Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

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XX.

Am siebzehnten Juni, einen Tag nach Libussas Abreise von Prag, rückten dortselbst sieben Schwadronen sächsischer Reiter ein, welche in alle drei Stadtteile verlegt wurden, um das Volk im Zaume zu halten. Niemand wußte, aus welcher Ursache diese Maßregel getroffen wurde und die widersprechendsten Gerüchte schwirrten hin und her. Aber andern Tages in aller Frühe sollten die Prager in betreff der Verstärkung der Garnison nicht mehr im Zweifel sein. Vor dem Altstädter Rathause wurde eine zwanzig Schritte lange und ebenso breite Bühne dergestalt aufgerichtet, daß man durch eine Thüre aus dem Rathause auf dieselbe gelangen konnte.

Nun war es allen klar, was man von der erhofften Amnestie zu halten hatte. Das Ungewitter brach über die Häupter der Schuldigen los. Graf Thurn, die Oberfeldherren Anhalt und Hohenlohe und ihre eifrigsten Anhänger waren mit dem Winterkönig entflohen, aber alle übrigen adeligen Herren der ständischen Partei, welche teils in der Nacht des 10. Februars auf ihren Schlössern überfallen worden oder im Vertrauen auf des Kaisers Gnade sich freiwillig gestellt hatten, oder auch durch Angeber verraten worden waren, wurden nach der ganzen Strenge und Willkür des Gesetzes bestraft.

271 Sämtliche Gefangene wurden unter starker Bedeckung aus dem weißen Turme nach dem Schlosse überführt, um ihr Urteil zu vernehmen.

Fürst Liechtenstein, als kaiserlicher Statthalter, war mit den kaiserlichen Räten und Kommissarien in der Reichshofratsstube versammelt. Es waren dies die Herren Adam von Waldstein, Friedrich von Talenberg, Christoph Wratislav von Mitrowitz, Wolfgang von Albenreit, nebst noch sieben andern Räten und Rechtsgelehrten, die dem Fürsten zur Seite saßen.

Die Gefangenen wurden, einer nach dem andern, vor sie gefordert. Siebenundzwanzig wurden wegen Hochverrat und Treubruch zum Tode verurteilt, die übrigen mit milderen Strafen belegt, alle jedoch mit Konfiskation ihrer Güter bestraft.

Ein Schrei des Entsetzens ging durch ganz Prag, als man diese fürchterliche Kunde vernahm.

Humprecht von Hracin war nebst seinem Oheim, dem Grafen Joachim Schlick gleichfalls unter den zum Tode Verurteilten. Sie hörten den Urteilsspruch gleich den andern Herren mit stolzer Würde an und Graf Schlick rief dem Richter zu:

»Das Schaffot wird für uns zum Felde der Ehre. Wir sterben für unser geliebtes Böhmerland.«

Es gelang dem Grafen auch, im Vorübergehen ein paar Worte mit seinem Neffen zu wechseln und ihm die Hand zu drücken.

»Mut, Humprecht!« sagte er. »Tragen wir mit Stolz, was nicht zu ändern ist.«

»Oheim,« erwiderte Humprecht, »ich denke nicht an mich, nur an die Mutter und –«

272 Er konnte nicht weiter sprechen, da die Soldaten sich zwischen die beiden schoben und sie trennten.

Die Gefangenen wurden wieder in ihr Gefängnis zurückgeführt und es ward ihnen gestattet, jetzt Besuche von ihren Angehörigen und Freunden anzunehmen, ebenso Geistliche von eines jeden Religion.

Die Jammerszenen, welche nun zwischen den Verurteilten und ihren Familien stattfanden, spotten aller Beschreibung. Da war es der Vater, welcher den Seinen so jäh entrissen werden sollte, hier ein hoffnungsreicher Sohn, der Stolz der Familie, dort wieder der Verlobte eines hochadeligen Fräuleins, oder der Bruder, an dem die Schwestern mit aller Zärtlichkeit hingen, und nun mit einem Schlage sollten all die so teuren Leben vernichtet und die Zurückgebliebenen, ihrer ererbten Güter verlustig, sollten Bettler werden. Viele brachte dieser grauenhafte Blick in die Zukunft fast zur Verzweiflung; viele wollten, konnten nicht daran glauben, daß das Urteil wirklich zum Vollzuge kommen würde.

