf, steh auf, meine Tochter,« sprach der General gütig. »Gott lasse euch beide noch glückliche Tage 229 erleben! Bist du katholischen Glaubens, da ich ein Marien-Amulett an deinem Halse hängen sehe?«

»Ja, Euer Gnaden. Meine Familie ist katholisch.«

»Brav, das freut mich! Aber was sagt dein Beichtvater, daß du einen Lutheraner heiraten willst? Glaubst du dir dadurch den Himmel zu verdienen?«

»Wenn ich Humprecht angehöre, habe ich ja schon den Himmel auf dieser Welt.«

»Und in der andern?«

»Da werden nur die Herzen geprüft – so glaube ich, Herr Feldmarschall.«

»Und du meinst, die Verliebten erhalten dann den schönsten Saal,« entgegnete Tilly lächelnd.

»Den allerschönsten erhalten die Helden,« erwiderte Libussa, »und die hier Feinde gewesen, reichen sich dort versöhnt die Hände. Auch der sieggekrönte Tilly wird einstens dort wohnen.«

Tilly war ebenso geschmeichelt, als entzückt über die Antwort der schönen Böhmin. Er legte ihr die Hand aufs Haupt und sagte:

»Sei glücklich! Bedarfst du jemals meiner, so sei meiner Hilfe im voraus gewiß.«

Dann wechselte er auch mit Libussas Mutter einige Worte und ließ durch den Adjutanten ihre Wohnung notieren.

»Ich wünsche Euch Glück zu solch einem Juwel,« sprach er im Abgehen zu Humprecht. »Und nun reiset mit Gott und lebt wohl!« Dann Libussa noch einmal freundlich zunickend, verließ er das Wachtlokal. Wieder hörte man kommandieren und die Trommel rühren.

Libussa hatte Humprecht freudig umarmt. Es leuchtete ja wieder ein Hoffnungsstrahl in die Finsternis des Schreckens.

230 Frau Antonin eilte hinaus, den Wagen herbeizuholen, und Humprecht wurde nun, in Pelze gehüllt, bequem in dem Wagen zurecht gelegt.

Der Offizier war gleichfalls an den Wagen getreten.

»Ich kann Euch nicht ziehen lassen, ohne Euch nochmals um Vergebung zu bitten,« sagte er. »Aber an Eurer Stelle hätte ich mir die Braut gleich mitgenommen. Und wer soll Euch unterwegs Pflege angedeihen lassen, wenn Ihr einer solchen bedürft?«

»Seid unbesorgt, Herr Kamerad,« entgegnete Humprecht lächelnd. »Mein Kammerdiener wird mich pflegen. Und meine Braut werde ich mir bald heimholen.«

Dann nahm er nochmals herzlichen Abschied von Libussa und den Ihrigen.

Von zwei Reitern geleitet, setzte sich der Wagen in Bewegung. Als derselbe das Schlachtfeld am weißen Berge passierte, durch dessen nördlichen Einschnitt die Straße nach Hostiwitz führt, ließ Humprecht in der Nähe des Platzes halten, an welchem sein Regiment den Heldentod gefunden. Zahlreiche Totengräber walteten dort noch ihres traurigen Amtes. Die Begebenheiten der einstündigen Schlacht schwebten wieder lebendig vor seinem Geiste.

Nach einer Weile hieß er den Wagen wieder weiter fahren, hinaus in die schneebedeckte Landschaft, über welche sich das bleiche, kalte Licht der Wintersonne ausgebreitet hatte. Es fröstelte ihn, und die Augen schließend, sagte er schmerzbewegt:

»Mein armes, armes Böhmerland!« 231


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