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Humprecht von Hracin erholte sich sehr langsam, obwohl ihm die denkbar beste Pflege zu teil ward. Ihn peinigte außer seinen körperlichen Leiden selbstverständlich auch der Kummer über das Unglück seines Vaterlandes. Durch seinen Diener, welcher versprengt gewesen, sich nun auch wieder einfand und den Aufenthalt seines Herrn bald ausgekundschaftet hatte, erfuhr er, daß sein Onkel, Graf Joachim Schlick, wohlbehalten aus dem Gefechte zurückgekehrt sei, sich aber nach des Königs Abzug ebenfalls aus Prag geflüchtet habe, ferner, daß sein zweiter Onkel, Heinrich von Schlick, gefangen worden und seine Vettern auf dem Schlachtfelde geblieben seien.
Humprechts Mutter, Frau von Hracin, war ohne alle Nachricht von ihrem Sohne und es lag diesem nun daran, sie wissen zu lassen, daß er noch am Leben sei.
Stanislaus, der Spielmann, erbot sich, den weiten Weg von etwa vierundzwanzig Stunden nach Hrádeck zu machen. Humprecht beauftragte ihn, der Freifrau zu sagen, sie möchte für einen bequemen Wagen sorgen, der ihn nach Hause bringen könne; er wünschte sehr, sobald wie möglich von Prag fortzukommen, denn eine düstere Ahnung sagte ihm, daß seine persönliche Sicherheit mit jeder Stunde, 211 die er länger hier verweile, mehr und mehr gefährdet werde und auch Libussa und ihre Mutter darunter zu leiden haben könnten.
Prag war ruhig. Die Festung Karlstein war zurückerobert und Bouquoi rückte mit dem größten Teil seiner Armee nach Ungarn, Tilly aber blieb in Prag zurück. Die abgedankten Kosacken und Polen machten zwar das Land sehr unsicher, doch kam Stanislaus ungefährdet nach Hrádeck, wo er die Freifrau in Trauerkleidung und mit vom Weinen geröteten Augen antraf, denn sie wußte nicht anders, als daß neben ihren anderen Verwandten auch ihr Sohn gefallen sei. Humprecht hatte vorsichtshalber dem Spielmann nichts Schriftliches mitgegeben und so mußte Stanislaus mündlich seine Botschaft vorbringen.
Als er jetzt jener Frau gegenüber stand, welche vor drei Jahren so viel Elend über seine Schwester und seine Familie gebracht, da that es ihm fast leid, daß er als Glücksbote erscheinen mußte, um so mehr, als ihn auch jetzt die stolze Freifrau in unfreundlichster Weise anließ. Er hatte schon durch den Pförtner erfahren, daß man den Freiherrn für tot hielt.
»Was willst du?« fragte sie bei seinem Eintritte. »Mein Diener wird dir ein Almosen reichen, . . .obwohl man solche Bettelmusikanten nicht unterstützen soll.«
»O, Euer Gnaden, bei mir bitte zu machen eine Ausnahme, ich komme nicht betteln. Ich bin der Bruder Libussas –«
»Wie? Der Bruder jener – und du wagst es, mir unter die Augen zu treten?« unterbrach ihn die Freifrau. »Augenblicklich entferne dich, oder ich lasse den Büttel kommen und dich auspeitschen.«
212 »O, Euer Gnaden, ich bin ja keine Hexe,« erwiderte Stanislaus etwas boshaft. »Auch meine Schwester ist keine, sie ist fromm und gut, das kann Euer Gnaden Sohn, Herr Humprecht, Euch bezeugen.«
»Nimm diesen Namen des Verlebten nicht in den Mund, vorlauter Bursche!« rief die Freifrau.
»Dann kann ich auch nicht ausrichten, was mir aufgetragen der gnädige Herr.«
»Wer?« fragte Frau von Hracin aufhorchend.
»Der gnädige Herr Humprecht.«
»Du hast ihn gesehen, ehe er in die Schlacht gezogen ist?« fragte sie jetzt mit milder Stimme, »gesehen, ehe er gefallen ist?«
»Nach der Schlacht habe ich ihn gesehen. Euer Gnaden, wer sagte Euch denn, daß Herr Humprecht ist gefallen? Er ist nicht tot, er lebt.«
»Er lebt?« rief die Freifrau mit freudigem Schreck.
Stanislaus nickte lächelnd mit dem Kopfe.