Humprecht wartete mit Sehnsucht auf den Besuch Libussas, auch hoffte er, daß seine Mutter rechtzeitig Nachricht erhalten und von ihm und dem Oheim Abschied nehmen könnte. Er wußte nichts von Libussas Reise nach Wien. Frau Antonin lag vor Aufregung krank zu Bette und ihr Mann war so glücklich, das Schreckliche, was sich die Leute zuflüsterten, nicht zu hören. Er pflegte seinen Garten und machte ein zufriedenes Gesicht, weil die schon lange Zeit andauernde trockene Witterung sich änderte und der erwünschte starke Regen eintrat.

Als am Zwanzigsten Libussa noch nicht erschien, schickte Humprecht in ihre Wohnung, um sie zu sich zu bitten; 273 bevor aber der Bote zurückgekehrt, fand sich Feldmarschall Tilly bei ihm ein und klärte ihn über das Ausbleiben seiner Verlobten auf. Der General teilte ihm mit, daß er dem Mädchen seinen eigenen Wagen zur Verfügung gestellt und demselben ein eigenhändiges Gnadengesuch an den Kaiser mitgegeben und daß er die Hoffnung hege, Libussa würde bei den Majestäten, die ihr seinerzeit ihr Wohlwollen zugesagt, nicht vergebens bitten. Es handle sich nur darum, ob das Mädchen ungefährdet und rechtzeitig zurückkehren würde.

Humprecht dankte dem General gerührt für so viel Güte, die er nicht verdient zu haben glaube, und neue Hoffnung zog in sein Herz, aber auch bange Zweifel, ob Libussa rechtzeitig einzutreffen vermöge, ob mit Erfolg, ob mit abschlägigem Bescheid u. s. w. Humprecht verfiel in einen sehr erregten Zustand, denn bald fürchtete er, es sei ihm gar nicht mehr vergönnt, die Geliebte zu sehen und zu umarmen, sich nochmals an ihrem Anblick zu weiden und von ihren Lippen das Geständnis ewiger Liebe zu vernehmen.

Die Ankunft seiner Mutter beruhigte ihn einigermaßen, weil er nunmehr die Ärmste trösten und ermahnen mußte, stark und stolz das Unglück ihres Hauses zu tragen. Ein Freudenstrahl drang in sein Herz, als er erfuhr, daß sein Freund, Wolf von Perglas, sich im Auslande in Sicherheit befinde und mit Marianka ehelich verbunden sei. An ihn wollte er noch brieflich Abschiedsgrüße richten.

Als Frau von Hracin von der Reise Libussas nach Wien hörte, zuckte sie verächtlich die Achsel.

»Was soll das frommen?« sagte sie. »Ich weiß, daß viele hochadelige Damen, die Verwandte unter den Verurteilten haben und sich großen Einflusses bei Hofe rühmen 274 können, gar nicht vorgelassen wurden. Und gegen unsere, die gräfliche Familie Schlick ist der Kaiser und sein geistlicher Rat ganz unerbittlich. Hätte er sonst die Auslieferung meines Bruders aus Sachsen durchgesetzt? Und du hoffst, daß die arme Spielmannstochter erreichen könnte, was Personen von höchstem Range unerreichbar war? Nein, nein, Humprecht, laß diesen Strohhalm von Hoffnung fahren. Mein Geschlecht, die Grafen Schlick, sind durch den Krieg und durch das Schwert des Scharfrichters morgen vernichtet und mit dir fällt der Hauptstamm der Freiherrn von Hracin. Mögen sie immerhin unsere Schlösser konfiszieren. Ich werde dich nicht lange überleben.«

Ein heißer Thränenstrom folgte diesen Worten.

Humprecht vergaß über dem Schmerz der Mutter sein eigenes Leid.

»Mutter, du willst mir das bißchen Hoffnung nehmen, das ich noch habe. Aber wer hindert uns, zu glauben, daß nicht in dieser Stunde Libussa, mit dem kaiserlichen Gnadenbrief versehen, gen Prag eilt? Du kennst das Mädchen nicht. Du hast sie zwar schon einmal für eine Hexe gehalten,« sagte er in einem Anflug von Galgenhumor, »vielleicht kann sie dich überzeugen, daß sie mir nur ein guter Engel ist.«

»Ich habe längst bereut, sie damals so unchristlich behandelt zu haben und hatte mir auch vorgenommen, sie für jene Unbill zu entschädigen.«

»Sie ist mir neben dir das Liebste auf der Welt, Mutter. Erbittet sie mir das Leben vom Kaiser, so gehört es ihr – darüber sind wir wohl einig. Die Entschädigung wird sein, daß du sie als Tochter liebst – auch wenn ich nicht mehr bin. Mein letzter Gedanke wird ihr Name sein.«

275 Während Frau von Hracin bei ihrem Sohne weilte, hatte sich eine große Menge von Frauen, Kindern, Verwandten der Verurteilten vor das Haus des Statthalters begeben und bat unter entsetzlichem Jammergeschrei um Gnade für die Verurteilten. Sie wurden nicht empfangen und mit kalter, abschlägiger Antwort abgewiesen. Eine tiefe Trauer bemächtigte sich aller Einwohner von Prag, dort und da sann man auf Empörung, aber das aufgeschlagene Schaffot schreckte die Leute wieder von ihrem Vorhaben ab. Man ballte die Faust in der Tasche und gab sich schließlich stumm in das Unabänderliche.

Gegen Abend bedeckte man die vor dem Altstädter Rathause aufgeschlagene Bühne mit schwarzen Tüchern und unter heftigem Regen wurden alle Verurteilten auf das Rathaus gebracht. Nun zweifelte niemand mehr an dem fürchterlichen Ernst des zur That werdenden Urteils.

Humprechts Hoffnung ward auch von Stunde zu Stunde schwächer. So lange es tagte, sah er im Geiste Libussa mit flüchtigen Rossen sich nähern, aber als gegen neun Uhr zufolge des mit dichten, schwarzen Wolken bedeckten Himmels tiefe Finsternis eintrat, die auf der Landstraße sich noch mehr geltend machen mußte, bemächtigte sich seiner eine fieberhafte Unruhe. An eine Begnadigung wagte er nach den Ausführungen seiner Mutter nicht mehr zu denken, aber Libussa wollte er noch in seine Arme schließen, nur einmal noch sie sehen. Seinethalben war sie jetzt in Regen und Sturm nächtlicher Weile auf der Landstraße, wo ihr so leicht ein Unfall begegnen konnte. Er flehte zum Himmel, daß er die Teure beschützen möge.

Indessen war Libussa glücklich bis Tabor gelangt, wo die Pferde gewechselt wurden. Von hier aus konnte 276 es nicht mehr so flott weitergehen, wie bisher. Durch den Regen war die ohnedies schlechte Straße durchweicht und in der tiefen Finsternis konnte der Kutscher die Pferde nicht mehr so sicher lenken. Libussa saß wie auf Kohlen. Sie eiferte den Kutscher nach Möglichkeit an, machte ihm Versprechen auf Versprechen, so daß der Rosselenker gutmütig lächelnd meinte: »Glaubt nicht, daß ich Euch beim Wort nehme, sonst würdet Ihr so arm, wie eine Kirchenmaus und ich so reich wie ein Krösus.«

Es war Mitternacht vorüber, als sie in dem etwa 8 Stunden von Prag entfernten Beneschau anlangten, wo wieder frische Pferde genommen wurden, was indessen eine längere Verzögerung veranlaßte.