»Ist das gewiß?«
»So wahr ich hier stehe, so wahr Ihr meiner Schwester schwer unrecht gethan, so wahr, als wir Euch Herrn Humprecht zu lieb verziehen haben.«
»O Gott, ich danke dir!« rief die Freifrau mit zum Himmel gerichteten Blicken und mit zum Gebet gefalteten Händen. Dann wandte sie sich zu dem jungen Burschen.
»Wo ist mein Sohn? Ist er gesund?«
»Gesund, fragen Euer Gnaden? Euer Gnaden werden mir's nicht entgelten lassen, wenn –« Er stockte.
»So sprich!« rief die Freifrau ungeduldig. »Ist er verwundet?«
»Das wohl, Euer Gnaden –«
213 »Lebensgefährlich?« drängte die Freifrau. »So sag doch, was du weißt. Du folterst mich!«
»Nicht lebensgefährlich,« beruhigte Stanislaus die erregte Mutter. »Einen Schuß und eine Kopfwunde – wir fürchteten wohl, er würde uns sterben, aber wir halfen alle zusammen, ihn zu pflegen und nun ist er auf dem Wege der Besserung.«
»Wer – wir?«
»Ich darf ja nicht nennen Namen, weil Euer Gnaden verboten haben –«
»Das sagt ich ja nur im ersten Unwillen,« sprach die Freifrau jetzt gütiger. »Sprich nur, erzähle mir alles und von allem, wo ist mein Sohn?«
»Bei uns in Prag. Er ist gut geborgen, ist's dort auch nicht so schön, wie hier. Wir haben ihn alle so lieb, Vater, Mutter, Schwester und ich. Ich auch, ja, ja, und wenn er reden könnte, der da oben,« dabei blickte er nach dem wohlgetroffenen Bildnis des Freiherrn über dem Kamin, »würde er sagen: Du hast wahr geredet, Stanislaus; geig mir ein lustiges Stücklein und –«
»Weiter, weiter, erzähle!« drängte die Freifrau.
Und nun erzählte Stanislaus alles, was er wußte und schloß mit dem Auftrag, die Mutter möchte Humprecht sobald als möglich nach Hause holen lassen.
Die Freifrau war von des Burschen Erzählung tief bewegt. Sie trat jetzt zu ihm hin, blickte ihm in die treuen Augen und reichte ihm dann die Hand, indem sie sagte:
»Stanislaus, ich danke dir für deine Botschaft, du hast mich damit glücklich gemacht. Ich werde euch allen reichlich lohnen, was ihr Gutes an meinem Sohne gethan.«
214 »O, wir nehmen keinen Lohn, Euer Gnaden. Wir sind reich genug belohnt, daß es uns ist gelungen, den guten Josef dem Tode zu entreißen.«
»Josef?«
»So nennen wir ihn, denn als solcher ist er unser, war er unser, als wir noch nicht wußten, daß sein wahrer Name Humprecht –«
»Ich werde sofort Sorge tragen, daß er heimgeholt wird,« fiel sie ihm ins Wort. »Ruhe dich aus; du sollst aufs beste bewirtet werden. Dann kannst mit dem Fuhrwerke wieder nach Prag zurückkehren.«
Sie läutete und gab dem Diener die nötigen Anweisungen. Stanislaus folgte ihm dann in die Trinkhalle, in welcher das Gesinde seine Mahlzeiten einnahm.
Dort traf er mit dem Büttel Nepomuk zusammen, der ihn vor drei Jahren vom Schlosse jagen mußte und dessen Branntweindurst er's zu danken hatte, daß er Libussa in Bergstadtl befreien konnte. Der Alte erkannte ihn nicht mehr. Hätte er geahnt, daß er denjenigen vor sich hatte, der ihm so vielen Verdruß gebracht, er würde sich noch heute gerächt haben. So aber empfahl ihm der Diener noch ganz besonders, mit dem Burschen recht höflich zu sein.
»Höflich sein mit solchem Straßengesindel!« brummte er. »Wenn's Ihro Gnaden befehlen, muß ich gehorchen.«
Er war sehr neugierig, zu erfahren, wie es der junge Mensch angelegt, die gestrenge Frau so huldvoll gegen sich zu stimmen, denn seit jener Zeit, als Libussa im Schlosse gewesen, durfte kein vagierender Musikant mehr vorgelassen werden.