Nun aber kam ein neuer Schrecken. Man bezweifelte in Beneschau, ob die hölzerne Brücke in Poric, welche dort über die Sazawa führt, die sich einige Stunden westwärts in die Moldau ergießt, bei den heftigen Regengüssen und dem Anschwellen der Gewässer noch passierbar sei. Zugleich erfuhren die Reisenden, daß ein Stafettenreiter aus Wien kurz vorher den Ort passiert habe, dessen Pferd in einem bedauernswerten Zustand wäre, so daß es Prag sicher nicht erreichen werde.

Somit war auch die Hoffnung, daß der Kourier mit dem Gnadenbriefe vor ihnen nach Prag käme, in Frage gestellt. Libussa verlegte sich nun aufs Beten und Verloben. Sie wollte zum hl. Berg bei Pribram wallfahrten, Kerzen und Geld opfern, wenn sich die Himmelsmutter ihrer erbarme und sie rechtzeitig nach Prag gelangen lasse. In vier Stunden war es fünf Uhr morgens und sie waren noch über sechs Stunden vom Ziele entfernt.

Stanislaus tröstete die Schwester und versprach ihr, 277 über die Sazawa zu schwimmen, falls die Brücke weggerissen wäre. An der Brücke bei Poric angekommen, wurde der Kutscher in der That von dort Wache haltenden Leuten gewarnt, weiterzufahren. Er fürchtete auch für sich und seine Insassen, ebenso für Pferde und Wagen und machte den Vorschlag, bis zum Tagesanbruch in Poric zu verweilen. Aber Libussa beschwor ihn mit gefalteten Händen, die Fahrt zu wagen. Sie stellte ihm vor, was auf dem Spiele stände und berief sich aus Tillys Befehl. Nach längerem Hin- und Herreden ließ sich der Kutscher endlich herbei, langsam über die gefährliche Brücke zu fahren.

Libussa getraute sich kaum zu atmen. Inmitten der Brücke scheuten die Pferde; die unter ihnen wild tosenden Wasser erschreckten sie. Auch verspürte man deutlich, wie sich die Brücke bewege. Sie konnte im nächsten Augenblicke zusammenstürzen.

Stanislaus war aus dem Wagen gesprungen, griff mit fester Hand den Pferden in den Zaum und führte sie, dieselben durch Zuspruch beruhigend, vollends über die wankende Brücke.

»O hilf, Maria vom heiligen Berg!« flehte Libussa in ihrer Herzensangst, da war auch das jenseitige Ufer schon erreicht. Ein freudiges »Vergelts Gott!« löste sich aus des Mädchens Brust.

Stanislaus hatte soeben seinen Platz wieder eingenommen, als ein heftiges Krachen hinter ihnen erfolgte. Entsetzen bemächtigte sich aller. Die Brücke ward von den schäumenden Wogen fortgerissen. Wenige Sekunden Versäumnis und sie wären alle verloren gewesen.

»Diesmal hat die lieb' Frau vom hl. Berg wirklich 278 g'holfen,« meinte der Kutscher. Libussa aber küßte das an ihrer Brust hängende Amulett und betete.

Die Pferde, von dem Krachen der einstürzenden Brücke aufs neue erschreckt, flogen in rasender Eile dahin.

Der Regen hatte nachgelassen, die Wolken verzogen sich, schon fing der Tag zu grauen an. Man hörte bereits die Triller der in der Morgenröte jubilierenden Lerchen. Ängstlich lauschte ihnen Libussa.

Aber noch waren die Hindernisse nicht überwunden. Beim Dorfe Rican trafen sie auf ein mitten im Wege liegendes Pferd. Es war das Pferd des Kouriers. Auch er hatte dessen Kräfte überschätzt; es stürzte, vom Schlage getroffen, tot nieder. Der Reiter war unter dasselbe zu liegen gekommen und quälte sich vergebens ab, sich frei zu machen. Er wurde von Stanislaus und dem Kutscher aus seiner verzweifelten Lage befreit.

»Nehmt mich mit,« bat er. »Ich muß um fünf Uhr in Prag sein.«

Es war also wirklich der vom Kaiser in der Sache Hracins abgeschickte Kourier. Man hob den Verunglückten sofort in den Wagen; er schien einer Ohnmacht nahe.