Stanislaus ließ sich Speise und Trank trefflich schmecken. 215 Da ihm der Büttel unausgesetzt neidisch auf den Mund sah, schob er ihm lächelnd die Zinnkanne zu und sagte: »Da trinkt – auf das Wohl Eures Herrn!«
»Was?« rief der Büttel. »Weißt du nicht, daß unser Herr tot ist?«
»Trinkt nur auf sein Wohl! Ihr begeht keine Lästerung.«
»Du meinst, Kerl, weil er im ewigen Leben ist. Ja, du hast recht, da geht's ihm wohl. Da wird's auch mir dereinst wohl gehen, wenn ich nicht wieder verdammt bin, auch im Jenseits einen Büttel zu machen, einen Fanghund, der selbst mit dem Teufel raufen muß. Aber ich getraue mir doch nicht, auf so etwas zu trinken –«
»Nun, so trinkt auf Euer eigenes Wohl!« lachte Stanislaus.
»Ja, da bin ich dabei,« entgegnete Nepomuk, gierig nach der Kanne greifend, »auf mein Wohl, ja! Da hab ich was davon – also – ich soll leben!« Er trank die Kanne beinahe leer.
Stanislaus lachte. Er machte selbst einen kräftigen Zug, dann reichte er dem Büttel die Kanne wieder.
»Nun sollt Ihr nochmals trinken – auf das Wohl meiner Schwester.«
»Deiner Schwester? Ist sie schön?«
»So schön, wie die Hexe Libussa, die Ihr vor drei Jahren aus der Burg geschafft.«
Nepomuk setzte die Kanne, die er schon am Munde gehabt, erschrocken auf den Tisch.
»Du weißt davon?« fragte er überrascht den Burschen. Dann aber, als er dessen spöttisch auf sich gerichteten Blick sah, fuhr er fort: »Wo Teufelswerk im Spiel ist, kann unsereiner nicht aufkommen. Aber Respekt hat der Teufel 216 doch vor mir bekommen, denn ich hab ihn bei den Hörnern gepackt und mich eine halbe Stunde mit ihm herumgerauft. Inzwischen ist die Hexe auf und davon. Schließlich mußte ich auch den Teufel loslassen, weil er mir den großen Silberblock zu bringen versprach, der in Bergstadtl vergraben ist. Aber er kam nicht wieder. Nichts ließ er zurück, als Gestank, und noch von weitem hörte ich sein höhnisches Lachen.«
»Aber Ihr habt ja einen Hund bei Euch gehabt?« sagte Stanislaus.
»Der Hund? Das war's ja – das miserable Hundsvieh ist verhext worden, und auch der Fuhrmann, denn beide hörten und sahen nichts. Was lachst denn, Bursche? Glaubst du 's nicht?«
»Ich will Euch was sagen, Nepomuk. Ihr lügt ja wie gedruckt. Der Teufel, der Euch das Mädchen wegstibitzt hat, bin ich gewesen. Ich hab aber damals so wenig, wie heut, Hörner gehabt und damit Ihr nicht zweimal zu erschrecken braucht, sag ich Euch's gleich jetzt, daß Libussa meine Schwester ist.«
Der Büttel riß seinen Mund angelweit auf und suchte den jungen Burschen mit seinen Blicken zu durchbohren, der Stanislaus lachen machte. Endlich brach er in die Worte aus:
»Da steht mir der Verstand still!«
»Trinkt, dann wird er wieder rege,« lachte der Spielmann.
»Nur, um meine Wut hinabzuschwemmen,« versetzte Nepomuk, und that einen kräftigen Zug. »Aber –«
»Wie das zugegangen ist?« meinte Stanislaus. »Das will ich Euch der Wahrheit gemäß erzählen.«
217 Und er teilte dem andern mit, auf welche Weise er damals seine Schwester befreite. Er schloß mit den Worten: »Nun werdet Ihr doch begreifen, daß ich Eure Schwindelei von den Teufelshörnern nicht glauben kann, Ihr müßtet mich denn für würdig halten, selbst Hörner im Kopfe zu haben, das heißt, ein Ochse zu sein.«
»Junger Freund,« entgegnete der Büttel, der nicht im mindesten in Verlegenheit gekommen war, »du brauchst nicht verlegen zu sein, wenn du die Geschichte besser weißt, als ich. Aber merktest du denn nicht, du Einfaltsmensch, daß ich nur deshalb mit meinem Hunde in die Knappenschenke gegangen war, um dir Gelegenheit zu geben, das Mädel zu befreien? Glaubst du, unsereiner hat nicht auch ein Herz? Glaubst du, ich hätte es übers Herz gebracht, das Mädel in ein Kloster zu sperren, ich, der ich schon in meiner Kindheit als guter Protestant geboren bin? Nein, Freund und Bruder – laß nur nochmal einschenken, mir scheint, dich kostet's nichts – nur aus Nächstenliebe hab ich so gehandelt, aus Nächstenliebe hab ich den Teufel zur Hilfe gelogen. Du wirst mich nicht verraten!«
»Seid unbesorgt,« entgegnete Stanislaus. »Aber jetzt will ich Euch eine Nachricht mitteilen, die so wahr ist, als Eure Geschichte verlogen war. Euer Herr, Baron Humprecht von Hracin, ist nicht in der Prager Schlacht geblieben; er lebt und wird bald hier sein.«
»Kerl, is das wahr?« schrie Nepomuk überlaut.