Nach diesem erheblichen Zeitverluste setzte sich der Wagen wieder in Bewegung. Bereits war es lichter Tag, Hradschin und Wisserhad waren bereits in der Ferne sichtbar – in schrecklich weiter Ferne.

Mit lautem Zuruf ermunterte Libussa Pferd und Kutscher.

»Wir kommen schon noch zur rechten Zeit!« tröstete der gutmütige Rosselenker.

Aber plötzlich schrie Libussa entsetzt auf.

»Wir kommen zu spät!« jammerte sie »Ich höre 279 die Morgenglocken läuten. Es ist schon fünf Uhr. Heilige Mutter Gottes verlaß uns nicht!«

Der Kourier fühlte sich so elend, daß er es für nötig fand, dem Mädchen das kaiserliche Dekret zu übergeben, damit dieses es dem Statthalter aushändige, falls er hiezu nicht mehr fähig wäre. Er hatte längst erkannt, daß sie in gleicher Angelegenheit nach Prag eilten.

Einige Raben flogen dem Wagen voraus, der Stadt zu.

»O könnt ich fliegen!« wünschte Libussa. »Was ist der Mensch für ein Wurm, und dünkt sich doch der Herr der Schöpfung zu sein!«

Jetzt hörte man einige dumpfe Kanonenschläge.

»Mein Gott, das ist das Zeichen des Todes!« rief Libussa. »O Herr, nur einige Augenblicke halte ihn noch zurück!« Sie war dem Wahnsinn nahe.

Endlich – endlich hatten sie die Stadt erreicht, doch war das Thor versperrt. Es währte für Libussa eine Ewigkeit, bis der Kommandant der Thorwache begriff, daß sie eine Botschaft des Kaisers zu überbringen habe.

»Wenn Ihr nicht zu spät kommt!« lauteten auch seine trostlosen Worte. Er ließ jedoch einen bewaffneten Unteroffizier neben dem Kutscher Platz nehmen, damit der Wagen anstandslos durch die Menschenmenge passieren könne. –

Schlag fünf Uhr waren die Stücke auf dem Schlosse gelöst worden, zum Zeichen, daß der Strafvollzug beginne. Zugleich wurden die Stadt und Brückenthore gesperrt und alle Gassen, sowie der Altstädter Markt mit Truppen besetzt. Die kaiserlichen Richter, Kommissarien und der ganze altstädtische Magistrat setzten sich in auf den Altan des Rathauses, die Vollziehung des gefällten Urteils wurde sodann unter fortwährendem Trommelwirbel vorgenommen.

280 Dem Herrn Joachim Andreas Schlick, Grafen von Passau und Ellbogen, gewesener böhmischer Oberstlandrichter, Direktor und Landvogt in Oberlausitz, wurde, nachdem sich derselbe mit Hilfe seines Dieners entblößt und auf die Kniee niedergelassen, das Haupt und die rechte Hand abgehauen. Ein Mark und Bein durchdringender Ton, vom Schlage des Richtschwertes erzeugt, drang durch die Luft. Ein Entsetzensschrei ging durch die Menge, den aber der Trommelwirbel übertönte.

Sein Leichnam wurde von sechs verkappten Männern, ohne daß ihn der Scharfrichter berührte, von der Bühne hinweggetragen. Solches wurde auch bei allen andern, welche mit dem Schwerte hingerichtet wurden, beobachtet.

Dann kamen Wenzel von Budowa, Appellationsgerichtspräsident und Christoph Harant, böhmischer Kammerpräsident, an die Reihe. Ihnen folgten fünf gewesene Direktoren, dann der Schloßhauptmann von Prag und zwei kurpfälzische Räte, denen Kopf und Hand abgeschlagen wurden.

Es folgten zwölf weitere böhmische Herren. Johann Jessemus von Jessen, einem berühmten Arzt und Rektor der hohen Schule in Prag, wurde auf der Bühne zuerst die Zunge abgeschnitten, dann folgte die Enthauptung.