»So wahr ich will selig werden!«
»Viktoria!« rief der Büttel. »Ja, wenn das so ist, so muß man's in der Burg bekannt machen. Eine solche Neuigkeit muß ich weiter sagen, sie drückt mir sonst das 218 Herz ab. Schnell noch einen Trunk – so – und jetzt: auf Wiedersehen!«
Er stürzte zur Thüre hinaus. Man merkte alsbald an den Freudenrufen, die überall laut wurden, daß er seine Neuigkeit kundgegeben.
Einige, die es nicht glauben wollten, kamen in die Halle, um es sich von Stanislaus bestätigen zu lassen. Die Freude der Schloßbewohner war um so größer, als Frau von Hracin bekannt machen ließ, daß jeder zur Freude des Tages ein namhaftes Geschenk erhalten solle.
Inzwischen ward auf einem Wagen ein weiches Lager zurecht gerichtet, Wein und sonstige für einen Krankentransport nötige Dinge dort untergebracht und ein verlässiger Diener ausgewählt, der mit nach Prag fahren sollte. Die Freifrau wollte dem jungen Spielmann ein Schreiben an ihren Sohn mitgeben, aber Stanislaus wies es zurück, indem er ihr sagte, wie geheimnisvoll man zu Werke gehen müsse, um die Anwesenheit Humprechts in Prag nicht zu verraten und dadurch zu veranlassen, daß er noch nachträglich gefangen würde.
Die Freifrau erstaunte über des Jünglings kluge Vorsicht und sie sprach gerührt:
»Bring allen Deinen meinen innigsten Dank und meinen Gruß.«
»Auch meiner Schwester Libussa?« fragte Stanislaus mit treuherzigem Lächeln.
»Auch ihr,« versetzte die Freifrau milde. »Ich habe ihr vieles abzubitten.« Und ihn forschend ansehend, fuhr sie fort: »Deine Augen erinnern mich lebhaft an sie. Diesem Blick, ich konnte ihn nie wieder vergessen, nur, daß du freundlich und sie erbittert blickte. Wenn wir uns 219 wieder begegnen, werde ich von ihr auch einen freundlichen Blick erhalten. Meinst du nicht, Stanislaus?«
»Gewiß, Euer Gnaden,« entgegnete dieser, der Freifrau die Hand küssend.
»So küsse sie in meinem Namen,« sprach diese, strich ihm die üppigen Haare aus der Stirne und küßte ihn auf dieselbe. »Reise mit Gott. Möge er meinen Sohn glücklich heimkehren lassen!«
Gleich nach diesem Abschiede setzte sich das Fuhrwerk, auf welchem Stanislaus und der Diener Platz genommen, in Bewegung. Die Freifrau stand am Fenster ihres Gemaches und blickte demselben lange nach. Stanislaus grüßte, die Mütze lüftend, noch einmal zu ihr empor und sie winkte ihm freundlich mit der Hand zu. Sie hatte das echte, goldene Herz des Jünglings erkannt, das, wie sie nun wußte, ganz jenem der Schwester glich. Nun fand sie es wohl erklärlich, daß sich Humprecht zu ihr hingezogen fühlte.
Der Jubel, der unter den Schloßbewohnern über die glückliche Nachricht herrschte, riß die Freifrau aus ihren Betrachtungen. Thränen traten ihr in die Augen; diesmal waren es Thränen der Freude, und sie ließ ihnen freien Lauf. Ihr Gemüt war tief erschüttert. 220