Schon kam die Reihe an Humprecht von Hracin. –

Libussa mußte, da in der Nähe des Marktplatzes das Fortkommen des Wagens unmöglich war, mit Stanislaus denselben verlassen. Sie wandte sich an den Kommandanten der hier aufgestellten Truppen, zeigte ihm die beiden kaiserlichen Schreiben und flehte ihn um Gotteswillen an, ihr den Weg zum Statthalter zu bahnen. Der Offizier war sofort bereit, er selbst geleitete sie bis zum Eingange des 281 Rathauses und gab dort einem andern Offizier den Auftrag, die Geschwister schleunigst zum Statthalter zu führen.

Libussa mußte ihre letzte Kraft aufwenden, um über die Treppe hinaufzueilen. Der Trommelwirbel raubte ihr fast die Besinnung, sie wußte ja nicht, ob Humprecht nicht schon unter den Abgeurteilten sei.

Endlich hatte sie den Saal erreicht. Der Offizier begab sich zum Fürsten Liechtenstein und machte ihm Meldung. Es war in dem Momente, als der Ausrufer den Namen »Humprecht von Hracin« von der Liste las.

Libussa war dem Offizier auf dem Fuße gefolgt. Sie hatte dem Fürsten den kaiserlichen Gnadenbrief überreicht. Der Statthalter erbrach die Siegel und las.

Inzwischen war Humprecht, gefaßt, wie alle ihm im Tode Vorangegangenen, auf die Bühne hinausgetreten. Da hörte in diesem Augenblicke auf ein Zeichen des Statthalters das Trommelspiel auf und unter lautloser Stille verkündete der Fürst, den kaiserlichen Gnadenbrief in der Hand: »Seine Majestät haben Humprecht von Hracin das über ihn gefällte Todesurteil in Gnaden erlassen und mit Aufrechterhaltung der Konfiskation seines Gutes Hrádeck dessen Freilassung genehmigt.«

Dieser Botschaft folgte ein allgemeiner Beifallsruf.

Demnach wurde Humprecht wieder in das Rathaus zurückgeführt. Libussa horchte mit gespannter Aufmerksamkeit den Worten des Statthalters; als sie Gewißheit hatte, daß Humprecht gerettet sei, sank sie erschöpft zu Boden. Stanislaus hob sie auf und führte sie zu einem Stuhle. Der Offizier aber, voll Mitleid mit dem Mädchen, öffnete ein Zimmer, in welchem es sich ungestört von seiner Erschöpfung erholen konnte. Dann aber eilte er hinab, 282 um Humprecht von Hracin zu beglückwünschen und ihn zu seiner Retterin zu führen.

Humprecht, der sich schon mit dem Tode ausgesöhnt, war von der Begnadigung wie betäubt. Er hatte in diesem Augenblick nur ein Gefühl, jenes der heißesten Liebe für Libussa. Die Freude, sie umarmen zu können, drängte alles andere zurück. Als er sie erblickte, bleich und erschöpft bis zum Tode, da öffnete er weit seine Arme und aus tiefstem Herzensgrunde rang sich nur ihr Name: »Libussa!«

»Humprecht!« rief sie, ihre Arme um seinen Nacken schlingend, »Humprecht! du lebst, bist frei!«

Und sie sank ihm halb ohnmächtig in die Arme.

Doch nur eine Sekunde währte die neue Schwäche.

Dann öffnete sie wieder die Augen, ein Freudenstrahl brach aus denselben. Sie konnte sie nicht mehr von dem Geliebten, dem Geretteten wenden.

Der Trommelwirbel hatte längst wieder begonnen und mit ihm die weiteren Exekutionen. Johann Kutnauer, Bürgerhauptmann der Altstadt, und Simon Sussiczki, sowie zwei andere Bürger waren an den Fenstern des Rathauses gehenkt worden. Als Johann Theodor Sixt von Ottersdorf die Bühne betrat, waren wiederum auf ein Zeichen des Statthalters die Trommeln zum Schweigen gebracht und auch diesem die Begnadigung des Kaisers bekannt gegeben.

Zwölf Köpfe, darunter jener des Grafen Schlick, wurden sodann auf dem Prager Brückenturm aufgesteckt. Die Körper aber übergab man den unglücklichen Witwen und Waisen zur Bestattung. An andern Gefangenen wurden kaum noch zu erzählende Grausamkeiten verübt und so nahm dieses schreckliche Blutgericht, dergleichen man in der Geschichte nur selten findet, sein Ende.

283 Sieben von jenen, welchen das Leben geschenkt worden war, darunter Wilhelm Popel von Lobkowitz, wurden auf Zeitlebens eingekerkert, mehrere auf eine Anzahl von Jahren, wieder andere wurden verbannt. Diejenigen, welche auf geschehene Vorladung vor dem Hochgerichte nicht erschienen waren, wie Wolf von Perglas, wurden ihrer Güter verlustig erklärt und ihre Namen auf schwarze Tafeln geschrieben und an den Galgen gehenkt. Gegen die inzwischen mit Tod abgegangenen Anhänger König Friedrichs, Kolon von Fels und Peter Schwamberg ward gleichfalls gerichtlich verfahren und ihre Güter fielen dem Kaiser zu. Überhaupt hatte wohl der ganze böhmische Adel Ursache, vor der neuen Gewalt zu zittern.

Die düsteren Wolken, welche den Tag über den Himmel bedeckten, hatten sich zerstreut und blutigrot färbte die untergehende Sonne den Himmel. Es war wohl heute der blutigste Schreckenstag gewesen, den Böhmen je geschaut. Es war die Zeit der Sonnenwende. Sie wendete sich, um noch viele, viele trostlose Tage zu bescheinen.

Dieses rosige Licht fiel durch die offene Thüre des nach dem Garten zu liegenden Zimmers Libussas und beleuchtete ihr bleiches Antlitz. Sie saß in einem Lehnstuhl, neben ihr Humprecht und seine Mutter. Sie war krank nach Hause gebracht worden, doch weigerte sie sich, zu Bette zu gehen. Ihre Angehörigen waren in großer Sorge um sie. Sie war stark von Gesundheit, aber den Aufregungen der letzten Tage, der Todesangst, die sie die letzte Nacht gefühlt, war sie doch nicht gewachsen. Die Anspannung aller ihrer körperlichen und seelischen Kräfte mußte einer endlichen Erschlaffung weichen. Ebenso mußte sich Humprecht in der Wohnung, welche seine Mutter inne 284 hatte, von den Gemütsbewegungen erholen, unter welchen der jähe Übergang vom Tode zu neuem Leben nicht der geringste war. Gegen Abend aber kamen Mutter und Sohn zu Libussa. Die Freifrau küßte sie unter Thränen, nannte sie ihre geliebte Tochter und bat sie, in ihr eine Mutter zu sehen und sie auch so zu nennen.

»Empfindest du nicht Freude darüber, daß du noch lebst?« fragte Libussa, ihm warm die Hand drückend.

»Freude?« entgegnete Humprecht. »Muß es heute nicht jeder böhmische Edelmann als eine Schmach empfinden, überhaupt noch zu leben?« Doch rasch setzte er hinzu:

»Da dir mein Leben wert ist, Libussa – du hast es teuer genug erkauft – so soll es auch mir wert sein, denn ich will es für dich leben.«

Nicht in vielen Worten, meist nur in Blicken gaben sich die glücklich Vereinten Frag und Antwort. Bereits dämmerte es. Vom Wallnußbaum im Gärtchen ertönte der melodische Schlag der Nachtigall. Es war so friedlich hier, so wohlthuend beruhigend für die vom wüsten Sturm durchbebten Herzen.

Nur ungern trennten sich die Liebenden.

»Morgen auf Wiedersehen!« hieß es.

Dann ward es im Häuschen Antonins bald ganz stille. Nur die Nachtigall sang ihre lieblichen Weisen von Liebesglück und Lebensfreude. Was kümmerte sie der Menschen Schmerz und Zwietracht! 285


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